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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940628023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894062802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894062802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-28
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Selbst die radikalen Londoner .Daily News" erklären im Gegensätze zu der bis herigen Stellungnahme des englischen Liberalismus zu dieser Frage: „Der neue Präsident von Frankreich, wer immer er auch ist, wird die Initiative in der Entwertung eines Feldzuges gegen die anarchistischen Verschwörungen «rgreisen müssen. Tie Anarchisten ziehen ihren Nutzen von der gegenseitigen Uneinigkeit, vor einem gemeinsamen Angriffe aber müßten sie verschwinden. Wir in England haben durch Berurtheiluug Polti's bewiesen, daß wir nicht müßig sind; aber dies« vereinzelten Uebersührungen sind nicht genug; es bedarf eines planmäßigen Vorgehens aller Mächte, deren Staalseinrichtuugen bedroht sind, wenn wir diese Pest vertilgen wollen. An diesem Kreuzzug hat England ein ebenso großes Interesse als Italien und Frankreich." Eine ähnliche Sprache führen die italienischen Journale. So sagt die „Riforma": „DoS Gefühl de- Entsetzens ist allgemein, doch mit dem Aus drucke dieses Gefühls ist die Pflicht der gesitteten Menschheit nicht erschöpft; sie muß diesem Ueberhandnehmen des socialen Meuchelmordes mit allen Mitteln steuern. Es darf wenigen Feiglingen nicht mehr gestattet werden, in schwache oder verwahrloste Seelen den Keim des Berbrecherthums zu senken. Diese sogenannten Apostel der Arbeiter haben die Arbeit niemals geliebt; die Leiden des Volkes sind ihnen nur ein Vorwand zur Stillung ihrer wahnwitzigen Ehrsucht. Europa hat die Barbaren im Hause. So möge es sich zusammenschließen, um sie zu bezwingen, zu vernichten. Die Gesellschaft muß ihnen fest, scharf und hart in di« Augen sehen; läßt sie den Muth sinken, so ist es um die Freiheit der Völker geschehen." Unter den österreichischen Zeitungen ist es die „Neue Freie Presse", welche der französischen Polizei den Vor wurf macht, daß sie e» an genauer Ueberwachung der Anarchisten habe fehlen lassen. An der Leiche Carnot'S, so heißt eS in dem Artikel deS genannten Wiener Blattes, er hebt sich dringender und drohender als jemals zuvor das grauenhafte Problem der Nothwehr gegen die mensch liche Verkommenheit, die in den anarchistischen Gewaltthaten hervortritt. „Die Unzufriedenheit der arbeitende» Eiaffen läßt sich durch sociale Reformen mildern, aber die anarchistischen Greuel sind anr zu beseitigen, wenn die Organe der öffentlichen Sicherheit sich zur Höh« ihrer jetzigen Ausgabe emporschwingen. Gesellschaftliche Verbesserungen mögen einen Damm gegen die socialistifchen Strömungen aufrichten, aber die anarchistischen Empörer sind nur durch das Talent der Polizei zu besiegen. Wie konnte es geschehen, daß Cesario Santo, der längst als Anarchist bekannt war, nach Lyon kam, ohne daß die Polizei ihn bewachte oder es überhaupt wußte? Ist »S überhaupt möglich, daß die Behörden in Frankreich durch die traurigen Erfahrungen sich nicht von der Nothwendigkeit überzeugt hatten, die Bewegung jede- einzelnen Anarchisten genau zu beob achten? Biel« Millionen werden in Frankreich für die Polizei aus- gegeben, aber es scheint fast, als ob sie nicht einmal die gerechtesten Ansprüche befriedigen könne und der furchtbaren Verantwortung, welche ihr im Kampfe gegen die schrecklichen Verirrungen unserer Zeit auferlegt wird, nicht gewachsen sei." In schroffen Gegensatz zu diese» Stimmen stellt sich — von den sorialdemokratischcn Blättern natürlich abgesehen — nur die demokratische „Franks. Ztg.', die bei dieser Gelegen heit die ganze Tiefe ihrer politischen Einsicht enthüllt. Sie zieht aus der Ermordung Carnot'S den Schluß, daß die französische Republik die Befugnisse ihresPräsidenten beschneiden müsse; Carnot habe mit dem Befehl zur Hin richtung Vaillant'S und Henry'» seinTodesurtheil unterzeichnet; in einer Republik sollte nur das Volk oder höchstens das Parla ment begnadigen; das Präsidentenamt, mit dem Begnadigungs recht auSgestattct,könnte bei andauerndem Anarchismus ein höchst gefährliches Amt werden, für welches sich schließlich keine Leute mehr finden würden. Von diesem Standpuncte aus muß das süddeutsche Demokralcnblatt nicht nur die Bestätigung von Todesnrtbeilcn, die von den Gerichten Uber anarchistische Mörder gefällt worden sind, sondern auch die Fällung solcher Todesurtkeilc widcrrathen, da die „Genossen" der Mörder für die Bestätigung und die Fällung sich am Parlament, am Volk und an den Gerichtshöfen rächen könnten. Za, es müßte überhaupt Alles beseitigt werden, was dem Anarchismus mißfällt, damit er nickt gereizt wird. Staat und bürgerliche Gesellschaft müßten vor dem Anarchismus capituliren, um ihn zu „überwinden". Wenn irgend etwas geeignet ist, die Nothwendigkeit eines gemeinsamen Feldzugs gegen die menschliche Verkommenheit, die in den anarchistischen Gcwalt- thaten hervortritt, zu beweisen, so ist cS die Auslassung der „Franks. Ztg.", die klar und scharf den Abgrund erkennen läßt, in den man durch Zurückwrichen vor dieser Verkommen- hell geräth. Der Erfolg, den die deutsche Reichsregierung durch ihr unerwartetes, aber um so löblicheres entschiedenes Aus- trctcn gegen das englisch cangostaatlichc Abkommen errungen bat. wird von einigen mißvergnügten Blättern Lurch die Behauptung abzuschwächen versucht, die Ncichsregierung habe einer englischen Telegrapden-Gesellschaft oder gar der englischen Regierung die Concession zur Anlage eines Telegrap hen im dcutscb-ostafrikanischen Schutzgebiete ertheilt. Er freulicherweise theilt beule die „Nordd. Allgem. Ztg." mit, daß allerdings Gesuche um eine solche Concession schon seil Jahren von Mr. RodeS durch Vermittelung deutscher Unternehmer ge stellt, aber von der deutsche» Regierung abgcle hnt worden seien. Hoffentlich bleibt eS bei dieser Ablehnung. Von anderer Seite wird der Reichsregierung ein Vorwurf daraus gemacht, daß sie die günstige Gelegenheit, die ihr England durch den Ab schluß eines widerrechtlichen Abkommens geboten, nicht benutzt habe, um „Compensationen" zu verlangen. Besonders ist eS die „Kreuzzeitung", welche diesen Vorwurf erhebt. Sie bezieht sich dabei auf Compensationen in dem deutsch-englischen Abkommen von 1800 und bei anderen Verhandlungen, ohne zu bedenken, daß im vorliegenden Falle kein neuer Vertrag über schwebende afrikanische Fragen zu schließen, sondern ecn deutscher Protest wider den Versuch zu erledigen war, unter Verletzung deutscher Colonialintercsscn inter nationale Satzungen in Frage zu stellen. klebrigen» sollte sich die „Kreuzzcitung" daran erinnern, daß die „CompensationSfrage" zuerst von russischer Seite auf geworfen worden ist und daß sie selbst, die „Kreuzztg", eS war, die auf die so bemcrkenSwerthe Stimme in der „Nowoje Wremja" aufmerksam machte. Es handelte sich um das englisch-italienische Uebcreinkommen über Abessinien. Dazu schrieb daS russische Blatt: „Es ist in