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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941204023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894120402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894120402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-04
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Um aber ihr Ansehen als journalistische Gedankenleser nickt ganz einzubüßen, benutzen die Osficiösen das, was bereits alle Welt über die in Aussicht siebenden Vorlage» weiß, um mebr oder minder scharfsinnige Vermuthungen darüber anzustellen, ob die Thronrede diese Vorlagen mit erläuternden, die ganze Richtung des neuesten CurseS charakterisircnden Glossen erwäbnen wird oder nicht. Die meisten der Herren kommen zu ähnlichen Schlüffen, wie der Verfasser der folgenden Zuschrift an den „Hamb. Corr.": „Daß da- Gesetz gegen den Umsturz in den Vordergrund gestellt, daß die Finanzresorm im Zusammenhang mit der Tabaksteuer angekündigt wird, versteht sich von selbst. Politisch wichtig ist aber nickt, daß, sondern wie das geschehen wird. Tie Hauptsache ist doch, in welcher Weise diese Vorlage «„geführt und, mit anderen Worten, ob ihr ein« entscheidende Ledeutung beigelegt oder ob die Abänderung der bestehenden Gesetz, grbung als Object einer Verständigung zwischen Regierung und Reichstag behandelt wird. Durch di« Entstehung und den Inhalt der Vorlage erscheint die erste Eventualität von vorn- derein ausgeschlossen. Man muß auch gespannt sein, ob nicht nur strafgesetzliche Adwehrmittel gegen revolulionaire Bestrebungen, sondern auch Reformen in Aussicht gestellt werden. War den Etat betrifft, so wird ohne Zweifel wiederum betont werde», daß er mit Rücksicht aus die Finanzlage mit äußerster Sparsamkeit ausgestellt set. Bezüglich der Finanzresorm wird ferner die Herstellung eines seslen Verhältnisses zwischen den Finanzen des Reichs und der Cinzetstaalen, bezw. den Matrtcularbeiträgen und den Ueberweisungen, als die zunächst zu listende Aufgabe bezeichnet werden, aber von einer Fest- legung des Antheils der Einzelstaalen an den Einnahmen des Reichs wird in der diesjährigen Thronrede wohl ebensowenig die Rede sein, wie von dem Gesetzentwurf, betreffend die anderweitige Ordnung d«S Finanzwesens des Reichs. Mit besonderem Nachdruck werden dann die weiteren Vortagen, die Novelle zu den Justiz gesehen, die Bekämpfung de« unlauteren Wettbewerbs und endlich die Borseurrsorm augekündigt werden. Der Passus über das Berhäiiniß Deutschlands zum Ausiande wird sicherlich Anlaß Heben. den Thronwechsel in Rußlaad za berühren und die übliche Versicherung, daß die Gesammtlage besrtedigend sei, zu wiederholen. Selbstverständlich wird man Ausschlüsse über den Ministerwechsel ebensowenig zu erwarten habe», wie über das Agrar Programm der Regierung, das ja auch nicht sowohl in den Reichstag als in die Einzellandtage gehört. Das schließt natürlich nicht aus, daß der kritischen Lage der Landwirthschast gedacht und di« Zusicherung gegeben wird, bas Mögliche zur Herbei- sührung einer Besserung zu thun. Alle diese Mittheiiungen und Erklärungen aber werden ihren wirklichen Charakter erst durch die assung der einzelnen Sätze erhalten. An programmatische rllärunaen, wie solche bei der Neubildung von Ministerien in anderen Staaten üblich sind, ist man in Deutschland bisher nicht gewöhnt. Daß dieses Mai eine Ausnahme gemacht werde, was ja an sich in hohem Grade wünschensmerth wäre, ist mehr als un wahrscheinlich." Hoffentlich beweist in der Thal der neueste Cur« durch seine erste Kundgebung, daß bei ihm nicht auch wie bei seinem Vorgänger das Unwahrscheinliche das Bevorzugte ist. Zwei Seelen wohnen nach wie vor in der Brust der CentrumSparlci, wenn es sich um die Besteuerung de« Tabaks handelt. Als gegen Schluß der vorigen Reichs tagssession Abg. Lieber die Fabrikalsteuer nur pro lue et muie ablehnte, wurde von anderen FractionSgenoffen dieser dehnbare» Erklärung ein schroffes, grundsätzliche- Nein ent gegengesetzt. Im Laufe des Sommers aber habe» namentlich bayerische Cciitruiiisleute, vor allen der einflußreiche Abg. Schädler, wiederholt Andeutungen gemacht, daß sic in Sachen der Tabaksteuer mit sich reden lasten würden. Auch jetzt vertritt das führende Blatt der baverisckcn Kleri- ! kalen diesen Standpunct; eS theilt mit, wie eine Tabak steuer ausscben müßte, um von den 3l bayerischen Ab geordneten keS Cenlrums angenommen zu werten. Dann säbrt da« Blatt sort: „Aber die Fabrikatiteucr hätte auch in dieser Gestalt nur dann Aussicht, von den bayerische» EenlrumSmitgliedcrn angenommen zu werde», wenn Bayern Lurch eine schleckte Finanzlage des Reiche« Henotbigt würde, seine dircctcn Steuern zu erhöben." Diese Möglichkeit ist aber sowohl im Reichstage wie auch im bayerischen Landtage sehr nachdrücklich vom Regierungstische bclonl worden. Sehr treffend bemerkt ei» Münchener Correspondcut der „Franks.Ztg ".daß die Steuerpolitik de- banerischcn CentrumS von dem Gruntstandpunct auSgebe: keine Vermehrung der kirecten Steuern in Bayern. Um eine solche abzuwendcn, würde daS bayerische Ecntrum auch den Reichssteuern zugestimmt haben, welche Mittel zur Alimentirung der Einzelstaate» bieten sollten. Ganz ander- die maßgebenden Blätter der norddeutschen CentrumSpartei, die immer wieder erklären, sie schreckten vor einer stärkeren Anziehung der Schraube auf directe Steuern in den Einzel staaten keineswegs zurück, und es wäre am Besten, wen» die Tabaksteuervvrlagc überhaupt nicht zu erwarten wäre. Diese Differenz wird natürlich LaS Ecntrum nickt abbalten, in schönster Einigkeit dem „Auchkatholikcn" Fürsten Hohenlohe das Leben so sauer wie möglich zu machen. Unsere Vermuthung, daß England, nachdem eS vergeblich bei Rnßlauv um Liebe geworben, nun wieder versuchen werde, Drutschlau« in den Dienst seiner Interessen zu stelleu und eS namentlich zu einer anlirussischcn Politik zu ver leiden. wird auch von anderer Seile getbeilt. So warnen die „Hamb. Nachr," vor jeder neuen Intimität mit England und fahren dann fort: Wir können nicht aus die Ansicht verzichten, daß die Sicherheit Teutichlands vor kriegerischen Verwickelungen, abgesehen von seiner eigenen Stärke »nd den allgemeinen Gründen, die gegen Len Krieg sprechen, in der Hauptsache von unserem Verhältnis! zu Rußland, nicht zu Englund, abhängig ist. Wir unterschätzen die Friedens garantien, die der Dreibund bietet, nicht; aber von absoluter Sicherheit vor Friedensstörungen kann nur so lange die Rede sein, als unsere Beziehungen za Rußland gut sind, und Rußland seinen eigenen Interessen keinen Grund entnehmen kann, feindselige Absichten gegen Deutschland diplomatisch und militairisch zu unterstützen. Ein solcher Grund lirgt für Rußland nicht vor; es hat keine alte Rechnung mit uns auszugleichen, keine Grenze zu berichtigen und andererseits ist die Erhaltung des Friedens aus der Basis des gegenwärtigen SlatuS ebenso sehr im russischen wie im deutschen Interesse. Es besteht also sür Rußland keinerlei Anlaß, die europäische Constellation zu Ungunsten Deutschlands verändern zu helfe». Dieser Anlaß könnte sich indeß ergeben, wenn die Be- Ziehungen zu Rußland von deutscher Seite verschlechtert würden. Dies kan» aus zweierlei Weise geschehen: einmal aus dem directen Wege und sodann auf dem der indirecte» Verstimmung durch ein stärkeres Accenluiren der deutschen Beziehungen zu denjenigen Mächten, die als Rußlands Gegner in der Zukunst gedacht werden, also in erster Linie zu England. Man dar! auch heute noch, trotz aller angeblichen cnglisch-russijchen Annäherung, behaupten, daß England am meisten inleressirt ist, den russischen Absichten bezüglich des Schwarzen Meeres und Asiens enigegenzutreten: i» der Tonjecturalpoliiik siguriren Rußland und England nach wie vor als Zukunssgegner aus der Basis ihrer gegenteiligen Beziehungen im Orient im Allgemeinen und zur Türkei ii» Speciellen. Eine stärkere Hinneigung der deutichen Politik zu England wird also immer den Cbarakter eines Avertissements sur Rußland und einer zukünstgen Constellation haben, die ihre Schatten in die Gegenwart zurückwirst. Es läßt sich deshalb annehmea, daß die Besorgniß Rußland» vor de» nachbarlichen Absichten der deutschen Politik einigermaßen ab- bängig ist von unseren Beziehungen zu England und von der Schärfe, mit der sich die deutsch-englische Intimität am politischen Horizonte abzeichnet. Die „Hamb. Nachr." geben selbst zu, daß die deutsche Politik in letzter Zeit diese» Gesichtspunclcn mehr Rechnung als früher getragen bat, und wir sind der Zuversicht, daß das nach der jüngsten Leistung der auswärtigen Politik Eng lands i» noch weil umsangreickcrcm Maße geschehe» wird. Wie man überhaupt noch nicht in die Lage gekommen ein kann, sich über da- Wesen des von dem russische» Kaiser Nicolaus II. zu erwartende» Regimes ein bestimmtes Urtbeii zu bilden, ebenso wenig liegen irgend welche positive An deutungen über die Gesinnungen und Absichten des neuen Herrschers bezüglich des Königreichs Polrn vor. Selbst an da- anläßlich der Vermählung des Zaren erlassene Manifest, welches mit Bezug aus die Pole» insofern einer sympto matische» Bedeutung nickt entbehrt, als diese Kundgebung über den Aufstand vom Jahre 1863 den Schleier der Ver gessenheit zu werfen scheint, lasten sich weitcrreichcnde Er wartungen nickt knüpfen. Der kaiserliche Gnadenact erstreckt ich nur aus die wenigen Tbcilnebmer an dem erwähnten Ausstande, die noch bisher ibre Strafe abbüßie». überdies gestattet der Wortlaut der betreffenden Stelle des Manifestes dem Minister des Innern noch weitere Einschränkungen. Allerdings scheine» die LoyalitätSkundgcbungen der polnische» Deputation anläßlich der Beisetzung der Leiche Alexander s III. in den maßgebenden Kreisen der russischen Haupt- iadt einen guten Eindruck erzeugt und selbst in der sonst nickt polcnfreundlich gesinnte» russischen Presse eine gewisse Wendung zu Gunsten L>.„ ^olcu bewirkt zu haben. Aber selbst wenn diese Stimmung, die sich ja zunächst nur gegenüber der polnische» Deputation kundgegebcu Kat, in all gemeiner und greifbarer Form hervortrcten sollte, wäre eine bal dige Wandlung des in Pole» befolgten Regimes dock nickt zu er warten. Ter Geist des bisher inPolen angewandrenSvstems ist in die gcsammte Verwaltung dieses Gebietes in dem Maße ein- gcdrungen, daß durchgreifende und umsaffentc Aondernngen in diesem Verwaltungsapparate die unerläßliche Vorbedingung für die Durchführung eine- SystcmwechselS — fall- ein solcher überhaupt angebabnt wird — bilde». Jedermann muß unter diesen Umständen begreifen, weich langen Weg noch etwaige geänderte Regicrungsmaximen mit Bezug auf das Königreich Polen bis zu ihrer Verwirklichung zurückznlegen Hab n. Mit Consequenz sorgt in letzter Zeit vulgarirn dafür, daßdie europäische Presse sich mit dem Läiidcbcn besaßt, sei eS aus An laß eines Fehlers in der äußeren oder eines solche» in der inneren Politik. Heule ist eS die letztere, die unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Bekanntlich tauchte bald nach dem Rücktritt Stambulow'S die Nachricht aus, eö läge Veranlassung vor, um den ehemaligen ersten Ratbgeber des Fürsten wegen seiner AmtSsührung zur Rechenschaft zu ziehe». Ma» sprach in Sofia von Versetzung in den Anklagezustanv und dergleichen und wies dabei auf die Straßentumulte bei der Entlastung Stambulow'S bin, die von dem Unwille» des Volke« über dessen Regierung zeugen sollten. Die Regierung de- Herrn Stoilow verhielt sich anfänglich diesen Gerüchte» gegenüber zuwartend, und als sie merkte, daß durch ein offenes Vorgehen gegen den früheren Ministerpräsidenten die Wahlen zur Sobranje in regierungSscindlichem Sinne beeinflußt werden könnten, wurden alle Stambulow be treffenden Nachrichten demenlirt. Der Fürst sprach bei passender Gelegenheit von den unvergänglichen Verdiensten de« außer Dienst gestellten Staatsmannes, Herr Stoilow erklärte, daß die Politik Stambulow'S in allen Fragen der äußeren Politik fortgeführt werden solle, kurzum: Stambulow sollte in Ruhe gelassen werden. Jetzt endlich, nachdem die neue Sobranje der Regierung uiibctiiigteö Vertrauen ausgesprochen bat, scheint Stoilow bei, Gegnern Stambulow'S freie« Feld geben zu wollen. Wie die „Agence Balcanique" auS Sofia berichtete, ist cm Antrag aus Einsetzung einer parlamentarischen Commission der Sobranje vorgelegt worden, die über die gesammle Tbätigleil de« Ministeriums Stambulow während dessen ganzer Amtsdauer zu Gericht sitzen soll. Wenn die Regierung diese» Antrag wirklich veranlaßt hat, so ist auch kei» Zweifel daran möglich, daß er zur Annahme gelangt. Ganz abgesehen davon, daß die Tbätigkeit dieser Commission — wie da« auck in der betreffenden Meldung auS Sofia bereit« angedculet wurde — sich sehr in die Länge ziehen würde, müßte kaö Ergebuiß der Arbeiten auch beschämend sür die jetzige Regierung oder für die Anstifter diese-Vorgehen« aus alle». Denn was man auch au- der AmlSthätigkeit Stam- bulow'S nachträglich a»S Lickt zerren mag, da« vielleicht als Beweis sür die Heftigkeit seines Charakters oder seiner allzu lreie» Denkungsart in manchen Dingen gelten könnt«, alle diese Nebensächlichkeiten müssen doch verschwinden vor de» uiigekeurcu Verdiensten, die sich der rücksichtslose Staatsmann um die Eoiisolitirung und Entwicklung der Verhältnisse in Bulgarien erworben bat. Zum Ruhme der jetzigen Regierung des Landes wird das Ergebnis) dieses Scherbengericht- keines falls dienen. Zwischen dhiua und Japan schweben gegenwärtig Friede»sv erhandltingen, nachdem erstere« seine An erbietungen nunmehr ans dircciem Wege »ach Tokio bat gelange» lassen. Daß. wie gemeldet wurde, die japanische» Gegenforderungen einige für Ekina drückende Garantien ciitbalien, erscheint glaubhaft uub, im jetzigen Stadium des Krieges, selbstverständlich. Namentlich dürste Japan von der Forderung einer Besetzung von Port Artkur bi« zur Erfüllung des Fricdcnsoerlragcs uiitcr teine» Umständen abgchen. Ob Japan auch ans einer größeren oder kleineren Gebiet« abtretung bestehe» wird, bleibt abzuwarten; sollte es gewillt sein, Ekina eine solche zu dietire», so ist vorauSzusehcn, daß sich die Lage compiieirt, und oon den nächstbetbriligten Mächten Einspruch erhoben werten wird, oder dieselbe» unterem ander in Widerspruch gerathcn werden. Daß Rußland fick mit der Rolle des unbetheiligten Zuschauers nickt bc gnügcii wird, ist sicher, unk schon bat sich der Petersburger Presse anläßlich der großartigen Erfolge Japan» eine nervöse Unruhe bemächliglj, die sich in unverholener Eifersucht gegen da« Reich des Mikado äußert. So schreibt dir „Now. Wrem." : „Das mstitainjche Ehrgefühl d«S japanischen Herrscher« muß ja vollkommen besriedlgt sei». Seine Truppen haben die stärk»« Festung Nordchinas erobert, seine Schiffe haben die chinesisch« Flotte säst voUilandig zerstört »nd der stolze „Sohn de« Himmels" wandle sich an ihn mit der ergebenen Bitte um Frieden. Eine feierlich.«!« Anerkennung seiner inilitairischen Ucbcriiiacht kann der Mikado sich gar nicht wünsche». Und doch ist er nicht zufrieden. Weder die Er folge des Krieges, noch die Erniedrigung des Gegner- genügen ilnn. Er scheint die Eroberung Pekings zu wolle», die Einsetzung einer neue» Dynastie in Ehina, die Theilung des himmlischen Reiches. Es ist klar, das, die Verwirklichung solcher Ziele von den Großmächten Europas nicht zugelasseii werden Lars, insofern diese Großmächte an der Lage der Dinge im fernen Osten unmittelbar interesjirt sind. Denselben mag cs wünschenswerib erscheinen, das stolze China so weit gedemüthigl zu sehen, daß es in Zukunft nicht mehr in Betracht kommt, allein teine vo» ihnen würde eS bequem finden, daß nun Japan, jetzt so mächtig geworden, an die Stelle Chinas trete. Sollte der Mikado sich »icku dazu verstehe», sofort Friedcnsverhandluiigeu anzuknüpsen, so werden die Regierungen Rußlands, England» und Frankreichs von selbst genölbigt sein, Crllärungen von ihm zu fordern, wa« er denn eigentlich will und erstrebt." Die FricdenSverhandluuzen sind nun allerdings im Gauge, aber die Sprache der „Now. Wrem." wird die gleiche bleiben, ja /««illrtsir. Lliirchen's Mitgift. Lj Erzählung von Paul Blumenreich. diachdriiä verboten (Fortsetzung.) Und wieder mußte der Mann an seinem Werktische bitter lachen. Ja — seine Kinder waren, was man „versorgt" nennt. Lydia bedurfte seiner nicht mehr — sie schien kaum noch zu wissen, daß sic einen Vater habe — und Klärchen verdiente ja jetzt schon mehr, als sie verbrauchte. Sie mußte nur Alle- vergeben, weil de« Vater« Einnahmen nicht au-reichten. So blieb noch Erwin. Nun, im Waisenhause würde eS der Junge nicht schlechter haben, al« zu Hause. . . . Ja, Lorenz Bauer war auf dem Puncte angelangt, sich die Dinge in dieser Weise zurecht zu legen. Er war ein scharfer, gut geschulter Kops, hatte Realgymnasium und Poli- tccknikum absolvirt — er fand, daß sich sein Schicksal durchaus folgerichtig und natürlich entwickelt hätte. Lächerlich, wenn man mit dreiundzwanzig Jahren hciratbet — selber rin armer Teufel, wenn auch nickt ohne gutes Reckt auf die Zukunft — und rin arme« Mädchen dazu, das muß sich ganz natur- notbwendig schwer bestrafen. War ja auch geschehen! Mit Schulden »ng man an — ein Kind nach dem andern, dabei dock, gewisse Ansprüche, die in Folge der „leidigen" besseren Erziehung nicht auSbliebcn und endlich jene große „Dumm heit" die Lorenz einmal begangen — er biß jedesmal die Zähne zusammen, wenn er daran dachte. Und er mußte immer wieder daran denken! Ha, eS war zu lustig! Der i'iberau« geschickte, tüchtige Mann hatte endlich einen guten Platz gesunden — endlich wurde er so bezahlt, daß man den kleinen HauSbalt innerhalb einiger Jabre aus einen gewissen anständigen Fuß bringen, etwa- für Frau und Kinder thun konnte. Diese drei Jahre, da er in der Telepbon-Fabrik arbeitete, waren die Oase in der Wüste seine- Leben« gewesen. Denn die Jugend batte er nicht genießen können, — er war einer armen Wiltwe Sohn, die mit allen Opfern und Entbehrungen gerade so viel aus- brachte, um seine Lehrzeit zu überkommen. Wäre sie am Leben geblieben, wer weiß, ob e« nicht ander« gekommen wäre. Ader sie starb, da er eben zweiundzwanziz Jahre alt war und eben etwa- zu werden anfing. Tier Kneipe immer fremd >tw«se», konnte er kein Behagen finden, bi« er nicht — — allzufrüh — den eigenen Hausstand begründet hatte. Und nun sing eS, wie gesagt, an, besser zu werken. Zwar, von den fünf Kindern waren drei gestorben — man batte wobl nicht genug für sie auswenden können. Als Lydia und Klärchen — sie waren Zwillinge — acht Jabre alt geworden, trat jener Aufschwung ein. Lorenz Bauer begann, vorwärts zu kommen. Und kaum wichen die ^sorgen, da regte sich auck sein höheres Können. Er suchte und fand Neuerungen, trug sich mit einer kühnen Idee — er wollte daS Telephon mit dem HughcS'schen Schreibtelegraphen combiniren — er träumte von großen Erfolgen. Inzwischen war ihm einmal, während seiner Arbeitszeit in der Fabrik, irgend eine, anscheinend un wesentliche Vereinfachung in der Anbringung der Membrane geglückt — eine Sacke, die zunächst nicht vielmehr bedeutete, alS eine ArbcilScrsparniß. Er zeigte die neue Eonstruction dem technischen Direktor, und eS erwies sich, daß hier die Lösung einer seit Jahr und Tag für unausführbar gehaltenen Ausgabe gesunden war. Wäre cs nicht zufällig dieser Director selbst gewesen, der sick bereit- seit längerer Zeit mit dieser Sacke vergeben- bemüht hatte, so lag nicht« näher, als daß die Fabriksleiter in legaler Weise die Erfindung Baucr'S er warben und Alle- wäre gut abgelaufen. Den Herrn Director aber wurmte eS, auf diesen so überaus naheliegenden Einsall nicht gekommen zu sein. Er erklärte die „angebliche" Neuerung als bereit« überholt; Bauer antwortete etwa« erregt — ein Wort gab va« andere, und am Abend desselben Tage« batte der glückliche Erfinder seine Kündigung. Auch da« wäre noch zu verschmerzen gewesen: ein tüchtiger Arbeiter findet schon wieder Brod. lind Bauer fand e-, wenn auch nickt ganz so leicht, wie er glaubte» hoffen zu dürfen. „Sie sollen ein Krakebler sein, höre ich von Ihrer letzten Arbeitsstelle" sagte ihm sein neuer Chef. Wenige Wochen später wurde die Fachwelt in Erregung versetzt durch eine der Telepbonfabrik patentirte hochwichtige Neuerung, deren Grundlage nicht- andere« war. al« der verein fachte Membranenhalter. Sofort gingen die Behörden daran, die im Betriebe befindlichen Apparate mit dem neuen Patent- kalter versehen zu lasten Ein großer Sieg war erfochten. Hunderttausend« würden mit dem Patent verdient werden. Schäumend vor Wuth interpellirte Bauer seine früheren Brodherrcn. Man lachte ihn au«. Und nun kam die große Dummheit: Er klagte — klaate durch alle Instanzen, di- ibn da- Reich-gericht mit der Begründung abwir», er habe die Construction während seiner vo» der Fabrik bezahlten Arbeitsstunden gefunden «nd -»«geführt — wa« er in dieser Zeit schaffe, sei Eigentbum dessen, in dessen Brod er stand. Eine enorme Kostcnlast war der besondere Gewinn, den der „Erfinder" davon trug. Ganz abgesehen davon, daß ihn der Proceß seit Jahr und Tag nicht halte zur Ruhe kommen lasten und daß nun, nach dem endgiltigcn Abschluß, das Odium de- „KrakeblerS" untilgbar an dem Namen Lorenz Bauer s hastete. Niemand wollte den händelsüchtigen Mann anstelle» — Niemand ihm größere Arbeiten anvertraucn. Die kleinen Ersparnisse waren inzwischen längst ver braucht, Schulden waren entstanden und daS Furchtbarste stand noch bevor: unmittelbar nach der Geburt Erwin s — die Zwillinge standen im elften Lebensjahre — befiel ein Lungenleidcn dir junge Frau, dem sic nicht mehr ent rinnen sollte. Wenn noch schwache Spuren eine- bescheidenen Wohlstandes vorhanden gewesen, nun waren sie während der langen Krankheit dahingesckwunden. Solch ein bettelarmer Mann war Loren; Bauer, daß er Gott danke» mußte, als sich ein sonst wenig umgänglicher Verwandter seiner Frau, ein kinderloser Restaurateur, mit sauersüßer Miene bereit finden ließ, eine« der beiden Mädchen zu sich zu nehmen. Da- hübschere wählte sich Herr Jere mias und ließ es mit vierzehn Jahren seine Gäste — Kutscher, Arbeiter, Bummler — bedienen. Mit welch' unsäglichem Elend Bauer seither gekämpft batte, um die zwei klebrigen nur notbdürstig durchzudringen, da« wußte nur er allein. Hätte er nickt in jener armen Frau Ramsckütz, die damals gleichzeitig mit seiner Frau Mutter wurde und ihr Kind sekr bald verlor, eine treue Pflegerin sür Erwin gefunden — der Kleine hätte eS nicht über die ersten Monate gebracht. Aber diese sechs Jahre batten den Vater zu einem Fünfziger gemacht. Immer nur von der Hand in den Mund leben, auf den mühselig er arbeiteten Zuschuß au- dem Verdienst der siebzehnjährigen Klara angewiesen und selbst dann noch keinen Tag wissen, wovon am nächsten da« Notbwendigste beschaffen — persönlich alles entbehren müssen, dessen ein reger Geist nun einmal be darf, und zu alledem eigentlich allein stehen, mutterseelen-allein, trotz seiner drei Kinder — daS brach aus die Dauer auch die zäheste Widerstandskraft. Zwar, hätte er allein bleiben müssen? Und Rudolfine? Durste er nicht aus sie hoffen? Ein heißer Groll stieg in ihm aus, al« er jetzt ihrer ge dachte. Nicht ihr etwa grollte er — dazu batte er, der Recht lose, wiederum keia Recht, keinen Anlaß. Aber mit sich selbst hätte er am liebsten gleich jetzt ein Ende gemacht — mit diesem jämmerlichen Gesellen, der in einem Alter, in welchem Tausende »och den Mutb haben, ein neues Glück zu begrünten, sich so ohnmächtig fühlte, daß er nicht einmal im Ernst die Hand nack, ihr auszustreckcn wagte, die doch wie geschaffen schic», ihn noch einmal zurückzusübren in- Leben. Aber der Unterschied der Verhältnisse war zu groß. Rudolsine von DierkcS war die verwaiste Tochter eine« verinögenslosen OsficicrS, eine von den wenigen dieser Art, die ein glücklicher Instinkt gleich nach dem Schiffbruck der ersten Existenz mit frohem Muth nach einem treibenden Wral stück greisen läßt, die sich daran klammern mit der ganze», vollen Lust zu leben, und die sich wirklich Uber Wasser halten, bis ein günstiger Windstoß sie an da« rettende Laad sübrt. Vater und Mutter waren ihr kurz nacheinander gestorben und mit ihnen batte da» dreiundzwanz>gjäbrige, nicht eben hübsche Mädcken jede Hoffnung einsaraen müsse», das Leben in der bisherigen Weise sortzusetzcn. Resolut verkaufte sic die immerhin stattliche Einrichtung der Eltern — bis auf taö Clavier. Ohne eine Spur jener falschen Scham, die so viele junge Mädchen in gleicher Lage direct in- Elend jag», begann sie am dritten Tage nack dem Tode ihrer Mutter einen Runt- gang zu allen Denen, die bisher ihr gesellschaftlich nabe ge standen. Sie wollte nichts erbitten, nur ihr Recht auf Arbeit geltend macken, sagte sie. Und ehe vier Wochen vergingen, halte sie ein Dutzend Claricrschülrrinnen — eine mühselige, kaum erfreuliche, aber selbstständige Eristenz. Einige Jahre später begründete sie, vielleicht nickt ohne Nebenabsicht, einen Mädchcn-Singvcrrin, dem auck Klärchen Bauer beitrat. Gelegentlich einer der Ausführungen diese« Vereins batte Bauer Fräulein Rudolsine kennen gelernt. Kennen ist nicht da« reckte Wort: erkennen sollte man sagen. Denn Rudolsine hatte mit dem ganzen Enthusiasmus, dessen vereinsamte, alleinstehende Frauen sur fremde, hilflose Wesen fähig sind, in Klara Talent und Stimme entdeckt. Etwa- davon hatte ja Klärchen, gerade so wie ibre Schwester Lydia. Und Fräulein von DierkcS erklärte sich bereit, dem jungen Mädcken unentgeltlichen Unterricht zu ertbeilen. Der derbeigernsenc Vater protestirtc anfangs: rr empfand eine ge heime Abneigung gegen Alles, was entfernt an die Bühne erinnerte — seine Tochter Lydia, die längst zum Theater wollte, trug die Schuld hieran. Derlei paßte nicht sür ein Mädchen, da« sein Brod verdienen müßte, meinte er. Aber dir rxaltirte Rudolsine ries: „Lassen Sie mir dcch mei« Freude!"
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