Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941205024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894120502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894120502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-05
- Monat1894-12
- Jahr1894
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vez«g*.PreiS I» tzm tzaaptexpedition oder den im Stadt, leztrk nnd den Vororten errichteten Sn«, -abestelle» abg » holt: vierteljährlich ^ «.50. Kt »wetm-Iiger täglicher Zustellnng in« Ha»« >ll bchO. Durch die Post bezogen für Deutschland uud Oesterreich: vierteljährlich S.—. Direkte tägliche itreuzbandiendung t»< Ausland: monatlich ?.bO. Dte Morgen.«u«gabe erscheint täglich '/,7Uhr^ dt« Sbrnd-Äuegabe Wochentag« ü Uhr. Xedarlion und Lrvkditioa: 2«hanne«gasse 8. Dietrvedttion ist Wochentag« ununterbrochen gedffnet voo früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filiale«: vtt, Memm's Sartt». <«lfrr» UniversitätSstrab« 1. Laut» e„che. . . .. «atharinenstr. I«. pari, und »änlg-vlatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. §WN f8r Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. PlnzeigeN'Prels die 6 gespaltene Petitzeile LO Pfg. Reklamen unter dem Redactioalstrich <4g»> spaltea) vor den Familieuuachrtchtr» (K gespalten > 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis, verzeichaiß. Tabellarischer und gisserusatz nach höherem Tarif. <0x1r»-Beilage« (gefalzt», »ur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesorderuag SO.-» m,t Postdesörderung ^l 7V.—. Iinnalsmrschlnk für Anzeige«: Ab«nd-Au«gab»: vormittag« 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag- früh '/,ö Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j» ein« halbe Stund« früher. Anjetgrn sind stet« an die Erpeditta« zu richte«. Druck und Verlag von L. Pol» in Leipzig ^««21. Mittwoch den 5. December 1894. ' 88. Jahrgang. Die Thronrede, mit der heute der Kaiser im Rittersaale deS königlichen schlöffe» in Berlin den Reichstag eröffnet hat, lautet: „Im Namen Meiner hohen Verbündeten heiße Ich Sie beim Beginn Ihrer verfassungsmäßigen Tätigkeit willkommen. Sie werden Ihre Arbeit in die neue Stätte verlegen, welche durch zehnjähriges ernstes Schaffen atS ein Denkmal vaterländischen Fleißes ihrer Vollendung entgegcngesübrt ist. Möge Gotte« Segen aus dem Hause ruben. möge die Größe und die Wohlfahrt des Reiches das Ziel sein, welches alle zur Arbeit in seinen Räumen Berufenen in selbst verleugnender Treue anstrebcn. Diesen Wunsch empfinde Ich besonders lebhaft im Hin blick aus die wirthschastlichen und socialpolitischen Aufgaben, welche unter Ihrer Mitwirkung zur Lösung zu bringen sein werden. Getreu den Ucberliefcrungen der Vor jahren, betrachten Meine hohen Verbündeten und Ich cS als die vornehmste Aufgabe deS Staate-, die s ch w ä ch e r c n Classen rer Gesellschaft zu schützen und ihnen zu einer höheren wirthschastlichen und sittlichen Entwickelung zu verhelfen. Die Pflicht, diese- Ziel mit allen Kräften anzustreben, wird um so zwingender, je ernster und schwieriger der Kampf um daS Dasein für einzelne Gruppen der 'Nation sich gestaltet hat. Von der Ueberzcugung getragen, daß eS der Staats gewalt obliegt, gegenüber den streitenden Interessen der ver schiedenen Elemente daS Gesammtinteresse deS Gemein wesen- und die Grundsätze der anSgleichenden Gerech tigkeit zur Geltung zu bringen, werden die verbündeten Regierungen fortfabrcn in dem Bestreben, durch Milderung der wirthschastlichen und socialen Gegensätze da- Gefühl der Zufriedenheit und der Zusammengehörigkeit im Volke zu erhalten nnd zu fördern. Soll aber dieses Bestreben, bei welchem Ich rückhalt-lose Unterstützung erhoffe, in seinem Erfolge gesichert werden, so erscheint eS geboten, dem ver derblichen Gebühren Derjenigen wirksamer als bisher enlzegenzutreten, welche die Staatsgewalt in der Erfüllung ihrer Pflicht zu stören versuchen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Gesetzgebung nicht die erforderlichen Handhaben hierzu bietet. Die verbündeten Regierungen erachten deshalb eine Ergänzung unseres gemeinen Rechte- für geboten. Es wird Ihnen unverzüglich ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, welcber vornehmlich durch Erweiterung der geltenden Strafvorschriften den Schutz der Staatsordnung verstärken will. Ich hege die Zuversicht, daß Sie für diese ernste Aufgabe Ihre thatkräftige Mitwirkung gewähren werden. Die seit Einführung der Reichsjustizgesetze gesammelten Erfahrungen haben Mängel der Strafproceßordnung und der mit ihr im Zusammenhänge stehenden Tbeile de« Gerichtsverfassungsgesetzes ergeben. Behufs ihrer Beseitigung wird Ihnen ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, in dessen Rahmen zugleich die Entschädigung unschuldig Berurtheilter ihre Regelung finden öll. Die Untersuchung der Börsenverhältnisse durch die dazu eingesetzte Commission hat gezeigt, daß die bestehenden Einrichtungen nickt ausreichen, um die Gefahren abzuwenden, denen der Volkswohlstand durch mißbräuchliche Benutzung der börsenmäßigen Formen des Handelsverkehrs auSgesetzt ist. Ein Gesetzentwurf, der den auf diesem Gebiete bervorgetretcncn Schäden abzuhclsen bestimmt ist, wird vor bereitet und Ihnen, wie ick hoffe, noch in dieser Tagung vorgelrgt werde» können. Dasselbe gilt von einem Gesctzes- vorschlage, der dem Handels- und Gewerbestande gegen den Wettbewerb, welcher unlautere Mittel nicht ver- chinäht, Schutz gewähren und damit auf die Festigung des Vertrauens in Handel und Wandel binwirken soll. Da« finanzielle Verhältniß der Einzelstaaten zum Reiche hat sich in einem für dir ersteren bedenklichen Umfange verschoben. Während die Einzelstaaten ein Jahr zehnt lang bedeutende Mebrüberweisungen vom Reiche empfingen, ist daS Reich gegenwärtig genötbigt, zur Deckung seiner eigenen Bedürfnisse erhebliche Zuschüsse von den Einzel- staaten zu fordern. Diesem drückenden Uebelstande ver mögen die Mehreinnahmen aus den Reichsstenipclsteuern »ur zum Theile abzuhelfen. Es ist deshalb die Er schließung weiterer Steuerquellen unerläßlich. Demgemäß wird Ihnen von Neuem ein Gesetzentwurf vor- gelegl werden, welcher die anderweite Besteuerung deS Tabak- io Aussicht nimmt. Nicht minder halten die verbündeten Regierungen fest an der Forderung einer organischen Aus einandersetzung des Reichs und der Einzelstaaten, um die Finanzwirthschaft deS Reichs selbstständig zu machen und die Einzelstaaten wenigsten- sür längere Zeit vor schwanken den und steigenden Anforderungen zu schützen. Behufs baldiger Durchsübrung jener durch die föderative Gestaltung Deutsch land- gebotene» und zur Aufrechtcrhaltung der finanziellen Ordnung unerläßlichen Reform haben sich die verbündeten Regierungen indessen entschlossen, aus die im Vorjahre zu Gunsten der Einzelstaaten gcfordertcnMehrüberweisnngen zu verzichten. Ich gebe Mich der sicheren Erwartung hin, daß nunmehr auf dieser neu gewonnenen Grund lage eine völlige Einigung mit Ihnen erzielt werben wird. In den letzten Jahren bat zu Meiner lebhaften Befrie- digung die Zuversicht in die Erhaltung des europäischen Friedens neue Kräftigung erfahren. Getreu dem Geiste Unserer Bündnisse, pflegen Wir mit allen Mächten gute und freundliche Beziehungen. Zwei uns benachbarte Reiche sind im Lause der letzten Monate von erschütternden Ereignissen heimgesucht worden. Deutschland hat sich aufrichtig der allseitigen Theitnahmc angeschlossen, welche von Neuen« Zcugniß ablegt von einer Solidarität menschlicher Gefühle und friedlicher Wünsche. In dem Heimgegangenen Kaiser Alexander IU. von Rußland betrauere Ich einen Frcunb und bewährten Mitarbeiter an den Werken deS Friedens. Geehrte Herren! Indem Ich Sie nunmehr ersuche, in Ihre Arbeiten einzutreten, gebe Ich der Hoffnung Ausdruck, daß diese zum Heile des Vaterlandes gereichen werden. Sie mögen Zeugniß ablegen dafür, daß von der Einmüthigkeit. mit welcher die deutschen Stämme vor nun bald 25 Iabrrn sür die Gründung deS Reichs eintraten, ihre Vertreter auch bei dem weiteren AuSbauc unserer vaterländischen Einrich tungen geleitet werden!" Man ersieht an- dieser Rede, daß dem Reichstag in Bezug aus das Arbeit-material, daS ibm zugeben wird, eine Ueberraschung nicht bcvorslcbt. Was bie Thronrede an Vorlagen ankündigt, war bereits seil Wochen in Ans icht gestellt. Daß eine Börsenrcsorm - Vorlage bald zu erwarten sei, wurde sogar mit größerer Bestimmtheit versichert, als es von der Tbronrcde geschieht. Die gespannte Erwartung, mit der ma» im Volke der NeichstagS- cröffnung entgegensah, richtete sich auch nicht auf die Vor lagen, die aiigekündigt werden würden, sondern aus den Ton dieser Ankündigung. Aus ihm hoffte man einen Schluß aus das Maß von Energie ziehen zu dürfen, mit welcher der neue Reichskanzler die Pläne deS Kaiser- und seiner hohen Verbündeten zu verwirklichen suchen werde. Und diese Erwartung wird durch den Wortlaut der Tbronrcde wenigstens in einem Puncte erfüllt. Sie stellt trotz des Wohlwollens, daS sic für die schwächeren, nach Verbesserung idrrr wirthschastlichen Lage strebenden Bevölkerungsclasten atbmrt, mir aller Entschiedenbeit die Forderung, daß den Um sturzbestrebungen mit verschärften Mitteln de- gemeinen Recht« enlgegengetreten werde. Ist auch kein Wort über eine eventuelle Auslösung deS Reichstages gefallen, so läßt doch die Bestimmtheit, mit welcher der Kaiser eine Unter stützung seiner aus die Bekämpsung dieser Gefahr gerichtete» Pläne erwartet und fordert, tciuen Zweifel an der Ansicht auskommen, nöthigcnsalls an die Wäbler zu appclliren. Wir hoffen, daß diese Bestimmtheit der Frage von den besten Folgen sein werbe, besonder- beim Centrum. Niemand wird der Regierung ralhe», das Centrum muthwillig vor den Kops zu stoßen. Noch weniger aber würde es zulässig sein, irgend welche Abstimmungen de- Centrum« durch Zugeständnisse auf kirchenpotitischcm Ge biete zu erkaufen. WaS bei einem solchen Verjähren derauSkomml, liegt heule vor Aller Augen, nämlich eine fortwährende Steigerung der ultramontanen Ansprüche. Auf>)rdem aber kann nicht oft genug wieverbolt wer den, daß man im Reiche ein derartige- materielle« Ent gegenkommen gegen daS Centrum gar nicht nölhig hat. DaS Centrum ist sich der großen Vortbeile, welche eS an der