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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.12.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921221021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892122102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892122102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
- Tag1892-12-21
- Monat1892-12
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Bauer in Rötha gehörige Wohnhaus mit Nebengebäuden und Feld Fol. l64 des Grund- und Hypothekenbuchs, Nr. 485 des Flurbuchs und Nr. 25b des Brandcatasters für Rötha, 24,4 Ar und 64,12 Steuereinheiten enthaltend, geschätzt auf 6000 ^ll. freiwilliger Weise im «asthosc zu den drei Rosen in Rötha imd zwar ohne das Inventar versteigert werden. Es haben sich die,enigen, welche das Grundstück erstehen wollen, zur angegebene» Zeit im Gasthose zu den drei Rosen zu Rötha als Bieter anzumelden und ihre Zahlungsfähigkeit nachzuweisen. Wegen der Bersteigerungsbedingungen, sowie der Größe und Belastung der Grundstücke wird aus die an hiesiger Gerichtsstelle und im Gasthofe zu den drei Rosen zu Rötha aushängenden Be- ianntmachungen verwiesen. Borna, am 12. December 1892. AöniglichrS Amtsgericht. I. 6357. vr. Nodig. Th. vie Vorgänge in Paris. * Wenn in Paris noch eine Steigerung der durch den Panamaskandal hervorgerufenen Aufregung möglich ist, so sind die Enthüllungen, die gestern der niit unter Anklage erstellte Abgeordnete und frühere Minister Rouvier in der Tcputirtenkammer gemacht hat, geeignet, die Leidenschaften immer mehr gegeneinander anszuregen. Herr Rouvier, ter nunmehr auch beschuldigt ist, daß er sich habe bestechen lassen oder daß er andere Leute mit den Geldern der Panama-Gesellschaft bestochen habe, erklärte, er weree nun Alle« enthüllen, gleichviel, welche Folgen sich daraus er geben würden. Nachdem im Namen der Eommission der Berichterstatter Abg. Milleraud beantragt hatte, daß die Kammer die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der betreffenden Deputieren ertheile, erklärte Rouvier, er glaube unter den obwaltenden Umständen ein Gekeimniß preisgeben zu müssen, welches jeder Minister unter gewöhn lichen Umständen streng bewahren werde. Als er sein Portefeuille übernommen habe, seien keine genügenden Fonds zur Vertheidigung der Re publik vorhanden gewesen, er habe daher seine Zuflucht zu seinen persönlichen Freunden nehmen müsssen, denn um zu regieren, müsse man Geld haben. Das, was er gelhan, hätten alle Politiker vor ihm und nach ihm gelhan. Er habe dies nur vor der Panama-Untersuchungs-Commission sagen wollen, allein inan habe ihn genöthigt, cs vor der Kammer bekannt zu geben, er könne vor jede beliebige Gerichtsbehörde bintreten, er habe nichts zu fürchten, denn er habe niemals einen persönlichen Nutzen weder direct von der Gesellschaft gehabt, deren Interesse er niemals vertbcidigt habe. So die Erklärung Rouvier's. nach der der Antrag Milleraud's an genommen wurde, lieber den weiteren Verlauf der gestrigen Sitzung der Depntirtenkammer liegt folgende telegraphische Mittheilung vor, an die wir die ferner noch eingelausenen Meldungen anreiben: Deroulöde wünschte die Regierung zu unterpelliren über die Pioßrcgclii, welche seitens des ChrenraldeS der Ehrenlegion gegen Cornelius Herz z» treffen seien. Ministerpräsident Ri bot er klärt sich mit der sofortigen Besprechung der Angelegenheit ein verstanden. Deroulöde betont, daß man Herz unmöglich die Abzeichen der