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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940605027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894060502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894060502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-05
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Heyden in seinem Schlußworte spendete, dürfte zum guten Theile eine bloße Höslichkcitswendung sein. Uns will scheinen, als sei durch die Konferenz nur noch deutlicher die Nothwendigkeit einer umfassenden und gründlichen land- wirthschastlichen Enquete klargestellt. Der Auszangs- punct aller agrarpolitischcn Erörterungen unserer Zeit, die „Nothlage der Landwirthschast", ist kein fester, denn dieser Nolhstand ist ein Begriff, unter dem selbst die Landwirtbc des preußischen Ostens nicht dasselbe versieben. Um :u Ausstellungen über die mißliche Lage der Landwirth- ichast zu gelangen, welche allgemein als maßgebend anerkannt werden müssen, giebt es keinen anderen Weg. als die von Staats wegen durch unparteiische Sachverständige nach einem zweckmäßig angelegten Schema vorzunehmende Befragung von einer möglichst großen Anzahl Angehöriger der verschiedenen Zweige des landwirthschaftlichen Gewerbes bezw. der ver schiedenen Schichten der landwirtbschaftlichen Bevölkerung. Diese Befragung würde allerdings bis in die kleinsten Verhäll- nisse der betreffenden Wirthschasten eindringen müssen. Nament lich muß volle Klarheit darüber gewonnen werden, wie eigentlich die Rentabilität der Landwirthschast berechnet wird. Vielfach ist die Meinung verbreitet, daß in der landwirthschaftlichen Buchführung die Wohnung des Besitzers und der Werth der im Hausbalte desselben verbrauchten Erzeugnisse des eigenen landwirthschaftlichen Betriebes entweder überhaupt nicht, oder doch viel zu niedrig in Anschlag gebracht, daß gewisse Luxusausgaben, unter die Kosten des landwirthschast- üchen Betriebes mitbegrisicn werden und dergleichen. Die Be rechtigung oder Nichtberechtigung dieser Meinung kann nur durch eine absolut rückhaltlose Offenlegung der betreffenden Gepflogenheiten klargestclll werden. Natürlich könnte eine solche Offenlegung nur unter Zusicherung strengsten Amts geheimnisses verlangt werden. Durch eine derartige eingehende Enquete kann auch allein zuverlässig erwiesen werden, welche Betriebszweige der Landwirthschast die eigentlich noth- leidentcn sind. Die Agitatoren des Bundes der Lantwirthe argumentiren fast ausschließlich mit der Unrentabilität des Getreidebaues. Je wahrscheinlicher es ist, daß ihre in dieser Beziehung aufgestellten Behauptungen begründet sind, um so dringender ist das Interesse, bestimmt zu erfahren, mit welchem Erfolge andere Zweige der Landwirthschast betrieben werden, namentlich die Vieh zucht, und zwar die Viehzucht in allen ihren Theilen. Herr v. Mantcuffel hat sich in der bekannten geschmack vollen Rede aus der letzten ReichStagSsitzung lustig darüber gemacht, daß Herr v. Bennigsen u. A. aus die Ergebnisse der Geflügelzucht, insbesondere auch auf die Berwcrthung der Eier, aufmerksam gemacht hatte. Daß für einen Großgrundbesitzer mit Tausenden von Morgen dieser Betriebszweig nicht ins Gewicht fallen kann, liegt aller dings auf der Hand; bei den bäuerlichen Wirthschasten aber, selbst bei denen des Osten-, ist daS eine ganz andere Frage. Bon noch weit größerem Interesse wird sein, genau zu erfahren, welche Wirkung der großartige Auf schwungs der Verwendung der Molkcreiproducte auf die bäuerlichen Wirthschasten gehabt hat. Nebenbei wird dann auch einmal ein entscheidendes Licht auf die Streitfrage fallen, ob die Lage des Groß- und dcS Klein- grundbcsitzcs dieselbe ist oder nicht. Vollen Werth aber kann eine landwirthschastliche Enquete nur haben, wenn sic von Reichs wegen für ganz Deutschland angestcllt wird. Formale Eompelenzbedcuke», deren Berechtigung uns übrigens sehr zweifelhaft erscheint, können kein unübcrskeig- lichcs Hindcrniß sein; denn schwerlich würde die Enquete i»i BundeSrathe auf eine ausreichende Opposition stoßen. Der „Fall Thiingen" will immer noch nicht aus den Spalten der Presse verschwinden, — anscheinend beschäftigt er sogar recht hohe Kreise noch sehr lebhaft. Denn man wird schwerlich in der Annahme irre», daß ein Artikel, den die „Nordd. Allgem. Ztg." veröffentlicht, nicht in der Redaction dieses Blattes entstanden sei. In diesem Artikel wird es bitter beklagt, daß Herr v. Tbüngcn nur 600 .L Geldstrafe zahlen, nicktt aber ins Gesängniß wandern soll. Weiter tadelt der Artikel, daß die Bcrurtheilung Wege» Preßbeleidigung selten das Höchstmaß von zwei Jahren Gefängniß erreiche. Die praktische Folge s:i, „daß die Rechtsprechung selbst ge wissermaßen zu neuen Preßbelcidignngen inducirt und die Gefahr eines Privilegiums für kapitalkräftige Leute nahelcgt". Mindestens müsse jede Beleidigung eines Beamten mit Freiheitsstrafe geahndet werden. Die „Nordd. Allgem. Ztg." schließt ihre Auslassungen wie folgt: „Wo das Olesctz nicht sein absolut bindendes Wort spricht, wie es beispielsweise im alten preußischen Recht sür eine Beamte», bcleidiqung als niedrigst zulässige Strafe eine Woche Gesüngniß verschrieb, giebt eS gewiß mehrere Wege, das richtige Strafmittel und -Maß zu finden. Gerade aber bei einer Bcoinlcnbclcidiqung wird der beste Weg der sein, wenn der erkennende Richter sucht, sich im eigenen Gefühl an die Stelle des Beleidigten zu versetzen. Wen» anders er dann nicht ein verknöcherter Geleite ist, jo wird er daS Rechte treffen." Nach unsrer Auffassung wird jeder Richter, der nicht ein verknöcherter Geselle ist, sich nicht nur in die Seele deS Be leidigten, sondern auch in die deS Beleidigers versetzen, der vielleicht zu seiner Ansicht über den betreffenden Beamten durch eine officiöse Auslassung gekommen ist. Wenn z. B. irgend ein Biedermann, der in seiner Naivität glaubt, daß daö, was die hrchossiciöse „Nordd. Allg. Ztg." der „Köln. Ztg." über den Grase» Eulcnburg nachdrnckl, richtig sein müsse, und deshalb in schr absälligenAcnßerungc» über diesen hohen preußischenBeamten sich ergeht, deshalb zu Gefängnißstrase verurlheilt werden sollle, so würde der vernrtbeilcnde Richter dem Vorwürfe, daß er ein verknöcherter Geselle sei, nickt entgcben. Uebcrhanpl glauben wir, daß die „Nordd. Allgem. Ztg." und ihre Hinter männer seltener über Beamtenbeleidigung zu klagen hätten, wenn nickt die Liebedienerei ofsiciöscr Organe gegen einen Beamten bis zur Herabsetzung anderer Beamten sich steigerte, die wirklich oder anscheinend mit dem elfteren Beamten zeitweilig nicht auf dem besten Fuße stehen. Ueber- baupt sind zahlreiche Bcamtenbeleidigungeii fast immer ein Symptom, daS man nicht auS der Well schafft, wenn man es schilt, und dem auch der Richter Rechnung tragen muß, wenn er nicht zur Verknöcherung übler Zustände bei tragen will. Die Mission, ein neues ungarisches Ministerium zu bilden, mit welcher König Franz Joseph den Banus von Kroatien, Khuen-Hedcrvary betraut hatte, ist als definitiv gescheitert zu betrachten, da er nur auf die liberale Partei sich stützen zu wollen erklärt batte, diese ihn aber vollständig allein gclasten hat: auch nicht ein liberaler Abgeordneter hat sich bereit finden lassen, in das Eabinet Äkuen ein zutreten. Rückkehr Wekerle's ist jetzt der Ruf, den die liberale Presse Oesterreichs und Ungarns erhebt, ein Ruf, in den selbst die gemäßigtesten Blätter einstimmen. Um dem Eiuwandc vorzubeugcn, daß die Rückbcrufung Wckerlc'S eine Setbstdcmülbigung der Krone wäre, die dieser nicht wobl rugemutbct werten könne, zeigt der „Pcstcr Lloyd" eine» Weg, auf dem eine sür alle Tbcile ehrenvolle Ber- stäiidigung möglich wäre. DaS Eabinet Wckerle sei über der Frage der Garantien für Annalnne der Ebevorlage durch das Magiiatcnhaus zu Falle gekommen. Aber tiefe Frage schließe nicht Len Zweck, sondern nur das Mittel zur Erreichung dieses Zweckes in sich. Wenn nun die Krone die Ueberzeugung gewonnen habe, daß der Erfolg der Vorlage im Oberbause auch ohne dieses Mittel verbürgt sei, und die Zuversicht hege, daß die Magnaten ihren Widerstand auf- geben werden — und ohne diese Ueberzeugung hätte die Mission des Grasen Khuen-Hedcrvary weder Sinn noch Zweck —, warum sollten daun die Männer dcö EabinctS Wekcrle sich durchaus auch jetzt noch dieser Ueberzeugung und diesem Vertrauen verschließe»? „Wie wir die Stimmung der Partei zu kennen glauben, würde daS Ministerium Wckerle, und gerade dieses sehr leicht Absolutio» gewinnen, wenn cs jetzt auf die Zusicherung eines Pairsschubs verzichten würde." — Darin stimme» wir freilich dem Pcster Blatte bei, daß die Lösung der Krise aus^iescm Wege den Wünschen der Ungarn entsprechen und am zweckentsprechendsten sein würde. Allein, wenn wir cs auch nicht als völlig ausgeschlossen ballen möchten, daß die Dinge diesen Verlauf nehmen, so har die Sache doch ihre großen Schwierigkeiten. Handelte es sich thatsächlich nur um die Fra^e des Pairsschubs, so hätte Wekcrle vielleicht jetzt schon tieGeschaftc wieder übernommen, aber es darf nicht übersehen werden, was osficicll freilich nie ausgesprochen wurde, was aber doch alle Welt weiß, daß Ov. Wckerle per sönlich infolge der Kossntlivorgänge die Mißgunst der Krone auf sich gezogen und hauptsächlich darum die Zusicherung eines Pairsschubs nicht erhalle» hat. Die am Wiener Hose sehr einflußreiche ultramontane Partei hat, als daS Ministerium Wckerle dem KossuthentbusiasmuS die Zügel etwas locker ließ, um Schlimmeres, um Gefahren sür den Bestand der Staatscinheit zu verhüten, nichts unversucht gelassen, um dem Kaiser die Meinung beizubringen, der „schwäbische Demokrat" habe der Autorität der Krone viel zu viel vergeben und dem monarchischen Princip einen schweren Stoß versetzt. Thatsachc ist, daß Franz Joseph über die Vorgänge in Ungarn bei der Ueberfühnmg und Beisetzung der Leiche Kossutb'S aujs Tiefste verstimmt war und noch ist. Wäre übrigens der Monarch wirklich zu einer Rehabilitirung Wekerle's geneigt, so hätte er ja die Entscheidung über sein Entlassungsgesuch »och in der Schwebe lassen können, um eS eveukucll ab schlägig zu bescheiden; nun er eS angenommen bat, wäre die Riickbcrnfung des eben entlassenen Ministers doch ein Act der Selbstüberwindung, den Manche selbst einem Franz Joseph nicht zutraucn mögen. Jedenfalls ist die Lage eine äußerst schwierige und ernste, sie würde aber zu einer bedrohlichen, wen» der König sich dazu entschließe» sollte, ein Ministerium auS den Reiben der klerikal-aristokratischen Opposition zu bilden. Dafür, daß eS dahin nicht kommt, hat auch die liberale Partei mit zu sorgen, in dem sie über die Person die Sache stellt. Ilr. Wckerle selbst bat Freunden gegenüber geäußert, er gedenke in keinem Falle in die Regierung zurückzukehren, findet sich also eine Persönlich keit im liberalen Lager, der die Nation das Vertrauen schenken kann, daß sie vom Eivilehcgcsctz auch nickt einen Buchstaben preiSgicbt, so würde sie nur im Sinne Wekerle's Kandel», wenn fie dieser ihre volle Unterstützung zu Tbeil werden ließe. Voraussetzung ist natürlich, daß die Krone wirklich nach einem solchen Manne sucht. DaS schweizer Volk hat bekanntlich mit überwältigender Mcbrlicit das socialdemokratische Jnitiativbegehren nach gesetz licher Gctvährleistung des Rechts auf Arbeit abgelchnt. Die geringe Stimmenzahl,wclchedie Antragsteller sür diese ihre Forde rung erlangen konnte — 7 l 000 gegen 290 000 — ist eine bitterePille ür daö Machtbcwußlsciii der internationalen Socialdemokratie, » der Sache aber — wie wir gestern aussühne», handelte eS ich sür die Schweizer Socialisten bei diesem GesctzcSvorschlag lediglich um ei» AgitatioiiSmiltcl — wird sie über den Mißerfolg nicht allzu unglücklich sei». Die Schweizer Regierung hätte sich bei der Durchführung dcS Gesetzes gezwungen gesehen, ihren einheimischen Arbeitslosen die vo» Ausländern weggenommene Arbeitsgelegenheit zuznweisen, wodurch die schweizer Social demokratie ikrcr vorgeschrittenste» Agitatoren keraubt worden wäre. Auch der Veranstattung von Arbeitsausständen stünde ein Gesetz, wie daö vom schweizer Volk zurückgewiescne, im Wege, und recht uilbcqucm wäre die gesetzliche Handhabe zur behörd lichen Untersuchung der Frage, ob einem als Agitator wobl- dotirtcii„Gciiosscii" ein Recht auf weitere „ausreichend lohnende" Arbeit" zusteht. Der „Vorwärts" hat sich denn auch für das Unternehmen der schweizer Socialkemokratcn niemals zu begeistern vermocht. Auffallend ist, daß die Letzteren nur die lächerliche Anzahl von 7l OOO Stimmen für das Jnitiativbegehren zusammcngebracht haben, obwohl sie mit leitciischasttichel» Eiier seit Monaten in allen Kan tone» geworben batten, während die Gegner des Antrages, dcö Sieges gewiß, nur sehr mäßige Anstrengungen machte». Daraus erhellt unverkennbar, daß der socialbemokratische Antrag auch als AgitationSmittel seinen Zweck vollständig vcrscktt hat. Die schweizer Arbeiterschaft hat einen ge sündere», aufgeklärtere» Sinn gezeigt, als die socialtemo- kratisckcil Agitatoren ihr zngetraut batten, und sie werden nun hoffentlich auf einige Zeit ihre Hände von dem „Lande der Freiheit" lasten, das sich als Versuchsfeld so über alle« Erwarlcn schlecht bewährt hat. Nach der gestrigen Abstimmung der svanzöstschen Depu tiere» kämm er zu urtheilcii — die Interpellation Goblct's über die Ausschließung der Radicalcn bei Bildung dcS neuen Ministeriums brachte der Regierung »lit.llü gegen 169 Stim men ei» nickt zu unterschätzendes Vertrauensvotum — scheint die Blamage, welche sich die radicale Partei im Verlause der letzten Ministerkrise zugezogen hat. fast tödtlich gewirkt zu haben. Nach Perier's Sturz konnten ihre Organe nicht laut und selbstbewußt genug nach einem radicalcn Eabinet schreien, weil die radicale Partei gegen das „Eabinet der Rcaction" den Ausschlag gegeben, und als dann Earnot ihre Führer zum Eintritt in daS neu zu bildende radicale Ministerium ausforderte, erklärten diese sich außer Staude, das StaatSschisf zu leiten! Drastischer hat noch keine Partei ihre RegieruiigSunsähigkeit documentirt, als die radicale Partei in Frankreich, und das gab ihr auch die Kammer bei der gestrigen Abstimmung zu verstehen, indem die Linke wie die Rechte sie im Stich ließ. Ja, wenn nickt Alles trügt, ist der Bestand der Partei ernst lich gefährdet, wenigstens bat sich im Schooß derselben bereits eine Soiidcrgruppc gebildet als das Ergrbniß einer Secession der gemäßigten radicalcn Elcmcnlc vom Gros der Partei, das sich gar zu intim mit den socialdcmokratischcn und anarchistischen Umsturzgeistern macht. Damit ist die Gefabr sür das Leben des EabinctS Dupuy natürlick »och nickt beseitigt, bei einer der nächsten Interpella tionen, und deren sind ja ganze Mengen angekündigt, kann cs über eine andere Gruppiruna der arg zersplitterten Parteien straucheln. Als ob diese Zersplitterung nicht schon weit genug gediehen gewesen wäre, sind, abgesehen von der gemäßigt-radi- calcn Secession, »och verschiedene andere neue Gruppen ent- Frnillrtoi». Der Liebe und des Glückes Wellen. 10s Roman von M. v. Eschen. Nachdruck »nbotm. (Fortsetzung.) Glühende Röthe steigt Hilden ins Gesicht — höher noch will sie daS Köpfchen heben. — Da bilden die junge» Leute einen Kreis, sie wollen um Pfänder spielen. Gras Selchow ron den Husaren kommt, die Kette schließend, an Hilde vorbei. Er bietet ihr seine Hand. Wie ein Blitz schießt Frau von Rosen dazwischen, nimmt den Arm deS OfsicierS. — Der Kreis ist geschlossen. „Es ist eine Unverschämtheit, daß sic gekommen", sagt die junge Frau ziemlich laut. „Ich hatte das Fräulein avcrtirt." Todtenbleich steht Hilde da, im Moment weiß sie wirklich uichl wo auS, wo ein — da schon steht Donach neben ihr. .Meine Gnädigste," sagt er, „ich bin zu Ihren Diensten." Er legt ihren Arm in den seinen und führt sie aus dem Saal, mit einem Anstand, als habe er eine Fürstin zu geleiten. „Geben Sie nach HauS", räth er „empfehlen Sie sich französisch" — vergeblich hat sein Blick nach der Hausfrau gesucht —, „ich werde es in Ordnung bringen. Jetzt gestatten Sie mir, daß ich Sie begleite. „Nein", möchte Hilde schreien — ein Wort, sie würde in ein krampshastes Schluchzen auSbrechcn. Da hat er sie schon der Jungfer in der Garderobe über geben. „Dem gnädigen Fräulein ist unwohl geworden. Ule,den Sic die Danie an. In wenig Minuten bin ich wirser hier." Wallenstein'S wohnen ziemlich weit draußen vor der «ladt» die Straßen sind leer und still, einzeln und trübe ftattern die Laternen, auch daS Pflaster ist noch uneben in dem neuen Viertel, wo Alle» noch werden mutz, und nur die gleich Pilzen aus der Erde schießenden palastähnlichen Häuser erwarten lasten, daß eS dermaleinst hier prächtig sein wird. Widerstandslos schreitet Hilde neben Donach her. Die Etille, die Dunkelheit, auch da» Acktenmüflen auf den Weg wirken beschwichtigend auf ihre Gefühle ein. Endlich hat sic s>ck> so weit gefaßt, daß sie ein Wort ohne Thräncn wagen I»»: „Herr von Donach" — unwillkürlich hemmt da« Mädchen den Schritt: „Sie sind aufrichtig, ehrlich, ein Mann! Möchten Sie mir sagen, warum — warum man sich so gegen mich benommen hat?" Der Baron sinnt einen Augenblick. Es ist eine fatale Sache, einer Dame klar zu macken, daß sie eine Unschicklich keit begangen haben soll, zum Mindesten eine Unvorsickligkeit — so meint er — begangen hat. Doch sie soll nicht umsonst an DaS appcllirt haben, was daS Beste in ihm ist. „ES war ein Complot, ein häßliches Eomplot. Man ist empört." Noch einmal streicht er seinen Bart — „die Leutcken haben sich ganz unnöthig cckaussirt. Aber warum haben Sie auch gerade eine Eopie des Michel Angclo'schen David auf die Ausstellung geschickt?" „Geschickt?" fragte Hilde erstaunt. „Das habe ich nicht. Ich weiß gar nicht, daß der dort war. Der Director batte ihn in die Sammlung seiner Eopien ausgenommen", setzte sie nach einer Weile hinzu, „nur so kann eS möglich sein, daß meine Eopie mit dieser hingckommcn ist. Doch was hat denn das mit dem heutigen Vorfall zu thun?" In Hilden s Ton klingt die ganze Ahnungslosigkeit ibrcS Herzens wieder. „Hm" — abermals streicht der Baron seinen Bart — „diese Zeichnung ist schon etwas, waS Ihne» einige unserer Damen nicht verzeihen als, wie soll ich es ausdrücken, nicht laclvlilcc;, ein Verstoß gegen Sitte und Form. Da- Schlimmere jedoch ist, daß man glaubt, Sie haben die Zeichnung ausgestellt — daS Schlimmste, daß man diesen David als eine Actsigur bezeichnet und ausgenommen hat. Es hat Ihnen da Einer einer bösen Streich gespielt — Sie muffen Jemand in den Weg gerathen sein, Bosheit hat aus BoSbeit speculirend, Dummheit und Unwissenheit als Atout-starte ausgegeben. Doch beruhigen Sic sich, diese Sache wird sich ausklären, und sollle ich selbst eS in die Hand nehmen. Ich kann es nicht leiden, wenn Jemandem ein Unrecht geschieht." „Nein." — Ringend mit den Gedanken, welche von dem Moment und dem Gegenstand beschworen, widerstreitend in ihrer Seele durcheinanderwirbeln, steht Hilde still: „Sie wußten, daß dies ein Jrrthum, eine Lüge ist?" „Ich werde doch meinen Michel Angela kennen! Doch, nun lasten wir diese ungemütblicke Katechese. Jede« Ding bat seine zwei Seiten, und die beste von dem beute ist, baß wir noch zu einem so erfrischenden Gang gekommen sind. Fühlen Sie. wie gut die Lust thut? Es weht schon so etwa- wie Frühling darin." In der That, mit wunderbar belebendem Hauche regt der Wind seine Schwingen warm und feucht bis in die Straßen hinein, über die kleinen Gärten hin. Doch Hilde kann nicht von dein Thema lassen. Unwider stehlich treibt eS sie an, das Innere dieses Mannes zu er gründen; vielleicht um sich mit seinem Urtheit auSeinaiidcr- setzend jenes EhaoS von Gedanken und Gefühlen zu klären. Leise streicht ihre Hand über die dunkeln, knospenden Zweige, welche das neu darin quellende Leben weit durch die sie einhegendeu Gitter getrieben hat. Manch ein Frühling«- sturm, manch ein FrllhlingSrcgen, aber auch manch ein Sonnenstrahl muß darüber bingchen, ehe sie ihre Blüthen und Blätter entfalten zum Licht. „Es würde mich interessircn, Herr v. Donach, zu wissen, Wie Sie . . ." Hilde bricht ab; sie athmet tief; dann, fast klingt es wie ein Seufzer: „Ich weiß noch nicht, wie weit ich geben werde, gezwungen durch meinen Beruf. Ich weiß nur, daß ich den selben ganz erfüllen, tbun will, was dafür notbwendig sein wird, daß ich nickt zu jenen Menschen passe, bei denen schon die Eopie einer Statue Anstoß erregt. Ich begreife sie nicht; vielmehr begreife ich, wie Michel Angel» und sein Freund Leonardo mit immer erneutem Interesse sich ihre Beobach tungen voll Staune» und Entzücken schon über einen ein zelnen Knocken des menschlichen Körpers mitthcilen konnten. Aber der Zorn, die Empörung galt ja Wohl auch nur dem, daß ich gewagt, jene Eopie zu machen, welche mir der Director so dringend empfohlen batte; dem weiblichen Streben nach ernsten Zielen, dem außergewöhnlichen Berus überhaupt." Donach schweigt. Schweigen bedeutet nach dem Volks mund auch eine Antwort, und zwar eine nur. Erregt beginnt Hilde aufs Neue: „Wird denn ein Kunst werk weniger ein Kunstwerk, wenn sich eine Frau damit be- sckästigt, eine Frau daran schafft? — Der Genius ist nicht an das Geschlecht gebunden, ebensowenig wie die Kunst — die Schönheit und die Zweckmäßigkeit in der Natur. Ueberall in ihren Bildungen bis hinaus z» dem Menschen lebt eine Fülle von beiden: wie da ein jedes Glied seinem Zweck ent spricht, jede Form sich deckt mit ihrer Idee und alle wieder zusammenstimmen, ineinandergreisend zu einem harmonischen Ganzen. Ich meine gerade, daß ein eingehendes Studium hier tief in den Gedankenqang Gottes hincinblicken läßt". Die Manche« auch Donach erlebt hat, derlei Acußcrungen einer jungen Dame ihm gegenüber sind ihm neu. Es macht ihn betroffen. Doch, sie hat da» Alle« so einfach gesagt; die dunkeln Augen leuchten mit solch ernstem Licht in dem leiden schaftslos kühlen, doch von innerer Bewegung blassen Ge- sichtchcn, etwas a» dem Mädchen erinnert ihn an seine Mutter; vielleicht ist eS gerade dieser Ausdruck eben. Und milder, viel milder, als er eS sonst wohl gethan haben würde, ohne Sarkasmiiö und ohne Laune giebt er zurück: „Nur daß den Frauen bisher stets eine gewisse Grenze gesteckt blieb". „Ja, biSber", nimmt Hilde lebhaft wieder auf, und sie weiß wohl selbst noch nicht all die Eonscqucnzen zu ziehen von Dem, was sie sagt, auch nicht zu unterscheiden, was sie nur vorübergehend an Fremdem in sich ausgenommen, was davon ihre eigene Meinung geworden: „Aber muß cs darum denn immer so bleiben? ES erben sich Gesetz und Rechte gleich einer ew'gcn Krankheit fort, Kat kein Geringerer als Goethe gesagt. Sicher eine Rcminiscenz, daß er selber in seiner Jugend die Rechte studirte." Hier macht sich die Jugend dcS Mädchens in einem leisen Lache» Luft, bei welchem Donach nicht umhin kann, zu sccundire». Dann ernst wieder fährt sie fort: I.a moral« o»t una elicuie ^öomapliiquo, hat Frau George Sand behauptet. Sie hätte in diesem Sinne ebenso gut hinzufüzen können: »nc- otinü« tomporollo. Die Sitten und Gebräuche, die Vorschriften der Moral — wechseln nach Ländern und nach Zeilen , das Sittliche, die Uebereinstiinniung mit dem göttlichen Willen und dein Rechte der Natur ist daS Bleibende allein. Warum wollen Sie eS einer Frau vcrwcbren, sich mit der Wissenschaft zu beschäftigen, da« Wesen der Dinge kennen zu lernen ohne Schleier, ohne Schminke und ohne Schein? Weil da Manches an sie herantrcten wird, waS die heutige Sitte, mehr noch die gesellschaftliche Eonvention von ihr scrnzuhalten gebietet? Weil das Leben und die Entwickelung des Mensche», wie durch Blut und Thränen, auch durch Schmutz und Gemeinheit ihre» Laus nehme», die Kenntniß der Dinge auch die Kenntniß von diesen bedingt? — Ich gebe ;», daß daS hart, daß daS traurig für uns ist; denn wir sind empfindlich und wir sind weich. Aber ich habe mir auch sagen lassen, daß dem Reinen alle» rein ist und sich die Wahrheit am liebsten einem reinen Herzen offenbart, ein reine» Herz aber zu den Gütern ge kört, die vor Allem den Frauen eigen sind. „Warum also fürchten Sie trotzdem, daß solche Kenntniß uns Schaden bringen muß?" Sollte eS nicht viel leichter möglich sein, daß wir, wenn wir mit einem reinen Herzen daran geben, die Wahrheit in dem Leben zu suchen, die Spuren Gotte«
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