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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941004022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894100402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894100402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-10
- Tag1894-10-04
- Monat1894-10
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Tabellarischer und Zisserujag »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe. obne PoslbesorLerung 60.—, mit Postdesorderung 70.—. Annalfmetchtub für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag« 10 Udr. Marge a-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Soun- und Festtag« srilh Uhr. Bet den Filialen und Annadmestellen je eia« Halde Stund« früher. Anzeige» sind stet« an di« Expedit»«» zu richten. Druck und Bering non E. Pol, in Leipzig ^5«8. Donnerstag den 4. Oktober 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. October. Mehrere Blätter kündigen an, daß der vorgestern erfolgte» Rückkehr de« Reichskanzler« nach Berlin die E«1schet»»ug der große» TageSfragcn auf de», Fuße folgen werde. E« bleibt dahingestellt, ob die Diuge einen so raschen Verlauf nehmen werden — die Ankunst de« Kaiser« ist erst für die Mitte des Monat« in Aussicht genommen Viel leicht aber erfährt man aus dem „ReichSanzeiger", aus dessen Nachrichtenwesen die Reich-rcgierung den bestimmenden Ein fluß übt, bald Genaues über die Actionspläue der letzteren. Daß solche nunmehr vorhanden sein müssen, ergiebt sich aus der Geschichte der letzten drei Wochen. Wir legen deshalb, zum Unterschied von der „Germania" und der „Kreis. Ztg", kein Gewicht auf den Ton einer angeblich von einem „Caprivi Officiöseu" berrübrenden Auslassung im „Hamb. Eorr", welcher allerdings an die vor der KönigSberger Rede gegen die preußische Regierung gcsührte Sprache erinnert. In der Sache handelt der Artikel hauptsächlich von der Aendcrnng de« preußischen Berein-geseye«, die nach wie vor als eine der preußischen Gesetzgebung obliegende Ausgabe hingestellt wird; außerdem streift er die Fragen der Berschärsung deS 8- l3ü de« Strafgesetzbuches und der gesetzlichen Bekämpfung de« Bohcottunwescn«. Tie eventuelle Regelung der letzten Materien wird selbstverständlich als eine der Reichsgesetz gebung zufallende aucrkaunt, bei beiden aber läßt cS der an gebliche Ossiciöse dahingestellt, ob cs gelingen werde, brauch bare Maßregeln vorzuschlagen. Was den Bvycottunsug anlaugt, so bandelt e« sich allerdings um eine für die Reichs- gesetzaebung neue und technisch schwierige Frage, daß aber die Negierung möglicherweise außer Stande sein könnte, eine zweckdienliche Verschärfung des 8- l30 deS Strafgesetzbuches (der von der Aufreizung von BevötkerungSclafsen handelt) in Vorschlag zu bringen, wird im Ernst Niemand behaupten wollen. Diese Frage ist „durchdiSeutirt"; ein Versuch, sic zu lösen, ist vor nahezu zwanzig Jahren gescheitert, aber nicht an der Unmöglichkeit, eine brauchbare Fassung zu beantragen, sondern an der Abneigung de« Reichstage«. Nun kann e« ja auch jetzt wieder zu einer ablehnenden Haltung de« Reichs tage« kommen, aber die Umstände gestatten der Regierung nicht, einer solchen Möglichkeit oder auch Wahrscheinlich keit halber aus den thatkräftigen Versuch zu verzichten. Den Angelpunct der Lage bildet da« Engagement de« Kaiser« für die Bekämpfung der Umsturzbestrebuugen. Wird da« kaiserliche Programm durch einen Factor zu Falle gebracht, auf den der Monarch keinen gesetzlichen Ein fluß hat und für den die Regierung keine Verantwortung trägt, so wäre dir« ein bcklagenswerthcr AuSgaug, der aber den Trost nicht vermisse» ließe, daß früher oder später doch geschehen kann, waS geschehen muß. Blieben «der auch die Folgen