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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941002029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-10
- Tag1894-10-02
- Monat1894-10
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Deshalb scheint man an berufener Stelle sich ent schlossen zu haben, einen ausführlichen unv ungeschminkten Bericht zu veröffentlichen; jedenfalls darf man annebinen, daß di« nachfolgende Darstellung der „Kreuzzritung" von genau unlerrichteler Seite herrührt: .Aus Befehl Sr. Maj. deß Kaiser- und Königs ist in der Nacht zum Sonntag, 30. September, der gcsammle ältere Jahrgang der hiesigen Oberseuerwerker-Schule — l83 Sergeanten unv Unterofsiciere — wegen Insubordination io Unter,uchungSbast genommen und durch Sonderzug nach der Festuua Magdeburg gebracht worden. Diese Masten - Verbauung ist auf Achtungsverletzung vor versammelter Mannschaft und aus AuSruse revolutio nären Inhalt» in der Easerne zurück;usühren, die in sonderheit im Laufe des 22. September zu Lage traten. In der Oberseuerwerker - Schule, Invalidenstraße 55» (die vor wenigen Jahren ibr 75jäbrigeS Jubiläum beging), werden bekanntlich Unterofficierc aus dem ganzen Heere zu Ober- seucrwcrkern ausgebildet. Der Cursus dauert zwei Jahre. Die betreffenden Unterofsiciere beliebten sich in Nachahmung studentischer Sitten zu verschiedenen „Eorporationen" — so zu einem „Garde-CorpS", zu einem „Marine-EorpS" u. s. w. — zusammenzuschlceßen und mehrfach zu commersiren. In diesem Talmi-Studententhum ist auch der innere Grund für die Lockerung der persönlichen Pflichtaus- fasiung der Unterofficierc und für die sich allmählich steigernde AuSarlung zu suchen. Der Gesammt-Eharaktcr der angehenden Oberseuerwerker balle sich aber im Ver gleich zu der Zeit der Begründung und der ersten Jahre der cschule erbeblich geändert, und so »ahm das ursprünglich auf einer gebildeteren Basis aufzebaute freiere Verhalten einen etwa« ungezügelten Zustand an, der die Einführung einer strafferen DcSciplin ganz von selbst zur Folge Halle. Im August war für die Halste der Mannschaften ein Eursu» beendet und eS verblieben l83 Unterofsiciere, die erst daS erste Jahr de» Unterricht» vollendet hatten; zu ihnen traten un gefähr ebenso viele neue Schüler. Gleichzeitig trat ein Wechsel im Direktorate ein: MajorFrhr. v. Stetten vom Garbe-Fuß- Artillerie-Regiment wurde Director. Derselbe benierkte eine ge lockerte Diöciplin, die sich in gewisser Achtungüvcrletzuiig gegen Officiere durch die älteren Unlerosficiere kund gab. So hörte er wiederholt Brummen im Gliede, Räuspern, Husten u. A. Durch Enuabnnngen und einsache DiSciplinarstrafen versuchte der Director die Schüler zur Einsicht und zu strammerer inilitairischer Pflichterfüllung zu bringen. Die älteren Oberseuerwerker, denen man in gewissen Blättern so gern eine „höhere Bildung" nacdrühml, beachteten diese Winke indessen nicht und bewiesen gerade dadurch, daß sie keineswegs im Besitze einer .böhrren Bildung" seien. Dazu kamen MißheUigkeiten zwischen den Schülern und dem Oekonomen der Oberseuerwerker-Schule, die zu Unrrlaubtbciten der erstereu führten und einigen von ihnen DiSciplinarstrafen eiotrugcn. Der Lärm sowohl in der llnterofficier-Speiseanstalt, wie in den Zimmmcrn der älteren Leute gestaltete sich ungeachtet wiederholter Mahnungen oft zu slörcndstem Getobe und ganz uugebübrlichem Treiben. Der die