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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.01.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930130020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893013002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893013002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-01
- Tag1893-01-30
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Tecember .892 in hiesiger Stadt in mehrrre» Läden, in denen sie angeblich habe» ein- kansen wolleu, Diebstähle auSaesührt haben, haben sich eine Puppe i» Pappcartou, 3 DomenhutseLerstutze, eine gelbe mit Goldfäden darchwirkte Tischdecke, zwei Mannstiemden, ein» schwarz und weih, da» andere blau und roih gestreift, ein Stück rvth- und weih- gestreifte» Bettzeug, ferner eine gelbe bunt geblümte Cbenilletisch- lecke, eia Stück gelb-roth gestreifte» kleiderzeug, sowie 9 Paare kamenstiefeletten vorgefunden, welche ebensall» in hiesigen Ge- schästilädea gestohlen sein dürsten, deren iLigenlhuiner aber bis jetzt nicht haben ermittelt werden können. Die llhenillctischdenke, Las kleiderzeug und 6 Paar« der Damenstieseletten will die eine der Frauen in einer der Nachbarslrage» der Rittrrsiraße in einem Packet zusammengelegt und zwar in einer Hausslar am 16. Tecember IM Nachmittag» gesunden haben. Auf den Sohlen de» einen Paares der Tamenftieseletten sind alt Fabrikzeichen «in fliegender Adler und die Buchstaben LI L U eiugeprebt. i» wird dir- zur Ermittelung der Bestohlenen mit dem Bemerken bekannt gemacht, daß di« oben aufgesührle» sämmtlich neuen Gcgen- ftäad« zur Ansicht auf der GerichtSschreiberei de« hiesigen Laud- gericht» auSliegen. Leipzig, am 28. Januar 1893. ter Untersuchungsrichter »ei »e« königl Landgericht. Burkhardt, L.-G-Nath. Polittsche Tagesschau. * Leipzig, 30. Januar. Der Besuch deSGroßfürstrn-ThronfolgerS von Ruß land am Berliner Hofe blieb in der Presse anfangs ziemlich unbeachtet. Erst der Trinkspruch de» deutschen Kaiser«, welcher den Zaren als den „Träger altbewährter monarchischer Tradi tionen, oft erwiesener Freundschaft, inniger Bande intimer Bestehungen zu seinen erlauchten Vorgängern, deren Erfüllung in früheren Zeiten russische sowohl wie preußische Regimenter aus dem Schlachtfelde vor dem Feinde mit ihrem Blute besiegelten", — feierte, hat die Wirkung gehabt, daß der An wesenheit de» russischen Thronfolgers m Berlin politische Bedeutung brigemefsrn wurde. Vor Allem waren e«.dir erklärten Gegner der gegenwärtigen Regierung, die „Hamb. Rache." und dir Münchener „Allg. Ztg", welche den warmen Triukspruch de« Kaiser» als die Rückkehr zu den Traditionen de» alten CurseS mit Befriedigung begrüßte» und nach drücklich betonten, daß der Frieden Europas kaum besser gewährleistet werden könne, als durch ein vertrauens volle» Vcrhältniß zwischen den beiden fürstlichen Häusern und bm Eabinetten von Berlin und Petersburg. So gewiß da« bittre richtig ist, so wiinschenSwertb muß cS erscheinen, tag der Besuch de» Großsürsten-Thronfolgcr«, der glänzende lrmpsana, der ihm bereitet wurde und die herzliche Sprache lr» Kaiser» die erkalteten Sympathien aus« Neue beleben. Ll> da« in der Thal geschehen ist — die Frage kann mit Licherbeit nur von Eingeweihten beantwortet werden. Un eingeweihte werden gut thun, in dieser Beziehung sich keinen Illusionen hiozugeben, sondern Zweierlei zu bedenken: einmal, daß die Berliner Reise des Großfürsten erfolgt sein kann, um Stimmung für den deutsch-russischen Handelsvertrag zu machen, sodann, daß der Reichskanzler Graf v. Eaprivl gegenwärtig eine Militairvorlagc durchzubringen bestrebt «st, welche de» Krieg mit zwei Fronte» zum AuSgangSpuncte hat. Der Abg. Graf Limburg-Stirum bat, wie mitgeiheilt, in der Sonnabendsitzung de» preußischen Abgeordnetenhauses mit scharfein Tadel die samose Bismarck Depesche des Grafen Eaprivi a» de» Wiener Botschafter «mV deren Ver öfsenrlichung im „Deutschen Reichs- und preußischen Staats anzeiaer" erwähnt. Gras Limburg bemerkte daraus, die Depesche sei nicht von ihm auSgegangen und die richtige Be leuchtung dieser Verhältnisse könne nicht wodl von einem anderen erfolgen, al« von dem. von rem sie auSgegangen sind. Daß die Angelegenheit nicht vor das preußische Ab- geordnetenbauS gcböre, hat der Ministerpräsident nicht gesagt, was gegenüber verschiedenen kritischen Dar legungen in der Presse ausdrücklich bervoi gestoben werden mag. Graf Eulcnburg scheint sogar der Ansicht gewesen zu sein, daß, »achtem die Sacke einmal im Abgeordnctenhause zur Srracke gebracht war, der zu ständige und verantwortliche Beratber der Krone dort einer Erklärung nicht au» den, Wege geben sollte. Wenigstens ver lautet auf da» Glaubbafteste, es seien sofort nach der Rede des Grasen Limburg Boten seS wird vo» einer Mebrzabl gesprochen) in das Reichskanzlerpalais gesandt Worte», um den Grasen Eaprivi von dein aus ibn erfolgten scharfen A» griff zu verständigen. Vielleicht war derHerrReickskanzler nickt zu Hause, vielleicht stosstc er, daß der Reichstag, welcher formell die richtige Stelle für die Besprechung der Sache ist, diese »och einmal ausS Tapet bringt — jedenfalls erschien er nicht. Bis aus Weiteres wird man in der Lage des Grase» Limburg bleiben müssen, auf den der Wiener „Steckbrief" den „Eindruck von Hast, des nicht genau Ucberlegte», de« Nervösen" gemacht bat, und „nickt, was ma» erwartet von einer starke» Regierung, des Rüstigen, welches seiner Kraft sich vollständig bewußt ist". WaS die noch famosere Veröffentlichung der famosen Wiener Depesche angeht, so brauchte der frühere Diplomat Graf Limburg zwei Satze, um einen starken Ausdruck zu umschreiben. Herr Hob recht begnügte sich unter dem lebhaften Beifall der Rational- liberalen mit der Erklärung, dem Bebauern über jenen Vorfall stimme keine Partei lebhafter bei als die seinige. Zn einer hingehenderen Erörterung war in der Thai der Augen blick durchaus ungeeignet, weil eben Gras Eaprivi nicht erschienen war. Zu den Schwierigkeiten, di- sich in Folge der kircken politischen Gesetzgebung dem Ministerium Wekerle in den Weg stellen, kommt noch ein anderes Ereigniß, welches ebenfalls geeignet ist, den magyarische» Machthabern schwere Sorgen zu bereiten. Wie das in Hermannstadt erscheinende Hauptorgan der Rumänen, die „Tribuna", ankündigt, ist ein Bündniß der ungarländischc» Nationalitäten im Entstehen begriffen Diesem Blatte zufolge batte» in den jüngsten Tagen in Wie» vertrauliche Eonserenzen der Führer der ungarländischen Rumänen, Serben und Slowake» stattgefunten, und diese hätte» ein gemeinschastliches Pro gramm der erwähnten Rationalitäten und ein solidarisches Vorgehen derselben gegen die ungarische Hegemonie vereinbart. Die Grundidee deS Programms bildet die Autonomie der Rationen und Länder in, Rahmen der Habs burgische» Monarchie. Auf dieser Basis soll auch Anfang Mai ein Rationalitäten-Eoiigreß stattsinden. der von den Rumänen, Serben, Slowaken, Deutschen, Rutbcnen und Kroate» beschickt werten wird. Auf diesem Eongreß soll da» Bündniß der genannten Nationalitäten feierlich beschlossen und endgillig geregelt werden; ferner soll noch im Lause dieses Iabres in cmer der Hauptstädte der Monarchie ei» großes deutsches Blatt zur publicistische» Berlreiung der Rationalitäten-Allianz begründet werden. Wir wissen nicht, in wie weit diese Rackrickten des rumänisches Blatte» der Wabrbeit entspreche»; wir wissen nickt, in wie weit hier der bloße Wunsch alS vollendete Thatsache genommen wird) eS ist aber kor der Hand schwer glaudtich. daß eS den Initiatoren und Eiiiderusern deS EongresseS gelingen werte, ein einheitliches und solidarisches Zusammengehen sämmtlicher Rationaliiälen gegen die Magnaren zu bewerkstelligen Sowohl in politischer als auch in socialer mit conseffionellcr Hinsicht weichen die Ansichten der einzelnen Nationalitälenführer so weit von ein ander ab und ihre Wünsche differircn so sehr, daß ein ein trächtiges Zusammenwirken nur vom NationalitätS-GcsichtS- puncte mi? Hintansetzung aller übrigen Aspirationen geradezu als ein Ding der lliimöglichkeit erscheint. In Italien ist gegenwärtig der Name Monzilli aus alle» Lippen und das Räthsel, daß die „Banoa Romana" ihre» Banknoten Umlaus ungesetzlich um eine ungeheuere Smiiine vermchrcu konnte, beginnt etwa« weiiiger dunkel zu werten. I» einem vor mehreren Jahre» crstatlele» Berichte war die heillose Wirthschast der Bank gewissenhaft ausgetecki worden, aber Giolitti, damals Schatzminister, verließ sich auf seine» Eollegc», den HaiikclSmiiiister Mice l i, und lasten Bericht nicht, wollte ilm gar i»chl lesen, wie Mioeli jetzt aus drücklich bezeugt. Leider aber war Miceti selbst auch zu be- auei», de» Bericht zu lesen, und verließ sich seinerseits aus seinen Dircctor Monzilli, der ihm versicherte, bei der „Banca Romana" sei Alles in schönster Ordnung. Das glaubte ihn» Herr Miceli aufs Wort unk berichtete eS Herrn Giolitti und Beide waren vollkommen beruhigt. Tie Beamte» aber, die aus Weisung der beiden Herren wochenlang die Zustände bei der Banoa Romana und ankere» Banken untersucht und über die haarsträubende Wirthschast gewissenhaft berichtet batten, möge» sich nickt wenig gewundert haben, daß von Seite der Regierung kein Schritt erfolgte, um dem Unwesen zu steuern. Herr Monzilli, der nun hinter Schloß und Riegel weilt, wird wobt wisse», warum er zu Gunsten der Banca Romana die beiden Minister angelogen. Ans ihn jällt die unmittelbare Verantwortung, lieber die Gemülst- lichkoit der Minister aber muß man sich a»,ch außerbalb Italiens billig verwundern. — Der Münchener „Allgemeinen Zeitung" wird ans Rom telegraphisch gemeldet, daß ge legentlich einer Unterredung mit einem Redakteur der „Palria" Monzilli sagte, wenn er gerichtlich belangt werde, so würden ibm höbe Persönlichkeiten folgen, den» er sei sich der einzigen Schuld bewußt, seinen Vorgesetzten gehorcht zu haben. Ten Unruhen in Amsterdam wurde von Seiten des Auslandes, wie sich aus der „Deutschen Wockenzeilung in de» Niederlanden" ergicbt, mehr Bedeutung beigetcgl, als sie in Wiillichleil verdienten. Einige sociattemokratische An führer setzten mit Geschick eine Komödie in Scene, zu der sie sich der zahlreichen Arbeitslosen und deS neugierige» Publi cumS als Marionetten bedienten Es wäre tdörickt, behaupten zu wollen, in Amslerdai» Kerrsche uiiier einem Tbeile der arbeitenden Elasse keine Rolb: aber wo herrscht die nickt? Viele Gestalte» in dem viele bunderl Mann starken Zug, der sich durch die Straßen der Stadt zum Ratb- stause bewegte, flößten innige« Mitleid ein. Rotb und Elend stand idnen aus die Stirne geschrieben, aber weder der Bürgermeister, noch der Gemeinderatb baden die Mittel, den Hungernde» zu Kelsen. Was von de» städtische» Be körten geschehen konnte, ist geschehen. Tausende wurde» beim Straßenreinigungsdieiist verweiltet und zu anderen Geiiieiiidearhciten derangezogrn, aber — wie der Bürger meister sebr richtig erklärte — wo ist das Ende zu finde» ? An Stelle der Arbeitenden treten wieder doppelt so viele Arbeitslose, die aus dem ganzen Lande zusaiiiiilcnströnieii. Man bat keine Urbcrsicht. Iadr aus Iabr ei» wird der Zustand zurückkehren, wenn der Arbeiter nickt selbst daran denkt, von seinem Verdienst im Sommer etwa» für den Winter zurückzulegen. Die Ausschreitungen wurden haupt sächlich durch die provocirende Haltung der nickt hungernde», nicht arbeitslosen Führer bervorgeruseii. Diese begaben sich in die Bäckerläden, welche i» den meist belebten und dazu sehr engen Straßen der Stadt liegen, und fragten »i» Brot. In ihrer Herzensangst warfen die Besitzer oft ihren ganzen Vorralb auf die Straße unter die sich darum balgende Menge. Plündern kann man das wohl nicht gut »ciiiic». Für einzelne Gassenjungen, von dciic» Amsterdam eine ganz besonders gemeine SpecieS besitzt, war ein solche» Vorkommnis) eine willkommene Gelegenheit zum Scandalisiren und Fenstcreinwerfcn. Mit Vorliebe mischten sie sich unter die Arbeitslose» und warfen die Potizcidiener mit Steinen. Kam cS dann mit diesen zum Zusammenstoß, so wußten sic sich stets den Hieben durch die Schnelligkeit ihrer Füße zu entziebcn. Daß sich die Polizei bei solche» Gelegenheiten keiner Glacehandschuhe bediente, ist wohl zu begreifen. Da» für einige Zeit durch de» cgyptisckeii Zwischenfall in Anspruch genommene tagespolitische Interesse i» England wendet sich wieder der für morgen, Dienstag, bevorstehenden Eröffnung de» Parlamentes zu. Auf Seite der llnionisten besieht eine starke Neigung, sobald als möglich eine allgemeine Debatte über die Position der nunmebr seit sechs Monaten am Ruder befindlichen liberalen Regierung brrbeimsübren, wodurch die eigentliche irische Debatte vom Vordergründe abgedrängt würde. Tic Gladstoncaiier sind begreiflicher Weise, wie au» Aeußerungen ibre« Hauptorganes, „Daily News", hervorgebt, sehr abgeneigt, daraus cinzugeben; da« Blatt ist sogar der Meinung, ginge Glatftone darauf ein, so sei eS zweifelhaft, ob er damit verfassungsmäßig bandle. Mittlerweile widmet da« Eabinct angesichts der tbeilS mißtrauischen, thcilS anspruchs vollen Haltung der Arbeiter - Fractio» der Aibciter- srage besondere Sorgfalt. Die beiten Minister ASguilh und Muiitella empfangen Arbeiter-Deputationen »nd karge» keineswegs mit Versprechungen. Der Minister des Innern verhieß neue Einrichtungen auf dem Gebiete deS Fabrik- InspeckionswesenS und eine Scbadcn- ersatz-Bill für die Arbeiter, der .Handelsminister verbreitete sich über die künstigen Ausgaben des ne» zu organisirendei, Labour-DepartemenlS im Handelsministerium. „Daily News" Feuilleton. Für die Ehre -er Familie. Roman von Elarissa Lohde. (Fortsetzung.) Na»dr»ck »rrivlni. 24. Capitel. Der alte Bayer uriheilte in seinem gerechten Zorn doch nicht ganz gerecht über die Präsidentin von Engelhardt. Die Folgen ihrer That, die sie, eine rubiae, kühle Natur wie sie war, gar nicht im Bereiche der Möglichkeit gehalten batte, lastete» doch recht schwer auf ihr. Sie sandte schon eine Stunde nach dem Fortgehen ElSbeth'S ihr Mädchen nach der Villa de« Commerz,enraths, um sich nach dem Befinden derselben zu erkundigen. Dir Antwort lautete nicht tröstlich. Die Präsidentin war wie zerschmettert. Wie nur sollte sie daS Geschehene dem Gemahl, wie dem Sohne mittbeile»? ii ihrer Erleichterung kehrten Beite erst sehr spät von den, >iner zurück, als sie sich bereit» zur Rübe zurückgezogen halte. Dennoch bemerkte Arnold sogleich am anderen Morgen, als -r am Kaffeetischc der Mutter gegenüber saß, an dem ge spannten Ausdruck ihre« Gesichtes, daß etwa» Besonderes vor- gesallrn sei. „Du bast etwa» aus dem Herzen, Mama?" fragte er teSbalb sogleich, al» sie ihm den Kaffee reichte. „WaS ist'»'? Ich hoffe, doch nicht eine neue HiobSpcst!" „Allerdings eine Hiobspost", sagte sie nun mit er zwungener Gelassenheit. — „Deine Braut ist nicht unbedenk lich erkrankt! —" Arnold fuhr zusammen; er preßte die Hände fest in einander. .Frank? Und ich bab« sie doch am vorgestrigen Abend »och wohl verlassen. Wie kann da» nur gekommen sein? Ist etwa» Besondere« vorgrsallen, und weißt Du etwas darüber?" Er blickte dabei mit so forschendem Ausdruck auf seine Mutter, daß diese unwillkürlich die Augen senkte. „Nun?" fragte jetzt auch der Präsident. „Du siehst auch »ich gespannt." „Mein Himmel!" entgegnete sie nun mit gepreßter klimme: „Welche Inquisition! Eine Ursache sinket sich wohl für jede Erkrankung Gleichwohl darf man annrhmen, daß die Disposition schon lange im Körper vorhanden war »ad aor darauf wartete, im gegebenen Augenblick zum AuS- h»ch z« komm« —" „Ich bitte Dick, Mama", ries Arnold nun ausspringenb, „lasse diese AuSsckweife. Ich weiß jetzt, es ist etwas geschehen. Sage eS nur kurz. Hat Jemand etwa daS Herz gehabt, meinem armen Kinde jene letzte Erbärmlichkeit zu enthüllen, die öffentlich ihren Namen, ja ibre Unschuld anzutasle» wagte? —" Die Präsidentin erbob sich bei diesen Worten. „Und wen» eS so wäre —" Arnold erbleichte. „Meine Mutter also", brack es jetzt wie in Verzweiflung von seinen Lippen. „Sie also, sie —" „Fassung, Fassung", bat der Präsident, nun deS SobneS Hand ergreifend. „Hat Deine Mutter etwas gctban, was weder Du, noch ick zu billige» vermögen, so bedenke, daß es doch allein eine zu große Liebe zu Dir, zu ibrcm Sohne sei» kann, die sie dazu vc>leitet bat. Mag dies für sic bei Dir zur Entschuldigung diene» für alle Falle, wie eS auch komme» möge." Arnold schüttelte ungeduldig den Kopf. „Wie eS auch komme» möge!" wiederholte er. „Möge rin barniberziger Gott uns Alle davor bewahren, daß meine holde Blume ein Opfer dieser Unvorsichtigkeit wirk. »Ich könnte daS selbst meiner Mmtcr nie — nie — vergessen." Ter Präsident machte eine abwehrende Bewegung. „Das sprach nickt mein Sohn eben", sagte er ernst, „ich will eS nickt gekört bade» — So rasch läßt sich dock die Dankbarkest für ein ganze» Lebe» lang gespendete Liebe nickt auSlöschcn." Dabei ergriff er de» Arm seiner ganz in Schmerz zusammtngesunleneii Gattin unk rerl cß mit ihr daS Zimmer Auch Arnold stürzte binauS und griff nack seinem Hute. Hatte er doch in diesem Augenblick nur den einen Gedanken: El-betb — nie werde ick sie wiederfinden Wenige Minuten daraus saß er in einer Droschke, die ibn nach Mariinikenielde zur Villa deS EommerzienratbS fuhr. Eine Todtenstillc herrschte dort. Wie der Schauen huschten die Bewchncr und l ie den größten Tbeil deS Tage» daselbst anwesenden Schwestern der Kranken aneinander vor über, sich mebr durch Winke als durch Worte verständigend; selbst die sonst immer lärmende Fra» Homberg batte fick zum Schweigen bequemt, da ibr Bruder ibr mit der größten Ent schiedenheit erklärt, er werde sie sonst nicht in der Näke der Kranken dulden, und sie mochte doch nicht dabcim bleiben; allein in ibrer großen, leeren Wohnung fürchtete sie vor Angst und Graue» zu vergeben. Eine Diakonissin besorgte die Krankenpflege oder eigcnt- lich that die« die Eommerzienralhin, die nickt von dem Lager der geliebten Pflegetochter wich und deren stille, geräuschlose Weise der Arzt auch gern gewähren ließ. Nur selten, und nur auf Augenblicke, ward de» Schwestern gestatte«, die Kranke zu sehen. Auch Arnold versagte man den Zutritt. Adele, die ibm ciilgcgcugiiig und Miltbeilung von dem be denkliche» Zustand der Schwester niacktc, erschrak über sein geislcrbastes, verändertes Aussehen. Er ergriff der Schwägerin Hand und preßte sie kcstig. „Ich bin schuldlos", sagte er dumpf. „DaS weiß ich", erwiderte sic, mit warmem Blicke ibm ins Auge schenk. Schweigend verließ er wieder daS HauS; aber daS Gesükl, als träfe ibn eine Mitschuld an dem, was ge schchcn, als habe er doch nicht mntbig genug auch gegen seine Mutter für seine Liebe Hekampst, stieg immer wieder vorwurfsvoll i» ihm aus. Er litt furchtbar darunter und vo» Tage zu Tage wurde sei» Gesicht schmaler, seine Auge» düsterer. „Fragt sie denn gar nickt nach mir? Wünscht sie mich denn nicht einmal zu sehen?" fragte er eines Tage« Margot, die er mit Becker uiitc» im Garte» sitzend fand. „Sic spricht ja so wenig", seufzte Margot, „wenn sie nickt von de» furchtbaren Herzkranipken, die ibre Lebenslrast mit so rasender Schnelligkeit verzehren, geschüttelt wird, liegt sie stumm und tbeilnahmloS ans ihre» Kissen." „L Margot", bat er, ibre Hand ergreifend, „Du mußt cS ja wissen, was ick leite, erbannc Dich doch meiner. Laß meine ElSbetb nicht sterben, ohne baß ich sie noch einmal gesehen habe!" Seine Lippen ritlerten dabei wie in verhaltenem Schluchzen, so daß Beiten auch unwillkürlich die Thränc» in die Augen traten. „Ja. Tu sollst sie seben, gewiß bald", suchte ihn Margot zu beruhige». — „Wir wollen noch beute den Sanilät«ealh daruni bitten." „So werde ick am Nachmittage wiedcrkommcn", sagte Arnold, „sobald der Arzt bicr gewclcn." „Wie leid mir der arme Mensch tbut", sagte Margot, sobald die Gittcrtkür de« Gartens sich wieder hinter ibm geschlossen batte „Er ist so verändert, so gar nickt mehr der frühere stolze Aristokrat." „Er ist rin Mensch", sagte Becker, „und das menschliche Leiden macht Alle gleich." „Und er gilbt sich doch wohl im Grunde die Schuld, wie eS ja auch ist, daß die allzu große Liebe zu ihm unserer armen ElSbetb den Tod bringt." „Nickt dock: sie ist daS Opfer einer unglücklichen Ver kettung von Umständen, nicht ihrer Liebe." „Und warum baden alle diese Verhältnisse keinen so un heilvollen Einfluß auf mich?" fragte Margot nun. ibm mit unendlich liebevollem Au-druck in» Auge lebend. „Weil ich Dich Akfunden habe, Du klarer, reiner Mensch, Du mein Hort und Halt!" ries sie und warf sich in seine Arnic. „Nein, weil Tu anders geartet bist als Deine Schwester", entgegnete Becker, daS liebliche Mädchen innig a» sich drückend. „O, mein Geliebter", flüsterte sie, sich ibm entwindend — „ack, ist eS nickt Sünde, daß wir die Seligkeit unserer Liebe so genieße», wädrcnd meine arme Elsbeth dem Tode eiitgegengeht." „Nein, meine Margot, auch daS Glück bat seine Be rechtigung." Sie barg den Kops an seiner Schulter. „Tu Guter, Lieber, lind Du fürchtest nickt die schreckliche Vererbung res Blute?, von der die arme ElSbetb immer und immer so angstvoll pbantasirt." Er schloß ibr den Mund mit einem warmen Kusse „Kein Wort mehr, liebe, kleine Tbörin; das spricht eine Kraule, Du aber bist gesund. Fort mit diesem traurige», Körper und Geist zerstörenden Wabne. — lind was die Vergangen- keil betrifft, so laß die Bcrgangenbcik bleiben, und richten wir unsere Blicke allein auf die Gegenwart, in der wir lebe» nnd die Zukunft, die wir »»S gestalten solle»; de»» nickl, wa« unsere Vorfahren waren, sonder» was wir selbst sink, ist im Grunde entscheidend." „Wobl dein, der seiner Aknen srob gedenkt!" flüsterte Margot, „froh gedenke» darf", fügte sic binz». Er küßte ibr die Tkräncn von den Wangen „Wir baden eine große und schöne Ausgabe", sagte c» ernst; ,,»»« liegt es ob, dem wackere» Eonimerziciiratb Rösicke »»k seiner Frau durch liniere Liebe zu vergelten, was sie für Euch verwaiste Kinder gctban baden, uns liegt es ob, daS Werk, da« sie geschaffen —" „Aber Tante Homberg wollte mit uns in die Provinz ziehen." „Wen» Gott ElSbetb von binnen nimmt, so ändert da« unsere» Entschluß Dort", er deutete niil der Hand nach den Fabrikgebäude», au- den gedämpft da« Geräusch der .Hämmer und Feilen z» ibne» berüberdrang — „liegt die Arbeit unseres Leben», dort können wir uns den Dank unk Segen von Hunderten erwerben, und da» ist mebr Werth als Abnentascl und Wappenschild." Al» Arnold einige Stunden daraus wiedcrtam, trat ibm Margot mit verweinten Augen entgegen. — „Du darfst ElSbetb sehen", flüsterte sie ibm zu, „aber sei gefaßt und ruhig, Tu wirst sie sebr verändert finden." (Schluß folgt.)
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