02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.04.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940418020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894041802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894041802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-04
- Tag1894-04-18
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Tabellarischer und Ziffer»)«» nach höherem Tarif. ^rtra-Vetlagk» (gesalzt», nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Posibesörderuag 60.—, mit Posibeförderung .« 70.—. Annatimeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: ZiormittagS 10 Uhr. Marge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn, und Festtag« früh V,9 Uhr. Bei den Filialen und sllnnahmesiellcn je rin« halbe Stande früher. Anzeige« sind stets an die Expeditt«» zu rtärten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Mittwoch oen 18. April 1894. 88. Jahrgang. Die Finanzlage des Reiches. Angesicht» der großen Bedeutung, welche die am Montag iu der Steucrcommission des Reichstags abgegebene Erklärung des ReichSschatzsccretairs Grafen Posadowsky-Wehner für die Beurtheilung der Finanzlage des Reiches und dpS l von Herrn Richter unternommenen Bersuchs zur Verschleierung ' der Tbalsachen bat, lassen wir diese vom „Reichs-Anzeiger" mitgetbeilte Erklärung hier wörtlich folgen. Graf Posa- dowskq sagte: Bor dem Eintritt in die Berathung des Tabaksteuer-Geietz- eatwurss halte ich mich verpflichtet, eine kurze Darlegung der Finanz- luge de- Reichs für die nächste Zukunft zu geben, soweit sich dieselbe schon jetzt init einiger Sicherheit übersehen läßt. Es ist dies von Werth für die Beurtheilung der Frage, ob und in welchem Umsange es neben der Erhöhung der Reichs-Stempelabgaben noch der Erschließung weiterer Ein nahmequellen bedarf, um bei voller Ausrechterhallung der clkusul» Francken stein den Haushalt des Reichs mindestens ohne Hcrauszahlungen seitens der Bundesstaaten zu führen? Ich knüpfe dabei an den für das laufende Rechnungsjahr (189495) festgestelllen Etat a». Nach Maßgabe desselben belaufen sich die Matricularbeiträge auf 397 497 420 -« Darunter befinden sich jedoch an Aequivalenten, welche von den an der Post- und Brausteuer-Gemein- schost nicht betheiligten Staaten, sowie von Bauern zum Ausgleich für die Einnahmen der Miliiair- Verwaltung zu zahlen sind 11571 204 - Es bleiben hiernach an reinen Matricular- beitrügen 385926 216 » Demgegenüber beziffern sich die Ueberweisungen aus Zöllen, Branntwein»Verbrauchsabgaben und Ltempelabgaben aus . 355 450 000 - Die Ueberweisungen bleiben mithin hinter den allen Bundesstaaten gemeinschaftlichen Matricular- beiträgen zurück um 30 476 216 .« Würde für den Fall der Annahme der Stempel- steuernovelle nach den Lommiisionsbeschlüssen das Mehrauskommen aus der Börjenfteuer und dem Lotteriestempel im Beharrungszustande ent- iprecheud der bisherigen Schätzung sich belaufe» auf 24 000 000 - woraus iudeß in dem ersten Jahre sicher nicht und auch in den folgenden Jahren bei dem allgemeinen Rückgang des börsenmäßiaen Umsatzes kaum zu rechnen ist, so reduciren sich die durch klebe» Weisungen nicht gedeckten Matricular. beitrage bei Fortdauer des für 1894/95 veranschlagten Einnahmebetrags und AusgabebedarfS auf . 6 476 216 .« Versucht man, von dieser Grundlage ausgehend, sich ein Bild der Finanzlage im nächstfolgenden Etaisjahre 1895 96 zu machen,so lassen sich die noch, stehenden Aenderungen im Vergleich zum Etat für 1894/95 schon gegenwärtig als feststehend oder doch wahrscheinlich bezeichnen. I. Bezüglich der zu erwartenden Mehraus gaben sind an sicheren, aus Gesetz oder etats- mäßigen Vereinbarungen beruhenden Verpflichtungen zu erwähnen: 1) Zuschuß des Reichs zur Jnvaliditäts- und Altersversicherung 6 140 000 .« 2) Steigerung beim allgemeinen Pensionsfonds 2000000 3) Zur planmäßigen Personalvermchrung bei der Marine (3, Rate) 930000 Diesen Mehrausgaben treten hinzu: 4) Zur Verzinsung der Reichsschuld .... 4 000000 Summe I 13 070 000 .« ll. Die etatsmäßlgen Einnahmen lassen sich, soweit ihre Ber »vschlagung aus Grund einer Fraction erfolgt, schon gegenwärtig mit ausreichender Sicherheit beziffern, La das Ergebniß für 1893/94 bereits von ll Monaten rechnungsmäßig sestfteht und mithin nur ein Monat (März 1893) noch ungewiß bleibt. Leider versagt diese Methode bei der wichtigsten Einnahmequelle — den Zöllen, Infolge der Handelsverträge haben sich die Ver hältnisse aus diesem Gebiet so verändert, daß allenfalls eine zwei- jährige Fraction (1892 93 und 1893 94) zu Grunde gelegt werden kann. Verführe man derartig, so ergebe sich im Vergleich zum Etat des laufeuden Jahres eine voraussichtliche Minder-Einnahme von 7 836000 .« Andererseits ist anzuerkenne», daß in den beiden letztverslossenen Etatjahren die Gctreideeinsuhr infolge der guten heimische» Ernte hinter dem regelmäßigen Ersorderniß zurück geblieben ist, und daß sich deshalb für 1895 96 vielleicht aus einen stärkeren Import und demgemäß aus entsprechend höhere Zollerträge rechnen läßt. Ich sehe deshalb für den vorliegenden Zweck und ohne Präjudiz für die spätere Etatsausstellung davon ab, bei den Zöllen — wie an sich gerechtfertigt wäre — einen Einnahmeaussall in Rechnung zu stellen, wenngleich infolge der Aufhebung des Iden titätsnachweises ein Zollausfall zu erwarten ist. Ebenso bringe ich die Zuckerstener in der gleichen Höhe wie für das lausende Jahr in Ansatz, Ter Einnahmc-Anschlag im Etats- ciitwurs ist bekanntlich aus Antrag der Budgetcommission von dem Reichstage um 5 Millionen Mark erhöbt worden. Das hat zur Folge, daß noch der herkömmlichen dreijährigen Fraction gegen den so erhöhten ElatSansatz ein Rückgang von 1826 000 .« an>chlagS- mäßig sich ergeben würde. Ich taffe jedoch auch hier die an sich gerechtfertigte Herabmmderung aus sich beruhen und stelle die Zucker- steuererträge mit der Ziffer des lausenden Etats ein. Dies vorausqeschickt, ergiebt sich folgendes Bild: ». Mehr-Einnahmen: 1) Zölle - 2) Tabaksteuer 16000 .« 3) Zuckersteuer — 4) Salzsteuer 458 000 5) Branntwein. (Maischbottich- und Material steuer) 742 000 6) Brausteuer und Uebergongsabgabe . . . 279000 7) Spielkartenstempel 33000 8) Wechselstempel 112 000 9) Statistische Gebühr 20000 10) Mehr-Ueberschuß aus 1893 94 im Vergleich zu dem pro 1894 95 eingestellten Ueberschuß aus 1892-93 (3 926 000 statt 1140000 .«) rund . 2 800000 Summe 4 460 000 d. Minder-Einnahmen: 1) bei der Branntwein-Bcrbrauchs-Abgabe (als Folge der nach den gesetzlichen Bestimmungen vor- zunehinenden Neucontiugenlirung) . 1545 000 2) bei der Reichsstempelabgabe (ohne Rücksicht auf die vorer wähnten Mehrerträge aus der bevor- stehenden Aenderung des Gesetzes) 1504000 - ES beträgtderAussallfür 1893 94 gegen den Etat rund 6 500 000 .« und dürften die Ursachen dieses Aus falls auch auf die Erträge aus der Stempelsteuernovelle einwirken. 3) An Erlösen aus den Stettiner Fcstungsgrundstücken 575 300 - 3 624 300 X Hiernach sind an Mehr-Einnahmen nur zu er- warten 835 700 .« Die Mehrausgaben belaufen sich auf. . . .13 070 OM Bleiben ungedeckt 12 234 300 so daß die Belastung der Bundesstaaten steigt auf 18 710 516 .« Die Ueberschüsse der Betriebsverwaltungen sind in gleicher Höhe wie pro 1894 95 angenommen mit Rücksicht daraus, daß der Reichs tag für letzteres Etaisjahr das Einnahme-Soll erhöht hat: bei der Postverwaltung um . . 3 470 OM.« bei der Eiscnbahnverwaltung um 3 OM OM - Ebenso entziehen sich bei den Ansgabeverwaltungen (mit Aus- nähme der Alters- und Invalidenversicherung, Personalvermehrung der Marine, Pensionssonds und Rcichsschuld) die Aenderungen be- ziehungsweise Ausgabcsteigerunacn zur Zeit der Schätzung, Der Natur der Sache nach sind solche unausbleiblich, Beispiels- weise haben betragen die fortdauernden Ausgaben für das Reichrheer — einschließlich des bayerischen Contingents — im Durchschnitt der Jahre: 1885 86 bis 1887 88 354 051257.« 1888 89 -1890 91 390 039 732 - 1891 92 - 1893 94 (für letzteres Jahr schätzungsweise) 441 898 236 - Die am 1. Lctober v. I, eingetretene Heeresverslärkung ist hierbei unberücksichtigt geblieben. Der noch rückständige Auswand sür die Heeresverslärkung von 9 969 538 .« dürste sich annähernd be- gleichen durch die Mehreinnahmen, welche in Folge des künftige» Wegfalls der Zucker-Aussuhrprämicu zu erwarten stehen. Äehnliche Steigerungen wie bei dem Heeres-Etat zeigen sich auch bei andere» Vcrwaltungszweigcn. Die dem Reich aus der Alters- und Jnvaliditätsversicherung er- wachsenden Ausgabe» dürsten sich (abgesehen von dem Aufwand sür Angehörige der ReichSbetricbe) am Schluß des JahrhundcrlS (1899 1900) aus 32 700 000 .« belaufen, d. i. gegen den Etat sür 1894 95 ein Mehr von 18 740 OM .« Ferner ist anzunehmen, daß die für 189495 abgesetzten Ausgaben zum Theil vo» Neuem angefordert werden müssen und daß auch, wie oben bereits angcdeulet, naturgemäß in der weiteren Ent wickelung der Reichsverwaltung neue Ausgaben dervortrelen werde», welche in den wachsenden Einnahmen kein« Ausgleichung finden. Geht man aus die Verhältnisse der Einzelstaalen sür das Jahr 1894 95 über, so ist nicht zu erwarten, Laß im tausenden durch die Stempelsteuer ein höherer Mehrerlrag als 15000000 .« aui- konimt: es würden mithin von den Bundesstaaten noch 15 476 21«;.« zu den Ueberweisungen zuzuschießen sein oder die reinen Matricular- beitrüge würden die Summe der Ueberweisungen noch um weitere 15 476 216 .« übersteigen. Tie Ueberweisungen iür das ver- gangene Jahr werden um rund 10000000 .« hinter dem Etat zurückblciben. Erwägt man schließlich, daß noch 1892 93 die Ueberweisungen die Summe der Matricularbeiträge um 42 623 313 .« überstiegen, so würden sich hiernach sür 1894/95 di« Verhältnisse derEtnzelstaaten gegen daSJahr 1892 93 UMÜ8 099 529.« verschlechtern. Sieht man selbst von jeder festen gesetzlich sestgelegten lieber- Weisung an die Einzelstaaten ab, so ergiebt sich doch aus den oben erläuterten Zahlen, daß schon zur Balancirung zwischen Matricularbeiträgen und Ueberweisungen neue Mittel sür das Reich flüssig zu machen sind. Hierbei wird nach der Aus- sassung der verbündeten Regierungen insbesondere aus eine stärkere Belastung des Tabaks nicht verzichtet werden können. politische Tagesschau. * Leipzig, 18. April. Im Reichstage ist cS gestern den Konservativen und dem Zentrum mit der Unterstützung der Socialdemo- kraten gelungen, die Vorlage wegen Verlängerung der llcbergangszeit sür den Fortbildungöschulunter- richt am Sonntage um weitere drei Jahre zu Falle zu bringen. Vergebens versicherte der preußische Gewerbe minister v. Berlepsch abermals, daß die verbündeten Regierungen die Vorlage nicht gemacht haben würden, wenn sie nicht die bestimmte Hoffnung beglen, daß eine bcsriedigende Verständigung über den Sonnlagsunterricht da, wo sie nicht bereits erfolgt sei, in den nächsten drei Jahren erreicht werden würde. Vergebens wies er daraus bin, daß die preußische Regierung, wenn die Vor lage abgelehnt werde, sich's überlegen müsse, ob sie nicht dem Landtage eine Vorlage machen solle, durch welche der Fort- bildungSunlerricht auf Tagesstunden in der Woche gelegt würde. Trotzdem oder vielleicht gerade wegen des letzteren Hinweises stimmten die Vorkämpfer der kirch lichen Ansprüche beider Konfessionen gegen die Vorlage gegen die auch die Abgg. Liebknecht und Genoffen auö de kanntcr und oft bethatigter Liebe sür die Kleingewerbe, treibenden cintraten. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist natürlich noch nicht gesprochen; zunächst würde eS inter essant sei», wenn diesen Verhältnissen nahe stehende Personen feststellen wollten, wie der Kirchenbesuch der aus der Fort bildungSsckiile auSgesperrten jungen Leute sich gestalten wird. Bis aus Weiteres glauben wir, daß von den Parteien, die gestern den bedauerlichen Beschluß faßten, nur die Social demokratie dabei auf ihre Rechnung kommen wird. Die Bcrathungcn der Steuercommission deS Reichs tages über die Tabnksteuervorlagr werden wohl heute beendet werden. Der entscheidende Paragraph derselben wird ohne Zweifel abgclehn«, die Weinstcucr und die Finanzreform vorlage kommen wobl überhaupt nicht mehr zur Berathung, Auch das Plenum wird sich schwerlich mehr mit der Sache zu beschäftigen baben, ES scblt eben wegen der vorgerückten Jahreszeit und der abgeneigten Stimmung der Mehrheit der ReichStagömilglieder die Möglichkeit, jetzt noch in eine ernste ächliche Erörterung dieser schwierigen Gesetzentwürfe mit irgend welcher Aussicht ans Ersolg einzutrcten. Es muß aber scharf her- vorzehoben werden, daß damit lediglich eine Bert aguna, nicht eine endgiltige Ablehnung der Vorlagen oder gar eine Lösung der Finanzrcsormsrage vollzogen ist. DaS Bestreben der äußersten Linke», einen sür alle Zeiten unumstößlichen Be schluß gegen diese Steuervorlagen hcrbcizufükren, ist gescheitert. Was insbesondere die Tabaksteuer betrisst, so haben eine voll- ländig ablehnende Haltung nur vie Freisinnigen und die Socialdemokrate» eingenommen. Alle anderen Parteien, die große Majorität des Reichstags, baben sich in ihrer Mehrheit auf den Boden gestellt, daß bei andauernder Finanznoth größere Einnabmen aus dem Tabak gezogen werden müssen, wenn auch unter mancherlei Vorbehalten gegen das jetzt vorliegende Project. Davon ist auch das Centrum nicht auSzunehmen. Die Vorlage wird wohl auch von den verbündeten Regierungen noch erheblichen Ab änderungen unterzogen werden. Die Tabaksteuer wird also, wie auch die Regierungsvertretcr auf das Bestimmteste ver sicherte». im nächsten Herbst wiederkehre», und zwar, nachdem sich inzwischen die Bcrsuche deS Herrn Richter, das Bedürsniß durch Schiebereien und Künsteleien hinwegruleugnen, in ihrer ganzen Hohlbeil erwiesen baben werden, mit größeren Aus sichten aus Ersolg, Wen» die betheiligte Industrie nicht zur Ruhe koninit, so mag sie sich bei Herrn Richter dafür bedanke». Staatliche Noihwendigkeitcn lassen sich dadurch nicht aus der Welt schaffen, daß man den Kopf in de» Sand steckt. Im Lager der belgische» Klerikale» vollzieht sich seit einiger Zeit ein ZerseyungSproceß, der neuerlich wieder im Hauplblatt der Antwerpener Klerikale», dem „Eöcaut", zn Tage tritt, indem das Blatt dem Ministerium Bürtet den Krieg erklärt, weil dasselbe die Einbringung einer Getreide- zollvorlagc aukündigt. „Escaut" thcilt mit, daß sämmt- liche ll ullramontanc Abgeordneten vo» Antwerpen an der Seile der Liberale» gegen die Regierung kämpsen werden. Ebenso haben sich bisher die katholischen Ber trcter von VervierS, Ebarlcroi, Tbiclt und Courtrai gegen die Getrcidczölle ausgesprochen, so daß die Regierung aus der rechte» Seite des Hauses mindestens 20 Gegner unter der Führung des srühercn Ministerpräsidenten Bcernacrt sinken wird. Abgesehen davon, daß in diesem Falle eine ministerielle Mehrheit schwerlich auszutrciben sein wird, herrscht im Schooßc des Ministeriums de Burlet selbst Zwietracht. Es wird jetzt bekannt, daß 3 Mitglieder des CabinctS, der Finanzmiiiisler Desmet de Racyer, der Justiz- minister Begcrem unv dcr Eiscubahnministcr Vandenpcere- boom, im Ministerrakhe gcgen die Gctrcidezölle stimmten. Unler solchen Umstände» darf man sich aus eine baldige neue Krise gefaßt machen. — Der AuS stand in den großen Zicgetwcrken von Boom, der in den letzten Tagen zu schweren Ausschreitungen und Mordbrcnnereien M! Feuillrt-i,. Medea. Ein bürgerlicher Roman von Wilhelm Wolters. iNacddnick verboten.) (Fortsetzung.) „Ich wünschte Ihre Dienste als Sachverständiger in An spruch zu nehmen." Ein Lickt huschte über die glattrasirten Züge. „Ich bin ganz der Ihre." „Ich möchte Sie um Ihr Urtheil darüber ersuchen, ob diese beiden Schriften von der selben Hand hcrrübren ... ich brauche wohl nicht erst binzuzufügen: unter der Voraussetzung, daß dies Ihr Urtbeil ans jeden Fall sür Sic ein AmtSgebeimniß bleibt . . ." „Das ist selbstverständlich." Herr Rost nahm Quittung und Heft, legte sie beide neben einander aus das Pult und warf einen kurzen Blick aus sie. „Ich muß Sie bitten, die Papiere hier zu lasten. Es bedarf einer sorgfältigen Untersuchung. Ich werde mir erlauben. Ihnen dieselben mit einem schriftlichen Gutachten zuzusenden," „So. Dann ist hier meine Karte. Und was bin ich schuldig?" „Gestatten Sic mir, die Honorarliquidation dem Gut achten beifügen zu dürfen." „Wie Sic wollen." Herr Rost geleitete Paul bis zur Vorsaaltbür und ging, vergnügt über den Rand von Paul « Karte hinwegpseisend, zuruck nach dem Salon. AuS einer Mappe in dem Schränkchen unter dem Pulte bolte er zwei Blätter berauS und legte sie itchlS und links neben Quittung und Bcrreichniß: der gleiche Rasanz der Fabel vom FuckS und den Trauben stand auf Luden geschrieben, unter dem einen der Name Curt Wcigandt, »Her dem anderen — Martba Förster. Herr Rost ließ seine grünschillernden Augen fröblich von einer Zeile zur anderen gleite». Ja, e« stimmte. Genau so wie eS ihm der erste Blick gesagt. Er rieb sich schmunzelnd die Hände. WaS für tolle Sachen doch in der Welt ge schehen! So war ja wobl der Refrain von dem Sirenenliede! Dso so stehen di/Herrschasten miteinander. Eine Ueberraschung Dr de» Herr» Gemahl sollt« e« sein. Augenscheinlich ist die Ueberraschung nicht cingetreten, und der Herr poeta lanrontus ahnt noch nichts von den Künsten seiner „Ich habe Dich lieb. Du Süße." Ein wunderbares „Amtsgeheimniß". Also so. Warte, warte, du stolze Schöne! Jetzt wollen wir doch einmal sehen, ob dir für den Schreiblehrcr auch noch Vie Fingerspitzen zu viel sind oder... oder ob der verschwiegene Freund und Vertraute nicht eines noch um ein paar Grade... süßeren Lohns Werth ist... Herr Rost faltete langsam die Quittung zu sammen. „Was ist denn das?! ..." Er bohrte die Augen in die Rückseite deS Blatts. „Berse ?.. . Ah " Und sein Gesicht verzog sich zu einem satanischen Grinsen. Je näher Paul seiner Wohnung kam, um so unerträglicher wurde ihm der Gedanke an den Abend, den er zu Hause zu verbringen Martha versprochen. Wie sie bannen alle die Schatten der jüngst verflossenen Scenen, alle die wirbelnden Gedanken, dort unter demselben Dache mit Martha, dort unter den Augen seines KindcS... Betäubung, Betäubung, sonst war'S nicht auSzuhaltcn ... Vielleicht, daß er in die „Schlaraffia" ginge, die ihm zu einer große» „Tippung" heute Abend eingeladen... er lieble diese tolle, gemachte Lustigkeit nicht, aber beute war sie gerade am Platze... oder zu Martini, ja, zu Martini... Martha saß noch in dcr Kinderstube. Es dämmerte schon, sie batte die Lampe angezündel, aber sie hockte arbeitslos, träumend vor idr. Die dumme Geschichte mit der doppelten Rechnung ging ibr im Kopfe herum. Die kleine Lore stapfte, an Wänden und Möbeln sich forttastend und vor Freude über da« Gelingen solcher Gehversuche jauchzend, im Zimmer bin und her. Paul wartete eine Weile, bi« er hineinging; er mußte erst Atbem holen, sich erst zusammrnsafsen, eS war so schwer, ein Anderer zu scheinen, so schwer in ibre Augen zu sehen, so schwer — ohne die eigenen niederzuschlagen. Martba blickte auf. „Ich komme nur, um Dir zu sagen, daß ich wieder gebe, ich habe so sehr das Bedürsniß, mich heute zu zerstreuen ... ich will noch ein paar Stunden mit Martini zusammen sein ... ibm von Willrich'- Project erzählen ..." „Ach bleibe doch", ... bat sie, „ich bin allein ... da« von Willrich eilt ja doch nicht so ... das Mädchen hat mich um Urlaub gebeten zu ihrer kranken Mutter ... ich sürchte mich allein . . . und ich habe Dich so lange nicht gehabt, ich möchte so gern einmal wieder mit Dir plaudern, wie iu allen Zeiten . . Es überlies Paul heiß. „Ich kann heute nicht ... ich brauche Zerstreuung . . ." „Du warst ja schon so lange fort!" „Nur in Geschäften . . . übrigen« in unangenehmen Ge schäften, bei Remberg, ick kam zufällig vorüber und hatte die Quittung eingesteckt, die Quittung ist gefälscht, wer weiß, wer da« Geld unterschlagen hat, entweder einer von den Gehilfe» dort oder unsere saubere Pauline!" „Wie?!" „ES wird sich schon noch ermitteln lassen, wer eS gewesen, eS ist daS schlimmste Unglück nicht, da« einem im Leben treffen kann . . . also adieu". Paul ging. Obne zu wissen warum, trat er noch einmal in sei» Arbeitszimmer. Regungslos blieb Martha stehen. DaS Geld unterschlagen ... das ist ja entsetzlich . . . so könnte es ja den Anschein haben, als ob sie . . . sie, die leichtsinniger Weise die Quittung ... oh, mein Gott, waS aus solch kleiner Lüge werden kann . . . WaS soll Remberg denken . . . was wird Paul . . . nein, er darf nicht fort, jetzt gleich muß er alles erfahren, damit nickt noch mehr Unheil entsteht . . . o Gott, wie wird er zürnen . . . einerlei . . . Martha rannte hinüber. Paul stand noch in seiner Stube vor dem Schreibtische. „Paul, ich bitte Dich, laß mich nicht allein, bleib ..." Paul wurde unruhig. „Was sind da« wieder für Kindereien?" „Paul", sagte sie flehend und hing sich an seinen Hals, „Tu mußt bleiben, ick habe Dir etwas zu erzählen ..." „Es wird Zeit haben bis morgen", sagte Paul und ver suchte, sich loSzumacken. „Nein, nein ... ich lasfe Dich nicht ... sei nicht böse... oder ja, sei reckt, recht böse . . . aber böre mich erst ruhig an ... ein böser Zufall bat eS so gefügt, baß ... daß ... ein unglückselige« Mißverständniß muß es sein ...ich habe die Quittung geschrieben ..." Paul riß mit einem Rucke die Hände, die seinen Hals umklammert hatten, auseinander und schleuderte sie von sich. Sein Gesicht war dunkelrolh geworden. Er trat einen Sckritt zurück. „Nickt so, Paul, nicht so!" rief Martha. Höre mich an . . ." „Geh ... geh ... ich mag Dich nicht sehen, nicht sehen .. .gelogen, gefälscht, gestohlen! ..." Martha richtete sich stolz auf. »Halt! DaS ist zu viel!" „Zu viel, das Kind beim rechten Namen zu nennen? ... Geh, sage ich, ich vergesse mich!" „Ich gebe nickt, bis D» mich gehört!. .. DaS habe ich nicht verdient, solche Beschimpffing!" „Auch »och Trotz! ... Ja, das gehört ja zur richtigen Medca und ibrcn Fälscherkünsten!... Wenn Du nicht gehen willst, so gehe ich..." Er ging^an ihr vorbei biuauS, riß den Hut vom Haken und dem c^tock aus dem Ständer und stürmte die Treppe hinunter. Eine Lügnerin, eine Fälscherin . . . eine Diebin . . . o, o . . . diese Schmack, diese Schmach . . . wohin soll er sich verstecken, wenn eS anS Licht kommt, wenn Remberg, wenn die Stadt es crsabrcn wird, wie soll er cS vertuschen, daß es im Dunkel bleibt? ... Er lief an Amta'S Hause vorüber. Alle Fenster dcr MarwcU'scken Wohnung waren erleuchtet, Schatten schwebten an den Vorhängen bin und ber, er glaubte den ihren zu er kennen . . . Also war eS doch links . . . aber der Zettel ist fort .... er niuß geträumt haben . . . Anita . . . Nun ist er ja kein Verbrecher mebr . . . nun braucht er sich ja keine Vorwürfe mebr zu niachcn ... nun sind sie ja quitt, er und Martha ... Betrug gegen Betrug ... Er schlug mit dem Stocke gegen den eiserne» Psabl einer Laterne, daß das Rohr splitternd in zwei Stücke sprang. Die Straße hinunter, den Staub answirbelnd, tanzte daS Ende Uber die Steine. „Nun ist er ja frei, wenn er will Von einem Weibe ... daS ... eine... Betrügerin ist ... kann man sich scheiden lassen XXM. Martha war stehen geblieben in Paul'S Arbeitszimmer. Dort zitterte die Quaste an dem Tbürvorhange noch, welchen ihr Mann in blinder Wuth gcgen sie au-einandcr- gerissen. Ter Mann, der sie eine Diebin genannt. Dort hinaus gestoben war er vor ihr, vor ihr, seinem Weibe, kessen ganze Schuld darin bestand, daß es diesen Mann über alle« in der Welt liebte. DaS ist dcr Lobn! Und dock liebt sie ihn, liebt sie ihn mebr, als sie ihn je geliebt... unter Thräncn will sie ibn anslehen, daß er ibr Abbitte thue, mit tausend Küssen ihm verzeihen, wenn er nur ihr verzeihe ... er muß eS ja» sobald er sie erst ge hört .... wenn er doch schon zurück wäre ... er muß ja
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