Aufsicht führende Unterofficier, rer „Speisenieister", wurde, da er Lein Lärmen nicht genügend vorzubeugen wußte, be straft. Wie weit die Ungebühr der alteren Unlerosficiere ging, bezeugt folgende Thatsache: Eine» Morgen- wurde von einer Ordonnanz gesehen und an maßgebender Stelle ge meldet, daß das äußere Fensterbrett einer Unlerosficierstube in häßlicher Weise unflälhig beschmutzt war; aus der be treffende» Stube hat man diese ordinäre Thal nicht be merkt, auch ist der Thäter nicht bekannt geworden. Die auf jener Stube wohnenden fünf Unlerosficiere wurden deshalb zum Palrouillegehen wäbrenv niedrerer Nächte besohlen; ,eder Unterofficier Halle dabei nur etwa l>', Stunden Patrouillenganz; eS war daS also keine Harle Strafe. Der Director Major Frhr. v. Stetten wurde den Schülern bei Wabrung einer strafferen DiSciplin durchaus gerecht. So sprach er vor wenigen Wochen der zur Auf nahme inl Gelände bei Waren in Mecklenburg befindlichen einen Hälfte Ler -Acren UnterosficierS-Mannschaft nach Schluß der llebungen über ibrc Leistungen und über ibre treffliche militairisckc Haltung seine Anerkennung und Gcnugtbuung an« und gab dabei der Hoffnung Ausdruck, daß sie aus ibre in Berlin weilenden älteren Kameraden einen ini gleichen Sinne fördernden Einfluß au-üben möchten; denn leider lasse deren Haltung zu wünschen übrig. Wiederholt betonte Freiherr v. Stetten, daß eS ihm kein Vergnügen mache, Unterofsiciere zu bestrafen; aber es müsse doch jeder Verständige einseben, daß bei etwaigen Vorkommnissen eine strenge Strafe schließ lich nicht auSbleiben könne. Am 22. September, bald nach 5 Ubr Nachmittags, wollte der Premier-Lieutenant v. W. die vorschriftsmäßige Revision der Stuben vornehmen. Als er sich über den Hof nach Easerne I (jener der älteren Unterofsiciere, zunächst der Ulanen-Easerne) begab, erscholl von einem Fenster derselben der Ruf: .Revision kommt!" Unmitleldar daraus brach auf alle» Stuben der Easerne l der älteren Unterofsiciere ein bestigeS Gejohle loS, dazu Pfeifen, Getrommel auf den Tischen, Schlagen mit Stühlen auf die Tische und gegen die Thüren. Schreien und dazwischen der immer sich wiederholende, wir böbnische Ruf: .Revision!" Nach vollzogener Revision begab Premier-Lieutenant v. W. sich in die Easerne der jüngeren Schüler und bemerkte dabei, wie di« alten Schüler sich an den Fenstern ihrer Easerne I drängten. Kaum war Premier- Lieutenant v. W. in die Thür der Easerne II (der neuen Schüler) getreten, da brachen die alten Schüler in rin lärmendes Getobe, Pfeifen, Johlen und Hurrahrusen au«, auch i» hämische« Lachen. Premier-Lieutenant v. W. drehte sofort um; aber in demselben Augenblick zogen sich jene älteren Unterofsiciere zurück. Wer wußte sich jemals eine« so unverschämten und dreisten GebahrenS allerer, den jüngeren doch als Vorbild dienen sollender Mannschaft zu erinnern? Am Abend desselben Tage» (22. September) hörte nun der Director der Oberseuerwerker - Schule, Major Frhr. v. Stetten, von seiner Wohnung au» im Lehrgebäude «inen solchen Lärm im Casernement, daß er sich bald nach lt Uhr über die Haupttreppe binab nach der Unterofficier- Speiseanstalt begab. Der Lärm kam aus Easerne l (immer jener der älteren Leut«), vom Hofe davor und von der Stelle vor dem Unterossicier-Casino. Gerade in dieser Nacht mußten jene fünf Unterosficiere (aus Anlaß der vor- erwäbnten unfläthigen Verunreinigung de- Fenster- ihrer Stube) Patrouilleur-Posten gehen. ES erschollen höhnische Ruse: Patrouillrnposten 2, Ablösung Nr. l und ähnliche dreiste Rufe. Unterosficiere auf dem Hose ließen die Säbel schleppen, schrieen und machten allerlei Lärm. Der Director traf vor dem Unterossicier-Casino mehrere Unterosficiere in lauter Unterhaltung an; aus seine Anrede, was sie da noch zu thun hätten, suchten einige in ganz respectwidriger Haltung wegzulaufen, während dir anderen sich nicht- weniger als pflichtmäßig geberdeten. Major v. Stetten sah sich zu ernstesten Drohungen veranlaßt und gab einem dienslthuenden Oberseuerwerker den Befehl, die Namen der anwesenden Unterosficiere sestzustellen. Einige versuchten, sich hinter den geöffnete» Flügeln der Tbür de» Unterofficier-EasinoS zu verstecken; erst aus energischen Befehl und Drohung mit dem Säbel kam von dort ein Unterofficier L. vom Fuß Artillerie-Regiment Nr. 30 hervor und stellte sich frech vor den Director bin. Der diensttbucnde Oberseuerwerker fragte ibn nach seinem Namen; er antwortete in achtungSwidrigcm Tone: „Unterofficier Lange vom Feld-Artillerie-Regiment Nr. 30: Ich habe längst meine Ablösung gewünscht!" — Während die anderen Unterosficiere ihre Namen in vorschriftsmäßiger Haltung angaben, sagte der Unterofficier B. vom Fuß-Artillerie- Regimenl G -F.-M. in höchst ungebührlichem Tone mit dreister Summe: „Ich heiße Unterossicicr Brand vomFuß- Artillerie-Regiment Nr. 3 und bitte um meine Ablösung!" Dem Befehle des Major», .wegzutreten", wurde Folge geleistet. Auf der Wache börte man surchtbaren Lärm an der Easerne. Anscheinend wurde aus Tischen und Fußboden mit Fäusten und Füßen getrampelt, dazu erscholl Wüste- Gebrüll und au» einem Fenster in den Hof der Ruf: . E» lebe die Anarchie". Eine Anzahl Ordonnanzen wurden geweckt und eine mit einem Gewehr nebst scharfen Patronen ausgerüstet. Inzwischen wurde gemeldet, daß derUnterofsicier Lange au« der Wache entwichen sei. AIS der Director nunmehr mit 3 Unter- osficieren und 12 Ordonnanzen die Stuben, au» denen der Lärm gehört worden war, adging, war Alle« ruhig, die In sassen lagen auSgczogen in den Betten und schiene» zu schlafen. Wer den Ruf auSgestoßcn batte, konnte zunächst nickt er mittelt werden. Da Alle« auch fernerhin ruhig blieb, wurden die Ordonnanzen wieder entlassen. Unterofficier Lange hat sich freiwillig gestellt und ist in da» UntersuckungS- gesängniß gebracht worden, ebenso der Unterossicicr Brand. Am anderen Tage und an den folgenden dal der Major Frhr. v. Stetten an die Schüler eine Ansprache gehalten und sie wiederholt ausgesordert, doch über dir Vorgänge zu berichten, e» sei doch ihre Ehrenpflicht, dir Sache Nar zu stellen. Nur ein Unterofficier war sich seiner Pflicht bewußt und erstattete nähere Meldungen. ES wurde schließlich sest- aestellt, daß der verhaftete Unterofficier Brand vom Fuß- Artillerie-Regiment Generalseldzeugmeister den Ruf »Hoch lebe die Anarchie!" auSgestoßen habe; ja er habe auch noch writer gerufen: „Die Fr ei heit,Gleichheit, Brüder lichkeit!" Der Director der Oberfeurrwerker-Schule machte die be treffenden Meldungen au die köderen Instanzen, und darauf ist die Verhaftung der 183 älteren Unterofsiciere erfolgt. Ueber die Verhaftung selbst ist von hiesigen Blättern zu treffend berichtet: Gegen t Uhr Nackt» wurde da» 2. Bataillon de» 4. Garde- Regiment» z. F., dessen Easerne nicht weit von der Ober- seuerwerkerschule