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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-02-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940228020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894022802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894022802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-02
- Tag1894-02-28
- Monat1894-02
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Tabellarischer und Zifferniab nach höherem Tarif. Vrtra-Veilagen (gefalzt-, nur mit der ivlorgen>Ausgabe, odne Postbesörderung «0—, mit Postbesörderung 70.—. Ifnnallmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Ubr. Sonn- und Festtags früh '/,V Uhr. Bei den Filialen und Annabmestellen ,« eine halbe Stunde srüher. Anzeigen sind stets an die Gr»evitloii zu richten. Druck und Verlag von k. Polz in Leipzig. M. Mittwoch den 28. Februar 1894. 88. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Februar. Man ist gewohnt, ReichstagSberathungen, wenn sie großen nationalen Angelegenheiten gelten, durch Herrn von Bciinigsr» aus der Dunipsbeit des Parteizwistes in die reine Sphäre vaterländischer Staatsweisbeit gehoben zu sehen. Der Geist des Erlesenen bannt in solchen Augenblicken die ganze Versammlung, die, aiheinloS lauschend, seinen Worte» eine Aufmerksamkeit schenkt, die keinem Anderen gegönnt wird. So auch gestern. Wir werben seine Rede im Wortlaute mittheilen, wenn dieser vorlicgt. Für heute müssen wir uns auf die Wiedergabe dessen beschränken, was ein Zeuge der gestrigen Debatte unö schreibt und was leider ein Gerücht bestätigt, da- vor einigen Tagen durch die Blätter ging. „Leider" — so schreibt man uns — „trat zu dem sachlichen Interesse, das Bennigsens Worte erregten, auch ein persönliches Moment, welches alle Anwesenden lies berührte und die Freunde und Verehrer des Redners mit herbem Schmerz erfüllte. Rudolf von Bcnnigse» bat seinen Rücktritt aus dem politischen Leben angekündigt. Alle Zuhörer, denen Vollstbum und Vaterland kein leerer Schall, fühlten sich zu Zeugen eines ernsten nationalgcschichtlichc» Ereignisses geworden, als der Größte, Verdienstvollste und Lauterste, der in Volksvertretungen für Deutschlands Größe gewirkt, auf seine Jahre hinweisend, den Entschluß bekun dete, seiner unersetzlichen Thätigkeit ein Ziel zu setzen. Beim Ringen um das Reich, beim Ausbau des er standenen Nationalstaates der Erste nächst dein Fürsten Bismarck, folgt er dem größeren Mitstreiter und Mit arbeiter in das Privatleben. Dem Größeren, unbestreitbar und unbestritten. Aber eben weil der Mann mit deni An spruch auf eine oberste Stelle im Schatten des Größeren, deS viel Mächtigeren, für eine gemeinsame Sacke zu wirken wünschte und vermochte, bat er sich zu dem Ruhm bober Geisteskraft den höheren reinster Gesinnung und beispielloser Selbstlosigkeit erworben. Mil dem Geiste der Unterordnung unter die größten Interessen hat Rudolf v. Bennigsen die nationalliberale Partei erfüllt und so mit ikr bewirkt, daß geschah, was in den vielen Schicksalsaugenblicken des Viertel- fahrhunderts geschehen mußte, wen» der alte Kaiser- lraum nicht wieder vergeblich geträumt sein sollte. Die nur allzu oft bestätigte Ueberzeugung, daß das junge Reich mit allen Kräften vor schweren inneren Krise» bewahrt werden müsse, hat Herrn von Bennigsen und die Partei dann weiter geleitet, und seine neuste Rede ist in ihrem wesentlichen Tbeile eine Beschwörung an die anderen reichs- trcuen Parteien, die Politik sortznsctzcn oder wieder auf- unehmen, welche das Vaterland über die Partei stellt, lebcr Diejenigen, mit denen er dereinst