02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941228020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894122802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894122802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-28
- Monat1894-12
- Jahr1894
-
-
-
9508
-
9509
-
9510
-
9511
-
9512
-
9513
-
9514
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
v«jUD».Prrt» rs 2»»»«», »«lt dtertkliätzrlich^l^Sd bi W*t»-ltaer liglicher Znstelln», e»S -M- > KL0. Vnrch die Post bezöge» für §^«f-l-»d unk Oesterreich: viei,el,tdrlick, K t.—. Direct» täglich» »ren-bandieadnng cht >n1l»»d: «onatlich -el ?chv. «üviergeW-Sn-g-d« erscheint täglich'/,? Uh^ W »ü»d-A»Agabt Wochentag« k ü-r. R^gcti», «st Er»estttio«: 8. W,I»chitioa ist Wochentag« nnnnteibroche» ^sstü vo» früh 8 bi« Sb«ld» 1 Uhr. Filiale«: M »«»»'« Sarli«. («lfrrk Hatzalb UatvrrMtlstrahe I, Laut« LSich». Mgutnenstr. 1«, pari, und »öntq-plntz 7. ^KK2. Abend-AusgaVe. nMM.TlWbialt Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. A«zeige».Prei- dtr «gespaltene Petitzeile 70 Psg. >«clame» »nt« dem Redaction-strich («aa» Walle») Ü0^, vor d»a ftamiltennachrichtä» (S gespalten) 40 Orüher, Schriften laut »»irre« PratI «erzeichnih. Tabellarijcher und ZifferuM nach höherem Tarif. Srtra-Veilagr» (gesalzt), »,r «it de» Worgen-Au-aabe, odne Poslbesördernug S0 —, mit Postbesorderung 70.—. Iimttthmrschlub für Anzeige«: Lbeod-An-gab«: Bonnitlag« 10 Uhr. Marge »«Ausgabe: Nachmittags «Uhr. Sonn« and Festtag« früh '/,8 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je «in« halb» Stnadr früher. k»»et,r« sind stet« an di« Grk«KM«n za richten. Druck and Lerlag von E. Potz in Leipzig Freitag den 28. Deccmber 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Decembcr. Wenn man sich erinnert, mit welchem fanatischen Eifer die „Kreuz;ta." diejenigen Fraktionen des Reichstags, die de» staatSaawaltschaftlichen Antrag auf Genehmigung der so- iortigen strafrechtlichen Verfolgung des Abg. Liebknecht «gen seine« Sitzenbleibens bei dem am 6. d. M. auf den Kaiser au-gcbrachtcn Hoch aus vcrfassungSrcchtlichcn Be reisten ablehutcn, des SympalhisircnS mit der Socialdcmvkratic and des Mangels an monarchischem Sinn beschuldigte und cerdächtigte, so sollte man eS kaum für möglich halten, daß östsinnungSgenossen des hochconfcrvativr» Blattes in dem tnrch die Verurtheilung des Antisemiten Leuß frei gewordenen ReichStagSwablkreise Schmalkalden-Eschwege bei der HSsung der Candidatenfraac in einer Weise Vorgehen, die rem soctalkemokrattschrn Kandidaten Aussicht aus den Sieg verschafft. Und doch ist cS so. Der „Nat.-Ztg." wird näm lich aus Eschwege geschrieben: Die Situation in unserem Wahlkreise hat sich während der Feier« uge wesentlich geändert. Der von den Rationallibcralen in Aussicht genommene KreiSrath Haas (Lfsenbach) ist von der Caadidatur zurückgetreten, nachdem bekannt geworden, daß die Berliner Leitung de« Bundes der Landwirthe rin Mitglied derselben, Herr» l)r. Rösicke, als Eandidaten aufstellt. Damit ist die Aussicht aus den Sieg eine- Lrduungscandidaten erheblich verschlechtert. Bahrend eine Candidatnr des MittelparteilerS Haas die Mog- lichhnt eines Siege- in der Hauptwahl bedeutete, wachsen bei der nunmehr sicheren Stichwahl di» Aussichten der Socialdemokratie erheblich, welcher der Name eines Hauptes der Agrarier, wie Herr Rösicke, die Unterstützung de- Freisinns sichert. ES werden sohin im Kreise die Rationalliberalen, der radikale Freisinn, die Socialdemokraten, der Bund der Landwirthe und die Conservativen nm das Mandat kämpfen. Sollte der auch Le« Antisemiten erwünschte Caadidat der letzteren, Herr von