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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940625029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894062502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894062502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-25
- Monat1894-06
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Tabellarischer and Zisfervfatz »ach häherem Tarif. >rte»«veil«>e» (gesalzt). nur mit de« Morgen-Autaabr. ohne PostbefSrdernag SV.—, mit PostdesSrdernag 70.—. ^nnahmeschluß sur ^«zeigen: Lbend-Butgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Sonn- und Festtag« früh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et« bald« Stunde früher. Aizeigr» sind stet« an di« Expeditis« zu richten. Druck und Verlag von E. Pol« in Leipzig. ^32«. Montag den 25. Juni 1894. Die Ermordung Earnot's. In früher Morgenstunde ging uns heute auS Lyon die iberraschende telegraphische Meldung zu, daß Sadi (Larnot, brr Präsident der französischen Republik, gestern auf der Kihrt von, Lyoner Handelspalast nach dem Theater von kinem Italiener durch einen Dolchstich ermordet worden ist. Mittelst Extrablattes konnten wir bereits folgende, auf dem Drrdlweg uns übermittelte Einzelheiten bekannt geben: Lyon, 25. Juni. Als der Präsident Carnot um 9'/, Uhr von dem Handelspalast nach dem Theater fuhr, sprang ein Individuum auf das Trittbret deS Landauers und ver setzte dem Präsidenten einen Dolchstich inSHerz. Der Rhüne-Präfect Rivot, neben Carnot sitzend, stieß den Attentäter aus die Straße hinab, welcher, verhaftet, er klärte, ein Italiener zu sein, Cesario Giovanni Santo zu heißen und 22 Jahre alt zu sein. Er spricht schlecht Fran zösisch, wohnt seit sechs Monaten in Cette und kam gestern früh nach Lyon. Im Theater war die Nachricht vom Präfectcn mitgctheilt worden und hatte furchtbare Scenen der Aufregung und des Entsetzens hervorgerufeu. Carnot wurde nach der Präfectur gebracht und starb 12'/. Uhr. Im Laufe des Vormittags sind folgende weitere Draht nachrichten über die fluchwürdige Blutthat bei uns eingelausen: * Lyon, 25. Juni. Präsident Carnot nahm gestern Abend in dem Bankette Theil, brachte einen Toast auf die Au«, ftellung aus und sagte, den großen Erfolg beglückwünschend, eia einzig Herz schlage in allen Franzosen, wenn «S sich um die Ehre und die Sicherheit der Rechte deS Vaterlandes handele. Dieselbe Einigkeit verbürge die Bewegung in der Richtung der Fortschritte und der Gerechtigkeit, worin Frankreich der Welt ein Beispiel zu geben habe. Nach dem Bankette sormirte sich vor dein Handelspalaste eine lange Wagenreihe. Earnot's Landauer fuhr als erster; neben Earnvt saß der Rhüne- Präsect Rivot. Earnot's Wagen fuhr 9 Uhr 10 Minuten unter jubelnden Zurufen der dichtgedrängten Menge ab. Larnot dankte, fortwährend grüßend. Plötzlich, in der Mitte der langgestreckten Fa?ade des Handelspalaste«, trat ein Jndi> viduum auf daS Trittbret von Carnot'S Wagen, welcher sofort hielt. Die Zunächststehenden sahen Carnot erbleichen und in den Wagen zurücksinken. Sofort stürzten sie sich lus taS Individuum los, welche« durch den Faustschlag de- Rhüne-Prüfccten aus die Straße hinabgeschlendert wurde. Larnot hatte einen Stich in die Herzgegend erhalten; »eben dem Broßcordon der Ehrenlegion drang das Blut unauf hörlich heraus. Ter Attentärer wollt« entfliehen. Die Menge, welche anfänglich versteinert war, ergriff ihn und hätte ihn zerrissen, wenn nicht eine große Anzahl Polizei-Agenten ihn geschützt hätte. Eine Bedeckung von mehr alS 10 berittenen Gardisten brachte den Attentäter, der bartlos, mit Jacke und Mütze bekleidet, gesenkten Hauptes dahinschritt, nach der Polizeiwache, wo er sofort ge fesselt wurde. Alsbald erschien ber Rhöne-Präfect und andere berufene Persönlichkeiten, um ihn zu verhören. Der Mörder antwortete ohne Erregung, aber auch ohne Großsprecherei in schlechtem Französisch und erklärte, Italiener zu sein, Cesario Biovanni Santo zu heißen; er sei 22 Jahre alt, bewohn« seit 6 Monaten Lette und wäre Sonntag früh in Lyon angekommen. Bei der Durchsuchung fand sich rin Arbeitsbuch, am 26. Mai 189-t in Pari- abgestempelt, welche- angiebt, daß der Attentäter in Mont-ViSconto, Provinz Mailand, geboren ist. Ter Attentäter schrieb sodann mehrere italienische Worte auf, welche besagten: Cesario Giovanni Lorso Luca de Nova, bei der wohlbekannten Familie Magno Francisco. Es war unmöglich, auS ihm etwas Anderes herauszubringen; er sagte, er werde nur vor den Geschworenen sprechen. Inzwischen fuhr der Wagen det Präsidenten nach der Präfectur. Die Menge konnte Larnot aus den Wagenkiffen ausgestreckt, bewußtlos und regungslos, mit erloschenen Augen liegen sehen. Au- der Hand, welche da- Herz bedeckte, floß neben dem Großcordon nnaufhörlich das Blut. Die Scene er schütterte die Menge zu Thränen. Nach fruchtlosen ärzt- lichen Bemühungen starb Carnot um 12 Uhr 45 Minuten des Nachts in einem Zimmer der Präsectur. * Lyon. 25. Juni. Vor der Präsectur hoben der General Dorius, der RhÜne-Präfect und der Bürgermeister den Präsidenten mit großer Mühe aus dem Wagen und brachten ihn in das Nächstliegende Zimmer. Ti« herbeigerufenen Aerzte halten eine Operation für nöthig. vr. Lllier erweitert die durch de» Mordstahl erzeugt« Wunde. Carnot erlangte die Besinnung wieder und spricht mit deutlicher Stimme zu den Aerzten: „Wie Sie mir wehe thun!" Die hieraus vorgcnommene gründliche Untersuchung ergab eine schwere Ver wundung, welche eine innere Verblutung befürchten lasse. Die Präsectur wird ab gesperrt, alle Zugänge zu Earnot's Zimmer werden bewacht. Draußen harrt die Menge; Schrecke» prägt sich auf allen Gesichtern aus, überall di« Frage, ob Larnot mit dem Leben davon kommen werde. Unterdessen, »m 9 Uhr, hatte sich daS Theater mit den eingeladenen Gästen zur Gala- Vorstellung gefüllt, ungeduldig erwartete man die Ankunft des Präsidenten. Plötzlich verbreitete sichdasGerücht, Larnot sei rin Opfer eines Attentates. Furchtbare B estürzung. Frauen schreie» ans; allgemeine Bewegung. Ossicielle Persönlichkeiten ver lasse» das Haus, um Nachrichten zu bringen. Tie ganze Ein wohnerschaft der Stadt ist in den Straßen versammelt, nirgends ist eine Weiterbcwegung möglich. Allgemeine festliche Beleuchtung. Da fuhr um 9'/, Uhr ein Wagen mit dem Ministerpräsidenten und dem Rhüne - Präfecten im rasche» Gange vor dem Theater vor. Die Menge rust den Insassen zu, ob Carnot noch lebe; aber Dllpuy steht erschüttert auf, winkt mit der Hand und erwidert: „Rufet nicht so, der Präsident ist das Opfer eines Attentats." Furchtbarer Eindruck; zuerst Stillschweigen, dann fallen von allen Seiten Verwünschungen und Nacherufe gegen den Mörder. Ter Rhüue-Präfect trat in das Theater ein und theilte von der Präsidentenloge aus das geschehene Attentat mit. In Wuth ausbrechend, schreit die Menge: „Tod, Rache dem Mörder!" Rivot will Einzel- heilen erzählen, wird aber bei jedem Worte von Zurufen allgemeiner Erschütterung unterbrochen; er erklärt endlich, Angesichts des schrecklichen Ereignisses werde die Vorstellung nicht stallfinden. DaS Publicum verläßt schweigend das Haus. TaS um 11'/, Uhr ausgegebene ossicielle Bulletin besagt, der Zustand Earnot's sei beunruhigend, aber nicht verzweifelt; der Stich sei in die Lebergegend gegangen und habe reich- lichen Blutverlust erzeugt, der aber zum Stillstand gebracht worden sei. Bald nach llUhr begann der Blutverlust wieder. Tie Aerzte entschlossen sich zu einer Operation, um womöglich den Blutverlust dauernd zu stillen. Alle ärzt lichen Bemühungen waren vergeben«. Um 12 Uhr 45 Mia. starb Lornot. * Lyon. 25. Juni. Ueber die Mordthat richtete der Lonseil- präsident Dupuy noch gestern Abend an die Minister, di« Präsi- denten der Kammer und des Senate« und andere Staatswürden träger nachstehende ossicielle Depesche: „Larnot wurde auf der Fahrt von der Handelskammer nach dem großen Theater durch «inen Dolchstich getroffen. Ter Mörder, welcher sofort verhaftet wurde, hielt mit der einen Hand die Wagen- lehne und mit der andern den Dolch fest. Larnot wurde unverzüglich nach der Präsectur gebracht, wo die ersten Aerzte Lyons um ihn bemüht waren. In dieser schrecklichen Prüfung schließt sich die Regierung den Wünschen Frankreichs sür den Präsidenten der Republik an. (gez.) Dupuy." Madame Carnot ist mit beiden Söhnen und Or. Planchon ui» 1 Uhr früh von Paris nach Lyon abgereist. Dupuy reist um 1 Uhr von Lyon ab. Ter Ministerrath tritt heute in Paris zusammen, die Kammern treten morgen oder übermorgen zusammen. Nach beendigtem Verhör des Mörders wurde dieser in ein unterirdisches Gesängniß gebracht, wobei Gewalt angewendet werden mußte. Ter Mörder ist streng bewacht von der angejammelten Menschenmenge, welche fortwährend schreit: „Tödtet ihn!" Den ganzen Abend hindurch erwarteten die dichtgedrängten Massen vor der Präsectur mit größter Theilnahme Nachrichten über das Befinden des Präsidenten. Bei der Todesnachricht wurde die Aufregung ungeheuer. Tie Massen warfen sich aus Restaurants, wo italienische Kellner bedienstet waren, und stürmten auf das Gesängniß los, den Tod des Mörders verlangend. DaS Restaurant llasati wurde gänzlich verwüstet, desgleichen die LasSS Matessi und Moderni. Die Polizei schritt überall ein. Es wurden besondere Maßregeln getroffen, um daS italienische Consulat zu schützen. * Ly«», 25. Jnni. Der Dolch de« Mörder» ist 25 cm lang, der Griff von vergoldetem Kupfer, die Scheide mit schwarzen und rothen Streifen besetzt. Tie Verhaftung des Attentäter- er- folgte durch den Polizei-Jnspector DutiS, welcher Larnot attachirt war. " Lyon, 25. Juni. Di« «nsregung der Bevölkerung nimmt zu. Berittene Patrouillen durchreiten in gestrecktem Galopp die Straßen und bringen den bedrohten Punkten Hilfe. Die Infanterie bewacht beide Zugänge zu der Straße, in welcher der italienische Consul wohnt. * Lyon» 25. Juni. Einzelheiten der letzten Augenblicke Caruot's. Der Erzbischof wurde »in Mitternacht empfangen; er blieb kurze Zeit bei Larnot und zog sich alsdann ins Nebenzimmer zurück. Um 12", Uhr wo daS Verscheiden nahe bevorstand, wurde der Erzbischo zurückberufen, trat mit dem Äroßvicar ein und ertheilte dir letzte Oelung. Carnot war bei klarem Bewußtsein und sagte zweimal: „Jchsterbe in diesem Augenblicke." 0r. Poncet beugte sich über den Verwundeten und sagte: „Ihre Freunde sind da." Cnruot erwiderte kaum vernehmbar: „Ich bin glück lich, daß 'irselben zugegen sind." Tie« waren die letzten Worte. Er verschied 12 Uhr 45 Min. aus einem eisernen Feld bett zu Fugen de« Paradebettes. Der von den Aerzten zur Verhütung innerer Verblutung geführte Schnitt war 12 cm lang und 8 cm breit. "Paris, 25. Iuui. Die AttentatS-Nachricht erregt überall furchtbare Bestürzung und Aufregung. Nach dem gerüchtweise» Vekauntwerden in den Theatern und Nestau- rants eilte daS Publicum vor die Redactionen, um Details zu erfahren. Für Larnot gab sich allgemeine- tiefes Mitgefühl kund. Nach Mitternacht verbreiteten Extrablätter die Attentats- Meldung. Aus den Boulevards wurden vielfach, unter Thränen einzelner umstehender Personen, die Telegramme laut verlesen. * Pari», 25. Juni. Tie Präsidenten des Senat- und der Kammer, sowie die in Pari» anwesenden Minister treten morgen Nachmittag 2 Uhr im Ministerium deS Innern zu einer Sitzung zusammen. Ter Krieg-minister General Mrrcier theilte mit, er habe an alle Armeecorp« den Befehl telegraphisch übermittelt,sich consignirt zu halten. Ta» „Journal officiel" wird im Laufe de« Vormittag« «ine Bekanntmachung veröffentlichen, wonach der Präsident des Senats, in seiner Eigenschaft als Präsident der Nationalversammlung, beschlossen habe, daß die beiden Kammern zu einem Longreß aus Mittwoch, den 27. d. M., 1 Uhr Nachmittags, behufs Wahl eines Präsidenten der Republik einberufen werden. * Paris, 23. Juni. Von den Einzelheiten nach dem Attentat wird ferner mitgetheilt: Die Wunde Carnot'S war 8 Centimeter tief. Während der Operation der Erweiterung der Wunde wurde der Körper plötzlich eiskalt. Or. Poncet glaubte im Operircn nicht sorlfahren zu dürfen, und um den Körper wieder zu beleben, ließ er Waschungen mit sieden dem Wasser vornehmen. Madame Carnot war bereits nach Lyon abgereist, al« das Telegramm von der Todes nachricht eingetrossen war. In Lyon wurden zwei In- dividuen verhaftet, von denen der eine sagte: „Das ist gut gemacht!" Ter andere hatte den Ruf ausgestoßen: „Es lebe die Anarchie!" Eine Truppe Kürassiere mußte dieselben gegen die wüthende Menge schützen. — Tie Blätter aller Richtungen geben ihrem Abscheu über da- Attentat Ausdruck, das um so mehr unerklär lich sei, als Larnot durch sein stets correctes Verhalten, sowie durch die Lauterkeit seines Charakters die Achtung aller Parteien sich erworben hatte. Mehrere Blätter erscheinen mit Trauerrändern. Einige conservative Blätter glauben, daß es sich um ein anarchistisches Attentat handele. Tie radi- calen Blätter sprechen die Hossnung auS, daß die Volksfreiheit und die Volksrechte unter dem Ein druck« deS Attentats nicht zu leiden haben werden, da dasselbe von einem Italiener begangen worden sei. * Paris, 25. Juni. Das Amtsblatt veröffentlicht folgende Note: „Der Präsident des Senats in seiner Eigenschaft alSPräsidentderNationalverjammlungbestimmt, daß beide Kammern zu einem Congreß nach Versailles auf Mittwoch, den 27. Juni, 1 Uhr Nachmittags »in- berusen werden, um zur Wahl eines Präsidenten der Republik zu schreiten. Tie furchtbare Thal, die leider in ihren Motiven noch völlig unaufgeklärt ist, da der Mörder sich vorläufig in Schweigen hüllt und nur vor den Richtern Aussagen machen will, Kat in ganz Frankreich einen jähen Schmerzensschrei hervorgernsen unv eine tiefgehende Erschütterung hintcrlassen; aber auch über die Grenzen der Republik hinaus, überall, auch in den mit Frankreich nicht in sreundschaftlick'en politischen Beziehungen stehenden Staaten ist die Kunde davon mit auf richtigem Schmerz und unbegrenztem Abscheu gegen den Mord geselle» ausgenommen worden. Abgesehen von dem rein mensch lichen Einpsinden, da» besonder- am Thatorte selbst inmitten der Festsreudeu anläßlich der Lyoner AnSstellung und in Pari- zu Die alte gute Zeit. Eine Erzählung au» Niedersachseo von Greg. Samarotv. 8j tNa-tni« »ntoN». (Fortsetzung.) „Wer weiß", sagte der Förster, dem daS Gespräch immer unangenehmer zu werden schien — „ich habe noch gar kein Ledürsniß, eine Wahl zu treffen — Vermögen, eine reiche Aussteuer und Wirtschaftlichkeit allein sind für mich noch gar kein Grund, der mich zu dem so ernsten Entschluß einer peiratb bestimmen könnte. Ich bin genügsam und mit meiner rage zufrieden, und zum häuSlickcn Glück würde für mich mehr geboren, als eine blvS pünctlicb geordnete Wirtschaft— »rer müssen sich doch zwei Leute, die mit einander leben sollen, verstehen und lieben können, und so lange ich davon nicht die Gewißheit habe, bleibe ich schon lieber bei meinem Iunzgesellenstande." „Vielleicht können Sie diese Gewißheit aber auch finden, mein lieber Herr gebender Förster", sagte Frau Wilkner, indem sie dem Pastvrensräulein einen verstäntnißvollen Blick zuwars, .oder Sie sind vielleicht schon auf dem Wege, sie zu finden. Eie haben mir neulich so lebbaft von der Nichte de» Herrn Deckanlen gesprochen, daß mir schon der Gedanke gekommen ist, ba» Fräulein aus der Stadt möchte vielleicht die Eigenschaften besitzen, die Sie sür Ibrc Häuslichkeit wünschen und bei den Döchtern unserer Hofbesitzer vergeben» suchen." Der Förster zog die Augenbrauen finster zusammen und sigte kurz abweiiend: „Ich kann Ihnen versichern, Frau reitende Försterin, daß ich darüber noch gar nicht nacbgcdacht habe." Nun mußte die Sache wohl zu Ende sein. Fra» Wilkner aber sah die alte Johanna mit einem noch terständnißvolleren Blicke an, und diese nickte mehrmals mit dem Kopf. Man körte Hufschläz» aus der Straße und über die inedrize Hecke de» Garten» hin sichtbar kam Hilmar von Berg- Holz berangeritten. Ter Förster stand aus und grüßte. Hilmar winkte freundlich mit der Hand und rief dem Erster einen guten Tag zu. »Ein vortrefflicher Herr", sagte Marten, dem eleganten Reiter nachblickend, „so gar nicht stolz, und dock balle er wohl mehr Grund dazu als Andere, nickt bloS, weil cr rin vornehmer Herr und der Erbe von Bergbolzhauscn ist, son dern mehr noch, weI er viel gelernt bat und immer noch mehr zu lernen sucht — sclckc Herren mag eö nicht viele unter unserem Hochadel geben." „Der Baron wird zu meinem Herrn Dechanten reiten", iagte die alte Johanna, „da muß ich Wohl bald anfbrechen, um zu sehen, daß die Herren einen kleine» Imbiß crbalicn." „Nun, etwas Zeit wird cS wohl noch haben, »icin liebes Pastorenfräulein, und sür das Nothwendigste wird ja wohl auch da» Fräulein sorgen können." Johanna schüttelte bedenklich den Kopf, aber sie »ahm doch noch eine Taffe Kaffee an, nni, wie sie sagte, dem Herrn gebenden Förster Gesellschaft zu leisten. Die Dorsstraße schien heute besonders lebhaft zu sein. Auf einem kleinen Wagen kam ein weißhaariger Mann mit roibem Gesicht und klugen, listigen Augen herangesahren. Er hielt vor dem Hause und blickte, sich im Wagen anf- richlend, über die Hecke. „Der Herr Tbierarzt Bergen", rief Frau Wilkner, „kommen Sie herein, Herr Thierarzt.und nehmen sie eine Tasse Kaffee — Sie können mir auch gleich einen guten Natb geben sür meine Ziege, die seit einigen Tagen nickt reckt fressen will." Ter alte Thierarrt nahm die Einladung dankend an, stieg ab und band mit Hilfe de» Förster», der ihm entgegen ge gangen war, sein Pferd an den Pfosten der Garlentbür. Als er eintretrn wollte, kam auf der Straße ein grau- bärtiger GenSdarm in der rothen Uniform mit dem hoben Tschaco auf dem Kopf »nd da- Gewehr über der Schulter herangeschritten. An seiner Seite ging ein Mann in einem grauen Kittel mit einer Filzkappe auf dem Kopf, gebückt und trübselig einher „Ei, Herr Landgendarm Brande»", rief der Thierarzt, „wen bringen Sie denn da ber — wahrhaftig, da» ist >a Joses Harbrand au« Harbostel — wa« hat denn der anze- richtet, etwa wieder einmal einen Hasen au« dem königlichen Forst geholt?" „So etwa» dergleichen", antwortete der Gendarm, dem Tbierarzt nnd dem Förster dir Hand reichend „Dem Herrn AmtSralb Grundmann von der Tomaine Harbostel waren schon lange Karpfen au« seinem Teich verschwunden, und da bat er denn auspasscn lassen und den Harbrand abgesaßt, wie er rin Netz voll jener besten Karpfen gefangen." Der Arrestat hob den Kopf auf und blickte unter seiner »reilkrämpigen Filzkappe treuherzig und listig zugleich aus, während es wie schalkhaftes Lächeln um seine, von unrasirtcn Bartstoppeln nmgebcncn Lippen zuckte. „Ter Herr Gendarm wird sich Wohl überzeugen", sagte er, „daß er mir unrecht tbut, wie würde ich den» dazu kommen können, so etwa« zu thun? — ES ist ja wahr, ich habe mal srüher einen Hasen geschossen, nun, da- ist so eine Passion, der man schwer widerstehen kann, dann wollen die Kinder etwa« zu esse» haben, der Hunger der Kinder tbnt noch mehr weh als der eigene, aber »nn babc ick, ja Holz arbeit bekommen, nnd der Herr gebende Förster wird bezeugen können, daß mich während der Zeit kein Vorwurf trifft." „Harbrand, Harbrand", sagte der Förster, „nehmt Enck in acht! — Ihr habt Besserung versprochen und seid auch ein fleißiger nnd geschickter Mensch, aber Ibr müßt auch lernen, daß das Wild im Walde und auch die Fische im Wasser ihre Herren haben und nickt für Jedermann da sind." „Nun", niurmelte Harbrand halblaut, „ganz zuerst bat sie der liebe Gott wohl für alle Welt geschaffen und so gar schlimm bat» mir auch nicht scheinen wollen, wenn ich mir mal einen Hasen zugelcgt habe — aber ick tbu'S nicht mehr, bei Gott, ich Ihu's nicht mehr, der Herr Förster wird seine Freude an mir haben." „Und mit den Fischen — wie ist eS damit? — Er ist ja ertappt Worten mit dem Netz von dem Verwalter und den Knechten de» AmtSratbS", sagte der Gendarm, „da wird wohl alle» Leugnen nicht helfen." „Das war ganz ander-, Herr Gendarm", bethenerte Harbrand, um dessen Mund wieder da» spöttische Lächeln spielte, daS auch ans den alten Tbierarzt eine erheiternde Wirkung ausüble — „das war ganz ander». — Ich ging da ruhig am Teich vorbei und sah einen Menschen, der am Wasser sich zu schaffen machte — ich ries ibn an und ging schnell darauf zu, der andere riß au«, und da fand ich da» Netz mit den Fischen liegen, und wäbrend ich mir da» Ding so ansah und die Fische ausnabm, um sie nach der Tomaine in dringen, wohin sie gehörten, da kamen die Knechte und sielen über mich der." „So, so. da» ist ja eine ganz seltsame Geschickte" —sagte der Tbierarzt, „nnd jener Dieb — wie sab er denn ans?" „Das konnte ick nickt sehen", sagte Harbranv treuherzig, „dazu war eS zu finster." Fra» Wilkner war an die Gartenhecke brranzekommen; sie bat den Gendarmen, auch bei ihr eine Taffe Kaffee an- zunehine» — eine kleine Erfrischung auf den Weg nach Anger- lum wäre ibm gewiß gut. Der Gendarm blickie zögernd auf den Arrcsraten. „S, ich lause nickt fort, Herr Wachnieister", rief Harbrand, „trinke» Sic ruhig Ihren Kaffee — wo würde ich denn so etwas thun, ick bin ja unschuldig, nnd das könnte ja aus- sehen, als ob ick ein böses Gewissen bälle." „Nun", sagte der Tbierarzt, „der arme Kerl wird auch müde sei» und bat auch einen weite» Weg zu machen, wenn die Frau reuende Förster,» ihm ein GlaS Kornbranntwein und einen kleinen Bissen geben will, dann wird sich die Sacke ganz gut machen — ich möchte für ihn bürgen, daß er nicht fortläuft — der Herr Gendarm kann sich ruhig ein wenig zu »nS setzen." Und so geschah cS. Der Gendarm und der Tbierarzt setzten sich an den Kaffeclisch, dem Arrestaten Harbrand brachte die Frau reitende Fi-'lsterin eigenhändig ei» großes GlaS Korn- branntwein nnd ein tüchtige« Ncsinengcbäck. Er setzte sich in das Gras, verzehrte mit Behagen die ge reichte Stärkung und wehrte mit seinem Hut die fliegen von dem Pferde de» TbierarzleS ab. Tie Gesellschaft plauderte rin halbes Stündchen. Ter Tbierarzt meinte, daß auch ihm nach dem Kaffee ein Schluck Branntwein ganz gut bekommen würde. Auch der Gendarm lebnte eine solche Stärkung nicht ab, und darauf ging denn noch eine Viertelstunde hin. Ter Tbierarzt erzäbltc allerlei Erlebnisse, die sich immer an irgend ein Pferd knüpften, daS er hier und dort einmal in Behandlung gehabt. ..Ta babe ich anch wieder ein paar alte Bekannte hier, sagte er, „die prächtigen Tbicrc de« Herrn Baron von Bergbolz sink nickt die schlechtesten an» den Ställen von Bergholz bausen, die der junge Herr hier niiibckcmmcn hat. Ter alte Gras bat mich um Rath gefragt, ich babe sic ausgesucht sür seinen Sohn — ja, ja, daS ist ein vortrefflicher Herr und ich kenne ibn sebr lange schon, wie er noch Junker war und ebenso lustig und vergnügt wie jetzt der Barvn Hilmar. Ich kann zwar nicht rechtmäßig die PrariS ausüden in Bergbolz- bausrn, da» liegt z» weit hinüber, aber kommt mal ein ernster Fall vor, da läßt mich der Herr Gras immer holen, und so a ie Monat einmal fahre ich bin — der Herr Graf hat eS gern, wenn ich mit ihm so von vergangenen Zeile«, «dt. (Fortsetzung folgt.)
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