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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941208028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894120802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894120802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-08
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Sistr«-Beilagen (gesalzt), »ur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60 —, mit Postbesörderung 7V.—. Annahmtschlnk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgea-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Eon»- und Festtag- früh '/,S Uhr. vet den Filialen und Annahmestellen je ela« halb« Stund« früher. Anzeigen sind stet« an die EzDedtttan zu richten. Druck und Verlag vo» E. Polz in Leipzig Tonnabend den 8. December 1894. 88. Jahrgang. ^627. Zur gefälligen Leachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den S. December, Bormittags nur bis Uhr geöffnet. LxpeMlon üe« L-elprlxer Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. December. Der Kaiser hat bekanntlich in dem Einleitungssatze der Thronrede, mit welcher er am 5. d. M. den Reichstag iiöffnele, diesen „im Namen seiner hohen Verbündeten" willkommen geheißen. Das erschien der „Nat.-Ztg." als staatsrechtlich incorrect; sie bemäkelte eS, indem sic au-führte: „So wenig es nothwendig ist, diese Redewendung wegen ihre- Anhalt- onzusechten, so ist doch vielleicht nicht überflüssig, zu er wähnen, daß der Artikel 12 der Verfassung lautet: „Tem Kaiser sieht eS zu, den Buadesrath und den Reichstag zu berufen, zu er- öffne«, zu vertagen und zu schließen." Ter Kaiser handelt hierbei na- eigenem Recht, nicht im Namen der Bundessürsten. so weit wir die früheren Thronreden in der uu- dafür zur Ver- sügung gebliebeueo kurzen Zeit vergleichen tonnten, ist dies auch früher immer deutlich zum Ausdruck gekommen. Kan» eia Satz einer Thronrede auch selbstverständlich nicht die Verfassung abändern, so wäre es doch unerwünscht, wenn in der öffentliche» Meinung unrichtige staatsrechtlich« Vorstellungen hervorgerufen würden." Wir bestritten, daß jene „Redewendung" staatsrechtlich incorrect sei, und führten zur Begründung unserer Ansicht an, daß allerdings die Berufung, die Eröffnung und die Schließung des Reichstags ausschließliches Recht des Kaisers sei, daß aber, da die Reichsgesetzgebung nach Art. 5 ver Reich-Verfassung durch den Bundesratl, „nd den Reichstag auSgcübt wird unv nach Art. 6 der BundeSrath ans Ver- tretern der Mitglieder des Bundes (der BundeSfürsten) besteht, eine Begrüßung de« Reichstags durch den Kaiser auch im Namen seiner hohen Verbündeten eigentlich selbst verständlich sei. Auch unter dem „alten Curse", auf den die „Nal.-Ztg." sich zu berufen scheine, sei der Reichstag bei seiner Eröffnung im Aufträge dcS Kaisers wiederholt in dessen Namen und in dem seiner hohen Verbündeten begrüßt worden, so am 3. März 1887; ja am 25. November 1886 habe Staatssecretair v. Boelticher den Reichstag im Aufträge dcS Kaisers sogar im Namen der verbündeten Regierungen eröffnet. Hieran knüpften wir die Bemerkung: „Nach diesen Vorgängen, die keineswegs zu einer Verdunkelung oder gar Verminderung der kaiserlichen Rechte geführt haben, müssen wir es bedauern, daß der Versuch gemocht wird, die Ein- gangssormrl der Thronrede zu bemäkeln und den Anschein zu erwecken, als habe sich bei ihrer Feststellung ein ungerechtsertigter und mit dem Geiste der Versassung unverträglicher Einfluß cinzel- staatlicher Empfindelei geltend gemacht." Hierdurch haben wir die „National-Ztg." gereizt. Sie muß allerdings zugesteben, daß die Eröffnungen des Reichstags am 1b. November 1886 und am 3. März 1887 in der von uns an- zegebenen Weise eröffnet worden ist, aber sie bestreitet nicht nur die Richtigkeit unserer Beweisführung, sonder» legt uns auch Motive unter, die uns eben so fern liegen, wie ihr selbst. Zunächst hält sie daran fest, daß in der Begrüßung, die der Kaiser dem Reichstage am 5. d. M. „im Namen seiner hohen Verbündeten" widmete, eine „staatsrechtliche Jncorrectheit" liege. Wir aber bleiben dabei, daß diese Auffassung eine falsche sei. Wir kennen und würdigen trotz des Zweifels der „Nat.-Ztg." die Beweggründe vollkommen, „welche vor einem Mcnschenalter dafür maßgebend waren, im Reiche die Aus übung gewisser Regierungsrechte an die Zustimmung der BundcSsürslcn oder Bundesregierungen zu knüpfen, andere aber dem Kaiser allein, ohne jede Einschränkung, zu über tragen." Wir wissen aber auch, daß eS vor einem Menschcn- aller, als das Maß der kaiserlichen Rechte sestgestellt wurde, keinem Menschen in den Sinn gekommen ist, eS für eine staatsrechtliche Jncorrectbeit und für eine Verdunkelung der kaiserlichen Rechte zu halten, wenn der Kaiser bei der ihm allein zustehcndcn Eröffnung des Reichstags diesen zugleich im Rainen seiner Koben Verbündeten begrüßen würde. Und das, nicht- Anderes, bat der Kaiser am 5. d. M. gethan. Er Kat den Reichstag nickt im Namen dieser Bcrbündelen eröffnet, sondern >kn lediglich in der die Eröffnung vollziehenden und die Eröffnung bedeutenden Rede im Namen dieser Verbündeten begrüßt. Das widerspricht weder dem Wortlaute, noch dem Geiste der Reich-Verfassung, ist vielmehr ganz im Geiste derselben. Hätte der Kaiser den Reichstag im Namen der verbündeten Regierungen eröffnet, so wäre baS allerdings ein Verstoß gegen den Wortlaut der Versassung. Aber dies ist eben nicht geschehe». Wenn die „Nat.-Ztg." es behauptet, so verwechselt sic Eröffnung und Be- rüßung. Ist man aber solchen Verwechselungen auSgesctzt, so ollte man sich auch nickl die Pose des unfehlbaren StaalsrecktS- lchrerS geben, die Verfasser der Thronrede nicht der Ver dunkelung kaiserlicher Rechte beschuldigen und einer Zeitung, die einer solchen Verdunkelung sich niemals schuldig gemacht, nicht bedenlliche Motive in die Schube schieben. Beides thut die „Nat.-Ztg.", um ihren falschen Vorwurf der „staatsrecht lichen Incorreclbril" zu retten. Staatssecretair v. Boelticher hat sich, wie die „Nat.-Ztg. behauptet, „bei jenen Gelegen heiten (am 25. November 1886 und am 3. März 1887) doppelt incorrect ausaevrückt, denn im Namen der Regierungen ist der Reichstag vollends nicht zu er öffnen." Bitte, Staalssccretair von Boelticher hat ibn im Namen der Regierungen nur am 25. November 1886 er öffnet, am 3. März 1887 aber nur begrüßt. Er hat also nur einmal gegen den Wortlaut der Versassung verstoßen, und auch in diesem Falle nur einfach „incorrect" gebandelt. Aber selbst in diesem Falle hat er „im Auftrag des Kaisers" gebandelt, nicht eigenmächtig, das haben wir be sonders hervorachobcn. Mithin ist eS eine ganz un gerechtfertigte Unterstellung, wenn die „Nat. - Zeitung" behauptet, eS erwecke den schein, als ob wir die „incor- rectcn Wendungen auf Herrn v.Bocltichcr zurück führen wollten". Wir haben jedenfalls diesen „Schein" nicht erweckt; ist er der „Nat.-Ztg." aufgegangcn, so leidet sic an der „Geistersehern", die src in unserer Behauptung erblickt, cs werde durch ihre Beniängelung der Eingangsworte der letzten Thronrede der Anschein erweckt, „als bade sich ein ungerechtfertigter Einfluß cinrelstaatticher Empfindet« geltend gemacht". Was in aller Welt bezweckte denn die „Nationat-Zlg." mit ihrer unangebrachten und auf einer Verwechselung beruhenden Rüge rer „staatsrechtlichen Jneor- rectkeit" der Eingangsworte der letzten Thronrede, wenn es nicht die Absicht war, den Kaiser und den neuen ReickStanzter vor be denklicher Nachgiebigkeit gegeu particularistische Aspirationen zu warnen und der Welt zu zeigen, daß diese Nachgiebigkeit schon über die Grenzen dcS Zulässigen binauSzugeben begonnen habe? WaS in aller Welt sollen kenn, wenn die „Nat.-Ztg." mit ihrer ersten Bemängelung eine solche Warnung nicht beab sichtigt hatte, in ihrem BerthcidigungSartikcl, der unS der „Gcspensterseherei" beschuldigt, die Schlußworte bedeuten. man habe in den letzten Jahren eher das Gegenthcil, als einen Zug zum UnilariSmuS bemerkt? Sind diese Worte nicht leere Phrase, so bestätigen sie lediglich unsere Annabme, daß die „Nat.-Ztg." in der staatsrechtlich nickt nur zulässigen, sondern ganz correcten Begrüßung des neueröffneten Reichs tags im Namen der verbündeten Regierungen das Gespenst einer die kaiserlichen Rechte bedrohenden particnlaristischen Anmaßung sah. — Nichts ist berechtigter und nichts ernstere Pflicht gerade der nationaltibcralen Organe, solchen Anmaßungen entgcgcnzutrcten und jede Verdunkelung der kaiserliche,. Rechte zu verhüte». Aber nichts ist auch geeigneter, particularistische Empfindlichkeit zu wecken, als grundlose „staats rechtliche" Nörgeleien. Niemand bat das ausschließliche Recht des Kaiser-, den Reichstag zu eröffnen, in Zweifel gezogen oder zu be schränken gesucht. Kaiser Wilhelm II. wäre auch der Letzte, der eine solche Beschränkung sich gefallen ließe. Aber er wird sich auch das in der Reich-Verfassung nirgends bestrittene, vielmehr vollständig in dem Geiste der Verfassung liegende Recht der Eonnivenz gegen seine hohen Verbündeten und den NeickSlag, bei der Eröffnung und bei Ankündigung der von den Vertretern der verbündeten Regierungen verein barten Gesetzentwürfe den anderen Factor der Gesetzgebung willkommen zu beißen, nicht verschränken taffen, wie seine hohen Verbündeten eS sich nickt nehmen taffen werden, daS Haupt dcS Reiches um eine Begrüßung der Volksvertreter auch in ihrem Namen zu bitten. Ihnen dieses Recht be streiten. das ist eine staatsrechtliche Jncorrectheit, die sich ein nationalliberaleS Blatt am wenigsten in einer Zeit zu Schulden kommen lassen sollte, wo eS die Vermuthung hegt, daß die Grenzen der verfassungsmäßigen Rechte des Kaisers und der Bundessürsten verdunkelt werben könnten. Für England war der 4. December ein Tag von vielleicht folgenschwerer Bedeutung, denn mit ikm trat das in der letzten Session gencbmigte Gesetz, betreffend die Kirckspiel- ratbswahlen in Kraft, welches 13000 Gemeinden ein aus Wablen hervorgegangeneS, mit der Verwaltung betrautS Dorfamt verleiht, mährend bisher die Dorfreaicrung in Eng land eine Art in den Händen von Geistlichen, Ekelleuten re be findliche Autokratie war. An den Wablen theilzunehmcn, sind außer allen Männern, welche das Wahlrecht besitzen, alle jene Frauen berechtigt, welche entweder in die Listen der Mäkler für den GrasschaftSrath eingetragen sind oder, falls sic ledig oder verwiltwet wären, das Wahlrecht für den GrasschaftSrath besäßen. In den Gemeinden mit mehr als dreihundert Einwohnern können diese kurisd mvetiags den Beschluß fassen, einen Gcmeinderath zu wählen und diese Wahl sofort vornehmen. Jeder Anwesende hat Eine Stimme, die einfache