Ehrenlegion lassen könne. Herz sei die Hauptpersönlichkeit im Llaate gewesen und habe die Fäden der Regierung in seiner Hand gehalten. (Lebhafte Protestruse, Lärm aus der Linken; Beisall rechts.) Deroulöde geht sodann zu Angriffen aus Elemen te au über, dessen Beziehungen zu Herz wohl bekannt seien. (Erneuter Widerspruch auf der Linken.) Herz habe den Boulangisten Geld angeboten; dieselbe» hätten ihn jedoch abgcwiesen. Bei den fortgesetzte» Ausfälle» Töroulede's gegen Elömenceau, gegen welche der Kammerpräsident Floquet vergebens Einspruch erhob, steigert sich der Lärm besonder- auf der äußerste» Linken. Eine Stimm« begehrt di« Auflösung der Kammer. Döroulöde fragt, aus welchem Grunde Herz dem Journal „Justice" 200,000 Frcs. überwiesen habe. Clömenceau erwidert, der Angriff sei leicht. Er habe keine geschriebenen Beweise für seine Unschuld. Allein sein ganzes Leben als Journalist habe ihm die Achtung seiner Freunde verschafft. Er werde nicht aus die Beleidigungen Derouledc's, welche einer schamlosen Verleumdung gleichkömmen, antworten, aber er werde ihn persönlich dafür zur Rechenschaft ziehen. Clemenceau rechtfertigt alsdann Herz, welcher Frankreich als Soldat und als Arzt gedient habe. Boulanger habe keine» er gebeneren Freund gehabt als Herz. Die Boulangisten hätten Zwietracht ins Land geschleudert, indem sie die Teputirten ver leumdeten. Clemenceau giebt sodann zu, daß das Journal „Justice" von einer Anzahl Capitalisten commanditirt sei, aber die Angelegenheiten von Cornelius Herz habe er niemals ver- theidigt. Clemenceau schließt, die schwerste Beleidigung sei der Vor- Wurf, daß er das Vaterland verrathen habe, indem er fremden Ein fluß aus dasselbe herbeigesührt habe. Teroulede habe gelogen. (Wiederholter Beifall und Zurufe auf der äußersten Linken.) — Millevoye vertheidigt das Andenken Boulanger's und greift Lleinenccau aufs Heftigste an. Er beschuldigt ihn, mehrere Millionen erhalten und die Preisgebnng Egyptens angerathen zu haben. (Lautes Murren, Protestruse Clemenceau'sr Millevoye fährt fort, Herz sei da bei der ausländische Complice Clemenceau's gewesen. — Ter Justiz- minister Bourgeois erklärt, er werde Herz vor das Ehrengericht der Ehrenlegion stellen lassen. (Beifall.) Deroulöde zieht daraus die von ihm beantragte Tagesordnung zurück, da er von der Erklärung der Regierung befriedigt sei. Damit ist der Zwischenfall erledigt und die Sitzung wird ausgehoben. Deroulede und Millevoye habe» wegen des Zwischenfalles in der Kammer Clemenceau ihre Zeugen geschickt. ' Paris, 20. December. Durch einen anonymen Brief erhielt die Panama - Untersuchungs - Commission Keiintniß davon, daß Thierröe die Talons der bekannte» Checks habe photo- grapbiren taffen. Der Polizei-Commissar hat alsdann die Photo graphien beschlagnahmt; später gestand Thierröe, daß er die Talons nicht vernichtet, sondern dieselben bei einem Notar hinterlegt Hab», bei den, sie auch wirklich vorgefunden wurden. — Im Aufträge der Commission wurden heule Vormittag weitere Papiere in dem Bank- Hause Proppcr mit Beschlag belegt. * Paris, 21. December. Infolge der verschiedenen Beleidigungen, welche sich^lömenceau undDöroulöde in der gestrigen Kammer- sitzung zuriefe», hat Letzterer dem Erster«» seine Zeugen gesandt. Man ist der Meinung, daß weitere Duelle erfolgen werden. In der Kammer herrschte vom Augenblick on, als Döroulöde seine Be schuldigungen gegen Clemenceau, Herz und Andere vor- brachte, Tumult. In sämmtlichen Boulcvard-Casös