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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940905029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894090502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894090502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-09
- Tag1894-09-05
- Monat1894-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz uach höherem Tarif. Lxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürdarung 60.—, mit Postdesörderuag ^ 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abeud-Ausgabe: Bormittag« lO Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag» früh '/,9 Uhr. Bet deu Filiale» und Annahmestellen je eiu« halbe Stunde srüher. Anzeigen sind stet« an die Expebiti«« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^»454. Mittwoch den 5. September 1894. 88. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 5. September. Also nicht Privatarbeit der Redaction der „Nordd. Allgem. Ztg.", sondern Privatarbeit „eines oder des anderen Mitgliedes der Regie» u»g". ist es, der wir die „«irren <-rörteru»gcn" der letzten Wochen zu danken habe». Die „Nationalzeilung", die dies seststellt, glaubt wohl selbst nicht, Vielen damit etwas Neues gesagt zu haben. Aber der ganze Charakter ihrer Auseinandersetzung verschafft dieser einen Anspruch auf größte Beachtung, der nicht im min desten durch deu Umstand beeinträchtigt wird, daß ein wirklich osficiöses Blatt, der „Hamb. Eorr.", fast gleich zeitig versichert, nicht der Reichskanzler sei es gewesen, der in der Frage der Vcrschärsung des Vereins- und Ver- sammlungSrechts die Initiative ergriffen babe. Daß die „wirklich Ossiciösen" nicht als Organe der Negierung, sondern als Stimmungserzeugungsapparat einzelner Mitglieder der Regierung anzusehcn sind,wird ja eben von der„Natio»alzeilung" wieder einmal überzeugend dargethan. Und daß das, womit die „Nordd. Allg. Zlg." in der inngsten Heit die Aufmerksam keit erregt hat, nicht eine Initiative im ^inne einer normalen Einleitung einer gesetzgeberischen Action genannt werden darf, geht aus den Auslassungen der „Äatirnalzcitunz" erst recht hervor. Man wird gut thnn, sich zunächst an das letztgenannte Blatt zu ballen, ohne es aus Eigenem zu ergänzen. Die „Nationalzcituug" nennt keine Namen, aber ihre Offenbarung gipfelt ui einer Klage über die Tren nung der Aemler des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten. Dieser Zustand ist bekanntlich von keinem der ausschließlich als preußische Minister snngirendcn „Mit glieder der Regierung" verschuldet worden. Die Abschwächung der aus der Trennung resultirenden Ucbelstänke glaubt die „Nalionalzcitung" nur aus dem Grunde voni StaatS- ministerium erhoffen zu dürfen, weil der Reichskanzler diesem als Mitglied angehört. Das ist deutlich genug. Wir glauben auch,daß ein „solidarisch versahre»desStaatSmi»>steriul»"we»ig- stenS die stärkstenHindernisse einer geortnetenRegierung beseitigen könnte. Ader wer nicht schon srüher klar gesehen, der muß sich durch die lichtvolle Darlegung der „Nationalzeitung" überzeuge» lassen, daß das exislirende Ministerium nicht mebr ein solidarisches werde» kan». Mit der Thatsacke, daß die Minister das Gelöbniß des Schweigens nicht ab gelegt haben, also reden dürfe», wird doch das Bcrsahrcn des „einen oder des anderen Mitgliedes der Negierung" nicht erklärt, das redet, ehe das Staatsmiiiisterium in einer „wich tigen Frage die Linie des BerhaltenS sestgestellt" ja, ehe das StaalSministerinm überhaupt weiß-, daß' eine wichtige Frage angefaßt werden soll. Die „National- zeitung" ist es ja, die erzählt, daß die „Nordd. Allg. Ztg." »n Auftrag gesprochen, bevor irgend eine Berhandlung über die Frage einer Bereinsgesetzgcbung stattgefuiidcn habe. Die Frage ist geflissentlich „nach auswärts" angeregt worden, und dem Urheber kann an der Solidarität unmöglich etwas gelegen sein, da er natürlich ebenso gut wie die „National- cilung" weiß, daß der von ihm betretene Weg weder ormell correct, noch zweck-ntsprechend ist. Man hat es vielmehr offenbar mit einem der Abneigung gegen daS „solidarische Bcrsahrcn" entspringenden Acte zu thun, der ganz und gar nicht dazu angelban ist, um an ihm die Mög lichkeit dcS Uebergangs zum solidarischen Verfahren zu demo»- strircn. Die „National-Zeitung" würde ihrer vergleichsweise optimistischen Auffassung kaum verfallen sei», wenn sie die den „wirren Erörterungen" der letzten Wochen fast un mittelbar vorhergegangenen, viel räuberen Windstöße aus osfi- ciösen Blättern a» der Hand der Tbatsache, daß Minister keine Trappisten sind, aus ihren „Auszangspuncl" beobachtet hätte. Ter Meinung deS Blatte-, daß nicht „wirkliche Meinungsverschiedenheiten" den bewiesenen Mangel an Soli darität bedingen, wollen wir um so weniger entgcgentrete», als wir die letzten Ursachen der schwierigen innerpolitischen e schon bisher nicht auf dem Gebiete deS Objectiven gc- t haben. Zu dem leidigen Capitel, in dem schon so viele Fälle von Verärgerung der nationalen Parteien aufgezählt werden mußten und das erst in diesen Tagen durch die Meldung aus Posen bereichert worden ist, der comman- dirende General deS V. ArmeecorpS babe cs abgelehnt, die für die HuldigungSsahrt nach Varzin erbetene Militaircapelle zur Verfügung zu stellen, kommt heute ein »euer Beitrag aus Helgoland. Von dort schreibt nämlich ein Curgast, der an dem Sedan-Festmahle sich belheiligle, den „Hamb. Nachr." Folgendes: „Nachdem durch Inserat und Anschlag hier auf Helgoland zur Theitnahme am Seda n-Festessen im Conversation-Hause unter Vorsitz des Herrn Comina »bauten von Helgoland ausgesordert worden, folgte auch ich dieser Aufforderung. Als wir uns an der im Ganzen von circa IlO Personen besetzten Tafel nieder gelassen, ruhte das Auge zunächst enttäuscht auf der mangelnde» Dekoration des Saales. Der zweite Blick fiel auf die auf der Tafel verstreuten Karten, woraus geschrieben: „Es soll nur Ein Toast (und zwar aus Majestät) ausgedracht werden", was denn auch nach der Suppe bei einem an die Theilnehmer verabreichten Glase Sect seitens des den Vorsitz führenden Herrn Commandanten in möglichst kurzen Worten ge>chah. Von einer die hohe Bedeutung des TageS hcrvorhebenden Festrede war eben keine Siede, den» durch das „Es soll u. s. w." war jeder weiteren Kundgebung nach irgend welcher Richtung vorgebcugt, was man säst als eine Ver gewaltigung der Redefreiheit der Theilnehmer aussasscn möchte. Bei Kaiserjesten ist es >a Brauch, keinen andern Toast auszubringen, bei einem nationalen, vaterländischen Fest, an solch einem Gedenk tage wie der 2. September, liegt die Sache aber doch anders. Aus alle Fäll« ist das erste Glas Sr. Majestät zu weihen; sind außerdem noch ossicielle Toaste vorgesehen, so hat der Vorsitzende diese zu leiten und ferner das Recht, zu verlangen, Laß jeder Theil nehmer, welcher das Wort wünscht, sich bei idm vorder melde und das Thema nenne, welches er seiner Rede zu Grunde legen will, um in der Lage zu sein, evcnt. das Wort nicht zu erlheiien. Ich und meine nächsten Nachbarn, später auch Andere, standeu unter dem Eindruck, daß trotz veränderter Sachlage ein Toast aus Se. Durchlaucht den Fürsten Bismarck vermieden werden sollte." Ist man vielleicht auch dort auS zarter Rücksicht aus Aus länder oder „deutsche" Freunde einer Verlegung des Sedan- festes so rücksichtslos gegen die übrigen Fcstgäste gewesen, ihnen den Mund zu verschließen? Solche Art von Rücksicht kann keine anderen Früchte tragen, als Verärgerung gerade derjenigen Elemente, deren Unterstützung alle deutschen Regie rungen am dringendsten bedürfen, und Ermuthizung jener anderen Parteien und Gruppe», die an den glorreichen Er rungenschaften des TageS von Sedan aus blindem Doctri- narismuS oder aus schlimmeren Gründen rütteln. In der Polenpolitik der östcrrrichischcu Regierung ist eine bcmcrkeiiSwcrthc Wendung eingetrelcn, die bei Ge legenheit der Landesausstellung in Lemberg ihren ossicielle» Stempel erhalten hat. In den letzten Tagen sind säst alle Mitglieder deS Eabinets Windischgrätz nach Lemberg gepilgert; sie wurden dort festlich empfangen und vom polnischen Adel, der in Galizien noch immer als unbestritten herrschende Claffe sich suhlt, aus den alten Königsschlöffern setirl. Am bezeichnendsten für die geänderte Lage war der Empfang, welchen mau dem Finanzminister vr. von Plener bereitete, und der sich durch das Verhalten des Ministers zu einer Art Huldigung für den polnischen Einfluß gestaltete. In dem gegenwärtigen Finanzminister und früheren Führer der deutsch liberalen Partei im Parlamente waren die Polen gewöhnt, ihren entschiedensten Gegner zu sehen. In der langen Aera deS CabinetS Taaffe galt eS als das untrüglichste Mittel, die Polen zur Nachgiebigkeit zu veranlassen, wenn man sie mit der Möglichkeit schreckte, Plener könnte ins Eabinet berufen werden. Nun ist ein völliger Umschwung der Dinge eingetrelcn. Plener ist Minister geworden, und die große Partei, auS der er hervorgegangen, sucht durch die Eoalition wieder den vollen Einfluß auf den Gang der inneren Politik zu erlangen. Plener'S Reise nach Galizien galt der Beseitigung alter Gegensätze und der Herbeiführung freund licher Beziehungen zwischen den Polen und der liberalen Partei, der Vertiefung des EoalitionSgedankenS, der aller dings nur dann von längerem Bestände sein kann, wenn zwischen diesen beiden Parteien, die zusammen fast die Hälfte des Abgeordnetenhauses ausmachen, eine engere Fühlung be steht. Auf den slawisch-klerikal-seudalen Hohcnwartclub ist, wie gelegentlich der Wablreforiiisrage deutlich zu Tage trat, kein Verlaß, LaS Vcrhältniß zwischen der Vereinigten Deutschen Linken und diesem Theil der Eoalition ist nur der deS Waffenstillstandes und zwar eine» solchen, dem man weder hüben, noch drüben traut, und der wegen der grundverschiedenen Anschauungen und Ziele beider Theile über kurz oder lang sein Ente erreichen muß. So war es für daS Coalitions- niinisterium nur daS Gebot des Selbsterhaltungstriebes, was die Annäherung an die Polen herbeiführte. Wird aber die Regierung ihren Zweck erreichen? Im Hohenwart-Club besürcktet man schon, die Regierung könne »n Zukunft auf seine Mithilfe verzichten und die kleinen Fractionen würden sich einer starken und geeinigten Majorität gegenüber befinde», die alle der Regierung nickt genehmen Anträge einfach nieder- stimmt. So weit sind aber die Dinge noch nicht und werden auch schwerlich so weit kommen. Es wäre Uebereilung, zu glauben, daß die Polen sich so ganz von ihren föderalistischen Genossen trennen werden, um sich blos auf die Eoalition mit der deutschen Linken zu verlassen. Es hieße die schlaue Politik der Polen ganz verkennen, wenn man ihnen ei» solches Vor gehen ernstlich zumuthen würde. Bei aller FreundschastS- bczeuaung für Herrn von Plener und für die Bereinigte Deutsche Linke steht ihnen Gras Hohenwart mit seiner gemischten Gesellschaft von Klerikalen. Feudal-Aristokraten und Slowenen näher als die große deutsche Partei. Vor läufig freilich werden sie de» CoalitionSgedanken mit Wärme vertreten, die Hoheuwartparlei zwingen, sich vemselben unler- zuordiien, und wie bei den Lcmbcrgcr BegrüßungSsesten von Loyalität und Liebe für Las habsdurgische Kaiserhaus über- flicßen; allein die Polen werden Polen bleiben, sie werden — dafür bürgen die den Ministerbesuchen vorausgegangenen Kundgebungen deS polnischen Iourpalisten- und Schriststeller- tagS — von ihrem Herzenswunsch ver Hegemonie eines großpolnischc» WcstslowencnreicheS nicht abgebcu, sie werden die für sie augenblicklich so günstige Constcllation gehörig ausnutzen, um dann, an Kraft gewachsen, nur um so nach drücklicher ihre nationalen Begehrlichkeiten in den Vorder- grund zu stelle». Von dem Augenblick an, wo die Re gierung diese Wünsche nicht mehr erfüllen kann, wird sie das Eartcl mit den Polen als gelöst betrachten müssen, und darum dürfte bei Lei» durchaus nicht ungesährliche» Experiment deS Eabinets Windischgrätz weiter nichts herauöspringen, als ein Aufschub seines Zerfalls. Die politischen Parteien Belgiens sind zur Zeit in hochgradiger Geschäftigkeit begriffen. Die Wahlen stehen vor der Tbür, und von dem Ausfall derselben hängt es ab, welcher Einfluß in der kommenden Legislaturperiode der maß gebende sein soll. Bisher haben die Klerikalen das Heft in Ver Hand gehabt, und alle Anstrengungen deS belgischen Liberalismus vermochten die politischen Widersacher aus der einmal gewonnenen Stellung nicht berauSzumanöveriren. Ob cS diesmal gelingen wird? Für den Augenblick ist das charakte ristische Kennzeichen der Lage der Beschluß der Arbeiterpartei, in Gent, Brüssel, BervierS, Lüttich, Mons, Charleroi und zahlreichen anderen Industriecentren des Landes gesonderte Arbeitercandidatenlisten auszustellen. Daß dieser Beschluß den liberalen WahlauSsichtcn abträglich sein muß, liegt aus der Hand; andererseits sicht man freilich nicht recht ein, was ür Bortbeil die Socialdemokralie für sich aus dieser taktischen Naßrcgel jherauszuschlagen hoffen kann. Ihre Anhänger- chaft wird man mit 100 000 stimmfähigen Wählern recht reichlich veranschlagt haben, und un liberalen Lager giebl man deshalb die Hoffnung nicht auf, daß die Socialbemokraten, statt sich in einer unfruchtbaren Demon- tration zu blamiren, sich in letzter Stunde eines Besseren besinnen und von der Ausstellung eigener Candidaten abschen. Aber auch in diesem Falle würde der Sieg der liberalen Sache nicht wahrscheinlicher. Zahl reiche indifferente Parteiangchörige sind mit der eingeschlagenen Taktik höchlichst unzufrieden und dürften sich der Abstimmung enthalten, wenn sie nicht direct inS Lager des Ultramon- taniSmus übergehen. Käme eS je so weit, so würde die Schuld hierfür an der Haltung liegen, welche der belgische Liberalismus den agrarischen Interessen gegenüber eingenommen hat. Während der Liberalismus sich nicht entschließen konnte, von seinem strengen Manchesterthum auch nur daS kleinste Theilchen nachzulasse», warfen sich die Katholiken mit ungleich größerem wahtlaklischen Geschick zu Bannerträgern der Wünsche und Beschwerden der Landwirlhjchast auf. In den ländlichen Wahlbezirken treten die katholischen Candidaten durchweg für Zoll- und Steuerreformen ein. für Ermäßigung derGrundsteucr, Ausgleich derFraä»brieft,Rcforindcr Pachlgesctzgebu»ig,Hebung deS landwirthschaftlichen EreditS rc. :c. und gewinnen dadurch Anhang gerade auch unter solchen Volkskreiscn, deren Hingabe an den Liberalismus bi« in die letzte Zeit über allen Zweifel erhaben war. In den Städten haben die Katho liken ebenfalls mächtige Bundesgenossen an den katho lischen Arbeiter-, Gesellen- und IünglingSvereinen, welche an Kraft der Propaganda mit den Socialdemokratcn wett eifern. Für die wahren Interessen des Landes wäre ein Sieg der klerikalen Partei in mehr denn einer Hin sicht bedenklich. Die von den Candidaten gemachte» Ver sprechungen sind so weitgehender Art, daß ihre auch nur theilweise Verwirklichung zu den schlimmsten Störungen deS gewerblichen Leben« führen müßte. Bleiben aber die Ver sprechungen der Candidaten uneingelöst, so haben sie eine Enttäuschung, eine Erbitterung der betreffenden Wählermasseu zur Folge, worüber sich Niemand herzlicher freut als die Socialdcmokratie. Ob baS eine verlockende ZukunstSauSsicht ist, kann sich ein Jeder selbst beantworten. Tie royalistischc Bewegung in Frankreich bat durch die Theiliiahmc an der Krankheit des Grasen von Paris wieder einiges Leben erhalle». Darüber beunruhigt, rufe» die radikalen Blätter der Regierung bereits ein vicicunt eonüult-!, zu. Thatsache ist nämlich, daß mehrere Ossicierc der Messe, welche in der Madcleinekirche für de» Prätendenten gehalten wurde, in voller Uniform beigewobnt haben. Bei der Gelegenheit erinnert man sich auch, daß der Marine- minister dem LinienschiffSfähnrich Roux einen Urlaub zur „Er ledigung persönlicher Angelegenheiten" ertheilt bat, und ist dahinter gekommen, daß diese persönliche» Angelegenheiten rarin besteben, daß Herr Roux den Prinzen Heinrich von Orleans auf einer Forschungsreise vurch Indochina begleitet. — Gestützt aus das umsangreiche Buch des Arbeitsamts über die Ergebnisse der Volkszählung von 180l, beklagt das „Journal des DöbatS" die betrübenden Aussichten, welche die Art derBcvölkerungs- Feuilleton. Sein wkib. Roman frei nach dem Englischen von Emil Bernseld. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Nicht-, um daS Sie sich die geringste Sorge machen dürsten, Liebste, nichts, daS Sie beunruhige» kann", versickerte Jane mit einem leisen Beben in ihrer Stimme. „Wollen Sic meine Bitte erfüllen? Es liegt mir so Viel, so sehr Viel daran, cS so sicheren Händen zur Beförderung übergeben zu können, wie die Ihren für mich sind!" „Ich bin bereit, Alles für Sie zu tbu», womit ick Ihnen dienen kann. Ja, wenn Sie mich fragen; ich will Ihre» Wunsch erfüllen!" „Warten Sie einen Moment", sagte Jane hastig. Sic eilte hinaus aus ihr Zimmer und kehrte nach einigen Minuten mit einem kleinen, in ein geschlossenes Couvert gehüllten Päckchen in der Hand zurück. Ihre Miene war fest und ruhig, aber ihr Gesicht tief bleich. „E- würde mich so freuen, wenn Sie — wenn Sie die Güte haben wollten, eS ihm bald zu geben vielleicht morgen oder übermorgen!" bat sie, Annetten daS kleine Päckchen darrcichend. „Jane", sagte diese unsicher, indem sie eS nahm. „Es ist etwa- Seltsames in Ihrem Wesen, da« mich ängstigt —" „Oh nickt doch, nicht dock, Sie dürfen nicht unruhig sein", entgegnetc Jane zerstreut. „Was Sie dort in Händen Hallen, ist von großer Wichtigkeit für mich. Nicht wahr, Sie werden damit verfahren, wie ich gebeten?" „Gewiß, gewiß! Ick würde ^UleS sür Sie tbun, was Sie von mir verlange»! Nehmen Sie mein Wort daraus, daß Ihr Wunsch aufs Beste erfüllt werden wird." „Innigen Dank, liebe Annette! Und seien Sie überzeugt, daß auch ich — auch ich sür Sie thu» werde, was in meiner Macht steht!" Die beiden Mädchen umarmten einander zärtlich und schieden. Annette verließ daS HauS und trat langsam, sinnend ihren eimweg an. So schwer auch die Erinnerung an ihren ater und an ihre eigene Kümmerniß aus ihr lastete, so hatte doch Jane'« befremdende Art und Weise, so ruhig, so ernst und seltsam, einen tiefen, beunruhigenden Eindruck aus sie gemacht» und ihre Gedanken kehrten immer wieder und wieder zu dem kleinen Päcktcken in ihrer Hand zurück. Es enthielt dem Gefühle nach ein kleines Schächtelcken, und sie sagte sich, daß cS etwas von unendlichem Wcrthe für die Freundin bergen müsse. Je mebr sie sich aber in Gedanken damit beschäftigte, desto mehr drängte sich ihr die Besürcktung auf, daß in ihren eigenen unsichere» Verhältnissen, über welche sie nicht Herr war, irgend etwas liegen möge, das sie bindere, dem ihr ertheilten und unter so festen Zusicherungen von ibr übernommenen Austrage auch pünktlick nachzukommen. Ihre ganze Lage war zur Zeit eine so allen Haltes entbehrende, daß sie keinen Augenblick sicher sein durste, welche Wendung die Dinge nehmen würden, und mehr und mebrsckrak sie ängstlick davor zurück, die Ausrichtung ihrer Botschaft auf den un gewissen Moment eines zufälligen Zusammenseins mit Falconcr zu versckieben. ES schien ihr das einzig Richtige, de» Auftrag gleich jetzt zu erfüllen, »och ehe sie nach Hause zurllckkekrte. und da ihr Heimweg sie überdies in der Nähe von Old Hall vorübcrsührte, änderte sie kurz entschlossen die Richtung ihres PsadeS und suchte, ihren Schritt eifrig beschleunigend, daS alle Herrciibaus aus. Der Zufall begünstigte sie. Die erste Person, welche sie erblickie, als sie sich dem Hause durch den Garten näherte, war Falconcr selbst, der langsam auf der nach dem Garten binaus gelegenen Terrasse auf und abschritt. Er bemerkte ibr Kommen, erkannte sie und kam ibr die Stufen der Terrasse berab entgegen. Seine Miene drückte Ueberrascknng und Erwartung a»S; er batte Markdam'S Mitthcilung gehört und brachte Annette'« Komme» in Verbindung damit. „Sie hier, Miß Annette?" sagte er warm, ihr freundlich die Hand reichend. „Ich komme in fremdem Aufträge, Mr. Falconcr!" ent- gegnete sie hastig. „Ich habe einen Auftrag an Sie auS- zurichten, der, wie ich glaube, von großer Wichtigkeit ist. Miß Jane Brown im Hause Sam Brown « unten im Dorf gab mir dieses Päcktchcn mit der Bitte, es Ihnen ein zuhändigen." „Miß Jane Brown?" rief Falconcr stutzend. Eifrig ergriff er das Päcktcken und riß da« Couvert ans. Er fand darin ei» in Parier eingcbülltcS und versiegeltes Sckächtelcken, mit ein Blatt Papier darum geschlagen, daS einige Zeilen trug, die Falconcr mit höchstem Befremden la«. Sie lauteten: „Verhältnisse, die eingetteten sind, nöthigen mich, England sür immer zu verlassen. Leben Sie Wohl, Mr. Thrale! Ich lege daS beigefügte Päcktchen in Ihre Hände, eS enthält etwas von großer Wichtigkeit — wollen Sie die Güte haben eS sür mich auszubewahrcn? Sollte» Sie jedoch, gleichviel zu welcher Zeit, vom Falle meines Todes hören, so bitte, öffnen Sie das Päcktchen, nehmen von dem Inhalt Kcn»Iniß und bandeln bezüglich desselben ganz nach Ihrem Ermessen." Falconcr durchflog daS Schreiben und durchflog eS noch einmal mit betroffenem, nach Aufklärung suchendem Blick. „Noch einen Moment, Miß Annette", bat er bestürzt, als er sah, daß diese ihm zum Abschied die Hand reichte und sich entfernen wollte: „noch eine» kurzen Moment! Der Inhalt dieser Botschaft setzt mich in Erstaunen. Ich bin Ihnen schon mehrfach zu Dank verpflichtet sür Ihre Be mühungen uni mich. Seien Sie auch jetzt freundlich gegen mich und sagen mir Näheres. Hat Ihnen Jane Brown irgend welche Mittheilung bezüglich dieses PäcktckcnS gemacht?" „Keine. Indeß", — fügte Annette »ach einer Panse zögernd hinzu, „war ihr Wesen dabei ein cigenthümlichcs ernste-, mich befremdendes —" „Wollen Sie mir sagen, Annette, ob Sie mit Miß Brown vertraut genug stehen, um ihr die Angelegenheit mitgetbeilt zu haben, von welcher Sic mir durch Markhain Kenntniß geben ließen?" Annette erbleichte und erröthcte. „Ja", entgegnetc sic leise und gepreßt. „Wir sieben so vertraut mit einander und ich habe ihr Mitthcilung davon gemacht." „Haben Sie Dank, Miß Annettes" sagte er im Ton rascher Entschlosienbeit; „ick glaube, Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen. Und verzeihen Sie mir, wenn ich -cie jetzt verlasse. Mir ist, als sei bier keine Zeit zu verlieren, ich muß handeln! Leben Sie wohl!" Sie tauschlen einen hastigen Händedruck aus und Falconcr eilte in daS HanS zurück, indeß Annette ihren Heimweg antrat. Während der ganzen Unterredung Beider mit einander batte sich daS spähende Gesicht Mr. Simpson- verstohlen erst an dem einen und dann an einem anderen Fenster des Herrenhauses gezeigt. XXVII. Sobald Annette sic verlassen batte, begab sich Jane aus ibr Zimmer und tras ihre wenigen letzten Vorbereitungen. Was geschehen mußte, geschehe am besten bald, sagte sic sich. Sie war sehr bleich und vermied eS scheu, ihren Blick aus den Spiegel fallen zu lassen. „Der Himmel helfe mir und gebe mir Mulh und Stärke!" murmelte sie. Sie bedurfte deS MutbeS und der Stärke, denn ihr Herz hing am Leben und sie fürchtete den Tod. Sie war jung, und diese Welt von der sie scheiden sollte, enthielt für sie daS Antlitz, auf das zu blicken, ihr höchstes Glück war; sie würde mit Freude» ihr Dasein getragen haben um der einzige» Chance willen, vv» Zeit zu Zeit dcö Anblicke- dieser «heueren Züge lheilhaslig zu werden. Jane Halle von ihrer Kindheit her gelernt, keine überschwengliche» Hoffnungen an daS Leben zu knüpfe» und keine zu großen Erwartungen von den Freuden desselben zu hegen; allein sie hing an dieser Welt und an dem, waS sic liebte, mit der ganzen Kraft eines natürlichen, unverdorbene» jungen GemütbcS und batte den Bitterkeiten, die sie ibr gekrackt, zu sehr »>it der gesunden, »lulhigc» Elastieität eines solchen widerstanden, um fähig zu sei», sie ohne Schmerz und schweren inneren Kamps von sich zu werfen. Es Ware» wenige Vorbereitungen zu treffen. Sic ordnete Einiges in ibrc» Papieren, schrieb einige kurze Briefchen, die sic in ihr Pult verschloß, und niacklc eine sehr cinsacke, aber sorgsame Toilette. Dan» öffnete sie die Fenster ihres Ziniiner- ckenS, ließ Sonnenschein und milde Soninierliift voll herein- strömen »nd pflückte einige frübzcitige Blume», die a» ihrem Fenster emxorrankte» »nd welche sie, zu einem Strauße ver einigt, in einem Glase auf die Mitte deS Tisches in das goldene Sonneiilicht »icdersctzte. „Ick möchte so gern, daß Alles hier so reckt traut und freundlich blickt, wenn die arme MrS. Brown daS Zimmer siebt .... und auch wenn ich — wen» ich nach Hause zu« rückkchre!" sagte sie mit webmütbigem Lackeln. Als sie ihre kleinen Vorbereitungen beendet hatte, verließ sie das Ha»S, einsam, ohne ein Adieu an Jemand, da MrS. Brown nickl zugegen war, und scklug die Richtung ein, in welcher sie neulich an jenen schönen stillen See im Walde gelangt war. Langsam wandelte sie dahin, die Augen vor sich aus den Boden gebettet, wie im Traumleben. Sie bcmütbc sich, ihren Geist aus Werke großer Dichter z» cciicentriren. die sie ge lesen, um ihn von den abznlenken, was vor ibr lag! sie sagte in Gedanken Gedichte vor sick der, die sie auswendig wußte, wie Jemand, der im Schlafe Vergessenbeil zu finden sucht; allein, die Aufgabe war zu schwer. Es war ihr. als schnitte eine unsichtbare Hand den Faden ihrer Gedanken ab und
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