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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940206025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894020602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894020602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-02
- Tag1894-02-06
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Vergebens baden die Osficiösen eS zu verhüten versucht, daß das Verhältnis des Herzog» von bodurg zu seinem Lande und demgemäß zum Reiche im Reichstage zur Sprache komme; gestern mußten es die Bctheiligten von der Tribüne des Parlaments vernehmen, daß in diesem Verhält nisse ein unklarer Punct sich befindet. Der Abgeordne'e vr. Friedberg bereichnete diesen Punct mit so großer Deutlich keit, daß der Reichskanzler nicht anders, als beschwich tigend einzuwirken versuchen konnte. Man muß cin- räumen, daß die Erklärung deS Grafen Caprivi der nationalen Auffassung so weit entgegenkommt» als dies vom Platze des Reichskanzler- auS möglich ist. Der Herzog ist rechtmäßiger BundcSsürst und an erkanntermaßen Deutscher. Infolgedessen, so schließt der Kanzler, kann er nicht Unterlhan einer fremden Macht sein. Soweit die Politik in Frage kommt, «örterte Graf Caprivi daS Widersinnige eines gegentheiligen Zustande-, hinsichtlich des Moralischen erklärte er den Herzog für ausschließlich kompetent uud verpflichtet: „Es ist seine Sache, seine früheren Beziehungen zu einer anderen Nation und zu einem andereu Staate so zu regeln, daß er mit seinen Pflichten gegen Deutschland nicht in Collision kommt". Die Wahl der logisch nicht stichhaltigen Wendung „früdere Be ziehungen regeln" muß als eine außerordentlich glückliche be zeichnet werden, sie malt — von crner Seile gebraucht, die sich des Worte« „abbrechen" nicht bedienen durste — das Widerspruchsvolle des gegenwärtigen Berhälkniffe». Der Kanzler bat anerkannt, daß der Herzog cS in der Hand habe, seine Beziehungen zu England zu ändern; wir wissen, daß dies in einem sehr wesentlichen Puncte, dem Punkte, auf den cS eigentlich allein ankommt, möglich ist. Erfolgt diese „Regelung", dann kann sich auch die deutsche Nation angesichts der englischen RcchtSaussassung mit dem Tröste des obersten ReichSbeamtcn begnügen: „WaS können wir für die Anschauungen der Engländer?" In der Erklärung deS Reichskanzlers liegt jedenfalls eine ebenso starke Anreizung, die Regelung zu bewirken, wie in der Anfrage deS Abgeordneten vr. Friedberg, der daS Bedürsniß deS deutschen NationalgesühlS in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte. Daß der Herzog von Coburg in Herrn Richter, dem die Aeußerungen dieses Gefühl« „QuiSq ui licn" sind, nicht den Dolmetsch deutscher Empfindungen erkennen wird, dafür bürgen die bis herigen Erklärungen und Erfahrungen des ReicdSsürsten, der übrigen«, wenn er den Bericht über die gestrige ReichStagS- verhanblung etwa« genauer verfolgt, zu ganz eigenartigen Betrachtungen über Herrn Richter unv seinelHesinnunasgenoffen sich angeregt fühlen muß. Bekanntlich hatten die Deutsch- freisinnigen seiner Zeit dem die Arbeitskraft eines Riesen betbätiqente» Fürsten BiSmarck die Mittel zur Anstellung eines Hilfsbeamlen verweigert; gestern haben sie einen selchen für eines der dem Grafen Caprivi unterstehenden Aemtcr mit der Bemerkung bewilligt, daß die Ablehnung von „kleinlicher Gesinnung" zeugen würde. Der Herzog von Coburg wird diese Selbstkritik Derer um Richter gewiß unterschreiben. Je näbcr die Zeit rückt, in welcher der Reichstag zu dem HanVclsvcrtrage mit Rußland Stellung zu »cbmen bat, um so lebhafter beschäftigt sich die Presse des Ccutru mS mit der Frage, ob im Falle der Ablehnung dieses Beitrags eine ReichSlagSauslösung zu erwarte» sei und welche Aus sichten eine solche biete. Offenbar wird eS dem Centrum bei de», Gedanken an einen Wabllampf uni diesen Vertrag sehr bang. Die klerikalen Blätter suchen sich zwar an der Ver sicherung aufzurichten, das Ccntrum in seinen unüberwindlichen Stellungen babe nichts zu fürchten. Allein das ist Groß sprecherei, an deren Wahrbelt die betreffenden Politiker selbst wohl einige Zweifel haben. Die immer schärfer bervor- trelcnden wirthsckastlichcn Gegensätze im Ccntrum könnten in einem solchen Wahlkampf leicht sich in einer Weise zuspitzen, daß der Zusammenhalt der Partei nicht mehr zu retten wäre. Die Mehrzahl der bayerischen CentrumS- waklkreise z. B. wäre in einem solchen Fall für die Bauern« bündler ress. UebrigenS bat daS Centrum mehr als jede andere Partei cS i» der Hand, eine ReichSlagSauslösung über diese Frage zu verhüten. In der liberalen und radicalen Partei der Schweiz macht sich gegen die socialdemokratische Initiative für die un entgeltliche Krankenpflege eine Gegenströmung geltend, die zusehends stärker wird. I» Zürich hat eine von rer kaufmännischen Gesellschaft cinberusene Bersaminlung sich für da« Projekt Farrer erklärt, das sich aus die Versicherung gewisser VolkSclassen gegen Unfall o»d Krankbeit beschränkt. In Basel lhal eine Versammlung freisinniger Großräthe und in Solotburn da« CentralcomilS der radicaten Partei dasselbe; mebr Aufsehen aber macht noch, daß vier- bis fünfhundert Freisinnige der Stadt Bern nach einem längeren Bor trage Farrer'S soeben für besten Anschauungen und gegen die Züricher Initiative, welche die Unentgeltlichkeit der Krankenpflege und für die Deckung ihrer Kosten daS Tabak Monopol fordert, Stellung genommen hat. In den mittclschweizcrischen Cantoncn setzt man der Initiative mehr Widerstand entgegen, als in der Ost schweiz, da insbesondere Zürich und St. Gallen eine große Zabl Unterschriften liefern werden. Doch zeigt sich auch in der Oslschmciz aus den Bersaniinlungcn der Initianten da und dort die Opposition, so i» Cbur, wo eine Versammlung, in welcher der Socialdemokrat Greulich sprach, gctbcilter Ansicht blieb. In der Westschwciz treibt die Bewegung fast keine Wellen; man verhält sich gegen daS Initiativbegebren ablcbncnd und die Arbeiter französischer Znnge sollen sich für das Tabakmonopol nur s l wer gewinnen lasse». Unterdessen entwickeln freilich die Anbänger dcö BcgebrenS unausgesetzt eine große Thätigkcit; die von ihnen veranstalteten Volksversanim lunge» sind ungewöhnlich zahlreich. Der Kampf scheint sich mehr und mebr zu einem politischen zuspitzen zu wolle». DieDemo- kraten und Socialdemokraten erklären, daSProjccl Farrer würde die freien Arbcitercassen aus den AnSslerbe-Etat setzen, während liberale und radicajc Blätter dieses wenigstens zwischen den Zeilen als wünschenSwerth bezeichnen. Vielleicht erklärt sich hieraus, daß derjenige Theil der katholischen Presse, der anfänglich die Initiative zurückwieS, still geworden ist und Anderen den Kamps überläßt; sie fürchtet für ihre freien Cassen, die vielen von ihr gegründeten Krankenvereine, die vor den staatlichen VersicherungScassen des Projekte« Farrer die Waffen strecke» müßten. Noch Kat Niemand eine Vor- 'tcllung davon, welches der AuSgang dcö Feldzuges sein wird; erst die Iunitagung der Rätbe, in der cs voraussichtlich zu lebhaften Debatten koninie» wird, dürste darüber Ausschluß ertbeile». Im Mai nämlich muß die Unterschriftensammlung geschlossen sein und ebenso dürfte bis dabin der Bundesratk daS Project Farrer turchgearbeilet haben, um cS den Rathen vorzulegcn. Ter belgische UniversitätSscandal scheint, was die Brüsseler Hochschule anlangt, seinem unrühmlichen Ende entgezenzugehcn. Ter Verwaltungöratk, der wokl cin- sckcn mag, daß an einen Fortbestand der kkinversitäl nicht zu denken ist. wenn die communalen und korporative» Zu- fcküsse zu den Unterhaltungskosten ihr bauernd entzogen bleiben beginnt zu weichen, zumal jetzt nicht weniger als zwölf Professoren die Aufforderung an ibn gerichtet tznbc». unter Zurücknabme aller Relegationen (cS sind tttcn Dank der Milde des VcrwaltungSratdeS nur 18!) die Schließung der Universität zurückzuncbmen unk ihre Statuten zu ändern. So bat denn der Verwaltungsratk die Erklärung abgegeben, daß die Universität nach dem Carneval wieder eröffnet und eine Generalversammlung aller Professoren berufen werden solle. Die klerikalen Osficiösen spielen heute dem Ver- waltungsratke einen bösen Streich, indem sie vcrratben, daß er „zu seiner Rettung" bei der Regierung darauf dringe, schon jetzt Herrn RecluS daS Erscheinen in Brüssel zu verbiete»! — Inzwischen beginnt cS auch an der staat lichen Universität in Lüttich unter den Studenten bedenklich zu gäbren. Der Minister d«S Innern bat einen 23 jährigen Atvocatcn, Namens Cornefse, den Sobn eines früheren kirchlichen Abgeordneten, aus den Lcbrstubl für Notariats praxis berufen, ebne den akademische» Rath zu besragen. Die liberalen Studenten theilten deS Ministers Ansicht von den Fähigkeiten deS jungen Tocenten nicht, setzten sich zu Rathe unv erließen einen BerwadrungSbeschluß gegen die „parteiischen" Erncnnunzen der Regierung. Daraufhin bc- schied der Minister den Rector zu sich und gebot ihm, einzuschrcitcn: die Studenten folllen ihren Beschluß einziehen oder gehen. Nunmehr hat der Rector die fünf Mitglieder des studentischen Ausschusses vorgeladen und sie dringlichst ersucht, den für den UuterrichtSminssler so verletzenden Einspruch in irgend einer beliebigen Weise zurückzuncbmen; aber da kam er schön an. Man verweigerte ,ede Zurücknahme. Es blieb dem Rector nichts übrig, als Bedenkzeit zu geben. Natürlich hat sich die Sludeistenschafk mit dem Ausschuß solidarisch erklärt; cS herrscht die größte Erregung; also ganz das Abbild des Brüsseler Conflictcö! Die Hinrichtung Vaillant's bat den Zweifeln, ob der Präsident der französischen Republik Festigkeit genug besitzen werde, dem Treiben der aus Begnadigung des anarchistischen Mordgcsellen binarbeitciiden Revolutionaire aller Echatlirungcn Widerstand zu leiste», in einer de», moralische» Credit der sranzösischcn Regierung nur zuträg liche» Weise abgebolsc». Gründe rer Gcrcchtigkeilspflcgc wie der Politik drängten gleichmäßig daraus bin, daß in dem Falle Vaillant ei» eclatanteS Exempel statuirt würde. In der heutigen demokratischen StaaiSsorm Frankreichs verkörpert die Kammer in verkleinertem Maßstabe das Princip der VolkS- souverainctät, d. h. dasjenige Princip, auf welches daS sran- zösischc Slaatswescn der Gegenwart gegründet ist. Indem nun Vaillant sein Attentat gegen bie Kamuier insccnirte, ver griff er sich folgerichtig an der Nation als solcher. CincUni- wandlung der verwirkten und verdienten Todesstrafe würde in diesem Falle der Wassenstreckung deS Staates vor dem Anarchis mus gleich gekommen sein und cinPräjudiz geschaffen haben, dessen Folgen wahrhaft selbstmörberische hätten werden müssen. Schließ lich wäre keine mit irgendwelcher öffentlichen Autorität bekleidete Körperschaft mehr ibrcS Lebens sicher gewesen, der staatliche, gemeindliche und privalliche VerwaltuiigsmechaniSmuS wäre ins Stocken geratben und ein Zustand eingctrelen, der dem Ideal der Anarchisten bedenklich »abc gekommen wäre. Die Vollstreckung deS einmal gefällten TotcSurlbeilS erwies sich kcskatb als eine Notbwendigkeit, die nur von Leuten be- lrillen werde» kann, welche entweder in Vaillant re» Geiuiiiungsgcllosfen bedauern oder ihrer eigenen Gesellschaft damit imponiren wollen, daß sie cmen noch größeren Abscheu gegen da« herrschende System als gegen die „anarchistischen Wahnideen" zur Schau trage». Vor der Hand Kat die Regierung den Beifall aller rechtlichen Leute aus ihrer Seite, und wenn sic ihren morali- scheu Vorthcit klug und uachdruckSvoll auszunutzen versteht, so ist eS nicht linnlöglich. daß allmählich eine größere Be- rubignng der Gemütber Play greift. Für die Sache der Ordnung und Gesetzlichkeit wäre das ein Fortschritt, der auch aus die Herstellung stabilerer politischer Zustände nicht ohne Einfluß bleiben könnte. Etwas ÄehnlicheS fürchten offenbar die Spießgesellen und Beschöniger deS SprengbombenwrrserS. Daker ihre krampfhaften Bemühungen wegen Umwandlung der Todesstrafe. Admiral Gervais, der aus Anlaß des französischen Flotten besuche« in Kronstadt eine Zeit lang der am »leisten gefeierte Mann in Frankreich gewefen ist. hat nun an sich selbst den Wechsel des Glücks erfahren müssen. Wie er als Ebcf des Generalstabcs der Marine wegen der Mißstänbe in dieser besonders heftig angegriffen wurde mit der Begründung, daß er lediglich mit seinem durch Kron stadt berühmt gewordenen Namen die ärgsten Unregelmäßig keiten decke, bildete er auch, wie bereits gemeldet» in der außerparlainentarischenUnlersuchungS com Mission die Zielscheibe solcher Angriffe. In der Abwehr derselben bat er sich durch sein allzu schneidiges, unkluges Auftreten sowohl dem Parlament, als seinem Vorgesetzten Minister gegenüber in eine für ihn kochst unerquickliche Lage gebracht. Gleich beim Be ginn der Evuiiiiissionösitzliiig wies der stolze Admiral die ihm daiaebolcne Hand des Abgeordneten Gllicycsse au- Lvrieut zurück, weil dieser hei der InlerpellatiouSdebattc in der Kammer den Nachweis hatte führen wollen, daß die Ber- proviantirung eine« auö jenem Hasen auölaufenden Schiffs ungenügend war. Ohne den ungünstigen Eindruck bemerken zu wollen, den seine Haltung auf die Anwesenden machte, verschlimmerte der Admiral die Sache noch» indem er erklärte, er könne das Lob nicht annebmcn, welche« Herr Lockroy de» im activcn Dienst stehende» Marineosficiercn i» der Kaiiimcr gespendet hatte: die Marine wäre ein Ganzes und alle Osficicrc kielten eng zusammen, sie wollten in Lob und Tadel nicht getrennt sein. Eine solche Verletzung der Achtung vor einem Vertreter de« souvcraine» Volkes wird in Frankreich recht übel vermerkt: der Marinemiuister, der durch de» Zwischenfall höchst peinlich berührt war, nahm denn auch Anlaß, die unparlamenlarische Haltung deS Admiral« dadurch gut zu mache», daß er daS Lob des Herrn Lockroy nun seinerseits im Namen der Marine entgegennahm. Nachdem der Admiral so selbst mit dem Chef des Mariue- ministeriumS gegeneinandergeprallt war, konnte er nicht wodl länger Mitglied deS Ausschusses bleiben. Herr Gervais dürfte sich überdies durch sein empfindliches,tactlosesBenehmen auch die Aussicht aus das Ministerporteseuille, für das sein Name schon mehrfach genannt worden ist, ein- für allemal verbaut haben. Ja, er wirb vielleicht nickt einmal mebr lange seine gegcnivärlige Stellung innebchaltcn, sondern Leu Oberbefehl über da« Feuilleton. Ellida Silström. 8> Roman voa H. PalmS-Payseu. Hagdnlck vertolen. (Fortsetzung.) Ellida hatte die warme, beengende Kapuze von ihrem Kopse gestreift und dabei war daS Pelzmäntelchen von ihren Schultern gefallen. So saß sie vor ihm mit dem beweglichen Köpschen, den schimmernden Augen und den beredten Lippen. „Ich wünschte, meine Schwägerin hätte Sie eben gekört", bemerkte der Professor, als Ellida schwieg, „sie würde anders, weniger einseitig über Sie denken, da« wäre wohl sicher." „ES ist also doch meine Person, die ihr mißfällt?" forschte daS junge Mädchen. Der Professor blickte verlegen zur Seite. Er erinnerte sich plötzlich der Worte seine« Freunde«, de« Intendanten, der doch rin Menschenkenner war, wie cS wenige gab. Auch er balle mit nur geringer Achtung von jenen Matchen gesprochen, die sich dieser Kunst anheimgegeben, und daß diese meist Alle, selbst bei festem Charakter und heroischer Tugend, ihren Ruf nicht rein zu erhalten vermöchten. Selbst besaß er kein Urtbeil, und im idealen Zeitalter der Griechen lebte man nicht mebr. Wenn er sich dieses ihm sympathische Mädchen im leichten, kurzen Gewände vorstcllte, wie er solche nur noch nach Bildern kannte, — ein Theater batte er seit Jahr und Tag nicht be treten, — wenn er sic sich derart auf der Bühne vor einem großen, gaffenden und krikisircnden Publicum tanzend vorstellte, so überkam ihn das tiefste Bedauern. Tenn er war einerseits im Stand«, die Person von der Kunst zu trennen, anderer seits unfähig, sich über allerlei kleinliche Bedenken hinwegzu- ietzen. Er besaß einen nur gering auSgepräglen Schönheits sinn und wußte nicht- von dem Entzücken derer, die Sinn »ad Verständlich für Formen und classische Bewegungen haben. „Mein liebe- Fräulein", wich er stockend au-, indem er befangen auf seine Hand, eine schmale, lange, eine echte Gelehrtenhand, niederblickte, die mechanisch über rin Manu skript strich. „Sie wissen ja. daß meine Schwägerin, daß wir", vervollständigte er, „noch keine Gelegenheit gehabt baden. Sie näher krauen zu lernen So glaube ich Sie versichern ru dürfe», dnß durchaus keiu Grund zu irgend welcher Mitz- p stimmung vorliegt, die Ihre Person erregt haben könnte. Sie sind noch sehr jung" — ein flüchtiger Blick streifte sie — „und daher mag es Jbnen schwer fallen, sich den Meiischen mit ihren Schwachheiten, mit ihren Einbildungen und Bor- urtheilcn, mit ihrem ganzen Realismus und Materialismus, den die idealistische Jugend selten theilt und versteht, anzu passen. Enthalten Sie sich daher aller Grübeleien, und wenn Ihre Handlungen Ihrem Denken und Streben entsprechen, so wird ganz von selbst, ebne weitere Auseinandersetzungen, daS Berhältniß zwischen Jbnen und Ihren Hausbewohnern ein gutes und zufriedenstellendes werden." Der Professor schwieg, und Ellida wußte nicht reckt, WaS sie auS dieser vorsichtigen und diplomatischen Antwort machen sollte. Doch war sie viel zu feinfühlig, um nicht zu bemerken, daß dem Gelehrten daS Thema peinlicksst berührte. Irgend etwas, noch Unbegriffene« lag als Hemmniß zwischen ihnen, gewiß, sie hatte sich aber bei so großer Zurückhaltung seiner seits zu bescheiden. Impulsiv erhob sie sich, um das Gespräch zu beendigen, den Gelehrten nicht länger noch zu stören. DaS machte ihn stutzig, er glaubte sic unabsichtlich verletzt zu haben, und gütig, wie er dachte und fühlte, suchte er nun erst recht die Unterhaltung weiter zu spinne», lenkte ihre Betrach tung zuvörderst aus die Umgebung, denn Ellida'S Blick hastete unwillkürlich aus dem vom Lampenlicht beschienenen GlaSbafen, in dem eine große Spinne an den grünen Halmen auf- und niederlies. Sie find hier in eine Art Museum bineingeratben", be merkte er freundlich, auf die vielen umherstehenden Glaskasten mit Schmetterlingen, GlaShäsrn mit Insecten und aus die mancherlei auSgrstopsten Vögel hier und dort weisend, „ich bin Naturso, scher und lebe hier für mich in einer besonderen Welt, in einer Welt im Kleinen, der Sie vielleicht wenig Interesse abzugewinnen vermögen." „Wenig Verständnis, Herr Dclponda, aber trotzdem Inter esse", antwortete Ellida mit erhelltem Gesicht. „Wirklich?" „Die Naturwissenschaft hat mich immer angezogen, denn ick richtete von jeher gern meinen Blick aus dir äußeren Gegenstände und ich kannte nicht« Interessantere«, als in der Natur, zum Beispiel im Walde, da« bewegliche Insectenvolk aufmerksam zu betrachten, die Ameise, den Käfer, die Spinne — cS giebt so schöne Waldpartien bei Stockholm." „So, so", machte der Professor mit einem zufriedenen Lächeln. .Hier baden Sie gleich so ein Tbierchen, vor cem manch' närrische Fra« kreischend davooläuft — eioe Spinae, eine- vcr interessantesten Insecten, die ich kenne. Ich habe eben jetzt ia der „Natur"', so nennt sich eine hiesige Zeitschrift, den mit Kämmen und Bürsten versehenen Fuß erner Spinne besprochen. Durch ein Vergrößerungsglas würden Sie die wunderbaren Feinheiten der Gestaltung desselben erkennen, vermöge derer da« Thierchen den Faden und daS Gewebe zu reinigen und glätten versiebt." „Darf ich es wohl sehen?" fragte Ellida mit wachsendem Vertrauen. „Am bellen Tage — beim Lampenlicht schaut eS sich nicht gut", meinte er, „kommen Sie einmal wieder, wenn cS Ihnen Spaß macht, liebes Fräulein." ,L), wie gern", rief Ellida dankbar. Die Güte dieses Mannes erfreute sie noch mehr.als der Gegenstand. Der Professor nahm daS ihm stets zur Hand liegende Vergrößerungsglas und hielt eS über die Spinne. „Sie tbut uns nicht Len Gefallen, Platz zu nehmen", be merkte er mit seiner leisen Stimme, „sic hat erst noch einen Dauerlauf zu macken, ehe sie sich aushängt. Wenn man be denkt". sprach er sinnend weiter, „daß der Mensch Erfindungen, die ihm ganz eigenibümlich zu gekoren scheinen, wie Bürsten und Kämme, sich hinterher sie vorgetacht sieht, so kann man wohl auf den Gedanken komme», daß er mir seinem Denken so wenig über sich und seine Art hinauSgehen kann, als zum Beispiel die Biene, die bei ihrer Arbeit so selbstständig und künstlerisch zu verfahren scheust, und doch nie über ihren Zellen bau hinaus kann." „Ja", stimmte sie aufmerksam lauschend zu, „eS liegt in dieser in sich so vollendeten Welt etwas so Außer ordentliches, daß man eS gar nicht aussprechen kann. Ich habe mich manchmal gefragt, wo ist daS mehr, wo da« weniger Kunstvolle, wenn man die einzelnen Dinge der Natur be trachtet." „O", schaltete er ein und heftete da« Auge aufmerksam auf die Sprechende. „Sie haben uachgedacht, Sie lieben eS überhaupt, zu denken." „ES kommt nur so wenig dabei heraus", meinte sie, „ich finde keine Berichtigung und bleibe somit auf dem geistigen Standpunkt stehen, von dem au- ich meine fragenden Ge danken ausschicke." Er lächelte wohlwollend. „Wenn ich Ihnen da Helsen kann, sollte e« mich freuen; schauen Sie nur östcrS bei mir vor. WaS Sie da sagten vorbin. babe ich mich auch gefragt. Wa« ist groß unv wa« — wäre e« auch noch so klem — ist nicht groß? Im Einzelne» wie im Ganzen, WaS zwänge den Verstand nicht zur Be wunderung. zur Anbetung dicfeS unendlichen BrrnunftwesenS, welches sich in der Schöpfung manisestirt. Die bescheiden muß daS Wissen, das Erkennen dieser Ordnung, dieser Vernunft de» Menschen machen. Er verhält sich zum Ganzen wie die Erde zun, Firinainent. Aber wenn der Mensch sich überhebt, so bedenken Sic, daß vor unzähligen Jahren Liese Erde ja nur als Mittel punkt, al- Hauplnionient im Universum galt, dem zur Liebe, zum Nutz und Frommen die anderen glänzenden Puncte sammt der Sonne da herumgestickt wären. DaS Wissen ist ja fort- wäbrend Berichtigung. Und doch welch' ein Gefühl! wie stolz! Alles Erkennen — alles Wissen, eS ist der Mensch." Er schwieg, sich plöblich bewußt werdend, daß er einem blutjungen Märchen gegenüber stand, dem ei» tieferes Eingehen in die Sache vielleicht langweilig ward, lästig und unverständlich. Doch Ellida sah bewundernd zu ihm aus. „Sie sind ein Philosoph", sagte sie überzeugungsvoll. „Man beißt mich einen solchen", antwortete er mit seinem ruhigen Lächeln, „und meine für Frauen gewiß ungenießbare Unterhaltung nimmt nur gar zu leicht den kühlen, sachlichen Ton an, den der zersetzende Verstand annimint" „Ich habe Ihnen gern — dankbar zugebörl", verbesserte sic sich. „Es giebl so wenig Menschen, mit Lenen man etwa« Anderes als das Alltägliche spreche» kau». Es kommt mir daher wie ein schönes Wunder vor, plötzlich in der Fremde, in meiner Verlassenkeil Jemand gesunden zu baden, der sich herabläßt, ein gütiges und verständiges Wort mit mir zu sprechen. Ich danke Ihnen dafür." Ellida Silström streckte dem Prosrssor dabei die Hand entgegen,die dieser niit einer gewissen, beinahe kindisch zu nennenden Befangenheit eistgegcnnabm Mit fremden Frauen zu reden, übcrbaupt mit Frauen, da« hatte er seit Jahren nickt mehr gethan. Dieses Märchen, diese Tänzerin — man vergaß da« immer wieder, wenn man sie sah und börte — hatte eine so reizvolle Art, daS Gespräch anzuregen, weitcrzufübreo. daß c« ihm gar nicht leid tbat, in seinen Gedanken vorhin, in seinem Spaziergang gestört zu sein. Als sic ihn verlassen, nahm er nicht sogleich seine Arbeit wieder auf. Ec fühlte sich zerstreut, und als er diesem Umstande mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Aufrichtigkeit nackzuforschen suckle, ergab cS sich, daß cS einzig daS eben erjebte kleine Cr- «igniß war, denn e» suhlte sein ganzes Gemüth erfüllt mit ausrichligem Bedauern für da« cinjame Mädchen, da« eltern los und um so schutzbedürftiger aus dem glatten Boten der Bühne als — Tänzerin stand.
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