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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.08.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-08-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940822026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894082202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894082202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-08
- Tag1894-08-22
- Monat1894-08
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Tabellarischer und Zissernsag nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbeförderung 60.—, mit Postbeförderuag 70.—. Jiuuatimkschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn- uud Festtags früh '/.9 Uhr. Vei den Filialen uud Aniiadmcslellea je ein« halbe Stunde früher. AuzeigkU sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^428. Mittwoch den 22. August 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. ' Leipzig. 22. August. Bei dem Versuche, die ReichSregierung möglichst von der Aufgabe der Aufwerfung eines schützenden Damme« gegen die socialdemokratische Fluth zu entlasten, hat die „Nord deutsche Allgem. Zta." wiederholt die Aufforderung zu einem „festereu Zusammenschluß der positiven Parteien", also zur Bildung eines CartrlS. wie eS bei un- in Sachsen besteht, ergehen lasten. DaS freiwillig gouvrrnementale Blatt findet aber für seine Aussorderung wenig Entgegenkommen. Besonders die Oraae der preußi- scheu Conservativen, „Kreuzztg." und „Conservat. Corr.", weisen jeden Cartelacdankcu entschieden zurück. Die .Kreuz zeitung" schrieb dieser Tage: „Wir lehnen jedes Cartel. wie weit oder eng eS auch ge- dacht ist, für die Zukunst mit aller Bestimmtheit ab. Wo nun da- Blatt sich sein Cartel zusammensuchen will, mag seine Sorg« sein; geneigt dazu dürsten nur die Freiconservativen und ein Theil der Nationalliberalcn sein: eben nur die, welche Partei- politisch dabei zu gewinnen hoffen. Ob die Cartelschwärmer zu lenen Leuten zählen, die „nichts lernen und nicht« vergessen", wissen wir nicht; aber wir wissen, daß die Verhältnisse und Zeiten sich ändern, und zugleich haben wir aus frühere» Cartelerfahrungen manche politische Lehren gezogen. Jedenfalls war es schwierig, einen »»zeitgemäßere» Vorschlag zu machen als gerade diesen." Die „Conscrvative Corr." hat für die Aufforderung nur Spott und meint, eS gehöre ein nicht geringer Muth dazu, in unserer Zeit» wo der größte Theil unserer politischen Parteien innerlich gespalten ist und wo die Partei- und Interessengegensätze einander so schroff gegenüberstehen, wie selten zuvor, von einem umfassenden Cartel der politischen Parteien als einem Allheilmittel gegen die Socialdemokratie zu sprechen. Und auf das Drängen der „Nordd. Allgem. Ztg.', auf eine Milderung der Parteiacgensätze bedacht zu sein, um mehr gemeinsame starke Kraft für den Kamps gegen die Socialdemokratie zu gewinnen, antwortet die „Cons. Corr." mit folgendem Vorschlag: „Wenn die „ReichSregierung" sich dazu entschließen wollt«, den im „Tivoliprogramm" proclamirten Schutz der nationalen Arbeit, bet Mittelstandes, der Landwirthschaft und nicht zuletzt die Kräfti gung der christlichen Leben-anschauung auf ihr« Fahne zu schreiben, wenn sie also mit Ernst uud Eifer an die Börsearesorm, an dt« Lösung der Währung-fr »ge, an die Orgaaisation von tzaudwerk und Kleingewerbe, an die Bekämpfung jede» unredlichen Wett bewerbs, sowie Mißbrauch» des Großcapitals rc. heranlreten wollte, so wäre das di« best« Art, die staatserhalteuden Elemente in unserem Vaterland« zu sammeln und der Socialdemokratie den Boden abzuaraben." Daraus entgegnet nun heute die „Nordd. Allgem. Ztg": „Wir begnügen uns sür heute mit einer Gegenfrage. DI« Re- gteruug befindet sich allmählich einer wahren Muslerkarte von Pro- »rammen gegenüber, die sämmtlich „den Schutz der nationalen Arbeit, de» Mittelstandes, der Landwirthschaft" rc. proclamiren und von denea jedes den Anspruch erhebt, als der allein „echte Ring" betrachtet zu werden. Soll die Regierung also nach den Recepte« de- Herrn AHIwardt oder nach denen deS Herrn vr. Förster oder der Herren k. Göhre und Naumann oder der Vertreter der Tivolirichtung oder eines der sonstigen Urheber eines den Mittelstand und die Landwirthjchast rettenden Programm- „die siaatserhaltendrn Element« in unserem Baterlande sammeln und der Socialdemokratie den Boden obgraben?" Nichts ist gewisser, als daß di« meisten von diesen Führern mit ihren Truppen nur lau «ingreisrn werden, sobald nicht genau nach ihrem Programm ver- fahren wird; und nicht- ist wahrscheinlicher, als daß wenigstens ein Theil der ausgezählten „Resorm"-Gruppen eS unter allen Umständen ablehnea wird, sich mit anderen „staatserhaltenden Elementen", die sür sie Loucucrenten sind, „sammeln" zu lassen. So löst sich der Rath der „Eons. Corr.", der sich so positiv geberdet, zu einem guten Theil in den gemalten Toulissenglanz eines Schlagwortes aus? Sehr richtig. Der Vorschlag der „Cons. Corr." beweist eben nur, daß die preußischen Hintermänner dieses Organs daS nicht wollen, was die sächsischen Conservativen in Uebereinstimmung mit den Anhängern der übrigen OrdnungS- rartcicn wollen und deshalb auch können: dem gemeinsamen Feinde gegenüber alle Streitfragen rüden zu lasten und daS Staatswohl über den Partcivortbeil zn stellen. Es wäre übrigens unrichtig, den preußischen Conservativen allein einen Borwurf aus ihrer Abweisung deS CartelvorschlagcS zu machen. Wo ein solcher BorschlagauffruchtbarenBoden fällt,gebührt auch der Regierung ein Antheil an diesem Erfolge. Und der preußischen Regierung, die mit dem Zedlitz'schen Schulgcsetz- entwurfe so wesentlich zur Entfremdung der alten Cartel- parteicn bciaetragcn hat, kann man fast ebensowenig, wie dem Herrn Reichskanzler und seiner so oft bewiesenen Sehn sucht nach einer ultramontan-conservativcn Coalition nach rühmen, daß sie auf eine Milderung der Gegensätze zwischen den Cartelparteicn hingearbeitel und sich bewußt gewesen sei, wie dringend nöthig eine solche Milderung der socialdemo kratischen Gefahr gegenüber ist. Wenn jetzt die preußische Regierung oder Graf Caprivi der Mahnung der .Nordd. Alldem. Ztg." guten Erfolg wünschen, so können sie sich nicht darüber wundern, daß dieser Erfolg auSbleibt. Nach dem Wiederzusammentritt der frauzöfischen Kammer wird ihr der Abgeordnete Castclin einen Vorschlag zur Regelung deS MilitairverhältnisseS der Abgeord neten unterbreiten. Die Sache hängt mit dem vor einiger Zeit in der Kammer erörterten und jetzt vom Krieg-minister entschiedenen Fall Mirman zusammen. Lcvy Mirman ist Matbematikproscssor am Lyceum zu ReimS und socialistischer Abgeordneter dieser Stadt. Als Schulmann genoß er da» Vorrecht, unter der Bedingung einer zehnjährigen ununter brochenen Lehrthätigkeit vom Militairdicnste befreit zu sein Als er sich nun im September vorigen Jahres in Reims als socialistischer Candidat in die Kammer wählen ließ, war die Zeit seines zehnjährigen Schuldienste- »och nicht beendet Mirman, der mit seinen 29 Jahren zu den jüngsten Mit gliedern der Kammer zählt, sah sich nach seiner Wahl zunächst gezwungen, zwischen der Lehrthätigkeit und dem Abgeordnelenmandat ru wählen, da ein vom Staat besoldeter Beamter nicht zugleich Abgeordneter sein darf. Er ließ den Schuldienst fallen, um sein Mandat zu behalten; wenn er sich nicht ,u dieser Berzichtleistung verpflichtet hätte, würde die Kammer seine Wahl sür uuglitig erllärt haben. Nun trat aber die Frage an ihn heran, ob er genölhigt sei, seiner Militairdienstpflicht nachzukommen, weil er auS dem Schuldienste ausgeschieden war. Diese Frage ist jetzt zur Entscheidung gekommen: Mirman bat vom KriegSminister Mercier den Befehl erhalten, sich im November zur Ableistung seiner dreijährigen Militairdienstpflicht zu stellen, und Mirman muß nun, da er als Soldat Gehalt bezieht, sein Mandat niederlcgen. Diese Entscheidung erregt Aufsehen, weil sie dem Grundsätze Geltung verschafft, daß die Militairpslicht allen anderen Bürgerpflichten, sogar denen des Volksvertreters, vorgeht, und Pariser Blätter erheben die Frage, was in dem Falle einer Mobilmachung werden soll, wenn an diesemPrincip festgehaltenwird. Von den58l Dcputirten sind fast die Hälfte — eS können bei der jetzigen Tendenz, junge Leute ins Palais Bourbon zu schicken und die alte Garde abzudanlen, auch einmal zwei Drittel werden — noch in irgend einem Verhältniß rur Armee. Bei ein- tretender Mobilmachung würden also alle diese Abgeord neten sich sofort zu ihren Regimentern zu begeben haben. Die Kammer wäre dadurch beschlußunfähig, könnte es wenigstens werden. Und was dann? ES giebt außer der Deputirtenkammcr keine souveräne Macht im Lande. Nur die Kammer kann den Krieg beschließen, nur sie kann die nöthigen Credite bewilligen, ohne sie steht die ganze StaatSmaschiue still. Eine Mobilmachung — und die ver mag eventuell der Kriegsminister, mit Zustimmung de» Ministerraths, ohne Erlaubniß der Kammer zu verfügen — könnte also eventuell zu Gunsten irgend Jemandes, wahr- cheinlich des Krieg-Ministers, die Constitution vernichten. Offenbar bat hier die Verfassung eine Lücke, welche der An trag des Abg. Castelin auszufüllen beabsichtigt. Die spautsche Mißwirtschaft wird wieder einmal treffend in folgendem Madrider Brief deS „Hamb. Corr." geschildert: Der spanische Staat ist ein armer Schlucker, aber Gelder ver- schwendet er wie rin Millionair. Was hier an überflüssigem Beamtcnpersonal vorhanden ist, da» genügte, um noch ein zweite» Staat-wescn sür Jahrzehnte hinaus mit Beamten zu versorgen. Und wenn unsere Bureaukraten wenigstens etwas thäten, sei eS nur Feder» schneiden oder Papier salzen oder Marken klebe». Aber nichts von alledem geschieht. Tie Herren sinnen höchstens darüber nach, wie sie aus die einfachste Weise ihre hohen Gehälter verzehren können. Das alles rührt daher, daß hier seit Jahren ein« Günstlingswirthschast eingerissea ist, gegen die da- Favoritruwesen im östlichen Orient ein harmloser Sommer- nachtstraum ist. Unsere Staatsmänner, die Minister an der Spitze, suchen ihren Verwandten, Freunden und Domestiken möglichst gut besoldete Sinecuren zu verschasfeu, um sich die Schmarotzer vom Halse zu schaffen. So haust hier eine vor einigen Jahren ernannt« Commission, die die durch die Tholeraepidemie vom Jahre 1885 verursachten Rechnungen inS Reine bringen soll. Zur Commission gehören ein Ches mit 4000 Pesetas (Ares.) Gehalt, eia Beamter erster Classe mit 3500 Pesetas, drei Beamte zweiter Classe mit je 3000 Pesetas, sechs dritter Classe mit je 2500 Pesetas, süns vierter Classe mit je 3000 Pesetas, süns fünfter Classe mit je 1500 Peseta-, fünf Schreiber mit je 1250 Pesetas und neun Schreiber mit je 1000 Pesetas Gehalt. Das giebt eine Gesammtjumme von 64 250 Pesetas. Nun frage ein Mensch, waS diese Commission bisher geleistet hat; sie hat noch nichts von sich hören lasten, sie hat auch noch nicht ein einziges Protokoll verfaßt, und Mistende versichern, daß Liese Herren Beamten erster, zweiter, dritter, vierter und aller folgenden Elasten daS Commissionsbureau noch niemals betreten haben. Der Volks- mund nennt diese besoldeten Nichtsthner „momio»" (Mumien) uud verlangt, daß sie endlich wieder eingesargt werden, nachdem sie lange genug öffentlich ausgestellt waren. Unter solchen Verhältnissen braucht man sich allerdings nicht zu wundern, daß es an Geld in den StaatScaffen zur Linderung der chronisch gewordenen Nothstände in den Sud provinzen fehlt, und daß die Propaganda sür den Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung gerade in Spanien den günstigsten Bodeu findet. Die auswärtige Politik Englands trägt im Augen blick den Stempel ungemeiner Behutsamkeit. DaS Foreign Office hegt den größten Widerwille» gegen Jnscenirung irgend einer weiter ausschauenden Action. Es begreift sich dies aus den mancherlei schwebenden Problemen, angesichts deren Großbritannien freie Hand behalten möchte, um bei sich bietender günstiger Gelegenheit soviel sür sich zu profi- tiren, als die Umstände nur immer gestatten. Der chinesisch-japanische Krieg ist eine- dieser Probleme, dessen Aufwerfung den Engländern an und für sich höchst unerwünscht kam, das nun aber, nachdem es einmal acut geworden, von der englischen Politik nach allen Richtungen geschäftlich auSgcnutzt wird. Ein anderes, noch schwierigeres Problem ist in der indischen Finanzlage gegeben. Dieselbe ist eine Quelle fortlaufender Verlegenheit nicht nur für Indien, sondern auch für England, welche- wesentlich auf die Sympathien der indischen Bevölkerung angewiesen ist, um seine dortige Herrschaft dauernd ru behaupten und sich doch durch seine Handels- und WirthschaslSpolitik den Borwurs seitens der Indier zu gezogen hat, die gegenwärtige Finanzmisörc recht eigcnt lich verschuldet zu haben. In Afrika hat England seit einiger Zeit nur Verdruß erlebt. Sein Abkommen mit dem Congostaate ist praktisch werthloS geworden, dafür baben Deutschland und Frankreich, Frankreich und der Congostaat sich in Centralafrika friedlich auScinandergcsctzt, und Italien bat durch die Einnahme KaffalaS seiner afrikanischen Colonic eine strategisch wie wirthschaftspolitisch ungemein wcrlhvolle Etappe aus dem weiteren Ver rücken landeinwärts erschlossen. Wenn England, wie der ParlamentSsecretair deS Auswärtigen Grey vorgestern im Unterhause mitlheilte, weitere Verstärkungen der Sudanesen truppe plant, so ist daS das Mindeste, was geschehen muß, um die englische Interessensphäre gegen eine etwaige Schmälerung durch französische Ucbergriffe schützen zu können. In Siam ist England völlig inS Hintertreffen lerathen, Frankreich wird seine Absichten, welche auf Linverleibung Siams in sein ostasiatisches Colonialrcich abzielen, über lang oder'kurz ausführen, ohne sich an die mißgünstigen Blicke und versteckten Drohungen deS Aus wärtigen Amte- in London viel zu kehren. Auch auf Mada gaskar wird Frankreichs Einfluß bald der ausschlaggebende ein. England ist zu sehr von inneren Zwistigkeiten, von den Wühlereien der Socialdemokraten, Anarchisten und Ir länder in Anspruch genommen, als daß eS mit voller Kraft daS Reffort der internationalen Politik pflegen könnte. Es ist zufrieden, wenn eS an den KricgSlieserungen für chinesische Rechnung verdienen und seinen Handel von auswärtigen Verwickelungen fern halten kann. Am günstigsten stehen die Chancen der englischen Politik zur Zeit anscheinend in Marokko, wo cö den Wortführern der britischen Be strebungen gelungen ist, daS französisch-spanische Gegengewicht fast völlig zu paralysircn. ES dürfte vielfach aufgefallen sein, daß bisher über die Stellungnahme der Pforte zu der Einnahme von Kassala durch die Italiener nichts verlautet hat. obgleich seit diesem Ereignisse schon ein Mouai verflossen ist. Wenn nun bisher keinerlei Action auS diesem Anlässe erfolgt ist, so ist dies lediglich auf jene Uuschlüssigkeit und jenes langsame Tempo zurückzufiihren, welche ja der Politik der Pforte eigen sind. Die Einnahme KaffalaS hat am Bosporus zunächst einen unangenehmen Eiudrock hcrvorgernscn; in den ersten Momente» plante man in den türkischen Regierungstreuen, gegen die Besitzergreifung KaffalaS durch die Italiener einen möglichst energischen Protest zu erheben. Nach ruhiger Ucberlegung kam man jedoch davon ab, und eS wurde im türkischen Ministerrathe ein anderer Vor gang in Erwägung gezogen. Bon der Thatsache ausgehend, daß nicht die Türkei, sondern Egypten seiner Zeit den «udan ausgegcben hatte, wollte man die egyptische Regierung zu einem Schritte gegen das Vordringen der Italiener im Sudan veranlassen; doch auch dieser Plan wurde fallen gelassen. Allem Anscheine nach wollte die Pforte keinen Präcedenzfall schaffen, auS welchem Egypten früher oder- später einmal das Recht ableitcn könnte, über den Sudan oder einen andern Theil deS egyptische» Territoriums mit einer fremden Macht Separat-Abmachungen zu treffen. Nachdem all diese Pläne vcnvvrscn waren, entschloß sich die Pforte endlich zur Abfassung einer Note an die italienische Regierung, in welcher sie, ähnlich wie bei der seincrzeitigen Erwerbung MaffauahS durch die Italiener, ihre Rechte aus den Sudan aufrecht erhält. Mit der Teptirittig dieser Note ist man gegenwärtig aus der Psorte beschäftigt. In diesem Schriftstücke, das i» einem sehr maßvollen Tone gehalten sein wird, soll auf daS zwischen Lord Dufferin und Marchese di Rudini getroffene cuglisch- ilalicuische Abkommen vom April l89l Bezug genommen werden, in welchem sich Italien verpflichtet, falls eS Kassala einmal zu besetzen gezwungen wäre, diese Stadt wieder, zu räumen, sobald der Sudan den Händen der Mahdistcn Ferrrlletsn. Lein Weib. Roman frei nach dem Englischen von Emil Birnfeld. K-chtriiL rerdolnu (Fortsetzung.) „Ob. Sir", rief Jane bestürzt, „Sie gehen? Sie riefen wich, Sie wollten zu mir sprechen!" Sein Fuß hielt inne; ec wendete sich zu ihr zurück trotz seine- anderen Entschlusses. Er konnte dieser Stimme nicht widerstehen, nicht diesem Ausdrucke der Bitte, der Bestürzung, der in ihr lag. „Es war nicht-, durchaus nicht»", sagte er, noch immer mit halbgewendetem Gesicht, „ein momentaner AuSruf, weil ich Sie gerade sah — ich bin in trüber Stimmung, Jane, da» ist'», weiter nichts. Lassen Sie sich nicht stören!" Wieder that er einen Schritt in der Richtung nach dem Hause zu. „Gehen Sie nicht so fort, Sir", bat sie. „Wenn Sie Kummer haben, bleiben Sie einen Moment und lassen mich Ihnen sagen, daß ich mit Ihnen süblc, daß ich eS beklage." „Nein, Jane, nein!" sagte er beinahe flüsternd. „Es ist bester, daß ich gehe." Dennoch hemmte er seinen Schritt und blieb. Die Augen auf den Boden geheftet, stand er da, zögernd, mit sich kämpfend. WaS er in den Augen dieses Mädchen-, in dem To« ihrer Stimme, ihrer sanften, scheuen Zurückhaltung, ihrem Erröthen, wenn sie ihn erblickte, zu lesen geglaubt, bewegte ihn tief und erfüllte sein vereiusamte«, gedrückte» Herz mit einem unendlichen Gefühl de» Glücke» — und e< trieb ihn doch von ihr, wenn er ein Ehrenmann sein wollte. 8l« er sich zurücktvendete und wieder auf sie sah, geschah eS fast voll Furcht. Jane begegnete seinem Blick mit warmer Festigest. „Es ist besser, wenn Sie bleiben", behaute sie sanft. „Bleiben und au-ruhen von dem Kummer, der Sie bedrückt. Zch bin nur ein arme», einsacht- Mädchen, aber vielleicht »leichtert eS Ihr Herz, daß ich mit Ihnen sühle." „Ist für mich Platz aus der Bank?" fragte er. „Ja, Platz für Jemand, der Trost bedarf." Er verstand die Unterscheidung in ihren Worten und «rrptirtr sie. Er ließ sich an Jane « Seite aus die Bank „ES ist ein alte« Leid, da» Sie bekümmert?" fragte sie. „Ein altes Leid, ja — so alt wie mein Leben seit der Zeit her, daß ich selbstständig zu denken begann — und neue» Leid auf neues Leid ist hinzugtkommea. Ah, Jane, ich bin diese- Leben» müde! Müde diese- Lebens der erzwungenen steten Auflehnung gegen die Dinge um mich her, de» ewigen Kampfes um meinen Weg, um mich stets von Neuem auf ihm rurückqcschleudert zu sehen!" „Sie sind dessen müde. Ließe sich nicht ein anderer wählen? Wäre eS nicht möglich, ein neue-Leben zu beginnen?" „Nein! Ich sitze vorläufig bübsch fest in dem Gestrüpp, das mir zur Falle geworden. Ich habe mich verrannt und man hat mich von allen Seiten gedrängt, bis ich gestellt war wie ein von den Hunden gehetzte- Jagdthicr. Ich habe mit meinem Vater nicht gut gestanden, Jane; ich konnte nicht mit ihm sympathisiren. Kein Mensch konnte eS, wenn Ihnen das als ein kleiner Milderungsumstand für mich erscheint; auch meine Mutter nicht, die in Gram und Schmerz über die Ketten, in denen sie schmachtete, starb. Einst, vor langer Zeit schon, lehnte ich mich gegen ihn aus und riß mich von seinem Joche loS. — Der Bruch zwischen uns ist nie ganz geheilt worden, und noch jetzt leide ich schwer unter den Folgen, die er durch die Rachsucht meine» Vater- über milh gebracht hat. Ich ging seit jener Zeit immer meinen eigenen Weg, that, waS ich wünschte, nicht, WaS er verlangte, und mir meine eigene Bahn zu brechen, war da» einzige Bestreben meine- Leben-." „Ist eS Ihnen geglückt?" Falconer lachte bitter auf. „Geglückt!" wiederholte er mit dem Ausdruck tiesea In grimmes und Schmerzes. „Nein, Jane, eS ist mir nicht geglückt. Und an den Folgen diese- verfehlten Streben- und der falschen Schritte, die ich um desselben willen in wildem Trotz gcthan, leide ich jetzt schwer. So schwer, daß ich darunter zusammenbrechen möchte. Ich bin der unglücklichste Mensch unter der Sonne, Jane!" „Die gehen zu weit! Verzweifeln Sie nicht!" „Der unglücklichste Mensch unter der Sonne! Ich habe e« nie so tief gefühlt, als... . als in der jüngsten, neuesten Zeit! — Ah bah, lasse» wir da»! Hier ist ein Augenblick der Ruhe, de- Frieden» für mich, genießen wir ihn! Lassen Sir mich hier noch ein wenig weilen, Jane! Sitzen wir hier beisammen wie — wie Kinder, die im KrühlingSsonnenschrin von schönen Marche» plaudern. Märchen, Jane — Alle« nar Märchen I" „Ah, daß wir noch Kinder sein könnten! — Aber gern, bleiben Sie hier! Lassen Sie uns plaudern!" Und mit melancholischem Lächeln fügte sie hinzu: „Tie Märchen sind entflogen, aber der FrühlingSsonnenschein ist um uns her." „Sonnenschein? Nein, Jane, es ist trübes Düster um uns her und wir bedürfen deS Trostes. Geben Sie mir Ihre Hand, Jane!" Ihre Hand stahl sich in die seine, und er umschloß sic mit leisem Druck. „Schwarzes, unheilvolles Dunkel ist um"unS", fuhr er mit bewegter Stimme fort. „auS dem in jedem Augenblick der vernichtende Blitz aus uns bcrabzucken kann. Ääre es nicht daS, so dürste ich — sollte ich nicht hier an Ihrer Seite sitzen und Ihre Hand halten!" Ihre Antwort war ein leiser, schüchterner Gegendruck von ihrer Hand auf die seine. „Wenn Sie wüßten, was das Düster ist, von dem ich spreche, würden Sie von mir zurückschreckcn, Jane", fuhr er, gedankenvoll vor sich hinstarrend, fort. „Ich bin gewiß, daß ich nicht zurückschrecken würde", sagte sie leise und schlicht. „Ich werde nie vor Ihnen zurück schrecken." Er fuhr vlötzlich heftig auS seinem Sinnen aus. „DaS ist zu viel de» Glaubens an mich!" sagte er rasch, fast heftig. „Ich verdiene ihn nicht! Hören Sie mir zu, Jane — darf ich Ihnen vertrauen?" Sie erhob ihr Gesicht und richtete stumm ihre Augen aus ihn. ES lag ein Ausdruck in ihnen, so seltsam, so tief, so unergründlich und doch so seelenvoll, daß er Falconer fast verwirrte „Welch' eigene» Wesen Sie sind, Jane!" sagte er mit einem tiefen Athemzuge. „Ich weiß nicht, ob Sie mich stark, ob schwach machen. Sind Sie eine Elfe, eine Zauberin? Ich weiß nicht, wer, noch WaS Sie sind. AuS welchen Regionen sind Sie gekommen und weshalb?" Sie saß ohne ein Wort, ihre großen tiefblauen Augen noch immer auf ihn gerichtet. Der goldene Sonnenglanz, der auf ihrem prächtigen Haar spielte, die Blumen um sie her, der heilige stille Friede ringsum ließen sie wie ein Engels- bild erscheinen. „Jane — verstehen Sie mich — verstehe» Sie gauz, waS a»S mir spricht?" sagte er plötzlich, fast im Flüsterton. Sie nickte leise, stumm, mit einem leichten Erröthen, un verwandt auf ih» klickend. „Sie verstehen eS, was mein Unglück ist, und Sie schrecken nicht vor mir zurück?" rief er stürmisch, bitter auS. Ihre andere Hand legte sich sanft auf die seine, welche die ihrige noch umschlossen hielt. „Pah! Sie irren, Jane, Sie kennen mein Unglück nicht!" fuhr er bitter und seinen Kopf halb abwendend fort. „Ich muß Sie ausklärcn. Sie sollen von mir hören, Jane, WaS ich noch Niemand anvcrtraut, Niemand, außer dem Anwalt Everett und einem Londoner Freunde von mir, die Beide davon wissen mußten. Ich kann Ihnen nie angehören, Jane — ich bin verbeiratbet!" Sic verharrte schweigend, aber er bemerkte einen neuen seltsamen Ausdruck in ihrem Gesicht. Es war ein Ausdruck so ähnlich dciujenigen de- AufathmenS und der Erleichterung, daß er staunte, sich auf» Neue ganz verwirrt fühlte. Ihm war, als hätte er Beruhigung aus dieser ihrer unoermuthetcn Gefaßtheit schöpfen müssen, und doch empfand er nur Staunen, Neugier, fast Gereiztheit. „Sic schweigen!" drängte er, da sic noch immer stumm blieb. „Haben Sie kein Wort auf daS, WaS ich Ihnen mit- getheilt. Jane, kein Wort der Thcilnahme, kcins des Interesse-?" „Sie sind verhrirathet!" wiederholte sie langsam, leise. „Seit wann?" „Seit einem halben Jahre etwa, oder etwa- länger — ich weiß eS nicht! Und ich hasse die Fesseln, die ich aus mich genommen!" „Ist eS daS, was Sie unglücklich macht?" fragte sie mit einem ausmerksainen, nachdenklichen Blick aus ihn. „Ah, wenn eS nur daS wäre!" rief er bitter auS. „Wenn nicht — wenn nicht, Jane, Andere» — Andere» hiiizukäme, da» mir diese Fesseln auf'S Neue verhaßt, sic mir unerträg lich machte mit der Aufgabe, da» Ehcbündniß mit meiner Frau zu ertragen, wollte ich schon fertig werden. Ich habe eS mir leicht gemacht, und ich würde da» Unglück, an meine Frau gebunden zu sein, wenn » das allein Ware, ver schmerzen können schon aus — schon a»S Verachtung!" „WaS für eine Frau ist Ihre Gattin ?" Jane - Stimme klang ängstlich und forschend. „Pah!" ries er heftig au». „Ein seelenloses, kokette- Gc- schöps ohne inneren Halt und Werth, leichtsinnig, eroberungs süchtig — bereit, ihre Glutbaugcn zur Verdrehung de- Herzen» jede» ManneS spielen zu lassen. der sie nur von Weitem er blickt, beflissen, mit jedem Narren Liebe-intriguea zu spinnen, der m ihre Nahe kommt I"
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