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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1892
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921206016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892120601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892120601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
- Tag1892-12-06
- Monat1892-12
- Jahr1892
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Bekanntmachung, betreffend die Anwendung der vertragsmäßig bestehenden Zollsätze aus rumänische Erzeugnisse. Vom 26. November 1892. Nr. 2058. Bekanntmachung, betreffend die Anwendung der vertragsmäßig bestehenden Zollbefreiungen und Zollermäßigungen auf die spanischen Boden- und Industrie-Erzeugnisse. Bom 29. November 1892. Leipzig, den S. December 1892. Der Rath Ser Stadt Leipzig. l>r. Georgi. krumbiegel. 4°/oige Anleihe -er Handelskammer zu Leipzig. Die neue« iiouponbogcn unserer 4° »igen Anleihe (für die Zinstermiae vom 30., 6. 1893 bis zum 31./12. 1902) werden gegen Einreichung der alten Zinsleiste vom 1. Januar 1893 ab an ber Eouponcaße der Allgemeinen Deuischen Credit-Anstalt ansgegeben. Leipzig, den 1. December 1892. Die Handelskammer. A. Thieme, vr. Gen sei, S. Vorsitzender. Gefunden oder alS herrenlos angemeldet resp. abgegeben wurden in der Zeit vom 16. bis 30. November 1892 folgende, zum Theil auch schon srüher gefundene oder von verübten Diebstählen herrührende Gegen- slände: 2 Geldbeträge von je 20 ^l und ein solcher von ö H, Porte- mounaies mit 18 K8 5 8!i -4, 4 — -4 und 3 81 sowie mit geringere» Beträgen, ein aravirler Trauring, zwei andere goldene Ringe, ein goldener Ohrring, zwei Armreise, ein silbernes Armband, 2 Broschen, 2 Klemmer, 2 Leihhausscheine, 2 Notenhrste, eine Nolle Bauzeichnungen, 8 EartonS mit Pappsigurc», die Geburt Christi darstellend, ein CUchS (Locomotive darstellend), ein Taschenmesser, eine ver- goldeie Scheere, ein Sammetbeutel mit Nähutensilien, ein Packet Frottir-Essecten, zwei getragrue Wintrrübcrzieher, zu einem derselben Hut und Stock gehörig, ein Filz-Ueberschuh, einige Schirme und Stücke, eine Peitiche, ein Bündel Pelzschweise, ein Feuerhaken, ein Bierfaß, eine Anzahl Schlüssel und ei» 2rädr»ger Handwagen. Zur Ermittelung der Eigenthümer wird dies hierdurch bekannt geinacht. Gleichzeitig fordern wir auch Diejenigrn, welche im Oktober und November vorige» Jahres Fundgegenstände bei uns abgegeben haben, aus, diese Gegenstände zurückzusordern, andernfalls hierüber den Rechten gemäß verfügt werden wird. Leipzig, deu 2. December 1892. Da» Paltzri-Amt der Stadt Leipzig. Bretschnetder. Ml. Diebstahlg-Gekanntmachung. Gestohlen wurde laut hier erstatteter Anzeige: 1) ein Etnlagrbuch der Sparkasse zu «tohlts, Nr. 3236, mit einem Einlagebestand von 270 Mart 2 Psg-, vom 5. — 25. vor. Mts.; 2) rin Frauenkicid — Rock und Taille — von schwarzem ge- streiften Kaschmtrstoff, tdeils mit Posamenten, thcilS mit Mohairstos besetzt, vom 20.-27. vor. Mts.; 3) ein Wttitcrübcrzieücr von dunkelgrünem Stoff, mit Hellem gestreiften Futter, schwarzem Sammetkragen und einer Reih« Horn- knöpse, mit verdeckter Batterie, vom 27.-28. vor Mts. Nachts; 4) rin Wtnteriiberzirhrr von dunkelgrünem Stoff mit braun- wollenem, gelb- und grüncarrirtem Futter, Sammetkragen, Borden- einsassung, einer Reibe Perlmutterkuöpfe und gelbem Kettchenhenkel, vom 26.-27. vor. Mts.; 5> rin Wtnterüberzirher. fast neu, von graublauem glatten Stoff, mit blonwollenem wcißgestreiften Futter, blauem Sammet- kragcn und Kettchenhenkcl, am 28. v. M.; 6) ein Herbstilbcrzicher von grauem glatten Stoff, mit gelb lichem, grün- und rvthgestreiftem Futter und einer Reihe Knöpfe, vom 1. bis 2. d. M.; 7) ein Winterübcrzicher von dunkelblauem FloconnS, mit schwarzem Wollatlassuttcr. 2 Reihen schwarzen Sleinnußknöpsen, Sammetkragen, Bordcneinsassung, Kettchenhenkel und mit der Firma „Xnssnm-r st l'or/zeici, Lrtürt" unter letzterem, am 30. v. M.; 8) rin Herlistniaiitcl. ziemlich neu, von grauem Stoff, mit Steinnuhkiiöpsen und großem Kragen, am 29. v. M.: 9> ein Spazicrstock Vvn Eiche, mit Krückengriff ouS Nilroß- Zahn mit MetaUschildchen und eingravirlem Zirkel, am 30. v. M.; 10) rin Winlerüberzirhcr von hellgrauem Stoff mit grauem Sammetkragen, blaucarrirtein Futter, einer Reihe Hornknüpse und Stoffhenkel nnt der Firma „?aul Ltnede, tiörütn", am 29. v M.; 11) ein Kinderwagen, gebraucht, gelb gestrichen, mit schwarzem Lederverdeck unu blauem Ausschlag, am 24. v. M.; 12) ein Handwagen, 2rädrig, mit 2 Centner Briqurtte» in einem grauleinrne» Sacke, am 26. v. M. Etwaige Wabrnchmungen über den Verblieb der gestohlenen Effecten oder über den Thäter sind ungesäumt bei unserer Lriminal- abiheilung zur Anzeige zu bringe». Leipzig, am 5. December 1892. Da« P»ltzri-Amt der Stadt Leipzig. Bretschnetder. N. Der Gericht des Monsieur Le Nour. * Für die Behauptung der socialdemokratischen, dem», kratischen, ultramontanen und hochcoiiservativen Feinde des Fürsten Bismarck, dieser bade selbst eingestandcn, daß er die Emser Depesche gefälscht habe, wurde bekanntlich auch ein französischer Publicist Namen» Le Roux in» Gefecht geführt, der ein« Unterredung mit dem Fürsten gehabt haben wollte und über diese angebliche Unterredung in dem Pariser Blatte „Le Journal" einen Bericht erstattete. Schon aus den kurzen Auszügen, die der Telegraph aus diesem Berichte verbreitete, ergab sich für Jeden, vem nicht blinder Haß jeden Nest von Urtheil-vermögen genommen hatte, daß der Franzose ge logen und dem Fürsten Seußrrün-en untrrgelegt haben müsse, die dieser nie gethan haben konnte. Bald! meldeten denn auch die „Hamb. Nachr.", Le Roux habe den Fürsten nie gesehen; sein Aufenthalt in Varzin habe über haupt nur 10 Minuten gebauert, er sei nicht einmal i»S Schloß gekommen, sondern draußen abgewiesen worden. Aber trotz dem blieb Monsieur Le Roux klassischer Zeuge der BiSmarck- cinde für ibre Bebauptuna, daß der Altreichskanzler zu einer Fälschung ber Einser Depesche sich bekannt habe. Die „Hamb. Nachr." haben sich nun die Mühe genommen, den Bericht des sauberen Franzosen, der sein Machwerk sogar persönlich nach Barzin eingcsandl bat, zu übersetzen, um zu zeige», mit welcher verblüffenden Ungenirtheit gelogen wird und auf welche Autoritäten ein Tbeil der deutschen Presse sein bämisckcS Unheil über den Altreichskanzler zu stützen sich erdreistct. Die Uebcrsetzung lautet: „Mein lieber Freund! Am vorigen Donnerstag sprachen Sie mit mir von der Auf regung, welche die Offenbarungen, mit denen Fürst Bismarck Herrn Max Harden soeben beehrt hat, in der europäischen Presse bervor- geruien haben. Es würde gewiß von Interesse sein, die Ansicht eines gewissen Jemand über die Geschichte der Emser Depesche zu erfahre» ... — Welches Jemand? — Des Fürsten Bismarck selbst. Ich muß gestehen, ich forderte fünf Minuten Bedenkzeit. Ich erinnerte mich nämlich einer Anekdote, die einmal durch die deulsche Presse die Runde machte. Ein ziemlich anständiger Herr von cor- recter Haltung hatle sich einst a» der Pforte des Fürsten Bismarck eingestellt, um eine Audienz zu erbitten: „Aber wenn ich Ihnen ii»n sage, daß der Zutritt verboten ist", erwiderte der Cerberus. Jndeß der Herr von der correcten Haltung bestand etwas schüchtern auf seinem Verlangen und sprach: „Es muß doch angehen, weil ich der König von Sachsen bin I ..„Der König von Sachsen! Dann warten Sie einen Augenblick .. Ich, Hugues Le Roux, bin nun freilich nicht der König von Sachsen und fürchtete, daß mein Schildwachstehen an der BiS- rnarck'schen Pforte sich etwas verlängern könnte. Aber füns Minuten Bedenkzeit sind wohl geeignet, im menschlichen Temperament die möglichen Hindernisse zu beseitigen, und mir steht, wenn ich mich nicht irre, der Justine« eines Jägers zu Gebote. Ich glaubte also, daß dieses fürstliche Wild wohl das Risico einer verfehlten Reise auiwöge. Und somit antwortete ich Ihnen: „Nun gut, morgen reise ich ab." Am Sonnabend Morgen stieg ich im Bahnhof zu Hamburg ans. Gut unterrichtete Leute hatten uns versichert, daß ich den Fürsten in unmittelbarer Nähe von Hamburg, in Friedrichsruh, anlresse» würde. Tiber diesmal hatten die gut unterrichteten Leute sich geirrt. Fürst Bismarck war noch nicht in seinem Winterquartier Friedrichsruh eingetroffen. Gegen seine Gewohnheit hatte er seinen Auseuthatt in Barzin verlängert. „Wo liegt das, Varzin?" Tief in Htnterpommem. UebriaenS bereue ich sie nicht, diese sünszchnstündtge Etsenbahnkahrt von Hamburg nach Schlawe; denn die Eiienbadn hat doch einen echt pomnikricheii Reiz. Tie Trost- losigkeit dieser Einöde hat mir Geist und Sinn auf die Eindrücke vorbereitet, die ich für den nächsten Tag zu erwarten batte. Dieses Pommern ist das reine Nichts. Die bleiche Erde wird hie und da unter dem Grase sichtbar und es sieht aus, als litte das Land am Aussatz. Bon Lübeck an liegt der Nebel so tief, daß sch aus den Stationen, wo ich ausstieg, mit dem Hut an die Himmels- dccke stieß. So gleitet man stundenlang, rneilcnlang, zwischen dem düslern Erdboden und dem niederdrückcnden Gewölk dahin. Die Dekoration ist so unveränderlich, daß der Zug sich kaum zu bewegen scheint; auf ein Tanncngehölz folgt sandiges Haide- laiid: oann eine unter Wasser stehende Wiese, dann wieder ein Sumpf mit schmutzfarbigen Binsen. Man wundert sich, daß man nicht eine Meute von Hunden erblickt, in deren Mitte ein mit dem Tode ringender Hirsch verendet. Wo die Augen des Körpers nichts Lebendes finden, haben die Augen des Geistes ihre Visionen: auf diesen endlosen Flächen spielt die Sage von den Walküren. Unter Geschrei und Hörnerklang jagen sie Tag und Nacht dahin, während die Kämpfer sich ausruhen. Und dort hinten am Horizont ziehen grauliche Schwärm« von Krähen eiligen Fluges ihrer grausamen Beute entgegen. Hinter allen diesen Nebeln und allen diesen Erscheinungen haust der alte Herr, selbst eine Gestalt der Sag«. Diejenigen, die ihn vom Schauvtatz der Geschichte mit ihrem grellen Lichte fvetgewiesen, haben geglaubt, daß der Nebel, der manchen Menschen zu den Göttern erhebt, diesem Manne Etwas von seiner zähen Existenz und von seiner infernalischen Willenskraft rauben würde. Ter Rückschlag hat indeß die Gestalt des Kanzlers noch erhöht, ohne seine Kraft zu schwächen. Er hat noch immer Gedanken und denkt bisweilen laut. Dann übertönt der Klang dieser Stimme, der durch das Schweigen der pommerschcn Wildniß verzehnfacht wird, sogar die gebieterischen Worte des jungen Kaisers. Endlich, am Sonntag Abend um Mitternacht, habe ich Schlawe erreicht. Der Gastwirt!, stellt mir für den nächsten Tag einen Wagen mit Pferden in Aussicht, von denen er mir Wunder ver spricht. — „Denn der Weg bis Varzin jspr. Farzin) ist wenigstens drei Stunden lang und es wird eine kalte Partie werden". — Was mich aber warm halt, ist ein Brief, den man mir von Hamburg an eine vertraute Person aus der Umgebung des Fürsten mitgegeben bat. Und unter meine: Reisedecke zujammciigekaiiert. lasse ich die Landschaft an meinen Blicken vorübergleiten. Es sind immer dieselben mageren Culturen, derselbe kahle Erdboden, Lastelbe Panorama heraldischer Jagden. TerLchmuck der Edelsitze, an denen ich vornberkonime, besteht aus Hirschgeweihen mit den Taten der agden. Einige der Jäger begegnen mir ans offenem Jagdwagcn: erren mit lachsrothen Wangen und blonden Schnurrbärten, die aus mächtigen Pelzkragen hervorstarren. Aus dem Bock sitzt der Kutscher in militairijcher Haltung, und die hochbeinigen Gäule traben über den gefrorenen Boden. Von Zeit zn Zeit taucht auch ein Boncr- waacn aus; — es ist schon der echt russische Karren, ein Korbkasten ans vier säst gleich großen Rädern. Die Frauen find in wollene Tücher gehüllt, di« Männerköpse bis an die Augenbrauen in Pelz mützen vergraben. Die Bauerjungen, die auf den Sumpslachen schlittern, jehen aus wie Päckchen von grellrother und kastanien- brauner Strickwolle. Mein Wagen lenkt in ein kleines Gehölz ein, aus einen Fahr- weg mit stark anSgesahrenen Gleisen. Valv »eigen sich landwirth- schastliche Gebäude, «ine Remise, ein Pserdestall. Aus eine Wendung des Kutscher» zur Rechten erscheint ein verfallenes Haus. Ich klopfe ans Wagenlenster und sage: „Fahrt doch weiter." — „Aber hier lind wir ia zur Stelle." Hier? Hier wohnt er, der Mann, der in seiner Hand die Karte von Europa zurechtgekneiet hat? — Man hat mir schon Vieles von seiner Einfachheit, von dem bäuerlichen Anstrich seines Lebens erzählt; aber in der Thai, diese ärmlich« Schlichtheit hat doch meine Erwartung übertroffen. Stellen Sie sich ein kleines Gartenhaus vor mil zwei kurzen Flügeln und einem einzigen Stockwerk; inmitten der Fao.ode eine schlechte Marquis« und ein paar Stufen. Frisch« Tünche vberkieidet kaum dt, Riffe und die Fenchitgkett de« Gebäudes; Fensterladen und Rahmen find hellbraun gestrichen. Zur Linken bemerk» ich in einer halb offenen Thür einen Mann mit rvthem Gesicht in grünen Sammet gekleidet, gestiefelt bis an den Bauch kür di« Jagd. Ueberrest« von Blumensträußchen Höngen am Balcon der Veranda, deren Bänder vom Regen verblaßt sind. Das sind die berühmten Blumensträuße, welche innge Mädchen auf dle Bahn höfe brachten, als der alle Kanzler auf seiner Rückreise aus Oester reich seinen Triumphzug durch Deutschland hielt. Jetzt sind von dielen Huldigungen nur noch das Stroh und die Trahlfädeii übrig. Man könnte sie auch mit Kränzen vergleichen, die auf Gräbern verwittern. Indessen habe ich meine Karte abgegeben und es kommt Jemand drinnen die Treppe herunter. Es scheint, daß ich zur rechten und doch wieder zur Unrechten Stunde komme; zur Unrechten, insofern der Fürst seit vierzehn Tagen in ganz verwünscht schlechter Laune ist Seine üble Gesundheit hat ihn verhindert, sich zur gewohnten Jahreszeit nach Fricdrichsruh aus die Reise zu machen; andererseits hat er allen eingeladenen Freunden abgesagt. Gleichwobt komme ich wieder zur rechten Zeit; denn es ist gerade die Stunde, wann der Fürst ausgeht, um seinen einsamen Spaziergang zu machen. Man weis; indeß nicht, ob er heute frische Lust schöpsen wird; das agt er Niemand vorher; aber wenn er überhaupt auSgeht, muß er jede Minute kommen. Und gerade in diesem Augenblick richtet der große Hund, der seit einigen Minuten um »ns herumstreicht, den Kopf empor und wendet das unruhige Lbr der Marquise zu, weil er einen Tritt gehört hat. Da kommt sein Herr und Meister*). Warum soll ich cs nicht ge lebt»? Mir flößte diese Begegnung ebenso viel Furcht ein, wie ich mich darnach gesehnt hatte. Mir sind viele Größe» der Erde ganz nahe zu Gesicht gekommen, ich habe sie immer wie Menschen unseres Gleichen angesehen. Tiber für uns Alle, die wir i» der schrecklichen Kricgszeit kleine Kinder waren, ist er der Menschenfresser geblieben. Wir batten in unseren Betten bei dem Gedanken gezittert, daß er ich mit seinen Riesenschritten nähere; aus den Knien unserer weinenden Mütter hatten wir Gott um feinen Tod angesleht. Und Liese ganze Kinderanast lag mir wieder aus dem Herzen, als ich hörte, wie er mit seinem schweren und langsamen Riesenschritt hcrankam. Er gehört zu denjenigen Menschen, deren unbewegliche Züge den Zeichner in Versuchung führen; aber kein Bild von ihm kann das Leben diese- Auges wicdergeben. Vom Augenlid nach oben um randet und ohne sichtbar« Wimpern unter Augenbrauen hcrvvr- tretend, die ebenso struppig sind wie der Schnurrbart, sieht dieses Auge uns um die Ecke an, mit einem schrägen Blick, den dle Lateiner mit toi-vu» bezeichneten. Heute, in vorgerücktem Greisen- alter, ist dieses Auge noch so glänzend, daß der Glanz die Farbe desselben zurücktreten läßt. Aber der Blick de» Auges ist hart, weil es eine grimmige Seele widerspiegelt. Ter breite Rand des grauen Filzhuts, den er sich ausgestülpt hatte, hatte mich anfangs verhindert, seine Stirn zu sehen. Er lüftete ihn, und da gewahrte ich die tiefen Furchen, in weiche die Geschichte eines halbe» Jahrhunderts sich eingegiaben hat. Diese Stirn nbertrifft alle aiideren Stirnen; sie neigt sich schräg herab inmitten der gewaltigen Brauen und verbindet die parallellaufenden Runzeln der Stirn mit den Falten der Nase: es sieht auS wie ein vernarbter Messereinschnitt in einem Baume. Wenn Unmulh oder auch unreine Aeußerung der Willenskraft diese Furchen in Bewegung setzt, so möchte man sagen, daß die Stirn sich hebt und die Brauen in Wirklichkeit sich eniporsträuben. Ter Fürst, der in seinem Anzug sehr vernachlässigt war, trug an der Stelle eines .Hemdkragens cme ziemlich lose und schloff um- gebundene weiße Halsbinde; am Leibe trug er einen weiten Ueber- rock und einen lange», eisenbeschlagciien Stock in der Hand. Von Hamburg aus hatte ich ihm den Zweck meines Besuches angekündigt, und daran hatte man den Fürsten erinnert. So redete er mich denn in sepr reinem Französisch an: — „Wie? Dieser Artikel von Harden? Darüber habe ich schon alles Nölhigr gesagt und Weiteres giebt es nicht." — Dann, die Achsel zuckend: „Kindisch ist es, wie die!« Diplomaten und Zeitungsschreiber sich darüber aufgeregt haben. Wer glaubt denn im Ernst, daß man wegen einer Depesche den Krieg erklärt? Narren sind es, die keine Geschichte kennen und nicht einmal wissen, was das Leben Istl Ich brauchte einen Krieg, um alle deutschen Münzen im Feuer umzujchmelzcn. Der erste Vorwand, der sich mir bot, war willkommen.... Wenn'» niit diesem nicht gegangen wäre, hätte sich ein anderer gefunden." ... Wir stiegen den ziemlich steilen Weg hinan, aus dein ich herab- gekommen war, und der Fürst sprach in kurzen Sätzen, indem er denn Steigen etwas außer Tlthem kam. Bor uns lies der große Hund und raschelte im dürren Laube. Dann kehrte er wieder springend zu seinem Herrn zurück und bellte ihm ins Gesicht. Plötzlich fiel es mir aus, wie beide einander ähnlich sahen; ohne Zweifel verdeckt dieser auf beide Lippen hcrabwallende Schnurrbart die Spitzzähne einer Ulmer Dogge; dasselbe weiße Haupt, von dem greise Haare herabhängen. Und wenn da» Thier aus dem Schlummer erwacht, knurrend von den Pfoten das finstere Haupt erhebt, süllt sich das Auge mit Blut, es zeigen sich die Schneidezähne und der alte Hund erkennt Niemand, nicht einmal seinen Herrn. Indessen steckte mir eine Frage in der Kehle; aber wie sollte ich sie sormuliren? Durfte ich sagen: Wie kommt es. daß Sie diese Lüge gewagt haben? — Er kam zum Glück selbst daraus; denn Greise schwatzen gern, und der Kanzler, der auf den Bahnhösen über die Blumensträuße junger Mädchen geweint hat, ist jetzt nicht mehr jener eiserne, von einem fehlerlosen Panzer umgürtele Man». „Ich mußte den König zum Entschluß bringen. Er hielt etwas auf sein Recht, aber lange Zeit verschloß er die Augen; man mußte sie ihm also mit Gewalt öffnen. Dann faßte er vie verzweifelten Entschlüsse eines unentschlossenen Mannes. Wenn inan ihn erst a» die rechte Fährte gebracht hatte, konnte man ihn seinen Weg allein gehen lassen" . . . Wir waren an eine früher weiß angemalte Bank gekommen, die jetzt feucht überzogen war. Herr v. Bismarck setzte sich schwerfällig nieder und hielt beide Hände über den Stockknopf gekreuzt. Sein Gedanke war uns ausgegangen: er grinste bet irgend einer Erinne- rung an di« Vergangenheit. Ohne Zweifel stand ihm der alte Kaiser vor der Seele, und indem er sich den Schnurrbart über den furcht baren Schneid zähnen in die Höhe strich, that ich einen Einblick, das kann ich beschwören, einen Einblick in das Innerste dieser Seele. Herr v. Bismarck hat seinem Könige gedient, weil das königliche Vertrauen den Nachbrnck seines Handelns verzehnfachte, — weil die Mittelmäßigkeit der liberalen Opposition ihn in der Dunckelhelt ge- lassen hätte. Keine Sekunde Kat er ihn geliebt, weder ihn, noch sonst Etwas, nicht einmal sich selbst. Man würde das Genie des Herrn v. BiSmarck verkennen, wenn man ihn nur alS ehrgeizig hinstellte. Er iit Etwas mehr gewesen als stolzerfüllte Intelligenz; er wareine Kraft. Die Naturforscher lehren uns, daß der Kampf um- Dasein, der Sieg des stärkeren Elementes sich auch bei den niedersten Lebewesen in der Meeresliese als das göttliche Gesetz LeS Fortschrittes offen- bart. BiSmarck ist silr daS »mgestaltete Deutschland zum natür lichen Sauerteig geworden, der jede Lebcnsäußernng dadin bringt, aus der Nacht zum Licht, aus der Bewußtlosigkeit zum Bewußtsein, a»S der Verzettelung der Kräfte zur gewollten Einheit cinporzusteigen. Mit der Unveranlworllichkeit der SchickialSbestimmung hat er Lies Werk zu Stande gebracht. Und wir Anderen, die er bei Seit« ge stoßen, ja beinahe zermalmt hat, wir denken mitunter: Wenn cs einen Gott giebt, was wird ihm dieser Mensch für ein« Rechenschaft oblegen können? Die Vorsehung wird ihm jene Nachsicht schenken, di« sie einem *) Bekanntlich hat Fürst BiSmarck zwei Hunde (Tyra» und Rebekka) stet» um sich; daß Monsieur Le Roux nur von einem spricht, genügt für Jeden, der mit diesen Verhältnissen vertrant ist, die Erzählung all unwahrscheinlich zu erkennen. Flusse gewährt, der die Ernte Hinwegschweinnit, oder dem Vesuv, der Pompeji und Herculanum verschüttet hat. Er wird seinen Platz unter den Elementargewalten rinnehmen, unter Attila, der Gottes- geißcl, oder dem Schwarzen Tode des Mittelalters. Wir wollen nur hoffen — und die Hoffnung erleichtert das Leben —, daß es eine der letzten Zuckungen des Gottes Ahriman ist, des bösen Geistes, der seit Anbeginn der Tage die Gerechtigkeit des LichtgotteS be kämpft. Ja, das wollen wir hoffen. Auf dem Wege nach Schlawe begegneten mir viele kleine Kinder; i« kamen aus der Schule. In Anbetracht diese- ärmlichen Landes waren sie warm angezoge», waS für die Sorgfalt ihrer Mütter zeugte. ES waren blonde Kinder mit Rosenwangen, und sie lächelten mir zu. Wenn sie einst zu Männern und Frauen hcrangewachsen ein werden, wird der Tod längst das allzu glänzende Auge des Einsiedler» von Varzin geschloffen haben. Gebe Gott, daß sie dann nicht zu Werkzeugen seines Hasses werden! Ich wäre gern abgestiegen und halte ihre Bücher aufgeschlagen, um die Läßliche Seite herauszureiben, auf welcher eS heißt, daß die Menschen einander morden müssen und daß die Geschichte mit Blut geschrieben sei. Ich Hütte ihnen sagen mögen, daß die Ein samkeit des Alten von Varzin mein Herz vor Schrecken hat erkalten lassen. Aber warum sollte ich die Kinder mit dem Gespenst des Mcnschensresscrs erschrecken? Lassen wir sie friedlich sich weiter tummeln. Hinter diesem pommerschen Winter, unter dieser hart gefrorenen Erde wird einst ein Frühling erwachen. Und noch einmal ei es gesagt: wenn die Prüfungen ihr Ende erreicht haben, wird das Geheimniß des Lebens nicht mehr vom Haß verkündet werden. HugueS Le Roux. Und dieser Bericht, der mit seinen Schilderungen der Fahrt durch Mecklenburg und Pommern für ein schlechtes Witzblatt zu schlecht ist, konnte nicht nur in Frankreich Gläubige sindc«, sonder» auch deutschcii Blättern als Unter lage für ein VerdammungSurtheit gegen den größten deutschen Staatsmann dienen! Dieser Bericht ist eS, auf den sich die Worte des „Neichsbotcn" beziehen: „Man steht starr vor diesem CpniSmuS — und fragt sich: wie ist es möglich, daß dieser Mann sein Vaterland, seinen König und sein eigen Weck in dieser unerhörten Weis« und sogar einem Franzosen gegenüber compromittirten kannl" Auf diesen Bericht gründete die „Germania" daS Urtheil: „Fürst Bismarck wütbet also weiter gegen seinen Namen, gegen seinen König und gegen lein Vaterland. Wir hoffen, jetzt, gegenüber den neuen Enthüllungen Bismarck's, in dieser Frag« sogar durch einen Franzosen, giebt es für Teutlche nur noch dle eine Haltung: schärfste Zurückweisung der Franzosen, wenn sie Deutschland mit Bitmarck indentificircn. Mit dem „Reichsboten" möchte man sich fragen, wie eS möglich ist, daß ein deutsches Blatt sich in dieser unerhörten Weise solch einem verlogenen Franzosen gegenüber compromiltiren kann. Nur einigermaßen dient eS diese» Blättern zur Ent schuldigung, daß ei» großer Tbeil de» deutschen LcserpublicumS nach sensationellen Meldungen, auch wenn sie noch so un sinnig sind, überaus lüstern ist und von der Partripreffe schleunigste Stcllungnabme z» jeder derartigen Meldung ver langt, bevor eine einigermaßen sacklicke Prüfung möglich ist. Sorgfältiges Abwägen dcS NrtheilS und vorsichtige Zurück stellung sensationeller Depeschen, deren kurze Fassung ein schcrcs llrtbeil nicht ermöglicht, wird deshalb immer seltener in der deutschen Presse, die sich mehr und mebr zur dienenden Magd der übelsten Bolksleitensckaften und -Neigungen macht. Wobin das führt, lehrt der beschämende Erfolg, den Monsieur Le Roux in dem von Bismarck geeinten deutschen Reiche errungen hat. Deutsches Reich. 6.II. Brrltn, 5. December. Die Kluft, welche zwischen den Anarchisten und den „Unabhängigen" vor mehreren Monaten bestand, als die ersieren sich anschickten, ein eigenes Lraan zu gründen, ist jetzt wieder überbriickt. Der „Socialist" muß jetzt wieder die Anarchisten unter seine Fittige nehmen; die Preßcvminissio» des „Socialist" macht nämlich Folgendes bekannt: „Auf die in letzter Zeit an ui,S gerichteten Anfragen zur Nachricht, daß vie Notizen bezüglich des Anarchismus die rein subjektive Auffassung der Redacteure sind und unsere Billigung ebenfalls nicht gefunden haben. Für die Folge wird dicS nicht mehr Vorkommen." Gemeinsam sammeln jetzt Anarchisten und Unabhängige für die Familien der inbastirten Anarchisten und für den PrcßfondS deS „Socialist". Größere Summen findet man in den Quit tungen über die eingelaufenen Gelder freilich sehr selten; eS sind meist ganz geringe Beiträge. Der commuiiistische Arbeiter-BildnngSvcrein London I. Section hat für die Inbastirten 8l,55 Mark hergegeben und für den PreßfondS sind, von einem besseren Socialdcmokratcn inS Meer ge worfen, 100 verzeichnet. Die Unabhängigen behaupten übrigen-, das; sie demnächst beträchtlichen Zuwachs bekommen würden; auch auf dem Parteitag seien Deligirte gewesen, die bereits seit längerer Zeit ihrer Gesinnung nach zu den Unäbkängigen gekört Kälten und durch den Verlauf deS Parteitages in der Absicht bestärkt worden seien, ihren Ueber- tritt zu vollziehen. Was die Agitation der Unabhängigen betrifft, so glauben sie in erster Linie auf Abhaltung von Versammlungen der Arbeitslosen Werth legen zu muffen; ihrer Ansicht nach ist die Noth größer als jemals in Berlin. DaS dürfte im Allgemeinen richtig sein, aber weniger der Arbeiter ist der Nothtcidende, als der gewcrbtreibeiide Mittel stand, den die Ungunst der Zeit schwer bedrückt hat. Wahr scheinlich wird auch die ohnehin schon große Zahl der Con- curse wachsen, wenn nicht das Weihnachtsgeschäft ein brillante- wird. * Berlin, 5. December. Mit den sechs Aktenstücken, die am Sonnabend im Ablwardt'schen Processe zur Ver lesung gelangt sind, wird von antisemitischer Seite nach Kräften gearbeitet. In geheimnißvollem Flüstertöne spricht man von einer „überraschenden Wendung" des ProcesseS (natürlich zn Gunsten des Rector-); und besten Leibblatt sucht diesen Glauben zu verstärken, indem eS von einer gewaltigen Erregung erzählt, welche die Vorlegung der Schriftstücke im GerichlSsaale bervorgerufrn babe. Depeschen seien gewechselt zwischen dem Sitzungssaal und dem KriegSministerium und dem Militaircabinet; gestern bieß eS gar auch mit dem Kaiser. ES ist möglich, daß Depeschen gewechselt wurden. Wenn amtliche Schriftstücke durch einen groben Vertrauen«- druck — den» nur ein solcher kann, wie auch der Staats anwalt bervorbob, dem Angeklagten die Actenstücke in die Hand gespielt baden — entwendet worden sind, so ist e» Pflicht der betheiligten Behörden, sofort zu untersuchen, wie
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