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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.07.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940727022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894072702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894072702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-07
- Tag1894-07-27
- Monat1894-07
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B-zu-A-Prer- t, der Ha»ptivE«m vd« de» im Stadt. r,»irk u»d de» Lororte» errichtete» Au», .«bestelle» abgeholt: vierteljährlich^l 1.S0, jti zweünaltaer täglicher Zustellung in» Han» LckL Durch die Post bezogen sür I>uischla»d und Oesterreich: viertel>ährlich -I 6.—. Direct» täglich« tkreuzbandlendung iw» An-land: monatlich 7.50. Di« Morgen-Au-gabe erscheint täglich'/,7 Uhr, die Adeud-Autgab« Wochentag» 5 Uhr. LeLactio« uuL LrxeLitioa: I« Hanne»,affe 8. DK Erveditiou ist Wochentag- uunntkrbroche» geöffnet von früh 8 bi» Abend« ? Uhr. Filialen: ktt» Me««'« Sartim. (Alfred Hatz»), Universität-strabe 1, Lstti« L-sche, Oathorineustr. 1», Part, und ASaigsplad 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. ««zeige»»Pre1» die 6 gespaltene Petitzeile 20 Hchh. Reklamen unter demRedaction-strich (4ga» spalten) 50-^, vor Leu Famitieunachrichte» (6 gespalten) 40-4- Gröbere Schriften laut unserem Preis» Verzeichnis Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Verlagen (gesalzt), nur mit der Morgen-«nSaabe, ohne Poslbesördcrung W.—, mit Pvsldesorderung 70.—. Ärmalsmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags tO Ubr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh ' .0 llhr. Bet den Filialen und Annahmestellen >e eia« Halde Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Srtzrdttian zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^-38«. Freitag den 27. Juli 1894. 88. Jahrgang. AmM-e Bekanntmachungen. Sekanntmachung. Um Mtttheilung de» gegenwärtigen Aufenthaltsortes der am 23. August 1870 iu Johannisdirs geborenen Kellnerin Emma KalleS wird ersucht. Dieselbe soll ai» Zeugin vernommen werden. — dll 15 94. — Torgau, den 21. Juli 1994. Der Erste Staats-Anwalt. politische Tagesschau. - Leid,«,. 27. Juli. Gesetzgeberische Massnahmen gegen den Anarchismus sind in Italic», Spanien und in der Schweiz bekanntlich bereits endgültig beschlossen worden. In Frankreich steht zu demselben Vorgehen nur die unzweifelhaft sichere Zustimmung des Senats noch aus. Dagegen scheint man auf eine internationale Verständigung über die Behandlung des Anarchismus vor der Hand verzichtet zu haben. Und das Deutsche Reich dürste staatliche Maßnabmcn zur Be kämpfung der anarchistisch-revolulionairen Gefahr seinerseits nicht ergreifen. In Bezug auf dieses Verhalten des Reiches gegenüber dem Anarchismus schreibt heute die „Nat.-Lib.-Corr.": „WaS Deutschland betrifft, so hat man durch die neulichcu selt samen officiösen Auslassungen nicht den Eindruck gewinnen können, daß die Regierung neue Waffen zur Bekämpfung der socialen Gefahr sür nöthig hält, und es verlautet nicht das Ge ringste, daß in dieser Hinsicht gesetzgeberische Vorbereitungen im Gang seien. Wir vermissen Ernst und Vcrständniß in dieser wichtigsten Zeitfrage. Gleichwohl hat sich die öffentliche Meinung iu Deutschland überwiegend dahin ausgesprochen, daß eine Verschärfung der Abwehrmittel gegen eine immer gefährlicher und bedrohlicher austretende Bewegung noth- wcndig sei. Wir verlangen keine besonderen Ausnahme gesetze; aber Ordnung, Recht, Sicherheit und öffentlicher Frieden sind gegenwärtig gegenüber einer mit immer gewissenloseren und gewaltthäligere» Mitteln arbeitenden Bewegung nicht binlänglich geschützt. Unsere Gesetze, insbesondere das Strafrecht, die Gewerbeordnung, das Vereinsgesetz, müssen daraus geprüft werden, ob sic noch den genügenden Schutz gegen ein Treiben bieten, welches mit einer vernünftigen Staats-, Rechts- und Gesellschaftsordnung nicht mehr vereinbar ist. Einer gründ lichen Erörterung dieser Frage wird sich der Reichstag nicht entziehen können." Die „Germania" und andere klerikale Zeitungen zeigen sich über Verlauf und Ergebniß der an anderer Stelle schon erwähnten socialdemokrattsche» Dclegirtenconscrenz zu Lffcn- bur, (in Baden) tief gedrückt. Diese Stimmung ist werthvoll sür die Beurtheiluug des Ultramontanismus, der bis zum Ueberdruß predigt, er und nur er werde der Socialdemo kratie den GarauS machen. Die Enttäuschung über die Billigung der ordenSfeindlichcn Stellungnahme des social- demokratischcn Landtagsabgeordneten Rüdt durch die Dele gieren zeigt, daß man nach wie vor auf die socialdcmokratische Bundesgenossenschaft gerechnet hatte. Die „Germania" klagt über Unduldsamkeit. Hat sie von der Socialdemokratie, die alltäglich Beweise ihres terroristischen Charakters giebt und ihrer Natur nach die Negation der Toleranz verkörpert, etwas anderes erwartet? Wir sür unseren Theil legen auf die Stellungnahme der badischen Socialdemokratie zur OrdcnS- rage gar kein Gewicht, wir bezweifeln auch nicht, daß sich die jetzt getrennten Träger der rvthen Fahne auch in Baden wieder finden werden, wenn eS gilt, der gedeihlichen nationalen und staatlichen Entwickelung Hindernisse zu bereiten. Aber sür daSSchwi nden d er klcrika lenAnziehung kraft ist es doch ein bemerkenSwertheö Symptom, daß in erster Reibe die Ober länder nnd Schwarzwäldcr Dclegirten die Abstimmung Rüdt'ö gegen die Orden billigten. ES sind das Vertreter einst „kohlrabenschwarzer" Bezirke, und wir möchten bezweifeln, daß ihre Auftraggeber eine Probe auf ihre socialdcmokratische Waschechtheit bestehen würden. Plan will aber offenbar in Baden von Klöstern und Mönchen nirgends etwas wissen; die Nationallibcralen, die sich ihrer Zulassung conscquent widersetzen, vertreten die gesammte, durch eine Hand voll klerikaler Agitatoren und deutschfreisinnig - demokra tischer „Diplomaten" zeitweilig gefälschte aber nicht ge änderte öffentliche Meinung. Wenn sich die Klerikalen von ihrem — Erstaunen erholt habe», werden sic nicht unter lassen, mit viel Geräusch in die Welt zu rufen: „Die Social- demokratie fürchtet, durch die Orden in ihrer Ausbreitung gehemmt zu werden; ihr Beschluß ist also vom bürgerlichen Standpunct die glänzendste Rechtfertigung der OrdenS- thäligkeit." Wir gestatten uns, diese Logik im Voraus mit der Erinnerung zu beleuchten, daß die Socialdemokraten des Reichstags für die Rückberusung der Jesuiten gestimmt haben. DaS englische Unterhaus hat bekanntlich am Dienstag nach dreitägiger Redeschlacht den RcgicrungSentwurf zur Wiedereinsetzung der ausgewiesenen irischen Pächter mit 32 Stimmen in zweiter Lesung genehmigt. Das schützt aber den Grundsatz des Entwurfs nicht vor den Klippen der AuSschußberathungen und noch weniger vor dem AuSspruchc des Oberhauses, baö bei seiner jetzigen conserva- tivcn Zusammensetzung schwerlich seine Zustimmung zu einer Maßregel geben wird, welche die Gesctzcsübcrtreter hinterher ablohnt, dabei aber die irische Landfrage ihrer eigentlichen Losung kaum um einen Schritt näher bringt. Eö handelt sich um die Theilnehmer an dem bekannten FeldzugSplan gegen die irischen Gutsherren. So bald der Gutsherr sich gegen die von der Nationalpartei festgesetzte Pachthcrab- sctzung sträubte, hielten die Pächter schon den ZinS vor und ließen ihn statt dessen in de» „Fonds des FeldzugSplanS" fließen, der die Gutsherren kirre machen sollte. Indessen scheiterte dieser FeldzugSplan; die Pächter wurden gesetzlich wegen Nichtzahlung des Pachtzinses aus HauS und Hof ge wiesen und durch andere ordnungsliebende und zahlungswillige Pächter ersetzt. Ta nun andererseits im parnellitischcn Heer lager ob Parnell'S Sünde und Unbußfcrligkeit ein Bruderzwist entstand, und die finanziellen Hilfsquellen aus Amerika ver siegten, so entstand unter den auSgewicscncn Pächtern große Nolh und nebenbei großer Groll gegen die Vertreter des FeldzugSplanS, welche sie im Stich gelassen. Der Entwurf Morley's soll nun diese Pächter sür die gesetzwidrige Auf lehnung gegen die Zinszahlung dadurch entschädigen, daß sic in ihre alten Pachlsitze wieder eingesetzt werden. Zu solcher Ungerechtigkeit hat sich die liberale Regierung im Interesse ihrer irischen BundeSgcnossenschaft zu bequemen. Vergebens suchte Morley, der den Entwurf einbrachte, ihn in seiner Herbheit dadurch abzuschwächen, daß der PachtrollenauStansch nur mit Genehmigung der jeweiligen Insassen vor sich gehen dürfe, daß drei Schiedsrichter über die Billigkeit eines solchen Pächterwcchsels entscheiden, und daß auö dem irischen Kirchcn- sondS über 100000 Lstrl. behufs Pachtentschädigungen vorhanden seien. Jedermann, der nur mit den Ansangsaründen der irischen Agrar-Unruhen vertraut ist, weiß, daß das Leben eines Pächters, der sich der Wiedereinsetzung seines Vorgängers widersetzte, bald dem Spruche deS geheimen irischen Febm- gcrichtS verfallen würde. Auf der andern Seite läßt sich nicht leugnen, daß irgend etwas für die Opfer des FeldzugS planS geschehen muß; dies müßte man aber durch eine allgemeine Maßregel zu erreichen suche», welche die Land rage cndgiltig erledigt, statt, wie eS durch obigen Ent- vurs geschieht, die Risse nur an einem einzige» Puncle zu licken. Der Entwurf stellt eben nur die Abschlagszahlung dar, welche das liberale Cabinet für die Stimmen der Iren zu entrichten hat. Nach langem Kampfe hat die französische Deputirten- kammer gestern das Anarchistengcsctz mit 208 gegen 163 Stimme» im Ganzen angenommen, also mit der an sehnlichen Mehrheit von 105 Stimmen, während sich sür die unbegrenzte Dauer deS Gesetzes nur die verhältnißmäßig geringe Mehrheit von 50 Stimmen ausgesprochen hatte. Jetzt hat nur noch der Senat sein Votum abzuczcbcn, das bei der Zusammensetzung dieser Körperschaft bloS sormellc Bedeutung hat, die endgiltige Annahme des Gesetzes ist sicher. Die Ver handlungen haben ihren stürmischen Charakter von Anfang bis zu Ende bewahrt, und dieOpposilio» bat ihr Möglichstes gellian, um durch eine wahre Ueberflutbung mit Amendements und durch daS Anschlägen der schärfsten Tonart das Fortschrciten der Vor Handlungen zu hemmen. Sie hat sich aber der Energie, welche seit Beginn der Woche sowohl von der Minister bank als von Seite» deS Kammerpräsidiums an den Tag gelegt wurde, nicht gewachsen gezeigt. Vor Allem konnte sic eben nicht verhindern, daß eine in den meisten Fälle» überaus stattliche Majorität ihre AmendemcnIS der Reihe nach niederstimmtc. Je gereizter dadurch allmählich die Stimmunb der Opposition wurde, um so heftiger wurden begreiflicher Weise die Angriffe aus die Regie rung. Hatte diese auf Grund ihrer allerdings beschämend schwachen und consuscn Haltung in Len beiden Sitzungen deS letzten Sonnabends von allen Seiten Spott und Hohn über sich ergehen und selbst von durchaus gemäßigte» Organen unverblümt sich sagen lassen müssen, daß sic ihre Unfähigkeit zur Lösung ihrer Ausgabe unzweideutig an den Tag gelegt habe, so bekam sic als Antwort aus ihre Erklärung, daß sie nunmehr aus kciycrlei Amcndiruug deS Entwurfs sich mehr riu- lasse, die schärfstenAngriffe zu hören,und dicWortc„VcrfassungS- bruch" und „Staatsstreich" schwirrten unaufhörlich in der Lust. Als cs dann bei ruhiger Ucberlegung auch der Opposition allmählich klar wurde, daß daS Ministerium nur von seinen: verfassungmäßigcn Rechte Gebrauch machte, indem cs er klärte, jede fernere Abänderung deS Entwurfs als eine Aus kündigung des Vertrauens seitens der Kammer betrachten zu wollen, wurde das AngriffSobjcct gewechselt und der Kammcrmajorität der Vorwurs der Bedicntcnhastigkcil und der Kncchtscligkcit gemacht. Als auch daö nicht mehr fruchtete, wurde mtt Pathos der Panamaskandal wieder aufgerührt, und wurden Angriffe gegen die in jenen: schmutzigen Handel coinpromiltirtcn Minister, Deputirtcn und Senatoren, die als die Unlcrgrabcr aller Autorität, die eigentlichen Anarchisten seien, geradezu an den Haaren her- bcigezogcn — ein würdeloses Schauspiel, daS aber auch die Annahme deö AnarchistengesctzcS nicht zn hindern vermochte. Wird nun das Gesetz vre Hoffnungen erfüllen, welche die Regierung auf dasselbe setzt? Sicherlich nur dann, wenn eS gelingt, das verrottete Polizeiwesen, das dem italienischen nickt viel nackaicbt, von Grund ans umzu gestalten und unter eine straffe einheitliche Leitung zu bringen. In dieser Beziehung ist, wie constatirt werten darf, bereits ein Anfang gemacht. Tie Pariser und die Staatspolizei sollen vereinigt werden, und cs wird schon viel gewonnen sein, wenn der Zwiespalt zwischen diesen beiden Verwaltungen aushört. Die Beamten werden ihre Kraft und Aufmerksamkeit dann ihrer eigentlichen Aufgabe zuwcndc» können, statt sie in: gegenseitigen AuSspioniren zu erschöpfe». Daß man dabei ist, Ernst zu machen,zeigt die plötzliche Entlassung der Spitzen der Stadt- und Staatspolizei, Goron, Iaume, Princc :e., und deren Ersetzung durch Beamte, die ihre Un fähigkeit wenigstens noch nickt so gründlich bewiesen haben, wie tic Genannten. Der beste Bundesgenosse der Regierung :»: Kampfe gegen den Anarchismus, der mehr Werth ist, als selbst das schärfste Gesetz, wäre freilich der Sinn fürGesetzlichkeit im Volle, allein der ist weiten Bevölkerungöschichten Frank reichs, und nicht nur den niederen, völlig abbanden gekommen. Ob in dieser Beziehung ein Arzt noch helfen kann, und ob Casimir - Pcrier sich als solcher bewähren wird, muß vor läufig dahingestellt bleiben. In Sachen der griechischen Staat-gläubiger >l in Folge der energisch-ablehnenden Haltung deS deutschen GlanbigcranSschufseS gegenüber den: jüngsten Anerbieten TrikupiS' eine erfreuliche Wendung insofern cingetreten, als, wie heute Morgen an anderer Stelle milgctheilt wurde, nunmehr auch die Schutzes mit öS in Paris und London entgegen der Nachgiebigkeit ihrer Delcgirlcn den gestern im Wortlaut mitgetbciltcn Vorschlag ber griechischen Regierung als nickt diScutabel gleichfalls abgclcbnt haben.Offenbar bat ihnen dabei die Ucbcrzeiigung bei: Nacken gesteift, daß daS deutsche Comilö höchst wahrscheinlich in engster Fühlung mit dem Auswärtigen Amt nnd auf seine Autorität gestützt, gebandelt bat. Man darf wobt aiinehmcn, daß die englische und die französische Regierung diese» gemeinsamen Protest nicht ignorircn, vielmehr den: Beispiele Deutschlands folgend, sich endlich zu der Erklärung ausrasscn werden, daß auch sie gewillt seien, sich der bedrohten Interessen ihrer SlaatSailge- hörigcn ernsthaft anzunchmen. Geschickt dies, so braucht man die weitere Hoffnung nicht auszugeben, daß die griechische Regierung sich auch okne tbatsächlicke Anwendung von Gewaltmitteln zn befriedigenden Zugeständnissen bequemt. ES wird berichtet, daß bereits wieder Verhandlungen zwischen der deutschen, französischen und englischen Regierung statt- gesunden haben, die. wie man annimmt, zu einem günstigen Resultate führen werden. Allgemein wird übrigen« mit Recht betont, daß die Festsetzung der Höhe der griechischen Zahlungen, bczw. des Betrag« der ZinSrcductivn nicht ein mal die Hauptsache ist, sondern die Schaffung einer wirk lichen Garantie, daß Griechenland die neuen vertragsmäßigen Zahlungen auch thatsächlich dauernd leistet. Denn waS aus griechische Versprechungen und den guten Willen des Herrn TrikupiS zu geben ist, darüber hat man genug abschreckende Erfahrungen gemacht. Daß die Ruhe in Serbien, von der die vfsiciösc Presse deS Landes scit'dcm letzten Staatsstreich und der Deposscdirung der Radikalen nicht müde wurde zu berichten, nur die Ruhe vor dcmHSlurmc sei, habe» wir von Anfang an betont. Jetzt bcgmnen einzelne Vorzeichen des Sturmes sich bereits zu zeigen. Wie im Morgcnblatt gemeldet wurde, haben radicalc Bauern de» Viccpräscctcn von Scmaudria er schlagen und auch sonst wird von politischen Morden aus verschiedenen Gegenden deS Lande« gemeldet. Es scheint überhaupt, als ob das Haidukcnwcsen mit politischem Hintergründe wieder stark ausläme. Der Belgrader „Vidclo" z. B, daö Organ der serbischen Fort schrittler, veröffentlicht einen längeren Bericht aus den: Be zirke von Pozega, welcher sich mit den in jener Gegend aus- getauchtcn Haitukenbandei: beschäftigt. Eine dieser Banden, an deren Spitze ein gewisser Iovieewitsch steht, fing den > Rausmann Paul Kostitsch ab und raubte ihm 3600 Franc«. Thermidor. SI Erzählung von Julius Kehlhrim. Nachdruck verbot«». (Fortsetzung.) In einer ekstatischen Stimmung, in welcher der einstieg fahrende Komödiant wahre mit falschen Accenten zu mischen verstand, wollte der einzige Vertraute und Gefährte ihrer Seelenleiden Fanchou verleiten, der Flüchtigen ihren mütterlichen Fluch nachzusenden. In: Ganzen war Laguerre ein Freigeist auS der Schule Voltaire s, doch — wer weiß? Vielleicht birgt doch manches Vorurtbeil des Volkes ein Körnchen Wahrheit in sich. Die einfache Frau aus den: Volke schüttelte abwehrend daS Haupt. „Jede Sünde rächt sich selbst!" flüsterte sie er schauernd. „Und was mich betrifft... ich verzeihe ihr, muß ihr verzeihen, denn ich liebe sie!" Ein einziger Hoffnungsstrahl leuchtete Fanchon aus Adrieune'S letztem Briefe entgegen. Sie hatte versprochen, von sich hören zu lasten. M:l dem letzten Aufwand ihrer nirdergebeugten moralischen Kraft klammerte sich Fanchon an diese Hoffnung — eS war ihre letzte. Vergessen konnte, wollte sie nicht, aber die leere Zeit mußte sie auSzusüllen trachten bis zu Adrieune'S Wiederkehr. Zwischen die großen Leiden der Seele drängte sich auch noch der kleinliche nagende Kampf umS Dasein. Fanchon hatte sür die Ausbildung Adricnnc'S, die Anschaffung ihrer glänzenden Garderobe, für den vergrößerten Hausstand große Summen gebraucht, welche ihre Einnahmen nicht zu decken vermochten. Sie batte de-balb mehrere Hypotheken auf ihr HauS mit dem Garten ausgenommen. In alle dies« An gelegenheiten mußte Ordnung, Klarheit kommen. Fanchon verließ ihre große Wohnung ; einen Theil der kostbaren Möbel wie die Garderobe der Pflegetochter ver kaufte sie. Dann bewerkstelligte sie ihren Umzug :a die frühere Wohnung im eigenen Hause. Mit magischen Banden fühlte sie sich an diesen Ort gefesselt. Dort hatte sie den größten Theil ihres Lebens zugebracht, dort hatte sie das reinste Glück ihre« Lebens genossen, dort war Adrienne vom Kinde zur Jungfrau hrrangeblübt. Und eine geheimnißdolle Hoffnung flüsterte ihr zu, daß sie tLriome — wenn sie jemals eine- Zufluchtsorte- bedürfen öllte — nur dort suchen könne. Als sie damals in ihre neue Wohnung übergesiedelt waren, hatte Adrienne den Schlüssel zur Gartenthür als Andenken an sich genommen und sorgfältig in ihrem Schmuckkästchen geborgen. DaS Kästchen hatte sie mit sich genommen. Fanchon knüpfte selbst an diesen gering fügigen Umstand eine Hoffnung. Fancbon suchte und fand Beschäftigung. Der Geschäfts mann, welchem sie ihr Geschäft verpachtet hatte, suchte eine Buchhalterin — sie bat um diese Stelle und ward mit freu digem Erstaunen von dem Herrn gern angenommen. War sic doch die Seele des Geschäfts. Alte und neue Kunden strömten um ihretwillen herbei. Ihr trefflicher Ruf hatte sich rein erhalten. Man beklagte ihr Unglück mit Adrienne, welches in den Augen der Nachbarn zwar ihren Verstand, nicht aber ihren Charakter herabzusctzen vermocht hatte. Ihre Wiederkehr zum alten Leben machte Alles wieder gut und brachte alle Stachelreden zum Schweigen. Denn Fanchon gehörte zu jenen Menschen, denen man nur zu zürnen ver mag, so lange man sie nicht sieht. Und d:e Frauen, die einst auf ihre Schönheit eifersüchtig gewesen, empfanden Mitleid mit der Frühverblühten: Sah sie doch keinen Mann an und wurde auch von Keinem mcbr begehrt. Fanchon nahm die allgemeine Sympathie dankbar, doch still entgegen. Sie versah ihr Amt mit musterhafter Pünct- lichkeit. Am Abend pflegte sich oft Laguerre bei ihr einzu stellen. Dann schwebte d:e Frage zwischen ihnen: ob Keines etwas Neues wisse? Und des Neuen gab eS nun gar so viel in Paris. Drohende Gewitterwolken ballten sich zusammen, und Fanchou darrte und hoffte doch! Allein die Nachricht, welche sie so schnlichst erwartete, blieb aus, und Adrienne — verschollen. Neunte« Capitel. Jahre, furchtbare, entsetzliche Jahre für Frankreich waren vergangen. In Fanchon'S Verhältnissen hatte sich nichts geändert trotz deS allgemeinen Umsturzes, die furchtbaren Zeitereignisse hatten in ihrer Existenz keine merkliche Er schütterung bervoraebrackt, obgleich ihr weiches Herz litt und blutete be: dem allgemeinen Elend. Ueber Paris hing eine blutigrothe Wolke, welche das Leben verdüsterte, wenn sie nicht das Leben nahm. Die brausenden Woge» der Revolu tion, welche die feste Basis deS Throne- der Capctinger unter- wühlt hatten, welche dem König und die Königin nicht nur die Krone vom Haupt, sondern auch diese- selbst fortgerisscu batten, wälzten sich trübe und blutig weiter und forderten täglich neue Opfer. Auf den Leichen dieser Geopferten stiegen Einzelne empor zu ungeahnter Höbe. So Laguerre, der einstige Rollcnschrcider der OomöcUo b'rantzaiss. Mißvergnügt und der Aristokratie abgeneigt war er »immer gewesen. Seit Abricnne's Flucht mit einem aus d:eser Kaste halte sich die in ihm schlun: mernde Antipathie zu lautem, wüthcndem Haffe gesteigert. Sein Haß wurde zum Verdienst in: Auge eines der be deutendsten Machthaber. Robcöpicrrc wurde aufmerksam auf den jungen Mann und fesselte ihn dauernd an seine Persönlichkeit. Laguerre ergab sich ihm als blindes Werkzeug mit Leib und Seele, er ward sein Spürer, sein immer beredter Lobpreiser, der nimmermüde Weihrauchstrcuer seines Herrn und Meisters. Der „Unbestechliche", der „Halbgott" hatte doch auch eine sterbliche Stelle. Vor gewissen Versuchungen durch eine dürf tige Sinnlichkeit gesichert — in: Gegensatz zu seinem Rivalen Danton — hatte sich dafür seine Eitelkeit bis nabe an Größenwahn ausgebildct. Laguerre, der einstige Mcnschcn- darsteller und Kenner, hatte diese Schwäche deS Triumpha tors zu erspähen gewußt. Geschickt benutzte er sie als Stütz punct, um cmporzuklimmen. Unangemeldet ging er bei RobeSpicrre aus und ein — osficiell bekleidete er di« Stelle eines GehcimsecrctairS deS Allmächtigen. Die natürliche Melancholie und Bitterkeit in Laguerre'S Charakter hatte in dieser letzten Zeit bedeutend abgenommen. DaS allgemeine Elend stimmte ihn beiter, und die arme Fanchon glaubte, er habe sich über Adricnnc'S Verlust endlich getröstet. Seine alte Freundin vernachlässigte indcß Laguerre trotz seiner Stellung und seines Ansehen- nickt. War und blieb sie doch das letzte Glied einer Kette, welche Laguerre'S Erinnerung mit dem einzigen Weibe verknüpfte, welches er jemals geliebt. Die düsteren SckreckenStagc folgten einander und glichen sich auch, trotz des Volkssprichworts, welches daS Gegenthcil behauptet. Jetzt im Mai oder, wie mau damals sagte, im Floröal, sollte ein ganz besonderes Fest gefeiert werden, welche« der dürren, schwer arbeitenden Phantasie RobeSpierrc'S nach mühseligem Kampf, geharnischt wie eiost Minerva Jovis Haupt, entstiegen war. Zuweilen fühlte der „Unbestechliche" den Boden unter sich schwanken, wie beim Heranuahcn eine- Erdbeben«. Da sah er sich nach irgend etwa- um, nach ei»er Stütze, die drohende Gewalt der „Masten" zu bändigen. Hatte nicht der Arzt Mirabaud in seinem später dem Euchklopädisteu Baron Holbach zugeschriebenen Buche «Io I» n»turo" zu bewrisca gesucht, daß die Furcht die erste Triebfeder, gewisser maßen die Weckern: aller religiösen Gefühle gewesen sei? Menschensurcht, Angst vor der Guillotine — das schien noch immer nickt genug, die rebellische:: Köpfe cinzuschücktern. Den weltlichen Strafen, dem Tode, welchem so Viele furchtlos, ja triumphirend in daS hohle Auge schauten, sollte auch noch das ewige Gericht als Schreckmittel bei- gcsellt werden. Ewig! Das Wort durchschauerte so feierlich, so seltsam, so erschütternd das Gebein Selbst das seine! Er war doch der „Unbestechliche", der Mann von Blut nnd Eisen. Welche Macht musste eS demnach auf schwächere Gemüthcr auSüben! Und zur Ewigkeit gehört ein Gott — daS lies; sich mit mathe matischer Sicherheit beweisen, und er war anch ein guter Mathematiker, der Abgeordnete von Arra», wie er ein guter Logiker war, der einstige Advocat. Man Halle sich doch wohl ein wenig übereilt, als man mit den alten Vorurthcilcn gar so rasch ausräuntte und' auch WcrthvollcS in die gierig ver schlingende Flamme wars! Aber gab eS denn keine Möglichkeit, solche Ucbcreilung wieder gut zu machen? Konnte inan den alten Gott nicht wieder Herstellen in seinem alten Glanze? Die arme, kleine Göttin der Vernunft, welche man so glühend aus den: MarS- selde angebetet, hatte ein schleckte« Ende genommen — ein Irrlicht, das im Moraste ausglimmt und versinkt. Ma musste irgend etwas finden, um sie zu ersetzen, ohne den entthronten Gott zu beleidigen, welcher sich eifersüchtig auch gegen ihn — den Allmächtigen — kehren konnte. Man konnte ein höchstes Wesen proclamircn. Daö ent sprach dem Geiste der Zeit. Es war ein tiesgesübllcS Bcdürsniß und mußte den Menschen decretirt, im Nvlksalle ociroyirt werden. DaS gab ein herrliches Fest, und Feste lieble sein Volk, er kannte eS ja genau. Solch' ein öffentliches Schau spiel stärkte sie im Glauben an sein Ansehen, gab il,m selbst neuen Glanz sür längere Zeit. Langsam bereitete sich RobeSpierre zu diesem Staatsstreich eines Republikaner« vor. Gleich so manchem Tyrannen vor ihm, z. B. Heinrich V Hl. von England, gelüstete cS auch ihn, die geistliche der weltlichen Macht beizugescUc» — als eine Art Hohepriester wollte er die Feier leiten. In der rechten Hand da« Schwert der Gerechtigkeit, in der linken Petri'S Schlüssel -- welche Autorität konnte sich dann der seiniaen vergleichen? Er wollte sprechen und schön sprechen. Die feurigen Nebenbuhler seiner eigenen, trockenen Bcrcdlsamkcit, sie waren verstummt. Der Voltaire der Straße — Camille DeSmoulinS, der sich in seiner eigenen Suada berauschte, der
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