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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941023022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894102302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894102302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-10
- Tag1894-10-23
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«--«ssPrett K tz« Hnnptexvedttto» oder de» t» Stadt, beztrt „d da, Vororten errichtete» Ao»> ^bestelle« adgetzolt: vier teljä-rlich ^4^0. bei tweiaralioer ttglicher Zaftellung in« Han« -M SchL Durch die Post bezöge» nir Deutfchlaad »ad Oesterreich: vierleliäbrtich S.—. Direkt« tägliche Kreuzbandlendun, in« Anlland: monatlich 7.S0. Dt«Viorgen-Autgobe ericheini »glich '/,? Uyr. di« Abead-Autgab« Wochentag» ä Uhr. Ledarlion und Erpeditiou: Äotzaunr»,afit 8. Die itrvedition ist Wochentag« »»unterbroche» «ebsstiet von srüh 8 bi« «bead« 7 Uhr. Filialen: Ott» Me»*,'« Sorti«. «Alfred Hatznt, Uoiversttatsstraße 1, Loni» Lisch«. Uathariaeastr. I«, vart. und König-Platz2. Abend-Ausgabe. tipMtrTagtblalt Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. NnzcigeN'Prei- di« «gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclameo unter demRedaction«ftrich (4 za- spalte») bO^t, vor de» Familiennachrichte» (S gespalten) 40-^. Größere Schritte» laut unserem Preis, verzeichaist. Tabellarischer und Zissernsatz »ach höherem Tarif. «rtra-veiia-e« (gesalzt), nur mit de« Morq«,,.Ausgabe. ohne Postdtsörlwruag 60.—. mit Postbesvrderuug ^l 70.—. Annatimeschluß für Anzeigen: Lbeud-Au-gabe: Vormittag« lO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag« srüh '/,9 Uhr. Sei den Filialen uad Annabmestelleu je ein« Halde Stund« früher. Utttzeitz«» sind stet« an di« GtzPetztthsn zu richten. Druck und Verlag von >k. Polz in Leipzig 543. Dienstag den 23. Oktober 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Octvber. Al» Tag de» Wiederzusaminentritle» des Reichstag» ist jetzt der 22. November in Aussicht genommen. Ob die Gründe, welche unser Berliner 8H-Eorrespoude»t für eine etwa» frühere Einberufung geltend macht, ausschlaggebend sein werden, muß einstweilen eine offene Frage bleiben. Jedenfalls hat mau kaum jemals einer neuen Reiwstags- fflsion mit so großer Spannung eiitgegenzcscheu. Tiefe Spannung wird »och erhöbt durch die überaus seltsame Weise, wie die „Nordd. Al lg. Ztg." den wichtigsten Ausgaben der verbündeten Regierungen wir der Volksver- tretung verarbeitet. Soeben hat der Kaiser wieder in einer Ansprache au eine Deputation des ostpreußischen Bundes der Landwirthe sei» Vertrauen ausgesprochen, daß rS. wenn alle wohlgesinnten Thcile der Nation sich um ih» schaarten, mög lich sein werde, unser theurcs Vaterland ohne schwere Er schütterungen durch die Kämpfe kindiirchzuführe», welche zersetzende Kräfte uns ausnölhigen. Aehnliche Aus führungen der „Post" bezeichnet nun daS Kanzlerblatt als „reine Milchmädchenpolitik" und meint: Zn Bezug auf den Zusammenschluß der Ordnung-Parteien gegen die Socialdemokralie könnten die Erwartungen nicht niedrig ge nug gespannt werden. Allerdings, wenn s o vvraearbeitet wird, so ist an einen Zusammenschluß kaum zn denken. Der ReichSfinanrreform gicbl das officivff Blatt folgende empfehlende Worte mit aus den Weg: „Und nun auch noch Zersplitterung de« Ziel« und Bcpackung der Ausgabe, die Einsetzung der ganze» Kraft ersordert, mit aller- Hand zwar wünschenswcrihen, aber immerbin wenig populären Nebtn-Desiderien. Will man denn, wen» cs wirklich zu Neu wahlen kommen sollte, die Wahlparole von vornherein ruinirrn? Auch wer wenig zum Mißtrauen veranlagt ist, kann angesichts einer solchen „Taktik", deren Unverstand zum Himmel schreit, aus ganz eigene Erklärungen gerattzen." Wenn diese Bemerkungen nicht wieder Privatleistung der „Nordd. Allgem Ztg." sind, so muß für die beiden größten Ausgaben der bevorstehende» Reickstagsscssion der Eifer im Reichskanzleramt ein äußeöst kühler sein. Die ullramontaue Presse nimmt denn auch als feststehend a». daß Gras Eaprivi wenigstens in Bezug über Maßregeln gegen dir Umslurz- bewegung ganz anders denkt, als Gras Eulenburg, und daß es deshalb dciiinächst zu einer wichtige» Entscheidung kommen werde. So schreibt die „Köln. VolkSztg": „Es erscheint aus di« Dauer nicht gut denkbar, daß Gras Eulenburg und Gras Eaprivi zusammen arbeite». Der Reich«, kanzler ist Maßregel» gegen die Socialdemokralie durchaus nicht abgeneigt, allein er will keinen Weg bejchreiten, der ihn zu einem scharfen Eonfiict mit der Reichstags- Mehrheit führen mußte. Graf Eulendurg und die Mehr heit des Staalsiililiistcriums denkt ander«. Graf Eulenburg und fein« Freunde haben natürlich die Natioualliberalen, die Anhänger des Bundes der Landwirthe und die Bismarckianer für sich. Die ostpreußischen Conservativen haben in Potsdam ein „pater psecavi" gejagt und sind wieder zu Gnaden angenommen ivorden. Es wäre vermessen, die Enlwickelung der Dinge voraus- zusagen, da Alles von Len Entschlüssen Le« Kaisers abhängig ist. Man muß aber mit der Möglichkeit eines Rücktritts de« Grafe» Eaprivi und ieiner Ersetzung durch den Minister- vrasideaten Grafen Euteuburg rechnen. Die Eonservattven 'cheinen an höchster Stelle keinen Zweifel darüber gelassen zu haben, daß sie mit dem Kaiser „durch Tick und Dünn" gehen »nd zu den schärfste» Maßregeln gegen die Socialdemo, kraten zu haben fein werbe», wen» nur Gras Eaprivi beseitigt wird. Sie haben zwar ihre Unterwerfung nicht soriuell an diese Bedingung geknüpft, sondern einfach „aus Gnade und Ungnade" capilulirl(?), aber sie haste», daß aus dieser vom Kaiser so erfreut ausgenommenen Lcmülhiguiig schon die rechten Früchte reisen werden. Tie Einlassung Eaprivi'« würde den schärfsten Kamps gegen die Zociatdeinokratie. die Aus losung de« Reichstages und eine Erfüllung der Wünsche der altpreußische» Eonservative» «?> bedeute». Juiiiicrbin mag es sein, daß da« Staatsmiilislerium sich noch aus einer Mittel linie einigt; dieses ist aber nur möglich, wenn der Kaiser nach dieser Richtung hin seinen Willen unzweideulig kund giebt. Eine Prophezeiung ist vor der Hand nicht angebracht, aber so viel er» fährt man doch schon über die Pläne de- Staatsministeriums, daß ihre Annahme im Reichstage ausgeschlossen ist. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge ist auch nicht anzunehmc», daß eine ander« geartete Zniauimen'eyung de« Reichstage« durch Neuwahlen zu erzwingen iväre. Da» Eartel inaq wieder her- gestellt werden, aber a» eine Eartelmehrheit ist nicht zu denlcn. Die Socialdeiiiokratie Ist schon zu mächtig, um nicht einen bedeut- iamen Factor in der Constellalion der Parteien darzustelle», und daß die Freisinnige Partei vollständig ausgerieben werde» würde, erscheint Loch etwas unwahrscheinlich. Der Kuckuck