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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940627021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894062702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-27
- Monat1894-06
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Eine ernste Mahnung. * Auch beute noch steht die gesummte civilisirte Welt unter dem Eindrücke de- in Luon verübten grauenhaften Berbrechen« imd fragt beklemmt nach Mitteln, welche die allen Schützern und Hütern der staatlichen Ordnung drohende Gefahr ah- wenden könnten. Aber wie lange wird in unserer schnell lebigen Zeit dieser Eindruck dauern? Wie oft schon bat in den letzten Jahren der Telegraph ähnliche Schreckens nachrichten über den ganzen Erdball verbreitet, und wie bald war trotz der raschen Aufeinanderfolge dieser Nachrichten lie Mabnung vergessen, die eine jede mit feurigen Zungen predigte! Man redete sich ein, nur der „Wahnwitz" habe solche Greuellbaten verüben können; man gestand wohl auch zu, daß nur systematische Verhetzung die große Zahl jener .Wahnwitzigen" in ihren Zustand habe bincintreibcn können. Aber mit diesem Zugeständniß war auch die geistige und sitt liche Energie der Massen erschöpft, die bei der nächsten bitten Gelegenbeit träge die Hände i» den Schooß legte, wenn eS galt, die gewissenlosen Verbctzer zu zügeln und ihnen die Möglichkeit zu nehme», von den Tribünen der Parlamente ihre Brandfackeln in die Köpfe der Un mündigen an Geist und Charakter zu schleudern und sic glauben zu machen, daß es nur einer „energischen Tbat" bedürfe, um den großen „Kladderadatsch" herbeiznfübren, der allen „Enterbten" das ersehnte Heil bringen müßte. Es ist daher eine der dringendsten Pflichten der Presse, auf die Mabnung, welche die neueste SchreckenSthat predigt, mit dem ernstesten Nachdruck hinzuweisen, so lange der Eindruck an dauert, den diese Thal hervorgerufen bat. Alle unsere Cor- resxondenten vereinigen sich zu solchen Mahnungen, von denen wir die eindringlichsten und beacktenSwerthesten hier folgen lassen. Die „Nat.-Lib. Corr." schreibt: „Immer häufiger drängen sich die Anzeichen, daß unsere ganze Eultur, unsere Staat-- und Gesellschaftsordnung tief unterwühlt, von finsteren, unheimlichen Mächten bevrobl ist. ES eröffnet sich gar zu oft ein Blick in einen tiefen Abgrund voll gährender, wilder, zerstörender Kräfte. DaS Jahrhundert geht mit Erscheinungen zur Neige, welche an grauenerregender Schrecklichkeit den Zeiten der großen fran zösischen Revolution nichts nachgeben. Was hat der wackere, wohlwollende und friedliebende Mann gclhan, der in Frank reich dem Mordstabl eines verbrecherischen Buben erlege» ist? Er fiel nur als Opfer eines wahnwitzigen Hasses, der die staatliche und gesellschaftliche Ordnung in ihrer obersten Ver körperung tödtlich treffen wollte. Und wenn dieser Meuchel mörder auch, wie gewöhnlich, von Leuten, die ihn von ihren Nock schößen abschütteln möchten, für geisteskrank ausgegeben werden sollte, wer anders erzeugt denn solchen Aberwitz als diejenige Partei, die unablässig den Fanatismus schürt, bis die Köpfe übersieden, und sich dann feig berausredct, wenn die Früchte ihrer Verhetzung sich zeigen? ES gebt so länger nicht mehr iu der Welt. Wenn Alles, waS die Völker an Eultur, Zucht, Ordnung und Recht besitzen, von einer Partei wahnsinniger Zerstörung bedroht wird, so wird die menschliche Gesellschaft zu einer Nothwehr berauSgesordert, in der Auge um Auge, Zahn um Zahn gekämpft werden muß. Die bürgerliche Gesellschaft und unsere staatlichen Einrichtungen sind trotz alledem no b stärker, als die diabolischen Mächte deS Umsturzes, aber an ihre ernste Pflicht zu ibrer eigenen Erhaltung muß immer wieder der Ruf ergehen, sich zu wehren mit allen Mitteln deS Gesetzes und auch der Macht. Unbegreiflich leicht ncbmen noch immer weite Schichten die furchtbare Gefahr, die in der Tiefe lauert. Mit welchem Gleichmuth sehen sie dem Treiben der Socialdemokraten zu, die dem Anarchis mus und dem Meuchelmorde die Bahn bereiten! Bei keiner ReichStagSwahl bekommt man ja dir bürger lichen Parteien noch ehrlich zusammen. Durch die ganze Entwickelung unseres modernen Betriebes, durch die ungesunde Zusammendrängung gewaltiger Arbcitermaffen in großen Fabrikstädten, durch eine von allen Zügeln befreite Aufhetzung, durch ein schrankenloses Wahlrecht sind Freiheiten und Machtmittel in die Hände der Massen gelegt, von denen sie nicht fähig sind, einen verständige» und heilsamen Gebrauch zu machen. Sic haben sich dieses UebermaßeS an Freiheiten längst als unwürdig erwiesen. Nicht- als die gemeinsten, häßlichsten und gefährlichsten Triebe der Menschennaiur sind in die Höhe geschossen. WaS jetzt vor Allem nothtbut, ist strenge Zucht, sester Schutz der Ordnung, de- Recht- und de- inneren Frieden-." Legt die „Nat.-lib. Corr." besondere- Gewicht aus daS, WaS durch den Staat und die Gesetzgebung zur Abwendung der drohenden Gefahr geschehen könnte, so betont unser Berliner ss-Correspondent mit Recht da-, was Staat und Gesetzgebung nicht oder doch nur in völlig unzureichendem Maße können und was daher von« Bürgcrthum selbst geschehen muß, wenn cs nicht unrettbar dem Geschicke ver fallen soll, daS seine Feinde ihm zu bereiten suchen. Er schreibt: „Die universale Empörung, welche daS Verbrechen von Lyon hervorgerufen hat, verschlägt auch de», deutschen Organ der Revolution die Stimme zu dem gewöhnlichen Sprüchlein. Santo ist der erste Attentäter seit Langem, der vom „Vorwärts" nicht unter die Lockspitzel geworfen wird. Solches durfte eben, für den Augenblick wenigsten-, auch den blindgläubigsten Anhängern nicht geboten werden. Eine unzweideutige Stellungnahme zu der Unthat paßt aber auch nicht in de» Rabmen der socialdemokratischcn Politik, und darum spricht das Organ der Parteileitung heute sebr viel von der Neuwahl eine- französischen Präsidenten, dem jüngsten Attentat aus EriSpi, den Unruhen auf Sicilien, aber nur nebenher von der Ermordung Carnot'S. Dazwischen un- flälhigeS Geschimpf auf die Nichtsocialisten in Frankreich und Italien und zum Schluffe die GeschästSempfchlung: „DaS Interesse der Civilisation und Menschlichkeit vertritt der demokratische SocialiSmuS". Es ist nicht nur dieser Heuchelei gegenüber, sondern auch im Hinblick auf das grausige TageSereigniß angebracht, auf die Pariser Commune zu verweisen, welche die Meuchelmörder organisirt hatte und deren Thaten von der deutschen Sccialdemokratie in Wort und Schrift gepriesen werten. Zwischen den Gräueln der Commune und den Thaten des Ravachol und Santo besteht jedenfalls nur ein quantitativer Unterschied. Ta- HauS d«S damaligen Präsidenten der Republik war zerstört, ihm selbst die Ermordung angekündigt worden, und wäre die Commune seiner habhaft geworden, so hätte ein Dutzend gefeierter Socialdemokralen vollendet, waS jetzt Santo verübt hat. Muster und Recht fertigung des Mordes hat der Anarchismus vom Socia liSmuS übernommen, und wenn sich aus Anlaß der Er mordung Carnot'S Stimmen erhoben haben, welche ei» neue- Socialistengesetz fordern, so steht ihnen eine richtige historische Betrachtung zur Seite. Dies erleidet keinen Zweifel. Eine andere, sehr sorgfältig zu untersuchende Frage ist cs, ob den Einzelermordungen beute durch polizeiliche Einschränkung der socialdemokratischen Agitation ein Hindcrniß bereit t vl'irbe. Internationale Vereinbarungen gegen die Sociali e sind sicher nicht zu erzielen, sie würden auch nur die Zaql der Anhänger der Propaganda der Thal vermehren, und rin isolirteS deutsches Socialisiengesctz hätte höchst wahr scheinlich die Folge, die Energie der bürgerlichen Gesell schaft gegen die Umsturzbestrebungen nicht zu der noth- wendigen vollen Entfaltung gelangen zu lassen. Genau besehen, hat daS Bürgerthum seine ungeheuere Kraft noch so gut wie gar nicht gegen die Socialdemokratie gebraucht. Gelegentlich, wie gegenüber der Maifeier, hat eS sich zur Defensive herbeigelassen, die Offensive ist von ihm niemals ergriffen worden. Da scheint eS doch bedenklich, dem bequemen Niesen die Unlust am Selbstschutz noch weiter zu stärken, indem man Gendarmen zwischen seine Bärenhaut und die Gefahr stellt. Durch die Wiedereinführung eines SocialistengesetzeS würde sich daS Bürgertbum gewissermaßen ein Söldnerheer auf- stcllen und seine Unfähigkeit, sich selbst zu webrcn, beclariren. Polizeimaßregeln bleiben immer mechanische Schutzvorrich tungen und verlieren häufig ihre Spitze, indem sie al» ge hässig auch von Dencu empfunden werden, für die sie getroffen werden. Ist man, um ein nach unserem Dafürhalten durch aus nicht kleinliche- Beispiel anzufübren, in Dresden, wo der Paragraph vom groben Unfug eine fragwürdige Wirksamkeit entfallet, weiter mit dem Boycott gekommen, als in Berlin? Und hat ma» bicr wie dort etwa eine Abwcbr organisirt, wie sic ebne jede polizeiliche Beihilfe leicht gewesen wäre und der Masse imponirt Kälte? Wir haben immer daraus hin- gewiescn, daß die Verrufserklärung, weil von der Social- temokralie als solcher, nicht von einer direct wirthschastlich interessirtcil Arbeitcrgruppe auSgegangen, eine ungeheuere politische Herausforderung des g e s a m m t e n BürgcrlhumS bereutet und darum nicht allein die be troffene Untcrilehmergruppe, sondern da- ganze Bürgcrthum zur repressiven Entlassung von Socialdemokrateii a»S der Arbeit hätte vermögen müssen. Die sccialbcmokralischen Führer kaben nichts mehr gefürchtet, als einen solchen Beweis tbatsächlicher Solidarität, der ihrem Ansehen einen schweren Schlag versetzt hätte, während die Versumpsung de- BoycollS nicht geeignet ist, auf die Masse lieferen Eindruck zu macken. Ties eines der vielen Beispiele, die zeigen, daß die natürlichen Hilfsmittel nicht nur nicht erschöpft, sondern kaum in Angriff genommen sind und ein Bedürsniß nach künstlichen, zu welchen doch ein Ausnahmegesetz zählen würde, zur Zeit nicht vorhanden ist." Daß internationale Vereinbarungen gegen Socialisten und Anarchisten schlechterdings nicht zu erzielen seien, bezwciseln wir, obgleich wir einseben, daß es überaus schwer sein wird, sich auch nur über solche Maßnahmen zu einigen, welche die internationale Minirarbcit der Umstürzler einer gleich mäßige» Aufsicht unterwerfen. Aber da diese Frage einzig und allein von den StaatSlcnkecn zu lösen ist nnd diese Lösung anscheinend nock im weiten Felde steht, so tritt an die einzelnen Staaten und ihr Bürgcr- thui» die Pflicht der Selbsthilfe um so gebieterischer Hera», am gebieterischsten an daS Bürgertbum, daS mit eigne» Händen selbst die Wirkung der strengsten Gesetze auf- deve» würde, wenn eS sorlführe, mit eigner Hand seinen Todfeinde» Tribünen zur Verhetzung der Massen aufzubauen und die ersehnte Macht förmlich aulzudrängen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Juni. Trotz der Mahnungen, welche die Ermordung Sadi Carnot'S predigt, hält die demokratische „Franks. Ztg." cö für angebracht, dem Ausdruck ihrer Freude über den Sieg terSocialdcmokratie in dem ReickstagSwahlkreise Ptniirbrrg-Vlmshorn die Vermahnung an die Freisinnigen binzuzusügen, daß eS ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit sei, in zedem Falle, wo eS sich bei einer Wahl um die E»t- ict tidung zwischen einem Socialdemokraten und einem National- liberalen oder einem noch weiter recht- stehenden Candidatcn handelt, für den Socialdemokraten einzutreten. Da- ge nannte Blatt schreibt nämlich: „Für einen Theil der Freisinnigen mußte mit Fug und Recht A«zeige«.PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 86 Pfz.' Neelumen unter dem RedactionSstrich <4gu« spalte») vor de« Fanttlirnnachnchte» (ü gespalten) 40 >4- Größer» Schriften laut unserem Preis» «erreichiiiß. Tabellarischer »od Ziffrrnjatz »ach hoher»» Tarif. Er<v«'Beilage« (gesalzt), nnr mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderuug SO.—, mit Postbesörderuug 70.—. Annadmeschlnß für Anzeige«: Nbend-Au-gabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-LuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Sonn- und Festtag- früh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je eia» halb« Stund« früher. U»zeige« stad stets -» dt» GrpeStlt«« zu richten. Druck nnd Verlag von E. Polz in Leipzig. 88. Jahrgang: Angesicht- der Ausgaben, die der Opposition im Reich-lage für jetzt und für di« nächste Zeit erwachsen, Angesicht- der nolhwendigen Abwehr gegen reactionaire Bestrebungen und gegen eine Vermehrung der Steuerlasten nicht der nationalliberale Mischmaschcandidai, sondern der Socialdemokrat als da- „kleinere Uebel" gellen. Bon den Nationalliberalen kann man nach ihrer Vergangen heit eine derartjge Abwehr nicht erwarten, man muß vielmehr bei ihnen aus Schlimmes gefaßt sein, mag e-sichumneue Steuern oderumneueGe- setze handeln, man muß sogar nach der Haltung eine- TheileS ihrer Presse den Beidacht hegen, daß auch da» Wahlrecht in ihrer Hut schlecht aufgehoben sein würde. Alt »S sich im vorigen Jahre um die Mllitairvorloge handelte, haben die Nationalliberalen — sie rühmen sich dessen jetzt noch — in zahlreichen Wahlkreisen zu Gunsten von Krruzzeitung-Ieuten gegen Freisinnige und Ultromontane in der Stichwahl den Ausschlag gegeben. Das war ganz correct, denn Freisinnige und Ultramontane waren gegen die Militai» vorlage, die reaclionairen anltsemitischen Junker aber dafür, und es kam darauf a», jener Borlage eine Mehrheit zu schaffe». Ebenso correct aber ist es, wenn jetzt die Freisinnigen lediglich ihr Augenmerk daraus richte», eine Mehrheit für die Steuerpläne und etwaige reactioaire Projekte der Regierungen zu verhindern, und wenn sie zu diesem Zwecke einein Socialdemokraten ihre Stimme geben, so fördern sle damit die Bestrebuugen der Socialdeinokratie gerade so viel oder so wenig, wie im vorigen Jahre die National- liberalen Agrariern»»» und Antisemitismus gefördert haben, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob die Gefahr einer Reaction nicht naher liegt, als die des socialistischen ZukunstSslaates." Hieran- muß man schließen, daß die „Franks. Ztg." auch den innigen Wunsch hegt, e- möchten womöglich alle national- liberalen und konservativen Mandate, die nicht für den „Frei sinn" erstritten werden können, an die Socialdemokratie übergehen. Es bandelt sich ja nach der politischen Einsicht deS demokratischen Blattes „lediglich" um daS Verbüken von neuen Steuer- und ähnlichen „reaktionären" Gesetzen. Um etwa- Andere- hat nach demokratischer Doktrin ein rechter Freisinniger sich nicht zu kümmern. Ob die Social- demokralic triumphirt, durch ihre Erfolge immer mehr An hänger erhält, die auf den Anbruch de- großen „Kladdera datsch" warten und Kossen, immer mehr unklare Köpfe argen alle- Bestehende aufbctzt und mit leidenschaftlichem Hasse gegen die Hüter von Gesetz und Ordnung erfüllt — wer fragt darnach? Die „Franks. Ztg." sichtlich nicht, wenigstens nicht in Deutschland. WaS Frankreich betrifft, so ist da« Blatt mit seinen Rathschlägen von jeher vorsichtiger ge wesen. Es ist ihm schon begegnet, daß es zu gleicher Zeit die Franzosen dringend vor der Gefahr warnte, die ihnen von den Umstürzlern und deren radikalen Beschützern drohte, und in Deutschland die Wabl solcher Umstürzler und ihrer Be schützer mit leidcnschafllichkm Eifer betrieb. Der von dem demokratischen Blatte über seine deutschnationale Pflicht bc lehrte deutsche Freisinn wird also hoffentlich wissen, WaS er von einer solchen Belehrung zu halten hat. Mit begreiflicher Spannung sieht man in ganz Europa der heutigen Präsidentenwahl in Frankreich entgegen. Ernstlich >u Betracht kommen nur die Candidaturcn Casimir Perier'S und Dupuy'S, denn weder der radicale Brisson, noch der von Len Eonscrvativen auSersebene PräsidcntschaflS- bewerber — man sagt, eS sei der Admiral Gervais — hat Aussicht, gewählt zu werden; der gestern auch genannte frühere Schweizer Botschafter Arago kann ernstlich nicht in Betracht kommen. Die meisten Chancen scheint immer »och Kammerpräsident Perier zu haben, für den sich die drei CenalSgruppcn, republikanische Vereinigung, republikanische Linke und linke- Centru», säst einstimmig ausgesprochen habe», und der auch bei den gemäßigten Parteien rer Kgmmer über eine sehr große Anzahl Anhänger verfügt. Allerdings scheint Dupuy, aus der Demokratie hervorgegangen, mehr Garantien für die Sammlung aller Republikaner unter einer Fahne zu gewähren, und bei einer engeren Wahl würde er Feuilletsn. Die alte gute Zeit. Eine Erzählung au- Niedersachsen von Greg. Sam arow. 10s - Nachdruck verbot«». (Fortsetzung.) „Wie schlecht ist die Welt, wie schlecht und nichtswürdig", sprach der Dechant vor sich hin, indem er immer noch im Zimmer auf und nieder ging, „wie nachsichtig ist Gott, daß er alle- mit ansieht und dem Menschen immer noch wieder Zeit zur Buße und Umkehr läßt! Der gute brave Baron — dar arme Mädchen, da- allein in der Welt steht und wahr haftig von ibrer Mutter nicht an leichtfertige Gedanken ge wöhnt ist! Aber man sucht keinen hinter dem Ofen, wenn man nicht selbst dahinter gesessen bat. Da- mag bei dieser Frau reitenden Försterin wohl der Fall gewesen sein. Gott, verzeih' mir die Sünde", sagte er erschrocken, „da bin ich selbst aus dem Wege, bisse» zu denken von meinem Nächsten; aber so ist es, auS eister Saat de« Teufel« geht immer neue« Unkraut auf, eS ist ein recht böses Unkraut, wenn die Läster mäuler so den Geifer auSspritzen gegen zwei junge Menschen die nicht« böseS denken, und selbst so einer alten guten Person, wie dieser Johanna den Kopf verdrehen. Sollte ich Wohl warnen? Nein, nein, das könnte nur Gedanken erzeugen, die den selbst nicht da sind und auch nicht kommen werden Der liebe Gott wird eS schon machen", sagte er, sich in seinen Lebnstuhl niedersetzend. Ta« gutmüthige Lächeln kehrte wieder auf sein Gesicht zurück; er zündete die auögegangene Pfeife an und streckte lie Hand wieder nach der Zeitung auS. Ta steckte die alte Johanna wieder den Kopf durch die geöffnete Tbür und sagte: „Der Herr Förster Marten ist da und möchte den Herrn Dechanten gern sprechen." Ter geistliche Herr seufzte tief auf bei dieser neuen Störung, er faltete resignirt da« Zeitungsblatt zusammen und erbeb sich, um dem angekündigten Besuch enlgegenzugehen. Johanna öffnete die Tbür ganz. Ter Förster batcc seine beste Uniform an und sah ganz stattlich au-, als er in ehrerbietiger Verneigung die dargebotene Hand de« Dechanten ergriff, der ibn fragend ansab und im Dtrllen noch die Hoffnung kegle, daß dir Störung nicht lange dauern werde. Als aber der Förster etwas befangen nnd zögernd damit hcrauSkam, daß er die Zusicherung erkalten habe, bald die definitive Anstellung für daS von ihm provi sorisch verwaltete Revier zu bekommen; daß er nun daran denken müsse, sich eine Häuslichkeit zu gründen, »nd daß er nicht glaube, eine bessere und für ihn passendere Frau finken zu können, als Anna, und endlich die Erlaubniß erbat, sich um die Nickte deS hochwürdigen Herrn bewerben zu dürse», die er glücklich zu macken hoffe und verspreche, da strahlte belle Freude von dem Gesicht deS Dechanten und er richtete seine Augen wie mit dankbarem Blick aufwärts, war doch durch den Antrag deS braven und gut versorgten ManneS dic Zukunft seiner Nichte gesickert und zugleich auch die Sorge, welche die Reden der alten Johanna i» ihm wachgcrufen, von ihm genommen. Er schüttelte dem Förster kräftig die Hand und sagte herzlich: „Meine Zustimmung haben Sie, mein lieber Förster, ick weiß, daß Sie eine Frau ernähren können und ibr eine gute Stütze im Leben sein werden und e» wird mich auch auf richtig sreuen, meine Nichte, die ich im Herzen lieb gewonnen, hier in meiner Nähe zu behalten." „Ich danke Ihnen, Herr Dechant"^ erwiderte der Förster ganz glücklich über die freudige Zustimmung, „aber", fügte er ernster hinzu, „ich möchte keine Einwirkung von Ihnen auf Fräulein Anna zu meinen Gunsten erbitten, sie muß selbst wissen ob sie mir gut sein mag und mir vertrauen will — sie soll mir nicht etwa bloß ihre Hand reichen, um eine Versorgung zu sinken." „Sie haben recht, ganz reckt, Herr Förster, ick halte nicht- von der schwärmerischen Liebe, wie sie die Dichter zu weilen besingen, aber eine warme herzliche Neigung gekört doch dazu, wenn zwei Menschen mit einander durch das Leben geben sollen, um Glück und Unglück miteinander zu theilen. Sic sind ja aber auch wahrlich ganz der Mann dazu, um einem Märchen zu gefallen." Er betrachtete mit wohlgefälligem Lächeln die männlich kräftige Gestalt de- Förster- und sagte dann: „DaS wollen wir gleich hören — gute Dinge muß man nicht ausschieben." Er öffnete die Tbür und befahl der alten Johanna, die ausfallend schnell zur Hand war, und deren Gesicht so zu frieden auSsab, al- babr sie di« vorhergegangenc Scene bereit« vergessen, seine Nickte zu rufen. Nach wenigen Augenblicken trat Anna rin. Sic reichte dem Förster mit freundlichem, herzlichem Gruß die Hand und fragte nach ihres OheimS Befehl. „Ich bade nichts zu befehlen, mein Kind", sagte der alte Herr in beitcrster Laune, „sondern ich komme als Bittsteller, al« Bittsteller für diesen Herrn da, der mir einen Auftrag für Dich gegeben." Mit kurzen Worten »heilte er seiner Nichte den Antrag des Försters niit, dessen klare und treue Augen fragend und erwartungsvoll auf dem jungen Mädchen ruhten. Anna wurde totenbleich, ein jäher Schreck schien sie zu durchzucken, sie senkte da- Haupt und stand einige Augenblicke sprachlos da. „Nun", sagte der Dechant beiter, „WaS sagst Tu, ist eS nicht wie eine Fügung des Himmels, daß Du hier in meinem lieben Angcrsum »och eine festere Hcimath sinken sollst, al« ich sie Dir bieten könnte?" Anna athmete schwer, ein heftiger innerer Kampf schien sic zu erschüttern. Dann sprach sie mit unsicherer Stimme: „Der Herr Förster erzeigt mir durch sein Vertrauen eine große Ehre, um so mehr aber muß ich mich ernsthaft prüfen, ob ich mich eines solchen Vertrauens wirklich würdig suhle und ob ich a»S voller Herzciisiieigung die Pflichten auf mich nehmen kann, deren Erfüllung er von mir verlangen würde. — Ick bitte deshalb um Zeit zu solcher Prüfung und diese Zeit ist ja", sügte sie nack kurzem Besinnen binzu, „schon von selbst gegeben. Es würde meinem Gcfübl wiedersprechen, einen solchen Entschluß während der Traucrzeit um meine Mutter zu fassen." Ter Teckant schien durch diese Antwort enttäuscht, er mochte eine freudigere Ausnahme des Antrages erwartet haben, den er als ein großes Glück ansab. „Die Trauer über Deine Mutter", sagte er kopfschüttelnd, „könnte Wohl eigentlich kein Hinderniß für die Erwägung einer ernsten und für daS aanze Leben bestimmten Sache sein — der Gedanke an die Verstorbene würde Dich vielleicht bei Deinem Eiitschlusst leiten und erleuchten." „Ich bitte niu Verzeihung, Herr Dechant", siel der Förster schnell ein — „Fräulein Anna hat ganz reckt, eine Verlobung würde ja doch walirlich i» der Trauerzeit kaum passend sein und gerade weil der Entschluß, um den ich bitte, so wichtig und bestimmend für da- ganze Leben ist, muß er auch wohl erwogen werden — eine Zeit de« Warten« ist wahrlich besser als spätere Reue. Kann sich Fräulein Anna nach reiflicher Ueberlegu, g nickt entschließen, mir ihr« Hand zu reichen, so werde ich mich zu bescheiden wissen, wie wir cs ja immcr im Leben thun »lüsscn, wenn uns ein Herzens wunsch unerfüllt bleibt. Sagt sie aber ja", fuhr er mit warm ausleuchtcndcn Blicken fort, „so werde ich dan» um so ruhiger sei» in der sickern Gewißheit, daß sie obnc Uebereilung mir ibre Hand reicht — ich bitte Sie also, die Frist zu genehmigen — bis dahin soll von der ganzen Sache nicht weiter die Rede sein und ich werde dan» komme» und mir meine Ant- » ort abhvlcn — wie dieselbe aber.auch auSfallen möge, Fräulein Anna kann gewiß sein, in mir einen treuen Freund für das ganze Leben zu besitzen." Anna blickte auf. Es zuckte schmerzlich über ihr Gesicht, als sie den braven Mann ansah, der ohne alle Leidenschaft, aber doch in lief innigem Ton gesprochen hatte. Wie in unwillkürlicher Bewegung trat sic zu ihm heran, reichte ihm die Hand und sagte leise: „Ich danke Ihnen von Heizen, Here Förster, für Ibr Verstänvniß meiner Gefühle und werde zu Gott bitten, daß er mich erleuchtet." Der Förster drückte warm und kräftig ihre zitternde Hand und verabschiedete sich kurz und cbrerbietig von dem Dechanten. „Man soll", sagte dieser ernst, als er mit A»»a allein war, „nickt dränge» und rathen, wo eS sich um Menscken- sckicksale bandelt, die nur freier Entschluß glücklich und Gott wokblgcsällig gestalten kann, aber doch muß ich Dir sagen, daß nach meiner Ucberzeugung der Förster ein braver Mann ist, der Deine Zukunft sicher und glücklich machen kann. Ein sichere« Nest im Leben ist viel werth und eine herrliche GottcSgab« und wird vielleicht an» wenigsten von jener Liebe ausgebaut, tre von den Dichtern besungen wird und gar oft in den Köpfen und Herzen der jungen Frauenzimmer spukt. So lange ich lebe, ist Dir mein HauS eine sichere Heimatb, dessen kannst Du gewiß sein, aber meine Tage stehen in Gotte- Hand und Uber meinen Tot hinaus habe ich nichts oder gar wenig zu vermachen. Auch daS mußt Du bedenken und jetzt kein Wort weiter, wie der brave Förster es gewollt hat — bedarfst Du Rath und Zuspruch so frage mich." Anna küßte ihre« OnkclS Hand und ging in ihr Zimmer hinauf. Die alte Johanna war auf dem Flur, sie batte den Förster in tiefen Ernst fortgehen sehen und sah Anna mit lhränenden Augen in ihr Zimmer hinaussteigen. Unmuthig und sorgenvoll schüttelte sie den Kopf und murmelte, in ihre Küche zurückkehrend, vor sich hin:
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