AlvenSleben-Rusteberg. ebenfalls der Candidatur Rösicke weichen, so wollen die Antisemiten noch mit einer eigenen Can« Lidatur hervortreten. Wahrlich ein klägliches Bild parteipolitischer Zerrissenheit. Ist unser Kreis aber dazu ausersehen, den siebenund- oierzigsten Socialdemokraten im Reichstage zu stellen, so kommt er »ns da- Conto der Herren von Plötz, Suchsland und Genossen, wie » Planen i. L. Wenn der nationalliberale Candidat, um eine Zersplitterung der ualionalliberaleu und conservativen Stimmen zu verhüten, jnrückaetreten ist, so hat er damit bewiesen, daß cS ihm vor allen Dingen darum zu thuu ist, die OrknungSpartcicn zu einer gemeinsamen Abwehr der Socialdemokratie zu bewegen. Gelingt ihm dies nicht, so liegt — abgesehen von den „Frei sinnigen", die doch den Hochconservativen nicht als Muster dienen können — die Hauptschuld an den agrarischen Freunden der „Kreuzzcilung", denen entweder ein Socialdemokrat im Reichstage lieber ist, als ein Nationalliberalrr, oder die wenigstens für einen unwahrscheinlichen Sieg deS eigenen lfandidaten ohne Bedenken die Wahrscheinlichkeit eines social- demokratischen Wahlsieges in den Kauf nehmen. Ist ein solcher Sieg wirklich die Folge des Borgehen« deS Bunde- der Landwirthe und erweist sich der socialdemokratische Ver treter de« Wahlkreises als gelehriger Schüler Liebknecht'-, so wird man an derjenigen Stelle, auf welche das eingangs er wähnte Eifern der „Kreuzzcitung" berechnet ist, wissen, am »essen Conto da« Anwach,cn der Zahl der Demonstranten zegen ein Hoch auf das Oberhaupt deS Reiches geschrieben «erdeu muß. 3u Württemberg. wo am 1. Februar die Zweite llrmmer erneuert werden soll, wird die Wahlbrwegung »er lebhafter und interessanter. Zum ersten Male wird in dieser Wahl da- im verflossenen Sommer neu gegründete itzväbische Centrum sein Banner entfalten, nachdem es tither unter der Fahne der im Wesentlichen ministeriellen „Landespartei" gefochten batte. Diese selbst hat durch den Abfall ihrer katholischen Mitglieder, die ihr kaltblütig und mit französischem Abschied den Rücken gekehrt haben, den Boden unter den Füßen zur Hälfte verloren und wird wabr- cheinlich völlig vom Schauplatze verschwinden. Ihre Erb- chast tritt mit fröhlichem Herzen die deutsch-konser vative Partei an. die bisher im Landtag nicht bestand. Unter dem Gesichtspunkt der Klärung der politischen Lage kann man cs nur mit Freuden begrüßen, wenn die Con- crvativen, die im Lande immerhin da und dort stark vertreten rnd, auch im Landtage endlich zum Worte gelangen; ihrem Programm nach, das aber nur vom Ausschuß, nicht von einer Landesvcrsammlung herrührt, werden sie in manchen Stücken recht radikal Vorgehen. Die deutsche Partei, die in sich die nationalliberalen und frciconscrvativcn Elemente begreift, wird einen schweren Staad haben, da so ziemlich alle Parteien ihr Abbruch zu thun suchen werden und das fast unbedingte Ge- solgSverhältniß, in dem ihre Kammersraction zu dem vor IabreSsrist verstorbenen Minister Ioscpb Schmid stand, ihrem Ansehen im Lande sehr geschadet hat. Gleichwohl ist ihr An hang noch so zahlreich, daß sic diesmal so wenig „untergeben" wird, wie in früheren Fallen, wo ihr dieses Schicksal von interessirter Seite geweissagt wurde. Besonderes Aussehen erregt das Vcrhältniß der demokratischen VolkSpartci zum Centrum. Beide haben seit Menschengedenken gegenüber der den nationalen Gedanken in Schwaben vor allen vertretenden deutschen Partei den Grundsatz befolgt, getrennt zu marschiren und vereint zu schlagen; bei den Reichs- tagSwahlen hatte den vollen Gewinn davon die Demo kratie, die ohne den ultramontancn Zuzug weder Heilbronn, noch Freudenstadt, noch Rottweil, noch Göppingen, noch Mergentheim im Reichstag vertreten würde; an dem Tag, wo das Centrum in diesen Wahlkreisen sich ihr versagt oder auch nur einen Bruchtheil seiner Stimmen ins andere Lager abziehen läßt, wäre das Spiel für die Demokratie rettungs los verloren. Der Appetit kommt aber bekanntlich beim Essen; die Volkspartei versuchte, auch in eigentlich katholischen Bezirken sich festzusetzen, und nun kommt daS Ceutrum, legt aus diese seine Hand und zieht vorsichtshalber auch diejenigen katholischen Abgeordneten, die bisher im Landtag im „Club der Linken" hatten Platz nehmen dürfen, an sich. Die Demokratie läuft also Gesahr, trotz aller Großsprechereien bei den LandtagSwahlcn nicht die besten Geschäfte zu machen, namentlich da di« CcntrumSgründung auch die protestantischen Gefühle geweckt hat; sie steht also zur Zeit vor der schweren Frage, bei welcher Taktik mehr herausspringt: beim offenen Kampfe mit dem Centrum, das ja Jahre lang den demokra tischen Samen im Land mit hat auSstreuen bclsen, oder bei einem erneuten Geschäftsverhältniß mit ihm, wobei die Volks Partei diejenigen Bezirke gnädigst bekommen würde, die dem Centrum selbst nun einmal unerreichbar sind. Wir halten daS Letztere für daS Wahrscheinliche, denn die Furcht vor den Cartelparteien ist der demokratischen und der ultramontancn Weisheit Anfang. In Ungarn ist die Entscheidung in der seit Monaten schwebenden Ministerkrise gefallen und zwar so, wie wir es von Anfang an vorausgesagt batten. Der König hat daS Ent lass ungS ge such des Ministeriums Wekerle an genommen, das die Geschäfte bis zur Berufung eines neuen Cabinets weitersühren wird. Wer wird die Erbschaft antreten? Im liberalen Club hat Banfsy sich bereit erklärt, ein neues Ministerium zu bilden, doch stellt er die Bedingung, daß die Krone die zu be rufenden Minister bezeichnet, damit der Charakter des Cabinet« außer Zweifel gestellt werde. In Bezug aus die noch ausstehenden kirchenpolitischen Vorlagen ist Banffy zum Entgegenkommen bereit. Bei dem Gesetze über die freie Rcli- gionSübung will er die ConfcssionSlosigkeit fallen lassen. Be kanntlich bat sich nur dagegen der Widerstand im Magnatenbanse geltend gemacht. Dagegen verlangt der neue Ministerpräsident in 8pv, daß an dem Gesetzentwurf, die Reception der Juden betreffend, nichts geändert werde. "Rack allgemeiner Ansicht würde ein Cabinet Banffy nur ein Provisorium bedeuten, den Uebergang zur Budgetcrlcdigung und zu Neuwahlen, möglichenfalls zur Vereinigung aller AnSgleichspartcien egen Kvfsutb und die äußerste Linke. Gerade weil eS los eine Uebergangsbcstimmung besitzt, glauben politische Kreise, daß die Bildung eines Banfsncabinets keine größere Schwierigkeiten bereitet. Den Hoskrciscn genügt vorerst die Kraftprobe, Laß sie ganz allein gegen den Willen deS Unter- bauseS ein Ministerium stürzten; daS Weitere, boffen sic, wird sich dann schon von selbst finden. Ueber die Ursachen der Demission des Cabinet- Wekerle brauchen wir uns nicht abermals zu verbreiten. Der scheidende Ministerpräsident bat ja in der gestrigen Clubsitzung der liberalen Partei, was er lange abgelcugnct hatte, unumwunden eingeräumt, baß nämlich das Cabinet das Vertrauen der Krone nicht mehr in vollem Maße besitze. AuS früheren Aeußerungen Wekcrle's weiß man, daß das wiederholte Zusammengehen der liberalen Partei mit der äußersten Linken und die Cvncessionen, welche das Cabinet derselben in der Kossutb-Angelcgcnbeit gemacht bat, den König verstimmt und mißtrauisch gemacht haben. Dazu kommt, daß das Cabinet Wekerle. namentlich der Justiz- minister vr. v. Szilagyi die Vorherrschaft deS Parlaments in einem Maße und in einer