gegenwärtigen Zusammensetzung deS Reichstags zieht, so sebr bewußt, daß eS eine Auslösung nur im alleräußersten Notbsalle riskircn würde. Es braucht nur die Eiiipsindung zn baden, daß die Nachgiebigkeit und die Geduld der Re gierung eine Grenze hat, und eS wirv sich hüten, diese Grenze zu überschreiten. Und diese Empfindung wird eS durch die Thronrede bekommen. In der Ankündigung der übrigen Vorlagen legt sich die Rede eine größere Zurückhaltung auf. Auch diese Vorlagen werden al« notbwendig und ihre Annahme als sehr wüiischenS- werth bezeichnet. Aber die Rede vermeidet jede Wendung, die darauf schließen kaffen könnte, daß ein Versagen de« Reichstags diesen Entwürfen gegenüber zu einer Auslösung führen werde. Am wenigsten waren solche Wendungen in Bezug aus die Finanzreform zu erwarten. Neue Steuern sind keine Wahlparole; man kann wegen Verweigerung von solchen nicht aufiöscn. Man muß sich daher aus die Hoff nung beschränken, daß der Reichstag mit Rücksicht aus die Einzelstaaten sich bewegen läßt, dem wesentlich einge schränkten Resormplane zuzustimmen oder mit den verbündeten Regierungen über andere Quellen sich zu verständigen, durch deren Eröffnung der Fmanznotb de- Reich- abgeholfen und einer schwere» Bedrängniß der Einzelstaaten vorgcbeugt wird. AuS dcr Tdroinede dars man schließen, daß die verbündeten Regierungen gern jeden gangbaren Weg beschreitca würben, wenn die Tabakstcucrvorlage unüberwindlicher Abneigung be gegnen sollte. Einigermaßen befremdlich wird eS im AuSlande erscheinen, daß die Thronrede weder de- ringetretenen Wechsel« in der Besetzung de- RcickSkanzlerpostenS, noch der Wieder übernabnie de- preußische» MinistcrpräsidiumS durch den Reichskanzler gedenkt. Wenn man jedoch in Betracht zieht, daß eine Hindeutung aus diese Ereignisse auch eine Hinveutung aus ihre Ursachen und ihre Tragweite nolhwendig^ gemacht habe» würde, so muß man gestehen, daß «schweigen da- Beste war. Dem „neuen Curse" konnte der Kaiser unmöglich besondere Verdienste und noch weniger das Gegenthcil zurechnen, und der „neueste Curs" soll erst noch zeigen, daß er die Irrungen seine« Vorgänger- zn vermeiden versteht. Im klebrigen wird da« Ausland durch die Hinweise auf die freundlichen Beziehungen Deutsch lands zu alle» anderen M ickten und aus die fortdauernde Pflege dieser Beziehungen vollauf beruhigt. In Rußland wirb man cS mit besonderem Tanke anzue, kennen haben, daß durch die Art und Weise, wie dcr Tod Kaiser Alexander'» III. erwähnt wird, eine etwa von socialdemokratischer Seite geplante Kund gebung gegen den Verewigten abgcschnitten wird. Im Großen und Ganzen tan» man daber von der Tbronrcde sagen, daß sic alle Erwartungen erfüllt bat, die inan unter den jetzige» Verhältnissen hegen durste. Sie ver bindet Festigkeit in der wichtigsten Frage mit entgegenkommender Haltung in solchen Pnnctcn, in denen nur beiderseitiges Ent gegenkommen zum Ziele führen kann. Sic hütet sich in weiser Beschränkung vor Erregung sanguinisckcr Hoffnungen in den verschiedenen begehrlichen Kreisen, die in ihrer großen Mebrzabl das Wobt des Ganzen aus den Augen setzen. Indem die Thronrede gerade da- Ge m e i n w o b l als die erste Sorge deS Kaiser- und seiner hohen Verbündete» betont, crmutbigt sie besonder- da- Bestreben dcr Mit telpartcien und bestärkt die Hoffnung, daß die unheilvolle Maxime einer nunmehr abgeschlossenen Periode, „befruchtende Quellen zu verschütten, um Ersatz au« ödem Gestein zu schlagen", endgiltig abgelhan sei. politische Tagesschau. * Leipzig. 5. December. DaS Centrum wird alsbald im Reichstag wieder mit seinem Iesuttenautrag bervorkommen. Die Zulassung der Redemptoristen genügt ihm nicht, ebensowenig wie die Ttiatsachc, daß einzelne Jesuiten sich längst in Deutsch land ausbaltcn dürfen, nur nicht ganze OrbenSnieder- laffungen. DaS Centrum bat offenbar das Bedürfniß, dcr neuen Regierung möglichst bald auf den Zahn zn fühlen, ob von ihr weitere Zugeständnisse auf kircken politischem Gebiet zu erwarten sind, unv danach seine Haltung in anderen Fragen einzurichten. Es erscheint uns gänzlich ausgeschlossen, daß dcr BundeSrath, nach dem er erst vor wenigen Monaten zwar die Aushebung des IesuitengcscpeS abgclcbnt, aber die Redemptoristen zuzulaffen beschlossen hat, jetzt dies Gesetz vollständig preisgcben könnte. UebrigenS ist schon öfter daraus bingewiesen worden, daß auch die Aushebung deS ReichSjesuitengeseycS den Ultra montanen nicht viel nützen würbe, weil hiervon die Landes Verfassungen nnd Gesetze, die in den meisten deutschen Fenillrtsn. Liiirchen's Mitgift. Erzählung von Paul Blumenreich. REniS «erboten (Fortsetzung.» Auch sie vergaß, da« Kaffeegeschirr zu beseitigen. — Dann war Lorenz wieder allein. Wieder war er um ein ganze- Iabr gealtert in dieser kurzen Morgenstunde. Aber ihm war jetzt leichter, freier um- Herz; er war mit sich einig geworden. Mit fester Hand zog er ein Blatt Papier an- der Schreib- inappe Klara « und begann mit seiner energischen, kurz- strichiaen, eng aneinander rückenden Schrift: „Hiein geliebtes Kind! Nur von Dir, mein arme« Klärchen, nehme ick Abschied, bevor ich mich zu meinem letzten Gange anschicke. Mache keinerlei Versucht, mich zu bindern, Du findest diese Zeilen erst Mittag» oder Abend», ich bin Dir mindesten- drei Stunden voran«! — Grolle Deinem armen Vater nicht, daß er Dich sür immer verläßt. Aber e« ist bester so. Du wirst Dein leidliches Brod finden. — Erwin bringst Du noch beute in da« städtische Waisen- bau-. Und sonst" — bier stockte seine Hand — „sonst batte ich Niemand aus der Wett . . . Doch — ich will in dieser Stunde nicht lügen — »m Eine tbut mir'» leid — um Rudolsine. . Und jetzt flimmerte es ibm vor den Augen, ein beiße« Naß verhängte ibm den Blick — er mußte innehalten, dir Ferer an« rer. aus einmal zitternden Hand legen . . . Er schüttelte eS ab, wollte den Bries beenden; während er noch nach Worten suchte, siel sein Auge auf da- GrrichtS- schreiben, da- Frau Ramschütz ibm hingelegt hatte. „Eine Galgenfrist", mochte er denken nnd griff nach dem Schriftstück mit der sonderbaren Adresse. Bedäcküg machte er zwei schräge Einschnitte, reckt- und link« neben da» blaue AmiSsiczel, und nun lag eia Actenstücl vor ihm, „der BerlaffenschastSrickter" unterfertigt. Zwei Mal sckon hatte er den Iabalt übenlogen — ibm graule vor fick selbst — er war wahnsinnig! Mit der Rück seite der linken Hand wischte er den Sckwriß von der Stirn — er mußte doch wenigsten« so lange Herr bleiben über sich selbst, bi« er sein Vorhaben auSgesüdrt. Nur jetzt nicht den Verstand verlieren — »ur jetzt oichtl Aber nein — cS war kein Fieberwahn — eS war wahr und wirklich, wenn eS ihm auch daS Herz schlagen machte bis zu dem wie zugeschnürten Halse hinauf — er war bei vollem Verstände. Nur der Körper, wie von einer Lähmung getroffen wollte ibm nicht gehorchen. Lorenz versuchte auszuslehcn, dlci- chwer sank er aus den Holzschemel zurück Nun hatte er zum dritten Male gelesen. Und ihm war, als spalte sich die hohe, schwarze Felswand, an dcr er eben sich den Sckädel hatte einrenncn wollen — als blinke Keller Sonnenschein durch den klaffenden Riß. Und an- einem strahlenden Farbcnspielc leuchteten ihm jetzt zwei liebe, treue, braune Augen entgegen. Die Ohnmacht ging schnell vorüber. Freude macht stark und Hoffnung verjüngt. Elastisch sprang Lorenz auf, schob da» Aktenstück in die Brusttaschc und stürmte davon. Kaum eine Viertelstunde war eS, al- wiederum Jemand den Glockrnzug an Lorenz Bauer s Tbür in Bewegung setzte. Eine hohe, kräftige Frauengestalt von straffer, man hätte sagen mögen militairischer Haltung begehrte Einlaß. Cie war schlicht und einfach gekleidet, nicht ohne Sorgfalt. Ein energischer, säst männlicher Zug in ibrem vom Treppensteigen leicht grrötheten Gesicht wurde gemildert durch den leuchtenden, warmen Blick au« großen, braunen Augen, die jetzt erwartungs voll auf die Tbür gerichtet waren. Wa« er wohl sagen würde ? Als ob eS noch der Worte bedürfel Da war sie — gekommen, um seine Armulb mit ihm zu «heilen — geschwisterlich, mit frohem Herzen, mit glückersüllter Seele. Aufschreien würde er, sie in seine Arme schließen und sie nie, nie wieder frcigebcn .... Aber er kam nicht — Niemand öffnete. Und Rudolfine batte hier draußen da» Klappern der Glocke vernommen. Könnte er drinnen e« überdört haben? Kräftig schellte sie noch einmal — e» gellte ordentlich durch den ,tillen Gang. Und wieder blieb Alle» still, bi« Rudolsine mechanisch die Hand aus die ungeputzte Tbürklinke legte — die Tbür gab nach. Zögernd, mit klopfendem Herzen trat Rudolsine rin. Sir durchschritt dir Küche: da sab e» nicht eben appetit lich au». Schleckte», brüchige« Geschirr — Lücken in jedem Winkel. Auf schwachem, ersterbendem Feuer brodelte r» in einem rostigen Sisrntovfe. Sonst kahler Mangel — nickt« von jenen Nemra schmückenden Ueberflüsflgkriten, die auch eine Küche wobnlich machen können. Kaum, daß eine rasche Hand oberflächlich Ordnung geschaffen batte. Aber da- war nur zu natürlich. Klärchen fand nicht Zeit sür derlei, hatte wohl auch nicht den Sinn dafür. Wer bätte ihn wecken sollen in dem mutterlosen Kinde? Und die Auswärtcrin war srob, wenn sic da» Nothwenvigste besorgt hatte. Nun trat Rudolsine leise durch die nächste, gleichfalls un verschlossene Thür. Auch hier Niemand? Sonderbar! Wo war Lorenz, den sic stet« bei seiner Arbeit glaubte? Und er batte offenbar noch eben bier gearbeitet. Seinem ganzen Wesen widersprach eS, da« Werkreug, da« Oelfläschchcn, einen Scdmirgettappen da auf dem Tisch berumliegcn zu lassen — er konnte nicht weit sein. Rudolsine setzte sich aus den nächsten Stuhl »nd wartete. Ihr Blick flog durch das Stübchen. Wie armselig, unwobn- lick, unfreundlich! Konnte nicht Klärchen doch ein wenig mehr thun, um dem Vater den Ausenthall bier erträglich zu macken? Aber freilich, sie wußte cS nicht besser. Es war ja vielleicht nicht 'inmer so unordentlich, ja unsauber hier. Aber auch dann blieb eS gar so kabl und nüchtern. Tunkte Vorbänge von billigem Iutestosf, kein Blümchen im ganzen Zimmer, auch nicht der winzigste LuxuSzegenstand. Ja — da« war wokl mehr als dürftig! Da fehlte daS Notb- wcndigfte sogar — die altersschwache Uhr stand — da« schlechte Mobiliar war nicht gepflegt — im Augenblick sab e» geradezu wüst an«. Da fehlte eine Frau. Und wa« noch incbr fehlte, war — Liebe. Aber dazu war sie, — Rudolsine, ja gekommen, um ihren ganzen, in all' de» Iabren aufgespeicherten Schatz an Liebe hierher zu «ragen, auSströmcn zu lasten, wa» sie so reich in ihrem Innern verbarg. Es kam noch immer Niemand. Rudolsine wurde unrubig. Sie guckte jetzt auch binein in da» Kämmerchen — da sab eS fast noch weniger freundlich au« Ein paar Spielsachen waren auf dem Tischchen vor Erwin - Bett zusammengeworfcn. Zwischen den beiden Bettstellen eine, mit weißem Mull ge schickt drapirte Kiste, die guter Wille sür eine Toilette halten konnte. An der langen Äand eine Kreidezeichnung — Lorenz' verstorbene Frau — und darüber gebangt, da» Bild kalb ver deckend, eine Nachtjacke . . . Nun war sie schon fast zwanzig Minuten bier, wie ibre kleine, almodische, goldene Uhr sagte, und noch immer ließ Lorenz sich nicht blicken. Kein Zweifel, die Außenlhür war nur durch eia Verleben offen geblieben. Lorenz war au» irgend einem Grund« mitten von der Arbeit davon geeilt. Rudolsine wollte ibn hier erwarten. Mit zärt licher Neugier trat sie an den Werktisch, um zu sehen, wa» Lorenz Bauer augenblicklich unter den Händen habe. Aber da lag zwischen fremdartig geformten Eisen stückchen , Platten und Rädchen eine recht vernachlässigte, ausgescklagene Schreibmappe und obenauf — ein unvollendet gebliebener Bries. Alle« Blut drang ihr zum Herzen als sie, die Augen immer weiter aufreibend, die ersten Zeilen la«. Und jetzt schrie sie laut aus: „Lorenz! Um Gottes willen — Lorenz . . Niemand antwortete ibr. Mit starrem, bleichem Gesicht, mit fest auscinandergepreßten Lippen la« sie zu Ende; ibre Rechte umkrampste den kleinen Schraubstock, der an der Tisch kante sestgemacht war. Sie war zu spät gekommen — dieser Gedanke drang wie ein schneidender Schmerz durch ihre Seele. Zu spät! Aber war e« denn möglich, daß sich ihr kurze« Zögern so schwer, so Karte bestrafen sollte? Sie batte ja innerlich gar nicht gezögert — nur „zurecht gelegt" hatte sie sich die Sacke und nun — zu spät! Nur einen Augenblick war Rudolsine schwach gewesen; dann preßte sie die Linke auf da« stockende Herz und laS mit beißen, trockenen Augen den Scheidebrief noch einmal. Al« sic zum letzten Worte, zu ibrem Namen gekommen war, glitt eS wie ein Strahl deS Glücke« über da« jetzt wachsbleiche Gesicht. Und da kehrte auch eine Spur von Farbe zurück in ibre Wangen. Mit ihrem Namen hatte er abgebrochen, die Er innerung an sie hatte ibn schwankend gemacht in seiner finsteren Entschtossenkeit, dieser Glaube kam über sie wie eine Offenbarung. Nur in einer starken Seele ist solche« Um- formen einer unausgesprochenen Empfindung zu einer klaren Erkenntniß möglich Im selben Augenblick war aber auch alle« Entsetzen, alle Furcht von ibr gewichen. Sie fühlte, wußte eS: Lorenz lebte — lebte ihretwegen. Er würde deimkebren, jetzt erst ganz uud gar der Ihre, denn sie batte ibn gerettet. Vor ibm aber kennte Klärchen kommen, sagte sich Rudolsine, und sie durfte nickt erfabren, wie schwach ibr Vater einen Augenblick lang gewesen. Rudolsine steckte da- Brirsblättchrn in den Busen, sorgsam »nd verschämt, als verberge sie da» loderndsle LiebcSgestänbniß. Und ruhig, sicher in ihrem Glauben, vollkommen mit sich im Reinen, wollte sie eben wieder Platz nehmen, al» drantz«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite