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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.05.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940501021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894050102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894050102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-05
- Tag1894-05-01
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Lparcaffen-Pc» Wallung. Dyck, Dir. Politische Tagesschau. * Leipzig, l. Mai. Unser handklSpolitischcS Verhältnis; zu Spanten ist seit Abschluß de« neuen Handelsvertrags wadrbast einzig in seiner Art. Der Vertrag ist am 8. August 1893 abgeschlossen und cS ist an demselben Tage zwischen den Contrabrnten eine Erklärung vereinbart worden, nach welcher er sobald als möglich den betreffenden Parlamenten beider Länder zur Ge nebniigung vorgelegt und die Ratificationen spätestens am 31. December 1893 ausgetauscht werden sollten. Demgemäß ist die Vorlage an de» deutschen Reichstag sofort bri dessen Zusammentritt im November erfolgt, und derselbe hat sich beeilt, den Vertrag anzunehmen, damit die vereinbarte Ratificationsfrist eingehalten werden könne. Die spanische Regierung dagegen erklärte in dcr zweiten Hälfte des December, daß die CorteS wegen Erkrankung des spanischen Ministerpräsidenten im December nickt mcbr zusammentreten könnten, also die Möglichkeit des Austausches dcr Ratifi cationen zu dem verabredeten Termine ausgeschlossen sei. Aus ihren Wunsch wurde die Frist bis zum 3 l. Januar 1894 verlängert und für diese Zeit ein neues Zollprovisorium ver einbart. Allein rer 3l. Januar kam heran, ohne daß die Einberufung der CorteS erfolgt wäre, und man fand für zweck mäßig, eine abermalige Verlängerung bis zum 31. März vorzunehmen, in dcr Voraussetzung, daß bis dahin die Durchberathung des Vertrages in den Cortes werde erfolgen können. Aber schon Anfang März war klar, daß auch dieser Termin nicht eingebaltcn werden würde, da die Berufung der Cortes erst für die letzte Märzwoche in Aussicht stand. Aus Antrag der spanischen Regierung wurde das Provisorium noch mals biS zuni 15. Mai verlängert, bis zu welchem Zeitpunctc die Durchberathung des Vertrages „nunmehr mit Bestimmtheit" angenommen wurde. Jetzt naht dcr l5. Mai heran, und von Tage zu Tage wächst die Wahrscheinlichkeit, daß bis dahin die Entscheidung der CorteS nicht gefallen sein wird. Wenn im gewöhnlichen Leben ein Contrahent seinen Mit- contrahentcn derart behandelte, so würde man stark versucht sein, ihm nachzusagcn, daß er den Andern zu», Besten habe. Entspricht cs ver Würde des deutschen Reiches, sich von Spanien noch ferner in dieser Weise binhalten zu taffen? Zum mindesten müßten doch ganz andere materielle Interessen auf dem Spiele stehen, als cs thalsächlich dcr Fall ist, um eine derartige Behandlung erträglich erscheinen zu lassen. Uebcr die Vortheile, welche der Handelsvertrag uns bietet, geben die Ansichten bekanntlich auseinander; darüber aber ist kaum ein Zweifel, daß von dem Provisorium Spanien, seit ihm vom 1. Januar ad unser ermäßigter Weinzoll in vollem Umsange zu gute kommt, einen größeren Nutzen hat, als wir. Eine nochmalige Verlängerung des Proviso riums würde demnach zum mindesten nicht zur Beschleunigung der Erledigung des Vertrages in den CorteS beitragen. Jndeß, die volle Tragweite der Ablehnung eines etwaigen neuen Antrags der spanischen Regierung auf Verlängerung zu ermessen, ist natürlich nur die Leitung unseres Auswärtigen > Amtes im Stande. Sollte sie die Verantwortung für das Eintreten eines vertragSloscn Zustandes nicht glauben Uber- nebmen zu können, so würde, wie die Dinge liegen, ein aber maliges Provisorium inS Auge gefaßt werden müssen. Mit Bestimmtheit muß aber erwartet werde», daß ein solche« nicht ohne vorherige Zustimmung des Reichsazes eintreten würde. Der Umstand, daß die Inkraftsetzung dcS Provisoriums vom l. Januar unter Vorbehalt der nachträg lichen Zustimmung des Reichstags keine tadelnde Kritik von parlamentarischer Seite erfahren hat, kann weder von der Regierung als ein die Wiederholung eines derartigen gesetz widrigen Vorgehens deckender Präcedenzfall angeführt werken, noch darf er von der Forderung Zurückbalten, daß das ver fassungsmäßige Recht dcS Reichstags untrr allen Umständen, ohne Ansehung des Falles, gewahrt werden muß. Eine plötz liche Einberusuna des Reichstages um keS spanische» HandelS- provisoriumS willen wäre allerdings eine bittere lleberraschung. Aber wenn die Regierung unter dem Fürsten Bismarck sich aus dem gleichen Anlaß zweimal hat entschließen müssen, den Reichstag mitten im Sommer zu berufen, so dürfte wobl auch die gegenwärtige Regierung, wenn sie überhaupt in die Lage käme, sich nicht für befugt erachten, die verfassungs mäßigen Formen zu verletzen. Im preußischen Abgeordnetenhaus« wird beute die über aus wichtige Entscheidung über die Shnodalordnung fallen, die zur dritten Lesung kommt. In der zweiten stimmte die gesammte Linke bis zu den Freiconservativen, diese mit ein geschlossen, also die evangelische Mehrheit dcS Hauses, gegen die bedenklichen Bestimmungen; die Majorität kam nur durch Hinzutritt der Katboliken der Centrumspartei und der Polen zu beu die evangelische Minderheit darstellenden Deutsch- conservativeu zu Stande. Die vier Stunden währende De batte über tz. l gab eine» Vorgeschmack des „kirchlichen Friedens", den diesesGesetz nach der wiederholten Erklärung deS CultuSministcrS Bosse, der seine Rete sogar schriftlich fixirt hatte, berbeisübren soll. Abg. Stöcker kündigte un mittelbar nach dem Minister in herausforderndem Tone an, wenn das Bcdürsniß sich herausstelle, würde die General synode („wir", sagte Herr Stöcker) weitere Freiheiten ver langen. ES unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn die Vorlage in der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung Gesetz wird, alsbald der Versuch unternommen werden wird, das Wahl recht in der Gemeinde und daS Gelübde zu beschränken, ohne im Uebrigcn die „Ungläubigen" an der Bezahlung der Kirchen steuern zu hindern. Herr Stöcker fragte auch ganz naiv, wo es denn vorkomme, daß die Majorität von ihrer Macht leinen Gebrauch mache. Gerade sein Austreten und die leiden schaftliche Erregung, die eS hervorries, scheinen aber doch einen gewisse» Eindruck auf die Regierung gemacht zu haben. Wenigstens wird dem „Hamb. Corr.", der nicht selten zu osfieiösen Kundgebungen benutzt wird, von „gut unterrichteter Seite" geschrieben: ,,W«nn die ziemlich unveränderte Annahme der Novelle zu den das Verhältnis des Staates zu der evangelischen Landeskirche der acht älteren preußischen Provinzen regelnden Gesetzen im Abgeord netenhaus» naturgemäß an sich der Staalsregierung zur Be- sriedigung gereicht, jo ist das Gleiche doch keineswegs betreff» der begleitenden Umstände d« Fall. Dir Art, wie der Hos- prediger a. D. Stöcker am Sonnabend für die Vorlage im Ab- geordnetenhaus« «intrat, mußte schon im Interesse der von der Stoatsregierung verfolgte» friedlichen stiele nichts weniger als angenehm berühren. Auch vom allgemein politischen Standpuncte kann der scharfe Zusammenstoß zwischen Confer- vativen und Nationalliberalen, wie er namentlich in der Commission und bei der zweiten Lesung im Plenum statt- fand, nur unerwünscht sein. Endlich kann es auch nicht gleich- gültig sein, daß in dein Gesetze Bestimmungen enthalten sind, die von der Mehrheit dcr evangelischen Mitglieder abgelehnt und nur durch die Stiminen des Centruins aufrecht erhalten werden. Und die hieraus sich ergebenden Bedenken werden auch nicht vollständig durch den Umstand behoben, daß das Gesetz im Ganzen die Zustimmung der Mebrheit der evangelischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses findet. Gerade im Interesse der friedliche» Wirkung des Gesetzes ist von der Staalsregierung großer Werth aus die Zustimmung ei»« möglichst große» Zahl evan gelischer Abgeordneter gelegt worden. Cs ist daher erklärlich, daß der Cultusininister, wenn er auch natürlich formell au seiner Borlage sesthielt, deutlich genug zu erkennen gab, daß eS der Staatsregiernng erwünscht sein würde, daß durch Annahme der freiconservativen Anträge der Gegenstand de- Streites wenigstens für den größten Tdeit der Abgeordneten beseitigt und die Grundlage für ein« weitgehende Bersländigung gewonnen werde. Wenn bei dcr Vorbereitung der Gesetzesvorlage bereits zu übersehen gewesen wäre, daß bei Auscechlerhaltung der landeSgesetzllchen Bindung für alle WahlrechtSbellim- mungen ein so scharfer Widerstreit der Auffassungen, wie er jetzt sich zeigt, hervortrele» würde, so würde man sicher bestrebt gewesen sein, diesen Anstoß z'n vermeiden und die Vorlage in den strittigen Punclen so zu gestalten, daß dies« auch in gemäßigt- liberalen Kreisen Zustimmung gesunden haben würden." Kommt diese Auslassung wirklich von einer dem preußischen Ministerium nahestehenden Seite, so steht der klcrikat- conscrvaliven Mehrheit deS Abgeordnetenhauses wahrscheinlich heute eine sebr unliebsame Ucberrasckung bevor. Sicher kann man sich freilich nicht darauf verlassen, denn eS zieht zur Zeit kaum etwa- Unsichereres, als Schlüsse auS wirklich oder anscheinend ofsiciösen Kundgebungen auf Beschlüsse der preußischen Regierung. Der belgische Ministerpräsident hat kürzlich in der Kammer deutlich die Absicht durchblicken lasse», das staat liche Schulwesen in Belgien gänzlich durch Privatschulen zu ersetzen, d. b. eS dem UltvamontaniSmus völlig preiSgebea, falls die Klerikalen in der neuen Kammer Uber die Mehrbcit verfügen sollten. Man kann diese Offenherzig keit der Regierung nur anerkennen, denn jetzt wissen die Liberalen wenigstens, waö sie erwartet, wenn sie da« Mini sterium de Bürtet zu einem neuen Siege gelangen taffen. Die neue Wählerschaft dürfte in dcr Sckulfrage ebensowenig mit der Regierung übereinstimmc», als in dcr Schutzzoll- fraae, und cS bat allen Anschein, als ob dir Klerikalen mit diesen beiden Fragen ein reckt unglückliches Wahlprogramm ausgestellt hätten. Uederhaupt geben im klerikalen Lager seltsame Dinge vor. So hat dieser Tage in Lüttich eine katbolisch-socialistische Bersammtung unter dem Vorsitz deS Abbv Pottier stattgesundcn, worin die Socialdeiiiokralic cin- sach verherrlicht wurde. Bischof Doutrcloux von Lüttich ist vergebens gegen diese neueste Ausgeburt dcr katholischen Demokratie eingeschritlen, indem er daS Treiben des Add«; Potlier verurlheilte. Wenn die Bischöfe selbst im klerikalen Lager kein Gehör mehr finden, so muß cS mit der Einigkeit daselbst sehr schlimm bestellt sein. Inzwischen mabnt die an der EingangStbür der St. Jacobs kr rchje in Lüttich exptodirte Bombe von neuem daran, welche Früchte auS der Saat und Pflege socialrevolulionairer Ideen erwachsen. — Er freulich ist, daß Belgien energisch gegen den Zweikamps vorgeht. Schon daS neuerlassene Wahlgesetz entzicbt auf lange Jabre allen Denen das Stimmrecht, welche wegen eines Zweikampfes, sei eS als Tdeilnehmer, sei eS als Zeugen, verurtheitt worden sind. Der Senat hat im Einklänge mit dcr Regierung ein neues Gesetz angenommen, welches den Zweikampf und alle daran Bctbcitiglen, wie die sich damit befassende Presse mit Koben Gefängniß- und Geld- lrasen belegt Der von dcr Kammer zur Vorbcrathung eingesetzte Ausschuß bat das Gesetz angenommen, aber die »icislen Strafe» wcscnllici, erböht. So werden Zeitungen, wclckic ibre Spalten für einen Zweikampf bergeben, nicht mit 5,00 FrcS., sondcrn mit 3000 FrcS. Geldstrafe, Zeugen deS Zweikampfes mit 2 Monaten bis zu 2 Jahren Gefängniß und 2ou bis zu 1000 FrcS. Geldstrafe, Aufhetzer zum Zweikampfe mil 6 Monalcn bis zu 5 Jabre» Gefängniß belegt. Es ist nicht anzunebmcn, daß alle Strafverschärfungen zur Annahme ge langen, aber es ist zweifellos, daß das neue Gesetz zu Stande kommt und die Ducllwuth eindämmcn wird. Abermals hat ein französisches Schwurgericht einen Apostel der „Religion" dcS Anarchismus zum Tode verurtheitt: Auch Emil Henry s Haupt, deS Urheber« der furchtbaren Explosion in dcr Nue des BonS EnsantS, ist dem Henker verfallen An der Bestätigung dcS Urtbcil«, sowie an dessen alsbaldiger Vollziehung erscheint ein Zweifel um so weniger gestattet, als daS herausfordernde Gcbahrcn deS Verbrechers im GerichlSsaal, wie auch im Gefängniß La Roguctte, wohin er alsbald überführt worden, >ede Milderung dcr erkannten Strafe zu einem vcrhängnißvollcn Febtcr stempeln müßte. Eine Anwandlung von Schwäche den mordwülbigcn Bestien gegenüber konnte über Frankreich daS staatliche und bürgerliche CkaoS deranfbcschwörcn. Diese Verantwortung kann nnd wird kein Ministerium, kein Präsi dent der Republik übernehmen wollen, daher die Ziehung der ans dem TodeSurtbeil sich ergebenden Conseguenzen sich nur als daS Gebot der zwingenden SlaatSraison hinstellt. Der „Tempö" hebt mit Recht bervor, daß dcr von Henry zur Schau getragene Fanatismus einen anderen Charakter zeige, wie derjenige Ravachol'S und Vaillant'S. Während diese Beiden erklärten, daß sie die bürgerliche Gesellschaft nur erschrecken wollte», erklärte Henry cynisch, daß er tödten, »ur tödten wollte, und zwar so viele Bourgeois, wie nur möglich. Er führte aus, daß »ach seinen Berechnungen die Bombe derartig construirt gewesen sei, „daß er aus fünfzehn Todte nur einige zwanzig Verwundete rechnen konnte." Und als der SchwurgcrichtSpräsident ihn fragte, weshalb er denn geflohen sei, erwiderte der Verbrecher, daß er dies lediglich deshalb gethan habe, um so bald wie möglich von Neuem beginnen und eine noch größere Zahl von Bourgeois ver nichten zu könne». Hervorgebobcn zu werden verdient, daß Henry nicht etwa durch die Nolb zu seinem anarchistischen Treiben veranlaßt worden ist, vielmehr war cS ikm seinem Bildungsgänge gemäß sebr wohl möglich, eine einträgliche Stellung zn behaupten. Bei dcr Verhandlung dachte er immer nur an die theatralische Wirkung seiner Haltung, Geberden, Worte. Er batte sichtlich de» Wunsch, vielleicht sogar die Hoffnung, für die Unsterblichkeit zu posiren. Er wollte im Andenken der Menschen als ein große-, unheimliches Räthsel, als ein stolzes Ungeheuer leben. — Freilich, eS ist kein Wunder, daß im Hirn solcher Thoren der politische Wahnwitz an Stelle des vernünftigen Denkens tritt, wenn die zer setzenden Ideen eines Ravachol sogar schon den Mechanismus dcr französischen Staalsmaschine anzufreffen vermochten. Leider beschränlt sich ja die Anarchisirung des französischen Mi»isterialbeam 1 en 1 huins keineswegs aus den im KriegS- ministerinm beschäftigt gewesenen Fönöon. Unter den am Freilag verhaslelcn Anarchisten soll sich, wie eine bereilS telegraphisch mitgetbcille Pariser Melkung der „Post" besagt, ein weiterer Miinslerialbeamtcr befinden Wenn aber schon die Mini- sleriatburcaux von dcr Leuche ergriffen sind, so gestattet daS einen beveiikenerregenben Rückschluß aus die niederen Staats- Fenillrtsii. Zm feindlichen Leben. 4> Roman voa I. Schwabe. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Und ihre meerblauin Augen blitzen, als seien sie tiesschwarz, ihre Wangen glühen vor Erregung im tiefsten Roth, die vollen Lippen bleiben noch bald geöffnet nach der hastig hcrvr- gcstoßenen Frage — Fräulein Hochbeim aber hört sie längst nicht mehr; sie ist geräuschlos und ohnmächtig auf ihrem Sitz zusammcngesunken. Rose ist zu Tode erschrocken. Was ist geschehen? — Was soll sie thun? — Kein Wasser in dcr Nähe, der Ohn mächtigen die Schläfen zu netzen! Kann sic sie allein lasten, wenn sie Hilfe bolt! Wirb sie sie bis inS Krankenhaus tragen können? — Da schlägt sie müde die Augen wieder auf »nd tiefausseufzend sagt sie: ,O, warum find Sie so hartherzig? Warum sind alle tugendbasten Menschen so hart?!" Rose ist aufs Höchste verwundert. „Hart hat mich noch Niemand genannt, und für besonders tugendhaft habe ich mich auch noch nicht gehalten, aber heftig und über Dinge, die meine Ehre anzugrcifcn scheinen, gleich empört, das bin ich oft. daö bin ich eben auch gewesen, und eS ist mir bitter leid, daß ich Sie so erschreckt habe. — Wer immer, oder doch die längste Zeit seine- Lebens im trauten Familienkeise verbrachte, wo die Schroffbeit der Charaktere sich aus Liebe zu den Familicnglickcrn abschleift, bat vielleicht fein Vcrstänbniß für ein Wesen, das^sich seit frübcr Jugend fortwäbrend im Kampfe befand — Sie aber könnten eS nun doch schon erfahren baden. Ein Mädchen, welches allein draußen im feindlichen Leben steht, bat sich gewöhnlich gegen so Viele- zu wehren, daß die Liebenswürdigkeit darüber Schiff bruch leidet. Man bat nur immer darauf zu achten, daß man nicht zertreten wird , man hat gar keine Zeit, die Liebens würdigkeit zu Pflegen, eS kommt gar kein Gedanke daran auf." „O, nicht doch, nicht doch", entgegnele Dora leise und matt, „daS Alles meinte ich nicht. Sie thaten nur eine Aeußerung, daS klang so hart, da- tbat so web!" „Ja, aber welche denn? Ich weiß kaum noch, waS ich j» »einer Empörung Alle» herauSgesprudeU l" „Lasten Sie nur! Grämen Sie sich nicht! Sie wollten mir ja nicht wehe thun! Sie können ja nicht wissen —." „Möchten Sie mir nicht sagen, was Sie drückt?" fragte Rose so sanft als möglich. ,.O» nicht-, es ist nicht«; Sie würden mich doch nicht verstehen!" „Aber ich würde eS versuchen." „Ich kann nickt — noch nicht — heute nicht." vertrauen läßt sich nicht erzwingen", dackte Rose ein wenig unmulhig und ließ ihre Blicke von der sich langsam emporrichtenden Dora sinnend zu ihrer nächsten Umgebung schweifen, und wie sie plötzlich aussah, schaute sie ganz bestürzt in ein paar ernste, braune Männeraugen, die mit einem Ge misch von Berwunderung und Behagen an ihrer schönen Ge stalt hasteten. Unwillig über diese Störung wandte sie sich hastig ab, in der Hoffnung, daß der unliebsame Lauscher sich entfernen werde, Dora aber folgte unwillkürlich dem Blick ihrer Augen und hatte nicht sobald die hohe stattliche Gestalt in der kleid same» Uniform bemerkt, als sie sich auch hastig erhob und sichtlich erfreut au-rief: „Erwin, Du?!" 5. „Erwin, Du?" Bei dem freudigen Klang dieser Worte zieht sich Rose ganz erschreckt in den tiefsten Schatten de< Baume« zurück. Warum so bestürzt und verschüchtert? Sie weiß eS selbst nicht und cs ist einfach lächerlich. Ist bie der «sie Osficier, der in ibren Gesichtskreis tritt? Wo ist ihr Stolz, ihr hoher Begriff von Menschenwürde? Hat sie sich bisher nicht für ebenso viel wertb gehalten, wie viele höher stehende Menschenkinder und hat sie sich nicht längst daran gewöhnt, die ganze Menschheit nur al« Publicum zu betrachten? Im Geschäft ist c« ihr doch höchst einerlei, ob sie einen Prinzen, oder einen Grafen, oder — einen Schuster jungen zu bedienen batl Nur daß die Schusterjungen nicht oft zu Conrad Haspe kommen! Und die Prinzessin und die Grheimräthin und die Frau Generalia so und so — ist sie sich ihnen gegenüber immer al« solch ein« kleine Null vor gekommen? — Sie muß wirklich lächeln, aber — sie ist gar so sehr erschrocken! Ihr Herz klopft heftig! Zuerst dieser Aerger, dann Dora'« sonderbarer Zufall und nun diese Uebrr- raschung! Für Dora wenigsten« scheint sie angenehm zu sein, diese Ueberraschung; sie ist wie völlig umgewandelt, sie lacht sogar! Rose weiß gar nicht, waS sie über den jähen Wechsel denken soll; oder — weiß sie doch, wa« sie darüber denke» soll? „DaS ist aber wirklich reizend, mein alter Erwin", plaudert Dora ganz heiler — „wie kommst Du nur hierher?" „Auf einer Diestreise, sehr einfach", antwortet er ebenso heiter und seine Blicke gehen suchend an Dora vorbei. Dora bemerkt eS und lächelt, während er sortfäbrt: „Und gerade gestern Abend bekam ich Deine Adresse! Ich beschloß deshalb sogleich, einmal in A., mich auch gleichzeitig nach meiner schönen emancipirten Cousine umzuseben und erlaubte mir in Eurem Geschäft nach Dir zu sragen. Diese verwunderten, spöttischen, fragenden Blicke auS Aller Augen! Fast muß man fürchten, eine junge Dame zu compromittiren, wenn man nach ihr fragt! Ich nannte dem Herrn Cbef deshalb meinen Namen und sagte, daß ich Dein Better sei, aber eS war mir doch nicht möglich, daS Mißtrauen ganz und gar zu beseitigen. Du bist doch sehr tböricht, mehr als lhöricht, liebe Dora, in solcher Sphäre auszuhalten!" — Er sagte cS tiefernst, sie aber entgegnele rasch: „Laste daS, Erwin, bitte — mir ist die Sphäre gleichgiltig... Aber, wie fandest Du uns schließlich?" „Sie sagten mir, baß Jbr im Maria-Hilsgartcn spazieren ginget. Da suchte ich diesen Garten und eine weitbin schallende klangvolle Stimme, die zürnende Worte über Männer und Liebe sprach, lockte mich hierher. Ich sah in ein paar slauimende. gleichsam funkensprühende Augen und ich sab etwas später meine schöne Cousine im Hintergründe wie auS einem ticscn Traum erwachen — konntest Du schlafen, Dora, bei solch' einer donnernden Predigt?" Und wieder suchten seine Augen die schlanke Gestalt, die so still wartend unter der blühenden Kastanie stand und mit leicht abgewandtem Blick in daS grüne Blättergrwoge über ihr sab. „Ja, da- war Rose", lachte Dora. „Aber Kind, warum bleiben Sie denn so gar bescheiden im Hintergründe? Da trat sie mil einer säst linkischen Verbeugung in den Hellen Sonnenschein hinaus. Wo sind die flammenden Augen geblieben? Ganz scheu nur lugen sie unter den langen Wimpern hervor, öffnen sich langsam nach und nach und wagen eS endlich, ernst prüfend in sein lustgebräuntrS Antlitz zu schauen. Er gleicht Dora sehr» nur ist er lange nicht so dunkel als sie. Braun die Augen, braun da« Haar und der lange, kräftige Schnurrbart; ein wenig bockimüthig findet sic sein Gesicht, rin wenig herablassend den Ton seiner klangvollen Stimme, welche doch nach Dora'S förmlicher Vorstellung ganz freundlich sagt: „Meme Cousine hat mir schon voa Ihnen geschrieben, Fräulein!" Darüber war sie sebr verwundert. „Aber wie tonnten Sie denn —" wandte sie sich ein wenig flockend an Dora — „kennen Sie mich doch kaum!" Aber sie schrieb mir doch von Ihnen, mein Fräulein — ja, mir schriebst Du doch, Dora? — Von Ihrem sieghaften Wesen schrieb sic, von Jbrer prachtvollen Stimme, von Ihrem energischen Charakter und von der Freundlichkeit, mit welcher Sic fich Anderer aiinelnne» — nieiner Cousine zum Beispiel, welche diese Freundlichkeit sehr zu schätzen weiß." Hatte er anfangs leicht und heiter gesprochen, so daß Rose nahe daran war. Alles für Spott zu ncbmen und sich ernsthast zu empören, so schloß er doch in so ernstem Ton und mit solch einer ver kindlichen Verbeugung, daß Rose abermals ganz verwundert zu Dora hinübcrsah. „Ja, Kleine, ich konnte eS mir nicht versagen, ihm eine Beschreibung von Jbnen zu liefern. Schaue» Sie nicht so finster drein und seien Sic mir nicht böse deshalb! Sie baden mir gar zu gut gefallen vom ersten Tage an. — Und ich freue mich, daß Cie ibn nun auch gleich zu sehen bc komme». Er ist ein ehrenhafter, tüchtiger Mensch, Rose, wenn er auch »och einige wenige, niittelaltcrliche Vorurtheile in seinem, sonst ganz gescheckten Kopse bat — Sic brauchen ihn nicht in Ihrer gewohnten, mißtrauischen Weise zu be trachten und —" ,^.08 amies «lo me8 amio8 sont we8 »wieg —" unterbrach er sie scherzend und reichte Rosa vertraulich die Hand. Zögernd »ur legte Rose zwei Fingerspitzen hinein. „Sie sind ja ganz verwandelt, Kind", verwunderte sich Dora, „und vorbin erst baden Sie mir feierlich erklärt, meine Freundin sein zu wollen!" Rose lächelte — brauchte sie denn »och eine Freundin? War die strenge, ernst verschlossene Dora nicht selbst ganz verwandelt? „Ich glaube, wir müssen zur Stadt zurück" sagte Rose fast beklommen, „es ist schon spät." „Wird Herr Haspe schelten, wenn eS zu spät ist?" „Gewiß, und Madame noch mehr." „Und wenn man uns hier sehe mit einem Osficier plaudern!" fügte Dora spottend hinzu. „DaS wäre natürlich eine große Sünde!" lachte der Herr Hauptmann. „Ja. Kind, da müssen wir denn schon nach Hause gehen", seusftc Dora. „Jedenfalls aber bin ich aufrichtig froh, daß ich Sie wenigsten« in dem ,Lu Hause da" gesunden!"
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