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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940504025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894050402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894050402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-05
- Tag1894-05-04
- Monat1894-05
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Miguel dem Abgeordnetenbanse eindringlich zu Gemüthe geführt batte, daß die Landwirthschastskammern als Voraus setzung für eine zukünftige landwirlhschastiiche Gesetzgebung jetzt nicht scheitern dürsten, haben zwischen Lenconservative», den freiconscrvativen und den nationalliberalen Führern über die streitigen Puncle Verhandlungen statt- gesunden. Dadurch ist wenigstens der Wille bekundet, zu einer Verständigung zu gelangen, wenn auch eine feste Grundlage für dieselbe noch nicht gewonnen ist. Der demo kratischen Presse, die dem Gesetzentwürfe ebenso kühl gezen- überstebt, wie der Nothlage der Landwirtbschaft, sind diese Verständigung-Versuche schon deshalb sehr uinvilltommen, weil sie den Schluß der Session verzögern, und natürlich macht sich dieser Unmuth besonders durch Ausfälle gegen die National- liberalen Lust, die einer schmählichen Inconsequenz beschuldigt werden, weil sie trotz des erbitterten Streite-, den sie soeben beim Synodalordnungsgesetze mit den conservativen Par ieren anSzukämpfen hatten, mit diesen selben Parteien über die LaodwirthschastSkammern verhandeln. Einen thörichteren Vorwurf kann man sich kaum denken. Was hat der Streit über die Synodalordnung mir den Landwirthschastskammern und der Landwirtbschaft zu thun? Soll man die Letztere für daS strafen, was Herr Stöcker an den Vertretern des kirchlichen Liberalismus verschuldet bat? Das mag demokratische Politik sein, nationalliberale ist eS nie gewesen und wird eS niemals werden. — Ucber die Difscrciizpuncte nicht nur, sondern auch über die allgemeinen politischen Gesicktöpuncte, die besonders für die Nationalliberalen bei den Verhandlungen in Betracht kommen, orientirt am besten die sollende Aus lassung der „Hamb. Nachr", die zugleich erkennen läßt, welches Gewicht Fürst Bismarck auf das Zustandekommen des Gesetzes über die Landwirthschastskammern legt: „Dt« Hauptstreitpuncte zwischen den Conservativen einerseits und den bellum Mittelparteien andererseits betrasen bekanntlich den obligatorischen Charakter der Landwirthschastskammern, das Wahlsystem für die Bildung derselben und die Gefahr eines Mißbrauchs des Instituts durch die polnische Propaganda. Bezüglich des ersten Punctes ist jetzt ei» Vorschlag in Erwägung, der die Einführung der Kammern für jede einzelne Provinz von einer nach Anhörung gewisser noch näher zu bezeichnender provinzialer Instanzen zu erlassenden königlichen Verordnung abhängig macht. Wir meinen, da» aus diesen Ausweg, wenigstens wenn unter jene Instanzen die landwirthschasttichen Provinzialvercine mit begriffen werden, auch die Anhänger der sacuttatwen Einrichtung eingehen könnten. Keine Regierung wird die Verantwortung übernehmen, einer Provinz eine Landwirthschastskammer auszuzwingen, wenn die berufenen Organe sich dagegen ausgesprochen haben. Was die Wahl der Kammern antangt, so hört inan viel von dem Vorschläge, sie aus den Kreis- lagen hervorgebcn zu lassen, doch ist aus dem Gebiete de- Wahl- svstemS die Annäherung allem Anscheine nach am wenigsten weit ge- Liehen. Noch gar nichts verlautet einstweilen darüber, wie mau über die polnische Gefahr hinwegzukommen gedenkt, obgleich doch nun mehr durch die phänomenale Ungeschicklichkeit einer officiösen Feder, die durch das nicht minder ungeschickte Dementi der „Nordd. Allg. Ztg." nicht redressirt wird, die von Anfang an ausgetretene Bermuthung bestätigt ist, dost dir preustischc Regierung diese Gefahr nicht ver keimt. Last sie aber mit Rücksicht aus die bekannte Polenpolttik der „Reichsregierung" auf eine Ausnahmebestimmung für die Provinz Posen verzichtet ha»! Man must nach dieser Aufklärung es nicht nur von Len Mittelparteien, sondern auch von den Conservativen als selbstverständlich annchmen, Last sie dem Gesetzt nicht ohne wirk same Cautelen gegen den polnischen Mißbrauch zustimmen werden. Ob dieselben in den allgemeinen Bestimmungen über das königliche Verordnungs-Recht und über die Zusammensetzung der Kammern in genügendem Maste vorgesehen werden können, oder ob es besonderer Vorschriften für die Provinz Posen bcdars, lägt sich noch nicht sagen: jedenfalls must ihre Wirksamkeit außer Zwrisel sein. Die Conservativen haben in der zweiten Lesung die im Sinne des Vorstehende» von den Mittelparteie» vorgeschlagencn Cautelen lediglich aus Rücksicht aus das Centrum abgelehn». Gelingt cs ihnen, zn einer Verständigung mit den Mittel- Parteien über das ganze Gesetz zu gelangen, so lommt diese Rück sicht in Wegsall. Wie Las Schweigen des CentruinS am Schlüsse der Montags-Sitzung beweist, ist dasselbe an den Berständigungs- Verhandlungen nicht betheitigt. Unmittelbar nach der Hülfe, welche es den Conservativen bei dem Synodalgesetz geleistet bat, ist daS allerdings überraschend genug, um so erfreulicher ist es, daß die Annahme, als ob eine klerikal-conservative Coalition von allgemeiner Bedeutung im Werden begrissen sei, dadurch einen kralligen Stotz erlitten hat Vor einer optimistische» Auffassung aber wird man sich doch hüten müssen: denn es bleibt abzuwarten, wie der Kreuzzeitungsslügel sich verhalten wird, der an der neuesten Wendung zum Mindesten kein Wohlgefallen hat." Die vor sechs Wochen in der französischen Dcputirten- kammer eingebrachte Interpellation des socialistischen Abgeordneten IauröS wegen der angeblichen unter Klerus und Plutokratie zu suchenden Geldgeber der An archisten ist nun doch noch zur Verhandlung gelangt und — glücklicherweise — als jeder tbatsächlichen Grundlage ent behrend mit 824 gegen 193 Stimmen der einfachen Tages ordnung zum Opfer gefallen. Die Ausführungen IaürS'S stützten sich im Wesentlichen daraus, daß in einem Reisekoffer des in Paris als Säufer und Hanswurst bekannten „Anarchisten" MariuS Tournadre zwei Visitenkarten gefunden wurden, deren eine von Baron Rothschild stammte, während die andere der Herzogin von Uzv« gehört hatte und eine kurze Bemerkung enthielt, des Inhalts, die Herzogin bedauere, vorläufig nicht mehr thun zu können. Diese Fallen waren längst bekannt und die Presse hatte sie in verschiedener Weise zu erklären gesucht. Der „Figaro", dieser „Moniteur ossicicll" der Noblesse und der Plutokratie, hatte all seinen Witz aufgebotcn, »m die ver dächtig aussehende Herkunst der Karten aus natürliche Weise zu erklären. Der Baron Rothschild, so hieß eS, habe aus der Jagd einen Unfall gehabt und MariuS Tournadre habe sich bei dem kranken „Kai ckon.luils" eingeschrieben, woraus ihm, wie hundert Anderen, die Karte deS BaronS zugeschickt worden sei — wie man sieht, ein reiner anarchistischer Ulk. Bei der Duchesse d'UzöS habe Tournadre Vorgesprächen, um unter diesem oder jenem Vorwände Unterstützungen für sich oder Andere zu erbetteln, und die hochgestellte Dame, deren Freigebigkeit säst sprichwörtlich ist, sei gutherzig genug ge wesen, dem Wunsche des „Genossen" Tournadre zu entsprechen. Aus diesen und ähnlichen Vorgängen wollte IauröS nun den Schluß ziehe», die Capitalistcn hätten die Propaganda der Thal mit Geld subvcntionirt; betreffs der Geistlichkeit und ihrer Theilnahme an jenen Umtrieben fiel der Nachweis kaum günstiger aus. Er fußte darauf, daß Sebastian Faure und andere Anarchisten Zöglinge von Iesuitenschulen gewesen seien, daß ein tollgewordenes Kaplanblättchcn ..Ea Oroix" blut rünstige anarchistische Phrasen wider die kapitalistische Gesell schaft schleudert und Leute, wie die bekannten Abbes Garnier und Lemire gegen die Reichen Hetzen. Die Beweisführung IaureS' war die reine Farce, daß diese aber in Scene geben konnte, das kommt allerdings auf das Conto der Pariser Bourgeoisie, die den Anarchismus lange genug verhimmelt und dadurch großgezogen hat. Zum Versländniß deS gegenwärtig in Italien zur Ver handlung siebenden Banca-Romano-ProcesseS sei Folgendes in Erinnerung gebracht: Auf der Anklagebank be finden sich in erster Linie der ehemalige Leiter der „Banca Romana", Bernardo Tanlongo. der Cassirer rersclben Bank, Ccsare Lazzaroni, beide Comtbure ver italienischen Krone, gleich dem Mitangeklagten Ministerialdircctor Antonio Monzilli, ver in London festgenommen Worte» ist Außer dem sind angeklagt der Advocal Bellucci-Sessa, Helfers helfer deS durch den Tod der Verantwortung überbobenen Ad geordnete» Rocco de Zerbi, und die Agenten Zammaraiio, Agazzi, Toccasondi. Die Grundlagen des ProcesseS ergeben sich aus folgenden Tatsachen: In Folge der in der Kämmer zur Sprache gekommenen Bankmißstände und Unregelmäßigkeiten, die das Cabinet Giolitli vergebens als grundlos und unbedeutend zu behandeln gesucht batte, wurde am 3tt. December 1892 eine außerordentliche Untersuchung bei sämmtlicken Zettelbanken angeordnct. Diese stellte bei der Banca Romana eine mißbräuchliche Ueterscbrcilung des Notenumlaufes um 60 Millionen und einen Cassenseblbetrag von 28>/, Millionen Lire fest, die seit langer Zeit durch Büchersälschung verdeckt worden waren, wozu in der letzten Zeit nock vorgeschützte Contocorrent-Passiva hinzu gekommen waren. Die gegen den verantwortlichen Leiter und den Cassirer eingelcitete strafrechtliche Untersuchung brachte außerdem die Herstellung doppelter, daher ungiltiger Serien und Nummern der Noten der Bank im Betrage von 4t Millionen Lire anS Licht, von denen aber nur tl «160 in Umlauf gesetzt worden waren, da mehrere Beamte der Bank den ungeheuren Betrug entdeckt und den Dircctor Tanlongo zur Vernichtung der großen Masse falschen Papier geldes gezwungen hatten, ohne freilich die pflichtschuldige Anzeige zu macken. Der fortgesetzte Betrug war ermöglicht worden, indem ein parlamentarisches AuSsckußniitqlicd, Rocco de Zerbi, sowie zwei Staatsbeamte, Monzilli uodZammarano, durch Tanlongo gekauft wurden Rocco de Zerbi hatte zu wiederholten Malen erhebliche Summen durch Vermittelung Bellucci-SeffaS erhalten, uni im BankauSschusse seinen Einfluß zu Gunsten der Römischen Bank geltend zu machen. Monzilli hatte in Folge von Bestechung die ihm obliegende Bankaussicht nachlässig anSgeübt und die entdeckten Unregelmäßigkeiten verschwiegen; er hat dafür 39 500 Lire eingestrichen, wahrend der Regierungscommissar Zammarano für ähnliche HelfcrS- belfcrdieiiste 18 000 Lire empfing. Auf den Baiilbcaniten Agazzi und Toccasondi lastet die Anklage, in Kcnntniß der angegebenen strafbaren Vorgänge sich beträchtliche Summen — Agazzi 97 000, Toccasondi 26 595 Lire — angeeignet zu haben. Der ofsiciose russische Unterhändler beim Vatikan, ISWolSki, wurde bekanntlich vor einigen Tagen plötzlich nach Petersburg berufen. Ueber die Gründe dieser Reise ist zwar noch nichts Sicheres bekannt geworden, aber man neigt, und wohl nicht mit Unrecht, in vaticaniscken Kreisen der Annahme zu. daß dieselbe mit der an die polnischen Bischöfe gerichteten Encyklika deS Papstes in Zusammenhang siebe. Es ist eine unleugbare That- sache, daß diese päpstliche Kundgebung, obwohl sie wie erinnerlich in einer sehr milvcn Form abgejaßt war und die polnischen Katholiken zum Gehorsam gegen die LandeS- obrigkrit und zur Treue gegen den Landesherr» er mahnte, wobei die Beschwerden de« polnischen Klerus so gut wie unberücksichtigt blieben, in den russischen RegierungSkrcisen mit lebhaftem Mißfallen ausgenommen worden ist, da der Papst so „unvorsichtig" gewesen ist, in dieser Enuuciatie» von einer polnischen „Nation" zu reden, die von russischem Standpunct aus ja nicht mehr existirt und nickt mehr cristircu darf. Man muß eS als eine cigenthümlichc Wendung in der inter nationalen Stellung deS Vatikans be trachten, daß zu derselben Zeit, wo in den Beziehungen desselben zu Rußland eine entschiedene Spannung herrscht, im Valicau auch Frankreich gegenüber eine Verstimmung Platz gegriffen bat. Verursacht wurde dieselbe bekanntlich durch die Einslelluiig der Bezüge deS Erzbischofs von Lyon, Msgr. Coulliö. Zn vaticanisckcn Kreisen betont man, daß daS Vorgehen der französischen Regierung mit den vielbesprochenen Erklärungen deS CultuS und llulerrichtSministers Spuller vom „neuen Geiste" der Verwaltung gegenüber der Kircke gewiß nicht in Einklang zu bringen sei. Man be dauert cs. daß das Eabinet Easimir Perier, welches eine aus richtige Politik der Aussöhnung zwischen Staat und Kirche anbabncn zu wollen schien, fick anS wabltaklischen Rücksichten zn einem derartigen Zugeständnisse an die antikirchliche Richtung bestimmen ließ. Die Gegner der ven Leo XIII. gegenüber der srauzösischen Republik beobachteten Politik — und cs giebt deren nickt wenige in Rom wie in Frankreich — werden anS der Maßregelung de- Erzbischofs von Lvon unzweiselbast Capital schlagen und Hellend machen, daß die Regierung der Republik nur sebr geringe Neigung zeige, daS sorlwäkrende „Entgegenkommen" dcö Papstes durch eine gleiche Haltung zu erwidern. DaS Vorgehen der srauzösischen Regierung in dem Falle Coulliö mußte die vatikanischen Kreise ui» so peinlicher berühren, als der Erzbischos zu den wenigen Kirchcnsürsten gekört, die sich zu allererst freiwillig ans die Seile der Republik gestellt baden, und gerade seine Hirtenbricie in Sachen der Verwaltung deS Kirchenvermögen» nicht io oppositionell gekästen waren, daß sie die ihm widerfahrene schroffe Maßregelung verdient hätten. Ter cisige Empsaug.wclcher dein Ministerpräsidenten von der Toulouer Bevölkerung bereuet murre, die Hochrufe, die unter einem wahren Höllenspektakel auf den Erzbischof ertönten, und die Bänderrollen, welche mit Ausscbrislen wie „Es lebe Coullie!" den Ministern in die Wagen geworfen wurden, lassen er kennen, daß der Mißton in de» Beziehungen zwischen Rom »nv Paris in der katholischen Bevölkerung Frankreichs einen leb haften Widerhall gesunden dal, »nd daß die letztere, wenn eS gilt, an der Seile der Bischöfe stehl. Für den feste» und dauernden Bestand des Dreibundes „Rußland Frankreich- Rom" sprechen alle diese Dissonanzen nicht, und man dars gespannt daraus sein, wer bei der Herbeiführung cincS ..imnlux vivemli", die inan von Rom a»S allem Anschein »ach ver suchen wird, daS beste Geschäft macht. In AufflanS hat ein neues Gesetz über die Fabrik-, inspectio» die kaiserliche Sanction erbalte», dessen wichtigster Tbeil in der AuSdebiiung der seil l886 bcstcbcntcn Bestim mungen von den 5 Gouvernements Petersburg, Moskau, Wladimir, Warschau und Petrokow aus weitere 13 Gouver nements zu sehen ist. In Len übrigen 42 Gouvernements werden auch ferner nock nur die allgemeine» Gesetze über den Arbeiterschutz gelten. Der Hauptlheil der verstärkte» Inspektion besteht in der Schaffung einer Gouverncmci'lSbcbördc für Fabrikangelegenheiten (mit dein VerorVnungSrcchk, Strafrecht :c.) und in der unbedingten Forderung des ArbcitSbüchleinS (Contractl, während in den anderen Gouvernements dieses nur sacullativ in Anwendung kommt. Die ganze Fabrik- inspection wird unigcstaltct. Dieselbe wird direct dem Departement für Hantel und Manusaclur unterstellt, wel- Fenilletsn. Im feindlichen Leben. ks Roman von I. Schwabe. NeLtnick »erdolk».) (Fortsetzung.) Freilich, es gab giftige Zungen, welche boshafter Weise behaupteten, eS sei ihr Freund, ver Hauptmann von Hochheim, welcher schlechterdings Alles für sie schreibe. Wer aber wollte daS beweisen? Es war gut, das nicht allzu laut zu sagen. Der Hauptmann war ihr Freund gewiß, ihr langjähriger Freund sogar, die bösen Zungen sagten außerdem, er sei ihr vor ihrer Ehe mit dem alten, reichen, gelehrten Baron noch mehr als nur ein Freund gewesen, aber auch das war nicht sicher zu behaupten. Er war indeß ihr Freund, daS war ganz sicher, und er benahm sich stets sehr ritterlich, sehr zuvorkommend, selbst dienstbeflissen gegen die kleine Frau, — aber man würde trotzdem aus seinem Bcncbnien nicht haben schließen können, daß er sic liebe, oder auch nur, daß er sie vor Zeiten geliebt habe —, soviel höflichste Kühle und Reservirthrit lag in seinem Wesen. Sie aber? — Nun, die Leute wollten wissen, daß sie ihn jedenfalls sebr gern bei sich säbe, und Tbatsache war, daß man ihn zu alle» Zeiten bei ihr antrcssen konnte und daß man spottend meinte, der Dienst bei ihr gebe ihm noch über den militairischen Dienst, mit welchem er eS doch gar ernst nabm, wie Jedermann wußte. DaS Alles waren arge Widersprüche, aber sie kanien den guten Leuten nickt so schroff' zum Bewußtsein, und schließlich war er doch ein sehr tüchtiger Officirr — das war allgemein bekannt, und er war doch auch ein sehr tüchtiger angencbmcr Mann — warum nur nahm sie ihn nicht? Sie batte ihn dock, offenbar gern! Und wenn sie Ernst machte, würde er sich sicher nicht mehr bedenken — ibr Geld allein war schon der Müde wertb, und nun diese ganze, reizende, kleine Person dazu! Sie begriffen eS wirklich nicht, die Nugen Leute, die sich gar so geru den Kops über anderer Leute Verhältnisse zerbrachen. Und die reizende kleine Person batte gar nicht» dagegen, wenn man sich so recht über sie die Köpfe zerdrach. Nicht» amüsanter, al- den Leuten Räthsel aufaeben. nicht» lustiger, al« sie Alle an ver Nase herum führen. Und Er — Ah? 7 Sie saß in ihrem sogenannten Arbeitszimmer und lang- ßmH» sich. Draußen reguete e« in Strome» und all die zarten Blüthen hingen in Trostlosigkeit die Köpfchen ob dieses Regens und des kalten Schauers, der durch die Luft ging. DaS aber kümmerte die Baronin weniger; sie hatte kein Verständuiß für die Natur, und selbst der Kranz, welcher das große Bild des verstorbenen Gatten schmückte, war auS künstlich hergestelltcn Eichen- und Lorbeerblättern gebunden. DaS sah genügend romantisch aus. — Blumen in den Zimmern aber bedürfen so vieler Pflege und auch Hellen Lichtes, und die Jungfer versteht da« Pflegen der Pflanzen ar so schlecht, und so grelle» Licht, wie die Blumen eS nöthig aben, kann die Baronin nickt auSsteheu! Dunkle Seiden behänge dämpfen deshalb das Licht der großen Kcuster; Glasmalereien, an seidenen Schnüren ausgehängt, brechen jeden allzu dreisten Sonnenstrahl, malerisches Helldunkel herrscht in allen Gemächern — und so siebt man die seinen Linien nicht, welche die Zeit dem pikanten, bräunlichen Gesichtchen der reizenden, kleinen Frau cmzugrabe» beginnt. Sie will sie auch nicht sehen diese kleinen, feinen Linien, sie sükle sich ja noch viel zu jung, sie will jung bleiben — wer siebt eS ibr denn an, daß schon achtunddreißig Jahre über ihrem lockigen Haupt dahin gezogen? Sie trägt da« tiefbraune, fast schwarze Haar ganz kur; geschnitten — daS erhöht die Jugendlichkeit, und ihre zarte Gestalt ist so leicht, so beweglich, so graziös — nur Hände und Füße — sie sind abscheulich groß gcratbrn, weshalb die kleine Baronin immer zu kurz« Stiefclchen und zu enge Handschuhe trägt! Denn sie hat Schönheitssinn, die kleine Frau, einen sehr ausgebildeten Schönheitssinn, und der sagt ihr — waS doch nicht ein Jeder zu wissen braucht! Sic liebt e-, da» kurze Stumpfnäschen bin und wieder heftig in die Höhe zu ziehen — hochmüthig, mißmuthig, spöttisch, ver ächtlich» je nachdem, je nach der Stimmung, welcher sie Ausdruck geben will, unv dieser kleine Stimmungsbarometer erhöbt den Reiz ihres pikanten, kleinen Gesichte«. Auch heute, an diesem abscheulichen Regentage, ist die kleine Nase vielfach in Bewegung gewesen. ES ist empörend langweilig beute — kein Mensch wird kommen bei diesem Wetter! Aber der Hauptmann muß einfach kommen! Hoch müthig bewegt sich die kleine Nase in die Luft, um den etwa» groß grrathenen Mund liegt au«gesvrochrne« Siege-bewußl- sein und in ren kleinen schwarzen Augen funkelt e» beinahe dämonisch. Sie stößt ein kurze«, harte« Lachen au- — lacken nicht so die bösen Engel, wenn sie ein« arme Seele in ihrer Macht wissen? „Er muß kommen", rief sie halblaut, „und er wird kommen. Wird er auch noch komme, — weua — ?" DaS klang nicht ganz so zuversichtlich, nicht ganz so siegesgewiß. Aber da hallte die Glocke! War er es nicht? Aufgeregt nahm sie auf dem Divan Platz, der mit Weichen orientalischen Teppichen behängen, unter einem riesenhaften, ausgespannten, rothcn japanischen Fächer, sich, zur Rübe ein ladend, weit inS Zimmer hinein schob. „Da sind sie ja", sagte sie im Tone der Erleichterung, da er endlich ins Zimmer trat, „ich bin fast gestorben vor Langeweile." „DaS bedauere ich unendlich", entgegnete er höflich und streifte leicht mit kühlen Lippen die ihm dargereichtr Hand. Sie drückte den zarten Körper graziös in daS weiche Polster, die kostbaren Stoff« — rosig umhauchte der Schein des Fächers ihr kleine», pikantes Gesicht. — Sie winkte dem Hauptmann, ihr gegenüber Platz zu nehmen. „Haben Sie etwa- mitgebracht?" fragte sie müde. „Hundert Thaler, meine Gnädige", entgegnete er fast rauh. „Mein Gott, danach fragte ich doch nicht", meinte sie nachlässig. „Aber Sie werden die Güte haben, mir nachher eine Quittung darüber zu schreiben!" Und tief athmend legte er ein Couvert auf den nahen Schreibtisch. Er sah sehr blaß auS; man sah eS trotz veS malerischen Halbdunkels und trotz de- rosigen Scheines, den der riesige Fächer auch bi» in seine Nähe warf. Und er sab sehr nach denklich auS und auch ein Wenig zerstreut. Die Baronin be merkte eS. „Sic haben Wohl wieder viel gearbeitet?" fragte sie theilnehmend, und sie hatte eine so süße, einschmeichelnde Sprcchstimmc — alle Welt wunderte sich, daß ste nicht sang! Und sie wußte genau, welche Macht in dieser süßen Stimme lag! „Sie sind sehr thöricht, lieber Freund, sich so zu quälen", — „ein paar Jahre früher, ein paar Jahre später — mir kommt e« wahrhaftig nicht darauf an!" „Aber mir kommt es darauf an, Melanie, mir kommt e» ehr daraus an", entgegnete er hastig und zwischen seine chön geschwungenen Brauen schob sich eine tiefe, düstere Falte. „Reden wir vco andern Dingen", bat sie; „haben Sie nicht« zu lesen mitgebracht?" „Gewiß, ja", entgegnete er rasch, und sofort verschwand die Falte aus seiner Stirn, „und e« wird Sie iateresüren, Baronin, ich hoffe e« wenigsten«, daß e« Sir inlerrssiren wird, aber c» sind Verse» Melanie, und im Allgemeinen schwärmen Sie nicht für Verse, wie ich weiß " „Im Allgemein» — nein", lachte sie; e« war rin halb- versieckteS, kokettes Lacken,—„aber im Besonderen—? Sind die Verse von Ihnen, Erwin, ja?" „Nein, Melanie, nein", sagte er ganz beiter, und eS war merkwürdig, wie sich sein Gefickt verändert halte, seit von diesen Versen die Rede war. „Meine Cousine, Sie wissen dock, Dora —" „Ab, die Emancipirtc, die da irgend wo draußen in der Welt sich ihr Brov verdienen wollte", sagte die Baronin mit harten, Spott —, „sie wird wohl bald wieder heimkommen und bei Tante Ercellcnz, oder Cousine Gchcimräthin ein Unterkommen suchen." „Ich sürcktc, nein", sagte Herr von Hochheim sebr ernst, „aber diese Verse —" unv wicver lächelte er, wie Sonnen schein war es über dem ernsten Männergesicht, „diese Verse Kal sie einer Freundin heimlich entführt. Sic müssen sie hören, Baronin, und wenn Sic auch nicht gerade finden werden, vaß Goethe, und Schiller es nicht hätten besser macken können und wenn Sie auch vielleicht meine», Dahn oder Heisse oder einer unserer modernsten Lyriker Kälten daS viel schöner gesagt, so werden Sie doch zuzeben müssen, daß es Wunderblumen sind, aus dürrer Haide gewachsen, wenn ich Ihnen erzähle —." „Lassen Sic vorläufig daS Erzählen und lese» Sic etwas von den „Dundcrdlunien auf dürrer Haide", unterdrach sie ihn trocken „Sie werde» ja ganz poctisck, bester Haupt mann", spottete sie da»» lustig, „unv machen mich sebr neu gierig aus die Wunderblumen, welche einen so großen Ein druck aus Sie gemacht haben — wenn Sic nur säken, wie Ihr Gesicht ordentlich strahlt!" Er errötbete, wahrhaftig, der gestrenge Herr Hauptmann crröthete, Fra» Baronin sab es mit steigender Verwunderung und beobachtete ihn scharf, während er schweigend einige wenige, mit einer große», kräftigen Handschrift bevecktc Blätter hervor nahm. „Na, die Freundin wird wohl ein Freund sein", sagte halblaut Frau Melanie, da sie die grosse Handsckrift be merkte, »nd lehnte sich bequem zurück, stützte da« lockige Haupt in die Hand »nd ließ die schwarzen, kirschcnzlcichen Augen voll aus des ^iauptmannS bewegtem Antlitz ruhen, während er mit einfachem, gefälligem Vortrag laS: „Einsam Leis« säuselt der Ädendwiad lieber die dämmernde Halde: Längst verstummt schon die Bienen sind, Leii« küßt er die Bliunen lind — Leis' ans der dastigen Haid«.
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