und Theatern bildete die Kammersitzung fast das einzige Gesprächsthema. Man rühmt allgemein das energische Vorgehen des Jusliz- ministers Bourgeois, welcher Herz aus TöroulödeS Anregung vor ein Ehrengericht der Ehrenlegion stellen wird. Das Verhalten RouvierS und Genossen wird allgemein verurtheilt und seinen Ausführungen wenig Glauben geschenkt. ^ Paris, 21. December. In den Wandelgängen der Kammer herrschte ivährend unv nach der Sitzung lebhafte Bewegung. Biel- sach wurde die Meinung geäußert, daß der Gcneralprocurator über ernste Beweismittel verfügen müsse. Auch die Adendbörje verlief unter starker Betheiligung in sehr erregter Stimmung. politische Lagesschau. * Leipzig, 21. December. Der Umstand, daß in der parlamentarischen Verhandlung über die Militairvorlage eine vierwöchige Pause ein getreten ist, kann für eine scktießliche Verständigung, je nachdem die Frage ruhig-sachlich ober leidenschaftlich-tendenziös erörtert wird, ebenso wohl förderlich wie abträglich sein. In freisinnigen und ultramontanen Blättern wird die Auffassung vertreten, daß es schon ein großes Opfer von Seiten des deutschen Volkes sei, wenn bei ter Durchführung der zwei jährigen Dienstzeit die bisherige Gesammtzahl der unter der Fahne befindlichen Truppen unvermindert gelassen würde; denn eigentlich hätte man eine ^„1^ W^egM ko»,- riffer um die Zahl der Mannlchasten des in ^rcg inenden dritten Jahrgangs ^lan>V'i gestellt würde, verständlich, daß. wen» dies Verla 'gen rmiua an eine Verwirklichung ^ sehbare Zeit niemals zu denken ".55.Resolutionen als man in den sogenannten ^>nd°stlchc'^I° der Frage nach langen Jahren c,">nal w,-dei pra i , näher trat, hat Niemand mehr in Zwmsel d 1 tönnen. daß die Durchführung ^-.lahr.gen D.en, . wenn man sich »»t der bisherigen Prasenzzister begnügen wollte. Für die unumgängliche Notbwendlgkcit einer Heeres- verstärkung in diesem Umfange ist der Beweis nicht erbrach worden, und eS ist zweifellos, t-ß der Reichstag d.e F°rt-n,"g^n dieser enormen Höhe nut erdrückender Mehrhc.t abkknt. ,1» Uebereinstiniiniing mit der „Nat.-Llb. Eorrejp. konnc» n. r cs aber nickt für richtig halten, wenn man nun Angestchis jener Th-lsache von Seiten des Centrumö und der Fre . innigen die bisherige P r a s e n; z, s ler als die äußerste Grenze darstellt, über welche nicht gegangen werben dürfe. Der Reichskanzler hat dies be- kanntlich für unannehmbar erklärt, nnd wer flen-ch! sein will, kann dagegen kaum etwa« entwenden, '^r d'eber voii Eentrum bat zwar mit großem Nachdruck zu bedenken gegelen, daß das Centruin, trotz Beibehaltung der bisherigen Friedens- vräl'en, infolge der vermehrten Rccrutenemstellung dock eine, in der vollen Wirkung nach 20, 24 Jahren aus Hundert- lausende sich bemessendc Vermehrung der Kriegsstarke gewabre. Das ist richtig, aber kicseAuSsicht aus eine erhebliche Vermehrung der Kriegsstärke nach einer längeren Reihe von Jahren könnte wenig nützen, wenn dafür durch die Einsübruiig der zweijährigen Dienstreit eine Verminderung der Kriegötüchtigkeit der Armee m der Gegenwart und eine VerschleiHterulig der Vesämssenheit der Truppen für alle Folgezeit einträte. DaS würde aber zweifellos geschehen, wenn nicht durch eine Erhöhung der Etatsstärke der Truppcnthcile die bisherige AuSrückestärke un berührt erhalten und wenn nicht besondere Vorkehrungen zur intensiveren Ausbildung der Truppcn getroffen würben. Wie weit es sich empfehlen wird, derartige „Compcnsationen" auf dem Boden der Vorschläge der