mag Lader wissen, aus welche Umstände die Berechnung des Grase» Eulenburg sich stützt .... Wir wünschen, daß der Reichskanzler nicht »achgiebt. sonder» es lieber auf seinen Rücktritt ankommen läßt. Daß er sich angsttich an seinen Play klammert, glaube» wir nicht; eher wäre r« zu befürchten, daß er sich überreden ließe. Dadurch würde «sich aber zwischen zwei Stühle letzen, denn die Liebe der ehe. mutigen Carlelbrüder gewinnt er sich doch nicht wieder, und wenn er es auch mit dem Eentrum und de» Freisinnige» verdirb«, so ist er völlig isolirt. Fuhrt Gras Eulenburg de» Reichswagen in den Sumpf, so inog er auch sehen, wie er ihn wieder herausbringt. Nach unserer Ueberzeugung dürste er dem Grasen Eaprivi alsdann sehr bald nachslürze»." Daß die „Nordd. Allgem. Ztg." durck ihre seltsamen Auslassungen solchen Eombinatiöncn einen Anschein von Be rechtigung giebt und solche Ratbschläge für Leu Grafen Eaprivi förmlich befürwortet, scheinen die Hintermänner des BlattcS gar nicht zu abnen. Over sollten sie wirklich darauf vvrbereiten wollen, daß wieder einmal die preußische Regie rung und mit ibr die übrigen, eine energische Aclion gegen den Umsturz verlangenden deutschen Regierungen klein bci- aeben müssen, weil der Herr Reichskanzler sich nicht die Kraft zutraut, mit dem Reichstag: fertig zu werden? Die ersten LitzungStagc de- Reichstage- werden ja darüber Aus schluß geben. Nach dem Au-fall der vorgestrige» belgischen Stick- Wahlen ist schwarz wieder Trumpb. Nack den bisherigen Feststellungen werden in der Kammer lOl Klerikale, l 9 Liberale und 20 Eocialistc» und socialistisch gefärbte Radikale, in, Senat 59 Klerikale und 26 Liberale sitzen, dort ist die schwarze Majorität also um kl (von 93 auf l04), hier um 14 (von 45 aus 59) Köpfe gestiegen. Dieses, aus den unberechenbaren Launen des allgemeinen Stimmrechts hcrvorgegangene Resultat kann nur dadurch erzielt worden sein, daß ein großer Tbeil der Soeialiste», der einpfoklenen Haltung zum Trotz, sich au« Groll gegen die zur Stichwahl stehenden Liberalen entweder der Abstimmung entbalten oder für kaibo- lische Eandidaien gestimmt dal. Bei dcnWablen am 14.Oktober waren z.B. in Brussel inSgesammt für die Katholiken ea. 98 000, für die Liberalen ea. 65 000. für die Socialisten ca. 43 000 Stimmen abgegeben; die beiden letzte» Parteien batten also die Mehrheit und müßten sie auch vorgestern gewonnen habe», wenn die Arbeiter der ihnen ausgcgebenen Parole gefolgt wäre». DaS baden sie aber nicht gethan, weil die ge mäßigten Liberalen auf ihrer Weigerung bcharrten, den Socialisten Zugeständnisse zu macken. — Die belgischen Liberalen haben jahrzehntelang Febler zu büßen; in einem Doktrinarismus, für den es kaum in einem anderen Lande ein Seitenstück gab, ließen sie den KlerikaiiSmuS vermöge der „Freiheit der Kirche", insbeson dere der „Freiheit des Unterrichts", beliebige Eroberungen machen, und gleichzeitig verschlossen sie die Augen hartnäckig den socialen Ausgaben der Zeit. Als die Wable» vom 10. Juni 1878 das liberale Ministerium Fröre Orkan an« Ruder brachten, war man allentbalben von Hoffnung erfüllt. Man er wartete eine Reibe von Reformen, insbesondere die Ausdehnung keS Wahlrechts, die Einsührung des obligatorischen Volksschul- untcrrichis, des persönlichen Heeresdienstes und die Bor legung von Arbeilerschutzgeseyeii, wie sie gerate damals in Deutschland beschlossen und