Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.07.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940719029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894071902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894071902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-07
- Tag1894-07-19
- Monat1894-07
- Jahr1894
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
V-MSs'Vret» . ^ oder de» t» Stadt, d ^ - h«, Vororten errichtete» Ans- eholi: vierteljährlichen -1. : täglicher Zuftelluug in» ^ ^»a»> D»rch die Posl bezogrn für »> «ad Oesterreich. vierteljährlich Direkte täglich« Kreuzbandlendung ^ W «uslaod: monatlich el 7.50. ^e «d »«» Uchckee abge ^Vmd- Ausgabe «rscheiat täglich7 Uhr, d-Autgab« Wochentag» S Uhr. ßAscttoa »ad Lrpeditio«: Ashäuuesgaffe 8. »Lrehitio! Kt»° o ist Wochentag» uuuuterbrochru vo» früh 8 bi» AbeudS 7 Uhr. Filiale«: «, »e»«'» Lorti». («lfretz HatznX UniversitätSstroße I, Laut« Lösche, Dchoineuskr. 14. Part, uud köaigSplatz 7. AVend-AusgaVe. ripMer.TllgMait Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgefchichte, Handels- und Geschäftsverkehr. «nzeiye».H>reis die «gespaltene Petitzeile 20 Pfjf.> Reklame» uuter de« Redacttonsstrich (4a»- spalten) bO-Z, vor de» z»>nül«i»achricha» (kgrjpalteu) 40^. Gröbere Gchriftea laut unjerem Preis» «rrzrichutß. Tabellarifcher »nd Zifiernsatz »ach höherem Tarif. Sptra-Beilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen-«uSaade, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. A««ahmeschl»ß fiir Anzeige«: «beod-Au-gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sou», und Festtag» früh ' ,9 Uhr. Bei de» Filiale» uud Annahmestelle» je ein« halb« Stunde früher. >»»etge« find stets an di« SrpeVttt«» zu richten. Druck und Berlag vu» L. Polz in Leipzig ^?3K5. Donnerstag den 19. Juli 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, IS. Juli. Der .Vorwärts* beruft sich auf Herrn von Bennigsen A Zeugen gegen die .Post*, welche die Grundverschiedenheit dun Anarchismus und Locialvemokratie ein Märchen ge reimt hatte. Da- socialdcmokratische Blatt verschweigt «ter, daß Herr von Bennigsen unter Anerkennung der Ver schiedenheit der Lehren beider Richtungen auf das ihnen ge- nemsame revolutionaire Ziel hingewiesen und die Gefährlich- kil der Socialdemokratie für die Cultur der anarchistischen Sesrhr gleich gesetzt hat. Daß Bakunin und Krapotkin cheorctisch von Marx und Bebel abwcichen, ist klar, wurde mch erst jüngst von unS im Leitartikel der letzten Sonntag-- ammer betont. Bon praktischer Bedeutung jedoch ist das nicht. !ie socialdemokratische Hctzarbeit hat in der Aufreizung der Gc- uülher den Anarchisten zweifellos vorgearbeitet. In dieser Be ziehung steht die Socialdemokratie dem Anarchismus wenig nach, gerade die «erhitztesten Elemente aber schlagen am leichtesten m» andere Extrem um und werden Anarchisten, widmen sich der .Propaganda der That*. Bekannt ist ja, daß die berliner anarchistische Gruppe au- den socialdemokratischcn Genoffen besteht, welche von der Socialdemokratie umstürz- lerische Thaten erwartet haben. Und weiter: wie stellt sich denn die Socialdemokratie zu den Unthaten der Pariser Commune? Man kann die zweideutige, manchmal allerdings durchaus eindeutige