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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940709028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894070902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894070902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-07
- Tag1894-07-09
- Monat1894-07
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Ztg.*, der die Reichsregierung gegen Borwürfe wegen des Ausbleibens schärferer gesetzgeberischer Matzregel» gegen sie Lorialdemokratie in Schutz nahm und alle Schuld an diesem Ausbleiben aus den vorigen Reichstag schob, .der im Jahre l89ü eine Borlage der verbündeten Negierungen, welche eine Erneuerung und theilwcise Aenderung tes dem Ablause zuneigenden SociaiistengcsetzeS ablebnte". lind heute lesen wir in dem von osficiöser Seile bedienten „Hamb. Corr." die Versicherung: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß im Sckooße der verbündeten Regierungen, Preußen voran, nicht die mindeste Absicht besteht, die mit dem Ablauf des SocialistengcsetzcS vor 4 Jahren eingeschlagene Politik zu andern " Erweckt der eine Osficiöse die Bermuthung, die Reichs regierung würde gar zu gern schärfere gesetzgeberische Maß regeln gegen die Socialdemokratie in Anwendung bringe», wenn sie nicht fürchten müßte, der neue Reichstag werde sich ebenso ablehnend verhalten, wie sein Vorgänger, jo stellt der andere es als ausgemachte Sache hin, daß die ver bündeten Regierungen mit der Nichterncuerung des Socialisten- geseyeS durchaus einverstanden sind und nicht im Traume daran renken, es in irgend einer Form wieder ausleben zu lassen. Wer hrtnunRecht? Wie denkt VieRcichsregierungüberdiebrennende Frrge, und wie soll man im Reiche über die Rcichsregierung und ihre Absichten denken? Das Letztere ist, allem Anscheine nach, dem Inspirator der Officiösen höchst gleichgiltig. Ist bas aber der Fall, wozu dann der ganze kostjpiclige Apparat der officiösen Presse? Man wird im Reichstage ernstlich an die Frage herantreten müssen, ob cS verantwortet werden kann, Mittel für eine Einrichtung zu bewilligen, die verwirrt, statt aufzuklären, und für das Ansehen der Reichsregierung im Volke ebenso gefährlich ist, wie für das Vertrauen und das SicherbeitSgesühl des Volkes. Der BundcSrath wird heute Stellung zu dem Be schlüsse des Reichstags auf Beseitigung des JesuttengesetzcS ncbmen und höchst wahrscheinlich über die Ablehnung dieses Beschlusses, zugleich aber auch darüber sich einige», daß die Redemptoristen künftig nicht mehr unter die Bestimmungen des JesuitengesctzeS fallen sollen. Es ist das ein Entgegen kommen gegen das Eentrum, das man nur aus Gründen der allgemeinen politischen und parlamentarischen Situation verstehen kann. Es ist ja, wie die „Nat.-Lib. Eorresponvenz" ausführt, leider wahr und liegt wie ein erdrückender Alp auf dem ganzen politischen Leben, daß in der RcichSgesctz- gebung ohne das Eentrum nichts mehr zu machen ist, nachdem die guten Grundlagen einer nationalen Politik, eine ReichS- tagSmehrheit aus Conservativen und Gemäßigtliberalcn, auf unabsehbare Zeit hinaus zerstört sind. Es liegt in dieser Situation ein gewisser Zwang für die Reichsregierung, der Manches erklärlich und entschuldbar macht. Real- politische Staatsmänner, die etwas Positives erreichen und die RcichSmaschine nicht blos in dem allermühsamsten Fort- keuchen io beschränktesten Bahnen erhalten wollen, können kaum anders, als Unterstützung zu suchen, wo sie eben in genügender Stärke zu finden ist. Das ist dann ohne mancherlei Zugeständnisse nicht möglich, und da- Bedenklichste ist, daß eS immer nur von Fall zu Fall und für den Augenblick genügt. Eine kauernd befriedigende Lösung der Schwierigkeiten läßt sich darauf nicht gründen, sondern nur eine wechselnde Opportunitäts politik. Es liegt auch die Gefahr nahe, daß man durch Zugeständnisse a» Parteien, die nach ihrem ganzen Wesen ein zuverlässiger Rückhalt des Reichs und einer nationalen Politik nicht sein können, die von Natur berufensten Stützen der Rcichsregierung abstößt und cnlmutbigt. Auf jeden Fall aber hat diese OpportunitätSpclitik, die bald da, bald dort durch Zugeständnisse gute Stimmung zu machen sucht, ibre Grenze. Dem Eentrum z. B. gegenüber scheint uns dieselbe längst erreicht, wenn nicht überschritten. Nachdem in Preußen die ganze sogen. Eulturkampsgesetzgebung auS dem Wege geräumt ist, ohne daß man irgendwo einen Dank dasür verspürt hätte, was bleibt dann noch übrig? Höchstens noch die Auölieserunz der Schule an die Kirche nach dem Vorbilde des Herrn von Zedlitz. Und was dann? Begreifen und entschuldigen kann inan heutzutage Vieles, aber man kann eS nicht ohne Bedauern, Schmerz und Sorge thun. Gesund sind unsere Verhältnisse nicht. In der französischen Hauptstadt ist anläßlich der jüngsten anarchistischen Blutthatcn der Gedanke an geregt worden, die gesaminte Polizei des Landes einem Minister oder Director unterzuordn cn. Diese Reform wäre um so nothwendiger, als die beklagcnSwertben Ersabrungen der letzten Wochen gezeigt habe», welch' verbängnißvolle Folgen die Zersplitterung der Polizeikrästc in viele unter einander znsanlmenhanglose Posten nach sich ziehen kann. Man ver langt daher in Paris eine stramm organisirte Polizei mit einem einzigen Chef an der Spitze. Ob hierfür ein beson deres Ministerium geschaffen werben wird, ist zweifelhaft, und zwar umsomehr, als es hierbei weniger aus den Namen, als auf die Organisation selbst ankommt. Uebcrties würde ein Ministerium allzu sehr den Wcchselfällen de« parlamentarischen Lebens unterliegen, indcß doch der Ehcf des Polizeiwescns nur dann mit Erfolg wirken könnte, wenn er auf eine gewisse Dauer im Amte zählen dürste. Zwei ehemalige Polizeipräfecten, de Kvratry und Andrieux, die von Pariser Journalisten über diese Angelegenheit befragt wurden, äußerten sich verschieden. De Ksratry würde die Schaffung eines Polizei-Ministeriums für eine Wohlthat halten, und er theilt in dieser Beziehung die Meinung des ehemaligen Ehess der Geheimpolizei, Mace, welcher der Ansicht ist, daß die Errichtung einer Eentral Polizeistellc von großem Borthcile für den Dienst wäre. Andrieux ist gegentbciliger Ansicht Ein Polizciminister, meint er, wäre ein Autokrat und als bestgehaßter Staatsbeamter kaum im Stande, ersprießliche Neuerungen durchzusetzen. Der Minister des Innern, der vor dem Parlament für die Handlungen der Polizei verant wortlich sei, entgehe der Unpopularität, weil er noch andere Verwaltungszweige und unter diesen das öffentliche Armcn- wescn in seiner Hand vereinige. Die nölhigen Reformen könnten auch ohne die Bildung eines neuen Ministeriums ermöglicht werden, wenn man nur mehr Geld zur Verfügung der verschiedenen Zweige des Polizeiwescns stellen wollte. — Wie man sich nun auch entscheiden möge, elwaS muß jeden falls geschehen, um die französische Polizei ibrer Aufgabe ge wachsen zu machen; denn die Berichte über Caserio's Vorleben stellen derselben kein besonders gutes Zcugniß aus. Sie lassen es immer unbegreiflicher erscheinen, daß dieser Mensch von der Polizei nicht besser überwacht worden ist. Easerio war den Be Hörden seit langer Zeit als gefährlicher Anarchist bekannt. Au der Anarchistenliste, die der Polizeicommissar in Cctte infolge ministeriellen Auftrages zu Beginn dieses Jahres anfertigte, stand Easerio an vierter Stelle. Vor einiger Zeit sagte er in einem WirthShause, als man von dem Präsidenten Earnot sprach, ganz laut: „Ten Präsidenten, den habe ich verurtheiit!" Ein anderes Mal rief er: „Wir brauchen keine Bomben! Ich weiß was Besseres!- und machte hierbei die Gebcrtc eines Dolchstoßes. Gleichwobl konnte er ungehindert einen Dolch bei dein bekanntesten Waffenschmied in Eclte kaufen und seine Mordrcise antrelcn. Zu einem internationalen Eongreß für ArbeitS- unfälle und sociale Versicherung, welcher in Italic» und zwar in Mailand vom l. bis 6. October statifindcn oll, ergeht soeben eine Einladung des EoniitöS. Der Eongreß ist die dritte dieser Versammlungen, deren erste in Paris l889 stattsand, während die zweite l89l in Bern ab- gehaltcn wurde. In der Einladung beißt eS: „Aus dem ersten Eongreß zu Paris im Jakre 1889 wurde» die beiden einander gegcnübcrstchcnten Grundsätze erörtert und, 'leis mit Berücksichtigung der gewerbliche» GcsundbeitS- lchre, der JnspectionSsysteme und der Unfallstatistik, den verschiedenen Ansichten über die Zweckmäßigkeit tcS Fortbestehens der Gefahrenuntcrschiete unier dem Schutze des gemeinen RecktS, oder über die Einführung der freien oder zwangsweisen Versicherung, in ruhiger und ernster Weise Ausdruck gegeben. Der Eongreß zu Bern, zwei Jahre später, ließ sich von der ibn umgebenden Atmosphäre der Schweiz, dem Laboratorium socialer Versuche, beeinflussen; die theore tischen Ansichten machten der genauen Erörterung der That- achen Platz, und die germanischen Völker berichteten von de» Ergebnissen ihrer allgemeinen Zwangsversicherungen; aus diesem gleichen Pfade der Versuche beabsichtigen wir auf dem dritten Eongresse, in Mailand, sortzuschreiten, eingedenk des alten italischen MottoS der Accademia del Cimcnto: „l'rnvauckn o riprovamlo", und Italien, das die Fortschritte anderer Staaten auf diesem Felde mit Interesse beobachtet hat, hofft auch mit einigen cigenthümlichcn Bemerkungen über seine eigenen Erfahrungen hervortrctcn zu können." Der Eongreß verfolgt in erster Linie den Zweck, international eiuander die Er gebnisse der socialen Versicherung mitzuthcilen, die noch nicht durckgesührten Versuche zu besprechen und die Wirkungen der Gesetze und der Einrichtungen mit den daran geknüpften Hoffnungen zu vergleichen. Es kann nur im Interesse Deutschlands liegen, wenn man aus diesen Eongressen ein gehend Kenntlich von seinen socialpolitischcn Einrichtungen nimmt und für sie Nacheiferung in anderen Staaten zu er wirken bestrebt ist, während auch die einschlägige deutsche Gesetzgebung, die einer idealen Vollendung noch keineswegs zugeführt ist, aus dem Austausch der Erfahrungen im Einzelnen manchen Nutzen ziehen kann. auSgeführt. daß das Recht der freien Religions-Ausübung in Rußland unantastbar sci^ daß keine Regierung in Rußland die Gewissensfreiheit zu beschränken wagen würde. Alle gegcn- tbciligen Gerüchte seien böswillige Erfindungen. Wie die Mobammedaner über diese in Rußland bisher noch nicht vor- gekommcnc Pflanze „Toleranz" denken, wird man ja bald erfahre». — Aus den Antrag des Justizministers und des EhefS der Gesängnißverwaltung bat daS sibirische Bahn-Comitö ein Reglement zur Heranziehung von Sträflingen und DcportirlenbeimBaudersibir, schenBahn angenommen. Die Löhnung der Sträflinge wird nach Abzug de» denselben gesetzlich zuiomnicnden AntbcilS zur Bestreitung der materiellen Bedürfnisse der Sträflinge und der Aussichtsorgane ver wendet. Die den Sträflingen aus den Gefangenhäusern zu gewährenden Begünstigungen bestehen darin, daß sie von den Ketten besrcit und daß ihnen acht Monate Arbeit als ein Jahr der Strafzeit angercchnct werden. Ten zur Ansiedelung Dcportirten wird die Frist, bis zu welcher sie in den Bauernstand cintrctcn können, derart rcducirt, daß jedes ArbeitSjahr für zwei Jahre gerechnet wird. Entsprechend wird auch den Jnternirten die Zeit verkürzt, innerhalb welcher sie sich ihren Aufenthaltsort selbst wählen dürfen. Den zwangsweise Ver schickten wird ein ArbeitSjahr für zwei Jahre de» Exil» gerechnet. Die Gcsängnisse der Gouvernements JrkutSk und JcnnisseiSk können .',«»0 Mann und die EorrcctionSabtheilung derselben Verwaltungsbezirke 600 Mann abgeben. Au Dcpor- tirtc», worunter auck, die zui» Aufenthalt in Sibirien und aus administrative», Wege Verschickten eingerechnet sind, stehen zwölftausend Mann zur Verfügung. FeuiUetsn. Die alte gute Zeit. ki»e Erzählung aus Niedersachsen von Greg. Sam arow. U! Nachdruck Verbote». (Fortsetzung.) „Tann", sagte der Gras, sich aufrichtend, kalt und streng, „werde ich keinen Sohn mehr haben, aber aus meinem ein samen Sterbebette wird mich das Bewußtsein stärken, meine Pflicht gethan zu haben. Doch", sagte er dann wieder weich und mild, „dahin wird es nicht kommen, Tu wirst in Dich emkebren, mein Sohn, wie ich in mich einzekehrt bin." „Nochmals, mein Vater", sagte Hilmar dumpf, „ich bitte Dich, ich beschwöre Dich bei dem Andenken Derjenigen, die Du einst geliebt, stoße mich nicht von Dir." ,Faß unS abbrechen", erwiderte der Graf, „jedes Wort ist überflüssig, nur die eigene innere Arbeit kann solche Eon- flicte lösen, wie sie Bielen auf Erden beschicken sind. — Ich werde Deiner Mutter nichts davon sagen, was heute zwischen uns gesprochen ist, sie würde Dich kränken und Deinen Schmerz verbittern. — Ringe und kämpfe, wie ich gerungen und gekämpft habe, Gott wird Dir den Sieg geben." Er reichte Hilmar die Hand. Dieser drückte sie an seine Lippen. Der Graf fühlte eine Thräne auf seine Hand niederfallen. „Lebewohl, mein Vater", sagte Hilmar, „vergiß niemals Deinen Sohn und verdamme ihn nicht, wenn er seine Pflicht «»der» erfüllt als Du." Er ging schnell hinaus. Der Graf sah ihm tief bewegt nach. „Er wird es durchkämpfen", sagte er, „er ist stark und muthig. Die Eiche kann nicht aufwachsen, ohne daß der rüttelnde Sturm ihre Wurzeln festigt." Xl. Früh schon am nächsten Morgen, noch ehe der Graf auf gestanden, reiste Hilmar wieder von Bergholzhauscn ab. Der Dienst gab die Entschuldigung dasür. Dir Gräfin war sehr erzürnt über das Scheitern ihre» LiebliugSplane«, bei welchem ihr Gemahl nach ihrer Meinung ihr nicht energisch genug zur Seite gestanden, und der Graf selbst, so kehr er auch innerlich bekümmert war, ließ sie doch nichts davon ahnen, daß noch eine neue und viel ernstere Sorge an ihn herangetretcn war. Hilmar beschäftigte sich nach seiner Rückkehr zwei Tage lang nur mit dem Dienst, und hielt sich unter dem Vor wand einer leichten Unpäßlichkeit von jedem Verkehr zurück; er wollte erst in stiller Einkcbr in sich selbst den schweren Seelcnkampf durchkämpsen, den daS Schicksal ihm auserlegt, um zu klaren und festen Entschlüssen zu kommen, und die Rechte seiner Liebe gegen die Pflichten für sein HauS so gegen einander abzuwägcn, daß er mit sreicm Gewissen zu handeln im Stande sein konnte. Im Pfarrbause zu Landerscn aber sollten die vcr- bängnißvollen Folgen dcS Bekenntnisses, daS Hilmar seinem Vater abgelegt, schon früher mit der Gewalt eines herauf ziehenden Wetters die plötzlichen Träume und Hoffnungen zerstören. Ter Dechant erhielt durch einen besonderen Boten einen Brief des Grafen von Bergholz. Verwundert öffnete er das große Wappensiegcl und wurde bleich, als er daS Schreiben gelesen. Der Graf theilte ihm das Geständniß seines Sobnes mit. Er halte cS für seine Pflicht, schrieb er dann weiter, be stimmt zu erklären, daß er bei aller Achtung vor dem Dechanten und bei aller guten Meinung, die er von dessen Nichte habe, niemals seine Zustimmung zu dieser Verbindung geben könne und werde. Der Dechant werde seine Gründe verstehen und billigen. Ihm wie dem Grafen selbst müsse daran liegen, daß seine Nichte nickt durch eine fortgesetzte Täuschung un glücklich werde, er bäte daher, daß der Dechant für Anna so schnell wie möglich eine andere von Landerscn weit entfernte Unterkunft in einer befreundeten Familie suche und sie so vor dem Verkehr mit Hilmar schütze. Alle Kosten für ein solches Arrangement, möchten sie so hoch sein, wie sie wollten, werde der Graf bereitwilligst tragen, um dem jungen Mädchen eine vollkommen standesgemäße und freundliche Heimath zu schaffen. Durch die Erfüllung seiner Bitte werde der Dechant ibn zu unauslöschlichem Dank verpflichten und auch für seine Nichte selbst eine gute- Werk thun; denn der Schmerz über die Auf lösung dcS Liebesverhältnisses und die Zerstörung der Hoff nungen, die sie gewiß, ohne dabei aus Hilmar'S äußere Stellung und Zukunst Rücksicht zu nehmen, genährt haben möchte, werte durch jede Zögerung verschärft werden. DaS Papier zitterte in dcS Dechanten Hand. Ihn traf die Nachricht, welche so viel Unruhe in sein friedliches Leben brachte,wir ein Blitz; so sehr er auch im Allgemeinen die Grund Unter der mohammedanischen Bevölkerung der rusfischr» Gouvernements Ufa und Orenburg halte sich bis in die letzten Tage eine starke AuSwanderungS- Bewegung nach der Türkei bemerkbar gemacht. Anlaß dazu gaben die unter den Mohammedanern ausgc- strcuten Gerüchte über die demnächst bevorstehende gewalt same Bekehrung der Anhänger des Islams zur Ürtho- doxie, welche die russische Regierung angeblich im Schilde führe. Die von den Mullahs einbcrufenc Versamm lung trat diesen Gerüchten nicht entgegen; sie beschloß, die Mohammedaner auf die bestehende Gefahr einer gewaltsamen Ehristianisirung aufmerksam zu machen. Die Folge war eine noch verstärkte Auswanderung. Viele MoSlimS verkauften ihr Hab und Gut um einen Spottpreis und kehrten Ruß land den Rücken. Gegen diese Erscheinung kehren sich nun zwei Erlasse, welche die Gouverneure von Ufa und Orcn- burg kürzlich an die dortigen mohammedanischen Geistlichen und weltlichen Beamten gerichtet haben. In denselben wird satze des Grafen anerkannte — denn auch er war überzeugt, dag die Gleichheit der äußeren Lebensstellung zu den Be dingungen einer glücklichen Häuslichkeit gehörte — so verletzte ibn doch daS Gcldancrbieten, daS, trotzdem eS mit aller Rücksicht ausgesprochen war, dock den Schein der Abfindung an sich trug, welche der stolze Magnat dem armen Mädchen für dessen Ansprüche an seinen Sohn bot. Als er noch in tiefer Bewegung, unschlüssig, waS zu thun sei, iin Zimmer auf- und niederging, trat Anna ein, um dem Onkel ein kleines Butterbrötchen und ein Gläschen Korn branntwein zu bringen, wie er es am Vormittage zu nehmen pflegte- .. Ihre Augen strahlten, ihre Lippen lächelten, war sie doch ganz erfüllt von dem Glück der Liebe, das ihr ausgcgangen und über dessen sommerlichster Wärme sie das Bangen vor der Zukunft vergaß. Sie stellte den kleinen Teller mit dcS Onkels Frühstück auf den Tisch und bemerkte dann erst die finstere und auf geregte Miene des Dechanten. Auf ihre theilnehmende und besorgte Frage blieb der Dechant vor ihr stehen, sah sie mit traurigen Blicken an und sagte: „Das ist nicht recht von Dir, mein Kind, daß Tu mit dem Herrn von Bcrgbolz hinter meinem Rücken ein Vcr- hältniß angesangen hast." Hoch erröthend stand Anna vor ihm, aber mit offenem freien Blick antwortete sie: „Verzeih', mein Onkel, daS ist gekommen, ohne daß ich, bei Gott, etwas dazu that und ohne daß ich heute noch weiß, wie eS kam. Ta Du es weißt und mich fragst, so darf ich eS und werde cS nicht leugnen. Hilmar ist ja so gut und so treu, zwischen unö ist nichts, WaS daS Licht zu scheuen hat. Du solltest der Erste sein, der das Gehcimniß meines Herzens erfahren würde." „Gut und treu" — sagte der Dechant finster, „das ist er, da» glaube ich von ihm, aber er hätte cS-wissen sollen und Du hättest Dir sagen können, daß daraus nicht» werden kann als Kummer und Unglück und Unfrieden!" „Warum, mein Onkel?" fragte Anna erschreckt. „Er hoffte ja, daß Alle» sich freundlich und glücklich wenden ließe, und warum sollte ich ihm nicht glauben? — Muß ich ibm denn nicht glauben, muß ick ihm nicht vertrauen? — Beim allmächtigen Gott, mein Onkel, daß er so reich und vornehm ist, das ist der einzige Schmerz, die einzige Sorge meiner Liebe." Deutsches Reich. * Berlin, 8. Juli. Als Beweis für die Behauptung, daß sich Deutsche wegen des Mangels eines kräftigen Eintreten« des Reichs für seine Angehörigen Vergewaltigungen in anderen Erdt heile» gefallen lassen müßten, hat die „Krcuzzeitung" aus die Angelegenheit Hönigsbcrg Bezug genommen, bei der die deutsche Regierung lässig verfahren sei. Demgegenüber giebt die „Nordd. Allg. Ztz." folgende, als cssiciös gekennzeichnete Darstellung: Ter Ransnian» Julius .Königsberg aus Wachwitz bei Dresden macht seit 1888 Entschädigungsansprüche gegen die Niger-Com pagnie wegen Vernichtung seiner HandetSunternehinniigen in dem Niger-Gebiet geltend. Sowohl Im Plenum wie in der PentionS- commission daS Reichstag« haben Verhandlungen wegen der Hüntgs- berg'schen Ansprüche siatigesunden, von welchen Abstand genommen worden ist, als von Seiten der Vertreter der verbündete» Regie- rungen die amlliche Erklärung abgegeben wurde, daß di« lltechte des Hönigoberg »ach »rasten gewahrt werden sollen und in dieser Be- Ziehung Verhandlungen mit der englische» Regierung schwebe». EL ist sodann am 26. Februar 1891 zwischen der kaiserlichen und der englischen Regierung eine Verständigung dahin erfolgt, daß die Entscheidung über die Höhe der von der grobbritannischen Regierung Herrn Honigsberg zu bewilligeuden Entschädigung durch den Schiedsspruch eines belgischen Rechtsgelehrtcn erjolgen sollte, welcher von Sr. Majestät dem Könige von Belgien in der Person des LtaatsministerS Jacobs ernannt wurde. Während Julius Hünigsberg niit der Abfassung einer Tenkschrist über seine Ansprüche gegen die Niger-Compagnie bejchaitigt war, starb er am 2. Mai 1891. Ter Wittwe wurde von der kaiserlichen Regierung di« Vertretung der Ansprüche de« Verstorbene» gegen die Compagnie wie bisher auch im Interesse der Erben zugesagt. Während die Verhandlungen noch schwebten, wurde» dem kaiserlichen Botschafter in London im Austrage de« englischen StaatSjecretairs eine Anzahl Schriftstück« übergeben, welche eine am 12. März 1890 zwischen der Niger- Compagnie und der Firma HönigSbcrg getroffene Vereinbarung, sowie die zwischen der Wittwe Hönigsberg und der genannten Gesellschaft geführte Correspondenz enthielten. AuS 8. 1 und 2 des Ab- „So sind die junge» Herzen!" sagte der Dechant. „Sie flattern umher wie die Schmetterlinge im Sonnenlicht, ohne daran zu denken, daß den kurzen Sommertagen der Frost und die Stürme des Winters folgen. So ist cS bei Euch, so mußte cs sein — WaS hilft eS, zu zögern, die Wahrheit muß heraus, das ist die beste Arznei für die Fieberphantasien thörichtcr Herzen." „Da licS!" Er reichte ihr den Brief des Grafen. Anna wurde bleich wie der Tod, als sie die erste» Zeilen durchflogen. DaS Papier zitterte in ibrer Hand. Eine» Augenblick stand sie schwanksnd da. Der Dechant trat Hera», sie zu stützen; aber mit einer fast heftigen Bewegung wieS sie seinen Arm zurück und las weiter. Ihre eben noch so kindlich frischen, glücklich hoffnungS- freudigen Züge wurden hart wie Marmor. Stumm reichte sie das Papi«r zurück. „Nun", sagte der Dechant, in welchem bei dem Anblick dcS trostlosen Mädchens daS Mitleid sich regte, mit mildem Ton, „nun weißt Du, wie die Sacke steht, der Herr von Bcrghvlz bat mit seinem Vater gesprochen, er hat ehrlich gehandelt. Du siebst die Antwort, die er Dir mitzutheilcn Wohl zögert, da er wohl selbst von der Unmöglichkeit überzeugt ist, die Hoffnung zu erfüllen, die er Dir gewiß in gutem Glauben gemacht. — Und würde er seinem Vater trotzen wollen — würdest Du vor Deinem Gewissen und vor Gott eS verant worten können, Dich zwischen Vater und Sohn zu stellen, den Unfrieden hineinzutragen in eine der ersten Familien dcS Landes und vor der ganzen Welt dazusteben unter dem Ver- dacht, Dich hincindrangen zu wollen in eine Stellung, die hoch über Deiner Geburt steht, und ein hoffnungsvolle» Leben zu zerstören?" „Nein, mein Onkel", sagte Anna mit rauher, tonloser Stimme, „das wird niemals geschehen. — Alles ist au», Alle» muß auS sein." „So willst Du den Wunsch des Grasen erfüllen?" „Den Wunsch des Grafen — Geld von ihm nehmen, um meiner Liebe zu entsagen, um den Geliebten zu täuschen? -- Niemals, mein Onkel, niemals — ich will binauSgehcn und verschwinden aus immer — ich will arbeiten, um mein Leben zu verdienen, und Gott bitten, daß er eS nicht zu lange dauern läßt." (Fortsetzung folgt.)
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