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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.03.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-03-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940320020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894032002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894032002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-03
- Tag1894-03-20
- Monat1894-03
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Häkle nicht unmittelbar nach der An nahme teS Vertrags die Ostcrpause cintrelcn müssen und hätte ein (Gesetzentwurf Vorgelege», dessen Bewilligung die durch jene Annahme vermehrte Sorge der Landwirlbc hätte heben können, so würde er jedensaUs eine überwältigende, aus den conservativen Fractionen, den Nationalliberalen, dem Ccnkrum.den Welfen und den Polen bestehende Mehrheit gesunden haben. Umsomehr sollte man nun erwarten, daß d>e Freunde der Landwirtbschaft diese günstige Slinimung ausnützcn und Anträge zu Gunsten der Landwirtbschaft vorbereiten würden, welche der Zustimmung der Reickslagsmcbrbeit und der ver bündeten Regierungen sicher wären. Statt dessen überschütten taS Organ des Bundes der Landwirthe und die „Kreuz- zeilung" nicht nur die Freunde deS Handelsvertrags mit beleidigenden Borwürfen, sondern kündigen ihnen sogar den Krieg bis aufs Messer an. „Die Conservativen", schreibt beute das Blatt des Herrn von Hammerstein, „hatten in erster Linie die Ausgabe, eine Wirthschaftöpolitik mit aller Energie zu bekämpfen und zu Verbindern, die eine schwere Schädigung der deutschen productiven Arbeit zur Folge hatte und in Zukunst höchstwahrscheinlich in noch höherem Grade baden wird. Nachdem dieser Kampf zum Abschluß gelangt ist, muß der zweite Theil des Dramas beginnen, und das ist der Kampf gegen die Parteien, die jene Politik im „Namen des deutschen Volkes" geschaffen haben. Hier gilt es jetzt, mit allein Nachdruck Abrechnung zu Hallen, wenn gleich die Thatsachen an sich schon genügen werden, überall die wünschenswcrthe Klarheit zu schassen." Und am Schlüsse heißt es: „Bor allen Dingen kommt es jetzt daraus an, die handelSverlrags. srcundiiche Mehrheit nicht eher aus der GesechtSlinie zu lassen, bis der Tag des entscheidenden Kainpses kommen wird, und dieser Zeit punkt liegt ja nicht gar so fern. Jahre sind leine Ewigkeitkni Es gilt nunmehr den Vernichtungskamps gegen den kapitalistischen viberalismus und Alles, was sonst noch zu ihm schwört, zum Aus- trag zu bringen, nachdem die Erfahrung gelehrt hat, daß es in un- irrem PaterlanLe immer noch Elemente giebt, die in Verkennung der reuten Bedürsnisse der deutsche» productiven Arbeit der liberalen sreihuudlerjschen Phrase in entscheidenden Augenblicken Heeressolge leisten. Scharf müssen sich die Geiste r scheiden — dann erst wird unser Vaterland sich wieder jener ruhigen und gedeihlichen Ent- Wickelung ersreuen, die cs dem ersten Staatsmanne des ncugceinten dentschcn Reiches zu danken Halle. Durch Kamps zum Sieg. — Das sei's Panier!" Daß dieser „BernichtungSkampf" sich nicht nur gegen die Parteien richten soll, die zur Annahme des Handelsvertrags niitgcwirkt haben, sondern auch gegen die verbündeten Negierungen wird gerichtet werden müssen, von denen die Vertragspolitik inaugurirt und consegucnt verfolgt worden ist, versteht sich von selbst. Wir wollen gar nicht fragen, wie ein solcher Kampf mit den conservativen Grundsätzen sich verträgt; cs genügt, daraus hinzuweisen, daß er daS gefährlichste Experiment sein würde, das überhaupt gemacht werden könnte. Zum „VernichtungSkampfc" berausgesordert» würden schon die verbündeten Regierungen Waffen genug besitzen, um in diesem Kampfe den Gegnern eine schwere Niederlage zu bereiten; zum Vernichtungskampfe von einer extremen Agrariergruppe gedrängt, würden auch die Vertreter aller anderen wirthschastlichcn und politischen Gruppen sich ihrer Haut in einer Weise zu wehren wissen, die den Angreifern sehr übel bekommen müßte. Die Kosten dieses Kampfes würde natürlich die gesammte Land wirt l> s ch a s i zu bezablen haben. Eben deshalb ist kaum zu besorgen, baß auch nur ein größerer Theil der deutschen Grundbesitzer von dem Bunde der Landwirthe und Len KrcuzzeilungSinänncrn in einen Kamps sich bineintreibc» läßt, der gar keine anderen Folgen haben könnte, als die Ver nicklung der Hoffnungen, welche die Bereitwilligkeit rer Mchrhcitspartcien des Reichstags und der verbündeten Regierungen zu fürsorglichen Maßnahmen für die Landwirtb- schaft bei ihren vernünftigen und loyalen Berlretern erweckt hat. Bei uns in Sachsen wird die „Kreuzztg." durch ihren unsinnigen KainpscSeifcr die schon wiederholt kundgezebcnc Abneigung gegen die preußischen Extremen, die ganz ankere Ziele im Auge haben, als lediglich die Förderung der ge summten deutschen Landwirthschaft, nur noch steigern. Auf Ende März ist ein deutscher Jnnungs- und Hand- wcrkrrtag anberau.nl. Er wird sich mit den „Vorschlägen zur Organisation des Handwerks" beschäftigen, die der preußische Handelsminister der öffentlichen Beurtbeilung unterbreitet hat. Die Versammlung bildet die Repräsenta tion der „Zünftler" und wird sich voraussichtlich wieder für die Einführung der Zwangsinnung und deS Befähigungs nachweises aussprcche». Ucbcr diese Tinge wirb zu reden sein, wenn die Beschlüsse vorliegen. Dagegen cmpfieblt cS sich schon jetzt, die Neuzier zu vcrrathen, wie sich der Jnnungstag diesmal zu der brennenderen Frage des Genossenschaftswesens stellen wird. Die Versammlung, die im Spätwinter 1892 stattfand, hat dazu eine Haltung eingenommen, die allgemeines Kops schütteln erregte. Die Gründung von Genossenschaften war den Handwerkern von verschiedenen Seiten empfohlen worden. Ein Eonservativer, Frhr. v. Broich, batte auscinandergesetzt, daß zu diesem Zwecke StaatShilse (ReichSbankcredit) nöthig, aber auch nicht unerreichbar sei; ihm halten sich der Secrctair des Eenlralausschusscs der deutschen Innungen, vr. Schulz, und Andere angeschlossen. DaS Echo. daS diese durchweg zünft- lcrisch gesinnten Herren erweckten, war absolute Negation, ja Feindseligkeit gegen das GenossenschaftSivesen. Die Führer der extremen Handwerkcrbewegung bekundeten eine auffallende Unkenniniß in Liesen Dingen. Ter rührige Herr Möller aus Dortmund sprach unter dem Beifall der Versammlung das große Wort gelassen au«: DaS Zugäng- lichmachcn der Reichsbank gehöre in daS System de« Borgens und sonst empfehle man doch immer Baarzablung! Der Mann, eine Autorität bei den Zünftlern, glaubte also, daß die Bolkswirthc, wenn sie das Borgen der Handwerker tadeln, diese als Kunden und nicht als Lieferanten aiiffasscn. In Wahrheit hat noch kein vollsinnigcr Mensch den Handwerkern die Ent nahme von Rohstoffen auf Eredit widcrrathcn. Sie wären auch sehr übel daran, wenn sic nur dann Materialien kaufen dürften, wenn sie Geld liegen haben. Sie müsse» einkausen, wenn Bestellungen vorliegen. Weil aber der Bedarf ein permanenter ist, der Geldvorrat!, die Ausnahme bildet und das Creditiren der Kausleute in der Regel den angemessenen Geschäftsgewinn deS Handwerkers schmälert, so ist die nicht nach Gewinn trachtende «Genossenschaft die natürliche Liefe rantin des Handwerks. Es bleibt abzuwarten, ob auck der diesjährige Handwcrkcrtag sich dieser, den Bauern längst ausgegangenen Erkenntniß verschließen wird. Die Unthatcn der Anarchisten, von denen fast alle civili- sirtcn Staaten der Welt in den letzten Jabren heimgesocht wurden, haben anscheinend in den verschiedenen Lagern der internationalen Umsturzparteien vielfach Verwirrung und Ratblosigkeit hervorgerufcn, welche durch die hoch- trabenden Redensarten, mit denen die Hrtzpresse aller Orten Fersllletsn. Ellida SU-röm. 4L) Roman von H. Palms-Paysen. Nachdruck »erdelen, (Fortsetzung.) Werner zuckt verständnißlos die Achseln. „Freilich, cs gilt ein Opfer", seufzt sie. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen. Welches Opfer? " „DaS Opfer ber Selbstüberwindung. Ich möchte den reizendsten der Eavaliere gern wieder lustig sehen." „Sic sind sehr nachsichtig — liebenswürdig habe ich mich heute Abend gegen meine gütige Wirthin gerade^ nicht gezeigt." „Etwas verstimmt — nun ja — begreiflich. Sagen Sie doch — Hand auf's Herz — möchten Sic wirklick,, trotz des Bor- gefallenen die Silström aus Gründen der Wette —" „Pah", unterbricht sie Werner wegwerfend, „die Wette, Millwosch mag seinen Sect bekommen." „AuS irgend welchen anderen Gründen dann, die Kleine im Kiosk seHcn?" „Allerdings, was hätte mich denn sonst verstimmt, als eben diese Aussichtslosigkeit." „Hm, so — ja", die Sonsidia dämpft ihre Stimme, um nicbt von klebrigen gekört zu werben, „was sagen Sie, wen» ich noch einmal den Versuch mache — wenn ich Ihnen das scheue Vögelchen doch noch in den Kiosk locke." „ES wäre reizend, vorausgesetzt", setzt Werner ernsthaft hinzu, „daß Sic Ibr Zicl durch ehrliche Diplomatie und nicht durch Tascheiifpiclcrkünste erreichen." „Selbstverständlich — warum aber dock, so unendlich rücksichtsvoll?" Der junge Hochstedt wird bei dieser Frage beinabe ver legen, er mag nicht eingestehen', daß ihn rin gewisser Rcsyect ror Ellida erfüllt, dies und noch etwas Andere«, was ihm ihren Besuch im Kiosk wertbloS erscheinen läßt, falls derselbe nicht au» freiem Antrieb geschähe. Er weiß kaum, wie er sich berauswinden soll, und das ist ihm der Sonsidia gegenüber allerdings noch nicht passirt. Der Leichtfertige schämt sich eben der Leichtfertigen gegenüber einer edleren, besseren Regung. „Nuo?" fragt die Kokette, durch Werner s Zögern neu- ßierig gemacht, »worauf stützt sich Ihre zarte Rücksicht für ein Persönchen, das Sie, den Neffen des Herrn Intendanten, weiß Gott, bis jetzt nichts weniger als zuvorkommend be handelt und selbst weder Ruf noch Bedeutung hat?" „Sie sind gehässig", weicht Werner aus. „Nur besorgt für Ihren Vortheil. Was geht die künftige Baronin fernerhin die Silström an. ES gilt hier doch nur Wünsche ins Auge zu fassen. Schade, daß ick, nicht etwa- srüher gewußt, welche romantische Sehenswürdigkeiten unsere gute Stadt birgt, welch' ein interessante« Gebcimniß der schöne bereiste Wald — aber Sie hören ja nicht, Sie sind zerstreut, woran denken Sie?" Werner fährt aus tiefen Gedanken auf. „Woran ich denke? — an Ihre unbegrenzte Liebenswürdig keit", redet er sich schnell heraus. „Nun ja, die Liebenswürdige habe ich in der Tbat zu spiele», die unendlich gefällige Collegin: habe Ihrem Scküdling meinen Besuch zu machen, oder vielmehr den mir erwiesenen zu erwidern." Mit assectirtem Seufzen spricht sie sich nun weiter dar über aus und forscht nach Tag und Stunde, wann das Fest im KioSk stattsinden könne. Ihr leises, unablässige« Geflüster gleicht dem Zischen der Schlange; sie glaubt jetzt ein Mittel gefunden zu haben, die „Priesterin der Tugend", von ihrem Piedestal auf schnelle und unfehlbare Art herabzuziehen. 52. Capitel. Ellida hatte bis in den bellen Tag hineingeschlasen und ist dann, um sich von einem dumpfen Druck hinter der Stirn z» befreien, zur Mittagszeit in die sriscbe Luft gegangen. Draußen glitzert und flimmert der weiße, hartgefrorene Schnee aus Wegen und Dächern »n Sonnenschein eines herrlichen WintertageS. Mil jeder Minute wird'- ihr leichter zu Muthe, Licht und Luft besitzen eine befreiende Kraft auck für die be drückteste Seele. Sie legt mit ihren leichten, schnellen Sckrilten ein ganze Anzahl Straffen zurück; hinan« ins Feld ru geben, darf sie beule nicht wagen, sie dark sich nickt ermüden, der Abend dieses Tages entscheidet über ihre nächste Zukunft, und natürlich lenken sich alle ihre Gedanken daraus hin. Miß- tönig widcrballe» dazwischen auch wobl die in der Nacht «„gestimmten Saiten. Ihr gereckter, prüfender, analysirender Sinn findet an dem eigenen Thun immer noch etwa- zu bemängeln und zu bereuen, und so bedauert sie eS heute, sich der Sonsidia gegenüber so offen auSgesprocheu, sie verletzt und erzürnt und insolgedessen sich von ihr in gegenseitiger Mißstimmung verabschiedet zu haben, die« auch nicht einmal nur so um sich wirft, nickt verdeckt, sondern erst recht ins Licht gestellt wird. Das letzte Ideal aller Anscindcr der bestehenden sittlichen Weltordnung, das Wcltchaos. kann erst dann wirklich werden, wenn das letzte Fünkchen gesunden Menschenverstandes bei de», großen Hausen durch den Hetzphrasenschwall der Socialrevotlitionaire hinweggesckwciniiil sein wird» oder die jetzigen Macktsactoren freiwillig abgetanst baden werden. Von freiwilliger Abdankung von Staat und Gesellschaft kann nun aber durch«»- keine Rede sei», und in den Massen steckt, eiiislwcilen iveiiigstens, auck »ock zu viel gesunder Mcnschc»- verstand, als daß sic jeden Blödsinn, der in Presse und Volksversammlung, ja selbst iin Parlament, von den führenden Genossen verzapft wird, unbesehen kinnehmcn sollten. Herr Bebel weiß am beste», warum er den Anbruch de« großen Kladdcradalschcs, den er wiederholt für dieses oder jenes Datum mit tödtlickcr Sicherheit prophezeit hatte, immer wieder hinaussckicbt: er fürchtet, sich zu blamiren, und das will er bei seinen Lebzeiten doch nach Kräften verhindern. Seine mit Bezug aus den socialdemokratiscken Zukunslöslaat proclamirte Mauserungs- und „allmähliche HineinwachSlhuinS- lehre" ist »un durck die sich häusendcn Sprengboinben- attentate recht häßlich durchkreuzt worden. Zahlreiche Arbeiter, die im socialdeniokratisckcn Heerbann nur so „mit- laufen", sind stutzig geworden, und wenn sie sich einstweilen auch nicht offen gegen den Terrorismus und das Partei- spitzelwescn anfzulehnen wagen, so trete» doch Anzeichen eines beginnenden passiven Widerstandes aus, die deS Interesses nicht ermangeln. Die frühere Begeisterung für die „gerechte Sacke der völkerbcsreiendcn Social- dcinokratie" ist zwar noch nicht im Schwinden, aber seitdem das Sprengbandilciithuni den Rcvolutionaircn in Schlafrock und Pantoffeln die Führung im Kampfe gegen das Bestehende streitig mackt und die altersschwach gewordenen Parteipsründner höhnisch an das Damals erinnert, wo sic noch nickt in der Wolle saßen, sondern cS den ärgsten Anar chisten von beute in Brandreden und Beilästcrungcn der herrschenden Elasse glcichtbatcn, regt sich in de» Genossen ein starkes Mißtrauen gegen die allen Führer. So kommt cs, daß den Führern der Soeiatdemokratie ein Anarchist weit verhaßter ist, als der ärgste Bourgeois: der Anarchismus ist eben der schlimmste Feind des SocialiSmus. Hätte der belgische Ministerpräsident Bccrnaert in dem zehnjährigen Verlaufe seiner Amlsthätigkcit sein Ent lassungsgesuch als erfolgreiches Mittel, seinen Willen gegen die Reckte tnrchzusetzc», nicht schon so oft eingcreicbt, man wäre diesmal geneigt, zu glauben, er sei jetzt ernstlich der Ebieanc» der Majorität müde und wolle thatsächlich die Ablehnung deS ProportionalgesctzcntwurfS seitens der Sektionen zum Anlaß seines Rücktrittes ncbmcn; denn eS ist immerbin auffallend, daß er nicht davor zurüctschcut, den König, der sich ans einem seiner Ausflüge befindet, während deren er sich nicht gern j„con»»odiren läßt, nach Brüssel zurückru- bittei». Allein wir möchten dem machtliebenden und ehr geizigen Ministerpräsidenten um so weniger Zutrauen, daß er die Flinte cndgiltig ins Korn wirst, als er dadurch nicht nur die Einführung der verbältnißniäßigen Vertretung zur Un möglichkeit machen, sondern auch seinem grimmen Wider sacher, dem klerikal-rcactionairen Woefte, der schon auf den Augenblick lauert, wo er die ledigen RrgierungSzügcl an sich rechen kann, einen Triumph bereiten würde, den er vielleicht noch weniger als den Verlust seiner Machtstellung ver schmerzen könnte. Die Lage ist übrigens keineswegs so ver zweifelt, wie sie mit begreiflich« Schadenfreude, aber auch mit absichtlicher UedertrcibuWg von den Hegurrn der ver- hältnißmäßigen Bertrstung dtrßsfttllt wird. Die Ablehnung der Borlage in den MAlkc^Wchen wurde hauptsächlich durch die Radccalen verschuldet. obgleich im Grunde Anhänger der verbältnißniäßigen Vertretung, doch gegen die Vorlage stimnicn zu müssen glaubten, weil sie mit der darin vor gesehenen Beibehaltung der bisherigen WahlkreiSeintbeilung, mit der Festsetzung einer zum Anspruch auf parlamentarische Vertretung erforderlichen Mindestanzahl von Stimmen und mit der Bezeichnung der Reihenfolge der Kandidaten durch die Walilvercinigunzen nickt einverstanden sind. Wenn Bcernaerl sich über diese im Grunde unwesentlichen Punele mit den Radicalcn vergleichen kann, dann sind ihm deren Stimmen sicher und die Wahlvorlage ist gerettet. Da außerdem »ock 19 Abgeordnete, welche sich in den Ab tbcilungen der Abstimmung enthielten, bei der letzten Ent scheidung mit viel größerer Wahrscheinlichkeit für alS gegen die Regiernngsvorlagc stimme» werden und mehrere Ab geordnete sich für die Schlußabsiimmung ein bejahendes Votum noch Vorbehalten baden, so erbellt die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß die Regierung im Plenum dock noch die Mehrheit erhält. Die Lösung der Krise wird nickt mebr lange auf sich warten lassen, da der König am Mittwoch in Brüssel zurück sein wird. AlS überzeugter Anhänger der verbältnißniäßigen Vertretung wird er Alles versuchen, um Bcernaerl zur Zurücknahme seines EntlassungSgcsuchs zu vermögen. Vielleicht besinnt sich bis dabin auch noch die gemäßigte Linke, welcher daS Proportionalsyskcm die einzige Möglichkeit biclct, den verbündeten Radicalcn und wocialisten einerseits und de» Klerikalen andererseits gegenüber eine geachtete und selbstständige Stellung zu behaupten, auf ihren Vortbcil und macht sich von der Gefolgschaft Woeste'S koS, der ihr, um sie beim Sturmlauf aus daS Ministerium Becrnacrt an seine Fahne zu fesseln, ein Wahlsystem ver spricht, das alle Wünsche der gemäßigt Liberalen weil llbrr- trcffen soll, im Grunde aber nur die klerikale Herrschaft sichern würde. lieber Frankreich schwebte in den letzten Tagen die drohende Wolke einer CabinetSkrise, deren ahnungsloser Urheber der Senat war. Nachdem am Sonnabend die Deputirtenkamincr den vom Ministerpräsidenten Easimir Per;er lebhaft bcsürworteteu Aubrag Reürach auf Errichtung eine« eigenen Colonialminsterium« mit erheblicher Majorität angcnominen hatte, widersctzte sich der Senat dem Wunsche Perier's. dem Anträge nun sofort die Sanction zu crtbcilcn, beschloß vielmehr, die Bcrathung bis nach Ostern zu verschieben, und vertagte sich sodann biS zum 2». April, also auf fünf Wochen. Der Ministerpräsident aber, den der plötzliche Rücktritt deS die jetzige Cvlonialwirtbschast scharf vcr- urthcilendcn Eolonial-UntcrstaatSsccretairS Lcbon etwas nervös und seine Kammerersolgc etwas hochsabrend gemacht zu baden scheinen, drehte, wicwobl er bei der Bcrathung selbst die EabinelSsragc nicht gestellt hatte, mit seinem Rücktritt und ließ sich auch von den zu ihm geeilten Vorständen der republikanischen Senatszruppen nicht beschwichtigen; wenn der Senat wirklich, wie man ihn versichere, keine feindselige Absicht gegen das Cabinct gehabt bade, dann möge er dies unverzüglich durch einen BcrtraucnSbesckluß beweisen. Die Verlegenheit war groß, denn der Senat batle seine Ferien bereits anaetreten, aber die durch Casimir Pcrier'S Empfind lichkeit geschaffene Lage war so verzwickt, daß Präsident CbaUemrl-Lacour sich dazu verstehen mußte, die Senatoren telegraphisch aus Montag wieder zurückzurufen. Und „alle, alle kamen", c« war ja keinem von ihnen eingefallen, der Errichtung eines besondere» ColonialminisieriumS ernstliche Schwierigkeiten in den Weg zu legen, sie batten die Sache nur nicht für so dringlich gehalten, wie der Ministerpräsident, und waren höch lichst erstaunt gewesen, als sie sahen, was sie angerichtet. Wie vorauszusehen, bewilligte denn auck der Senat mit erdrücken der Majorität bas Colonialministerium und den dazu nölhigen Credit. Somit hat Herr Casimir Perier sein Vertrauens wieder gut macken zu können. Binnen einer Woche heißt eS, wird sie die hiesige Stadt, ihre Freunde und Bekannte und sie, Ellida, als — Feindin verlassen. Ellida macht sich Bor würfe. Dann gleiten ihre Gedanken wieder zu dem bevor stehenden Abend und der Vorstellung, die eine oder andere rhythmische Tanzweise schwirrt ihr durch den Kvpf, daS eine oder andere Gesicht taucht vor ihrem ionereu Auge auf, daS der ersten Tänzerin, mit der sie diese Fiaur auSzufüdren bat, Edith Honnegger'S und Zindorf'S «Jesicht, und mit einem Sprung ihres beweglichen Geistes ist sie daun auch bei dem Intendanten von Hochstedt und just wieder auf jenem Platze, wo er mit ihr daS Gespräch über den Ring geführt hat. Die Erinnerung an diese wunderschöne Stunde leuchtet wie ein Licht in all ihr Denken hinein. Während dieses Kreislaufes ihrer Gedanken ist sie in zwischen wieder zurück in ihre Straße gekehrt. Einige Hundert Schritte trennen sie noch von ihrer Wohnung. Sie hat eben vor einem Bildcrladcn gestanden und sich eine Rafacl'sche Madonna lange angcschaut, in dem Augenblick, da sie weiter an der breiten EingangSlhür deS Ladens vor- beischreitet, sieht sie Herrn v. Hochstedt auS diesem bcr- auStreten. Ein Blick — ein Gruß, sie denkt unter über fliegendem Roth, daß damit die Ueberraschung vorbei ist, obgleich sie seine Schritte dicht binter sich hört, aber dann auch plötzlich seine Stimme. Er schreitet neben ibr ber auf der öffentlichen Straße. Er schämt sich ihrer nicht. Was ist sie gegen ihn? Wie die Sonsidia sagt: ein Nichts — eine Null, eine Tänzerin, die auSgezischt ist und der heule Abend daS Gleiche passiren kann. Wenn auck — Ellida hebt ibr Köpfchen plötzlich mit einer ruhig stolze» Bewegung, als wäre sie ein Prinzeß- chen — sie ist Ellida Silström, ja und weiter nichts, doch aber ein in der Brandung de» Lebens von Wogen uinstürntteS Wesen, daS sich aus eigener Kraft ausrecht zu kalten gewußt bat. Sie darf ihren Blick noch klar und frei zu ihm ausdeben. Während der ersten paar Worte begegnen sich die Augen Beider. Die kleine Tänzerin nimmt den leuchtenden Strahl des seinigen wie ein Geschenk entgegen. Er tragt wieder seinen Pelz, Ellida ibr blaue«» scalskinbesetzle« Tuchjäckchcn und da» Barett auf dem blonden Kopf, der ihm fast bis zur Schulter reicht. Der Intendant hat es, in seiner Stellung, diesem Mädchen gegenüber, gewiß nicht nöthig, die Bemerkung zu machen, Fräulein Silström möge ihm gestatte». ein paar Schrille mit ihr gehen zu dürfen, bi« zu seiner nabegelegencn Wohnung. Er thut eS aber. Er begegnet ihr immer wie einer Dame gleichen Stande«. Sir sprechen von sehr unbedeutenden Dingen. Vom Theat« fveiÜch nicht-, er liebt das nicht, und sie scheint da« schnell heraschgrsühlt zu baden Sie sprechen von ihrem gemeinsamen Freunde, vom Prsscssor und seiner Familie. Ellida erMlt ihm von dem, waS in jenem Briefe an sie gestanden bat. „Nämlich", sagt sie, „daß ich schon nach Verlauf dieses Monats wieder in sein Haus kommen kann, und wenn ich will, früher." „Worauf Sie sich sehr freuen werden", fragt er. „Ick wobne tbatsächlich lieber in freier Umgebung — ja — selbst im Winter lieber draußen, wie in ber Stadt» ob gleich ich —" fügt sie plötzlich, der letzten Geschehnisse sich erinnernd, etwas befangen hinzu, „obgleich ich mit meiner jetzigen Wohnung hier in der Straße sehr zufrieden sei» kann." „Ich weiß — ich weiß — bade davon gekört", entgegnet der Intendant mit einem flüchtigen Seitenblick — „vom Professor" — fügt er etwas hastig hinzu, ohne Ellida'« ver legenes Lächeln zu bemerken, denn er denkt in einer bitteren Aufwallung, die beinahe» wenn nicht schon sehr stark an Eifersucht grenzt: Sehr »alürlick, daß sie lieber bei dem Professor als in meiner Nähe wovnt. Freilich, letztere« mag sic gar nickt wissen, und wenn doch — dann wird'« ihr gleickcsiltig sein. Selbstquälerisch wünscht er dies auch zu hören und zu beobachten und sagt: „Mein Berus weist mich auf die Stadt an. Auch ick wohne in dieser Straße, gegenüber Berger'S Hotel." Daß dieses an Ellida's HauS grenzt, weiß er und siebt sie, während er spricht, scharf an. Ein verlegener Blick huscht zu ihm aus. „Ja, Sie wohnen mir gegenüber." „Waö Sie durck Ihren Professor gehört haben werden?" Er kann diese beißenden Einstreuungen, die Ellida ganz harmlos aussaßt, nun einmal nicht lassen. Wissen mochte er aber doch, woher sie diese Kenntniß erhalten, vielleicht durch den Namen an der HauSthür — oder — nun, er wird eS ja hören. Daß er taS sunqe Gesicktchen plötzlich erglühen sieht, befremdet ihn im höchsten Grade und ebenso ihre zögernde Antwort. „Ist cS denn ein Gebeimniß?" fragt er daraus nochmals, und lächelt dabei. Sie ist so sehr reizend in dieser Ver legenheit. ,O. nein — ich habe eS bemerkt — zufällig —" „Sie haben mich hineingehrn sehen, und daS Uebrige daraus gefolgert, nicht wahr?"
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