Regierungsvorlage zu suchen, das wird demnächst die Commission des Reichstags zu prüfen haben. Sie sind aber jedenfalls nicht zu finden ohne eine Erhöhung der Prälenzziffer. Es wird Pflicht der Volks vertreter sein, diese Erhöhung in möglichst mäßigem Umfang zu ballen. Aber darübex muß man sich von vornherein klar sein: wer eine Verständigung will, darf nickt die bisherige Präsenzziffcr als unverrückbare Grenze verkünden. In Italien drohte sich in den letzten Tagen ein Finanzskandal zu entspinnen, dessen politische Tragweite nicht abzuschen war; durch die Energie des Ministeriums ist aber der Sturm nock im Entstehen erstickt worden und daö Cabinet Giolitti hat bei dieser Gelegenheit eine» glänzenden parlamentarischen Sieg erfochten. Wie bereits gemeldet, sollte die Banca di Roma eine Anzahl BankbiUets in doppelter Ausfertigung ausgegeben und ihr Portefeuille mir Wechseln politischer Persönlichkeiten beschwert haben. Ter Abgeordnete Eojalani hatte einen von zahl reichen Abgeordneten Unterzeichneten Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses eingebracht; ans Wunsch Giolitti's wurde dieser Antrag ebenso wie die Regierungsvorlage wegen vorläufiger Verlängerung des Notenbank-Privilegs aus zwei Monate in der gestrigen Kammersitzung verhandelt. Colajanni beantragte zugleich im Namen von 10 Parteigenossen eine Verlängerung des Privilegs um 6 anstatt um 3 Monate, sowie die Ein setzung einer parlamentarischen anstatt einer Re- gi erun gs-Enq u ßte. Colajanni wies auf das Gerücht hin, nach welchem falsche EmissionSbillels im Umlauf wären und die Portefeuilles der Emissionsbanken Wechsel von ge ringem Werthe enthielten, deren Accepte nur infolge von Pressionen erfolgt seien. Er behauptete, daß bei der letzten Revision der Banca di Roma schwere Unregel mäßigkeiten fick ergeben hätten, daß u. A. für 4 Millionen keine Garantieverbindlichkeiten beständen, daß für 9 Millionen s Noten existirten, deren Beträge nicht angegeben gewesen seien, und daß der Notenumlauf einen Mehrbetrag von 25 Millionen aufweise. Der ehemalige Minister Miceli, welcher s. Z. die letzte Revision der Bank angeordnet hatte, erklärte, Cojalanni spreche von Dingen, die er nicht controlirt habe, es epislire kein Umlaufsiibcrschuß von 25 Millionen, auch be ständen keine anderen Uebelstände. Es sei nicht gestattet, in der Kammer zu behaupten, daß die Regierung Unregelmäßig keiten dulde. Kleine Unregelmäßigkeiten seien allerdings vor handen gewesen, aber keine ernsten Unzukömmlichkeiten. Die Vorgefundenen Unregelmäßigkeiten habe dir Regierung alsbald abgestcllt. Giolitti führt aus, die Revision, um die eS sich handele, sei vor 3 Jahren erfolgt, alle Maßregeln zur Sicher stellung seien damals getroffen worden. Eö habe den Anschein, als ob der Strom der Verleumdung, der in einem anderen Lande begonnen, hier in der Kammer seine Fortsetzung finden solle. Er werde nicht einen Augenblick an seinem Platze bleibe», wenn die Kammer nicht die parlamentarische Enquste ver werfe. (Beifall.) Crispi und Rudini erklärten sich gleich falls unter dem Beifall der Kammer für die Ausführungen Miceli'S und sprachen sich für die Ablehnung der parlamen tarischen Enquete aus. Rudini ersuchte Giolitti, nicht die Vertrauensfrage zu stellen, um zu beweisen, daß das Parla ment ruhig verhandeln könne. Giolitti erwiderte, es sei für das In- wie für das Ausland von Wichtigkeit, daß die gegen die Regierung erhobenen Anklagen in der Kammer nur geringen Anilang fanden. Ter Entwurf wurde sodann mit 3l6 gegen 27 Stimmen angenommen. (Lebhafter Beifall.) Crispi ist neuerdings von einem Special-Correspondenten des „Ncw-Aork-Herald" interviewt worden und hat sich dabei über Frankreich in folgender Weise geäußert: „Die Fran zosen", sagte Crispi, „haben die voreingenommene Meinung, daß ich ihr Feind sei. Ich bi» Demokrat und als solcher kann ich kein Volk hassen, auch wenn ich es bekriegen müßte. Ich bin der Freund aller Nationen. DaS Bündniß zwischen Deutschland und Oesterreich bestand, ehe ich an die Regierung kam. Wenn die Franzosen nicht wollten, daß Italien ihm beitrete, so mußten sie uns als Freunde behandeln und nicht fortwährend verletzen, wie sie dies in Wirklichkeit lhatcn, lange bevor das Bündniß von 1882 ge schlossen war. Wir können einen Nachbar hereinlaffen, aber unter der Bedingung, daß er uns nicht zu erwürgen oder hinauszuwerscn versucht. Das aber hat Frankreich mit Italien versucht, nämlich auf handelspolitischem Gebiete, lange bevor es den Abschluß eines neuen Handelsvertrages verweigerte. Die Schwierigkeiten kamen nicht von uns. Frankreich ist gleich den Vereinigten Staaten durchaus schutzzöllnerisch. Wenn die Franzosen die italienische Rente unterstützten, so war das ihr eigener Vvrtheil. Seit fünfzig Jahren wurden alle italienischen Anleken in Frankreich untergebracht. Im Jahre 1)88 hätten die Franzosen sie alle auf den Markt geworfen, uni unseren Credit zu schädigen, wenn sie nicht gesehen hätten, daß die Deutschen bereit waren, sie aufzukaufen." „Die Politik", fuhr Crispi fort, „ist aufs Engste mit dem Handel verknüpft. Politische Freundschaft muß HandelS- srcundschaft einschließen. Man kann die politischen von den commerziellen Interessen nicht trennen. Ein wirthschaftlicher Fenilletsi». Dämmerungen. Roman kn drei Büchern von Rudolf von Gottfchall. §8 Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Ein verschleiertes Mädchen, schlank, edel, anmuthig in ihren Bewegungen, trat ein. Sie schlug den Schleier zurück ... eS war Marie. Sie eilte auf den Grasen zu und drückte ihm die Hände. „Laß mick in Deiner Nabe sein! Es ist mir eine Be ruhigung, wenn ich nur weiß, wie eS Dir geht." Der Graf drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Stirne. „Ich danke Dir; wir sind feindlich geschieden ... und kaS hat mir arg zugesetzt; ich weiß eS — und darum bin ich hier. Ich bin kein Kranker, wahrlich nicht ... doch für krank gilt ja, wer seinen eigenen Weg gebt in der Welt und wer mehr kört und sieht als die Menge. Ich danke Dir, daß Du gekommen bist. Es ist ja nicht Alles wieder gut zu machen; doch vielleicht werden wir wieder gute Kameraden, dier wenigstens, wo Alles so dumpf auf mir lastet." „Ich weiß, waS meine Pflicht ist ... und auch mein Herz treibt mich zu sühnen, waS ich selbst verschuldet in heftiger Erregung. Ick durfte Dich damals nicht von mir lasten." „Rühren Sie jetzt nicht an das Vergangene, mein Fräu lein", sagte der Arzt, „später einmal mögen Sie sich mit unserm Patienten verständigen." „Ick will Dir eine Genossin sein, die hier Alles mit Dir Ibeilt, Freud und Leid, daß die einsame Zurückgezogenheit dieser Heilstätte Dir nicht unerträglich werde; ich will mit Dir plaudern, wenn die Spinnweben der Langweile, a»S allen Dinkeln hcrunterhängend, bicr Deinen Blick umfloren; ich will Dir verlesen, will schreiben, waS Du mir dictirst, und wenn ich nickt in Deiner Nähe bin und quälende Bilder und Gedanken Dich beunruhigen, so mag man mich herbeirufcn md ich will Dir Helsen, die bösen Geister zu bändigen, die sich an Deine Fersen heften." „Ja, ja, Du wirst eine schlimme Arbeit haben, mein Kind; denn eS regt sich oft in mir eine innerste Empörung gegen den Zwang, der mich hierher geführt bat. mich hier fesselt . . . und ich möchte mir den Weg bahnen mit der nichtsachtenden Kraft, die sich um Tod und Leben nichts kümmert, ich will der Herr sein meines Schicksals ... nieder mit Allen, die mich daran zu hindern suchen." Wild flammten seine Augen auf in diesem Augenblick; der Doctor trat näher . . . Marie aber fühlte dock im In nersten ein leises Schaudern. Das war dasselbe Auge, mit dem er sein Opfer ansah, ehe er die mörderische Kugel ab sandte. Und war er ihr nicht entfremdet in solchem Augen blicke. der Willenlose, den wie mit SturmeSgewaltcn eine wilde Naturkraft peitscht? Mußte sie nicht mit Zittern und Zagen ein Leben bewachen, daS für sie nichts war, als eine große Gefahr.? Doch nein, sie batte Mulh und Kraft; Herz und Kopf auf der rechten Stelle ... sie zitterte nicht! Die wilden Elemente mußten zerschellen an der friedlichen Kraft einer starken Seele, eines klaren Geistes — gefestigt durch edle Pflichterfüllung! Der Leiter der Anstalt hatte Marie ein freundliches Stüb chen angewiesen, das mit seiner eigenen Wohnung zusammen hing; doch so opfermutbig auch Marie war — eS beschlich sie doch ein unheimliches Gefühl, wenn sie über den Hos oder Lurch den Garten ging und den Bewohnern der Anstalt be gegnete. ES waren darunter schöne Frauen und stattliche Männer nnd sie schritten oft cinber in ruhigem und freund lichem Gespräch, mitten in Sturm und Regen, die sie nickt beachteten; dann aber kam einer hcrangestürmt, mit einem vom Winde umgestülpten Regenschirm und er declamirte und schrie die verfänglichsten Tinge; hier und dort öffnete sich ein Fenster der Anstalt und lautes Klagen und Jammern tönte herunter. Und auch in die Lustwandelnden suhr's wie ei» böser Geist; mit deftigem Gebcrdenspicl wendeten sich Männer und Frauen gegen einander . . . Schimpsrede» er tönten und die Schirme drohten sich in Waffen bei dem be vorstehenden Scharmützel zu verwandeln. Nur der plötzlich aus dem Gebüsch austauckende Assistenzarzt der Anstalt ver- binterte ein Handgemenge, tzcj welchem die Galanterie nicht die geringste Nolle gespielt hätte; denn diese hatten die am Kocytos in der Nacht wandelnden Schatten wie alles Maß des Guten, Schönen, Geziemenden draußen in der Welt des LickteS zurückaelassen. Und ehe Marie das Wohnhaus des Arztes, das jenseits deS Gartens lag, erreicht batte, begegnete ihr nock ein einsamer alter Mann, der vor sich hinbrütcnd einen Rosenkranz bcruntcrzubcten schien. War eS ein geistlicher Herr, dem allzu große Frömmigkeit das Lickt des irdischen Verstandes gänzlich verdunkelt batte? Doch als er näher herankam, vernahm sie allerlei Formeln, Buchstaben und Zahlen, die ihr unverständlich blieben, die abir gewiß in keinem Gebetbuch standen. War der Alte ein Magier, welcher die geheimen Zaubcrsprüche der Kabbala!, hcrnnterbetete? Jetzt erkannte sie ihn . . . sie batte ihn früher bisweilen in Heimersheim gesehen ... eS war Enrico'S Vater! Ein grenzen loses Mitleid mit dem gebrochenen Manne erfaßte sie . . . o wäre der Segensspruch, der beim Vorübergehn ihr auf den Lippen schwebte, ein heilkräftiger gewesen. Enrico'S Vater ... eS schnürte ihr das Herz zusammen! Und hinter RiSpori kam eine ältere Jungfrau berangetanzt, welche fortwäbrcnd „Ringel, Ringel, Rosenkranz" sang und dabei Kußbändchen auStheilte. Und Marie fragte sich, ob sie auf die Länge im Reiche dieser geistigen Verwilderung weilen, ihre Nerven dies Alles wurde» ertragen können? Sie dachte darüber nach, als sie in ihrem Zlinmcr am Fenster stand und in den reqengrauen November!,immel hineinstarrte. War sie hier nicht'selbst wie eine abgeschiedene Seele unter Le» geistig Todtcn? Und er an den sie gekettet war durch ein gegebenes Wort, dem sie alle riebe entgcgcnbrachte. die ihr zu Gebote stand, sür ibn daö reichste Maß von Menschenliebe — gehörte er nickt auch zu diesem Schwarm der auögcsloßcnen Geister'^ War er nicht gewalttbälig. maßlos, schonungslos, ein Mörder? Konnte sic ,e ,kn, angehören, konnte sich die barmherzige Schwester ,e in ei» Brautgewand hüllen? ^ " v!» nickst mehr de» grauen Himmel. st,nd 7 A.ü""' ^ Neffen troffen . . . sennenlich. stand ein Bilk vor ihrer c-eele: der Breite Stein Enrico «„ 'brer ^„te ... die berauschende Nähe, die ve» be.tzungSvollc Ferne. daS Glück lächelte sie an und schmiegt- ,'ck an „e . . . da athmete Alles den Hauch gesunden Lebens, da war das Her; so frisch, der Geist so klar! Ein leise- Anskreische» von drüben gemahnte sie daran, daß sic hier im Reiche der verlorenen Seelen weile und daß daö Glück ihrer Träume ihr fern sei, unerreichbar fern. Doctor Bingen hatte inzwischen den Grasen verlassen: er war sehr zufrieden mit dem Eindruck, den Mariens Ankunft und Nähe auf ihn ge macht; er hoffte das Beste von ihrem besänftigenden Einfluß und pries den Edelmutb des Mädchens, das freiwillib einen so abschreckenden Aufenthalt gewählt, um als hilfreiche Samariterin dem Manne zur Seite zu stehen, dessen gewalt- tbätigc Natur jetzt Allen Furcht einjagte, die in seine Nähe kamen. Tief gerührt von Mariens aufopferungsfähigem Pflichtgefühl, hatte der Doctor allerlei geheime Gedanken und Pläne, die er ins Werk zu setzen hoffte, wenn die stürmische Natur der Krankheit erst gebrochen sein würde. Er begab sich in die Villenvorsladt, um Teresa aufzu suchen. Vor etwa acht Tagen hatte er sie gesprochen; er hatte sie ganz verändert gefunden; ihr Wesen erfüllte ihn mit banger Besoraniß. Immer noch war sie ihn« das Bild einer zarten edeln Weiblichkeit; aber sie war nicht mehr daS weltfremde Mädchen, dem die Welt das Leben etwas Be ängstigendes war, dem sie ja einmal um jeden Preis zu ent fliehen versucht ; sie hatte jetzt mit dieser Welt sich eingelassen und einige Bllithen ihres Lebens waren, wie es schien, dabei geknickt worden. Sie war schwcrmütbig wie früher; aber eS war nicht mehr jene Schwcrmuth, welche gleichsam von dem Elend dcö ganzen Daseins bedrückt wird, wie sie ihr damals den Dolch in die Hand gegeben; es war jene Schwcrmuth, die über ein eigenes ticsenipfundenes Weh klagt. So hatte sic Oswald bei seinem letzten Besuch gefunden — und wieder batte er den Eindruck, daß keine andere Schön heit als diese sein Hcrzzu rühren, zu gewinnen vermocht«. So oft batte ihn der Menschheit ganzer Jammer angefaßt, wenn er in die gebeimnißvolle Wcrkstatte blickte, in welcher der Menschen Schicksal geschaffen wurde durch die unabänder liche Gesetzmäßigkeit der Natur, wenn er eS vorgebildet sah in der Form deS Schädels, vorgezricknet in den Windungen ves Hirns. Und wie grausam gestaltet sie dies Schicksal, wenn die Reizung der Hirnhäute die armen Sterblichen in unbeherrschbar wilde Erregtheit stürzt, wenn die Schrumpfung
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