durckgesührt wurden. Vrn alle» diesen Hoffnungen hat daS Ministerium Fröre-Lrban »» einer lecheiäürige» Regierung keine einzige verwirklicht. Namentlich stemmte es sich mit aller Kraft gegen jeden Versuch, den 130 000 privilegirte» Wählern ein,ge neue Wählersckickten hiinuzusüge». Auch »ach dem am 11. Juni 1884 erfolgten Stur; des Ministeriums bat der belgische Liberalismus, in fick gespalten wie nirgends onst, die Zeichen der Zeit nickt zn verstehen gelernt. Er Wirt, wen» er dereinst die Erbschaft der Klerikale» antrelcu will — und dakin kommt cS aller Voraussicht nach doch noch — sich vollständig rcorganisiren müssen; hierfür aber ist cs einerlei, ob seine Minderheit in der Kammer größer oder kleiner ist. Unter den obwaltenden Uiu- länden ist cs andererseits ganz erwünscht, daß die Klerikalen eine Mebrbeit erlangt bade», deren Stärke ihnen gestattet, ungehindert von irgend einer Opposition, zu zeigen, waS sie können. Nacktem sie »m die Welle mit dem belgischen Liberalismus die Socialdemokralie groß gezogen, wird man nun sehen, was sie in der Bekämpfung de« Feindes zu leiste» vermögen, nachdem sie zeitweilig jeder Rücksicht aus die Liberalen enthoben worden. Die Einigkeit der Klerikalen ist nickt weit der; die nächste Folge davon dürste ein öfterer Wechsel im Ministerium sein. Sckoit der gegenwärtige erz- klerikale Ministerpräsident de Burlcl wird, La er nicht wiedcr- gewäblt ist, seinem gemäßigten Vorgänger Beernaert wabr- fchemlich Platz machen müssen. Wenn auch die letzten Bulletins vom Krankenlager des Zaren etwas weniger alarunrcnd lauteten, jo ist dock, leider leine Hoffnung, daß e« den Aerzten gelingen könnte, daS Leben des Kaisers zu erhalten. Ofsici'ösen Mmbeilungen aus Darmstadt und Berlin zufolge scheint die Katastrophe allerdings „nicht in kürzester Zeit" zu erwarten zu sein, allein man hält auch dort, wo man gewiß aus- Genaueste unterrichtet ist, da das Befinden des Kranken ,^>och Alles zu wünschen übrig läßt", eine Genesung nach mcufchlicbein Ermcssen für ausge schlossen. Gerade t» den letzten Stadien der Brigkt'fcben Niercnkrankbrit stelle» sich nickt selten kleine Besserungen ein, die aber nur vorübergehender Natur sind. Aus eine» kurzen Beschreibung der Symptome der fortgeschrittenen Bright'- schen Krankheit kann der Leser selbst entnehmen, was von den „hofsnungSvvllcr" lautenden Meldungen der beiden letzten Tage zu basten ist. Das Herz des von dieser nur in ihren ersten Stadien heilbaren Krankheil Befallenen ist zu schwach, um da- Blut im kleinen un- großen Kreislauf durch die Lungen »nd durch den Körper zu treiben, die dtieren sunctioniren ebensaUS nicht entsprechend. Tie Master- ouSscheidung ist ungenügend und es tritt Anschwellung zuerst in den unteren t^trruiilälen, dann Borschreiten am Unterleib« und am ganzen koiper ein; die Hände, die Finger, die Arme schwellen an, die sogenannt« Wassersucht tritt in die Erscheinung. Tie un- genügende Function des Herzens, seine Schwäche ist schuld, da) das venöse, bläulichrolhe Blut nicht mehr gehörig durch die Lungen getrieben, nicht in den Lungenbläschen genügend mit dein ei», geathuikten Sauerstoff in Verbindung gebracht, von diesem gesättigt und wieder arteriell, wieder irisch roth gemacht wird. Diese Störungen im svgenonnten kleinen Kreislauf verursachen dem Patienten qualvolle Beschwerden: die Alhemnoth, den Lusthunger. Krankt, die vom Lusthunger gequält sind, können nicht schlafen, nur i» kurze» Pause» schlummern, sie hoffen von jeder Aenderung der Lage eine Er.eichterung und finden eine solche aus wenige Minuten, um dann von Neuem wieder vo» irgend einer neuen Aenderung vorübergehende Erleichterung zu erhoffe». Solche Kranke bleiben sehr un gern im Bette tiegen. So lang« sie mit Unterstützung ans de» Beine» sielen, sich bewegen können, suchen sie da- Bett zu ver lasse», und sehr häufig tritt unter den Anstrengungen einer solchen Lagerveräiideruiig ein plötzlicher schmerzloser Tod eia — das ge- »wachte, da« kranke Herz sieht still. Eine solche Krankheit kann auch in ihren Lchlußüadic» üch viele Tage, ja wochenlang hinziebe», aber auch ei» rusches Ende herbeisuhren. fe nachdem da- Herzuv.l vvrgeschrilte» ist und im klebrigen die Organe gesund sind. Kranke, deren Berdaiinngsveriiivgen ei» kräftiges geblieben ist, entwickeln oit lange Widerslaiidsiahigkeil in ihrem schweren, prinvollen Kampfe mit dem verderblichen Leiden. Meist tritt, wenn die Nierenfunctione» >» Folge der Entartung Le« Organ« durch die Bright'sche Krankheit versagen, ci»e eigene Art von Blutvergiftung ein, di« Urämie, welche bald zu einem tobtlichen Ausgang führt. In Petersburg schinückt man indessen die JsaakS-Kathedrale mit Trauer Emblemen sür da« Eintreffen der TodeSkunde und im Hof- und KrieaSministerium hält man schon die Standarte bereit: Zar NicolauS ll. Tie Größenwahnsanatiker des Pariser Gemeinde raths, einer bekauntlich durch und durch soeialrevolutionair veranlagte» Gesellschaft, sind von der Ucberzeugnng durck triingcu, daß, wie Paris, als ville Imitiere, den ersten Rang unter allen Hauptstädten der Welt cinniinmt, so die Pariser Staktväter die erlauchteste Vcrlammluiig aus Erden sind, mit welcher die Regierung der sraiizösiichcn Republik auch nichl einmal annähernd vergliche» werde» kann. Daher empfindet cs der Gcmeinkerath als eine Erniedrigung, daß er Befehle unk Weisungen seitens der Regierung eiiigezennebmcn und ga> »och respcctircu soll, während es dock« uingclehrk, seiner Äu- sicht »ach, allein riastig wäre. Diese Betrachlungsweise kommt insbesondere m Leu Beziehungen der Stadl Paris zu dein Präsecten des SeuiedeparleuientS immer wieder zum Durchbruch und gestaltet das geschäftliche Verhält»»,: zwischen beiden Seilen zu einem buchst unerquicklichen» weil der Präsect keineswegs sicher ist, unter allen Umständen und wenn er noch so fouuenklar im Rechte sich befindet, von der Regierung, welche auf daS Parlament mit seinen starken Pariser Eiusiüsscn Rücksicht nehmen muß, gedeckt zu werten Ein solcher Versuch des Pariser Gemeuidtraths, Regie»um: zu spielen, wird jetzt mit der Asfaire vo» EempuiS gc »tackst, das in letzter Zeit vielgenannte städtische Waisen baus, das unter der Leitung seines seitherigen Tircctors ;n einer richtigen Anstalt sür Züchtung von Anarchisten beider Geschlechter entartet war. Tie Aufdeckung der Mystcric:: von EempuiS und die damit zusaiiimenbängendc Entfern»» des DircetorS Rubin ans kein Amte haben das im Pariser Stadlhauje thronende Jacobinerthum nun suckSwild gemach: und vor einigen Tagen zu emem Vorstoß des Geiueinderalb gegen den Sciiicpräsecten geführt. DaS Verfahren d» Präsecten wird aus das Schärfste getadelt, und was bei de. Sache besonders picanl erscheint, ist die Betbeiligung mehrerer hervorragender VerwastuugSbeaniler an der Tr»io,»slrai:o:. gegen ihren direele» Vorgesetzten, den Präsecten bezw. ceu Uu IerrichiSiniiiister. Ter Pr äffet stellte sich den witcrhaarigeu Pariser Slatlvälern gegenüber aus den allein richtigen Stank puncl, daß er nur auf Weisung dcS Miuisterratl'S und in Uebcrciilsliiiimung mit tciiisclbcn gebandelt habe, und das: er nur der Regierung, nicht aber dem Pariser Gemeinte rath Rechenschaft schuldig sei. Erfreulicher Weise is; diesmal die Regierung entschlossen, nichl »achzugeben DaS Bestreben, de» gouverneinentalen Schivcrpuncl aus dem Einser »ns Hotel de Ville zu legen, würde, daS siebt mau ein, wenn man ihm nicht von.Anfang an »nt unnachgiebiger ü— ui- a.» -v. Feuilleton. Der goldene Mittelweg. 24j Roman von Erich Rott. Stochte»« «rtate». (Fortsetzung.) „ES war ein Verbrechen von Ihnen, daß Sie Ihre liebliche Enkelin an meinen Sohn verkuppelt haben!" sagte Frau von Thumar, während sie unbeirrt den alten Mann narr anblickte. „Da hört doch Alles auf — uun gar ein Verbrechen?" „Ein Verbrechen!" wiederholte die Dame nochmal- mit scharsgellender Stimme. „Sie sind von ungleicher Art und laugen nickt zu einander. Daß ich'- als Mutter über meine Lippen bringen muß, da- thut mir bitter Weh, aber ich muß eS sagen: mein Sohn verdient Ihr« Enkelin gar nick«. Er Kat seine- Vater- wankelmütbigen, schwachen Charakter — und ich kann eS nicht als Glück preisen, daß eS ihm durch sein bestechendes Acußcrc geglückt ist, der Gatte eine- solch liebreizenden, holden, dabei reichen Weibe- zn werden. Ter Rcichtvum Ihrer Enkeltochter schlägt nicht nur ihr, sondern auch ihrem Gatten zum Verderben au-! Mein Sohn hört nicht auf die Stimme der Vernunft — er meint- nicht schleckt, er ist nur schwach und wankelmütbig, aber da« ist »ock schlimmer als zielbcwußte Verderbtheit! Er wird nicht ruhen, bi- auch Ibr Vermögen vergeudet ist — und mag sich « aus Unsummen beziffern — der tiefste Born wird endlich au-gejchöpst!" Winkler starrte sie noch immer kopfschüttelnd an. „DaS begreife, wer - lann!" murmelte er. während er wie schützend zu Evcke» sich niedergebeugt kalte »nd ihr besorgt mit der einen flachen Hand die Schweißtropfen von rer Stirn wischte. „Jetzt soll em reiche« Weib auch gar noch ein Unglück sür einen armen Schlucker bedeuten . . . gelt, Evel, ich dab « gut mit Dir gemeint. Tu solltest eine Baronin werden, sagte ich mir. eine vornehme, gnädige Dame, die überall bewundert »ad respectlN wird . . . und nun soll'« ein Verbrechen sein ... da- ist doch zum Tottlacheu, baba!" „Da- ist « ja eben!" subr Frau von Tdumar unerbittlich fort. „Sie geben vor, Ibr Enkelkind unbeschreiblich zu lieben . . . und dabei geben Sic e« doch dem ersten besten Mann, obne zu prüfen, wa- er eigentlich war . . . nur weil er ew tonend Au-Hanzeschltd zur Schau zu tragen hatte. Noch schlimmer", setzte sie hinzu, „Sie wußten ganz genau, wie viel mein Gatte werth ist, und Sie sind klug genug, um sich sagen zu können, daß ,n der Regel der Apfel nicht weit vom Stamme fällt. Aber da- galt Ihnen Alles gleich; die Enkeltochter sollte und wußte Baronin werden, daS hatten Sie sich nun einmal in den Kops gesetzt . . . und so geschah e« auch — nickt damit Eva glücklich wurde, setzten Sie eS durch, sondern damit Sie der eigenen grenzenloten Eitelkeit röhncn konnten, damit Sic die Backen auszubläben ver mochten und, gespreizt wie ein Pfau, vor Ihren neidischen Nachbarn in Ihrem Dünkel Hern,»zustolzieren vermochten!" „Ein Donnerwetter, Frau Baronin!" knurrte Winkler, während sein Gesicht sich blau färbte. „Da- sagen Sic mir hier vor meinem Evel?" Aber Frau von Thumar lachte schrill auf. „Ich sage Ihnen noch viel mebr!" versetzte sie schroff. „Sie baden diese arme junge Frau gar nicht lieb . . . Der Götze Ihres eigenen Ich« m r«, der sich in Jbrer angebliche» Liebe zu diesem holden Wese» verkörpert! Sie batten sie lieb, weil Sic mit ihr paradiren konnten. Gehen Sie, ick durch schaue Sie . . ., Sic prunken immer mit Ihrer Recht schaffenheit, mit Allem, wa- Sie in Ihrem Leben geschafft und erstrebt baden . . . aber Ihre tönenden Worte stellen nur den Spiegel dar, der Ihre eigene Vortrefflichkcit Ihnen trügerisch offenbart . . . Sie glauben ein ebrsurchtertrotzrndcr Löwe zu sein und sind dock nur ei» gcckenbafter Psan . . . Jbrc Eitelkeit tragen Sie in Ihrem Tdun und Lassen einzig zur Schau, denn Sie sind eitler» als cS nur irgend ein Weib zu sein vermöchte!" „Frau Baronin, Sie thun meinem Großvater Unrecht", meinte Evchen, bittend die eine Hand erhebend. „Schauen Sie nur, wie er zittert und sich verfärbt . . . Großvaterle, nicht bös' sein", wendete sic sich bittend an diesen. „Die Frau Baronin meint - nicht so schlimm ... sie hat mich auf ihre Art auch lieb." Winkler stand eine kleine Weile wie erstarrt; dann atbmete er tief auf. — „Da- soll ein Anderer entscheiden, wie ich « mit meinem Evel mein ", versetzte er gepreßt . . „da sag' ich gar nicht» d'rnm . . . aber da- sag' ich Ihnen in- Gesicht . . nein, ich Hab « nit geglaubt, daß Ihr Tobn eia solcher Lumpaci ist, sonst wär « ander« gekommen! Ick dachte bei mir: der ist gewarnt, der hat'« gesehen. wohin es m,t seinem Vater gefübrt bat. und er wird den Herrgott auf Iden Knien danken, daß ihm noch einmal eine Lebea-zukunst I voll Glanz »ad Xeichthnm «iutt . . aber in Eurem haben Sie recht: e« muß ander- werden von jetzt an . .", setzte er nach minutenlangem Schweigen hinzu, während es zugleich grell in seinen Augen aulflammte. „Zuerst werd' ich 'mal mit Ihrem Mann ausräumen, der das Geldverputzen so wacker versteht . . . und waS dann Dein Mann ist, Evel", wandte er sich an die junge Frau, „der soll auch in sich gehen . . . noch bab' ich die Batzen im eigenen Sack und ich will sie fcsthaltcn ... er soll erst zeigen, wa- an ihm ist . . „Du darfst ihm nicht webe thun, denn, Großvaterle, da- griff mir selbst bis ans Herz!" sichte die junge Frau. „Ich Hab' ihn ja lieb, so ganz unbeschreiblich lieb!" Frau von Ämmar beugte sich plötzlich über die junge Frau nieder und streichelte deren Stirn. — „Sic sind ein gute- Kind!" murmelte sie. „Ach, ich wollte wokl. Sie hätten cS zu Stand' gebracht, Felix aus einen andern Weg zu geleiten. Sein Vater ist sein böser Dämon. Schon wenn der Knabe in den Ferien zu Besuch zu uns kam, brachte ibm sein Vater trotz meines Wehren- die Feinheiten de« Kartenspieles bei. Wenn er ihn geflissentlich an Leib und Seele hätte verderben wollen, er hätte es nicht ander« anfangen können. Ich weiß. Kind", stammelte die so stolze Dame plötzlich, während sie in haltlose Tdräncn au-brach, „Sie wissen gar nicht, mir nachzusüblen, wie mir » im Herzen lebt! . . . Aber ich scbc all das Unglück vorher und ich weiß, daß, wenn nicht ein Wunder geschickt, von Neuem schwere«, gräßliches Verbängniß über un« kommt!" Ihre Stimme brach; sie konnte ihr Schluchzen, da« plötzlich fie bestürmte, nicht länger mehr verbergen. Kopf schüttelnd starrte Winkler sie an; er begriff es nicht, daß diese harte, spröde Fra» wirkliche Thränrn zu weinen ver mochte. Aber ohne e« sich eingesleb«» zu wollen, brannten ibm die Zähren im Herzen, und er verabschiedete sich auf fallend rasch und wortkarg. Al» Winkler die Landstraße hinunterschritt, um nach seinem Sägewerke zu koiiimen, da hörte er plötzlich laute- Geschrei und G«fck»mps. Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte» um nachzusehen, wa« e« da «genttich gebe. Gleich daraus sah er auch schon, um die Ecke biegend, wie der alle Baron, in einem Scibstkutschierwaßra sitzend, im schärfsten Trabe, von einer Staubwolke fast gänzlich verdeckt, nach dem Babnbose fuhr. Aus der Straße selbst befanden sich noch mehrere Personen, die sich lebdast um einen auf dem Boden sich wälzenden Mann drängte». Als Winkler noch näher kam, nahm er betreten wahr, daß der Liegende kein Anderer als der ehemalige Forstheger Wittmer war. Der Mann schic» zu bluten, und einige Arbeiter, sowie Erich waren um ihn beschäftigt, suchten ihn zu beruhigen und auszuhebcu. Nack kurzem Zö-zeru trat Winkler beran. „Was ist den» da geschehe»?" fragte er» seinen Enkel ignorircnk. Einer der Arbeiter lüstete die Kappe ein wenig. „Der Baron war im Vorbeisabren hier. . . und da kam plötzlich hier der Troddel kort binier'm Zaun hervorgestürzt und wollt' den, Gaul in die Zügel falle . . . dabei schrie er wie ein Tbier... der Baron aber hat ihm mit der Peitsch' quer über s Gesicht gefitzt . . . uu» blutet er etwas, sonst ist ihm nix gescheh'n!" Erich war bei dem Klange der Stimme de« Großvater- zusammengezuckt. Höflich batte er den Hut gezogen »nd sich dann tiefer aus den um fick Schlagenden gebeugt. „Kommt zu Euch, Vater", sagte er, „Ibr müßt schön im Garten bleiben . . . kommt, ich sühr' Euch zur Gertrud, die wisck't Euch da- Blut ab!" Seine Stimme schien einen besänftigenden Einsius; aus den Wahnsinnigen auSzuübeu; dessen Wutbansall war plötzlich vorüber, gleichgiltig, mit der hilflosen Haltung eines Kioccs, ließ er sich nach dem bergenden Heim zurücksübreii. Winkler war »»Ile» im Wege stehe» geblieben unk schaute, während ein verächtliche« Lächeln seine Lippen umspielle, dem Wahnsinnigen und dem diese» sorgsam stutzenden Enkel nach. „Vater hat er zu ibm gesagt!" brummte er vor sich hin. „DaS hat er mir nur zum Trotz getha» . . . aber wart', w>r kommen schon »och einmal zusammen . . ." Dabei hieb er mit dem einen Arm sausend durch die Lust. Dann begab sich Winkler, bald den kleinen Zwischen fall völlig vergessend, »ach dem Sägewerk. Dort trat dem Kommenden der Werksübrer entgegen. „Morgen srüb können wir mit Verladen beginnen", berichtete dieser, böslich die Mütze ziehend. „Dir nächste Woche werten un« täglich zwölf Achsen gestellt ... in vier Wochen stcbr dann von dem ganzen Holz nicht- mehr ... es ist auch hohe Zeit", fügte er hinzu, al« Winkler gleicbmiithig dazu mit dem Kopse nickte, „da« Holz ist gar trocken geworden . . . wenn irgend ein Feuer au-bräch', daS gab' ein Verbängniß." „Pah. da brauckt'S keine Angst nit", knurrte Winkler, während er selbstgefällig sich in den Knien wiegte. „Dafür, daß so was nit geschieht, sorgen schon die Wächter »nd der hohe Zaun ring« um da« ganze Werk."
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