auSzog zum Kampf für ein einiges Deutschland und die das Interesse beute an seine Seite zog, hielt Herr von Bennigsen ein Strafgericht, weil sie die große Sache der Partei geopfert, und dem Gegner von einstmals und wieder von beute ließ er Anerkennung widerfahren, als Männer», die Opfer für das nationale Ideal zu bringen fähig waren und wieder sein werden. Der Patriarch des deutschen Reichstages bat den Gruncgedanken des Cartelö empfohlen. Möge dieser Gedanke aus den Wirren der Zeit und gegen seine Feinde von rechts und links sich wieder siegreich emporringen! Hinter die Rede des Herrn v. Bennigsen traten die anderen Vorgänge der Sitzung weit zurück. Er brachte auch über den zur Verhandlung stehenden Gegenstand das Bedeutendste vor und machte insbesondere einen tiefen Eindruck, als er mit Bismarckischer Kraft das Wort niünzte: Wir Deutsche haben mindestens nickt größere Furcht vor dem Kriege mit Rußland, als Rußland vor dem Kriege mit uns. Herr von Kardorff, der sich zu weit vorgewagt, wurde von Herrn v. Bennigsen energischer und erfolgreicher zurück gewiesen, als es seitens des Reichskanzlers geschehen war. Im klebrigen hatte auch der Kanzler einen seiner besten Tage. Besonders hat er sich ein Verdienst dadurch erworben, daß er die ossiciclle Mittbeilung machte, der Handelsvertrag sei im Bunvesratb einstimmig angenommen worden. Es war dies auch für gut unterrichtete Parlamentarier eine freudige llcberraschuiig. Denn jene Einmülbigfeit ist wertb- voll und zwar nicht nur wegen des russischen Vertrags. Die Abgg. I-r. König und Lutz schienen die Vermulbung Jener rechtfertigen zu wollen, die den Entschluß des Herr» v. Bennigsen ^um Theil in dem im deutschen politischen Leben eingerissenen Tone begründet glauben." Ter Gesetzentwurf über die Aufhebung des FdentitätS- »achwriscs ist bekanntlich vom B»ndcSrath angenommen worden. Ob, wie die „Franks. Ztg." hört, ein Antrag Sachsens, statt der Ansjuhrscheine de» Zoll haar zurück- znerstatten, ad gelehnt worden ist, muß vorläufig dahin gestellt bleiben. Jedenfalls wird der Entwurf eine Mehrbeit im Reichstag finden und die Stimmung >» eonservative» Kreisen einigermaßen verbessern, wenn es auch fraglich bleibt, ob darum aus deni eonservative» Lager ein erheb licher Bruchlheil für den russischen Vertrag gewonnen wird. Was die andere, mit dem Vertrag in Zusammenhang stehende Frage, die der Ltassrltarise, betrifft, so will die „Post" er fahren haben, cS stehe »»»mehr fest, daß die Aufhebung der preußischen Staffeltarife für Getreide und Müblensabrikate erfolgen werde. Wir wollen Hesse», daß diese Racbricht sich bestätigt. Hat doch gestern auch Herr v. Bennigsen diese Aushebung mit großem Rachdruck verlangt und geradezu er klärt, da« voraussichtlich diese Frage einen entscheidenden Einfluß aus das Schicksal des Handelsvertrages haben werde. Die Schweizer freisinnig-demokratische Parte! bat letzter Tage in Olten eine Versammlung abgchaltc», um sich eine de» Anforderungen der Zeit mehr entsprechende neue Organisation zu geben. Bekanntlich haben die Frei sinnige» (Liberale, Nadicale, Demokraten) im Bunde viele Jahre hindurch das Ruder geführt und viele Fortschritte sind ihnen zu verdanken; aber da kam die social istische Strömung, kamen neue thcilS wirthschastliche, lheils socialpolitische An sprüche, von denen die Partei in eine Desensivstellung gedrängt wurde, obwohl sie sich durchaus nicht etwa alle» lione» Anregungen gegenüber ablehnend verhielt und das Vertrauen der Mehrheit des Volkes noch immer genoß. Die Annahme des neuen Volksrechles der Initiative erschütterte den etwas bequem gewordenen Parlamentarismus und die lange Zcil mit ikm verkörpert gewesene Partei, deren Ver treter nicht alle dem neuen nltrademokratischen Zuge zu folgen vermochten, und ernstliche Zeichen der Auflösung slellle» fick ein. In Olten sollte nun versucht werden, sich über das Allen annehmbare Maß socialer Reformen zu verständigen, uni noch bei Zeiten die bercinbrechendc Fluth in ruhige Canäle zu lenken und de» Fortbestand der Partei zu sichern. In dieser Beziehung ver dient der erste Artikel der neuen Satzungen Beachtung; er lautet: „Die freisinnig - demokratische Partei der Schweiz bezweckt die Pflege und Förderung des eidgenössischen Staatsgedankeiis und die demokratisch-fortschrittliche Ent wicklung der Einrichtung deS Bundes. Sie widmet ihre Thätigkeit insbesondere auch den socialen Neuerungen »iid nimmt entschieden Stellung gegen jene Bestrebungen, die auf die Zerstörung der Grundlage» unseres staatlichen unb gesellschaftlichen Lebens abzielen. Ebenso bekämpft sie die Uehertz.FjedrSUltrainontaniSmns und die reaktio när e n B e st r e b » n g c n jevcrArt." (lörgenüber den dreiInitiativ- bcgehren: Recht auf Arbeit, Einführung der allgemeinen, unentgeltlichen Krankenpflege in Verbindung mit dem Tabakmonopol und Abgabe eines TbeilS der Zoll ei »nahmen an die Kantone durch den Bund, wurde eine ab lehnende Stellung eingenommen und folgendermaßen begründet: Das Recht auf Arbeit ist mit dem gegenwärtigen wirthschast- lichen Produclionssystem unvereinbar und nicht zu verwirk lichen. Dagegen sollen diejenigen Bestrebungen unterstützt werden, welche dabin zielen, der Arbeitslosigkeit durch staat liche Maßregeln nach Kräften vorzubeugen und die Folgen derselben zu bekämpfen. Die allgemeine Krankenpflege steht mit der vom Schwcizervolk beschlossenen BerfasjungSäuderung über Kranken- und Unfallversicherung in Widerspruch und ist von so großer finanzieller Tragweite, daß dadurch die Kräfte des Bundes zur Lösung weiterer socialer Ausgaben gelähmt würden. Die Initiative über die Plünderung der Bundcscasse mindert die Kraft und Einheit der schweizerischen Nation und erschwert dem Bunde die Durchführung großer gemeinsamer Aufgaben. Diese Gründe haben die Vertreter bewogen, die Begehren rundweg zu verwerfen. Damit ist die Annahme dieser Begehre» durch das Volk sehr in Frage ge stellt. Für die neu organisirte freisinnige Partei erwächst nun die Pflicht, nicht allein zu verwerfen, sonvern selbst positive Ziele zu fördern, welche geeignet sind, ihr im Volke neue Sympathien zu erwerben. Eine eventuelle militairische Invasion Belgiens beim AuSbruch eines deutsch-französischen ZukunftSkriegeS: Dieses von General Brialmont in der belgischen Kammer beraufbeschworene Schreckgespenst wird die Phantasie der dortigen Politiker nock eine Weile beschäftigen, »nd die leicht gläubige öffentliche Meinung greift begierig nach Allem, was ihren Gebilden einen scheinbaren Halt zu geben verspricht. So macht >i. A. eine von der „Indep. belgc" mitgctheilte Erzählung deS Obersten, Baron Lahurc, vo» einem Besuch, den er s. Z. dem Geueralfeldniarschall Grasen Moltkc im GeneralstabS- ge bände am KönigSplatze in Berlin abgcstattct, und von seinen bei jener Gelegenheit gemachten beiläufigen Wahr nehmungen die Runde durch die belgische Presse. Da« genannte Blau erzählt die Sache wie folgt: „Im GcncralstabS- gcbäude aiijselangt, wurde der Oberst von dem ihn ge leitenden StrbSossicicr, dem Major v. für kurze Zeit allein gelassen, c» Letzierer ib» beim Feldmarswall zu melden gegangen war. Beim Weggebe» hatte Major v. X. die nach einem benachbarten Saale führende Vcrbinduiigö- thür halb offen gelassen. Oberst Laknre — der einen Militair - Atlach»- erster O.ualilät abgegeben hätte — ließ zufällig seine Blicke nach jener Richtung schweifen, als er die a» der Wand hängende große Karte von Belgien, Maßstab l : li.0 000, gewahrte, welche von unserem mililair-karto- graphischcn Institut hcrauSgcgeben und mit ticken rolhcn »nd blauen Liniencinzeichnungen bedeckt war. Dadurch neu gierig gemachl — wer wäre eS nicht gewesen —, näherte er sich und constatirte, daß die rothen Linien tic Opcrations- linien der französischen, die blauen jene der deutsche» Heere barsiellten. Der Urheber dieser Arbeit hatte den Treff punkt beider Gegner mitten in da« Herz unseres Landes verlegt. Mittlerweile war Major v. X. wieder ein- gelreten und »ahm, als er den Oberste» Lalnire bei Betrach tung eines so lehrreichen Docnnienls erblickte, ihn sanft am Arm, indem er mit vollendetster Höflichkeit bemerkte, daß Se. Er- cellcnz ihn erwarte. Oberst Lahurc war viel zu sehr Diplomat, um mit lauter Stimme und am KönigSplatze obendrein die Betrachtungen von sich zu geben, welche diese Wahrnehmung, obwohl sie nicht ganz unerwartet kam, in ihm erweckte. Aber er zog seine Nutzanwendung daraus." Nach der Annahme der belgischen ZeitniigSpolitiker hätte dieselbe in der Erkennung bestanden, daß eine Invasion Belgiens bei den deutschen »nd französischen ^cneralstabschef's zwar vielleicht nicht n prion beschlossene Sache sei, aber daß man sich daraus eingerichtet und sie in allen Details vorbereitet habt. Und das genügt, um die Einbildungskraft der Leute in Feuer und Flammcu zu versetzen. Zum Glück beurtbcilt die Regierung die Lage kühl und besonnen n»d bat bereits osficiöS verlauten lassen, daß sie den Anschauungen Brialmont's nicht beipflichtct. Der „Figaro" setzt seinen Feldzug gegen den Präsi denten der franzüslfÄe» Republil fort und stellt der Meldung gegenüber, General BoriuS, der Vorsteher des MilitaircabinclS Carnot'S, bade de» „Figaro" Bericht als iiiigereimteS Hosgcschwätz bezeichnet» die Behauptung auf, es sei ei» eigenhändiger Brief des Generals vorhanden, dessen Beweiskraft luianfechtbar sei. AuS den Einzelheiten der Ent Hüllungen deS „Figaro" sei noch bervorgchoben, daß der damalige Minister des Acußern, Casimir Perier, cS gewesen sei, der Herrn Pasteur durch eine directe Frage genöthigt habe, die Geschichte, über die er a»S Rücksicht auf den Präsident Carnvt und im Interesse der Republik geschwiegen, ausführlich zu erzähle». Casimir Perier, dem man mit Unrecht Präsidentschaftsgelüste nachsagc, habe über diesen groben Fehler durchaus nicht triumphirt, cS habe aber eine lebhafte Auseinander setzung im Elysee gegeben, deren Inhalt zwar geheim blieb, die aber dock die Abberufung Beauchamp's zur Folge batte. Da dieser jedoch lediglich den wiederholt bestimmten Weisungen deS Generals Bonus Folge geleistet und sick- möglichst taktvoll benommen hatte, ging Casimir Perier aus eine Bitte des Herrn Carnot ein und gab seine Zustimmung, daß Beaiichamp für seine früheren trefflichen Dienste das Kreuz der Ehrenlegion erhielt. — An diese Erzählung knüpft der „Figaro" seine Moral dahingehend an: Was habe man von Leuten zu halten, die, »in ihre Macht zu festigen, sich mit einer Prinzessin von Orleans, der Nichte eines verbannten Thronstrebcrs in Verbindung setzen, waö von einem Secrclär deS Präsidentschaftspalais, der hinter dem Rücken aller Minister unmittelbare Weisungen an einen französischen Agenten im Ausland richte? Diese kindischen, durch das Schicksal zum Scheitern bestimmte» Machenschaften, seien sie nicht ein Beweis, wie sehr die jetzigen Machthaber aufs Geratbewohl, blindlings, ohne Plan »nd Ziel in allen für Frankreich so wichtigen Fragen vergebe»? „Die Anarchie ist, wie man sieht, nicht allein in der Straße und in den Ideen, sie ist auch in den Gehirne» Derer, die nnS regieren, und in der Richtung, die sic Miseren gewichtigsten äußeren An gelegcnheiten gebe». Hier ist die wahre Gefahr. Es ist vielleicht nützlich und gut, auf sic biuzuwciscn." — In der Pariser Presse wirbelt die Erzählung des „Figaro" viel Staub aus. Die conservativen Plätter geben sich den Anschein, die Kopenhagencr Geschickte jür buchstäblich wahr zu ballen, und sprechen von Carnot'S persönlicher Politik und von der Haltlosigkeit der französisch-russischen Beziehungen. Die republikanische» Blätter erkläre», wenn die Geschickt: überhaupt ein Körnlei» Wahrheit enthalte, so könne dies nur ei» ungeschickter Uebereifcr Beauchamp's sein, der auf eigene Faust bade Diplomalie treibe» wollen, ohne von irgend Jemand dazu beauftragt gewesen zu sein. Die Vcrösfent lichiiiig sei ein tückischer orlcanistischer Angriff aus Carnot. Frankreichs Beziehungen zu Rußland seien derart, daß eS lächerlich anmuthc, wenn man erzähle, daß die Gesinnungen des Zaren durch einen kleinen Militairallachc hätte» au-gesorscht werden sollen. — Zweifellos wird die Feuillrtsir. Ellida Lilström. Lbs Roman von H. PalmL-Paysen. Nuchdnnk «ertöte». (Fortsetzung.) „Ellida will sprechen: „Ich bin eS nicht — ich wache — ich höre —" vermag das aber trotz aller Anstrengung nicht. Eie süblt, wie man ikr einen in kaltes Wasser getauchten Schwamm aus die Schläfe drückt und wie eine Hand ihre» Puls umfaßt, eine kalic, zitternde Hand. Sic versucht die Augen zu öffnen und es gelingt ihr auch. Aber statt der zwei Männergestalten, die um sie herum beschäftigt sind, sieht sie nur ein Gewirr von beweglichen, fratzenartigen Kopsen, die auf sie zuzueilen scheinen und ihr einen Schrei enltocken. „Sie wacht — sie lebt — Gott sei Tank", hört sie nun ganz vernehmlich den Intendanten rufe»,' und in dem Augen blick, da sie der eigne Schrei ans einer Art Bann erlöst, ge winnt sie wieder eine gewisse Klarheit und Willenskraft. Sie versucht sich zu erbebe», fällt aber sogleich wieder zurück. „Ruhig, mein liebes Kind", befiehlt energisch der alle Tbcaterarzl, „verhalten Sie sich ganz still." Er wendet sich an Herrn von Hochstedt: „Darf ich bitten, statt meiner den Schwamm einen Augenblick gegen die Schläfe zu kalten — ich will »ns Hilfe, Dienerschaft holen, damit der Herr In tendant fick nicht mehr zu bemühen braucht." „Thun Sie das", tönt es zurück. Der Arzt verläßt das Zimmer — Zinndorf bat cS gleich zu Anfang gethan, um sofort nackzusorschen, wie der Unfall batte entstehen können. Ellida fühlt, wie der Druck gegen ihre Stirn sansicr wird. „Ich tbue Ihnen dock» nicht web, liebes Kind", fragte die theilnebmende, aber sehr unsichere Stimme Herrn von Hock stedt's. Sic will antworten, aber sonderbar, eS ist ibr nicht möglich, auch nur einen Laut aus der Kehle hervorzubringen. Wieder schlägt sie die Augen aus — »nd Gott Lob, >etzt sind cS keine Fratzen mehr, die sic anstarre», jetzt sieht sie voll und klar ein sehr ernstes, ängstlich blickende- Mäuner- gesicht. Ganz impulsiv will sie in ikrem lebhaften Empfinden den Kopf wieder erbeben, woran sie gebindert wird. „Lassen Sie mich gewähren link sprechen Sie nicht", sagt er ia seiner bestimmten Art. „Sie sollen gleich nach Hause gefahren und so lange geschont werden, bis Sie wieder ganz hergestellt sind. Aengsligen — beunruhigen Sie sich durchaus nicht. Ich werde mit Ihrer Dienerin sprechen. Und was Cie heute Abend erlebt haben, daS suchen Sic zu vergessen es wird noch anders kommen — vertagen Sie sich daraus. Cie verstehen mich doch? Nein, nein — nicht spreche». Ich vergaß das. Ich bin ein schlechter Krankenpfleger." Er schweigt. Ellida neigt ihr Köpfchen bei Seite, ihr wird cS sonderbar zu Muthe, unendlich ruhig und glücklich und doch so müde, so müde. So sterben zu dürfe», i» diesem seligen, traumhaften Zustande, dünkt sic eine Seligkeit. Ihre Sinne verwirren sich, sie atbmet ruhig »nd regelmäßig, sic schläft. Ihm erscheint sie, wie sie daliegt aus dem Rnhesopha, in ihren blülhcnwcißen, zarten Tüllgewäiidern mit dem zur Seite geneigten Köpfchen, wie eine zur Erde gefallene Blumen knospe, welcher der Sturm das Köpfchen geknickt bat. Sein so betrachtender Blick bleibt lange aus ihrem bleichen, stillen Gesichlct'en basten. Plötzlich zuckt ihm ein Gedanke durch den Kopf. Sic liegt so still und regungslos da, als wäre sie todt. Unsinn! entweder ist sie bewußtlos geworden oder sie schläft. Nach der furchtbaren Aufregung und Anstrengung und dem letzten, ungeheuren Schrecken etwas ganz Erklär liches. Trotzdem er sich dieses euizuredcn sucht, steht der hochgradig erregte Mann eine namenlose Angst aus Er beugt sich nahe über den bewegungslos daliegenden Mädchcnkopf, ist aber viel zu aufgeregt — wie sehr, weiß er nicht — um den leisen All,cm zu erkenne», der den ein wenig geöffneten Lippe» der Schlummernden entsteigt. Er wagt kaum, den sich rvtbfärbenden Schwamm sortznnebmen, in frisches Wasser zn tauchen »nd wieder aus die Schläfe zu drücken, in der Furcht, etwas zu versehe» oder wehe zu tbun. Er ist in der Tbat ein schlechter und ungeschickter Krankenpfleger und fühlt sich wahrhast erleichtert, als endlick der Arzt mit einer merk würdig auüstasfirten Person — es ist die alte Murre — zu- rückkckrt und ihn seiner Ausgabe entbindet. „Seben Sie nach", sagte er zum Arzt in einem sonderbar rauben Ton, „schläft sie — oder —" Ter Arzt beruhigte ihn und danach die lamcntirende Murre. Er macht Anordnungen bezüglich der Pflege, welche die alle Dienerin aufs Allergenaueste z» befolgen habe. Herr v. Hochstedt stellt seinen Wagen zur Verfügung. Sehr langsam und vorsichtig soll dieser den weilen Weg bis hinaus an« Thor fahren. Der Arzt wird dabei sein. An eine Mitwirkung der Tänzerin in nächster Zeit aus der Bühne ist vorläufig noch nicht zu denken. Genauere« kann erst am nächsten Tage gesagt werden. Das ist der Bescheid, den Herr v. Hochstedt mit hinaus nimmt. Die Aufführung ist längst beendigt, der Vorhang gefallen, aber Alle« befindet sich »och aus der Vükne. Man wünscht zu erfahren, welche Folgen der klnglückssall nach sich gezogen bat, wie e« der ersten Tänzerin geht, und gespannt harren Alle auf Erklärungen u»v Bescheid. Endlich erscheint der Intendant. Mit dräuender Wolke auf der Stirn und einem Blick, der ziemlich deutlich verrätb, was er beabsichtigt, schreitet er mitten hinein in die Künstler »nd Bcamlenschaar. Dem Einen und Andern wird'S angst und bange zu Muthe. Der Capellnieisler bat sich längst davon gemacht, und Fräulein Estclla sucht sich hinter eine Coulisse zu drücken. „Er sieht aus wie rin Löwe — zum Bangewerdcn", murmelt sic vor sich bin. Cie weiß gan; genau, warum ihr das Herz schneller als sonst gegen die Brust schlägt. „Meine Herrschaften", begann Herr v. Hochstedt mit lauter, harter Stimme und richtete seine Augen durchbohrend bald aus Diesen, bald aus Jenen» „cs ist diesen Abend hier ans der Bühne eine unverantwortliche Intrigue gespielt worden. Wer dieselbe ins Werk gesetzt hat, wird schwer hcrauszubringcn sein, und diese Stunde eignet sich nicht zur Untersuchung. Möglich, daß die teuflische Bosheit, der zirium balloriim Fall stricke zu legen, um sie stürzen zu machen, wie geschehen, aus Gründen, die zu nahe liegen, um sic hier erörtern zu brauchen, möglich, daß diese Infamie überhaupt nicht an« Tageslicht zu bringen ist. Man komme mir nur nicht mit Einwendungen, etwa, daß irgend ein Versehen, eine Unordnung, ein Mißver- ständniß oder dergleichen vorlicge. So etwas kann bei einer so gcordnclen und geregelten Biihneiileiiiing. wie der hiesigen, nickt Vorkommen. Hier liegt Absicht vor, Tücke, gemeint, verächtliche Intrigue! Ist Jemand unter Ihnen, der Anz' und Obr offen gehabt, Verdacht geschöpft, vielleicht gar Be weise für die Tbätcrschask rorzubringen bat, der möge sich mclden. ÜS ist einfach Pflicht, und Feigheit, elende Feigheit, wenn eS unterbleibt!" Eine Pause, eine Todtenstille entsteht. Niemand sprich». „Also Beobachter hat eS nicht gegeben", fährt der In tendant mit erhöhter, schärferer Stimme fort, „so muß ich hinfort meine Augen offen kalten — und ich sehe scharf, daö wissen Sie. Zu anderer Stunde mehr." Er wendet sich suchend nach Jemand um, erblickt.stinndorf und fragt: „Wissen Sie, wo der Herr Capellnieister ist?" Zinndors tritt vor. „Herr Sehlen hat nach Schluß der Vorstellung sofort daS Tbcater verlassen." „Glaube es Wohl — glaube cS Wohl, daß er Eile hatte", bemerkt Herr v. Hochstedt sarkastisch, „ich werde mich niorgci: mit ihm auSeinaiidersetzeii." Dan» sich wieder zum Corps wcndcnd: „Das Repertoire wird vorläufig nicht geändert. Fräulein Hclldors übernimmt vorläufig die Partie des Fräu lein Silström. Der Charaktertanz tu vc»ti»m wird gestrichen. Alles klebrige morgen." Eine sehr kurze, sehr bockmiüthige AbschiedSverneigung folgt, eigentlich nur ei» herablassender Wink mit der Hand — der Intendant hat da« Balletcorps entlassen. Wie in einem Ameisenbau, so läuft und wimmelt und rennt cs jetzt durch einander. Tie Bühne ist gleich darauf leer. Der Vorhang wird aufgezogen. Bedienstete eile» »inkcr, um aiisziiränmcn, »>:. Zinndors läßt de» bei Seile geworfenen Teppichstreifen au- dcn Coulisse» hcrvorbolc» und redet noch längere Zeit mii dem erzürnten Vorgesetzten. kit. Capitel. Murre hatte inzwischen ihren Liebling mit der größten Vorsicht und Geschicklichkeit umgekleidct. Was sic empsintci. läßt sich gar nicht beschreiben. Ihre Angst, ihre Empörunq »nd ihr Schmer; über alle Vorkommnisse dieses Abends kannten keine Grenze. Es waren Folterqualen für ihre Secic. Jetzt endlich ganz allein sein zu dürfen mit dem geliebten, stumm und still dalicgendcn Mädchen, das erscheint ihr ein Balsam aus die schmerzciidc» Wuiiteil ihre« gequälten Gc müthcS. O Gott, wer Kälte das gedacht! So schlimm, trrv aller Zweifel und bösen Vorahnung, balle sic sich dock dc:> Abend nicht vorgestellt. Wenn nur erst ihr Liebling wieder wack und gesund und beiter wäre! Mit ihrer rauben, knöchernen Hand streichelte sic leise, ganz leise Ellida'S weiche Wangen. „Die bösen Menschen sind diesen Engel gar nicht Werth", murmelte sie, „wenn'« nicht daS viele Geld wäre — man muß, Gott sei's geklagt, immer auch an die praktische Sciic denken —, wär's besser, wir zögen auf und davon. Wie aber soll'S nun werden, wenn sic nicht mehr austreten, nicki mehr tanzen kan»? Herr des Himmels, wie soll cs werden?" Murre schleicht an die Thür unL horcht hinaus. Dort Kört ne die Herren reden unk nun kommt der Arzt und mu ihm Leute, welche das riiigebülltc, nock in ohiimachtähnlichem Schlaf still taliegende Mädchen behutsam in die Arme
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