02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.03.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-03-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940316027
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-03
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Tabellarischer und Zisfet.nja- nach höherem Tarif. Vxtra-Beilagen lgesalzt), nur mlt der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesärlxrung X 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännalfmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge »«Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh V,9 llhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» ie eine halbe Stunde früher. Aaieigen find stet» an die ExfirDiliou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz i« Leipzig. ^ 137. Freitag den 16. Akär; 1894. 88. Jahrgang. politische Tagesschan. ^ Leipzig, 16. März. Wir warfen gestern die Frage auf, ob 6tras Vaprivi wobl in der Ostcrpause einen Ausweg aus der Enge finden werde, in die ihn die Feindschaft der Gegner tcS russischen Handelsvertrags und der Abfall der demokratischen Freunde Lesseiben versetzt bat. Heule zeigt cs fick', daß die klugen Osficiösen einen solchen Ausweg bereits gesunden baden. Er besteht in der Drohung, Gras Eaprivi werde auf seinem Posten bleiben, wenn man sortsabre, ihn zu ärgern, statt ihm Gelegenheit zu einem „schönen Abgang" zu geben. Der „Hamb. Eorr." schreibt nämlich ganz ernsthaft: „Es sprechen gute Gründe sür die Annahme, daß, wer die Tage deSGrasen Caprivi als Reichskanzler sür gezählt ansieht und glaubt, er werde den schönen Abgang, der ihm durch den Erfolg mit dem deutsch-russischen Handelsverträge gesichert ist, nicht ungenutzt vorübergehen lassen, wenigstens zunächst mit seinem Angriff zurückhalten wird, um de» von ihm erhofften natürlichen Entwicklungsproceß nicht zu stören oder gar zu unterbrechen." Freilich sieht eS durchaus nicht danach aus, als ob die Conser- vativcn Liesen guten Rath befolgen und den Reichskanzler durch Einstellung ihrer Opposition zum Rücktritt veranlassen wollten. Gestern haben sic allerdings im Reichstage Lei der dritten Lesung des Etats dem Anträge Hammacher, die in der zweiten Lesung gestrichenen Forderungen für Magazin bauten zu bewilligen, zugestimmt und damit dem Kriegs- »linisler von Bronsart einen Stein vom Herzen genommen. Ob aber diese Zustimmung den Zweck verfolgt, dem Herrn Reichskanzler einen schönen Abgang zu sichern, ist mindestens fraglich. Viclmcbr scheint die Ankündigung der Organe des Tivoli-EonscrvatiSmus, daß jetzt, nach der Annahme des Handelsvertrags mit Ruß laud, „der Kampf erst recht augehcn" solle, durch eine schlechthin tendenziöse Opposition der conservativcn Fraktionen de» Reichstags und des preußischen AbgcordnctenkauseS nach Art der bedenklichsten Praktiken des „parlamentarischen Regiments" bekräftigt werden zu sollen. Bekanntlich baden im preußischen Abgeordnetenhaus«: bei der EtatSberalhung die dortigen Eonservativen schon ihren Zorn über den Handelsvertrag an den pcrgamcnischcn Skulpturen ausgelassen, sür welche sic, aus die Gefahr des Verderbens der unzulänglich uiitergcbrachtci, Kunstwerke, die Herstellung der »othwendigc» Räume ver- ivrigerten. Jetzt verlautet zuverlässig, daß seitens der Eonscr- vativcn des Abgeordnetenhauses auf die Berweigcrung der Geldbewilligung sür den Elb-Trave-Eanal kingcarbeitct werde. Die Ankündigung, daß Gras Eaprivi gehen werde, wenn man ihm das Bleiben erleichtere, scheint also auf konservativer Seile nicht zu verfangen. Der Herr Reichskanzler wird sich also nach einem andern Mittel umschcn müssen, um die Opposition seiner conservativcn Gegner zu brechen. Bei der zweiten Etatsberatkung im Reichstage trug der Abgeordnete Brbcl in seiner Rede über das Tenkinal für Kaiser Wilhelm l. «große Sicherbeit wegen der vaterlandslosen Gesinnung der Masse seiner Anhänger zur Schau. War diese Beruhigung nicht geheuchelt, so ist sie jedenfalls erst neuesten Da tums. Bisher hat cs die socialdcmokralische Agitation sür »oth- wendig erachtet, sehr viel Mühe daraus zu verwenden, die deutschen Arbeiter von dem nationalen JndissercntismuS der sranzösischcnzu überzeugen. ES haben also offenbar unter den Deutschen Bedenken wegen des kosmopolitischen Ebaraklers der französischen „Genossen" obgewaltet, und diese Bedenken flössen aus einer anderen Quelle, als diejenige ist, von der die TenkmalSrede Singer s ausgegangen ist Im Falle von Aigues-MortcS bat der „Vorwärts" seinen Lesern die absur desten Tinge vorgcsetzt, nur um zu verschleiern, daß sich unter französischen Arbeitern ein RationalitätSgefübl ge zeigt bat. Roch viel größer war seine Bcrlegcnbeit, als auf kein internationalen Socialisteueongreß. der l89l zu Brüssel abgebaltcnwurde, ein französischer Delegirter erklärt batte, er habe den stricten Auftrag, zu bekunden, daß die französischen Socialisten nicht Feinde keS Heeres und auch nicht unter alle» Umständen Gegner des Krieges seien. Der „Vorwärts" berichtete bamais über den Vorfall in der DarstellungSweise eines HosjournalS, wenn eS einen peinlichen „allerhöchsten" Vorsall zu beschönigen bat. So lange die socialdcmvkratischen Führer sich bemüßigt sehen, ihre Anhänger über die vaterländische Gesinnung der sremdcn, insbesondere der französischen Genossen zu lausche», so lange wird man ibrc Behauptung, die Teulschcn seien einem absoluten nationalen Nihilismus angeheimgefallen, Zweifel entgegensetzen dürfen. Herr Singer mag große Gewalt über die Geister haben, als berufener Dollmetsch ihrer Gefühle wird ibn unter den „ziel bewußten", aber ehrlichen Genossen Wohl nur eine Minderheit ansehcu. Bei der Wahl eines ersten Bürgermeisters der öfter rrichischcn Hauptstadt haben die Wiener Antisemiten einen „Erfolg" erzielt, indem eS ihnen gelang, den von der deutsch liberalen Gemeinderatbsmebrheit einhellig zum Bürgermeister Wiens erkorenen Ersten Viccbürgermeister l)r. Richter zum Rücktritt zu nöthigen. Iw. Richter batte nämlich, um mit einer Jüdin eine Eivilehe zu schließen, sich sür consessionSlos erklärt. Zwar erzog er seine Kinder katholisch, hatte auch selber bereits in letzter Zeit seine Rückkehr zur katholischen Kirche ange- mclket, aber der Wcihbischos Angcrcr wollte — wohl als Kirchcnbußc — den Rücktritt erst nach der Wahl zulasscn und die ganze Familienangelegenheit diente den Antisemiten zu Beschimpfungen und zur Androhung von VolkSkundgcbungen, die vielleicht zur Nichtbcstätigung Richter'«, wahrscheinlich aber zur Schädigung der deutsch-liberalen Partei geführt hätten, zumal da noch der formelle Fehler Richter s binziitäm, daß er einmal als Zeuge vor Gericht sich als „katholisch" bezeichnet hatte, als er thatsächlich „eonfcssionSloS" war. ES muß hierzu jedoch bemerkt werden, daß der Zcugcn- cid nach katholischem RitnS zu leisten ist, auch wenn ein Katholik sich consessionSlos erklärt bat, und daß die Angabe Rick'ter'S sich »nr aus die Form des ZcugcncideS bezogen haben soll. Unter solchen Uiiislänbcn glaubte Iw. Richter, den Bürgermcistcrpostcn, obwobl er ihm zweimal angetragcn wurde, ablcbncn zu sollen, und wahrscheinlich wird er auch von seiner Stelle als erster Vicebürgcrmcistcr zurücktrete». Ihren eigentlichen Zweck, den Antisemiten Dr. Lueger aus den Bürgcrmeistcrscffel zu bringe», habe» die Antilibcralen aber doch nicht erreicht: mit großer Mehrheit wurde der zweite Bicebürgermcister vr. Gruebl gewählt» der als Führer der liberalen Bürgcrpartei gegen die Luegerpartci sich großer Sympathien erfreut. Man wollte auch ibn unmöglich machen, weil er mit einer längst verstorbenen Jüdin vermählt war, aber die gegen ihn inscenirte Heye verfing nicht, da bekannt war» daß diese Ehe eine katholische gewesen ist. Gruebl hat als Ziel seines StrcbcnS hingestellt, den Frieden bcrzustellen und den Aufschwung der Stadt hcrbcizusühren. Mögen sich seine Hoffnungen verwirklichen! Im ungarische» Abgcordnctenhause bat die vierte Woche der Generaldebatte über die obligatorische Civil- ehe begonnen. Gegen Ende der vorigen Woche schien eS, als ob alle Parteien der TiSeussion müde wären. Man gewärtigte sür Sonnabend oder Montag den Abschluß der Debatte, allein inzwischen ist ein Ercigniß cingetreten, welches der ganzen politischen Lage einen neuen, kritischen Ebarakter auszukrücken und die äußerste Linke mit der Regierung zu entzweien drobt. Nachrichten aus Turin melden eine jchwcrc Erkrankung Ludwig Kossutb'S, des von de» Magyaren als RalioiialberoS verehrte» DiciawrS der Revo lution, ja, das Ende des 92jäkrigen Greises soll stündlich zu erwarten sein. DaS Ableben Kossutb'S würde die bcille Frage der dem Tobten zu erweisenden Ehren ausrollcn. Mandat Kenntniß davon, daß die Regierung wegen dieser Eventualität dercilö mit den führenden Persönlichkeiten der radikalen Un- abbängigtcitSpartei Füblung gesucht ha«. Der Vcrslän- digungSversuch ist aber beim ersten Anlauf gescheitert, denn die UnabkängigkeitSpartei verlangte sür Kossulh alle jene gesetzgeberischen Ehren, die seinerzeit zur Todlen seier Franz Deüt'S, des weisen BermiitlerS der AuSsöbnung zwischen Dynastie und Nation, bewilligt worden sind, nämlich die gesetzlick,c Immatrikulation der Verdienste Kossutb'S und die Errichtung eines Denkmals aus Staatskosten. Die Silnalion des EabinetS ist eine äußerst schwierige, renn man darf nicht vergessen, daß Kossutb im Jahre 1819 die Absetzung der Dnnastie Habsburg und die Unabhängigkeit Ungarns erklärt, und daß er niemals die Herrschaft des Königs «Franz Josef anerkannt hat. Erst vor Kurzem noch bat er au seine «Freunde in Ungarn das bestimmte Bedangen gestellt, seine Leiche nicht eber ui die Heimath überzusührcn, als bis Ungarns Unabhängigkeit proclamirt sei. Die Gegner der kircken politischen Reformen erachten im Falle des Ablebens Kossutb'S einen schweren Eonslict, die Möglichkeit des FroiitmachenS aller Radicalcn gegen die Regierung, nicht für ausgeschlossen und suchen daher die Debatte bis zum Ableben Kossutb'S hinauS- zuzicben. Wie schwierig die Lage ist, zeigt der Umstand, daß der Kaiser seinen Aufenthalt in Mcntouc abgekürzt bat und bereits heute in Wie» cintrifft, nachdem die Minister Fejcrvary und TiSza dort eingehend mit ihm conscrirt baden. Die Entscheidung liegt in der Hand dkS Monarchen; wir wird sie auSsallen? Niemand verkennt, daH wichtige dvnaslische Interessen sür den Kaiser auf dem Spiele sieben, die ihn, ebenso wie ein rein menschliches Gefühl, abhalten können, einem unbeugsamen Revolutionair gegenüber Groß- mulh wallen zu lasse». Allein die Gro^muth gerade in Dingen der Politik ist ein hervorstechender Zug im Cbarakterbilde Franz Joses'S, und er hat sie namentlich Ungarn gegenüber in den letzten Jabren mehr als einmal in der glänzendsten Weise bcthätigt. Wenn der Kaiser Lader «ruck» die Wünsche der Kossutkschwärmcr nicht in ihrem vollen Umfang erfüllen kann, so ist die Hoffnung doch nicht ganz ausgeschlossen, daß eS seiner Weisheit gelingen wird, einen Ausweg a»S den Schwierigkeiten zu finden, die sich plötzlich der Dynastie wie dem liberalen Ministerium und der Kirchen- rcsorin in Ungarn cntgegcnstcllen. DaS französische Budget ist der Kammer zugegangcn und gesteht offen ein Defecit von 110 Millionen e,n, das zum großen Thcil durch die Getreidczölle, die Frankreich trotz der Freundschaft mit Rußland eben nicht ent behren kann, gedeckt werben soll. Zur weiteren Deckung macht die Regierung verschiedene Vorschläge, darunter auch die Einführung einer Einkommensteuer, deren Höhe nach dem Micthwcrth bemessen werden soll. DaS Problem der El»konii»c»stcucr, von der man in Frankreich so wenig wissen will, wird also ossiciell von der Kauimer gelöst werden müssen. Einen Beitrag zur Lösung des schwierigen Problems glaubt der Abgeordnete Eavaignae, der angebliche Gegner dcS SocialiSmuS, liefern zu können. Sei» Antrag will die Besitzer von kleinen Grundstücken von weniger als zwei Hektare entlasten — diese dürste» etwa 10 Millionen von den 11 Millionen Steuerpflichtigen auSmachen — und dafür die 17 000 Grundbesitzer, die mckr als 200 Hektare besitzen, um Proecnt und die kleineren von 100 und ?.'> Hektaren entsprechend geringer erhöben. Dieser Antrag bat aber bereits scharfe Gegner gesunden, so in dem be kannte» Nalionalökonomeii Paul Lcroy-Beaulicu, der im „Journal des Döbats" treffend auöführt, Eavaignae habe völlig übersehe», daß zwei Hektare in Mctwe oder in einer anderen fruchtbaren Gegend 20 000, 30 000, ja 60 000 «Francs, in der Lozvre oder in den Alpen jedoch »ur lOo oder 200 «Francs werth sind. Der Besitzer von 200 Hektaren in den arme» tagenden müsse also nahezu die doppelte Grundsteuer entrichten, der reiche Bauer des Medoc hingegen bliebe von jeder Abgabe frei. Die politische Folge dcS Eavaignac'scken Vorschlags würde sein, daß die Nichtzablcnden, die ja auch Wähler und in der Mebrbeit sind, schließlich das ganze Budget von den Uebrigcn bezahle» ließen. Bei de» zahlreichen schroffen Gegensätzen in Bezug aus die Steuerreform wird eS jedenfalls zu recht lebhaften Debatten kommen. — Augenblicklich sind diese Fragen durch das Bombenattentat in der Madeleine- lirche in den Hintergrund gedrängt. Die Nachricht von dieser neuesten Iliilhat der Anarchisten, der glück licherweise weiter Niemand als der Attentäter PauwclS, ein a»ö Belgien anSgewicscner Ravacholcancr, zum Opfer gefallen ist, hat in Paris die größte Erregung hervorgerusen, und eS hätte nicht viel gefehlt, so wäre einer der unmittelbar nach der Katastrophe Bcibaftctcn ven der empörten Menge erschlagen worben. Die Empöruiig, welche einen bockgratigeu Ebaraltcr angenommen bat, ist nur zu erklärlich: trotz aller von der Regierung und der Polizei entwickelten Energie, trotz dcS rücksichtslosesten VorgcbcnS gegen die Mordsippe, folgt Attentat auf Attentat. Nirgend« weiß sich der Pariser Bürger mehr sicher, weder in der Deputirtcnlainiucr, »och >m Eas«'-, noch in seiner Wohnung, noch in den geweihte» Räumen der Gotteshäuser. Und sür wen balle das Scheusal PauwclS seine Bombe mit grünem Pulver und Nägeln gefüllt? Zahlreiche Frauen »nd Kinder sülllc» das Schiff dcrMadcleinekirchc,da gerateKatcchiSiiiuslcbrc abgebaltcn wurde. Diese »»schuldigen Kleinen hätte die Bombe zerrisse», wenn der Attciilälcr, wie eS seine Absicht war, sic in eine» Stuhl dcS Mittelschiffes hätte placirc» kennen, »nd sic nicht zu frühzeitig zwischen Kirchcuportal und Windsang er plodirt wäre. Wie verlautet, schweben zwischen «Frankreich und England Verhandlungen wegen gegenseitiger Auslieferung der Anarchisten, a» denen noch verschiedene andere Eabinctte bethciligt sein solle». Vielleicht, daß die jüngste Gräucllbat meuschliche» Wahnwitzes die Verhandlungen beschleunigt und zu einem Abschluß bringt, der die Wiederholung anarchistischer Attentate in absehbarer Zeit uinnöglich macht. Die Beendigung des brasilianische» Aufstandes, so weit Stadt und Bai von Rio de Janeiro in Betracht kommen, bat unter der Bevölkerung der Hauptstadt große Freude bervorgerusen, nicht zuletzt unter den Angehörigen fremder Staate». Wie scbr die Interessen der Letzteren durch den Bürgerkrieg gefährdet waren, zeigt die seit Ausbruch des «Flottenausstandcö »nuittcrbrochene Anwescnbcit fremdinächl- lichcr, auch deutscher Kriegsschiffe in dem Hafen von Rio. Die Lage, in welcher sich die EoiliinaiiLantcn der fremden Kriegsschiffe während dieser ganzen Zeit befanden, war nicht immer eine einfache und leichte. Sic sollten, wo nölhig, Schutz 39, Feuillrtsi,. Lllida Siljlröm. Roman von H. Palme-Payse». Nachdruck verdolm. (Fortsetzung.) Allerlei mimischeBeranstaltungen kommen zur Geltung. Bald singt eine Soubrette ein frisches, lustiges Lied aus diesem oder jenem Schwank oderLiederspiel, bald ert'önt auSeinerMänncrkehle ein zündendes Couplet, in Zusammenhang gebracht mit allerlei Scherzen und Neckereien, die sich aus einzelne Anwesende bc- zieben, Schwächen geißeln, oder auf kleine, vikante Abenteuer Hinzielen. In einem derartigen witzigen Reim, einem von dem ersten oft bei Werner zu Gast geladenen Komiker bar gebrachtcn Scherz, der die Meisten unter Tbränen lachen läßt, fällt das Wort KioSk. Herr v. Hochstedt blickt selbigen Augenblicks sein Gegenüber, die Sonfidia, bedeutsam an und sie nickt zustimmcnd und verständnißvoll mit einer Hand- dewegung, die so viel heißt, wie: ich vergesse nicht« — Geduld! — nachher. Die kluge Verbündete wird einige Augenblicke nachdenklich »nd schaut während dessen zu Ellida Silström hinüber. Sie muß sich trotz eines gewissen neidischen, miß günstigen Sträuben« eingestehcn, daß „die Kleine" — bei näherer Besichtigung — nicht so übel ist. In der That, Ellida zeigt sich heute Abend angeregt und heiter, voll drolliger, scharfsichtiger Einfälle, sie unterhält sich lebhaft und ungezwungen nach allen Seiten. Es entgeht ihr in der Umgebung dadurch Manche-, waS Auge und Sinn betrübt, verletzt batte, WaS unschön war. waS über die Grenzen gesellschaftlicher Form und Weiblichkeit ging. Sie pflegte nn gewöbnlichen Leben gern zu beobachte», aber da« ist diesen Abend, oder vielmehr diese Nacht, vorläufig nicht reckt möglich, so sehr wird sic in Anspruch genommen, zuletzt ganz ausschließlich von dem Lieutenant v. Hochstedt. Sie hat mit ihren blauen, strahlenden Augen bei ihm Unheil angerichtet, jene gefährliche Leidenschaft in dem jungen, vcrwöbnten, leichtsinnigen Lebe mann entzündet, die keine Zügel kennt, selbst vor tadelnS werthen Mitteln nicht znrücksckreckl, wenn eS gilt, irgend eine damit verknüpfte Laune zu befriedigen. Im Princip war er gewillt, nicht zu hciratben, deswegen betrachtete er die Frauen und Mädchen, denen er im Leben begegnete, gleich Blumen, die nur zur Freude, zum Pflücken und Brechen und Berwrlken da waren. Je höher so eine Blume wuchs, je gefahrvoller, je schwerer ihre Stätte, wo sie in ihrer Schönheit blühte, zu erreichen war, destg größer der Reiz dcS Verlangens in ibin. Und Ellida Silström war so eine Wunderblume. „Ich bin ein Narr", sagte er sich, „wenn ich mir die von einem Anderen wegpflücken lasse — gönne sie nicht dem besten Freund", und dabei sicht er RcÜIoff an. der sich niemals so schweigsam gezeigt bat, so in sich gekehrt, der immer nur — schauend dasitzt. Selbst das schon verdrießt Werner, auf Rclltoff könnte er beinabe eifersüchtig sein, weil die kleine Schwedin ibn bereits zweimal in einer allerliebsten Weise ins Gespräch ge zogen bat. Die Sonfidia, die unendlich viel gespöttelt, gelackt, ircnisirt und gewitzclt hat, beabsichtig! nun bald die Tafel aufzuheben, Weil gleich im Nebenzimmer, wie sie sagt: „ein »euer mimischer Ulk vom Stapel gelassen wird", vorder aber noch will sic versuchen, Ellida sür das geheimnißvolle Fest Werner s zu interessiren und zu gewinnen. Lieutenant von Hochstedt hatte seiner Wirtbin soeben eine Artigkeit gesagt über ihr glänzende«, so sehr gelungenes Fest. Daran knüpft sic an: „Sie werden eS selbst schnell genug in Schatten zu stellen wissen durch das Ihrige, Herr von Hoch stedt", sagt sic beiter, „natürlich, ich komme sehr gern — das heißt, wenn Sie den Termin nickt zu weit binauSrücken." „Meine Gönnerin mag denselben nach Gefallen bestimmen", gicbt Werner zur Antwort. „Zu gütig — ich richte mich nach Ihnen und Andern — eS soll doch auch Fräulein Silström paffen." Ellida wendet sich bei Nennung ihres Namen- der Gast geberin zu. „Ich habe meine ganz ergebene Bitte noch nicht zum Aus druck gebracht", erklärte Werner höflich. Ellida siebt ihn, dann die Sonfidia fragend an. „ES betrifft ein Fest, da» der Herr Lieutenant von Hoch stedt der Künstlcrschast zu geben gedenkt", wirst diese nach lässig bin, „ein Fest mit Damen." „Unter denen ich auch Sie, Fräulein Silström, zu finden hoffe und sehr darum bitten möchte" Ellida befindet sich in der größten Verlegenheit. Hat si- sicb schon schwer entschlossen diese« schwelgerische Fest der Sonfidia mitzumachen — so erscheint ihr da« neue Verlangen geradezu unerhört und unmöglich zu erfüllen. „Es ist scbr freundlich von Ihnen, an mich zu denken —" Werner lächelt amüsirt über diese kindlichen Worte, er beabsichtigt, noch sebr bäusig so „freundlich" zu sein. „Adr?', sährt Elltda fort, „ich bin in nächster Zeit sehr beansprucht —" sie stockt, daS Gcsvensi eine« abermals miß glückten Auftretens tritt wieder vor ihre Seele. Die Son- sidia öffnet ihre schillernden Augen sehr weit, und daö ver wirrte Mädchen bedeutsam ansebend, sagte sic, jedes Wort betonend, um den dahinter lauernden Gedanken hcrvortrekcn zu lassen: „Richtig, Sic babcu Ihre Vorstellungen zu er warten — daS ist wohl zu beachten." „Aber die haben Sie >a auch morgen — und dennoch be glücken Sie unsere liebenswürdige Wirtbin", wendet Werner höflich ein, sein Auge hängt unverwandt an Ellida'S Zügen, an dem verlegenen Ausdruck ihres Gesichts. Sie ist so an genehm, so interessant anzuschaucn in der Herbigkeit ihrer Anmuth. Ellida sammelt sich, sie bemerkt, daß cs auf etwas ab gesehen ist. „Fräulein Sonfidia ist — ist eine Dame", antwortet sie und doffl nun genug gesagt zu haben. „Diese Dame rälh Ihnen, verehrte Kleine, nicht gegen, sondern mit dem Strome zu schwimmen. Ich war einst daS, WaS Sie sind" — die Sonfidia biegt sich über den schmalen Tisch weit vor, um nur von Ellida gehört zu werden — „war ich das geblieben — ein Sonfidia" — sie richtete sich prahlerisch wieder aus — wäre ich dann niemals geworden." „Aber was bin ich denn?" fragte Ellida hilflos. „Ein Kind, waS sich nickt ratdcn läßt — ein Nickt- — eine Null — verzeihen Sie, ich bin aufrichtig — eine Tänzerin, die FiaSco macht, weil sie ihre sämnttlichen Verehrer einen nach dem anderen vor den Kops stößt. Sie dürfen die Ein ladung des Herrn von Hochstedt nicht ablcbncn. Sie dürfen nickt. Geben Sie unter meinem Schutze hin, mehr kann ich nicht sür Sie thun." Also auch hier dieselbe Melodie, wenn auch in anderer Variation. Ein dunkler Schallen fällt auf Ellida'S Stimmung. Werner hat sich, während die Sonfidia spricht, krampsbast nach der anderen Seite unterhalten, trotzdem das Ohr offen gehalten sür die ganze zischelnde Rete seiner Verbündeten. Er merkt in Ellida'S tiefer Betretcnbeit ibre in « Wanken geratbencn Entschlüsse, hält e» aber sür klüger, sie sür den Augen blick nicht zu drängen, da der abgeschossene Pfeil da« Vögelchen schon flügellahm gemacht zu haben scheint, eS wird, denkt er, koch — früher oder später in seine Hände fallen. Die Unterhaltung gleitet also von diesem Gegenstände ab, flutbct weiter, bald aber in ein Fahrwasser, aus einen Gegenstand, der Ellida wiederum in eine nicht geringe Verlegenheit versetzt. Hätte sie doch den Ring, ihren TalrSman, zu Hause gelaffen. Wie gestern der Intendant, so entdeckte heute Lieutenant von Hochstedt denselben an ihrer Hand, und eS kommt sehr bald zu einem sür Ellida unendlich quälenden Gespräch, denn Alles, waS ibrc letzte Vergangenheit und diejenige ihrer Eltern betrifft, ist ja so trüb und schmerzlich, daß jedes Rubren daran ihre zarte Seele verletzt, lind nun gar in solcher Gesellschaft, bei einem solchen Gelage, bei Gläserklirrcn »nd Schwatzen, Lachen und Singen. Witzeln und Spötteln. — Die Äugen gehen ibr plötzlich auf. Sic siebt ninbcr, und Wa ste schaut, ist nicht schön. Die Damen, und noch mekr die Herren, bewegen und ballen sich böchst nachlässig, im Stubl zurückgelcbnt, die Hände in den Taschen oder den Arm auf der Stuhllehne der Dame, oder flüsternd mit derselben, fast Lippe an Lippe. Ellida siebt sich »iiwillkürlich ihre Nachbar schas« an. RccktS vor ihr sitz< Millwosch, den Dust eines ganzen Parsümladens auSstrahlend, »r ist forttväbrcnd init seiner Person beschäftigt, mit seiner wie angcklebtcn Frisur, mit seinem scttglänzenden Schnurrbärtchcn, jetzt reibt er sick unter der Tischkantc mit Handsckuhlcder bebarrlich die rosigen, dolchartig zugcspiytc» Nägel. Er trinkt und spricht wenig, blickt meist vor sich bin. bört und siebt Alles. Gottlob, er kümmert sich wenig nm sie und sic auch nicht um ibn. Rclltoff gegenüber belästigt sic nickt, im Gegentbcil, er ist ibr svnipatbiick geworden, »nd den Lieutenant von Hochstedt — Ellida blickt scheu seitwärts, ob auch er, wie Andere da unten an der Tafel bei ihre» Damen, den Arm auf ibrc Stuhllehne gelegt bat. gottlob, nein. Sie ist ibin bciiiabc dankbar für seine höfliche und rücksichtsvolle Haltung. Jetzt und damals, als sie ibn kennen lernte, welch' ein Unterschied. Jene hoch mütdigc Herablassung und nonchalcnte Vertraulichkeit, die ihr Tbränen erpreßte, sie bis in die Seele hinein getcmütkigt, ist dem größten Rcspcct und dem feinsten Anstand gcwrcken. Sie vergißt, daß eS ibr eigenes Verdienst ist, daß sie eS sick und ibrer eigenen Haltung zu danken hat. Aber ein Fest besuchen bei il»m — wer konnte wißen wo —, nimmermebr! Ein Ekel ergreift sie beim Anblick dieser Schwelgereien. Die Luft erscheint ibr schwül und tick, wie zum Durchschneiden, die Düste der Speisen und des Weines, des Cigaretten rauche« — selbst Damen rauchen da unten — erregen eine» dumpten Druck dinier ihrer Stirn, sie sehnt sich fort. Ellida denkt an ra« stille Prosessorstübcben; wie viel lieber hörte sie de« liebe» Professors sanfte. belehrende Stimme, als diese übermülhigc, laute Untcrbattung. wie viel lieber säße sie dort zwischen seinen Büchern und Karten, zwischen den ausgestopften Vögeln, die kleine Spinne im
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