Weise zu entwickeln ver suchte, welche den Verdacht einer Zurückdrängung der Rechte der Krone und einer Schmälerung des monarchischen PrincipS erweckte. DaS mußte, da Franz Ioscpb in diesem Punkte bekanntlich besonder- empfind lich ist, zum unausbleiblichen Conflict und zum Sturze des Cabinets führen. Es verlautet, daß Wekerle dem König vor schlug, auch zwei Mitglieder der äußersten Linken anzubören, daß dieser Vorschlag jedoch abgelchnt wurde. Der Neubildung deS Cabinets wird vor Ablauf der ersten Januarwoche nicht entgegengesehen. Die socialrevolutionäre Strömung in Belgien hat in den letzten Tagen zwei bedeutsame Erfolge davon- getragcn: in Brüssel und in Lüttich. In Brüssel haben die monarchistifchen Elemente des Anwaltstandes sich gegen über den Unverschämtheiten von einem Paar socialdemokra tischer Schreier in einer Weise benommen, die man nur als eine klägliche moralische Feigheit bezeichnen kann, indem sie, die im Brüsseler Anwaltstande die weit überwiegende Mehr zahl besitzen, gleichwohl auf die Rodomontaden eine- social demokratischen College» hin da- bei dem IahreSmahl der Anwälte hergebrachte Hoch aus den König Preisgaben. Diese unmännliche Scheu, mit ihrer Person öffentlich für ihre monarchische Ucberzeugung einzutrctcn, kann sich im weiteren Verlaufe der belgischen Staatsentwickelung noch sehr ver- hängnißvoll erweisen. Nichts imponirt der Socialdemo kratie mehr als ruhige Entschiedenheit in Vertretung von Reckt und Gesetz, nichts ist mehr darnach an- gethan, die rohen und verbrecherischen Instinkte der Socialdemokratie zu entflammen, als wenn sic merkt, daß die führenden Kreise es in entscheidenden Prinzipienfragen an Muth und Entschiedenheit fehlen lassen. In der belgischen Hauptstadt erscheint eS um so gebotener, daß die gebildeten Stände auf dem Posten sind, je herausfordernder und schamloser die socialrevolutivnairc Propaganda dort in den niederen Classen mit französischer Hilfe betrieben wird. Die Sache des Königtbums ist iu Belgien gleichbedeutend mit der Sacke der staatlichen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Daher erscheint daS Zukreuzekricchcn der Anwälte vor ein paar demagogischen Schreihälsen doppelt bedenklich. — In Lüttich baben die Umstürzler einen allerdings noch nicht endgiltigen Wahlsieg errungen, indem ihr Candidat SmeetS am Sonntag die Mehrzahl der abgegebenen Stimmen und überhaupt fast ebensoviel Stimmen errang, al» der klerikale und der liberale Mitbewerber zusammeogenommen. Zwischen dem Umstürzler SmeetS und dem Klerikalen Francotte ist Stichwahl nothwendig geworden, und man darf einigermaßen gespannt sein, was die Liberalen, von denen der Ausgang abbängt, thun werden. Stimmen sic nickt mr den Klerikalen, oder enthalten sie sich auch nur der Be- thciligung am Wahlgange, so siegt unfehlbar der Umsturz man», dessen Wablprogramm, wie er e» während der Agita tionscampagne vor seinen Wählern oft genug entwickelt hat, einfach dahin lautet: Consiscation des grsammten ^rivatcigentbu mS zu Gunsten der Gemeinschaft. Genosse SmeetS ist so liebenswürdig, der Gesellschaft diese Zu mutbung nicht mit einem Male, sondern nach und nach zu stellen. Zuerst wird mit den Bergwerken, dann mit den Fabriken ausgeräumt, hiernach kommen die Rentiers und die Gut« besitze« ans Messer und so fort, bis mit allen „blut angerischen" Eristenzcn gründlich aufgeräumt sein wird. Wenn also die liberalen Elemente Lüttichs noch eine gewisse Anhänglichkeit an ihr Eigenthum haben, dann kann ihnen am Sonntag die Wahl nicht schwer werden. Ueber die irische Homerule, welche seit Austauchen der Überbaus Frage nahezu von der Bildsläche der Tagespolitik in England verschwunden ist, Kat dieser Tage ein schottischer Liberaler, das Parlamentsmitglied Mac Ewan, vor seinen Etinburger Wäblcrn eine beackicnSwertke Rede gehalten, das erste freie Wort, das seit Langem im Lager der Gladstoncaner über dies politische Trugbild gesprochen worden. Mac Ewan ist der Meinung, daß die liberale Partei wcuigstcns in dieser Generation die 18t)3cr Gladstone'sche Homerule-Bill nickt durchzusetzen im Stande fein werde. Er richtet dann auch an seine Partei genossen die Frage, warum sic nicht mit dieser Tbatsackc rechneten und sie offen anerkannten. „Wir können doch", rust Redner aus, „die Tbatsackcn nickt ändern; wir haben geopfert, was wir konnten, aber wir haben nicht die Macht, nnd deSbalb befindet sich Homerule im Stadium der Suspension." Im Weiteren erklärt Mac Ewan, die ObcrhauSfrage werde jetzt alle anderen Fragen in Schatten stellen, und die irischen Führer, sofern sie aus eigener Legislatur als einzig zulässiger Forderung bestünden, könnten lange warten. Eö gehe über die Macht der Liberale» binauS, Homerule auf Grundlage rer 18llZer Bill durchzusctzen. Schließlich ermahnte der Redner die Irländer, ikre Forderungen hcrabzuschen und anstatt ein irisches Parlament zu verlangen, sich mit einer für „irische Zustände passenden und irifchcn Ansichten entsprechenden' Localvcrwaltung zu begnügen. Die Dubliner Burgberrschasl werde sallen, Irland mit Schottland und England aus gleicken Fuß kommen. So spricht der Liberale Mac Ewan; uns dünkt, daß Lord SaliSburn, Balfour oder sonst ein Unionisten Führer ganz ebenso sprechen würde. Freilich werden die Irländer mit diesen Vorschlägen nicht zufrieden sein; sie ge kören eben zu Jenen, von denen das englische Sprichwort sagt, daß sie stets eine Kuh mit fünf Beinen wollen und eine »nt drei bekommen. Auf Hawaii ist, wie gemeldet wurde, eine Royalisten- versckwörung, die den Zweck hatte, die entthronte Königin Lilinokalani wieder aus den Thron zu setzen, entdeckt worden Viele versteckt gehaltene Gewehre und andere Waffen wurden mit Beschlag belegt und viele Personen, namentlichEngländer, verhaftet. In der Thal sind es die Engländer, welche seit der am t. Juli unter dem Protectorat der Bereinigten Sein Erbe. Ws Eine Familiengeschichte. Bon M. von Buch. Nachdruck verdoien. (Fortsetzung.) Die Alte schien selbst, ein Stück Vergangenheit, gramvoll >» die blühende Gegenwart hincinzuragen. Lieselott ward unheimlich zu Muthe bei ihren Reden; vcrgeblick zupfte sie >cdoch Clemens am Aermel, um die Unterhaltung abzubrechen. „Wie hübsch Ihr in die grünen Bäume deS Parke» bineia- ichaut", meinte sie, sich im Zimmer umsebcnd, um doch auch clwaS zu sagen. „Euer Fenster ist das letzte im ganzen Hause." „Ja, hier schaue ich in die Bäume und in den Himmel bmein", stimmte Frau Weiland ein, „und weiter will ich au- nichts sehen. Früher, vor Jahren, da habe ich drüben zewohnt in einer der Kammern, die nack dem Hos hinauS- >,ezen. Und als ich da eines Tages am Fenster saß, meine Äugen waren dazumal gut, bester in der Ferne wie in der Rahe, da sah ich in der Kastanicn-Allcc die beiden stehen, sie und ihn. und am nächsten Tage ging sie fort. Es gab mir einen Stich in» Herz, ick hatte eS nicht von ihr gedacht, und in der Kammer mochte ich schon gar nicht mehr bleiben. Aber schlecht war sie darum koch nickt, schlecht war sie nicht, nein, nein." — Sie schüttelte den Kops hin und her und sah lie beiden jungen Menschen groß an. „Clemens, komm, in der Stube ist eS beiß zum Ersticken, ich muß hinunter", bat Lieselott; die Alte verstand sie und nickte ihr zu. „Du bist jung, Dein Herz pocht schnell, und ka- macht Dich warm", meinte sie. „Gerade so war eS mit ihr. Sie war jung, da» war ihr Fehler, gnad ihr Gott." „Also meine Mutter lebt?" schrie ihr Clemens noch ein mal in die Ohren. „Wer sagt daS, Kind? Ack, ich bin all, we,ß gar nicht« mebr und bringe Alles durcheinander. Dazumal, al- die Rüsten und Franzosen in« Land kamen —" Sie versank in ein undeutliche- Murmeln, und schnell zog Lieselott den Gefährten au« der unheimlichen Umgebung. Am Treppengeländer stand der Knabe schwerathmend Di, die poste» schwarzen Luge« bräunt» i» dem feinen, blaffen Gesicht, und die schön geschwungenen Lippen zuckten und bebten. DaS junge Mädchen sah ihn mitleidig an. ,/Du nimmst doch auch Alle« so schwer, Clemens", sagte sie vorwurfsvoll. „Mir dämmert eine entsetzliche Ahnung", stöhnte er. „Aber die Frau ist ja kindisch", suchte sic ihn zu be- rubigen. „Sie sprach bald von Gerhard'-Mutter, bald von Deiner, man wußte gar nicht, waS sie meinte." „Du wirst wohl verstanden haben, was auch ich daraus zu verstehen meinte", sagte er, daS Gesicht von ihr wendend. „Und wenn Deine Mutter Dich wirklich freiwillig ver lassen hätte", hier schauerte ihr Zuhörer sörnllich zusammen, „so hast Du doch einen Vater, der Dich doppelt und dreifach dafür siebt", tröstete Lieselott. Er nickte stumm. „Wirklich, Clemens", fuhr sie fort, „ich habe manchmal lachen müssen, wenn ich Deinen Vater um Dich sah, der gar nicht wußte, was er Dir alle- Liebe- und Gutes anthun sollte. Sieh mal, bei mir ist eS in der Kindheit nickt ohne Schläge abgcgangcn, und ich bin doch rin Mädchen; Du hast wohl nie die Hand de- Vaters gesühlt?" „Im Zorn nie, nur in Liebe." „DaS dachte ich mir", lächelte das junge Mädchen. „Bisher hast Du also nichts vermißt, warum grämst Du Dich um die Mutter, die Du gar nickt kennst?" Er seufzte nur und schwieg, Lieselott würde wohl nicht verstehen, waS ihn quälte. Da hörte er Thüren klappen und ausgehen und sab im Eingang die leicht gebeugte Gestalt seine« Vaters. Mit einem Satz war er neben ihm und jchlang die Arme um den Alten. „Mein lieber, lieber Pater", sagte er und bemerkte nicht einmal, daß Frau von Iaßnitz neben ihm stand. „Mein guter Junge", meinte Hollbracht, ibm zärtlich über die weiche Wange streichelnd. Er wandte sick an Frau von Iaßnitz „Nun sehen Sic den Burschen Zu Zeiten ist er maßlos unbändig, aber ein gute« Herz hat er doch. Er ist nun mal die Freude meine» Leben«: ein bischen Thorhrit muß man uns beiden eben zu Gute halten." Gegen Abend war die kleine Gesellschaft im Gartrn- zimmer versammelt, die Fenster waren offen, Rosenduft zog ein. Clemens hatte eS schon beim Vater durchgrsetzt, daß Gerhard « Gcburt-tag diesmal >m großen Kreise gefeiert werden sollte, und nun machte er und Lieselott allerhand Pläne für den wichtigen Tag. Frau von Iaßnitz überlegte unter heimlichem Gähn«, zu welcher Stnnv« sie ihren Gatt« er. warten dürfe; Hollbrackl suchte sie zwar zu unterhalten, aber er lauschte doch immer wieder zu Clemens hinüber und freute sich, daß der Junge im Gedanken an da- Fest so glücklich war. „Tu solltest uns etwas singen, Lieselott", schlug die Mutter vor. Sie hatte sich soeben überzeugt, dag der Zeiger der Stutzuhr wenig über acht Uhr wies, und daß füglich nicht an baldigen Aufbruch zu denken war. Lieselott wollte sich zwar sträuben, unter Hinweis, daß sie nicht» auswendig zu singen wisse, doch Hollbracht zeigte aus daS kleine Notenschränkchen, das neben dem altvaterischen Instrument stand, und Clemens mußte suchen Helsen. Endlich fand sie in den gefüllten Kästen ein vergilbte« Noten blatt, das ihr zusagte. „So ein altmodische« Ding, jetzt sind die Claviere alle ganz anders", sagte sie lachend, al« sic vor den« Spiuett saß und die Tasten anschlug. Sie batte recht, da« Instrument war veraltet, doch die Saiten hatten sich nicht verzogen, und nun, mit welch eigenthümlichem, halb beiserem Klange drangen die dünnen Töne durch die Stille. Nicht gerade schön, aber ergreifend, unendlich webmütbig, wie die langverhaltene, zit ternde Klage eines wunden MrnschenherzrnS. Nach einigen Accorden setzte die frische, junge Stimme ein: Die Liebe schöpft die Seligkeit Aus der Tiefe des rinnenden Strome- der Zeit. Sie trägt sie hinein in die trüb» Welt, Ein jeder sein reichlich Maß erhält. Rur Wenigen wird Glück und Heil AuS jenem Wundertrank zu theil, Die meisten mischen ihm im Ru Tie eigenen Leideuschafien zu. So wird getrübt er, wird er schal, Und statt der Freude bringt er Qual. Die Liebe aber ist voll Huld, Sie ahndet nicht der Menschen Schuld, U»d ewig sie schöpft die Seligkeit Au- der Tiefe de« riuuruden Strome- der Zeit. Hollbracht sagte nicht, ob er da« Lied wiedererkannte, er körte still zu, dabei flog ein Schatten über seine Züge, der sie hart und strrng erscheinen ließ „Ein wunderliche« Lied", jagte Frau von Iaßnitz, „und die« Clavier dazu, wirklich, ich könnte melancholisch werden, wenn ich Anlage dazu bätte." Lieselott subr noch einmal über die Taft». „Unmöglich, nach diesen Klängen können wir uumöglich tanzen, Onkel Hollbracht" (sagte sie. die weiche rosige Hand ans sein«» Arm legend. „Bitte, nickt wahr, zu Gerhard s Geburtstag läßt Du Musik aus Wellstädt kommen?" „Ja, ja, das ist das Beste", jubelte Clemens. „Die Musik muß aus Wellstädt kommen." Der Alte nickte bejahend. Lieselott summte die Melodie noch einmal vor sich hin, plötzlich zog sic Clemens bei Seite und reichte ihm das vergilbte Notenblatt, aus da« ihre schlanken Finger tippten. „Siebst Du?" fragte sie leise. Ja, freilich, er sah. In einer Ecke stand mit verschnör kelten, vcrkriyclten Buchstaben ein Name geschrieben, der Name seiner Mutter: Charlotte von Hollbracht. Hatte auch sie das Lied gesungen? Da kam endlich der Wagen mit dem ersehnten Gatten und Vater auf den Hof gefahren, Grüße wurden getauscht und Abschiedsworte flogen hin und her. Iaßnitz sieß die Damen einsteigcn und ries dem Kutscher zu, nickt den Weg durch den Wald zu nchmkn, sondern die Chaussee zu fahren. „Du weißt", meinte er zu Hollbrackt gewandt, der neben ihm stand, „daß ich eine Waffe bei mir sühre, aber augen blicklich kann man nicht vorsichtig genug sein. Die Barri- cadcnbautcn in Berlin baben bei uns die Köpfe verwirrt, in den Dörfern werden Vcrsanimlungen abgehajten, und der größte Schreier ist irgend ein verlorenes Subject, ein Mann, der schon einmal im Zuchtbause gesessen hat. Du hast da- zweifelkafte Vergnügen, ihn in Deinem Dorfe zu beherbergen, den rothen Christian, wie ihn die Leute nennen." „Ja, ja, vor solchen Menschen braucht unser einer keine Angst zu haben." „Wie stehst Du mit den Leuten, Hollbracht?" fragte Iaßnitz. „Sehr gut", erwiderte der Gefragte, „ick kann nicht klagen. Aus Wiedersehn, aus Wiedersehn!" Die Pferde zogen an, und im leuchtenden Mondschein standen Vater und Sohn »nd schauten den Gästen uach. ZebnteS Capitel Dsr krstgeborenr In Walddors war Gerhard eingetroffen, jetzt ein hoch- gewachsener. junger Mann, dessen Lippe» bereit« ein Bärtchen schmückte. Er erinnerte stark an seinen Vater, nicht nur in Gesicht und Haltung, sondern auch im Wesen. Aber hatte die überqucllende Lebenskraft am alten Baume viel unnütze krause Arslc und Zweige getrieben, den jungen batte da« Lcbcn in eine strenge Schule genommen, hatte da» überflüssige Holz beschnitten und iho im Uebrigen so fest und tüchtig ge»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht