Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.01.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930112020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893011202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893011202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-01
- Tag1893-01-12
- Monat1893-01
- Jahr1893
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS-PretS t, der Haupterveditio» oder den im Stadt. be»irt und den Bororten errichteten AuS- nMnllen abgeholt: vierteljährlich^tl.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haar .sl b.bO. Durch die Post bezogen für Teaischlaad und Oesterreich: viertel,äbrlich » 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandjendung »ul Ausland: monatlich 9.—. TieMorgen-AuSgabe erscheint täglich '/«7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag- b Uhr. Ledaclion vu- Lrpeditiou: JshauncSgaffe 8. Lie lkrvedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: ktt» klemm» Sortim. («lfreh Hahn), Universitätsslraste 1, Louis Lösche. ßotharinenstr. äs, part. und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. Tagtlilall Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. A«zeige«.Prets Die 6 gespaltene Petitzeile SO Psg. Reklamen unter demRedactionsstrich «ge. spalten) bO-^, vor den Aamilteuuachrichte» (6 gespalten) 40 »j. Srößere Schriften laut unserem Preis, verzetchniß. Tabellarischer und Zissernsatz oach höherem Tarif. Optra-veilagrn (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,9 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestelleu je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an di« Sptzetzttt«» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 21. Donnerstag den 12. Januar 1893. 87. Jahrgang. Die Krifis in Frankreich. * Unseren gestrigen Ausführungen in Betreff der Lage in Frankreich haben durch den inzwischen erfolgte» Cabinets- wechsel einen verstärkten Rückhalt bekommen. Dem, wie cs scheint, unaufhaltsamen Schwinden jeglicher Autorität ist nun mehr auch der in so vielen Lagen unangefochten in Besitz des AriegSportefeuilles verbliebene „Eivilkricgsminister" Herr ke Freyciuet zum Opfer gefallen und auch Herr Loubet schwächlichen Angedenkens hat dem wachsende» Druck der Verhältnisse Weichen müssen. Herrn Ribot war klar geworden, laß er sich von beiden Männern trennen mußte; er thal eS mit der Begründung, daß die seitherige Zusammensetzung teS Eabinetü den Anforderungen der Lage nicht mcbr entspreche, d. h. mit anderen Worten: die Regierung tränt sich nicht mehr die nötbige Festigkeit zu, den Angriffen, welche unter den leitenden Männern aufzuräumen bestrebt sind, Stand zu halten. Daß auch die Mehrheit der Dopntirten- kammer ein Spiel der Tagesströmung geworden, zeigt ihr Verhalten gegenüber der PräsidentsckafkScandidatur Flcquct'S. Derselbe vereinigte nur noch Bruchthcile des früheren An hangs auf seinen Namen und zog schließlich seine Bewerbung ganz zurück, woraus Casimir Perier zum Kammerpräsidenten gewählt wurde. Nach Außen hat die französische Krise durch den Mdcrzusammentritl der Kammern keine wesentliche Acnderung erfahren. Tie angedrobten revolutionaircn Kundgebungen sind vollständig ausgeblieben, woran auch Niemand zweifelte, ter mit den Verhältnissen einigermaßen vertraut ist. Der FcldzugSplan der Revolutionaircn zielt dermalen weniger ans die Eroberung der Straße, als ans jene der Kammer, sie beabsichtigen nicht mittelst Barrikaden, sondern mittelst des Stimmzettels zu operier». Wenn einige anarchistische Fanatiker aus eigene Faust ihren Guerillakrieg mit Dynamit und Dolch sollten fortsetzen wollen, so thun sie es auf ihre Gefahr, ohne Fühlung mit dem Hauptquartier der Revolution. Die Re gierung thul nur ihre Pflicht, indem sie für alle Eventualitäten rüstet. Die Verbindung des CabinctS- vorsitzeS mit dem Portefeuille des Innern hat keinen andern Sinn, als den, die Bedingungen einer kräftigen gouverncmcntalen Aktion schon bei Zeiten zu schaffen; als Ergänzung-Maßregel nach der gleichen Richtung ckarak- lerisirt sich die Belastung des Generals Saussier ans dem Pariser GouverneurSpostcn, obwohl der genannte General »ach dem Wortlaute des Gesetzes über die Altersgrenze jetzt hätte in Pension treten müssen. General Saussier in aber ter Sache der Republik treu ergeben, so daß Herr Carnol aus Rücksichten der StaatSraison in Betreff Saussier'S eine ÄuSnahmc von der gesetzlichen Regel machte. Die innere Schwäche der RcgierungSposition wird freilich durch solche Maßregeln nicht beseitigt. WaS die Ursachen der MinisterkisiS betrifft, so hat nach vorliegenden Meldungen Loubet geäußert, daß im Schooßc dis Ministeriums Ribot seit dessen Bestand Zwietracht herrschte. Loubet, Burdeau und Freyciuet bekämpften das barsche Vorgehen des Justizministers Bourgeois gegen die angcklagten Senatoren und Abgeordneten, weil dadurch die Republik gefährdet würde. Bourgeois sei jedoch über den Widerspruch ker genannten drei Collegen zur Tagesordnung übcrgcgangcn. LaS Freyciuet betrifft, so spricht man offen von seiner bevor stehenden Verhaftung, da dem Untersuchungsrichter Franque- rille neuerdings Briese des KriegSministerS an Cornelius Her; vorgclegt wurden. die Freycinet unzweifelhaft bloßstellen. Welche Anschauungen Frcycinet übrigens in Bezug aus die öffentliche Moral hat, erhellt aus der soeben telegraphisch Meldeten haarsträubenden Thatsache, daß er im Bcrbör zum Untersuchungsrichter sagte: »Ich habe mehrere Mil lionen zum Ankauf von politischen, namentlich aber militairischeu Dokumenten ausgegeben. Da mir ;u dicsein Zwecke keine geheimen Fonds zur Verfügung itmden, habe ich den Rest einsack' von der Panamagesellschast rerlangt." Nicht minder bloßgestellt erscheinen der Marine »linistcr Burdeau und der Abgeordnete Clemcncea». Crsterer stimmte l888 zuerst gegen, eine Woche später für die Panama-Loosanleihc und wird von SanSleroy beschuldigt, bestochen worden zu sein. Clemenceau erhielt nach Aussage von MariuS Fontane durch Vermittelung von Cornelius Herz Panamagelder im Gesammtbelrage von 350,000 Francs, außerdem 200,000 Francs für sein Blatt „Iustice". Die gerichtliche Verfolgung Clemcuccau's ist un zweifelhaft. Floquet wird sein Abgcorductcumaiidat niederlegen. Tie Untersuchung in der Paiiamaasfaire fördert übrigens fortwährend neue Ueberraschungen zu Tage. So bat Baihaut nach der „Cocarde" dem Untersuchungsrichter auf die Frage, warum er de» ungünstigen Bericht reS Paiiama-JngcncurS Nousscau im Jahre 1880 nicht veröffentlicht habe, wörtlich geantwortet: „Och habe den Bericht auf Anrathcu meines College», dcS damaligen Fiiianzministerö Sadi Carnot, dcö heutigen Präsidenten, nicht veröffentlicht; dieser sagte, wenn ick den Bericht veröffentlichte. wäre die Emission der Panamalcosc unmöglich." Diese Mitthcilung erregt größtes Aufsehen, der Untersuchungsrichter Franqucville hat sie zu Protokoll genommen. Damit ist nun auch Präsident Carnot direct beschuldigt, znm Panamaskandal ei» bedenkliches Stillschweigen beobachtet zu haben. Man empfindet jedenfalls diesen gegen das Staats oberhaupt geführten Streich sehr schmerzlich und ist bemüht, Carnot gegen seine Feinde zu schützen, denn eine der „Agence HavaS" zur Verbreitung ziigegangcnc Note erklärt die Behauptung der „Cocarde", »ach welcher Sadi Caruot, im Jahre 1880 Finanzminister, die Veröffentlichung des Rousseau'schen Berichtes verhindert habe, für durchaus falsch. Sad, Caruot habe damals von dem Bericht Ronsseau'S nur dasjenige gekannt, waS il»n davon durch Baibant im Ministcrrath mitgetbeilt wurde, und habe keinerlei Meinung über die Veröffentlichung dieses Dokumentes abzugeben gehabt. Die neuen Minister waren gestern Nachmiltag um fünf Uhr zu einer Sitzung versammelt. Der Präsident Carnvt Unterzeichnete die ErnennungSdecrctc. Da der Admiral, welchem Ribot das Marineportefcuille angebote», noch nicht geantwortet hat, so behält Ribot interimistisch auch dieses Portefeuille. Das UnterstaatSsccretariat der Colonien ist wieder dem HandclSministcriuui unterstellt worden. Die Regierung wird ein: Programm Erklärung in den Kammern nicht abgeben, sich viclmcbr daraus beschränken, Aufschlüsse zu geben, wenn eine Interpellation eingebracht werden sollte. Nach einer weiteren Meldung hat Admiral Gervais cS abgclehnt, in das Ministerium ciuzutrctcn, und an seiner Stelle ist nun AdmiralLefebre in 'Aussicht genommen. Der neue Minister dcS Aeußeren, Devcllc, ist 10 Jahre alt, a»S Bar le duc gebürtig. Er war Advocat in Paris, 187l Untcrpräsect in Louviers, 1876 Präsect im Aubc-Departc- meuk, >877 Dcputirter, sodann UnterstaatSsccretair im Ministerium dcö Innern, »ichrfach Ackcrbauministcr. Er ist ein entschiedener Schutzzöllner. TaS Journal „Librc Parole" meldet unter Vorbehalt, daß Eissel verhaftet worden sei. Trotz aller dieser RcinignngSversuche setzt die Socialdemokratie ihre Angriffe gegen das Regiment fort. Die „Union socialistc" veröffentlicht ein in deftigen Ausdrücken gehaltenes, an die Arbeiter gerichtetes Manifest, worin es heißt: die OpportnnitätSrücksichten hätten durch das in Fourmicr vergossene Blut und den Panamascandal ibr Ende erreicht; beides drvbc das Vaterland und die Republik zu zerstören. Die Rettung könne nur von den Arbeitern und deren Organi sation kommen. Am Sonnabend soll eine große Volksvcr sammlung zur Ratification des Manifestes stattsindcn. politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Januar. Der Reichstag bat »och seine ganze gestrige Sitzung ans die erste Lesung der Brausteuervorlage verwendet und den verbündeten Regierungen nicht dcn geringsten Zweifel darüber gekästen, daß diese Vorlage in ihrer jetzigen Gestalt nicht die geringste Aussicht auf Annahme bat. Alle Redner aus dem Hause, die gestern das Wort ergriffen, bekämpften den vorliegenden Entwurf. Trotzdem siel auch gestern vom Tische des BnndeöratbS ans keine Andeutung, die aus die Absick't eines Entgegenkommens schließen lassen könnte. Zeigt sich ein solches i» der Militaircommission nicht, der die Vorlage überwiesen wurde, so eröffnet sich für eine frucht bringende Tbäligkcit dieser Commission keine Aussicht. Am Abend traten die Mitglieder der Commission zu ihrer ersten Sitzung zusammen, in welcher der Reichskanzler Gras Capr'ivi eine zweistündige Rede hielt, über die u»S folgende telegraphische Miltheilung zngeht: „Zunächst betonte der Reichskanzler die allgemeine politische Lage in ähnlicher Weile, wie er es im Plenum deS Reichstags ge- Iha». I» Frankreich sei eine Periode der Währung eingetreten und die Diktatur dort unter dcn jetzigen Verhältnissen nicht aus- geschlvsse». Auch er halte, wie sein Vorgänger, die Republik in Frankreich für das Erwünschteste. Rußland sei im Anisleigen und iür absehbare Zeit der mächtigste Mitilairstaat Europas. Der Reichs- kanzler erörterte dann die Möglichkeit eines russisch-türkische» Krieges und sagte, es sei nicht ohne Berechtigung, wenn behauptet werde, daß der Weg über den Balkan nicht allein über Wien, sondern auch durch das Brandenburger Tbor gehe. Höchst wahrscheinlich bestünden mi lila irische Ab machungen für Land und Wasser zwischen Rußland und Frankreich. Tie Richtschnur der deutschen Politik bleide die Ausrechterhaltung der Großmachtstetlung Oester reich-Ungarns. Auch mit Dänemark sei zu rechnen, wenn- gleich desten König unser Freund sei. Die Erneuerung des Dreibundes »ach dessen Ablauf sei zwar zu hoffen, aber nicht absolut sicher. Das Bündnis) mit Italien habe den Haupt zweck, die Südgrcnze Oesterreichs gegen Frankreich zu sichern. An der Tüchtigkeit der österreichischen wie der italienischen Armee sei nicht zu zweifeln, wen» auch vielleicht noch organisatorische Schwächen bestehen. Unsere eigene organisatorische Schwäche kennen wir am besten, so bezüglich der so wichtigen Reserv ediVisionen, die nicht so Icistungssähig sein dürste», wie die sranzösischc» und russischen mit jüngerem Material. Bezüglich der Qualität der Truppen sei eine Schätzung in Fricdenszeitcn schwer, doch balle er die deutschen Truppen für die besten der Welt. WaS die Marine be treffe, so sei unsere Flotte der russischen allein gewachsen, aber eventuell seien starke französische Schiffe nach der Ostsee zu er wart-n, um oie Herrschaft Rußlands in der Ostsee mit faktischem Basalienthum Dänemarks zu erlange». Im Mtttelmeer sei Italien auf starke englische Unterstützung nvthwendig angewiesen, auch dann sei noch fraglich, wer event. siege» würde. Oesterreich» Landmacht sei sür uns wesentlich wichtiger, besonders wenn Oesterreich den Kriegsschauplatz nördlich der Karpatben verlege. Gras Eaprivi stützte sich bei seinen Aussühriingcn aus eine Denkschrift des Grasen Moltke vom Jahre 1870, deren Hauptinhalt er verlas. Er schilderte dann eingehend die natürlichen Schwierigkeiten nnd Schwächen jeder Coalition. Der Hauptstoß der Gegner von beiden Seite» würde jedenfalls gegen uns als die stärkste Macht des Dreibundes gerichtet sein. Für uns würde ersabrungsmaßig die Offensive geboten sein, die strategische Offensive schwäche aber numerisch bedeutend und er fordere daher eine erhebliche Uebermacht. Die Anwendung der sogen, „inneren Linie", von der aus inan abwechselnd nach beide» Seiten overirt, sei sür Tentschland nicht zulässig, wir konnten nicht erst' bis Paris gehen und dann gegen Rußland. Ebenso sei die Etablirung eines „Volkskrieges" durch die Natur der norddeutschen Ebene un möglich gemacht. Gras Eaprivi stellte dann ausführlich di« Stärke- verhältnisse der verschiedenen Armee» unter den verschiedenen mög liche» Umständen einander gegenüber, ans welche» er folgerte, daß Deutschland und der Dreibund in der Minorität sind. Ganz besonders sei unsere lange Ostgrenzc, ohne natürlicheBer- theidigung, nur durch Offensive zu batten. Die russisch enKricqs- vorbereitungen gehen langsam, aber stetig vorwärts. Tie Politik braucht nicht nur Sieg, sie braucht schnelle Siege. Schnelle Erfolge sind auch ersorderlich init Rücksicht aus die Bundes genossen nnd ans die Neutralen. Die Politik erfordert mich kurze Kriege; endlich muß die Politik wünsche», daß der Erfolg nachhaltig sei, um ans lange Jahre die Erneuerung des Krieges zu verhüten. Alle diese Bortheile seien aber nur durch die Offensive zu erreichen. Die dazu berufenen Männer seien von dieser Ucberzcugung durch- drunge» und erklärten, daß die bisherigen Mittel nicht mehr genügten im Verhältnis; zu der gewachsenen Stärke der Gegner; die verbündeten Regierungen könnten daher die Verantwortung mit der bisherigen Rüstung nicht über nehmen und darum haben sie die Militairvorlage an den Reichstag gebracht. — Nach der zweistündigen Rede vertagte die Com mission ihre Berathung aus Freitag Abend. Ter Sitzung wohnten die StaatSsecretaire v. Boettichcr und v. Marjchall, der preußische und der sächsische Kriegsminister, sowie zahl- reiche Ossiciere und BundeScommissare bei. Das vom Abgeordneten Richter geforderte Material zur Vervollständigung der Begrün düng der Militairvorlage versprach der Kanzler baldigst zu liefern." Es ist zu erwarten, daß der Wortlaut dieser Rede durch dcn „Reichs-Anzeiger" mitgetbeilt werden wird. Immerhin wird auch sic »icbt ausschlaggebend sein, sondern das in Aus sicht gestellte weitere Material, das zwar geheim gehalten werden, aber seine UeberzeuguiigSkrast sehr bald durch den Eiiidnlck offenbaren wird, den cS auf die Commissions- mitgliedcr anöübt. Die ungarische Negierung batte biSber die Ein bringung der kirchenpolitischen Vorlage in der Erwartung verzögert, daß der Vatican einer milderen Auf fassung Folge geben werde. Diese Hoffnungen haben sich jedoch als völlig trügerisch erwiesen und der Papst steht der Einführung der Eivilche in Ungarn so ablehnend gegenüber, wie vor zwanzig Jabren. Der Ministerpräsident Wckerle hat seinerseits erklärt, daß der Regierung jeder Gedanke an einen Compromiß in der Civilebe Frage fern liege und daß sic auf der vollständigen Durchsührung ihres Programms beharre. Wekerle wird nach den »cucsten 'Nachrichten aus Pest, dieser Lage Rechnung tragend, schon in der nächsten Zeit von der Krone die Ermächtigung zur Einbringung der seil einer Woche völlig sestczcstcUtcn lircheiipolitischcn Gesetzentwürfe begehren und. zweifellos erhalten. „Der Vatican zwingt uns den Krieg auf," sagte ein hervorragendes Mitglied des CabinetS, „wir nehme» ihn auf, und ich bürge sür dcn Erfolg; dem Könige von Ungarn imponiren vatikanische Flüche nicht mehr!" Die Beziehungen der italienischen Regierung zum Batican sind bekanntlich nicht die besten, da der letztere stets geneigt ist, die durch die Erhebung Rom» zur Haupt stadt von Italien und das Ausbören der weltlichen Herrschaft des Papstes geschaffene Lage nicht anzurrkennen, sondern sich immer bcmübt, dem italienischen Königthum Schwierigkeiten aller Art zu bereiten. Diese» gespannte Berhältniß dürste in der nächsten Zeit sick' noch unangenebmcr ge stalten, wen» cö sich dcstätiat, daß die Regierung in Rom beschlossen bat, um die Pilgerfahrten aus allen Ländern der Erde anläßlich dcö PapstjubilänniS einzuschränken, an dcn Grenzen wieder die Quarantaine cinzusühren und dies mit der Choleragefahr zu begründen. Man wird im Vatican selbstverständlich in diesem Beschluß einen gegen das Papstthiim gerichteten Schlag wittern, eS wird jedoch der italienischen Regierung ein Leichtes sein, nachzuweiscn, daß, wie die össenltichcn GcstlndhcitSvcrhältnisse in diesem Winter leider nun einmal beschaffen sind, ein guter Thcil Borsicht entschieden nicht von der Hand zu weisen ist. Wie wir schon melden konnten, ist Gladstone am Montag Abend von Biarritz in die englische Hauptstadt »urückgekchrt und am Mittwoch hat bereits unter seinen, Vorsitz ein Ministerrath zur Berathung der irischen Home rule-Borlag c stattgefuiidcn. CS gilt jetzt, die letzte Hand an die Vorlage zu legen und daS taktische Vor gehen zu erörtern, vor Allem die Einigkeit der liberalen Partei zu festigen. In den conservativen Kreisen setzt man große Hoffnungen aus die spröde Haltung, die die Parnel- liteu in neuester Zeit wieder einnehmen. John Redmond hat in einer Rede zu Keils erklärt, daß keine Lösung der irischen Frage als befriedigend angesehen werden könne, die nicht die Freilassung aller politischen irischem Gefangenen in sich fasse; der Wabtspruch der ParncUitcn sei: „Keine Amnestie — kein Homerulc". Da die Partiellsten unter de» „politischen" Gefangenen auch die verstehen, die wegen Dynamit - Attentate in England sestgenommen wurden, ist Feirillctsn. Für die Ehre der Familie. Roman von Tlarissa Lohde. N-»trucI »erböte». (Fortsetzung.) Noch »äber rückte ibr Margot und flüsterte ibr inS Ohr: .Vir wähnten, daß wir Waisen wären, wir sind cS nicht!" „Margot!" „Wir hielten unsere Mutter für todt. ES war eine Täuschung. Unsere Nkuttcr lebt, sie hat einst unseren Vater und ihre Kinder verlassen, und — ist jetzt die Gattin eines unteren ManneS!" Hoch auf sprang ElSbcth von ihrem Sitz. „Wer sagt Us?" fragte sie mit stockendem Albcm. „Sie selbst", antwortete Margot, indem sie sich ebenfalls kibrb und de» Brief bervorzog. „In diesem Brief bekennt sie Alles. „O, eS ist eine lange Geschickte von Schuld und Leid, wen» auch Vieles mehr «„gedeutet als ausgesprochen ist." „Wer brachte Dir den Brief?" „Der — der — Gatte unserer Mutter selbst, ein Teulsch - Amerikaner, Namens Hcrald." Sie zog ElSbcth nieder neben sich und erzählte ihr flüsternd ihr Zusammen treffen und ihre Verabredung mit dem fremden Manne. Äsbetb ward mit jedem Worte. das sie vernahm. bleicher »d bleicher, ihr zarter Körper wurde wie von Ficberfrost «schüttelt und nur mit Mühe vermochten ihre in Tbräncn twimmenden Augen die unregelmäßigen Schristzüge des Vricse» zu lesen. „Furchtbar! Furchtbar!" schluchzte sie. „Unsere Mutter > Noth und Elend, unsere Mutter eine Sünderin, welche As, ibre Kinder, um Verreibung bittet!" „Sie ist krank, in Notb, vielleicht dem Tode nabe", fügte Margot hinzu, „nur ein einziges Mal möchte sie uns sebcu!" „Wie dürfen ibr diesen Wunsch nickt abschlagen. wir muffen zu ibr!" ries mit schnellem Entschluß Elsbctb. »iid die s»«d«n noch so bleichen Wangen brannten jetzt wie in Fieber glutb. Nun trat aber der kühler erwägende Verstand bei Marget wieder in seine Rechte. „ElSbclb, dürfen wir dein Manne glauben? Wenn die ganze Geschichte eine Täuschung wäre?" „In welcher Absicht sollte man die anSsübren?" „DaS weiß ich nicht, aber dennoch wäre ein Betrug nicht unmöglich." ElSbcth antwortete nickt sogleich, sic blickte vor sich nieder, als wolle sie von den tunte» Blume» deS Teppichs etwas ablcscii, schlug dann die Hand vor die Augen »nd sagte endlich mit seltsam veränderter boblktingendcr Stimme: „ES ist keine Täuschung, cS ist Wabrbcit." „Wie kannst Du daS mit solcher Bestimmtheit sagen." „Weil ick, rückwärts schallend, jetzt plötzlich hellsehend geworden bin, wo ich biSber blind gewesen", sagte ElSbelh, und Ton und Blick batten etwas Visionäres. „Worte, Zeichen, Winke, die meine Pslegccltern mit einander tauschten, und die ich nickt beachtete, erhalte» jetzt für mich Bedeutung. Ich verstehe jetzt ihr Zögern und Bedenke», ehe sic die Ein willigung zu meiner Verlobung mit Arnold gaben, eine gewisse Sckcu, die sic meinen Schwiegereltern gegenüber baden, und die mir so gar nicht vereinbar mit dem sonstigen Wesen des PapaS erschien." „Warum kann ich mich aber nicht erinnern, daß Tante—" „Weil Tante Homberg selbst nichts davon weiß", fiel ElSbcth ein. „Um den Vater und uns vor der Schmach zu bcwabrcn, bat man die Mutter sür todt auSgegebcn, die Wabrbcit kannten nur Papa und Mama Rösicke und — Adele!" „Aber, ElSbcth, wie kommst Du aus dcn Gedanken? Ist auch Adele älter als wir, so war sie zu jener Zeit doch noch ein Kind." „Sie weiß darum, hat immer darum gewußt und ist auf eine Weise in dcn Besitz dcS Geheimnisses gekommen, die Papa Rösicke ibr nie verziehen hat", erklärte Elsbctb mit der größten Bestimmtheit. „Die» der Grund seiner Ab neigung gegen sic — vielleicht auch, weil sie der Mutter sebr ähnlich ist." „Deine lebbast: Phantasie gaukelt Dir Dinge vor, die der Wirklichkeit nicht entsprechen." „Meinst Tn?" lächelte ElSbcth wcbmütbig. „Nein, nein, ich war nur wie ein Kind, daS man in Schlaf gewiegt »nd daS jetzt, answackeiid, i»ne wird, daß Wahrheit ist, was cS sür Traum gehalten hat. Sich her, noch einen Beweis", sic reichte der Schwester dcn Brief. „Wo hast Tu diese Hand schrift schon gesehen?" Margot blickte ein paar Minuten schweigend ans daS Blatt, dann rief sie erschrocken: „Die Handschrift gleicht AdelenS " „Du könntest beinahe sagen, eS ist Adclcn s Handschrift, oder so müßte sic sein, wenn unsere Schwester alt oder krank wäre", ries Elsbctb. „Aber sic war doch erst neun Jabrc alt. als die Mutter von uns ging, sic kann die Schrift sich nicht von ihr angc- cignct haben." „Cie bat sie ererbt", sagte ElSbcth mit gcbeininißvollcr Miene, „cS koinmt uns ja so viel von unseren Eltern zu, obnc daß wir cS wissen oder ahnen, liier bast Du handgreif lich eine jener wunderbare», rätliselhaftcn und dock so tief m unser Schicksal greifenden, item, unser Schicksal auSmachendcii Erscheinungen." „ElSbcih, wobin verirrst Tu Dich?", ries Margot, er schreckt durch den boblcn Ton, das grüblerisch zu Boden starrende Auge der Schwester. „Wir vabcn jetzt keine Zeit, uns mit solchen Tpeculationen zu beschäftigen; sage, was sollen wir tkun?" „Du kannst noch fragen?" ElSbetb sprang aus und stand wie beschwörend vor der Schwester: „Unsere nnglücklichc Mutter rust nach ihren Kindern. Wir müssen zu ihr!" „Aber, Elsbctb» bedenke: Deine Pflegeelicrn werden Dir dazu ebenso wenig die Erlaubniß geben, wir mir Tante Homberg, und was wird Arnold, was werden dessen Eltern sagen?"' In ElSbeth'S Zügen malte sich ein Ausdruck naineit- loftr Angst, händeringend lief sie im Zimmer ans und ab. „Si: werden cs nickt zugeben, und doch müssen wir hin", niurmcltc sie. „Wenn wir zu Adele gingen und mit ihr überlegten?" schlug Margot vor. ElSbcth lächelte bitter. „Frau von Sperncr compromittirt sich nicht und würde nickt dulden, daß ihre Schwestern da» thätcn. Sic wäre die Letzte, der ich mich anvcrlrautc." „Und Paul?" „Würde uns einfach auslachen und die ganze Sache sür Kinderei erklären. UeberdicS fordert die Mutter Schweigen. Nein, wir müssen allein handeln." „Laß cS inick allein thun", bat Margot, welche den Arm um Elsbcth'S Nacken geschlungen hatte und so mit ihr im Zimmer auf und ab wandelte. „Tante Homberg siebt mir weil eher etwas »ach, WaS sic eine Tollbeit nennt, als Dir Tein Pflegevater dies tbnn wird; ich habe nicht Rücksicht zu nehmen aus Verlobte», Schwiegereltern —" „Nimmermehr!" liiiterbrach sie ElSbetb. „Unsere Mutter ruft unS Beide, ich werde mich nicht feige zilrückzicbei,. Viel leicht können wir sie auch sckcn, obnc daß Jemand davon erfährt; sie schreibt, sie sei bier ganz in der Nähe." „Aber sic gicbt den Ort nickt an", sagte Margot, in den Brief blickend, dcn ElSbcth i» der Hand hielt „Möglicherweise befindet sie sich aus einem Vorort, der br avem zu erreichen ist", versetzte ElSbcth, deren leicht beweglichem Sinn sich bereits allerlei Auswege boten. „Ein Vorwand sür eine längere Abwesenheit wird sich finden taffen. Vor alle» Dingen müssen wir aber Näheres von — von — diesem Hrrald ersabrcn. Nanntest Du ihn nicht so?" „Du willst also mit z»»> Rendezvous gehen? Wirst Du daS können?" „Der Mensch kann Alle«, waS er will und noch mehr, WaS er i»»ß", antwortete ElSbetb etwas pathetisch; ..gut, daß Arnold verreist ist, ihm z» entschlüpfen würde Müde kosten. Nimm Dich jetzt zusammen und ditf mir Mama überrede», daß sie obnc mich in die Oper geht. Ist sic fort, so bleibt Papa i» seinem Arbeitszimmer und wir haben das Feld frei." Die List gelang. Die arglose Cominerzienrätbin fand eS ganz natürlich, daß ElSbetb am Tage, wo Arnold ab- gercnt war, da» Theater nickt besuchen wollte, ließ sich aber, da eine ihrer L>cbl»tgSopc>n gegeben wlnde, überreden, allein binznsabren »nd Elsbctb in der Gesellschaft ibrer Schwester zuzückzulassen. Beide Mädchen wäre» ibr beim AnNciren behilflich und sahen mit starkem Herzklopfen den
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite