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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.05.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940502022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894050202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894050202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-05
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Sie wurde dem Hause, dem Lande und dem Reiche auch nicht durch eine Erklärung der Regierung bereitet, sondern durch den sreiconservativcn Abg. v. Aardorff, der den — Umfall seiner mit ibren An trägen so schroff zurückgewiesencn Partei ankündigte und ihn mit dem Vertrauen auf den (Kultusminister be gründete, der schon dafür sorgen werde, daß der Einfluß der Staatsgewalt nicht gänzlich den kirchlichen Organen und der sie beherrschenden Richtung ausgeliefert werde. Da mit war da- Schicksal der Borlage entschieden, sie wurde in namentlicher Gesammtabstimmung mit 237 gegen 02 Stimmen angenommen; dafür stimmten geschlossen das Eenlrum, die Drutschcvoservativen, die Freiconservativen, mit AuSnabme de« Abg. v. Zedlitz, und die Polen; dagegen die Nationalibcralen und die Freisinnigen. Am meisten triumphirt über diesen Ausgang natürlich da« Centrum, das überhaupt den Himmel voller Baßgeigen sieht und bereits von der Rückkedr de- Grafen Zedlitz und des H«rrn v. Puttkamcr in die leitenden Aemtrr träumt. — Die preußische Landtagssession geht so nach mit recht trüben Aussichten zu Ende. Ihr gegenüber bat sich selbst der Reichstag trotz seiner ungünstig«» Zusammensetzung als fruchtbar und leistungsfähig er wiesen. Was der Landtag in dieser ersten Session seiner neuen Legislaturperiode geschaffen hat, besteht außer dem in seinen Folgen noch gar nicht übersehenden Synodal- ordmmgSgesetze in unbedeutenden Kleinigkeiten. Ob es über die Landwirthschaftskammern noch zu einer Ver ständigung kommt, ist sehr zweifelhaft; jedenfalls wäre eS ein mühsames Compromißwerk, an dem Niemand rechte Freude hat. Der Dortmund-Rhein-Canal und das Kaligesctz sind bereits entgiltig gescheitert. Die preußischen Eonservativen tragen als die weitaus stärkste Partei, die jederzeit durch die Verbindung mit anderen Parteien die Mehrheit beschaffen kann, in erster Reihe die Verantwortlich keit für diesen Verlaus der gesetzgeberischen Arbeiten. Sie haben in wichtigen Fragen geradezu ein« unsachliche Politik der Verbitterung getrieben und überall ein Zusammen wirken mit den gemäßigten Richtungen, daS frübcr die festen Grundlagen einer nützlichen, fortschreitenden Gesetzgebung bildet«, zurückgewiesen. Da ist es freilich nicht ru verwun dern, wenn so traurige und unfruchtbare Sessionen vor kommen, und eS ist bei der heutigen Richtung und Führer schaft in der konservativen Partei Preußens auch nicht an zunehmen, daß die Verhältnisse sich so bald besser^ könnten. Mit der Spionen-Affaire von Marseille hat sich die französische Presse, nachdem sich herausgestellt, daß der rühere Platzmajor von Bitsch, Hauptmann a. D. v. Seel, eit Monaten diese Stadl nicht verlassen hat, wieder einmal gründlich lächerlich gemacht, was ihr freilich in den Auge» ihres Publikums absolut nichts schadet, denn an dergleichen ist man in Frankreich ja von Alters her gewöhnt. .Die Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich dessen, was Otto v. Seel, ven in Marseille verhafteten deutschen Spion, betrifft, ziemlich perplex. Man will ihn durch zwei Irrenärzte untersuche» iassen, denn es ist sehr möglich, daß die Wahnsinnsscenen nicht simutirl waren." So schreibt jetzt der „Figaro", das selbe Blatt, das soeben noch bervorgedobcn halte, daß der angebliche deutsche Spion sich nur verstellt habe, um sein wirkliches Melier zu maskiren. Mit einer unbegreiflichen Naivität wird dann hinzuzefügt, daß man, da verdächtige Notizen bei dem Verhafteten gefunken worden seien, sich zu der Annahme versucht fühle, daß dieser Osficier (?) zugleich ein gefährlicher Spion und ein Kranker sei. Als ob das Eine nicht das Andere auSschließen würde, da ein Irrsinniger doch kaum in der Lage wäre, zuverlässige Informationen zu er bringen. In einem Athemzuge wirb Weiler versichert, eS sei wohl möglich, daß Herr von Seel, dessen Bruder Major in der deulschen Armee ist, seine Muße »nt der Erforschung der Grenzvcrhällnisse zubringe. „Seine Geistesschwäche", heißt es am (Schlüsse, „würde so der interesnrten Regierung gestatten, ih» im Falle einer Ucberraschung zu deSavouiren". lind solcher Unsinn wird in Frankreich geglaubt, ja der französischen Depu- tirtenkammer hat sogar der Abgeordnete Albert Gaulhier einen Antrag eingebracht, durch den die Strafbestimmungen gegen die Spionage verschärftwerdensollen! — DieR e d e,welche Minister- präsibenl EaslUlirPörier b«» Eröffnung der internationalen Ausstellung »n Lyon hielt, war der großen Politik und ins besondere ven Finanzfragen beS Landes gewidmet. Bekannt lich hat Finanziiiinlster Burdeau vor Kurzem, gleichzeitig mit dem Budget für 1895, einen Steuer-Reform-Ent- wurf der Kammer vorgelcgt, in welchem durch eine eonibinirte WohnungS- und Dienstvotensteuer die höhere LebcuSsührung einer stärkeren Besteuerung unterworfen, und gleichzeitig die Minderbemittelten von dieser Abgabe entlastet oder ganz be freit werden sollen. Indem nun Casimir Pürier mit einem gewissen Nachdrucke betonte, die Regierung bestehe auf der Reform des Budgets, und indem er die Nolhwendigkeit varlegtc, daß die Bevorzugten des Lebens einen etwas größeren Theil der öffentlichen Lasten auf sich nehmen müßten, um Jenen Erleichterung zu verschaffe», die das Brod für ihre Familie mit dem täglichen Lohne kaufen, scheint der Eonseil-Präsident auS der Annahme der Burdeau'schen Budget Reform eine EabinetSsrage machen zu wolle». Wenn endlich Casimir Perier zum Schlüsse seiner Rede den Wunsch aussprach, daß die Republik der Welt daS Schauspiel so stark begründeter moralischer Einheit biete, daß sie da« Recht habe, nichts zu fürchten und Alles zu hoffen, so liegt darin allerdings m erster Linie ein Appell an die noch immer fronbireuden Parteien, sich rückhaltlos der Republik zu unter wersen, gleichzeitig aber auch eine ebenso zarle wie vorsichtige Berührung der chauvinistischen Saite, die wohl in ganz Frankreich vernommen werden und einen nur zu sympalhitchcii Widerhall finden wird. Bekanntlich hat der HaushaltSauSschuß der ita lienischen Kammer am 27. April mit 24 gegen 2 Stimmen eine den HeereSvoranschlag der Regierung genehmigende Tagesordnung beschlossen, nachdem der KriegSminister General Mocenni in sehr entgegenkommender Weise die Möglichkeit weiterer Ersparungen für spätere Jahre zugegeben und dahin gehende Studien und Borschläge in Aussicht gestellt hatte. Damit schien Alles wohl geordnet zn sein. Allein alsbald ergab sich eine neue Meinungsverschiedenheit. Der Ausschuß will, daß die von Mocenni in Aussicht gestellten Ersparungen dem Schatze zu gute kommen sollen, Mocenni dagegen hält an der eisernen Ziffer de« HeereSvoranschlagS fest und verlangt, daß die zu bewirkenden Ersparungen wieder für HeereSzwcckc verwendet werden. DaS hierüber entstandene Zerwürfniß erweist sich als unausgleichbar, da keiner der streitenden Tbeile von seinem Standplincte abgchen will. ES bandelt sich dabei freilich erst »m zukünftige Ersparungen, die mit dem zu beratbenden Staats- voranschlage nichts zu tbun haben, aber dennoch dürste der Zwist schon auf den Gang der bevorstehenden Erörterung über den HeereshauSbalt cinwirkcn. Die nächste Folge wird, nach der Sprache einzelner OppositionSblätter zu urtveilen, die sei», daß die Frage der Verminderung der Armeccorpszabl in der Kammer aufgeworfen wird, wie denn der Abgeordnete Cadolini einen dahingebenden Antrag bereits eingebrachl bat. Ein eifriger Befürworter einer solchen Maßnahme ist General Ricolti, er betrachtet die Auslassung von zwei Armeekorps als wünschenSwerth und ohne Beeinträchtigung der nationalen Wehrkraft möglich, wogegen alle anderen Generäle, in erster Reibe der GcneralstabSchef Primerano und der frühere Kriegsminister Pelloux, die zwölf ArmeccorpS als unantastbar bezeichnen. Derselben Ansicht ist auch CriSpi, der gerade in dieser Frage einen festen Rückhalt an der Krone bal. Nach alledem und bei der den Eriöpi'schen Reformen fortdauernd günstigen Stimmung der Kammer darf man aus eine glatte Ucberwindung auch dieses Hindernisses rechnen. DaS englische Unterhaus beschäftigt sich gegenwärtig mit der Bill, betreffend die Enlstaa Ilickung der Kirche in Wales. Nach derselben solle» alle öffentlichen und privaten PatronatSrechte erlöschen, alle staatSkircblichen Corporalioncn ausgelöit, alle bestebciive kirchliche Gerichtsbarkeit sowie daöNechl der walisischen Bischöfe, im Oberhaus zu stimmen, aufgehoben werden. An Stelle der ihr genommenen bisherigen Organisation soll es der anglikanischen Geistlichkeit und Laienwelt in Wales sreistehen, ähnlich wie e« die protestantische Kirche in Irland seit ihrer Entstaatlichung im Jahre 1869 thut, zur Berathung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten Synoden zu bilden, sowie eine sie rechtlich repräsemirende Körperschaft zu ernennen. Wichtiger sind indessen die Vorschläge betreffs der Enipsründung der Kirche und Eiiiziebnug ihres Vermögens Alles Eigcuthuin der Kirche soll zuerst nominell in den Besitz einer besonderen dreigliedrigen Coinmission übergeben. Diese letztere wird dann alle anglikanischen Kirche», Pfarrhäuser und alle seit 1703 bintcrlassenen Vermächtnisse, die etwa 13 000 Lstrl. jährlich cinbriugen, der die anglikanische Kirche in Wales repräsentirenden Körperschaft als Eigenthum belassen. Alle Begräbnißplätze und Psarrländereicn hingegen werden den localen Behörden zusallen. Bei weitem den größten Theil des abzüglich der VerwaltungSkosten etwa 200 000 Lstrl. das Jahr betragenden Einkommens der StaatSkirche bringen jedoch die vor 1703 gemachten Stiftungen und vor Allem die Zebntabgaben ein. Diese Summe» sollen ebenfalls den Local behörden .zufließen, die dieselben zu irgendwelchen öffentlichen Zwecken i» ihrem Gebiete, zur Errichtung von Hospitälern, Gemeindehäusern, Volksbibliotheken ic. verwendet werde». — Alle bisberigen ordentlich angeslellten Geistlichen der wali sischen Staatskirche werden ihr Gehalt wcilerbeziehen, so lange sie leben, doch können sic sich auch mit dem Inkrafttreten des Gesetzes peosioniren lassen, dagegen wird den Psarrvertrelern, densog.Curate», keineE»lschädigi»lg zuTbeil. — A» sich ist gegen diesAlles nichts einzuwenbe», da mehr als Dreiviertet deSVolkcS in Wales nicht mehr zur StaatSkirche halten, trotzdem aber zur Erhaltung der ihnen verhaßten anglikanischen Geistlichkeit beisteuern müsse». In der einseitigen Entstaatlichung für Wales aber liegt der schwache Punct des Gesetzes, dessen Gegner im Obcrbause es durch den Vorschlag all Ldsurckum n Falle bringen werden, für England, Schottland und aleS zugleich die Kirchenentstaatlichung vorzuschlagen, denn was dem Einen Recht ist, ist dem Andern billig. Ob übrigens daS Unterhaus, nachdem eS die Bill in erster Lesung angenommen hat, in dieser Tagung auch noch die übrigen Lesungen erledigen wird, ist mehr als raglich, da dasselbe kaum mit dem übrigen ihm unter breiteten gesetzgeberischen Material zu Ende kommen wird. Darauf koinmt eS dem Cabinet Rosebery auch gar nicht an, das mit der Vorlage der Bill ja nur den parteitaktischen Hweck verfolgt, die Waliser Abgeordneten für die kommende ParlameniSauflösung warm zu halten. Die Aufnahme der Bill im Unterhaus war zudem eine recht gctheilte, wußte doch Jeder, daß der Premierminister den KirchenentstaatlichungSplänen im Princip abgeneigt ist und auch der Schatzkanzler Sir William Harcourt, der Sob» eines anglikanischen Erzbischofs, nicht gerade ftir die Vortage schwärmt. Die Haltung der englischen Bischöfe, welche sich sagen, daß, wenn in Wales die Kirche cnlslaatlicht wird, die« der erste Schritt zur Ent staatlichung der englischen Kirche wäre, warnen in ziemlich erregter Sprache vor der „goltcSräubcrischcn" Bill. Ter Vongostaat, dessen Grenzregulirungsbestrebungen nach der Seite dcS französischen Nachbar« bekanntlich eben einen Feblschlag erlitte» haben, wird dafür anderweitig durch einen Wafsenerfolg unweit der Grenze der eng lischen Machtspbäre entschädigt, welcher den Arbeiten der demnächst zusammentretenden britisch-congolaniscben Grenz commission zu Statten kommen dürfte. Em Osficier des CongostaateS, Lieutenant Duvivier, welcher erfahren hatte, daß die Engländer mit dem Plan umgingen, sich des bisher herrenlosen Gebietes, in welchem der Häuptling Sakapale banste, und welche- nach den Bestimmungen der Berliner Conferen; dem ersten Besitzergrcifer zusallen sollte, zu bemächtigen, beschloß iknen zuvorzukommen »nd daS Land für den Congostaat z» annectiren. Gesagt, gethan. Lieutenant Duvivier brach mit einer Hantvoll Mannschaften, die er in aller Eile zusaminengcrasft, von Moliro am Westufer de« Tanganyika nach dem Lande SakapaleS auf und schloß mit diesem einen Biindnißvcrlrag, welcher sein Land der Congo- regicrnng »nlerstcllt. Die Gegend daselbst wird als ebenso fruchtbar wie pittoresk geschildert. In landschaftlicher Hinsicht soll sic an Tirol erinnern, nur mit ungleich üppigeren und wilderen Scenerien. Die von Lieutenant Duvivier befehligte Station Moliro am Tanganyikasee halte letzthin viel vom Heuschreckcnsraß z» leiden, und war sogar von ernstlichem Mangel bedroht, als gerade im rechten Augenblick eine größere Proviantcolonne eintras. Fruilletsn. 2m feindlichen Leben. -t Roman von I. Schwabe. (Fortsetzung.) <ir-»drii« v,rbo>m.> „Nein, kommen Sie doch lieber herunter, Rose!" meinte Dora ängstlich, „eS ist nicht anzusehen, wie Sie da oben schweben; ich werde keine Minute ruhig zuhören können." „Aber sie siebt so schön aus da oben", ries Lulu, die auf der Waschtischecke saß und lustig mit den Füßen schaukelte, „man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, daß der Rose irgend etwas Böse« geschehen könne." ,^O, dir ist eine Zauberin und wenn sie fallen sollte — werden Geistcrbände sie sanft binabtragen", vollendete Miezchen. „Leider thcilc ich diese Meinung nicht ganz", lachte Rose munter, „so gern ich auch hier oben sitze und deshalb will ich doch lieber — ja, wo setze ich mich denn hin, meine Herr schaften? Jedes Plätzchen ist ja schon vergeben." Eiligst bemüht man sich, ihr Platz zu machen, sie aber fand r« angenehmer auf Dora'S großer Reisetasche in eine Ecke de« Zimmers und etwas mehr im Hintergründe nieder- zukauern. Rur wenige Mondenstrablcn drangen bis hierher. — Und sie schaute wieder in den stcrnenfunkeladen Himmel, in da- kleine Stückchen nur, daS sie mit den Augen erreichen konnte, schlang die Hände leicht um ihre cmporgezogcncn Kniee und begann in vlaudcrnder Redeweise: „Er war einmal ein arme- Schneidrrlcin, daS batte von jeher seinen eignen Kopf gehabt, in dem e», nach der Meinung eine- TheileS seiner lieben Mitmenschen, ganz sonderbar auS- sehen mußte. Er laS sehr gern und sedr viel der gute Mann, und e« gab kluge Leute, welche meinten, er könne unmöglich alle« verstehen, was er da so bunt zusammenlese. Unter seinen StandrSgenossen aber galt er als ein gar belle» Licht, besonder» seil er im Handwerkcrvcrein glänzende Reden hielt, die seine Zuhörer mit Bewunderung erfüllten und ihm den Ruhm eine- BildungSapostclS in seiner kleinen Vaterstadt «intrugea. Es war wirklich merkwürdig, waS Alle- er gelesen hatte und wie geschickt er da« Gelesene in seinen Vorträgen zu verwerthei, wußte, wie genau er dieselben dem Bildungsgrad« und d«m gristige» Bedürfuiß seiner Zuhörer schaft anpaßte, besser als ein klassisch gebildeter Redner, un bekannt mit den Verhältnissen, eS gekonnt hätte — so meinten einige andere kluge Leute. Er selbst aber glaubte, dabei zu erkennen, wie sehr doch des Menschen Glück von einer tüchtigen Bildung abhänge, er redete bald laut von dem Recht, das alle Menschen an eine gleiche Bildung hätten, und er ging schließlich sehr leicht in seinen Reden über dieses höhere Glück der Menschheit aus deren niederes, irdischeres über — mußte er doch bald genug erfahren, daß bei all seinen schönen Reden die bittere Armuth an seine Thür zu klopfen begann. Umsonst klagte seine bescheidene Frau, daß er zu Grunde gehe an seiner Thorheit, umsonst sagten seine wenigen cin- sichligen und darum ihm treu gebliebenen Kunden: „Ver gessen Sie nicht, daß das Handwerk einen goldenen Boden hat, lieber Meister!" Er achtete weder aus das Eine, noch aus das Andere, war er doch ganz durchdrungen von seiner höveren Mission^ er goß auch seine ganze BildungSwuth in daS Herz seiner listigsten Tochter Therese, die er Thcsa nannte, welche er zu seinem Vcrständniß heranziehen wollte und mit der er große Pläne hatte. Da war sein Nachbar der RegierungSrath; er hatte viele Kinder und war nicht eben reich; er hatte eine Tochter in Thesa'S Alter — sie mußten Spielgefährtinnen werden, auch batte er einen Sobn ein wenig älter — der sollte Thcsa zur Frau RegierungSräthin machen. Also stand eS felsenfest in de« ebrsamen Schneidermeisters und VolkSredncrS Kopse. Er schickte deshalb daS Kind in die vornehme Schule und sie spielte mit des vornehmen Nachbars Kindern und Fritz, dcS Nachbar'S Sohn, plauderte gern mit der lebhaften, trotzigen Kleinen. Er half zuweilen dem Mädchen die Schularbeiten machen und börle dann mit lachendem, kaum verhehltem Spott dem alten Meister zu, wenn er ihm von Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit und der Gleichberechtigung aller Menschen an der Bildung und dem Glück der Erbe vorpredigte. Er schlendertc behaglich durch Müller - alten, bescheidenen Garten und zuckle die Achseln über die Kartoffel- und Koblbeetc, die die Frau Schneidcrmeisterin gar sorgfältig bestellte, und lachte über die altmodischen Ecntifolien, die auf den langen, schmalen Blumenrabatten in so üppiger Fülle blübten, und er lachte wohl auch über die kleiue dumme Thcsa, die ihm einen wahren Thron in ihrem lhöricbten, kindischen Herren errichtete. Wodl sagte die einfache, verständige Mutter zu ihrem Gatten: „Du verrirbst da» Kind mit deinen hochmütbiaeu Gedanken — wa» soll nachher nur au< ihr werden? Ei» unglückselig Wesen — für'« Pferd z« kurz und für den Esel zu laug!" solcher Redeweise bediente sich nicht selten die vernünftige Frau. „Sieh doch ihre Geschwister an, wie sie, ohne so viel Bildung in der Welt zurecht kommen und glücklich verheirathct sind." „In Dir ist kein Streben", sagte der Vater, „WaS versiebst Du von höheren Dingen! Und doch wirst Du glücklich sein, wenn daS Kind eine vornebmc Frau sein wird." Die arme Mutter lächelte trübe — wußte sie doch, daß der bildungsbestissene Vater nicht lange mehr daS theurc Schulgeld werde bezahlen können, und dann mußte das ge bildete, verwöhnte, verhätschelte jüngste Töchterlein doch hinaus in die Welt, sich irgendwo ihr Brod zu suchen. Aber auch Könige und Prinzessinen sind ja in« Exil hinaus gestoßen worden," so sagen die Märchen — schaltete Rose träumerisch ein — „warum nicht auch eine Schneiderstocbtcr? Konnte sie nicht endlick dock von einem Prinzen erlöst werden? — Die kleine Thcsa fand sich denn auch in ihr Geschick, nicht mit Vergnügen zwar, auch nicht mit philosophischer Geiassenheit, sondern zornig und trotzig und wild sich wehrend — WaS half eS ihr? Die bekümmerte, ewig sorgende Mutter behielt ja doch Recht. „Hinaus," hieß eS, „hinaus, ins feindliche Leben!" Vorbei die Kindheit, die Schule, die schönen Träume von einem ganz besonderen Glück. Vorbei auch die Liebe? Nein, o nein, die Liebe »ahm sie mit hinüber in ibr neues, ihr so verhaßte« Leben. Und wie selig war sic doch in ihrer köstlichen Schwärmerei! Wie sehr war er der Sonnenschein ihres stillen, freudelosen Dasein-! Ist nicht echte Liebe immer ein Glück für daS Menschenberz?" War das die lustige, allezeit spottende Rose, die in so Weichen träumerischen Tönen von Liebe sprach? — Aber ihre Zuhörerinnen wußten eS bereits, daß die Geschichten erzählende Rose ein ganz andere- Wesen sei, als die flotte Verkäuferin unten im Laden, sic störten mit keinem Laut den Zauber, der Rose umgab, sobald sie so selbstvergessen erzählte und horchten gespannt, waS nun weiter kommen werde »nd ob die stille, poetische Liebe dieser Thcsa ihren wohlverdienten Lohn finden w«rde? — „Wißt Ihr, was eS heißt", fuhr Rose mit bewegter Stimme fort, „wißt Ihr, waS e« beißt, wandere in dunkler stürmischer Nackt, aus steinigem, unbekanntem Pfade? Kein Licht ringsum, kein Mondenstrahl — Irrwege, wohin Ihr auch seht; mit Ketten belastet, mit Soracn beschwert, dennoch vorwärts streben und mir ein einrige« Sternlein über Eurem Haupte schwebend i» der finstern Nacht? So leuchtete Ibesa'S phantastische Liebe strrneogleich Über ihrem armen Deutsches Reich. 88. Berlin, I. Mai. Eine angesehene Wochenschrift äußert sich in einem Artikel über den Antisemitismus in offenbar billigender Weise über die Wirt hschastl ichen Ver anstaltungen antisemitischer Führer. Wir be zweifeln, dag der Verfasser in diesem Punete gut unterrichtet ist. Wenigstens WaS die Vermittelung de« Einkaufs betrifft. Die Antisemiten haben in iiianckcn Gegenden sogenannte Consumvereinc gegründet. Diese Vereine sind indessen keine Genossenschaften, sondern im Grunde von der Partei be günstigte Privatgeschäfte. Der „Landwirthschaftlicke Verein zur Nheiiiprcnßcn", eine um die Hebung der Land- wirthschaft, insbesondere auck um die Bekämpfung deS Wuchers hochverdiente Vereinigung, bat vor einiger Zeit die antisemitischen „Consumvereinc" folgendermaßen begut- Lcbcn. Es war ein wahrhaft idealer Cultus, den sie dem schönen Pbantasiebilde weihte. welche« sie sich auS ihren Kind- hcitSerinncruiigen und de» dürftigen Nachrichten, die sic von zu Hause erhielt, auferbaut, ein CuttuS, der sie hoch emportrug über alles Gemeine und Gewöhnliche, der sic blind machte gegen die zuckersüßen Huldigungen verschiedener blonder und brauner Jünglinge, und der sic selbst ernsten Männern gegen über einen solch" idealen Maßstab anlegcn ließ, daß sie ihr immer und immer wieder als viel zu klein erschienen. So verging die Zeit. Und eines Tages, da sollte sie ihn wieder sehe». Sie war zum Besuch zu Hause — seit Jahren zu», erste» Male. Es war ein wundervoller Iulitag und sie saß wieder wie einst im Garten und schaute sehnsüchtig in die Zweige der Laube hinaus und überlegte criistbask, ob das alte, morsche Gerüst sie, daS bochgewachsenc kräftige Mädchen, noch tragen werde, wie eS sonst das schmächtige K»>d trug — da kam ein großer, scklanker, eleganter Herr den breiten Weg zwischen den Kraut- und Kohlbeetcn entlang und eiligen Schrittes aus die Laube z». War er das? War er eS wirklich ? Wie ihr Herz klopfte! Wie ikre Wangen glühten! Ob er sie sehen würbe? Ob er überkaupt kam, sic zu scben, oder, ob nur ein Zufall ?" Aber da war er ja schon mit raschem Schritt und hielt ihr die sein behandschuhte Rechte hin und sagte freundlich mit weicher melodischer Stimme: „Ick Hörle, daß Sie aus wenige Tage zu Hause seien, liebes Fräulein, uno da konntc ich mir da« Vergnügen nicht versagen, meine ciiisiige, kleine Freundin zu begrüßen, welche inzwischen ein so schönes Mädchen geworden ist." Ibr Herz stand still. Er sagte „Sie" und „Fräulein", ihre Phantasie batte ibn imiiier nur „Du" genannt. Wi« fremd wurde er ibr mit einem Male doch! Und dann konnte sie ihm merkwürdig kiikl und prüfend in sein schönes Antlitz seben, und da sab sic ein leise« wohlgefällige« Lächeln um seine, trotzdem im leisen Spotte zuckenden Lippen spielen, welche« sagte: Du bist zwar ein reckt bübsche« Mädchen, aber ich bin koch noch schöner, noch siegbaster als Du!" Sie sah die sorgfältige Toilette, vom wodtsrisirten Haupte, bi« zu den eleganten Schüben berab, »nd »ach dieser kurzen Musterung verbeugte sie fick sebr böslich »nd sagte — und merkwürdig rauh und verändert klang jetzt Rose « vorhin so weiche träume rische Stimme. „Es ist unendlich liebenswürdig, Herr Toclor, daß Si« sich vir Mühe gemacht haben, unsere bescheidene Behausung
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