der kaiserlichen Zusage au«, die herbeizuführeu die Regierung in der Hand hat, so würde eine Erschütterung der höchsten Autorität bewirkt, die berechtigen würde, von den Anhängern einer staatlichen Action zur Begünstigung der Umsturzbestrebungen zu sprechen. In dieser Hinsicht ist unter den maßgebende» verantwortlichen Factorcn jetzt Wohl Uebereinstimmung hergestellt, und deshalb darf auch nicht mehr ein Regierungsmitglied hinter Aus lastungen gesucht werden, welche, wie die de« „Hamb. Corr.", die Zweifel in den Vordergrund stellen und positiv höchstens gegenüber der einem Sinzclstaate zugedachtrn Ausgabe austreten. Der Umstand, daß der Großberzog von Baden, ein im ganzen Reiche ob seiner unermeßlichen Verdienste um da« Ge- sammtvatcrland verehrter Bundesfürst, die kaiserliche Parole in feierlicher Weise zu der seinigen gemacht hat, mußte, wo e« nöthig gewesen sein sollte, die lleberzeugung bestärken, daß eS hier für da« monarchische Ansehen überhaupt einzutreten gilt. Man leistet dem beorderten Tambour einen schlechten Dienst, wenn man andcutct, er zögere, den politischen Generalmarsch zu schlagen. Zu der Menge von unberufenen Ratbgebern» die dem Kaiser und seinen Koben Verbündete» Maßregeln zur Be kämpfung »er rocialdemokratic verschlagen, ha» sich auch der frühere Leiter deS osficiösen Preßburcaus, Gebeimratb Proscffor vr. Constanti» Rößler, gesellt, der in einer so eben erschienene», die „Socialdemokratie" betitelten Schrift die Vorgänger, das Wesen, die Gefährlichkeit und die Mittel zur Abwehr der Socialdemokratie beleuchtet und zu dem Schlüsse gelangt, daß uns nur — Staatsstreich und Dictatur helfen können. Er schreibt: „Soviel ist gewifi: Deutschland kann nicht mit diesen Parteien, sondern muß gegen alle regiert werden. Es giebt allerdings einige Stimmen, die die sogenannte cko ut ckes-Politik empfeülen. Eine Partei soll mit etwas Äeidverschlechlerung, die andere mit etwas Schulverderiniiß erkckdst werden. ES ist der Weg, durch den das heilige römische Reich deutscher Nation traurig zu Grunde gegangen ist. Jeder neue Kaiser mußte eine Wahlcapitulation uuterschreibeu, wodurch die habsüchtige» Theile daS Ganze be- raubten, dis das Ganze nur noch eine ohnmächtige und lächerliche Unsorm war. Diese» Weg dürsen wir nicht wieder betrete». Was die Hoffnung gestattet, aus dieser Zerfahrenheit einen Ausweg zu finden, ist die Tdatsache, daß in den Parteien niemals die Nation ausgeht, lluter den besten und selbstständigsten Geistern, wie anter den unverdorbensten und folgsamsten Schichten giebt es zahlreiche Personen, die sich von dem Parteilebcn entweder sernhalten oder ihm nur ganz oberflächlich angehören. Aus diese Bolkstheile gestützt, kann eine selbstbewußte, ihre« Zieles sichere Staatsgewalt eine Nation aus der grüßten Verwirrung und Zerrissenheit derauSrelten. Die große Ausgabe, die in diesem Augenblick aus der deutschen Staatsgewalt liegt, ist nicht etwa blos die Abwehr der Socialdemokratie. Es handelt sich darum, die Grundlagen der Finanzwirthschast sicher zu stellen und damit die deutsche Macht, z» der wir in der nie verminderten Streit barkeit der Nation ein unübertroffenes Element besitzen, auf feste Füße. Was Crispi mit einem italienische» Parlament gelang, das wird nimmer einem deutschen Kanzler mit einem »ach dem jetzigen Wahlrecht gewählten Reichstag gelingen. Das italienische Volk Hot «in deutliche« Gefühl seiner precären Loge, das dem deuliche» Volke abhanden gekommen ist, nachdem eS die letzten großen Siege gesehen hat. Man hält überdein in Deutschland durch jede friedliche Con- junctur, während Loch di« Lonjuncturen noch lange wechseln, den Frieden für ewig gesichert ... Alte moralischc Schäden und äußere Unsertigleiten hemmen zur Zeit die natürlich« Wirksamkeit der gesunden Kräfte. Ihnen, den gesunden Kräften, sichere Bah» anweisen, kann nur die Dictatur. Mögen Männer aller Bolkstheile von an- gesehenerBcrus-jlellung sich an denKaiser wenden mit der B it te, daß er den B n » des rath veranlaßt, aus 3 Iah re die gesetzgebende Gewalt allein an sich zu nehmen. In diesem Zeitraum kann der Bundesrath mit Hilsc erlesener Kräfte eine Gesetzgebung zu Stande bringen, die dem Nationalleben barmonische und sichere Bahnen gesunder Entwickelung anweist. Es wäre ja denkbar, daß der Bundesrath diese Bollmacht vom Reichstag verlangen könnte, der sie verweigern und dann ausgelöst werden würde. Diesen Weg mag empfehlen, wer die Wädlerinasse des jetzigen Wahl- rechts für klüger und weniger zerfahren hält, «iS die Abgeordneten. Wer dieses Glaubens nicht ist, der wird einen Nachtheil darin sehen, wenn ein großer Schritt zur Heilung mit tastenden und verfehlten Versuche» beginn», und in dem unvermeidlichen Durcheinander viel- artiger Fragen wird er den größten moralischen Nachtheil erblicken." Die „Nal.-Ztg." begnügt sich damit, ihr Erstaunen darüber auszusprcchen, daß ein so geistvoller Mann wie Herr Rößler zu gleicher Zeit so pessimistisch und so optimistisch fei» kann — so pessimistisch, kein anderes Heilmittel für möglich, und so optimistisch, diese« Heilmittel für leicht anwendbar und für wirksam zu halten. Die „Voss. Ztg." erinnert daran, daß einst Rudolf von Bennigsen unter dem Beifall der Nation gerufen hat, „der deutsche Kaiser und der deutsche Reichstag sind an demselben Tag geboren worden!", und giebt der lleberzeugung Ansdruck, daß die Dictatur nichts Anderes wäre, als die sichere Zer störung deS deutschen Reiche« und der Triumpb deS Umsturzes. Auch wir sind dieser lleberzeugung, niöchlcn aber doch der „Voss. Ztg." und ihren GesinnungS- aenoffen zu bedenken geben, daß hauptsächlich die ewige Negation deS Freisinns cS ist, waS Männer wie Rößier aus solche Ideen bringt. Und wenn der Kaiser und seine Koben Verbündeten jemals daran verzweifelten, mit den im Reichstage vertretenen Parteien das Reich vor den schwersten Gefahren zu reiten; wenn sie jemals aus den Ge danken gerietben» es müsse gegen alle Parteien regiert werden: so würde kein Iainmcrgeschrci und kein Protest LeS Freisinns die AuSsübrung dieses Gedankens und seine Folgen abwcnden können, die mit Eenlncrsckiwcre das Gewisse» jener blinden DoctrinLre belasten würde», welche von jeher den nölbigsten Forderungen der verbündeten Regierungen ein starres Nein entgegengesetzt haben. Auf die zwischen Frankreich und England zur Zeit be- stehende, au- dem natürlichen Gegensätze der Interessen beider Staaten hervorgegangene Spannung wirst die unerwartete Einberufung des englischen Ministcrratbe« belleS Lickt. Die englischen Ossiciöse» versichern zwar, daß die Ein berufung mit der Madagaskar-Angelegenheit nicht zusammcn- hänge, daß sie vielmebr erfolgt wäre, weil die britischen Unter- tbanen in Ekina gefährdet seien und deshalb die britischen Streit- kräste in den chinesischen Gewässern verstärkt werde» müßten. Um diesen Grund noch glaubhafter erscheinen zu lassen, wird von London sogar die Meldung verbreitet, England hake Deutsch land, Frankreich und Rußland den Vorschlag zu einem gemeinsamen Vorgehen in den chinesischen VertragSbäscn gemacht. Auch an einem amtlichen Eoinniunignö fehlt eS nicht, das besagt, die Einberufung deS MinisterratbS siebe in keiner Beziehung zu dem gleichzeitig tagenden französischen Ministerrath. Alle solche amtlichen und balbamtlicken Auslassungen können aber die Tdatsache nicht au« der Welt schaffen, daß zwischen den alten Gegnern neuerdings ernste Meinungsverschiedenheiten bestehen. Die Entwicklung der französischen Eolonialpolitik bat dazu geführt. daß die englisch-französischen BerübrungSpuncte. und damit die Streitfragen, ständig sich vermehrten. Im verflossenen Frühjahr bat die „I'olitiguo ,„Inniall;^ elf Puncte auszezadlt, die zur Zeit zwischen Frankreich und England allein in Bezug aufAsrika streitig sind. Abgesehen hiervon, kam eS im vorigen Jahre während des französisch-siamesischen Streite« zu ernsten diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen dem Foreign Office und dem Vertreter der französischen Republik. Leichter war die Einigung in der BeringSmccrfrage. Jetzt ist die Hauplstreitfrage zwischen Frankreich und England, die eayp tische, durch die beabsichtigte Unternehmung der Franzosen in Madagaskar „brennend" geworden. Wir baden schon darauf hinge- wiesen, daß die MadaqaSkarsrage mit der egyptiscken in Zu sammenhang stebt. Die Engländer wollen nicht zugedcn, daß die Franzosen sich in Madagaskar sestsctzen, weil sic durch die Anlage von Flottenstationen auf der Insel den Engländern den allen Seeweg nach Ostindien, der im Kriegs fälle an die Stelle deS unzuverlässigen Snezcanalwege« treten müßte, vollständig verlegen könnten. Anscheinend sind hierüber bereits zahlreiche Berbandlunzen de» früheren sranzösischen Botschafter- in London. DecraiS, mit Lord Kimberley gepflogen worden. England verlangt Sicherheiten dafür, daß seine HandelSintereffcn auf der Insel Madagaskar und seine maritimen Interessen im indischen Lcean durch die kriegerischen Unternehmungen der Franzosen nickt geschädigt und unterbunden werden. Für Frankreich handelt es sich darum, daß durch die von England geforderten Sicherheiten der ganze Kriegözug nach Madagaskar nicht erfolglos »ne überflüssig gemacht werde. DaS ist der Gegenstand der Ver Handlungen, bei denen der französische Botschafter DecraiS siw der Lage so wenig gewachsen gezeigt bat, daß er für „amlsmiire" auSgegeben wurde An seine Stelle ist bekanntlich der frühe: französische Botschafter in Berlin, Senator Baron de Courect. getreten, den inan in Frankreich für den rechten Mann am rechte» Platze hält. Er bade sich, so gebt die Meinung, durcb seine Tbätigkcil als Vorsitzender des Schiedsgerichts in der BeringSmecrsrage als ei» Diplomat erster Ordnung er wiesen und den Beweis erbracht, daß er auch die schwierigste und verworrenste Angelegenheit zum guten Ente zu führen wisse. Tie öffentliche Meinung in England ist, wenn sic u> den von uns schon mitgelhciltcn Auslassungen hervorragende: englischer Blätter richtig zum Ausdruck kommt, vor de: Hand geneigt, an eine friedliche Lösung zu glauben. Auch iu Frankreich scheint die bekannte Bcschwichligungönotc des „Temps" ihren Zweck erfüllt zu haben. Es liegt uns wenigstens folgendes Telegramm vor: * Paris, 4. October. Die Blätter erklären einstimmig, daß keine Veranlassung vorliege, sich wegen der Ziisammenberufung des englische» Minislerrathes zu beunruhigen. Zivischen Frankreich und England bestehe keinerlei Streitpuuet. welcher nicht aus gütlichen! Wege geregelt werden könne. Egyvten allein biete eine Schwierig keit dar, doch sei kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß England seine Verpflichtungen nicht enthalten werde. Der Hinweis aus Egypten trifft obne Zweifel den Kern der englisch-französische» Differenz. Frankreich hat aller- diiigS Grund zu der Bcsürck'lnng, das, da« englische Cablnet den Augenblick, >vo Frankreich >n Madagaskar ein Unter nehmen von größter Tragweite beginnt, benutzen werde, uni auf der Bab» seiner cgvplischc» Politik einen energischen Schritt vorwärts zu machet!. Wenn daS geschähe, würde selbst ein so gewandter Diplomat wie Baron de Eourcel den Ausbruch einer Katastrophe wohl nicht Verbindern kVuncn. In Lpauien baden die Eröffnung einer protestan tischen Kirche zn Madrid und die Weihe eines pro tcstanlischc» Bischof» dein Klerikalismus Gelegenheit gegeben, sich im Glanze gehässigster und herrschtüchtigitcr Unduldsamkeit zu zeigen. Gegen die Eröffnung der -Kirche sandten sämmt liche Bischöfe Spaniens einen Protest a» die Koni giu-Regent in, die ibn der Regierung übergab , diese ließ ihn — unbeanlworlet. Natürlich ist der Grimm der Klerikalen jetzt noch höher gestiegen — wie hoch, ergiebt sich au« der Thatsachc, daß die Regierung die protestantische Kirche Tag und Nacht von der Polizei bewachen läßt! Der eben gewäblte prolcstanlische Bischof wird wobl, wen» die maßlose Hetze der klerikalen Blätter fortdancrt, bald ebcusalls den Schutz der bewaffneten Macht anrnfc» müssen. E« ist kaum glaublich, welche Tonart die ultramontanc Presse ihm gegenüber anschlägt. Die „Union Eatoliea" z. B. schreibt: „Die Bockshirten (so bezeichnet daS Blatt die protestantischen Prälaten) vereinigten sich am gestrigen Tage nebst ihren Böcke:, und Ziege» in der bekannte» Capelle der Calle de la Bcnesiccnei.i und weihten den abtrünnige» und ruchlosen Priester, de» vormaligen Pater Labrera, zum ersten protestantischen Bischof von Madrid- Aicala. Dem Vorgang wohnte» bei der ketzerische Erzbischof Lord Plunket und die protestantischen Bischöfe Charles M. Stock und Thomas I. Weiland, sowie der Pfarrer der englische» Botschaft und Comissare der Freimaurerei, zu der auch der genannte Cabrcra gehört. Die Regierung hatte von dem beabsichtigte» A-l erfahren und zahlreiche Polizeimannschaslen in die Calle de la Bcneficcncia zum Schutz des Bocksvolks beordert. Die liberalen und republikanischen Zeitungen, welche bei den dorligcn gottcs- schänderischen Ceremonie» vertreten waren. und namenl. lich „El Globe" und „El Pais", die bei Ver Beschreibung des erhebenden (!) Vorgangs Thronen der Rührung vergießen, bringen Der goldene Mittelweg. iss Roman von Erich Rott. Nachtruit verboten. (Fortsetzung.) „Ich Wollte, ich könnte immer hier bleiben", flüsterte mit zockenden Lippen der Kleine, während die Augen sich ibm mit Thränen füllten, „ich glaube, ich tauge nicht in die Welt!" „DaS sprichst jetzt so, weil noch der Abschied-Wurm an Deinem Herzen nagt; sei nur erst draußen und habe die ersten tausend Thränen geweint. Wirst Dank wissen Deinem Großvater, daß er Dich dahin geschickt hal", tröstete Forschuer. Der Meinung freilich war Trudel nicht, als sie hinten im Obstgarten von Erich die Mittheilung von seinem beschlossenen Scheiden erhielt. Sie fand lange keinen Laut der Erwide rung, und auch in ihren Augen schimmerten Thränen. „Wirst mich bald vergessen", flüsterte sie mit zuckenden Lippen. „Und nun wird e» doch wahr, wa« Großmutter ge sagt bat: eS wird gar einsam sein, wenn Du fort bist!" „Ach Trudel, ich wünschte, ich könnte immer bei Dir bleiben, und schau, vergessen kann ich Dich nicht, und mag et noch so scdön draußen sein, ick werde immer an den Wald und die Wiesen und die schönen Blumen darauf denken; an die Vöglein, die so schön gesungen haben, und an Dich, Du gute Trudel. Wir haben un« ja immer so gut vertragen und so gerne gehabt!" stammelte der Knabe. „Leine nicht", setzte er mit weicher Stimme hinzu und schlang seinen Arm um ibren, von der Sonne braun ge brannten Nacken, „wenn ich groß bin, komme ich wieder und bringe Dir schöne Sachen mit, und dann wird Alle« wieder gut — danu — ja dann —" Er schwieg, wie überwältigt von der dann zu erwarten- den Au«sicht, vielleicht aber auch, weil ihn die Worte und :»rda«ktn im Stich ließen. Trudel aber war ganz schämig und verlegen geworden. Sie lachte plötzlich und schlug vor, zum Abschied noch einmal nach Hrrzen«lust zu spielen. Da« thaten sie denn auch. Sir tollten im Garten umher, daß dem alten Froschner in der Stube drinnen die Ohren gellten, und er meinte, e» sei doch V»H daß di« Linder nicht alle Tag« Abschied nehmen. Al« eö zum Scheiden ging, weinten Beide viel und schwer und, ohne e« zu wollen, fielen sie sich um den Hal- und weinten von Neuem wieder. Dann, al« Erich schon aus dem Heimwege begriffen war, schaute er sich noch öfter um, und al« er Trudel noch immer unter dem HauStbore der Müble stehen sab, da schnellte er plötzlich noch einmal zu ihr zurück. „Tbu' mir rin« zu Liebe an, wenn ich nicht mehr da bin", flüsterte er mit zuckenden Lippen, „gelt, schaust nach meiner Eltern Gräbern, daß sie Blumen haben zur Sommers zeit, willst Du?" „Ich werde alle Tage dort sein! Dann denk' ich immer an Dich", hauchte das Mädchen. „Vergelt Dir'S Gott tausendmal, liebe Trudel, lebe Wohl!" Bon Neuem schlang er die Arme um da« Mädchen, als weizn er nicht von diesem scheiden könne. Dann ließ er eS aber plötzlich los und stob fliehend in die Nacht hinaus. Den schwersten, lbränenreicksten Abschied aber nahm der Knabe am nächsten Morgen, al« der Knecht schon die beiden Braunen vor daS Korbwägcle spannte, in welchem Erich die Fahrt nach der Kreisstadt mit dem Großvater zurücklegen sollte. Ganz heimlich und unbemerkt hatte sich der Knabe nach dem Kirchhof geschlichen; dort batte er sich zwischen den beiden Grabhügeln niedergekniet, die Hänve über der Brust zusammen- aefaltet und schlicht und einfältig, wie e« ihm gerade in frommer Zuversicht in den Sinn gekommen, gebetet. Da war r« ihm gewesen, als ob die bellen Sonnenstrahlen, welche lickl- flimmernd vom Himmelszelt herab aus die Straße fielen, sich zu einem goldenen Gebild zusammengetban hätten. Wie eine Vision hatte e« den Knaben angekommen. Er batte die Mutter wieder in ihrem festlichen Hochzeil-gcwanv, den Kranz in Len Locken, die Augen aber weit geöffnet und ein milde« verklärte« Lächeln um die Lippen, erblickt. Sie hatte die Hände wie zum Segen erhoben . . . und auch den Vater hatte er an ihrer Seite, lächelnd und ihm zunickend, ge sehen. Da war da« heilige Gelöbniß :o seinem überrollen Herzen aufgestiegen, gm zu sein und gut zu bleiben, Alle« daraa zu setzen, ein wackerer, braver Mensch zu werden. Er hatte sich noch von jedem Hügel ein Ephrublatt ab gebrochen und in die Tasche gesteckt , dann war er, wunder bar getröstet, au« dem GotleSfrieden geschieden, um den Kamf mit dem Schicksal aufzunrhmen. xvn. ,Hrut' ist die Eva zwanzig Iakr'! Herr Gott, wie die Zeit vergeht, «ud «an ist noch ,«mer va, noch zur Noth rüstig und munter. Wa« meinstc. Alte, der Herrgott hat c« doch gut mit uns voraebabt all' unser Leben über." Lebrecht Winkler sagte die-, da er eben zur Tbüre de« Wohnzimmers in dieses trat. Er trug einen hinten im Garten selbst gepflückten, mächtigen Strauß in der Hand und batte da» schwarze Eaminctkäppchen gegen die Brus» gedrückt. Er sab immer noch gar kerngesund und widerstandsfähig aus, der Alte, wenngleich daS Dreivierteljahrbundert, da« nun schon auf seinen Schultern lastete, nicht wirkungslos an ilu» vorübergegangen war. sondern die Glieder ihm noch mehr auSgetrocknet hatte, während die Wangen ganz lcdcrbart ge worden waren und die Hände auch ein ganz klein wenig schon zittern wollten, wenn sie zum Schaffen angriffen, aber der Blick war noch immer der alle feurige, nur milder und ein wenig versöhnlicher schien er geworden zu sein. E« ist eben beim Menschenaltcr genau so wie beim Wein: da« gäbet und braust in der Jugendzeit, da« wirst im ManncSallcr den Gegner schonungslos zu Boden und da« wirkt in alten Iabren so verklärend; c« verzeiht sich gut im grauen Haar. Frau Barbara freilich war zum alten Mütterchen ge worden, sie saß in ibrem Lehnstuhl, batte daS grauseidenc Feirrkleid an und die Tollenhaube mit den breiten, schon ein wenig vergilbten Bändern um da« spitze Kinn gebunden und nickte wehmüthig vor sich hin. „Da» Leben vergeht, und die Ewigkeit kommt immer näher", sagte sie, da« Gebetbuch, in dem sie bi« dahin gelesen, fortlegend, „Du freilich wirst noch einmal so alt, al« Du geworden bist, aber icb, da« weiß der liebe Gott —" „Du redest schon seit zehn Iabren so »nd bereitest Dich aus« Sterben vor", bemerkte Winkler gut gelaunt und fügte gleich daraus binzu, nachdem er zu dem inmitten de« Zimmer« siebenden, mit Festgcsckenken bedeckten und ge- tckmücklcn Eichentisibe gegangen war und Len mitaedracklen Blumenstrauß sorgfältig in ein mit Wasser gefüllte« Gla« gesetzt hatte; „wo nur da« Wcttcrmädrle bleibt? Ist schon ,eit dem frühen Morgen wie au« dem Hofe verschwunven gewesen!" „Ach Mutter", sagte er daun, während e» wie Heller Sonnenschein über srin Gesicht zuckte, „wir sind doch ein paar glückliche Leut'! Freilich, wir baden auch Trübe« durch- machen müssen, und dir ElSdeth, Gott Hab' sie selig, könnte auch bei uu« sein, aber e« kann nicht lauter Jubel und Froh sinn im Leben herrschen. Habe» wir doch dir Eva. Nein, ist da« doch ein herzige«, bildsaobere« Mädel — da bätte ich es ja beinahe vergessen, da» giebt noch eine besondere Freude", unlcrbrach er sich und griff in die Brusttaschc seine« Rocke«. „Da bat mir vorhin der Postbol' einen Brief gegeben, was meinst wohl, von wem der ist?" „Vom Erich!" sagte Frau Barbara begierig, während ihr die Tbränen in die Augen traten; „nein, wie mich da- freut, daS ist ein Feiertag für mich. WaS har er denn ge schrieben der liebe Bub ?" „Da, lies selbst!" antwortete Winkler und reichte ihr den Brief, während er nach den, Schranke ging und da« Brillen suttcral für seine Frau holte. Bedächtig nahm diese die Brille heraus und setzte sic auf. „Lies nur, er bat endlich auch seinen Dickkopf ver gessen und kommt heim. — Ja, ja, guck mich nur so starr an, er will beim und bei uns bleiben", erläuterte Winkler, wabrend er seiner Gattin über die Schnltcr in den Brief schaute; „na, will « Gott, zu einem guten E'iivcrncknien, i.st kann ihn brauchen. Es will nickt mehr reckt fort mit der Arbeit. DaS bissel Hof kann ich ja »och besorgen zur Notb, aber die FabrikSwirtkschaft ist mir über de» Kopf gewachsen: da thut eine junge Kraft »otb, die da« Sägewerk als gelernter Kaufmann zu leiten verstebt." „Gottlob, daß er bcmironiint! Ich bade niuiiner geglaubt, daß ich e« noch erleben werde", ries Fra» Barbara auS und ließ den Brief in den Sckooß nickersinkcn, wabrend sic träumerisch vor sich hinstarrte. „Ich bade sei» Bild ja ost in der Hand gcbabt, daS er nn« vor zwei Iabren aus dem Amerikanischen geschickt bat; aber ich kau» cS »och immer nicht glauben, daß auS dem kleinen li bcu Buben von damals ein so großer Man» mil einem richtige» wirklichen Bollbart geworden sein soll." „Na, der wirk ebenfalls gucken", meinte Winller, der aus- und medcrging und daun vor den: Fenster stellen blieb, spähend durch dessen Scheiben blickend. „Ter reißt die Augen wacker ans, wenn er die Eva seben wirk, dar ist ja ein StaatSmädel geworden . . . Und da kommt sie auch schon!" Er riß den einen Fensterflügel aus und winkte lebhaft» indem er zugleich ries: „Na, wo steckt denn die GeburtStagS- maid? Wir warten auf Dich, wie nicht gescheitst! Nnr herein!" Als sich dann die Thüre auslbat und ein süße« Mägdelcin in das Zimmer wirbelte, so schön, wie ein milder Maientag, mit Angen, in denc» sich der blaue Himmellbozcn wikerspiegcltc, mit Purpurlippen, wie Wald erdbeeren so schwellend, und einen befteren Sonnenschein i» den Zügen, wie ihn da« HimmelSgestirn kaum so leuchtend
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