Haltung, welche die socialdcmokratische Presse gegenüber den anarchistischen Ver brechen zu beobachten pflegt, ganz bei Seite lassen. Die Commune und die Verherrlichung, die ihr noch heute von der Socialdemokratie zu Theil wird, liefern den unwiderleg lichen Beweis, daß die Socialdemokratie Mord und Brand- slisluna ebenso wenig verwirft, wie der Anarchismus, und sich in diesem Puncte nur durch eine andere Beantwortung der Zweckmäßigkeitsfrage unterscheidet. Auch sie verschmäht tie Propaganda der That nicht, wenn sie sie für opportun hält Gcwaltthat daS Kampfmittel aus beiden Seiten, al« letzte- Ziel der Umsturz hier wie dort, was kümmert cS Gesellschaft und Staat, ob die Brandfackel im Namen de- CollectiviSmuS oder der absoluten EigenthumSlosigkeit ge- toorfcu wird? Seit einiger Zeit ist man in Kopenhagen geschäftig, perfide Meldungen über RordschleStoig in die Welt zu tele- graphiren. So wurde jüngst, als der Kaiser in Kiel war, die Nachricht verbreitet, der Kaiser habe den Landratb und dm Bürgermeister von Hadersleben zu sich berufe», um sich wegen der Ausweisung der dänisckien Schauspieler Vortrag ballen zu lassen. Daran war kein wahres Wort. Einige Zeit später wurde die gleichSfallS erlogene Meldung gemacht, der preußische Ministerpräsident Graf zu Eulenburg werde auf der Rückreise von Helgoland in derselben An gelegenheit eine Untersuchung anstellen. Und jetzt verbreitet das Ritzau'sche Telegraphcnbureau folgende Kopcnhagener Depesche: „Aus Flensburg wird gerüchtweise gemeldet, daß der Bürger, meistrr Chemnitz in Hadersleben gestern plötzlich seinen Abschied genommeu habe. Auch der Landrath vr. Mauve soll beabsichtigen, zurückzutreten." Der Zweck dieser .Action* erhellt aus nachstehendem, ebenfalls aus Kopenhagen stammenden Telegramm der .Srankf. Ztg.*: 8. Kopenhagen. 18. Juli. Die Presse bespricht mit Be- friediguug die Demission de» Bürgermeisters in Haderslebeu und betrachtet sie al» «ine Genugthuung» die uns (!) die preußische Regierung wegen der Schauspieler-Affaire gewährt hat." Man siebt. daS deutsch-feindliche Dänentbum arbeitete prompt und zielbewußt. Und in der That, nicht- wäre den dänischen Agitatoren willkommener, al- wenn dcutscherseit- jenc Maßnahme, die im Interesse der Ruhe und Ordnung erforderlich gewesen ist, in irgend einer Form von oben dcsavouirt würde. DaS ist aber erfreulicher Weise nicht geschehen. Der ganzen Tendenznachrichl liegt nur ein winzige- Körnchen Wahrheit zu Grunde. Wie nämlich der .Hamb. Eorrespond * von zuständiger Seite erfährt, tritt aller dings der Bürgermeister von HaderSleben zurück, aber Herr Chemnitz hat sein Amt wegen seiner seit Jahren geschwächten Gesundheit niedergelegt. Die Stadtverord neten haben ihm auf Veranlassung des Regierungs präsidenten die volle Pension bewilligt, auf die er keinen Anspruch hatte. Was den Landratb Vr. Mauve betrifft, so hat er nicht die mindeste Veranlassung, zurück,u- treten; denn die Ausweisung der dänischen Schauspieler ist, wie vorher schon bekannt war und jetzt vom Gewährs mann de- .Hamb. Corr." nochmal- bestätigt wird, von der Regierung gebilligt worden. Wir haben nach englischer Quelle in London veröffentlichte Auszüge aus Schriftstücken gebracht, die sich auf daS zwischen England und dem Longostaat abgeschlossene Abkommen und den erfolgreich dagegen von Deutschland erhobenen Einspruch bezogen. Die Färbung der Auszüge war, wie sich jetzt herauS- stellte, zu Gunsten de- englischen StandpuncteS zum mindesten etwa- optimistisch gehalten und eS ist daher mit Genug thuung aufzunehmen, daß im .Reichs - Anzeiger" die Veröffentlichung der zwischen Deutschland und der Congo- regierung in Brüssel einerseits und dem englischen aus wärtigen Amt andererseits gewechselten diplomatischen Schriftstücke erfolgt ist. Es gebt auS ihnen hervor, daß die deutsche Regierung cs gegenüber den Einwendungen de- Congostaales und den Schachzügen der englischen Diplomatie in keiner Weise an der nothwendigen Umsicht und dem erforderlichen Nachdruck hat schien lassen, wie ja auch der Erfolg bewies, daß der beanstandete Abschnitt III de- Abkommens, der bekanntlich die .Verpachtung* de» LandstrciscnS vom Albert-Edward-Sce bis zum Tangaujika- See an England betrifft, gefallen ist. Wir drucken von dea amtlichen Schriftstücken daS Schreiben des UntcrstaatSsecretair« v. Rotenhan an den kaiserlichen Botschafter in London, Grafen Hatzfeldt, ad, mit dem die Reihe der Actenstücke abschließt und daS Aufschluß über die ganzen Verhand lungen gicbt: „Der königlich großbritannifch« Botschafter hat mir heute den in Abschrift beifolgenden Erlaß von Lord Kimberley vom 2. d. M. vorgelesen und mir aus Verlange» Abschrift hiervon zurück- gelassen. Da die königlich großbritannische Regierung, nachdem sie in bereitwilliger Weise den unseren Rechten und Interessen wider sprechenden Artitel Hl des Abkommens vom 12. Mai d. I. aus- gehoben hat, bei ihren Erörterungen nicht den Zweck verfolgt, die aus diesem Anlaß entstandenen Streitwagen sondauern zu lassen, vielmehr die Absicht hat, die nach ihrer Ausfassung vorhanden ge wesenen Mißverständnisse zu beseitigen, so erachlet eS auch die kaiserliche Regierung nicht mehr für angezeigt, ihren gegenüber dem Artikel HI mehrfach zum Ausdruck gebrachten Standpunkt zu wieder- holen. Tie Bemerkung in dem Erlaß von Lord ttimberlev, daß die kaiserliche Regierung gleich nach dem Bekannlwcrden des Abkommens von dem Congostaat das Zurücktreten des verpachteten Landstreisens um 20 km von der Grenze gefordert habe, könnte den Anschein erwecken, al» ob wir mit Vieler sreiwillig von der Regie rung deS CongostaatS gegebenen Zusicherung zusrieden gewesen seien und erst später materielle Anstände gegen den Artikel III des Abkommens erhoben hätten. Es mag sein, daß die Congoregierung di« Meinung gehabt hat, durch ein derartiges Zurücktreten dr an Großbritannien überlassenen Streifens die von der kaiserlichen Regierung erhobenen Ansprüche beseitigt zu haben. Diese Meinung wurde ober durch eine dem Grasen von Alvensleben oufgelragene und von ihm dem Grasen de Grrlle-Rogirr gegenüber abgegebene Erklärung sofort in ihrem ersten keime erstickt. Ter kaiserliche Gesandte in Brüssel erklärte, daß die Absicht de- Congostaat», unmittelbar an unserer Grenz» einen Landstreisen an Großbritannien zu über- tragen, nach unserer Auffassung eine Verletzung der dem Teulschen Reich gebührenden Rücksicht enthalten würde, daß vor der ormellen Beseitigung dieser unmittelbare» Abtretung eia Verhandeln mit der Regierung des CongostaatS über die materiel l« Bedeutung des Artikel- III lür die kaiserliche Regierung unmöglich ei und daß ihr anderen Falls nur übrig bliebe, den Vertrag vom 12. Mai d. I. Deutschland gegenüber als nicht geschehen zu bewachten. Daß die Regierung des CongostaatS dieser Auffassung bereitwillig Rechnung getragen hat, »rqiebt da» weiter« von ihr eingeschlagene Ver fahren. Die kaiserliche Regierung weiß e» zu schätzen, wenn die königlich großbrilannisch« Regierung in dem Eingangs erwähnten Erlaß bestrebt ist, die Loyalilät ihrer Absicht un» gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Angesichts dieser entgegenkommenden Haltung und der zu unserer vollkommenen Befriedigung erfolgten Auf hebung des Artikel« III erübrigt e» sich, aus die einzelnen Argu- mente von Lord Kimberley, welch« noch nach einer oder der anderen Seite einer Berichtigung bedürfen würden, näher einzugehen. Eure Excellenz ersuche ich ergebenst, diesen Erlaß Lord Kimberley vor- zulesen und Seiner Herrlichkeit aus eine» in dieser Beziehung zu erkennen gegebenen Wunsch «ine Abschrift zurückzulossen. gez. Rotenhan. Die Bundesregierung der Schweiz hat bereit- im De- cember vorigen Jahre- der Bundesversammlung ein Anar chistengesetz vorgelegt. daS Ende dieses Monat- in Kraft treten soll. Bis jetzt gab eS keine bundesgesetzlichen Bestim mungen gegen die anarchistischen Verbrechen. Die einzige Bc- ugniß, welche der Bund zur Bekämpfung de- Anarchismus be>aß, war die administrative Ausweisung lände-gefährlicher Fremder. Die Verbrechen der Anarchisten fielen sonach unter das Strafrecht der verschiedenen Cantone, und nur die neuesten cantonalen Strafgesetzbücher haben Bestimmungen gegen die verbrecherische Herstellung, den Verkehr und Gebrauch von Sprengstoffen. Gänzlich mangeln Strafvorschristen gegen Aufmunterung und Anleitung zu anarchistischen Verbrechen. Mit dem Strafrecht der Schweizer Cantone ist e- ia über haupt nicht glänzend bestellt. Einzelne Cantone, so Uri und Nidwalden, besitzen gar keine Strafgesetzbücher. Die Aus arbeitung eines Strafgesetzbuch«« für alle Cantone ist beabsichtigt, liegt jedoch in weiter Ferne. Es waren die Pariser Verbrechen in, vorigen Jahre, welche den BundeS- rath in« Decembcr 1893 bewogen, der Bundesversamm lung ein Anarchistcngesetz vorzulegcn. .Die Schandthat eine- Ravachol und die jüngsten schrecklichen Attentate in Barcelona uud Paris", so bemerkte der BuudcSrath in seiner Denk schrift» .beweisen, daß der Anarchismus weiterhin zur That schreitet und wieder neue Anhänger gewinnt. Wenn auch die Schweiz bisher von Dynamit-Attentaten ver schont geblieben ist, so sind doch auch aus schweizerischem Gebiete Erscheinungen zu Tage getreten, welche erkennen lassen, daß der Anarchismus auch der Schweiz verderblich werden kann. Es erscheint daher geboten, mit unerbittlicher Strenge gegen anarchistische Umtriebe einzuschreiten und das anarchl stische Verbrechen mit schweren Strafen zu bedrohen." DaS schweizerische Anarchisten-Gesey bestraft bekanntlich den Gebrauch von Sprengstoffen zu verbrecherischen Zwecken mit wenigstens zehn Jahren Zuchthaus. Wer Sprengstoffe, von denen er annelnnen muß, daA sie zu Verbrechen gegen die Sicherheit von Personen oder Sachen gebraucht werden sollen, herstellt oder zu deren Herstellung Anleitung giebt, bekommt mindestens fünf Jahre Zuchthaus. Mit Gesängniß von mindestens sechs Mo naten oder mit Zuchthaus wird bestraft, wer Sprengstoffe, deren verbrecherischen Gebrauch er vorauSsctzen muß, in Besitz nimmt. aufbewahrt oder Jemanden übergiebt. Keine Strafe trifft natürlich den, welcher Sprengstoffe i> Besitz nimmt, um Verbrechen zu verhüten. Die oben genannte Strafe trifft auch Denjenigen, der zu anarchistischen Verbrechen aufmuntert oder Anleitung dazu giebt. Geschieht die- auf dem Wege der Druckcrpresse oder ähnlicher Mittel, so sind sämmtliche Tkeilnehnier (Thäter, Anstifter, Gehilfe und Begünstiger) Irafbar. 4ton der Verhängung der Todesstrafe ist in dem Anarchistengesetz abgesehen, weil man die Lösung dieser zu verschiedenen Zeiten und von den verschiedenen Cantonen vrr- chiedcn beantwortete Frage dem künftigen Schweizer Straf recht überlassen möchte. An internationalen Vereinbarungen gegen die Anarchisten wird die Schweiz vorerst nutzt theilnebmen. Nunmehr hat auch die belgische Arbeiterpartei zu Brüssel ihren Congreß gehalten, um zur Frage deS Wahl bündnisses mit de» liberalen Bürgercharteicn Stellung zu nehmen. Unter dem Einflüsse der socialistiscken Parteiführer Ansccle und Vandervelde beschloß, wie schon kurz erwähnt wurde, der Congreß, jedes Wahlbündniß mit den liberalen Bürgerparteien, also auch mit den Radicalen, endgiltig abzulehncn. Diese Absage trifft insbesondere in sehr beleidigender Form die radicale Partei, die biSber der belgischen Socialdemokratie al- Sprung brett für alle ihre Erfolge gedient und derselben zu verschie denen Ehrcnstellc» im hauptstädtischen Gemeinderath und anderen politischen Körperschaften verholfcn hat. An sich liegt in dem Beschlüsse deS Brüsseler Arbciter- congrcsscS lediglich Größenwahn, uud die socialdemokra- tischc» Führer, die ihren Zuhörern aukündigtcn, die belgische Socialdemokratie werde bei den nächsten Wablen mindeste»- dreißig Sitze erhalte», geben sich ciilwcdcr einer Selbsttäuschung hin oder betrügen die leicht gläubigen Arbeiter absichtlich. Ohne Hilfe der Bürger- Parteien wird tie Socialistenpartci aller Voraussicht »yrch nicht einmal ein balle- Tntzend Sitze erringen» und selbst diese Ziffer ist noch fraglich. Denn die Socialdemokratie darf sich nicht rinbildeu, daß ihr alle Arbeilörstimmeu zu» fallen werden. Alle socialdemokratischcn Arbeitervereine in Belgier» .zählen, zusammen höchsten- 40 bis LV voo Mitglieder. während die Gesammtzahl der Ardeiter- stimnien, die bei den nächsten Wahlen zur Abgabe ge langen werden, auf 200 000 geschätzt wird. - Den liberalen Bürgerparteicn ist jetzt der Weg vorgezcickpet. Sic »lüfscn, nachdem die irregesnhrtc Arbeiterpartei ihr Wahlbündnis; abgelehnl bat, dasselbe unter einander schließen und mit vereinten Kräften den klerikalen Gegner angreifen. — Daß der Brand des Brüsseler SommerpalasttheaterS ebenfalls aus anarchistische Hand zurückzujührcn ist, wie die Explosion in der Ruc Royale, ist nach dem Geständnisse des verhafteten ThätcrS, des TheatrrarbeitcrS Boulanacr, zweifellos. In seiner Wohnung wurden anarchistische Schriften gesunden, ans denen der arbeitsscheue und trunksüchtige Mensch den Haß gegen die Bourgeosie schöpfte. Während die sranzöstschc Dcputirtenkammer noch über das neue Anarchistcngesetz beräth, bat dasselbe seine Wirkung schon insofern geübt, als der Leiter ter antisemitischen .Libre Parole", Drumont, um dem Preßparagraphen deS Gesetzes nickt al-bald zu verfallen, nach Belgien au«> gewandert ist, von wo er sein Blatt auf telephonischem Wege weiter bedienen will. Aber hat denn der Führer der französischen Antisemiten etwa- von einem Gesetz zu fürchten, da« crklärtermaßen nur gegen die Anarchisten ge- Die alte gute JeU. Ein« Erzählung ausNiederfachseu von Greg. Samarow. L9f Nachdruck vrrdote». (Fortsetzung.) Schon war die Schwadron der Garde du Corps in Parade-Uniform auSgerilten, um den Herzog von Cambridge, den Vertreter seines königlichen Bruder-, vor der Stadt zu empfangen. Bald krachte der erste Schuß de- Saluts, der von den Böllern gegeben wurde, welche die Stadt Hilde-Heim nach altem Recht führte und bei festlichen Gelegenheiten benutzte, und kurze Zeit darauf fuhr der Herzog in einer einfachen «ffenen Kalesche unter der Escorte der Garde du Corp«, deren Commaodeur am Schlage ritt, in den Domhof hinein. Neben ihm saß der Adjutant. In einem zweiten Wagen folgten noch zwei Officiere, sowie der Landdrost und der Bürgermeister, welche den hohen Herrn am Stadtthor empfangen hatten. Herr von Ledebur hatte seinen hochwürdigsten Herrn bei dem ersten Kanonenschuß benachrichtigt, und als der Wagen in de» Hof hineinfuhr, erschien der Fürstbisckos unter dem Portal, von sämmrlichen Domherren de- CapitelS umgeben. Der Herzog sprang aus dem Wagen, trat mit dem Hut in der Hand zu dem Kirchensürsten heran und schüttelte herzlich und kräftig dessen Hand. E» war ein schöne- und eigenartige- Bild, als sich die Beiden so gegenüberstanden, der Vertreter der alten, in die Vergangenheit hinadsinkenden Zeit der geistlichen Herrschaft und der Fürst, welcher in sich die neuen Zustände verkörperte, dir au« den gewaltigen, die ganze Welt erschütternden Kämpfen rmporgestirgen waren. Der Fürstbischof trug den violetten AtlaSrock mit Purpur- schärp« und den fürstlichen Hermelinkragen, darüber da« blaue Band und den silbernen Stern des WrlsenordeoS, um den Hal», au goldener Kette, daS von edlen Steinen funkelnde bischöfliche Kreuz. Seine schmächtige Figur war ein wenig gebückt, sein Haupt mit einem rothrn Käppchen bedeckt. Er blickte mit seinen klaren, geistvollen Augen freundlich, «her «it einer gewissen Wehmnth den Herzog au. Dieser war kleiner als er; seine Gestalt, obwohl etwa- corpulent, zeigte dennoch in ihrer Haltung die Anmuth de« Weltmannes und die sichere Würde de- Fürsten aus königlichem Blut. Er trug die rothe hannoversche GeneralSunisorm mit den großen Epauletten und das große dunkelblaue Band de« Orden- vom Hosenband; sein Gesicht, von dem spärlichen Haar und einem kleinen Backenbart umrahmt, hatte da rbte, scharf gescknittenc Profil der Fürsten de- welsischcn HauseS; heitere Lebenslust und freundliches Wohlwollen war in seinen blauen Augen und in seinen lächelnden Lippen an-gedrückt. „Ich habe eS mir nicht länger versagen wollen", sagte er, die Hand deS Fürstbischof- noch in der seinen haltend, „Eurer fürstlichen Gnaden meinen Besuch zu machen, und ich bin glücklich. Sie so wohl und frisch zu sehen — ich hoffe und wünsche von Herzen, daß Sie noch lange Ihre- hohen und segensreichen Amtes walten mögen." „Ich danke Eurer königlichen Hoheit", erwiderte der Fürstbischof, „für Ihre liebenswürdige Aufmerksamkeit und Ihren guten Wunsch und freue mich, bicr de» Vertreter deS König« begrüßen zu können, in dessen Hände Gott daS Schicksal de« guten und treuen Volke- gelegt bat, das so lange der Sorge meiner Vorfahren auf dem bischöflichen Stuhl anvertraut war. Möckten die Unterthanen de« Hoch- stiftS und de« FürstenlhumS Hilde-Heim unter deni königticken Scepter ebenso glücklich sein, wie seine geistlichen Regenten sie unter dem bischöflichen Hirtenstab zu machen bestrebt waren!" Der Fürstbischof lud den Herzog durch eine Handbewegung zu dem Eintritt in da- Palai« ein. Der Herzog nahm in schneller verbindlicker Bewegung die linke Seite, und beide fürstliche Herren verschwanden in der Halle, während laute Hochrufe au- der an daS Gitter heran- drännenden Menge erschallten. Es fand in de» großen EmpsangSräumen die Vorstellung des DomcapitclS und der zu dem Empfange versammelten Gäste statt. Der Herzog sprach äußerst verbindlich, fast freundschaftlich mit dem Grasen Berghol;, küßte mit ritterlicher Galanterie der Gräfin die Hand und fragte theiloehmend nach Hilmar, von dessen Unfall er bereits gehört hatte. Ter Gras antwortete kurz, fast ausweichend auf die gestellte Frage, während sein Gesicht sich verfinsterte. Doch war keine Zeit zu längerer Unterballung. Die übrigen Vorstellungen nahmen ihren Fortgang. Der Herzog hatte für Jeden eia liebenswürdige- Wort, em galante- Compliment für die Damen, die, de- höfischen Lebens unge wohnt, oft sehr großmütterliche Reverenz» machten, und alle Welt war entzückt von dem liebenswürdigen hohen Herrn. Tann führte der Fürstbischof seinen erlauchten Gast in sein Cabinet, und lange, fast eine Stunde blieben Beide mit einander allein, während Herr von Ledebur und die Domherren sich alle Mühe gaben, die übrigen Gäste zu unterhalten. „Wie schade", sagte die Gräfin zu ihrem Gemahl, „daß Hilmar noch nicht wieder hergestellt ist und heute nicht hier sein kann!" Der Graf antwortete nicht, aber sein Gesicht nahm einen so ernsten, schmerzvollen Ausdruck an, er wendete sich so schnell zu einem der nächststehenden Herren, daß die Gräfin ihn ver wundert ansah. Endlich ging Herr von Ledebur, der mit unermüdlichem Eifer die Pflichten deS Hosmarschall« erfüllte, um zu melden, daß da« Diner scrvirt sei, und bald daraus traten die beiden fürstlichen Herren au« dem Eabinet. Beide waren ernst und bewegt, eS mochte auch Wohl eine ernste Unterredung gewesen sein, welche zwischen dem letzten Fürstbischof und dem jetzigen Regenten deS Landes stattgesundcn batte, aber bald fand der Herzog seine leben-frische Laune und der Fürstbischof seine milde Freundlichkeit wieder. Man ging zu der etwa« altmodischen, aber glänzend, mit schwerem Silbergeschirr geschmückten Tafel. Ter Herzog führte die Gräfin Bergholz, der Fürstbischof die Frau de- Landdrostcn. Dea hoben Herren gegenüber, neben dem Herrn von Ledebur, saß der Graf von Bergbolz, dem als erstem Edelmann de- Fürstenthums und als Geheimem Rath der oberste Rang zukam. ES herrschte bei dem Liner zuerst eine feierliche, befangene Stimmung, rin großer Theil der Gesellschaft fühlte sich ge zwungen und unbehaglich, und selbst die Lakaien, welche seit langer Zeit keine Repräsentation und keine fürstlichen Gäste in dem bischöflichen Palais erlebt hatten, servirten zuerst mit ängstlicher Unsicherheit, bei jeder Bewegung die Blicke und Winke de« Herrn von Ledebur befragend. Aber der Herzog, unterstützt von den, Feurrgeist deS edlen Rebenblut« aus dem Keller de« Fürstbischofs, wußte bald durch seine liebenswürdig sprudelnde Laune die Heiterkeit und Unbefangenheit wieder berzustcllen. Er unterbrach öfter sein Gespräch mit dem Fürstbischof, um bierbin oder dorthin über die Tafel ein Scherzwort zu rufen. Die alten Herren und Damen träumten sich in ihre längst- veraangene Jugendzeit zurück und wurden nicht müde, dir Lirveu-würdigleit de- hohen Herrn gegen einander zu rühmen. „Aus da- Wohl Ihre- SobneS, mein lieber Graf Bergholz", ries der Herzog hinüber, „möge er bald wieder hergestellt sein und da- wicdcrgeschenkte Leben ihm und Ihnen Glück und Freude bringen!" Er neigte auch gegen die Gräfin sein GlaS, die ihm mit glücklichem Läckeln Befchcid that, während der Graf sich ernst verbeugte und sein GlaS eben nur mit den Lippen verübte. Nach dem Diner fand ein Cercle statt. Der Fürstbischof, dem Herr von Ledebur zur Seit« blieb, sprach mit jedem nach seinen, Range mit milder beittrcr Freundlichkeit, die ibm alle Herzen gewann, Herr von Ledebur flüsterte ihm die Namen der ibm zum großen Theil uubc- kannten Anwesenden zu. Der Herzog war unerschöpflich an Complimcnten für die Damen »nd an liebenswürdigen Be merkungen für die Herren. Er zog sich, immer dwr und dort einen und den anderen anrcdenb, »ach der Thür eine« kleinen Seiten-CabinelS zurück, in deren Nähe Graf Bergholz versunken stand. „Sie haben keine gute Laune mitgebracht, mein lieber Gras", sagte der Herzog zu ibm berantrelend. „da- ist nicht liebenswürdig von Jdncn, fast möchte ich sagen nickt loyal — bin ich nicht für den König hier? — und der König kann wohl von seinem Vasallen eine keitere Miene verlangen " Er war während er sprach, wie zufällig in da« kleine Cabinct getreten, so daß der Graf ibm folge» mußte. „Ich babe", erwiderte dieser, „eine unruhige und sorgen volle Zeit durchlebt, königliche Hoheit und darum mag sich Wohl die Freude über den Besuch de« erlauchten Bcrtretcr« meincS königlichen Herrn im Fürstenthnm aus meinem Gefickt nicht so widerspiegeln, wie ich sie ausricktigst cinpsinde." Der Herzog war immer weiter in das Eabinet hineiu- getreten und stellte sich in eine Fensternische. Niemand folgte ihm. Der Fürstbischof setzte seinen Cercle in den großen Säle» fort. „Ick weiß eS, mein lieber Graf", fubr der Herzog fort, „daß Sie schwere Sorge um die ,Krankheit JbreS Sohne« gehabt, aber", fuhr er ein wenig die Stimme dämpfend fort, „ich weiß, daß noch eine andere Sorge Sic belastet, und daß Ihnen die Gefahr droht, Ihren Sobn trotz seiner Genesung dennoch zu verlieren." Erschrocken blickte der Graf aus, seine Miene nabm einen finster drohenden Au-kruck an. „Eure öniglichc Hobeit wissen", sagte er, „sollte mein Sohn sich so weit vergessen haben —"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite