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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940601021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894060102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894060102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-01
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Tabellarischer und Zisferajatz »ach höherem Tarif. Grtra-Vrtlagen (gesalzt), nur mit de« Moraen-Au-gabe, ohne Postbesörderung «10.—. mit Postbeförderung 70.—. ^nnalimrlchluß für Anmykn: Adend-Au-gabe: Borinittag« 10 Uhr. Viorge n-Auegabe: Slachmitiag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag- früh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen ,« eia« halbe Stunde früher. Uttzetge« sind siel- an die GrprVittai» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 27«. Freitag den 1. Juni 1894. 88. Jahrgang Politische Tagesschau. * Letzizig. 1. Juni. Hexte findet bekanntlich im 23. sächsischen ReichstagS- »«zltrrise die Stichwahl zwischen dem socialdemokrarischen Amerber Ge risch und dem natronalliberalen Kandidaten Uebel statt. Wir hoffen, daß die Anhänger der Ordnungs- parteie» im Wahlkreise zu gut wissen, was sie dem Laler- laxbe and sich selbst schuldig sind, um aus Lauyeil oder Ver bitterung der Socialdemokratie zum Siege zu verhelfen. Sind doch der Vorstand de- konservativen Verein-, die Mitglieder vom Bunde der Landwirthe und das deutsch- sociale (antisemitische) Wahlcomitö, wie auch Herr Max Schubert selbst, mit zündenden Ausrufen für Herrn Uebel eingetreten. Besonders erwarten wir von den Anhängern deS Bundes der Landwirthe die energischsten An strengungen zur Abwehr eines socialdemokralischen Sieges, ter die ohnehin so überaus rege socialvemokralische Landagitation in der bedenklichsten Weise fördern würde. Wie rastlos dieselbe überall betrieben und organisirt wird, lehrt die Zusammenkunft, welche, wie bereits gemeldet, die Tocirldemokratcn von Oberbayern und Tirol kürzlich in Rosenheim abgehalten haben, um die Agitation aus dem Lande zu besprechen. Zum Schluffe fahle Abg. v. Vollmar da» Ergebniß der Verhandlungen zusammen und munterte zum liebevollen Studium der bäuerlichen Verhältnisse, sowohl nach der materiellen Seite als in Bezug aus die Charaklereigen- idümlichleiten und dieGcdankenwclt derBevölkerung, aus. Dies Studium sei die »othwendigeVoraussetzung jederLandagitalion, bei der mit Ruhe, Stetigkeit und Geduld vorgegangen werden müsse: dafür sei dann aber auch der Erfolg desto sicherer. — Wir haben hier die Grundzüge des Programms, daS jetzt überall mit Eifer und Ausdauer von der Socialdemokratie für ihre Agitation in Scene gesetzt wird. Welche Erfolge die Partei auf diesem Wege erringen kann unter ge schickter Leitung, daS beweisen die Ziffern der ReichstagS- «ahlen gerade in Oberbayern. Außer München hat dieser Kreis keine größere Stadt, auch kaum ein bedeutendes vsubustriecentrum; die Bevölkerung ist ganz vorwiegend in Imidwirthschaftlicher Beschäftigung, Körnerbau, Viehzucht, Hslzarbcit tbätig; Früher herrschte die Centrumsparlei dort unbeschränkt, auch heute noch siegt sie bei den Wahle»; aber während der Antheil der Centrumspartei an den in Lberbayern abgegebenen Reichstagswahlstimmen noch 1878 '1,4 Proc. betrug, ist er jetzt auf 65,9 Proc. heruntergrsunken. Dafür ist umgekehrt der Antbeil der Socialdemokratie von Wabl zu Wahl mit schnellen Schritten gestiegen. Sie zählte 1878 5759 Stimmen, gleich 1,6 Proc.; 1893 hatte sic .88133 Stimmen, gleich 20,7 Proc. Solche Zahlen beweisen tie Möglichkeit socialdemokratischer Erfolge auch aus dem platten Lande. Man kann auf diese Thatsache die Blicke nicht energisch genug in einer Zeit lenken, wo der „Bund der Landwirtbe" sich so häufig in schroffen Gegensatz zu den übrigen staalserhaltenden Parteien stellt, ohne deren Hilfe die auch für die ländliche Bevölkerung immer größer werdende Gefahr socialvemokratischer Umklammerung unmöglich ab' gewendet werden kann. DaS preutzische Herrenhaus hat gestern in seiner Schluß' sitzung die Resolutionen Uber die Finanzlage des preußischen Staates nach den Beschlüssen des Ab geordnetenhauses angenommen. Dieselben verlangen bekannt lich neben Schuldentilgung und Aenterung in der Verwendung ter Ueberschüssc der Staat-eisenbahnverwaltung eine feste Abgrenzung der Beiträge Preußens für die Be dürfnisse deS Reichs, in der Weise, daß letzteres nicht nur seine eigenen Ausgaben selbst bestreitet, sondern auch den Einzelstaaten Ueberweisungen über die Matricularumlagen binaus gewäbrt. Damit bat der größte deutsche Landtag mit bedeutender Mehrheit beider Häuser dem Grund gedanken des in der verflossenen Reichskagssessivn gescheiterten ReichsfilianzresormplanS in vollem Umsang zugcstimmt. DaS Gewicht dieser Kundgebung ist nicht zu unterschätzen. Der preußische Landtag hat seine Stimme in dieser Frage zuerst klar und kräftig erhoben. Andere werden sicherlich Nach folgen. Denn eS dürste keinen deutschen Landtag geben, der dauernd die Deckung der Fehlbeträge im Reich durch die Bundesstaate» für möglich hält. Der Druck ans den wikcrwilligen Reichstag muß von denjenigen Stelle» auSgehen, denen man die neuen Lasten aujladcn will. Ein der äußersten Linken in Ungar» angehörcndes angesehenes Blatt, der „Egyetertes", veröffentlicht eine Unter redung seines römischen Berichterstatters mit Crispi, die, falls sie wirklich staltgejundcn hat, vollaus bestätigen würde, daß die Fäden der Intrigue, die gegen de» liberale» prote stantischen Ministerpräsidenten Wekcrle und sei» Civil- ehegesey gesponnen werten, ihaisäcklick am Wiener Hofe zu>ami»c»lauscn. Crispi soll für Wekerle und die liberale ungarische AbgeordnerenhauSmehrheil in Worten der höchste» Anerkennung als einer Stütze LeS Dreibundes gesprochen und dann fortgefahren haben: Ich, der ich Oesterreich kenne, weiß Wekerle'- Charakterstärke am meisten zu würdigen. Wie impertinent die Wiener höfische Sieaction austritt, habe ich an mir ielder erfahren, als ich aus Verlangen Birmarck'S zum erste» Maie nach Wien ging. Kaiser Franz Josts lud mich zum Mahle ein. Al- ich de»» Cercle zwei tonangebenden Erzherzoginnen vorgesieUi wurde, jagte mir die eine: „Wie lange wird die knechlschast des Papstes im Vatikan dauern?" Ichanlivorleie: „Wir bieten Alle- aus, damit Seiner Heiligkeit nichts abgehe; unser« Soldat»» loschen Tag und Nacht, damit bas Volk den Papst nicht beleidige." Die andere Erzherzogin begann die Unlerhailnug: „Dir ita lienische Einheit ist ein PsingstköniglhumI'^ Ich verbeug!« mich stumm und ging. Da» ossiciöst „Fremdend!." und tlerilai» Blatter schrieben, ich sei ein Komödiant. Nach solchen persönliche» Inlulten wäre jeder verzagt, daß bas Ziel ViSmarck's möglich sei. nämlich Italien» Allianz mit Lesierreich-Ungarn. Ganz verstimm! ging ich iolgeiiden Tage- zur Audienz zum Kaiser. Ich überzeugte »uch jedoch bald, dag Franz Joses ein constilulivneUer Herrscher ist, wahrend am Hose der alle absolutistisch« Geist herrscht. Wenn schon der Minister de« Aeußern einer kremden Mach! so empfangen wird, ist leicht zu errolhe», was Wekerle aussleht. Mit seiner Aus dauer hat Wekerle nichl blos Ungar», iondern auch dem Dreibund eine» Dienst erwiesen. Denken wir u»S nur in Ungarn eine jesuitische Regierung nebst entsprechender Mehrheit! In diesem Fall« könnte der Bund mit Lesterreich-Ungarn nur pro torm» de- stehe», und ich würde dem deutschen Kaiser offen ge- stehen, daß Italien «her zu dem radicalen Frankreich neigt, als zu dem reactionairen Oesterreich. Unter solche» Umständen würde meiner Ueberzcugung »ach auch das intime Vcrhüllniß zu Deutschland erkalte» und der deutsche Kaiser würde sich Rußland naher». Darum ist der gestimmte Treidund Wekerle Dank schuldig. Sollte der italienische Ministerpräsident sich wirklich in dieser Weise ausgesprochen haben, so wäre da» nicht gerade sehr tactvoll und de» internationalen Gepflogenheiten wenig entsprechend, aber nichtsdestoweniger hätte er doch ein treues Spiegelbild der Strömungen am Hose Kaiser Franz Josefs entworfen, die indessen nach den neuesten Pcster Meldungen schwerlich im Stande sein werben, diesen so durch und durch loyalen Fürsten irgendwie zu beeinflussen. Gestern hat da« neue französische Ministerium sich der Kammer vorgcstellt. Die Program merklärung war, was man als den Verhältnissen durchaus entsprechend be zeichnen muß, fast ganz farblos. Die Regierung verzichtet darauf, mit eigenen GesctzeSvorlagen vor das Parlament zu treten, beschränkt sich vielmehr daraus, die vorliegenden zahl reichen Gesttzentwülfc, namentlich das Budget, au dem sie Aeuberungen rorzunchmen sich bereit erltärt, zur Erledigung zu dringen. Plus, man schon in ter Bereitwilligkeit zum Nachgcben auf finanziellem und speciell aus siScalischcm Gebiet ein Entgegenkommen gegen die links stehende» Gruppe» erblicken, so seblen in der Programmerklärung de« zweiten CabiuelS Dupuy die energischen Kriegserklärungen gegen Raricali»i»uS und SocialiöuiuS, welche dem erste» Cabinct gleicher Firma de» Stempel ausdrückten, bezeichnender Weise .zanz; denn der Satz, die Negierung werde die öffentliche Ordnung gegen alle Aufreizungen entschlossen aufreckt erkalte», ist entweder politisch völlig »ichtSsagenk, oder nur gegen die aiiaichistischcii Umstlnzgelüste zu deuten. Mau kann also rem neue» Cabinet bis jetzt nur de» Cbaraktcr eine« reinen GeschäsiSiiiinisteriuiiiS zusprechen, daS bestrebt ist, sich bi« zur Präsidentenwahl durch alle Fäkrlicbkellen zu laviren, und, lim sich günstigen Wind in die Segel zu schassen, mit rem radikale» Zuge der Zeit all lruo paktirl. Wie weit eS mit dieser Taktik kommt, wird sich ja bald zeigen. Tie An gelegenheit Turpin'S, der sich iminermehr als balber Narr und Schwindler entpuppt, war derart, daß von ihr eine Gesahr für da« eben angetretene Cabinet nickt z» befürchten war, und die Kamnier votirte demselben doch immerhi» mit 116 gegen 112 Stimme» ihr Vertraue». Daß die Odslruction der Radikalen aber bereits an der Arbeit war, ließ sich aus den ganz unbegründeten Vorwürfen erkennen, die sie dein Kriegs- minister daraus machte, daß er die neuerliche „Erfindung" Turpin'S der Prüfung nicht für werth erachtet bade, Vorwürfe, die beinahe dir Demission Mercier's veranlaßt hätte». Eine weit gesäbrtichere Klippe wird dem schwanlen Schifflem der Regierung in der bereit» eingebrachten. sehr wohl berech tigten Interpellation erwachsen, wesbalb dieselbe au« lauter Opportunisten zusammengesetzt sei, während sie doch nach der Abstimmung, welche dem Cabinet Perier das Leben kostete, eine vorwiegend radikale Zusammensetzung zeige» müßte. An heftige» Kämpfen um seine Existenz wirb es dem „Friedens" Cabinct Dupuy also schon in den Flitterwochen nicht fehlen. Wer rin neues bulgarische- Ministerium Slambiilow ohne Slambulvw erwarte« hatte, hat sich getäuscht: »och gestern hat der Fürst Stoi low mit der Bildung des Cabinett betraut, und dieser konnte schon am selben Tage seine Mitarbeiter »ominiren. Wie er selbst als Conservaiiver, so gehören auch diese der Opposition a»; Rats che witsch, der daS Ressort de« Aeußercn übernimmt, gehört gleich falls der comervativcn Partei an, der Finanzministcr Grsckow ist Zankowist, Radoslawow, der das Portefeuille der Justiz und vorläufig das des Unter richts übernimmt, sowie Tonischem, deni Handel und Ackerbau unterstellt sein werken, sind in der Wolle gefärbte Radikale. Der KriegSininistcr Petrow ist zwar au» deni Cabinet Stamdulow'- übernommen worbe», kam in dasselbe aber wider den Willen des Premierministers a» Stelle Sawow'S. In ihren Vorwürfen gegen Stambulvw sind diese Häupter der bisherige» Opposition einig; sie beschuldigen ihn, sich zwischen Fürst und Volk gestellt, eine verfassungswidrige Gewaltherrschasl au-geübt und versucht zu Kaden, den Fürsten Ferdinant zu einer Marionette zu mache»; sie werfen ibm vor, er bade die Finanzen und de» Credit de» Lanke» geschädigt, sich i» militairiscke An- gelegeiibeiten, die ausschließlich den Fürsten angingen, gemischt zu baden u. s. w. Jetzt werten sie ielder zu beweise» haben, daß sie e« besser können als der Man», der Bulgarien eine achrunggedietenve und vertrauenerweckende Stellung zu erringen verstanden hat in so ungeheuer schwierigen Verhältnisse», wie sie eben nur die eiserneKrafk eines Stambulow u beherrschen und zu überwinde» vermochte. Der entlassene Miiiisterpläsideiit — teil» von selbstgcwollter Demission kann man kaum mehr reden, da nach zuverlässigen Nachrichten der Fürst Stanibulow ausgefordert hat, sein Eiiltassungögcnich einzurcichen, widrigenfalls er zu ankeren Maßregeln greisen werte — wird jetzt sein Work einlösen und als einfacher Bürger die Männer bekämpfen, welche nach seiner llebcr- zeugung die Rechte de« Volke«, das Ansehen der Regierung und die Freiheit des Vaterlandes, wie er selbst in seiner Ansprache an seine ihm Huldigungen darbringenden Anhänger agte, »lißackteu und preisgcbc». Sehen aber die Bulgaren Stanibulow erst an der Spitze der Opposition gegen die Regierung, so werten sie, bis auf geringe Aus nahme» vielleicht, zu ibm stehen und das Land, da« politisch so gefestigt schic», geht daun schweren Er schütterungen entgegen. Scho» herrscht überall der Be lagerungszustand und blutige Zusammenstöße zwischen der Bevölkerung und der Mililairgcwalt, wie sie gestern und vorgestern in Sofia wiederholt vvrkamcii, werden auch auS dem Innern geinelvet. Möglich ist es ja, daß, wie tie Auf- bebuiig der Verfassung in Serbien, so auch der Minister wechsel in Bulgarien als innere Angelegenheiten der beiden Staaten innerhalb ihrer Grenzpsähle zun, AuStrag gebracht werden, aber man weiß ja, wie rasch und leicht sich die Dinge auf der Balkanbalbiiisel compliciren, und cS ist durch aus nickt auSgeschtosscn, daß, wen» die nächste Zukunft der beiden Nachbarstaaten ein politische« ChaoS dringt, die Ein- niisckung von außen nicht anübleibt, wenn auch noch so oft osficiö« versichert wird, daß oo» ter »icist interessirlc» Seite daran nickt gedacht werte. Die weiteren Couseguenze» aber sind so auf der Hand liegend, daß es darüber tcines Wortes weiter bedarf. Fenilletsn. Der Liebe und des Glückes Wellen. Roman von M. v. Eschen. (Fortsetzung.) Nachdruck »irboi«». Glücklicherweise hatte sich Bent von Windig gut dressirt. Er besann sich sehr bald, daß der Aerger tböricht ist und taS Hirn verdummt. Er suchte dasselbe schleunig von solch schädigendem Einfluß zu klären, meinte, daß cs gescheiter sei, gut Freund mit dem Baron zu werden, um so am leichtesten eine Stelle zu finden, wo er sterblich wäre, daS heißt, sich au» dem Wege räumen ließe. Es war gegen elf Uhr, als Windig zu dieser Gedankenklärung gekommen war. Er beschloß sofort, da man Sonntag und keine Bureaustunden batte, mit einem Besuch bei dem College» sein menickensreundlicheS Vorhaben zu beginnen. Der Baron war etwas überrascht, da er sich durchaus nickt erinnern konnte, dem Asseflor die Veranlassung zu einem mebr als konventionellen Verkehr gegeben zu habe». Ta er aber nur gegen Frauen voreingenommen war, kam er seinem Besuche artig entgegen. Bent von Windig konnte unterhaltend sein; Donack war e« von Natur. Bei dem Dust einer Havanna, wie sie sich der MajorathSkerr gestatten durste und der Assessor zu schätzen wußte, kam bald eine anregende Unterhaltung in Ganz. Donach meinte, der Assessor sei doch ein angenehmer Gesellschafter. Bent witterte sofort e« au-, daß der Baron sehr bübsche Kenntniffe und selbstständig originelle Ansichten aus dem Gebiete der Wirthschaft und der Verwaltung besitze, freilich mit liberaler Anschauung vermischt, daß man ocn den erster» prächtig für sich selbst, den den letztern gegen ihn profitiren könne. Und er gab der Hoffnung Ausdruck, recht oft mit dem ihm so überaus sympathischen College« zusammen zu sein! Ein leise- Klopsen an der Thur, und der Eintritt de- Hausmädchen-, welche- dem Baron einen Brief llberbrachte, ivterbrach die freundseyastlichc Betheurunz, mit welcher Bent sich gerade empfehlen wollte. .Ah, unsere Katbarine Elise ist noch zu Hause. Ta müssen Eie noch bleiben, Windig, wir trinken ein GlaS Wein. Un besorg« —* Donach lachte, „ich führe meine eigene Marke." — Hi« braune Etikett«, Kind, und da- gelbe Siegel." Die Erscheinung de» Mädchen-, der vertrauliche Ton, welchen der Baron mit ihr angeschlagen, ihr Lächeln und Erröthen. in dem sich etwa« mebr al- nur die corrccte Em- psindung eine- Dienstmädchen- für den Zimmerherr» von ihrer Madame ausgedrückt hatte, frappirten den Assessor. Lauernd folgte sei» Blick dem Mädchen, wie sie hinauSgiug, wieder hereinkam, um ein Tablett mit Flaschen und Gläsern zu bringen, und wieder in der Thür verschwand. „Ei» schönes Geschöpf", meinte er. Dann sah er nach seinem Gegenüber, al« gälte e» hier etwas reckt Aniiebnibares berauSzubekommcn, während eine ungewöhnlich annehmbar wohlthuende Empfindung ibn selbst überkam und den Ton seiner Worte reckt natürlich färbte— „ein schöne« Geschöpf!" Donach freute sich an Allem, wa- mit seiner Heimatk zusammenhing. „Ist eS auch", erklärte er vergnügt, „und eine Landsmannin" von mir. „Aha!" nnd ein verständnisvoller Au-druck, wie Windig dachte, daß er einem Lebemann gegenüber — ein MajoratbS- berr mußte doch ein Lebemann sein — am Platze wäre, trat in des Assessors Gefickt. „Nein." Donach lachte bell auf. „Feblgeschofscn, College. Die Kleine ist die Enkelin eine« alten Dieners unsere- Hauses; ein voll ms tLngei-6 für mich." — Dann hob er da- GlaS — Die Gläser klingen — beiter und erregt steigt Winvig erst nach einer Stunde die Treppe hinunter. Da, auf einem Absatz derselben prallt er plötzlich gegen die Katharine Elise an. Was doch ein paar Monate in der Stadt an- dem Mädchen gemacht haben; allerliebst sieht sie a»S in ter modischen Tracht! Wie die städtische Dressur dem Talent und der Neigung für Putz und Bcrgnüae», auch ein wenig Scharmiren zugute gekommen ist! Die Katharine Elise weiß, waS sich schickt; sie knickst und lächelt. Niemand ist nahe; kein Tritt, kein Laut zu hören, weder von oben noch von unten. Wie an einem Gebeimniß ring-um in der Stille weben die Sonnenstrahlen durch die bunten Scheiben der großen Flursenster in dem einsamen Raum. DaS Licht, welche« durch die rothen Gläser fäll«, umspielt mit glühendem Schein deS Mädchen« dunkeln Kops, ihr brünette- Geficktcken und die elastisch kräftige Gestalt. Gleich einem überquellenden Strom von Jugend, Gesundheit und Lust geht eS von ihr aus. Lebendiger al- gewöhnlich kreist da- Blut in Windig'S Atern. E« fällt ihm ein, daß er noch niemal« eine Lirbschast gehabt har oder froh und fidel, jung gewesen ist. Lein Kopf wird beiß; er hat ein dumpfes Gefühl, al« ob er etwas uachholen mußte: schneller, immer schneller kreist sein Blut, als wolle es gegen die klügelnde Berechnung, die allein seine Wellen in Ban» geballen, reagiren, toll ii»v blind, ein echter Rebell gegen einen ulircchiiuäßigei, Herr». Höflich riebt er den Hut, so böslich fast, al« ob er vor Fräulein Tilli stände, und stottert etwas von „schönem Kink" und dergleichen. Er ist eben noch ungeübt und verwirrt über sich selbst. Katharine Elise kichert und zeigt »in paar Reiben köstlich gesunder Zähne, was sie nur noch hübscher erscheine» läßt. Immer noch bleibt eS still i» dem Hause; webt das gedäinpste Licht seine» gebeimnißvollen Reiz; spielt e- mit schmcicheliiker Glntk »m des Märckens Gestalt. Nicht lange, und Windig saßt ibre Hand. Es genirt eben seine wohlgepflcgten Finger nickt, daß sic verarbeitet ist. Jugendlich und warn,, mit sprühender Lust pulsirt da« Lebe» unter der rauben Haut. Er streichelt des Mädchen- Arm, ibre Wange, sic ist frisch und weich wie die Pfirsiche am Baum. Katharine Elise sträubt sich natürlich, was da« Feuer vkistärkl: nun schlingt er den Arm um ihren Leib — da tönt die Klngcl — ein schneller, flammender Kuß — mit ei» paar Sätzen springt der Assessor die Treppe hinunter; Katharine Elste schlüpft eilig hinauf. Tie Madame lässt nickt mit fick spaße»! — Und Bent von Windig ist doch in der Tkat em kluger uud geschickter Mann! Wie er cS versieht, jeden Tag wenigsten« einmal seinem Präsidenten z» begegne» unk sich il»u angenehm zu mache», so versteht er eS auch einzurichten, daß er tcS Oeslern mit Danach ziisamiileiltrissl, nur von uugesäbr. Ein mal wöchentlich treffen sie sich bei RcttbergS ganz gewiß Sicher batte r« im Anfang auch durchaus nickt in Danach'« Absichten gelegen, irgend welchen Faiuiliciiverkehr, iiaiuenllich nickt in mit Töchtern gesegneten Häusern zu pflege», wo man nach einem etwa« bärbeißigen Scherze etlicher verbissener Junggesellen nur allzu leickt daS Gesübl hat, als brenne einem der Boden unter den Füße» und könne jeden Augenblick die gefährlich versengende Lobe zui» Durchschlagen kommen, so daß kein Entrinnen möglich bleibt! Aber es Kälte doch schon ein reckt grober Patron dazu gehört, u>» der so sehr liebenswürdigen Aussorterung von der Präsidentin und Fräu lein Tilli, ihre kleinen Abende mit seiner Person und seinen Gesang zu verherrlichen, zu ignoriren. Damit entschuldigte der Baron seine Gänge in da« Retlverg'schc Haus, vielleicht, weil er ganz gern ging. Deutsches gleich. tz Berlin. 3l. Mai. Der Fürstbischof Hr. Kohn von Olmütz, aus dessen Cintressen der Telegraph in einer Weise ailsmcrlsai» machte, als ob eine überaus wichtige SlaalS- action in Aussicht stänke, ist srüber wierer abgereist, als mau »ach diesen AiikUnviguiigcn Kälte erwarten solle». Auch ist se»n Emsang bei Hose nicht, wie eben diese Ankündigungen vermiltheii ließe», über da« »blicke Maß beim Eiupsauge von hohen Würdenträgern der römischen Kirche binausge- gangen. Die Meldung, daß der Audienz, die der Kaiser dein Fürstbischof ertdeilte, der Neichskauzler, der Präsident des Staatsmiiiisteriums Gras Eulciiburg und der Minister Ilr. Bosse beigewohut hätte», ist sogar ossiciös dabin be richtet worden, daß der Audienz nur der Cbcs des Civil- cabinetS Or. v. LucanuS beigewohut hat. Jetzt wirk überdies bekannt, daß der Fürstbischof zwar vom Kaiser zur Parade »ach Potsdam geladen war, aber „wegen Mangels an Zeit" die Einladung daukend abgelchnt hat. Ob jene« ossiciöse Dementi und diese Ablehnung in Zusammenhang sieben, wird man schwerlich erfahren. Jedenfalls aber ist der Zweck der pompkaslen Anküubigung des fürslbischöslichen Besuche- nicht erreicht worden. Q Berit«, 3l. Mai. Der Allgemeine Evangelisch- Protestantische Mission-Verein, welcher seine Tbätig- teil hauptsächlich »i Japan und Cbina ailSübt, feiert in Berlin ini Hotel Imperial i» den Tage» vom I«>. bi« >8. October sein zet'nsäbrigeS JabreSsest und gleichzeitig daS Fest de« zcbiijäbrigen BestckenS seines Berliner ZweigvercinS. Damit ist eine Sitzung de« CeiitralaiiSichnsseS »nd die Generalversammlung oerdunte». Am io. October findet tie Denn eS war wirklich nett, sehr nett bei Rcttbcrgs on lamMo! Der Präsident war ein gebildeter Mann mit viel seitigen Interesse»; Fra» Ina weltgewandt. Wenn trotzdem einmal bei ibr etwa- bindurchbrach, was sich im Grunde weder mit einer eckte» Fra», noch einer wirklich vornckmen Dame vertrug, so suchte luerkiourdigeriveisc Donach'» Blick säst immer Hildens Gefickt. Er >aS i» ibre» Züge» da« gleiche Staunen, die gleiche Empöruiig, mit denen er seine Gedanken snmniirte; ebenso oft eine lcikvollc Theiliiabme für den Präsidenten, und diese geiiieiiisame Sympathie verklärte ihm den sonst so peinlickcn Moment. Zum ander» konnte man auch recht lustig sein. Hauptmanii von Hellrorf und Gras Ferse» waren ständige Mitglieder dieser Adendc. lind während ter letztere, sich aus alle und neue Kalauer beschränkend, eine billige Wirkung in bcitcrn Lachsalven erzielte, war es doch ei» wirklickcs Vergnüge», wenn der Haliptinaiiu und Hilde irgend ein anregendes Ibeiua diirckplaudcrtcn. Ju jugendlichem Ucheruiuth, mit schlagfertigem Witz platzten dann ihre Meinungen auseinander, kamen, wen» nickt zusammen, doch immer mit einem Scher; zu versöhnlichem Schluß. Der Hauptiiiaun fand überhaupt daS Mädchen, trotzdem sie nickt eigcutlick sein Genre war, mit jedem Tage netter. Wahrhaftig, so lautete sei» Belciintniß an de» Freund, sie ist samo«, die Kleine — dabei war Hilde beinahe so groß wie er —, so einsack, so natürlich und so gescheit! Da braucktS kein SüßholzraSpel». Man kan» iiiit ihr rede», fix und flott, wie iiiit einem Kameraden. Dabei ist so etwa- Aparte« an ibr, so 'ne Art Blümchen rühr mich nicht a», bas einen bei Raison hält, aber reizend. Bei Gott, mag sie ungeheuer gern! Und „hm" war alle-, wa» der Baron für dergleichen srelttidschasUichi Eröffnungen batte. Gewiß aber erzählte er am nächsten Tage, natürlich, obne daß er fick eiugestand, warum, ein besonders interessantes Abenteuer aus de» Prairien oder den Jagdgründe» von Amerika. Solche» Erzählungen konnle Hilde nickt widerstehen, alles vergessend, lung ibr 'Blick an den Lippe» des Erzählers, solgic sic ibiu durch jede Gesahr hindurch. Erst wen» dann Tilli seine» Mutb, seine Kraft und seine Geschicklichkeit in den überschwenglichste» Ausdrücken pries, senkte Fräulein Moran die Lider, sahen ihre Miene» so gleich- giltia au«, al» ob sie gar nickt wisse, wa- uni sie ker verging. Die liebsten Slundcu blieben aber für de» Baron diejenigen, welche ma» i» dem Musikzimmer verbrachte. Während sich hier Fräulein Tilli zusammeiinahm, in der mühevoll «ungeübte»
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