liegt, durch den RegimrntSadjutantrn alarmirt. Al» da» Bataillon angrtreten war, wurde e» mit scharfen Patronen versehen. Unter dem Commando eine« Major» rückte die Mannschaft in größter Stille nach der Oberfeuerwerker-Sckule ab. Nach der Ankunft dort be setzten sie all« AuSgäage de» umfangreichen Grundstück», so daß e» vollstäudig von einer Postenkette eingeschtoffen war. Wäbrenv diese Maßnahmen getroffen wurde«, lagen die Schüler der Oberfeuerwerkerschulr im tiefen Schlafe. Al» die Ausstellung beende« war, erstattete der commandirende Osficier dem Director der Schule Meldung. Dieser ließ sofort die Oberseuerwerker» schule alarmire» und aus den Mannschaftsstube« den Sergeanten und Uoterosficieren de» älteren Jahrgang» mitthrilrn, daß sic im Tuchanzugc ohne Seitengewehr aus dem Hose antrete» sollten. Al» sie daselbst erschienen waren, wurde die Mann schaftsliste verlesen^ eS sehlten zuerst drei Mann, die sich jebrä, nachträglich zur «stelle meldeten. Al» die Zahl der A» wesenden genau sestgestcllt war, hielt der Director der Schule, Major v Stetten, etwa folgende Anrede: „Sie haben sict, von diesem Augenblick an al» UntersuchungSge- jangcne zu betrachten. Wer sich denTranSpor teuren widcrsetzt, den treffen die bekannten schweren Folgen." Die Transporteure, die da» Seitengewehr ausgc- pstanzt hatte», nahmen hiernach dieArrestantcn in die Mitte und geleiteten sie »ach dem Potsdamer Güterbahnhof, wo ei» Sonderzng bereit stand. Derselbe wurde sofort von de» Verbasteten und ihren Begleitern bestiegen; die Letztere» batten den strengsten Befehl, mit keinem Verhafteten ein Wort zu wechseln. — Um 3 Uhr Morgens setzte sich der Extrazug in Bewegung und lanatc gegen 4»/» Uhr in Mazde bürg an. Dort wurden die Arrestanten von zwei Com pagnien der Magdeburger Garnison in Empfang genommen und nach der Citadclle übergesührt. Tie angcstcllten Untersuchungen dürsten nur etwa ein knappes Viertel der Gcsammtzahl mehr oder minder schwer belasten. Die übrigen sind wohl nur „mit gegangen"." Wir schließen an diese Darstellung die folgende Auslastung unseres Berliner O.H.-Eorrespo»de»ten: „Tic Verhaftung der 183 Oberseuerwerker und die Ueber- führung derselben in der Nacht zum Sonntag mittelst Extra zuge» nach der Eitadelle von Magdeburg bildet selbstverständ lich da» Tagesgespräch. Wenn c« sich auch bei dieser Verhaftung nicht um socialcemokraliscbc oder gar anarchistische Umtriebe bandelt, sc darf man doch dir Sache nickt zu leicht nebmen. Man muß eben bedenken, daß zur Oje; sruerwerkcrschulc nur solche Uiitcrossiciere der Artillerie Regimenter commaiidirt werden, welche die vorzüglichsten Zeugnisse baden, und diese Unlerosficiere haben DiSciplin- losigkciten begangen, die in der preußischen Armee ganz unerhört waren. Betrunken kamen die Uotcr- ossicierr nach der Easerne, sie lärmten und tobten ' in ihren Stuben, äfften studentischen Einrichtungen nach und benahmen sich gegen ihre Lehrer — altere nnd kenntnißreickc Prrmierlieutenant» der Feltartillerie-Regimenter — wie Studenten gegen einen »»ßliedigen Professor. Eine solche Respektlosigkeit steht in den Annalen der preußischen Militair- DiSciplin einzig da. Und diese widerspenstigen Unterofsiciere wollen FeuerwerkSofsicierr werden; sic wollen die hervor ragrndstcn Stellen ,n den technischen Instituten (Feuerwerks Laboratorium, Artillerie EonstructionSbureau, Geschoßsadril. Geschütz-Gießerei u. s. w.) bekleiden; wa» sollen die Dircctoreu der Institute mit solchen Leuten machen? Man täusche sich darüber nicht, das Milieu, das diese Kcuerwerks- schule hier in Berlin »mgicbt, ist das denkbar ungesundeste; die Luft ist mit Widerspruck-bacillen er füllt , die Feuerwerker sebcn, wie in einem vornehmen Theater von mit Brillanten besäten eleganten Damen, von dem äußer lich distinguirtesten Herrrn-Publicum die wüthcndsten Angriffe gegen den Staat beklatscht werden, der SocialiSmu» gefeiert wird. Und wenn der Schüler der Oderseuerwerkerschulc auch nicht mit socialistischen Ideen erfüllt wird, so wird in idm doch langsam ein bedenklicher Geist de» Widerspruch» grcß gezogen. Daß unter diesen Umständen an eine Verlegung der Schule gedacht wird, ist selbstverständlich; jedenfalls wird Alle» gctban werden, um solche Zustände, wie sie sich in der Oberfeuerwerkerschule gezeigt, in Zukunft unmöglich zu macken." Der Vorfall steht übrigen» nicht völlig vereinzelt da. Eia Berichterstatter, der au» polizeilichen Quelle» Feuillcton. Der goldene Mittelweg. 161 Roman von Erich Rott. Rechttuck »irbotea. (Fortsetzung.) „WaS Felix anbetrifft, so wirst Du alle Hebel in Be wegung setzen» daß er als Genosse des Prinzen am Hose verbleibt", siel Frau von Thumar im Tone schärfster Ironie ein. „Spiele doch nicht immer Komödie, Mensch! Du weißt eS doch so gut wie ich, daß e» der letzte schwanke Strohhalm ist, an welchen wir unsere Hoffnung angeklammert baden, au» unjerem Jungen einmal etwa» werden zu lassen. WaS soll denn werden, wenn ihm der Laufpaß ertheilt wird? Hast Du die Mittel an der Hand, »m ihn studirra oder sooft eine Earrivre einschlagen zu lassen, die ihren Mann nährt?" Der Baron lächelte überlegen. „Ich glaube, daß un» di« launische Glücksgöttin noch einmal wiult, meine Liebe", ver setzte er. „Höre mich rubig an und verschone mich mit Deinen gewohnten liebenswürdigen Unterbrechungen . . . Ich habe mir beule rin Pläncken auSgrdacht, über welche» ich mit Bürgermeister Winkler Rücksprache genommen habe", fuhr er fort, nachdem seine Gattin ibm gegenüber Platz genemmen batte und nun, die Hände im Hchooß gefaltet, ibn mit geringschätziger Miene anscka»te. „Der Mann hat für seinen Stand eine große Intelligenz, und trotz seine« hohen Alter» ist er sehr tbalträstiz" „Ibr seid also Gegenfüßler ?" konnte die Baronin, sich nickt enthaltend, boShast einzuschalten. „Und dennoch glaubst Du ibn übertölpeln zu können? Den» ans so Etwa» kommt Deine Absicht doch schließlich kerauS!" Thumar biß sich auf dir Lippen: dann aber, sich gewalt sam zur Rübe zwingend, entwickelte er seiner Gattin dir Pläne, welchen er Wintler gegenüber bereit- am Nachmittag Worte verlieben, aber er fand eine wenig dankbare Zu- dörerin in ibr. „E- mag ja sein, daß da» so gebt, wie Du D>r rindildest", sag,« sie schließlich in sarkastischem Tone, wäkrend sie sich erhob, um da« Zimmer zu verlasse»; „wenn Ihr aber ein solche» „Geschäft" je zusammen macken wollt" — da» Wort Geschäft betont« sie besonder» hämisch —, »dann v«rde ich veranlafsung nehme». Deine» Theilnrhmrr vorher zu ermahnen, aus keinen Fall Dir die Eaffe anzu- vertrauen; e« könnten sich sonst Verwickelungen ergeben, welche mich meine» letzten Zufluchtsorte« beraubten . . . und dem möchte ich einen Riegel vorschieben!" So rauschte sie zum Zimmer hinaus und ließ den Gatten in einem unbeschreiblichen GemüthSzustande, der sich au» Zorn und Beschämung zusammcnsetzte, im Zimmer zurück. Eine lange Weile hindurch hockte Thumar wie gelähmt in seinem Sessel; dann überkam ihn wieder die alte nervöse Erregtheit. Mit einem heiseren Aufschreie schnellte er vom Stuhle empor und schüttelte die beiden Fäuste hinter der Davongegangrnrn. „Wie ick Dick baffe ... wie ich Dich Haffe!" schrie er wobl zu zehn Mal hintereinander. „WaS ich von Dir zu leiden habe. Du böse», abscheuliche» Weib! Die Znchtrutye meine» Leben» bist Du! Daß ich mich fürchten muß mehr al« ein Schulknabc» da» machst Du! Wenn ich Dich nicht fürchten müßte . . . loche Dir, Weib, wehe Dir!" Wieder schüttelte er in ohnmächtigem Grimme die beiden mageren Fäuste; e» dauerte eine lange Weile, bi» er sich auch nur nothdürstig erholt hatte. XIV. Nuten im Gedöste Winkler'» herrschte in den nächsten Tagen eine ungetrübte heitere Stimmung, dir sich besonder» auf den Bürgermeister selbst erstreckte. Diesen hatte die Unterredung mit Thumar offenbar in eine gute Laune ver setzt. Ganz gegen seine Gewohnheit blieb er tagsüber Stunden hindurch träumerisch aus seinem Lehnstuhl neben dem einen Wobustubenscnfier sitzen, schmauchte seine Pfeife und vergaß r» selbst, einen Gang aus die Felder hinau» zu machen, um die dort im Brande der Julisonne Arbeitenden zu be aufsichtigen. Klein Evchen durfte bei solchen Gelegenheiten nicht von seiner Seile weichen; er wußte da» Kind immer an sich zu fesseln, und da« Mädchen, welche» e» am liebsten mit ihm ^u thun hatte, blieb auch recht gern in seiner Nähr. Einmal, al» Frau Barbara gerade in da» Zimmer brrria- trat, batte Winkler sein Enkelkind aus dem Schoß und streichelte ibm da» blonde Haargelock .Sag' 'mal, Evchen", fragte er eben in kosendem Tone, da» Eintreten seiner Frau überdörrnd, .willst Du einmal, wenn Du groß bist, Frau Baronin werdr»? Da» wäre so etwa» für Dich» kleine» Mondscheinpriazrfsrl» de« Großvater» Thaler unter die Leute bringen?' Kopfschüttelnd war seine Gattin nähe, getreten und stemmte nun die rundlichen Arme in die Seite. „Aber so schäm' Dich doch, Alter!" begann sie nun ärgerlich. „Wie kannst Du nur so sündlich zu dem Kinde sprechen! Du hast da» Mädchen gerade schon genug verzogen; jetzt mußt ihm in sein kleine» armselige» Gehirn auch noch solche Possen setzen. Winkler fuhr, wie vom Donner gerührt, herum. „Nuu, wa» ist denn schon wieder?" sagte er, während er betroffen Frau Barbara anschaute. „Dir kann mau doch gar nicht» recht machen! Fahre ich den Duckmäuser, den Erich, mal an, den möchtest Du am liebsten gleich mit Watte einwickcln und in den GlaSsckrank stellen: bin ich gut zu Evchen, weil sie ein so gute» kleine« WeibSvild ist, ist « auch nickt recht; wa» soll ick denn eigentlich noch machen?" „Den Mittelweg sollst Du gehen!" sa^te Frau Barbara, während sie da» schmollend da» Maulcheu verziehende Mädchen, da» recht gut verstand, daß von ihm die Rede war, beim Kinn faßte. „Gelt, Evchen, Du bist so ein kleine» verwöhnte» Kind, und der Großpapa ist daran schuld ?" fragte sie, autmüthig sck^rzend. Aber da schüttelte die Kleine mit großer Entschiedenheit den Kopf. .Nein, Großpapa ist gut", sagte sie mit ihrem kokettesten, verführerischeste» Lächeln» während sie de» schmunzelnden Alten Wangen streichelte .Kinder und Narren sprechen d»r Wadrhrit I" lachte Winkler schadenfroh, während er Evchen einen herzhaften Kuß gab. „Darum braucht man sich aber der Kinder w«»en noch lange nicht znm Narren zu machen l" entgegnet« Frau Barbara schlagfertig. „Da» ist der reine Futterncid von Dir, weil ich da» Evel so lieb Hab !" brummte der Alte gereizt. .Aber deswegen bleibt'- doch wahr: mit den Batzen, dir sie einmal von mir ererbt, kann sie sich auch allenfalls einen Grafen suchen, wenn » aoth thut. Der Baron hat'» ja aach gesagt, sie paßte besser in eia Grafeahau», al» in den BanernbosI" .Dachte ich mir'» doch, daß er Dir f» eine Mücke in« Obr grsrnt bat; grb', Lebrrcht, der Kleinen nur so de» Kopf zu verdrehen! Hab' da« Evchen auch rechtschaffen lieb, aber sie so zu verziehen, wie Du da» thnst, ist eine Sünde!" Der Bauer gab der Schmähenden keine Antwort mehr, sondern nahm die Kleine auf den Arm und ging mit ihr io hochgradig gereizter Stimmung zu« Zimmer diaan». Dann aber, al» er mit brr Kleine» »ater den Bäumen de» Obstgarten» hin» nnd herwandelt«, da kam wieder rin gar verschmitzte» Lachen u« seine Mnndwintrl zum Vorschein. „Wenn Du erst groß bist und Du bleibst so lieb uud gut. wie Du jetzt bist, unv Du mußt ja so bleiben, dann erleben wir noch etwa», wir Zwei, paff' mal aus!" brummte er. Die Kleine blickte voll schelmischen Einverständnisse» ibn an, al- ob sie jede» Wort de» Großvater» verstandeu habe und Willen» sei, ganz nach dem Willen desselben ihr Handeln riazurichte». „Nun bade ich aber etwa» noch ganz besonder» Schöne» für Dich! lachte Winkler, während er mit dem Kinde auf dem Arm nach einer schattigen Stelle de» Garten» ging. „Da sind zwei süße Früchte an einem Ort. die werden meinem kleinen Mondschemprinzeffcrl schmecken!" Dabei zwinkerte er gar schelmisch mit den Augen und blieb gleich daraus vor einer Spalierwand, welche besonder stark den Sonnenstrahlen auSgesctzt war. stehen. Er tog die Blätter auseinander und suckle. „Nun, nun, wo find denn die beiden Pfirsische? Sie waren doch gestern da und müssen dock noch bicr sein", murmelte Winkler. Die Kleine aus seinem Arm machte plötzlich ein be tretene« Gefickt und wurde unrubig. Winkler meinte, sie könne e« nicht erwarten, bis er ibr die Früchte pflücke; er suchte nur um so eifriger und schaute dann gar verdrießlich darein, al» er dieselben nicht fand. Jetzt setzte er die Kleine aus den Boden nieder und suchte von Neuem. „Sacremein", knirschte er ernstlich er bost, „die kann kein Anderer als der Bube, der Erich, ge nascht baden. Erich, Erich!" ries er jetzt mit weitbin schallender Stimme. DaS kleine Evckien hatte sich etwa» vom Großvater rni sernt im Grase niedergrsetzt. jetzt gab ibr zwischen Lachen und Weinen schwebende» Mienrnspiel Kunde davon, daß etwa« in ihrem Innern vor sich ging; sie hob auch schon die Hand, als ob sie Großvater zupfen und diesem etwa» sagen wolle; doch al» sie wahruahm, wir dem fiastrrblickcnden Mann die ZornsSrötbe in da» Gesicht stieg, da schaute sie ängstlich in« Gra» nieder. Der schlanke Bursche kam berbeigeeilt und erschrak sichtbar, als er den Großvater vor dem Spalier stehen sah. „Da bist Du ja!" ries Winkler allsogleich in rauhem, unheilverkündendem Tone. ,Zlink komme einmal her und sage dir Wahrbrit, sonst baue ich Dir alle Knochen entzwei! Wo sind die beiden Pfirsiche geblieben? Wie?" Der Knabe war ganz dicht herangekommen und nun so »riß wie frisch gefallener Schnee im Gesicht. „Wer hat di« beiden Pfirsich« genommen?" rief Winkler
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