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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921208028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892120802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892120802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
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Hätte Gras Eulenburg den „Reichs-Anzeiger" früher in Bewegung gesetzt, so lebte nicht nur das Kind noch, das den Namen „Wachsamkeit" führt, sondern es wäre auch viel leicht die Wahl Ahlwardt's verhütet worden, von der kein Mensch, nicht einmal einer seiner Parteigenoffen, einen Vortheil haben wird. Wohl ist es selbst den extremen Antisemiten bei dem Gedanken nicht, im Reichstage Herrn Ahlwardt als Abgeordneten zu sehen und durch seine Neigung zu „Ausschreitungen" compromittirt zu werden. Sie betonen, daß man ihm von auswärts nicht zu Hilfe gekommen sei, und gestehen damit ein, daß sie cö für bedenklich halten, sich ganz mit ihm zu identificiren. Aber den größten Nachtheil von seiner Wohl bat doch der Staat, der es erleben muß, dass trotz der Verpflichtung seiner politischen Beamten, auch bei Wahlen die Politik der Regierung zu vertreten, mit und durch amtliche Unterstützung ein Mann gewählt wird, der in leiden schaftlicher Verblendung alle staatliche Autorität in den Staub zieht. Dieser Nachtbeil wird durch die verspätete Meldung des „Neichs-AnzeigerS" nicht abgewcndet und nicht gut acmackt; diese Verspätung beweist vielmehr, daß in dem führenden deutschen Staate einer der wichtigsten Apparate nicht mit der Präcision fnnctionirt, an die man früher ge wöhntwar. Und gerade das liefert den Genossen Ahlwardt's Wasser auf die Mühle und verleitet Tausende zu der Meinung, daß sehr viel Schäden und Mängel aufzudeckcn seien und daß eS dazu eines Mannes von der Rücksichtslosigkeit Ahlwardt's bedürfe. Leider gewinnt es den Anschein, als ob außer dem jetzt rectificirten Landrath des Friedcberger Kreises auch in hohen Osficierkreisen Ahlwardt eine gewisse Förderung bei seiner verhetzenden agitatorischen Tätigkeit erfahren habe. Doch darüber an anderer Stelle. Hier nur noch eine Be merkung über die Führung des Abtwardt-Proccsses. Durch den Versuch des Angeklagten und seiner Vertheidigung, den Proceß in die Länge zu ziehen, wird die Langmuth des Gerichts- bofes auf eine schwere Probe gestellt. Je nöthigcr cs aber ist, solchen Versuchen mit allem Nachdruck cntgegenzntrctcn, umso mehr kommt es andererseits darauf an,auch den leisesten Anschein zu vermeiden, als ob der Angeklagte unter nachtheiliger Vor eingenommenheit zu leiden habe und das Verfahren nicht sowohl auf Ermittelung der objectiven Wahrheit als daraus gerichtet sei, die absolute Unwahrheit der Ahlwardt'schcn Be schuldigungen zu erweisen. ES ist selbstverständlich, daß bei dem Vorsitzenden des Gerichts von Rücksichten auf die politisck-militairische Opportunität, oder gar auf administrative Wünsche nicht entfernt die Rede sein kann; aber gerade weil wir davon überzeugt sind, halten wir es für um so nolhwendiger, die Verhandlung so zu leiten, daß Niemand auch nur den allergeringsten Anhalt zu der späteren Behauptung gewinnen kan», der Angeklagte habe gegen Vor- eingenommenbcit oder Uebclwollcn seiner Richter anzukämpfen gehabt und die Wahrheit sei nicht zu ihrem vollen Recht gelangt. Die Stencrvorlagen sind jetzt in der vom BundcS- rathe beschlossenen Fassung im Reichstag cinqeganzen. Es sind die drei bekannten Gesetzentwürfe über <Lteuererböbung vom Bier, vom Branntwein und einigen Stcmpclabgabcn. Der finanzielle Schwerpunct liegt in der Erhöhung der B irrsten er; von dieser Maßregel verspricht man sich etwa 32 Mill. Mark. Die Braustencr soll verdoppelt und Elsaß- Lothringen in die Brausteuergemeinschaft hereingezogen werden. Zur Schonung der kleineren Brauereien wird ein Staffel tarif vorgesck'lagcn. Die Brauntweinstcuererhöhung besteht in einem Zuschlag von je 5 aus die bisherigen 50 und 70 des contingcntirtcn und des uncontingenlirten ProducteS. Früher lag es bekanntlick im Plan, nur den contingcntirtcn Branntwein um 5 höher zu belasten, den Abgabcnsatz des andern aber in der bisherigen Höhe zu lassen. Die Vorlage ist durch die in letzter Stunde vorgenommcne Aendcrung keineswegs annehmbarer geworden. Die Berechnung des Eontuigcnts mit ermäßigtem Steuersatz soll nach 4, stall 4,5 Liter reinen Alkohols auf den Kops erfolgen; die Neu- vertheilunz des Contingents wird künftig aller fünf, nicht aller drei Jahre vorgcnommen. Zu Gunsten der kleinen (Obst-) Brennereien ist eine Erleichterung vorgeseben, welche den Zweck hat, denselben die durch die No velle von 1801 zugedachte Steuerermäßigung wirksamer zu mache». Der Mchrertrag dieser Vorlage wird auf 12>'z Millionen Mark veranschlagt. Sodann wird eine Erhöhung der Stempelabgabcn bei gewissen Geschäfts abschlüssen vorgeschlagen. Der Mchrertrag durch diesen Gesetzentwurf wird auf Millionen Mark berechnet. Bei dem heutigen wirtbsckafllichen Druck und der herrschenden Leblosigkeit des Verkehrs dürfte sick diese Berecknunz aber leicht als zu hock erweisen. Der Gesammlertrag der Steuervorlagen wird sonach seitens der Regierung auf 57»/r Millionen Mark geschätzt, nicht genügend, um auch nur die kauernden Mehr ausgaben der Heeresvorlage vollständig zu decken. Wenn man unbefangen urtbeilt, wird man allerdings zugeben müssen, daß das Reich, vorausgesetzt, daß cS kichere Ein nahmen haben muß, andere Wege der Beschaffung von solchen dermalen kaum einschlaacn kann; höchstens könnte noch der für jetzt gnädig aus dem Spiel gelassene Tabak in Be tracht kommen. Aber die Frage ist eben, ob und in welchem Umfange dasRcich höherer Einnahmen bedarf. DieseFrage kann erst »ack Feststellung des neuen Mikitairgesetzes, dessen Kosten deckung allein dicStcucrvorlagen hervorgcrufcn hat, beantwortet werden. Wenn eine Verständigung mit der Reichsregierung über das Militairgesetz zu Stande kommen sollte, so wäre cs nur auf der Grundlage einer erheblichen Abminderung der Forderungen und Kosten möglich. Dann wird man aber auch neuer Steuern in dem verlangten Um fang nicht bedürfen. Das Einbringen dieser Steuervorlagen, die so zahlrcickc und begründete Bedenken gegen sich babcn, beweist, wie nahe an der Erschöpfung die Einnahmequellen des Reichs bereits anzelangt sind und wie starke Veran lassung wir baben, uns in der Ucbcrnahme neuer Ausgaben die äußerste Zurückhaltung aufznerlegcn. In der Brüsseler Kammer hat General Brialmont, einer der Deputirtcn der Hauptstadt, wieder einmal die traurigen Zustände deö belgischen Heerwesens schonungslos aufgcdeckt und den Beweis erbracht, daß ohne Reform an Haupt und Gliedern eine erfolgreiche LandcS- verthcidiaung nickt möglich ist. Der KriegSmmister, General Pontus, hat bei Einbringung des jährlichen Truppencontingcntö die Effektivstärke der belgischen Armee im Kriegsfälle aus 140 000 angegeben. General Brialmont bestritt entschieden die Richtigkeit dieser Zabl und erklärte, daß Belgien im Kriegsfälle »ack seinem heutigen, allgemein als fehlerhaft an erkannten Militairspstem im besten Falle 100 000 Mann ins Feld zu stellen vermöge. Aber auch, wenn die vom Kriegsminister angeführten Zahlen richtig sind, genügen nach der Ansicht Brialmont's 140 000 Mann keineswegs zur Sicherung der belgischen Landesvertheikigung, die mindestens 180 000 Mann erfordert. Der Kriegsminister hatte auf die Ausführungen des Brüsseler Abgeordneten nichts zu erwidern, um so heftiger zeigte sich aber die Rechte, die durch den Abgeordneten Eoremanö einen Antrag auf — Abschaffung des stehenden Heeres einbringen ließ. General Brialmont bezeichnete diesen Antrag noch immer als logischer, als das System der Regierung, das in der Aufrechterhaltung eines Scheinheeres bestehe. Die Tbatsache, daß Herr Nibot an die Spitze des neuen französischen Ministeriums berufen worden ist, erklärt sick weniger aus dem Umstande, daß inan in ibm den Mann von Ebara'ter und Ansehen schätzt, als vielmehr anö dem Grunde, daß er, um französisch zu sprechen, ein „Pro gramm" ist, nämlich das der sranzösisch-russischen Verbrüderung, die unter Ribot'S erstem Ministerium in den Feste» von Kronstadt ibrcn beredtesten Ausdruck fand. Man durfte anncbmen, das; Ribot'S Berufung auch in Petersburg angenehm berühren werde, und man hatte allen Grund, dortyin die Augen zu wenden, da der Panama-Skandal in Rußland den allcrpcinlichsten Eindruck macht. Der „Günstling des Zaren", wie man Herrn Nibot in Paris nennt, soll nun offenbar die drohende Erkältung verhüten. Zunächst wird cs aber des neuen leitenden Staatsmannes erste Aufgabe sein, den immer heftiger entbrennenden Streit zwischen dem Panama-Ausschuß, der Kammer und der richterlickcn Gewalt beizulegen. Ob sich dabei das neue Eabinet zu Gunsten einer Ausdehnung der Befugnisse deS Ausschusses entscheidet, wie sie namentlich der Antrag Pourquery will, oder ob cs den Eingriffen des Ausschusses in den Kreis der richterlichen Gewalt einen Riegel verschieben will, erscheint weit weniger wichtig, als die Frage, ob Ribot überhaupt nur tbatkräflig und rücksichtslos ans tritt. Die Kammer hat bewiesen, daß sie sich jedem Willen beugt, wenn er nur nicht ängstliches Schwanken zeigt, und das Land — ist überhaupt reif für jede Autokratie Es heißt Republik, aber cs fehlen die Republikaner. Wahrscheinlich ist, daß Ribot in der Kammer am Donnerstag sofort den Kampf mit der Panama-Eommission ansnchmen wird. Er wird ihr die Erthcilung richterlicher Befugnisse verweigern, wird jedoch sonst Alles thun, um der Eommission die Erfüllung ihrer Aufgabe zu erleichtern. Aus Dublin wird gemeldet, daß der von der Regierung eingesetzte Aussckuß zur Untersuchung der Lage auö- aewiesener Pächter in Irland auf unbestimmte Zeit sich vertagt hat. Der Grund dieser Vertagung wird nicht angegeben. Tie Gegner Gladstone'ö, die in der letzten Zeit wieder rükrigcr geworden sind, werden nicht versetzten, ans dieser Vertagung politisches Eapital zu schlagen und sie in Zusammenhang mit der letzte, Reise des Earl of Rosebery nach Dublin zu bringen. Rosebery wird von der konservativen Presse als Gegner des Homernle- PlancS angescben; die „Birmingh. Post" behauptet, Rosebery babe bereits mehrmals entschieden erklärt, er werde einige Puiicte der Vorlage niemals zugeben, und wirft die Frage auf, wie taS liberale Eabinet am 3l. Januar ausschen werde, an deni Tage, an dem cs vor daö Parlament tritt. Unterdessen mehren sich die Meldungen über agrarische Aus schreitungen. Nach einer Petersburger Meldung befaßt sich die oberste Verwaltungsbehörde in Moskau — an der Spitze dieser Behörde befindet sich ein Großfürst und Mitglied des kaiserlichen Hauses — mit dem Plane, den Juden in dieser Stadt vom nächsten Jahre ab ausnahmslos joden Handelsbetrieb zu verbieten. Wie cs aber heißt, soll den Inden die Fortsetzung deö Handelsbetriebes in Mosk,m unter der Bedingung des Uebcrtrittes zur ortbodoxcn Kirche gestattet werde». Der Religionswcchsel allein wird jedoch »och nicht genügen, sondern die Eonvertiten werden für die Dauer von drei Jahren nach dem acht Kilometer von Moskau ge legenen Dorfe Tscherkizova verwiesen, daselbst von orthodoxen Priestern überwacht und zur neuerlichen Niederlassung und Fortsetzung des Handelsbetriebes in Moskau nur unter der Boraussetznng zugelassen werden, daß sic sich mit Zeug nissen seitens jener Priester über die strenge Erfüllung aller religiösen Pflichten während jener Frist ansivciscn. Viele in Moskau ansässigen Inden beeilen sich, Gewerbsscheine für das Jahr 180.'! schon jetzt z» lösen, um den Wirkungen eines derartigen behördlichen Verbotes wenn möglich durck eine ge schaffene Thalsache vorzubeugen. Die bulgarische Regierung hat in italienischen Werkstätten, und zwar in Livorno, zwei Kriegsschiffe berstcllen lassen, die zum Schutze der Häfen von Barn« und BurgaS bestimmt sind. Schon die Bestellung dieser Schiffe hatte das Mißfallen der russischen Kreise hervor- gcnisen und die russischen Blätter griffen seiner Zeit sogar Italien an, weil dieses die Herstellung und Bewaffnung der Schiffe übernommen batte. Nun, wo cS sich darum handelt, daß die Schisse an ibren Bestimmungsort gebracht werden sollen, wirst man russisch-rscits, zunächst publicistisch, die Frage am, ob dies überhaupt möglich sei, und schickt sich an, durch sopbisliscke Dcutnngcii der Verträge den Transport zu vereiteln. Die Schiffe müssen nämlich selbstverständlich Dardanellen und Bosporus passire». Ta wird nun der Hebel angesetzt, um die Durchfahrt zu beanstanden. Wäre Bulgarien ein selbstständiger, von Rußland anerkannter Staat, so böte sich in der That eine Schwierigkeit, da die Meerengen Kriegsschiffen verschlossen sind, und wiewobl dem Sultan das Recht zuslcbt, die Bewilligung zur Durchfahrt zu crtheilcu, so würde dieser sicherlich Anstand nebmcn. dies zu ihn», um keinen Präcedenzsall zu schaffe». Die Dinge liegen aber anders. Die Schisse können mit Rücksicht ans das SnzeränitätSverhältniß, und da Bulgarien keine Flagge besitzt, gar nicht anders als unler türkischer Flagge segeln. Zn den russische» Journalen wird nun der Wunsch ausgesprochen, daß die Pforte die Durchfahrt dieser Schiffe unter türkischer Flagge nicht zulasse, und cs wird geltend gemacht, daß, wenn dies geschähe, auch andere Staaten ver lange» könnten, es möchten ihre Schisse unter türkischer Flagge dnrchgclasscn werden. Wie unhaltbar die erwähnten Em- strenungon sind, liegt ans der Hand. Tie vom Präsidenten Harrison an den am Montag crösincten 53. Eongreß der Vereinigten Staaten von Nordamerika gerichtete Botschaft bekundet, daß die republikanische Partei, wenn auch mit offenbarem Wider willen, anerkennt, daß die überwiegende Mebrheit der Bürger eine durchgreifende Aenderung der Wirthschaftspolitik fordert und daß das Vertrauen aus segensreiche Folgen der Vcr- waltungsgrnndsätze der republikanischen Partei eine nach- keltige Schwächung erlitten bat. Es ist aber auch aus der Botschaft zu erkennen, das; die Republikaner entschlossen sind, dem mit überwältigender Kraft zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes, mit dcrMacKinlcy Bill gründlich anfzuränmeu, bis zum I. März des nächsten Jahres, an welchem Tage die Demokraten Besitz von der Staatsgewalt ergreifen, unbeug samen Widerstand zu leiste». Grau in Gran malt Harrison das Schicksal der Vereinigten Staaten unter der Herrschaft Elevcland's. Das Zuwanen auf die Aendcrung der Tarife werde Handel und Wandel lähme», die Production cin- schränkcn, die Milderung der Zollsätze werde die Lage der Arbeiter verschlechtern, die Fabrikanten schwer schädigen. Es ist nicht anzunehmc», das; dieser Klagegcsang Eindruck machen werde. Die Ansstäudc der letzten Moiiate haben bewiese», daß die Mac Kinley-Bill ihr Versprechen, die Lage der arbeitenden Massen zu verbessern, nicht gehalten hat, und Mr. Earnegie, der begeisterte Anbäiigcr des großen Mannes aus Obio, tan» aus seine» Geschäftsbüchern Nachweisen, daß er nicht zu der kleinen Elassc Producenten zähle, denen Me Kiulcy'S That Vvrtbcile gebracht Kat. Eine vollständige Beseitigung des Hochschntzzollweseus ist überdies nicht geplant; man weiß, das; Elcvctaiid weit davon entfernt ist, den Sieg seiner Partei zu einer wirthschaftlichcn Revolution zu gestalten. Die Fortdauer der Absperrung der Vereinigten Staaten in dem bisherigen Ausmaße ist jedoch unhaltbar, und die Re publikaner werken nicht im Stande sein, die schntzzöllnerische Festung durch längere Zeit vor der Ucbcrgabe zu bewahren. I» Würdigung dieser Umstände bestrebt sich Harrison, die nnlcngbarcn Erfolge seiner Amlsthätigkeit auf politischem Gebiete den Ainerikaiicrn ins Gedächtnis; zu rufen. Er be schwört den (Nisl Blainc's. Die Botschaft Harrison'S kündet ein entschiedenes Auftreten gegen Eanada an, die Unab- bängigmachung der Vereinigten Staate» von dem canadischcn Eanalsvstem. Wolsin dicie Politik zielt, ist klar. Eanada soll Fenilletsn. vlimmerungen. Roman in drei Büchern von Rndols von Gottschall. 57s Nachdruck verdate». (Fortsetzung.) Die Baronin fand diese Abwehr so siegreich, daß sie selbst mit eincin Lächeln des Triumphes auf den geschlagenen Feind ksinüberblickte. So entschieden hatte sie für ihren Nachbar Partei ergriffen: im Stillen aber glaubte sie, daß ein so geist reicher junger Mann wohl einer Sängerin gefährlich werden könne und selbst wenn er ihr Herz erobert hätte — was braucht sich die Welt darum zu kümmern? Zwei Glückliche mehr aus dieser langweiligen Erde— und die Sehnsucht nach Glück machte ibr eigenes Herz höher schlagen. Doch einen unverhofften Bundesgenossen fand Lothar in Marie, welche ans einmal das Wort ergriff. „Ich babe von der Unbill gekört, welche der Sängerin Teresa Stern im Theater widerfahren; ich kenne sie nicht, kann ihre künstlerischen Leistungen nicht bcurlheilcii: aber sie ist ein schutzloses Mädchen, und cs ist eine empörende Rohheit, wenn ein Publicum von Männer» über sic bersällt, sie gleich sam mit Acpscln wirft, als ob sic am Pranger stände. Herr Bingen wird sich selbst seine Vertheidigung der Scbwer- bclcidigren nicht znm Ruhm anrecknen: es war die Pflicht eines Ehrenmannes!" Mit auslcnchtcndem Blick hatte Marie diese Worte gesprochen. Lothar, dem das schöne Mädchen jetzt mehr als früher ins Auge siel, tankte ihr mit freundlicher Verneigung. Tie Baronin aber konnte eine Regung der Eifersucht nickt unterdrücken; warum macktc sich das junge Mädchen so bemerkbar? Sie selbst hatte in diesem Alter mcbr zugebört als mitgcsprockcn; cs war unpassend, die Anfmerksamkeit der Männer in so herausfordernder Weise aus sich z» lenken. Lolbar blickte jetzt häufiger nach dem Märchen hinüber, als nölhig war. Das Gespräch batte inzwischen eine andere Wendung genommen; der Baron sprach von seiner Absicht, die Ein richtung seines Schlosses abermals zu verschönern, von ein paar prachtvollen Schränken mit seiner Holzschnitzarbeit und Marqneterie, in italienischer Art mit Architekturen und Land schaften aus dem 16. Jahrhundert; auch von zwei reizenden Kästchen aus Eckern- und Ebenholz mit sehr werthvollcr eingelegter Arbeit. Man hörte ihm ungläubig zu; denn man wußte ja, das; seine Hilfsquellen erschöpft waren und daß der Graf, der das Heft der Finanzvcrwaltung in Händen hatte, die Begeisterung des Barons für alte Möbel nicht theilte . . doch dieser, welcher in den Gesichtern die Zweifel las, womit man seine Absicht auf de» Erwerb dieser Kunst Werke ansnahm, zögerte nicht, das Zauberwort anSzusprechcn, das alle diese Bedenke» Niederschlagen müßte: „Der König . . ja meine Herren und Damen, der König selbst wird sich der Verschönerung meines Schlosses anncbmen. Hat nur Herr Lothar Bingen erst eine genaue Beschreibung davon gegeben . . die wird gleich an den Hof gesendet! Ein Abzug in Velin für den König . . und dann . . die Millionen . . doch ich schweige lieber!" Es erfolgte eine längere Pause . . alle Anwesenden waren von der siren Idee deS Barons nnlerrichtet; doch er batte sie im Salon selten mit solchem Nachdruck auSgespiclt. Die Baronin fühlte sich überaus unbcbaglich; es war doch immer ihr Gatte, auf de» der Schein des Lächerlichen fiel: er hastete an ihrem ganzen Hause, wie an ibm selbst. Sie erhob sich und schlug einen Spaziergang im Park vor. Der Baron versäumte nicht, schon im Hausflur seinen Gast auf de» großen Sniyrnateppich aufmerksam zn macken und auf die Büste» von Moltke, Manteusicl, Werker, welche an den Treppenabsätze» die Ballustrade schmückten, während die Gemälde der hervorragenden Fürstlichkeiten, meist in Lebens größe, den Wänden des Treppenbanses zur Zierde gereichten. Lotbar, welcher mit külmcr Galanterie der Baronin den Arm gereicht, körte nur mir balbcm Ohr ans de» Hausberr», der den gesprächigen Eiccrone feiner eigenen Knnstschätzc machte! Er war nichts weniger als ein deutscher Patriot, und er flüsterte der Baronin spöttische Bemerkungen zu, welche auch des würdigen Moltke „pergamentenes Gcneralstabsgesicht" nicht verschonte». Tic Baronin quittirtc für diese ihr zu- geflüstcrten Bemerkungen mit einem dankbaren Lächeln. Und so gings auch fort bei der Wanderschaft durch den Park: der neue Roscnwald, der Ecdernbain, die Tulpcnbäume und sibirischen Linden, der chinesische Kiosk — Alles erläuterte der Baron mit endloser Geschwätzigkeit, und er war dabei so durchdrungen von seinem Gegenstand, daß er fast nicht be merkte, welchen geringen Antbcil Lotbar seinen Anscinattder- setzungcn schenkte. Nur einmal, als sie durch ein Bosquct schritte», dessen innerer Rundplatz mit niedreren Göttinnen besetzt war und er schulmeisterlich die Attribute derselben erklärte, fand er doch, das; sein Gast nicht recht bei der Sache war und cS vorzog, seiner Begleiterin allerlei über den Olymp ins Ohr zu flüstern. „Aber, bester Herr Bingen, meine Frau kennt das alles; dock Ihr Bericht wird sehr lückenhaft werden, wenn Sic nicht die einzelnen Kunstwerke meines Parkes erwähnen." „Ich bin ganz anfmerksai», Herr Baron, ich weiß ja, diese Attribute sind wichtig. „ES wäre vielleicht besser, Lconie", meinte der Baron, „wenn Du nnscrn Gast nicht so mit Beschlag belegtest. Er hält cö für seine Pflicht, galant gegen die Herrin deö Hauses zu sein unk versäumt darüber, das nolbwentige Material für seinen Aufsatz cinzusammel»." Nack dieser Bemerkung blieb der Baronin nichts übrig, als den Arni ihres Begleiters srcizugcbcn und sich an Martlia Schlänget anzuschließcn, die mit dem Sanitätsrath als das nächste Paar der Gartciikolonaisc solgtc. Daß schöne Männer die Herzen der Frauen im Fluge gewinnen, ist seltcner, als man anzmielnnen geneigt ist : sie erwecken vielleicht Bcwnildcrnng und ibre Huldigung schmeichelt der Eitelkeit: aber es ist von da noch immer ein w-iter Weg bis zum Herzen, der aber gemächlich zurückgelegt wird, wenn die Liebe sich I bliafk r regt. Dagegen nur on bäßlicbe Männer, wenn ihre Häßlichkeit Ausdruck eines lnMicn uns scharfen Geistes ist, wenn sie den bannenden Blick babcn und vor Allem jenes unerklärliche, geheimnißvolle Etwas, in welchem eine verborgene Anzicbungskraft liegt, jenes nervöse Fluidum, daö andere Wesen mit stiller Gewalt in seine Kreise zieht, oft glückliche Sieger über Frauenberzen in; ersten leidenschaft lichen Ansturm. Lothar Bingen konnte sich rühmen, der Frau Lconie von Senden schon bei der ersten Begegnung gefährlich geworden zu sein. Für ihn selbst hatte dieser Landaufenthalt von wenigen Tagen jetzt einen besondere» Reiz gewonnen. Das Schloß Hclinersbcim mochte im Feuilleton eine Rolle spielen: aber die Schloßhcrrin versprach die Heldin eines Hcrrcnsromanö zu werden. Bald nach der Parkpromcnade ließ der SanitätSrath an- spanncn: Martha Schlänget nahm von der Baronin einen bcrzlichcn Abschied und schüttelte dem FeuiUctonistcn kräftig die Hand: „Potz Blitz, Sie werden sich bier nickt langweilen! Na, der gute Millionair — setzt sich eine Motte extra in seine alten Möbel; er darf sich nicht wundern, wenn sic ihm Löcher hincinfrißt." Diese Unverfrorenheit der dragsnerbaften Martha mahnte doch Lothar zur Vorsicht: er batle sich für den Anfang zu weit vorgcwagt. So beobachtete er jetzt am Familientisch und beim Abendessen eine größere Znriickhaltnng. Tie Baronin aber war ansgerültelt aus der einschläfernden Eintönigkeit ihres Daseins, und Marie bcmerklc mit Befremden den leb hafteren Ton ibrcr Stimme und in ihren Augen, die sonst oft blicklos und lirvenbail ins Leere starrte», ein warmes Aufleuchten. Lothar mac'Ue in der Regel aus seiner Welt- »nk Lebensanschannng kein Hebt und er liebte cS, sie in prahlerischer Weise zur Schau zn stellen, voll Schadenfreude über das Aergeriiiß. kaS er den zabmen Geistern und schönen Seelen damit bereitete; doch die Anwesenheit der reizenden Tochter des Hauses legte ihm Schweigen aus, und auch den Aliseinanrcrsetznngcii res Barons über Rococo und Re- nainaiiee körte er schweigend zn — er war in der Kiiiistgcschichtc ja wenig bewandert: er fürchtete, die Lücken seines Wissens zn zeigen, w'ibrcnd er durch seine wikerwruchs esc Zustim mung sich in den Augen des BaronS den Rubin eines großen Kunstkenners erwarb. (Fortsetzung folgt.)
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