Mehrheit entscheidet und die gewählten Gemeinde- räthe haben heute ihr Amt anzutreten. Werden mehr Eandidatcn ausgestellt, als der Gemeinderath Mitglieder zählt, so finden am l5., 17., l8. und >9. December Stichwahlen statt, und die so gewäblten Gemcinderälbc übernehmen ihr Amt erst am letzten Tage dcS JabrcS. In Gemeinden mit weniger als dreihundert Einwohner» findet keine Wahl von Gcmeindcräthen statt, sondern die allgemeine Gemeinde versammlung, die mindestens zweimal im Jahre zusammen treten muß, führt die Verwaltung selbst. Das Gesetz ist die größte Revolution der ländlichen Verfassung, die seil Jahr hunderten in England vorgcnommen ist, der mächtigste Schlag, den der RadicaliSmuS gegen das Torythum des flachen Landes je gefübrt bat. „Jetzt wird der Farmarbeiter König des Lande- werden", rufen die „Times" a»S. Da- Blatt glaubt jedoch nicht, daß die Wandlung so plötzlich vor sich geben wird: „Jabre lange Agitationen haben dem ländlichen Arbeiter keinen Haß gegen den Pächter und Gutsherrn, deren Familien er sein ganzes Leben gekannt hat, einfföße» können. Der Pfarrer wirb, wie bisher, sein Almosen- und Rathgebcr bleiben. Er mag seine Stimme nicht dem „Squire" oder dein Sobn deS „SquireS" geben. Aber ebenso wenig wird er sich zum Werkzeug der KIeonS de-DorfrathShauseS mache» Mögen die Verheißungen von einer großen ländlichen Revo luiion noch so zahlreich sein, der AuSgang ist noch nickt ge wiß." — In Ha Warden, dem Landsitze Gtandstone'S, war daS Interesse an der neuen Einrichtung natürlich groß. Die Wahl war aber eine gar langweilige Procedur. ES waren 90 Ean didatcn für 15 Stellen da. 200 Dörfler waren im Wahl locale versammelt, lieber jeden der 90 Candidaten mußte nun besonders abgestimmt werden. Zu den Gewählten ge körte auch Miß Tom von Hawarden, Tochter eine- früheren ParlamentSabgeordncten. In Braxstedt wurde Lady du Eane in den KirchspielSratb gewählt. In Kelvedon besteht der neue Rath aus dem Dorfgeistlichen, dem Arzt, einem Brauerei- reiscndcn, einem Farmer, zwei Gärtnern, dem Aufseher einer Gärtnerei und einem Maler. In einigen Orten sind nur Arbeiter gewählt worden. Eiu Gesammtbitd der Wahlen, das von großem Interesse wäre, kann heute noch nicht vor liegen. Die Einführung der obligatorischen Volksschul bildung in Rußland scheint nunmehr von der Regierung entgillig beschlossen zu sein. Eine aus den Euratoren sämmltichcr Lebrbezirke und auS Fachmännern auf dem Ge biete des UnIerricblswcsenS zusammengesetzte Eommission soll demnächst zusammeiitreten, das Projccl zu dieser Schulnovellc ausarbeite» und dcrFachcominission des Unterrichtsministeriums zur Begutachtung übergebe». Die gcsammte russische Presse hat sich der Frage der Einführung der obligatorischen Volksschul bildung mit Eifer bemächtigt; einmüthig weist sie daraus hin, daß eine rationelle Volksschule Die materiellen und geistigen Schäden deS russischen Volkes beseitige» und dem Reiche unabsehbaren Nutzen bringen wurde. Sogar die Provinzblätter von streng eonseroativer Richtung erblicken in der projcctirtcn Schul »ovelle ein vitales Vctürsuiß des russischen Volkes. Diese Haltung der Presse scheint darzutbun, daß eS mit der Ein führung der obligatorischen Vvlksschutbildung im Zarenreiche in der Tbat Ernst werden soll, denn noch nie haben die russische» Blätter ein Project oder eine Reform vertkeidigl, wen» d»es der Negierung unerwünscht war. Die Befreiung der Leibeigenen und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht unter Alexander H. fanden in den Organen der öffentlichen Meinung in Rußland erst dann überzeugte Ver tdcidigcr, nachdem der Entschluß der Negierung, jene Re formen durchzusühren, keinem Zweifel mehr unterlag. Daß um daS projcctirte Schulgesetz im russischen Unterrichts ministerium barte Kampfe sich entsponnen haben, erhellt aus der Vorgeschichte Dieser Schulnovelle. Bereits im vorigen Jabre wurde aus Initiative des AdlatuS im russischen UnterrichlSministcrium. Fürsten Wolkonskij, ein Project zur Einfübrung der obligaten VolkSschut- bildung in> Reiche ausgcarbeitct und der Aachcom »lission dcS Ministeriums zur Begutachtung übergeben. DaS Project stieß jedoch auf den Widerstand des „Heiligen Synod", der die Volksbildung nur der orlbodoxcn Geistlichkeit unterstellt sehen wollte. Bei der engen GesinnungSgcnoffen- sckafl de« russischen UnterrichlSlninisterS Dctjanow mit dem Ober-Procureur des Synod, PobedonoSzew, war eS vorauS- zusekcu, daß das Project des aufgeklärten Fürsten WolkonSkij scheitern würde. Nunmehr aber dürsten die Pläne WolkonSkij'ü dennoch den Sieg davon tragen, und eS ist nicht ausgeschlossen, daß der Rücktritt deS Grafen Dctjanow vom Posten des UnterrichlSministerS, welcher bevorstchcn soll, mit seiner Ab- Llärchen's Mitgift. Ss Erzählung von Paul Blumenreich. Slachdruck vtrboie» (Fortsetzung.) Die Arbeiter der Bauer'sckcn Telegrapbcn-Bau-Anstalt, die eben zum NachmittagSdicnst anrücktcn. wollten eS nickt glauben, waS ihnen der Pförtner sagte: Die Arbeit sei plötz lich eingestellt worden, weil inzwischen der gerichtliche EoncurS über daS großartige Fabrik-Etablissement verhängt worden war. Mit offenem Munde, im ersten Augenblick kaum einer Antwort fähig, standen sie da, wohl an die fünfzig Mann, plötzlich brotlos geworden, auf die Straße gesetzt, an« fried lichem, ersprießlichem Erwerbe verjagt, ohne daß auch nur Einer von ibnen eine Erklärung hätte finden können. Lorenz Bauer — bankerott? Ach, da- war ja nicht möglich! DaS war ja kein ausgebauschtes Schwindclunternebmen, keine unsolide Acliengründung, die da so jählings zusammen, brach — nein dir meisten von diesen Arbeitern hatten die Fabrik ja werden, wachsen, sich entwickeln gesehen. Und sie war nicht etwa krankhaft gewachsen, wie eine TreibbauSpflanze, die man mit allerhand Kunstknisten zu scheinbarer Blüthe treibt — bewahre! Hier batte ein tüchtiger Mann seine Kenntnisse in Erfolg umgesctzt, batte freilich auch die An erkennung gefunden, die er verdiente. Und kein Mensch konnte ihm nachsagen, daß er selbst etwa sich überbobrn, sich vor persönlicher Arbeit zurückgezogen oder gar den großen Herrn gespielt babe. Im Gegentheil: Lorenz Bauer stand noch beute im grauen Arbeitskittel an seinem Werktisch. Von ihm auS gingen alle Anregungen — er prüfte jeden Einzeltbeil, er leitete die Zusammensetzung der Maschinen — kein Stück ver ließ dir Fabrik, an dem er nicht seinen ebrlichen Antbeil an Arbeit gehabt hätte. Und wie anspruchslos lebte der Meister, den doch alle Welt für einen wohlhabenden Mann dielt! Ein wirkliches Vorbild seiner Leute, ein Muster deS Fleißes, der Strebsamkeit, der Bescheidenheit. Noch am vorletzten Sonntag batte er mit dem gesammten Personal seiurr Anstalt eine Landpartie gemacht, bei der keine Spur von dem angeblich überall vorhaoDenen Gegensatz zwischen Arbeitgeber uud Arbeitnehmer zu Lage trat. Wie eine? der Ihrigen hatte Lorenz Bauer die kleinen Strapazen und Freuden diese- SommcrvcrgnügcnS mit ihnen getbeilt ES waren drei Mann vorausgeschickt worden, um am Zicl- puncte deS Ausfluges die erforderlichen Anordnungen zu treffen, Esten zu bestellen, Tafeln herzurichten u. s. w. Und diese Fouriercommission glaubte für die Familie dcS PrincipalS einen eigenen Tisch decken taffen zu müssen, wie sie denn auch dem Wirlbe bedeuteten, er möge, was er etwa an Be- sonDerem in seinen Vorrathekammern habe, für die Herrschaft rcscrviren. Aber daS Erste, was Lorenz Bauer tbat, als man unter klingendem Spiele draußen anlangte, war, daß er den „Herr- schastslisch" beseitigen ließ. Und nian mußte umbauen, mußte eine riesige, sogenannte Huseisentafel aufbauen, an deren Mittel punkt der Meister, seine prächtige, von dem ganzen Personal verehrte Gattin, seine nunmehr herrlich ausgeblühte Tochter Klara und der eben dreizehnjährige Erwin Platz nahmen. Bauer hielt auch keine schwungvolle Rede, wie eS sonst wodl geschieht, wenn eifrige Berichterstatter zu den Eingelabenen zählen. — Er gehöre zu ihnen, zu seinen Mitarbeitern, sagte er schlicht, und seine schönste Hoffnung sei, daß sie auch weiter zu ihm kalten, auch weiter Thcil haben würden an dem Empor- wachscn Dessen, was er mit ihnen gemeinsam geschaffen. Förmlich bingeriffen war die ganze Schaar von Männern. Frauen und Kindern. Nur einer verzog bämisch den Mund: der Procurist, Herr Schelchrr, der sich auch heute wieder angelegentlich um Fräulein Klärchen bemühte. Aber Niemand achtete auf ihn. WaS wußte der Kaufmann von der magischen Bindekraft gemeinsamer Arbeit? Und am Montag früh nach jenem Ausflug stand Meister Bauer wieder um sieben Ubr als einer der Ersten am Schraub stock, und er tbat, als merke er nickt-, wenn der und Jener sich verspätete, wenn Einer und der Andere beute Müde batte sich wieder hineinznfinden in den Werktag mit seiner Last. Daß diese- geradezu ideale Bcrbältniß nun mit einem Male zerstört sei» sollte, vielleicht für immer vernichtet, — kein Einziger vermochte e- zu glauben. Aber an dem Haupt» eingange zur Fabrik haftete da« S«richt«siegel — da gab eS weder Widerspruch noch Zweifel «ehr. Nock in derselben Stunde bildete sich au« den Arbeitern ein EomitL, da« berathe» wollte, wir man vielleicht dem Meister io seiner Notblage deispringen lönntr. Jetzt traten drei Mann von ihnen in den Zeichens««!, wo selbstverständlich auch all« Arbeit eingestellt war. Nur Herr Dupont sollte noch oben sein, wie der Portier versichert batte. Und gerade Herrn Dupont wollten sie sprechen. Er war ibnen besonders sympathisch, und man wußte auch, daß er der Familie Lorenz Bauer s nickt ganz fern stand. Dupont saß an seinem Zeichentische. Verwundert und lief verlegen zugleich blickte er auf, als er die Leute kommen sab. Er machte Miene, aufzustchen, aber einer der Arbeiter beeilte sich, zu sagen: „Nicht dock. Herr Dupont, wozu denn? Sitzen Sic dock still! . . . Wir kommen nämlich — na — daS können Sic sich ja denken!" „Sie kommen, um von mir zu hören, daß Herr Bauer an dem Unglück unschuldig ist?" fragte der junge Mann, der nun schon wieder in voller Haltung war. „Nein, daS wissen wir, oder baltcn'S wenigsten- für selbst verständlich. Vielmehr, wir wollten im Namen Aller fragen, ob wir denn nicht weiter arbeiten dürfen, ob's denn keine Hilfe giebt?!" Nun stand Herr Dupont dock aus, so schwer ibm daS auch wurde. Und mit bewegter Stimme, als gelte diese hin gebungsvolle Treue ihm persönlich, versetzte er: „Es wird noch Alle- gut werden — eS muß ja — schon um Euretwillen, die ihr so herzlich theilnehmt! Ich will so fort zu Herrn Bauer, will ihm sagen, wie Ihr zu ihm battet. WaS aber die Arbeit betrifft, so darf sie, wenn ich recht ver standen babe, zunächst nur auf Eure Gefahr wieder aus genommen werden, weil nämlich unser armer Cbef von dem Augenblick an, da der ConcurS eröffnet ist, neue Verbindlich keiten nickt mebr eingeben darf. Wenn also da- Personal ibm daS Vertrauen schenken will, einige Wochen mit den Löhnen zu warten . . ." „DaS tbun wir!" ging'- den Dreien wie au- Einem Munde. „Und wer'- nicht will oder nicht kann", fuhr der Erste fort, „der mag seiner Wege gehen. Ader — eS gebt Keiner! ES wird sortgearbcitetl Sagen Sie da- Herrn Bauer." Der «precher reichte dem jungen Manne, aus dessen hüb schem Gesicht eine rührende Freude lag, die Hand. „Und sagen Sie'- auch dem Fräulein Klärchen", meinte in scherzendem Toue der Zweite. „Und der Frau Bauer — natürlich!" schloß der Dritte. Herr Dupont blickte ihnen nach, als ov sie ihm eine Freudenbotschaft gebracht. Ja, es that ibm unendlich wobl, daß man gerade an ibn zuerst sich gewendet hatte. Dadurch ver stärkte sich in ihm da- Gefühl, al« Hab« da- Unglück ibn der Familie Bauer »och näher gerückt. Freilich, die- letztere koante wobl nur äußerlich geschebcn; innerlich fühlte er sich längst eins mit den Bauers, gleichviel, WaS auch über sie kommen möchte. Als beute Vormittag Herr Bauer ihn, Georg Dupont, ruscn ließ, um ikni früher als irgend wem im Hause zu sage», wie hier die Dinge ständen, da war die stolze Genuglbuung, Die der junge Mann über diesen Vertrauensbeweis empfand, niedergedrückt worden, einerseits durch das tiefe und aufrichtige Mitgefühl, das ibn erfüllte, andererseits konnte er sich deS Gedankens nicht erwehren, als sei er selbst nicht ohne Schuld, Daß eS so weit hatte kommen müssen. Dagegen half auch nicht, daß er sich sagte, er nehme doch nur eine zweite Stellung ein im Hause Loren; Bauer'-. Er war als Ingenieur eingetreten, hatte Glück gehabt mit seinen ersten Arbeiten; der Chef war ihm von vorn herein mit ausgesprochener Sympathie entgegen gekommen. Er besprach neue Pläne mit ibm, schien Gewicht auf die Meinung deS jungen ManneS zu legen, zeichnete ihn er sichtlich auS. Wenn er, Dupont, trotzdem sich sehr bescheiden zurückbielt, vo» der wiederholten Einladung seines EhesS nur schüchtern Gebrauch machte, so hatte da- zunächst einen körperlichen Grund: Georg Dupont — er entstammte einer wohlhabenden, französischen Emigranlenfamilic — war lahm. Wen» er saß, sab man nichts davon, sonst aber schleifte er den reckten Fuß nach. Und daS gab dem fein empfindenden Mann etwas Bedrücktes. Ihm war immer zu Mulhe, al- Dürfc er mit seinem körperlichen Unglück den Schönheitssinn Anderer nicht verletzen. So hielt er s ch von den College» zurück, ja, er batte gelegentlich gebeten, „uS dem Zeichens««! versetzt zu werden — irgend wohin, wo er möglichst allein wäre. ES fand sich kein anderer Platz als ein Kämmerchen neben dem Arbeitszimmer de- Herrn Schelcher. Da nun Dupont sich einer außergewöhnlich schönen Handschrift er- srente, wurde er von Schelcher mit der Führung eines Haupt buches betraut. Daß der junge Mann die notdwendigcn Eintragungen eigentlich nur mechanisch vollzog, weil er von der Buchhattuug nicht allzuviel verstand, schien Herrn Schelcher nickl zu gcnirrn. Ja — jetzt hätte man glauben mögen. eS wäre dem kauf männischen Leiter der Fabrik gerade reckt gewesen, daß «in Unkundiger am Hauptbuche saß, ein Mann, der nur sklavisch niedersckrieb, was man ibm auftrug. DaS ging eine Zeitlang zu Aller Zufriedenheit, bis eine» Tage- Georg Dupont der eindringlichen Aufforderung Bauer'« gefolgt uud in dessen Familienkreis erschienen war. Bon Stuud'
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