Anbetracht des sehr ernsten Interesses, welches das ferne, aber rechtgläubige Abessinien für uns hat, wllnschenswerth, daß wir nicht in den listigen italienischen Fallstrick treten und durch ein Mißverständniß unsere GlaubenSbrüder dein katholischen Italien ausliefern. Ileberhaupt verdienten die letzten afrikanischen Ereignisse bei uns mehr beachtet zu werden, als bisher geschehen ist." Das Blatt sprach dann darüber, daß Rußland bei seinen Erwerbungen in Asien den Engländern immer Compensationen gewähren müsse, und suhr dann fort: „Brauchen wir einmal etwas, das nicht asiatisches Grenzgebiet ist, sondern Afrika, oder eine Insel im Stillen Lcean betrifft, woher werden wir dann Compensationen nehmen? Sollte es nicht besser sein, schon jetzt an dein internationalen Colonialleben theilzunehnien und zwar so, daß kein wesentliches Ereiguiß sich ohne unsere Zustimmung oder unseren Widerspruch vollziehen kann? Die Tinge, welche sich an den Usern des Golfes von Aden, in Congo und in Marokko abspielen, bieten dazu eine höchst geeignete Handhabe." Wir sind mit der „Kreuzzeitung" der Meinung, daß man eS hier nickt mit einer Improvisation der „Nowoje Wremja", sondern mit einem Fühler der russischen Politik zu tbun bat. Die Franzosen werden um so lieber den Russen die Hand für die Ermöglichung des Eintreten- in die afrikanische Politik bieten, als für absehbare Zeit Rußland in allen afrikanischen Angelegenheiten mit Frank reich Hand in Hand gehen würde. Wir meinen freilich, daß wir die Berechtigung Rußlands, sich in die afrikanische Politik einzumischen, nickt anzuerkennen brauchen. Denn dadurck, daß ein Staat eine europäische Großmacht darstcllt, bat er dock höchstens den Anspruch, in allen europäischen Dingen ein Wörtchen mitznsprechen. Die afrikanischen Angelegenheiten zu ordnen, kommt den Mächten zu, die durch große Opfer an Menschen und Geldmitteln für die Erschließung Afrikas gesorgt haben. Dazu aber gehört Rußland nicht. Trotzdem glauben wir, daß eS Rußland leicht möglich sein würde, sich in die afrikanischen Angelegenheiten cinzudrängcn. Ten Interessen des Friedens wurde freilich damit wenig gedient sein, denn durch die Einmischung des länkergierigen Rußlands würde die schon jetzt in Äsrika unzweifelhaft vorhandene starke Spannung noch vermehrt werden. ES heißt aber die russische Einmischung geradezu provociren, wenn man sich nicht streng an die geschlossenen Verträge hält, sondern Proteste gegen Vertragsverletzungen zu BcrtragSänderungen und „Compensationen" zu vcr- wcrtbcn sucht. Ter neue Präsident der sranzüsischen Republik Casim i rPeri er verdankt scincWablwohl säst ausschließlich den gemäßigten Elementen der beiden Kammern, den RegicrungS- republikanern und den unmittelbar an diese sich anschließen- dcn, etwas mehr links stehenden, fortschrittlichen Elementen mit Ausschluß der Radicalen. Die NeaicrungSrepubli- kaner, welche die Initiative mit der Ausstellung der Candidatur Perier ergriffen, verfügen über 120, die Progressisten über 160, die unabhängigen Republi kaner über 40 und die drei republikanischen Gruppen de» Senats über 180, alle zusammen über ca. .800 Stimmen. Davon sielen 481 aus Casimir Perier, während die 80 übrigen wahrscheinlich ie» kann sich augenblicklich überhaupt nur um eine Wahrscheinlichkeitsrechnung handeln) geschlossen für Dupuy cintratcn, zu dem sich noch 80 weiter link» stehende Congreßmitglieder geschlagen haben mögen, während extrem Radikale und Socialistc» cinmüthig fürBrisson eintratcn, der es bis auf 10l Stimmen brachte. Der conservativ- klcrikale General Fcvrier vereinigte 88 Stimmen auf sich, die übrigen zersplitterten sich (auf Arago und einige andere Candidaten. Wäre Perier nicht gleich im ersten Wahlgang aus den Schild gehoben worden, so würde ihm im zweiten jedenfalls die Rechte beigesprungen sein. Die wüsten Scenen, welche die Socialisten in den vorbereitenden Versammlungen aufführten, um eine Abstimmung der rcgic- rungSfreunblichcn Teputirtca zu binlcrtreibcn, mögen mit dazu bcigetragen haben, daß sich bereits im ersten Gange so zahlreiche Hände für den Candidaten der OrdnungS- parteicn erhoben, denn eS mag inmitten des unwürdigen LärmS fast im Angesicht der Leiche Carnot'S Manchem die Uebcrzeugung ausgegangcn sein, daß Frankreich mehr den» je einer eisernen Hand bedarf. Die Nachricht von der Wahl Prricr'S bat denn anch überall große Befriedigung bcrvorgerusen und die feierliche Erklärung des neuen Präsidenten, er werde sich mit seinem ganzen Patriotismus, seiner Euergie und glühenden Uebcrzeugung der Republik und der Demokratie zur Verfügung stellen, wird sicherlich bei allen besonnenen Elementen, auch der radicaleren Gruppen, die Befürchtung in den Hintergrund drängen, der Name Perier bedeute die Reaction und die Hinübcrleitung der Republik in monarchische Bahnen. Allerdings sind ja die Befugnisse eine« Präsi denten der französischen Republik derartig, daß sie einen energischen und ehrgeizigen Mann leicht versührcn können, dieselbe» noch zu erweitern oder ihr Gegengewicht zu mißachte». Ter Präsident der französischen Republik bat daS Reckt, Gesetze vorzuschlagen, die Gesetze zu verkünden und deren Ausführung zu überwachen; er hat ferner daS Be gnadigungsrecht, er verfügt im Frieden über die bewaffuete Mackl und besetzt alle Stellen im Civil- und Militairdiensl; er bat eine große Summe jährlich für Reisen im Lande, verfügt über mehrere Schlösser, präsidirt den nationalen Festlichkeiten, und die fremden Botschafter sind bei ihm persönlich beglaubigt, wodurch er Len Souverainen gleich gestellt ist; er bat daS Recht deS Veto gegen Gesetze, um deren nochmalige Berathung zu veranlassen; er ernennt die Minister, kann das Parlament berufen und vertagen, und endlich kann er, mit Zustimmung de- «cnatS, die Deputirtenkammer auf- lösen. Dabei ist er unverantwortlich und kann nur im Falle deS HochvcrratbS zur Verantwortung gezogen werden. Diese schwerwiegenden Rechte sind, wie gesagt, nicht ohne Anreiz sür gewisse Naturen, aber das radical-socialistische Geschrei, Casimir Perier plane eine politische und sociale Reaction, hat noch nirgends einen greifbaren Anhalt gesunden. Vielmehr ging er während seiner Ministerpräsikentschast mit Reformen vor, die, wenn sie angenommen würden, viel zur Erleichterung der niederen Volksclasskn beitragen würden. In einer Rede, die er auf dem vor einem Monate zu Paris veranstalteten IahreS- bankcl des Vereins der Angestellten uftd Arbeiter der Eisenbahnen hielt, sagte er u. A.: „Ich/begrüße in Ihne» die Demokratie, der ich ganz anzehöre, der anzugehören ich stolz bin, die Demokratie, die durch ihre Intelligenz, ihr Verhalten und ihre Arbeiten immer höher steigt." Daß freilich sür die Toftbäuselcien der radical - socialistifchen Liga unter Perier'S Präsidentschaft die schönen Zeiten vorüber sein werden, liegt aufttker Hand, aber unbeugsame Strenge ist nickt Reaktion. 2»aS die äußere Erscheinung Casimir Periers betrifft, so ^derselbe nicht gerade eine imxonirente Persönlichkeit. Er ist klein von Gestalt und sieht jünger aus, als er in Wirklichkeit ist. Sein volle» Gtsichk hat gesunde Farbe, der runde Kopf reichliches, sorgfältig gescheiteltes Haar, das die Hobe gewölbte Stirn freiläß». Tie hcrvorstchenten Augen blicken gerade auS; manchmal etwas streng. Als Kammerpräsident waltete er seine» Amte» mit kaltem Blute und Besonnenheit. In den radikalen Kreisen, wo die äußere Correctbeit als Pose verspottet wird, fand man Casimir Perier und seine junge Gattin etwas hoch müthig. Sie beobachteten indessen nur eine vornehme Zurück haltung, und daS sollte ihnen bei der Ungenirthcit der heutigen parlamentarischen Gesellschaft eher als eine Tugend ungerechnet werden. Die Perier'S sind stets den Grundsätzen des bürger lichen Stolzes treu geblieben. In der italienische» Kammer ist, säst unbeachtet in der Aufregung, welche die Lyoner SchrcckenStbat überall hervorgeruscn, am Dienstag die Hauptschlacht geschlagen worden, und Crispi hat — eine Hoffnung, die wir nie aufgcgeben — mit seinem Cabinet sie gewonnen. Der Sieg ist ein vollständiger, denn die zwanzigprocentige Couponstcuer, die bisher stets den Stein deS An stoßes gebildet hatte, um die die deftigsten Kämpfe geführt worden, die Bonghi als ein Fallissement, Zanardclli als einen Diebstahl bezeichueten, ist mit 206 gegen 188 Stimmen, also mit der in diesem Fasse Die alte gute Zeit. Eine Erzählung auS Niedersachsen von Greg. Sam arow. 11s Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Ja so, da bin ich wieder von dem Hund abgekommen nun, wie ich so dalag, da sann ich wieder nach uud bemerkte, da eS ganz dasselbe Leiden war, wie es der Hund des Grafen von Bergholz batte; da habe ich mich ebenso behandelt, habe geschabtes Fleisch mit Oel genommen nnd bin gesund ge worden." Der Dechant lachte herzlich? „Nun, die Cur würde ich Ihnen nicht nachmachen, lieber Bergen." „Sie tbäten wohl daran, lieber Herr Dechant, aber den gelehrten Herrn ist nicht zu rathen und nickt zu helfen. Der Graf von Bcrgholz, da» ist ein verständiger Herr, der siebt eS besser ein und der hat mich schon mehrmals, wenn er sich erkältet hatte auf der Jagd, gefragt: was soll ich thun. Bergen? Ist ein vortrefflicher Herr ganz vortrefflich, der Herr Graf, und ich habe so meine rechte Freude daran, daß wobl jetzt in seinem Hause bald ein frohe» Ereigniß be- vorsteht —" „Ein frohes Ereignis, und wa» denn?" fragte der Dechant, Während Anna von ihrer Arbeit aufblickte. „Nun", sagte der Thierarzt, „da ist der Baron, auch ein vortrefflicher junger Herr, schlägt ganz nach dem Vater, Sie kennen ihn ja auch, ein Herz ganz ohne falschen Hochmuth — nun, er hat'- ja auch nicht nötbig, er weiß ja, wer er ist und hat in seinem kleinen Finger mehr vornehmes Blut als mancher, der die Nase hoch trägt und auf unserein« her unter sieht —" „Nun, wa» ist'» mit dem Baron?" fragte der Dechant. „ES ist noch nicht-", antwortete der Tierarzt mit ge- beimnißvoller Miene, „aber eS wird wobl bald was werden. Da ist da» junge Fräulein von Hcrsenstcin» eine Nichte von der Frau Gräfin, sie ist jetzt bei den gnädigen Damen in Rottenau, und das scheint mir da wobl so ein Plan zu sein. — Ein schöne« Paar wird e- sein und der junge Baron ist oft in Rotten«», recht oft» — ich habe wohl gesehen, wie die jungen Herrschaften im Park spaziere» gehen und f» herzlich mit ein ander verkehren. Der Frau Gräfin würde eS ja Wohl eine rechte Freude machen, wenn wieder ein Fräulein von ihrer Familie die künftige Gräfin in Bergholzhausen würde, — nun — der liebe Gott wird eS fügen, wie er will — ich habe meine Freude dran, wcnn'S gut geht, und trinte mein GlaS auf daS Wohl deS Herrn Grasen von Bergholz und seines ganzen Hause», das jetzt auf zwei Augen steht, aber mit Gottes Hilfe bald wieder so reich blühen mag, wie der alte tausendjährige Rosenstock am Dom von Hildesbcim!" „Dazu sage ich Amen" — rief der Dechant, indem er die Gläser hell zusammcnklingen ließ — „ich wünsche jedem guten Menschen, Glück und Segen, aber dem Baron Hilmar vor allem." Die Beiden leerten ihre Gläser bis zum Grunde. Anna neigte den Kopf tief auf ihre Arbeit, cS schien ihr ein Stich mißrathen, und sic mußte große Mühe haben, den Fehler wieder in Ordnung zu bringen; denn lange blieb sie über ihre Arbeit geneigt, ihre Finger zitterten, der Faden verwirrte sich und zerriß endlich, so daß sic wobl gezwungen sein mußte, aufzusteben und hinauSzugeben, um die entstandene Verwirrung wieder in Ordnung zu bringen. Der Thicrarzt plauderte noch eine Weile, und als die Flasche geleert war, brach er auf, um vor der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Al« Anna zum Abendessen wieder herabkam, sah sie so bleich auS, daß eS dem Dechanten aufsiel und er theilnehmcnd fragte, ob sie sich nicht wohl befinde. „Ich habe ein wenig Kopfschmerz", sagte sie, „eS wird morgen vorübrrgchen." Der Dechant sprach noch von der Mittheilung de- Thier- arzteS über Hilmar. „Ick wünsche so recht von Herzen", sagte er. „daß der junge Mann, dem ja der Himmel an äußeren Gütern alle- gegeben hat, was ein Mensch nur wünschen kann, auch innerlich so recht glücklich wird, aber wenn er kommt, wollen wir davon nicht sprechen, daS wäre indiScret. Wenn etwa» an der Sache ist und die Zeit dazu kommt, so wird er eS un schön sagen, hörst Du wohl, wir wollen keine Art Anspielung machen Ihr Mädchen seit ja neugierig, namentlich wenn eS HeirathSgeschichten betrifft." Anna wie« den Vorwurf lächelnd zurück, aber ihr Lächeln war so seltsam, daß der alte Herr, wenn er zu physiognomischen Beobachtungen geneigt gewesen wäre, wohl hinter demselben ein tiefe« Ä)ch hätte vermuthen können. Drr Thierarzt hatte mit seinen hingeworfenen Mittheilungen, die dem Dechanten so viel Freude gemacht, äußerlich vollkommen recht gehabt. Hilmar war häufig nach Rottenau geritten, er hatte sich jedeSmal mit dem Lieutenant von Rombeck, wie verabredet, romier-vous gegeben, und wenn auch die alten Tanten ihn vielleicht lieber ohne seinen Freund hätten kommen sehen, so waren sie doch über seine Besuche sehr erfreut und ertrugen gern die Unruhe, die dieselben verursachten. Denn die alte Kinderfreundschast zwischen Hilmar und seiner Cousine lebte ja sichtlich immer inniger und herzlicher wieder auf, die jungen Leute gingen mit einander im Park spazieren und die Tanten waren nun eigentlich froh, daß Herr von Rombeck mit da war — sie hatten überlegt, daß cs doch eigentlich nicht ganz passend sei, wenn Hilmar und Alice so allein mit einander herumschwcisten, und daß sie sie wobl begleiten müßten, was ihnen aber wieder Unruhe nnd Anstrengung gemacht hätte. Nun aber war ja dafür Herr von Rombeck da, und dadurch waren alle DehorS gewahrt, und wenn dann die junge Gesellschaft wieder zum Thce zurückkam, dann waren sie so lustig, daß Fräulein Kunigunde oft herzlich lachen mußte, und daß selbst uni Fräulein Adelinens Lippen ein Lächeln spielte, wenn sic auck nicht unterließ, demselben regelmäßig einen wehmüthigen Seufzer folgen zu lassen. JedeSmal gingen dann äußerst beruhigende und zufrieden stellende Berichte nach Bergholzhausen ab — beide Tanten waren darin einig, daß die von der Familie gewünschte Verbindung ganz den persönlichen Neigungen der Betbeiligtcn entspreche, und den Unterschied bestand nur darin, daß Fräulein Kunigunde die Zukunft in hellster und schönster Rosensarbe erblickte, während Fräulein Adclinc eS nicht unterlassen konnte, einige schwermütbige Bemerkungen darüber zu machen, daß der LiebeStraum junger Herzen leider so oft schmerzliche« Erwache» zur Folge habe und daß sie nur wünsche und hoffe, dieser Fall möge eine Ausnahme bilden. In diese Zeit fiel der Geburtstag des Grasen Bcrgholz. Der Tag wurde stets besonder« festlich aus Bergholzhausen begangen. War der Graf auch von eigentlicher Eitelkeit fern, so erfreute cS ihn dennoch, wenn ihm von allen Seiten Zeichen der Achtung und Zuneigung eutgegengebracht wurden. Da« sonst ziemlich einfache Schloß Bergholzhausen entfaltete dann den ganzen Glanz, der dem Herrensitz de- reichsten und vornehmsten EdelmanneS weit umher gebührte. Auch die Tanten von Rottenau fehlten dann nicht. So beschwerlich ihnen auch die Reise und die festliche Unruhe war, so hielten sie e» doch für ihre Pflicht, dem Bruder, de» sie aufrichtig liebten und verehrten und der zugleich der Cbes ihre» Hause- war, ihre Glückwünsche persönlich dar- zubringcn. Hilmar hatte bereit- den ersten Urlaub seit dem Eintritt in den Dienst erbeten und erhalten, um dem Familien feste beizuwohncn. Er wollte noch vorder nach Landersen hinüberreiten, um den gewohnten Besuch in der Woche nicht auSfallen zu lassen, aber davon war keine Rede. Neben einigen Terminen, die er noch zu halten hatte, nahm der Oberamtmann ihn vollständig in Anspruch, und zwar in einer nickt dienstlichen, aber dock sür den alten Herrn sehr wichtigen Angelegenheit. Der Oberamtmann hatte die Einladungen zu einem großen Tiner ergehen lassen, und da gab cS gar viele Fragen, in denen er den Rath seines jungen Auditors verlangte zu dem er in allen kulinarischen und onologischen Dingen ein großes Vertraue» gewonnen hatte. Es kam daraus an, das Menu zusammenznstellen und die Weinkarte demselben richtig anzupassen. DaS war ein sehr ernster Gegenstand; denn eS galt nicht nur die Pflicht der Repräsentation der Gesellschaft gegenüber, die eine gu:e Tafel verstand, würdig zu erfüllen, sondern auch für fick) selbst zu sorgen. Alles war in Fülle da, die Karte wies fünfzehn Gänge aus, von denen jeder wieder in zwei Unterabtheilungcn zerfiel. Der Oberamtmann saß mit Hilmar vor seinen Arbeitstisch, um daS große Werk noch einmal zu überschauen, und prüfte das als endliches Resultat au» langen Berathungen hervor gegangene Menu. Die lange Reihe der vortrefflichen Dinge, welche auf der Tasel erscheinen sollten, wurde noch einmal durchgegaagen nnd Gargantna selbst hätte mit der Ouantität und Qualität derselben zufrieden sein müssen. Da erschien zuerst Ochsenschwanzsuppe und klare Bouillon mit Fleischklößen, dazu alter Dru-Madeira, von dem der Obcranilmanu, als Hilmar die Karte vorla-, schmunzelnd und mit der Zunge schnalzend versicherte, daß er zweimal die Linie passirt habe und ibm von einem Bremer Schiffs reeder ganz ausnahmsweise und aus Freundschaft überlasse» sei. Dann solgten Hübner und Taubenpastrten und mit Fleischsauce gesülllc Omelette« mit allerband Zuthaten wie Sardinen in Oel und in Milch marinirtc Heringe, «m den Appetit und den Durst zu wecken „Dazu soll der Madeira sortgesetzt werden, nicht wahr, err Oberamtmann?" fragt« Hilmar, den Bleistift zu seiner otiz bereit haltend. „Gott bewahre!" rief der Oberamtmann. „Dazu habe
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