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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930131021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893013102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893013102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-01
- Tag1893-01-31
- Monat1893-01
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LeSzczynSki für die Vorlage ein- getreten ist.*) Der Kanzler bat kürzlich erklärt, daß er entgegen seiner früheren Ab- und Einsicht dir Presse benutze, um an die Wahlkreise hcranzukommen. Tbatsächlick bat aber seine Presse so gearbeitet, als ob sie für die Schaffung einer unüberbrückbaren Kluft zwischen den Wählern und der Militairvorlage und nicht für das Gegentheil bezahlt wäre. Man hatte eS, als die „fraudulöse" Veröffentlichung des Entwurfs erfolgte, glücklich dahin gebracht, daß die Vorstellung einer Mehrbelastung mit Steuern und Recrutirungen die Gemüther vollständig beherrschte, während der Umstand, daß es sich um eine Neuorganisation, eine militärisch bessere und in einem Puncte den Wünschen deS Landes entsprechende Organisation handelt, in den dunkelsten Hintergrund gerückt war. Und als die Vorlage amtlich veröffentlicht und von der Regierung vertreten wurde, da appellirte Graf Eaprivi an die Furcht, wie eS niemals vorher geschehen, verstand eS aber nicht, die Empfehlung, wie sie in der Lage selbst liegt, zum Vortrag zu bringen. Freilich halte cr sich durch seine Rovemberrede von 1891, in welcher er die Zablenwutb und das „eLvouut consulos!" der rcorganisationSfrcundlichen Sachverständigen verhöhnte, den rechten Weg selbst versperrt. Es ist nun nicht zu verkennen, daß der pensionirte General v. LeSzczynSki die Fehler der Negierung zum erheblichen Theilc wieder gut macht — nicht in Bezug auf die Regierungs vorlage, wie sie ist, sondern hinsichtlich deS Princips einer Hee reS r ef or m. Wir erfahren von ihm, daß KaiserFriedrich als Kronprinz, daß ferner der politisch und militairisck sckr censervative, hervorragende General Prinz Friedrich Karl die Reorganisation auf das Eifrigste betrieben haben. Aber viel mehr noch: Kaiser Wilhelm I. war von der Noth- weudigkeil der Reform überzeugt, die heute auf der Tages ordnung steht. Andererseits ersieht man auS den Mitlbei- lungen, die der General über den Gang der Militairpolitik seit 1879 macht, daß Wilhelm I. und der alte EurS sich den wirthschaftlichen und politischen Verhältnissen weit mehr aerommvdrrlen, al« man e« beute für notbwendig zu er achten scheint. 1888 verschmähte der alte Eurö einen „Noth- bebels" nicht, beute verhält man sich ablehnend gegen Vor schläge, die nicht nur das Princip der Reorganisation anerkennen, sondern auch seine sofortige Verwirklichung bi» zur Grenze der wirthschaftlichen — vielleicht so aar der militairischen — Möglichkeit herbeiführen wollen. 3a, man trübt das Princip sogar, soweit cs sich nickt um Belastung der Bevölkerung handelt: Tie ge setzliche Einführung der zweijährigen Dienstzeit soll ver weigert werden. General v. LeSzczynSki sagt aber: „Die Armee bat die Kraft, die zweijährige Dienstzeit hinzuneymen", und das ist offenbar nickt seine Privat meinung. AuS seiner ganzen geschichtlichen Darstellung geht vielmehr hervor, daß Wilhelm I., der sich der Nolhwendig- keit der Neuorganisation nicht verschloß, daß Kaiser Friedrich, der „die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht auf breitester Grundlage vertrat" und daß Friedrich Karl, dessen „ständiges Tbema" die Reorganisation war, daß diese drei Fürsten und Feldherren nicht im Entferntesten zweifelhaft waren, daß die Reform nur auf der Grundlage der zweijährige» Dienst- pflickt möglich sei. Der Umstand, daß Wilhelm I. die Neubildung seinem Nachfolger hinterlasscn zu wollen erklärte, spricht über zeugend dafür, daß er die zweijährige Dienstzeit für un trennbar von der Reorganisation hielt. Ihm, der unter gänzlich verschiedenen politischen und militairischen Ver- bältiiiffen einen harten Kamps für die dreijährige Dienstzeit auSgefochten hatte, der lieber die Krone niedcrlegen, als eine Verkürzung hatte sanctioniren wollen, ihni mußte — da 1887 *) Wir bringen den von un« schon erwähnten Artikel de« Herrn von Leszczyn«ki dem Wortlaute nach unter der Rubrik Deutsches Reich. D. Red. die russische Organisation kaum begonnen war, mithin die Zeit nicht drängte — die Vertagung der Reform bis nach seinem Ableben erwünscht erscheinen. Daß Wilhelm I., Kaiser Friedrich und Prinz Friedrich Karl ebensowenig wie Herr v. LeSzczynSki daran denken konnten, die Reorganisation mit der zweifährigen Dienstzeit aus fünf Jahre cinzufübren, versteht sich von selbst. Uni so weniger begreift man, wie die Regierung die zweijährige Dienstzeit nickt einmal sür diesen begrenztest Zeitraum gesetzlich sestlegen will. Die Art, wie Herr v. LeszcznnSki die finanzielle Seite der Frage be handelt, ist bei einem Soldaten erklärlich und erheischt von unserem Stankpunct keine Kritik, da der General in scbr be- merkenSwertber Weise jede Andeutung vermeidet, daß die Bennigsen'schen VermittclungSvorsckläge nicht Alles bieten, was er im Interesse der BertheidigungSfähigkeil sür noth- wendig erachtet. Von den Führern der ungarischen Regierungs partei war zum Freilag Abend in Pest eine Eonseren; eiiibcrufen, welche bezweckte, eine Klärung der Partcistellung zu der Frage der Eivilehe zu schasse». Es bieß nämlich, einzelne Mitglieder seien der Einsübrunz der Ewilebc ab geneigt, und von der hauptstädtischen Presse war a» diesen Umstand vielfach die Frage geknüpft worden, ob solche, der Eivilebe abgeneigte Elemente überhaupt »ock länger in der Partei verbleiben konnten. An sich läßt sich dir Aufwerfung gedachter Frage nickt Wohl als unberechtigt be trachten, wenngleich nickt geleugnet werden soll, daß sic ein« Menge Staubes emporwirbelte. Das Ergebniß der Partei- conferenz bat »un in erfreulicher Weise mit alle» Mißver ständnissen gründlich aufgeräumt unk muß deshalb als ein politisch bemerkcnSwertheS Moment verzeichnet werden. Ter leitende Minister Wekcrle stellte fest, daß für dicRegierungsanbänger jede Frage als Parleisache zu gelten habe, welche die Existenz der Regierung berührt und in den Bereich ihrer maßgebenden Gefichtspuncte fällt. Demnach gehöre auch die Eivilebe dies-r Kategorie von Fragen an, und eS sei nunmehr an der Partei, auS diesem Satze die logischen Folgerungen zu ziehen, d. I ihr Einverständniß mit der Eivilebe oder ihre Gcgucrscka't gegen dieselbe zu erkläre». Tic Parteikonferenz entschied dahi daß die Unterstützung der Regierungspolitik in der 'Frage der Eivilebe als Parleisache anzusehe» sei und erklärte sich in diesem Puncte mit Herrn Wekcrle solidarisch, bis ans drei Mitglieder, die ebenso offen und frcimütbig, wie Herr Wckerle sich für die Eivilebe verpflichtet, erklärten, sür dieselbe nicht eintretcn zu können. Diese drei: Ernst Latinovich, katholischer Domherr, Thomas Pccky, ehemals Präsident deS Abgeordnetenhauses, und Graf Ladislaus Szapary, Sohn des ungarischen Obersthosincisters Grafen Geza Szapary, erklärten ihren Austritt auS der Regierungspartei, weil sie den die Eivilehe betreffenden Punct des RegierungSprograinniS nicht zu unterstützen vermöchten. Durch diese Erklärung ist jede Ungewißheit über die Stellungnahme der liberalen Partei zu der Frage der Eivilebe beseitigt Das Ausscheiden der drei Dissidenten hinterläßt die Partei innerlich gefestigter, homogener und einheitlich geschlossener als je zuvor. — Zur Sacke selbst erscheint eS wobl Jedermann einleuchtend, daß die Einführung der Eivilehe in Ungarn keine Maß regel ist, die sich llberS Knie brecken ließe oder dem Volke wie eine reife Fruckt von selber in den Sckooß siele. Auch gehört sie zu den Fragen, bei deren Bcurtbeilung nervöse Berichterstatter des Guten leicht zu viel thun. Daö zu betonen, erscheint umsomedr am Platze, wenn man hinter jedem Schritt der Regierung, welcher in, Interesse einer Förderung deS KlärungSproccffcS der politischen Lage ge schiebt, gleich den Ausdruck einer EabinetSkrise wittert, welchen Gerückten wir erst vor Kurzem an dieser Stelle cnt- gegentralen. Tie Entwickelung der ungarischen Angelegen heiten vollzieht sich zur Leit nickt sowohl in der Richtung einer zunehmenden Erschwerung, als vielmehr einer Verein fackung und Erleichterung der Lage, und das Verdienst, welches die letzthin stattgehabte gouvernemcntale Partei conferenz sich darum erworben, darf nicht unterschätzt werden. Wie schon gemeldet, bat das englische Eabinct in seiner letzten Sitzung den Wortlaut der Thronrede srstgestellt, womit am heutigen Tage das Parlament eröffnet werden soll Die nunmehr officiöS bekannt gegebenen Einzel heiten bestätigen die schon früher gemeldete ungewöhnliche Lange der königlichen Botschaft. Nächst der Homerule- Vorlage, die an erster Stelle erwähnt wird, liegt der Hauptnachdruck aus der Wahlreform, die damit begründet ist. daß „ohne dieselbe daS Honse of EommonS die Stimmung deS Landes nickt annähernd zum Ausdruck bringen kann" Außer der Beseitigung der mehrfache» Wahlberechtigung soll, wie der „Voss. Zlg." gemeldet wird, die Frist sür die Erwerbung des Wahlrechts verkürzt, sowie der Stimmverlust bei Be rufswechsel vermieden und der Unterschied zwischen Micther und HauSstandSbesiyer abgesckasit werden. Die Wahlen sollen im ganzen Land an demselben Tag stattsinden und dieser Wahltag soll zum staatlichen Feiertag erhoben werden, an dem alle WirlbSbäuser z» schließen sind. Die Regelung der Ausschankberechtigung soll de» Gemeindeverbänken übertragen werden. Den laiitwirthjchastlichcn Arbeitern, denen die Gladstone'sche Partei viel verdankt, wird die Einrichtung von Kirchspielrätben versprochen. Die Ver einigung der verschiedenen Londoner Districte und die Ermächtigung des Londoner GrasschastSralbeS, alle Arten von Besitz zur Besteuerung brranzuzicken. ist zur Be friedigung der Raticalen in der Hauptstadt in AnSficht ge nommen. Die Haftpflicht der Arbeitgeber soll erweitert werden. Eine Eviumission zur Untersuchung der Laudsrage und der En tstaatlichung derKirche in Wales und Einleitung der Entstaatlichung der Kirche in Schottland vervollständigen das ministerielle Programm für die kommende Session. Man mußden Wortlaut der Thronrede abwarten, bevor der Umfang der einzel nen Maßregeln tiScutirbar wird, aber schon jetzt glaubt kein Mensch daran, daß auch nur der größere Theil deS Programms in der bevorstehenden Tagung erledigt werden kann Auch über die^n erwartenden Amendements zur Adresse beginnt sich der Schleier zu lüsten. Labouchcre will Uganda zum Gegenstand seiner Kritik machen: KeirHarti mißbilligt kaS Fehlen von Maßregeln zur Beseitigung deö Problems der Arbeitslosen; James Lowther bringt die Fremden-Ein- wautcrung zur Sprache. Der liberal un-oiiistische Abgeord nete Sir F. Mi ln er beantragt, „daß das HauS bedauert, daß Ihrer Majestät Gnade Verbrechern gegenüber ange wandt worden ist, die der vcrabschcucnSwürdigstcn Ver brechen überführt und verdienter Maßen zu langen Zucht hausstrafe» vcrurthcilt worden sind." Damit ist die irische Frage schon gestreift und Ebamberlain die Ge- jcgcnbcit gegeben, seinen voraussichtlichen Antrag einzu bringen, „daß das Eabinet wegen seiner Irland gegenüber befolgten Politik nickt das Vertrauen deS Hauses besitzt." TaS wäre der entscheidende Punct in der bevorstehenden Akrcßdcbattc. Der Gebrauch von Alters her ist, daß nach der Verlesung der Thronrede der Führer der Opposition sich aus eine Kritik der seit dem AuScinandergeben des Parlaments befolgten Politik beschränkt, worauf der Preniierministcr kurz antwortet, und dann wird der vorher vereinbarte Wortlaut der Adresse von einem der talentvollen parlamentarischen Neulinge beantragt und von einem zweiten Neuling unter stützt und ohne weitere Debatten angenommen. I» diesem Jahre wird aber das Bild ein wesentlich anderes werden. Während früher häufig die ganze Atreßkebatte in einen. Tage erledigt worden ist, wird sie sich in diesem Jahr selbst bei dem energischsten Eingreifen des Sprechers über mehrere Tage ansdchncn, wenngleich die Absicht der Opposition, den ganzen Monat Februar mit ihr zu vergeude», wobl sicher vereitelt werden kann. Jedenfalls »ins; man sich in der kommenden Woche schon auf heiße Redeschlachten gesaßt machen. Eö ist nickt uninteressant, de» Auslassungen Peters burger politischer Kreise zu folgen, die sich an die schwebende Frage des Geschickes deS deutsch-rnssischcn Handels vertrages knüpfen und dabei z» beobachten, wie politisch tcnlendc Männer, ja selbst Politiker von Beruf, den Zaren sür den absolut leitenden Staatsmann nicht nur in dieser, sondern in überhaupt allen inneren und äußeren Fragen Rußlands ansekc». Kaum daß man dem Minister GierS, geschweige denn Schisckkin, einen nennenswertbcn Einfluß beimißt „Wir werden schon inzwischen mit Schisckkin die Angelegenheiten z» führen wissen," soll der ^jar unlängst, in dieser Hinsicht bezeichnend, vor Gier»' längerer Urlaubsreife zu diesem in einer Abschieds- Audienz gejagt haben. Bis vor etwa fünf Jahren, sagt man, habe der Zar sich noch nicht in dem Umfange, wie in neuerer Zeit, der politischen Fragen deS Landes angenommen, während man als Beweis für seine persönliche Führerschaft namentlich in alle» Angelegenheiten der auswärtigen Politik Rußlands allgemein die Handlungsweise des Zaren während der Kron- städter Tage ins Treffen führt. Niemals, so meint man, hätte sich der Zar angesichts einer nicht von ihm selbst vertretenen Anschauung zu so weitgehenden Concessionen bewogen gefühlt, wie er sie den französischen Gästen gemacht habe. ,rerncr seien die „politischen" Reisen von Mitgliedern deS kaiserlichen HauseS erst in jüngerer Zeit in die Erscheinung getreten, die Entlassung WischnjegradSkij'S und der Empfang des Fürsten MeschtfchcrSkij, des Redacteurö des „Grasbtanin", Alles dies wird wohl nicht eben mit Unrecht als Beweis sür diese Behauptung bingestellt. Wie dem auch sei, ob nun der Zar mehr schiebt oder geschoben wird, jedenfalls leitet man von dieser seiner persönlichen TtaatSmannSschast die besten Aussichten sür das Zustandekommen eines Handels vertrage« zwischen Deutschland und Rußland ab. Das selbstlhälige Eingreifen in das politische Getriebe habe den Zaren vornehmlich ans wirlhsckaslliche Arbeiten hingesttbrt; die lheils angestrebten, tkeils durckgesührten Gebiets» erweitcrungen gegen Afghanistan und Buchara, der Bau der sibirischen Eisenbahn, Alles dies habe man als aus diesem Arbeitsgebiete liegend anzuseben. Und Ibatsächlich spricht denn auch der Rekacteur des „Grashdanin" seit seinem letzten Empfange am St. Petersburger Hose viel Schönes über die Enlturausgabe, die Rußland im fernen Osten zu erfüllen habe. Unter dem Gefichtspuncte dieser persön lichen StcUungnahinc des Zaren wird denn auch die Ernüchterung beu»»heilt, welche dem französisch russischen Verbrüderungsrauschc gefolgt ist »nd die, wenn sie > uch «ock nicht bis in die entserntesten Theile des Reiches durchgedrungen ist, dennoch im Mittclpnncte und namentlich i» der näheren Umgebung de» Zaren reckt bemerkbar ist. Wir wollen und können nur wünschen, daß das vorstehende Stimmungsbild der „Tägl. Rnudschau" über die Verhältnisse am russische» Hof der Wahrheit entsprechen möge, wir können aber doch einigen Zweifel nickt unterdrücken, das; die russischen Regierungstreise so rasch ibre Meinung über Frankreich und Deutschland geändert habe» sollen. Deutsches Reich. * Berlin, 30. Januar. Der Aufsatz, welchen der General der Infanterie z. D. von Lcsczyuöki*! in der „Kölnische» Zeitung" unter dem Titel: „Ein Mabnrus in letzter Stunde" veröffentlichte, lautet solgcndcrinaßen: Die bisbcrige» Rcichslaasveryandlungeii über die Militairvorlage zeige» eine so wenig günstige Stiniinniig, das; da» Scheitern de» langst bestehenden Rewrmvlaiies nicht ausgeschlosfe» ericheint. Bei solcher Lage wird jeder deutsche Ofsieier, der de» große» Krieg »nd die eurovaischen Armeen kennt, den Wunsch baden, noch einmal auf die Widerstrebende» einzuwirke». Stande nicht das Wohl des Vater landes aus dem Spiele, dann hätte ich die Feder nicht ergriffe», so aber Ihne ich eS, unbeeinflußt und unbekümmert, ob ich angesochten iverde oder nicht. Tie Grundlage jeder heutige» Armeeorganisation ist die Beantwortung der Frage: Wesse» beduricn wir beim Beginn eines Krieges, um unsere Grenze» zu schlitzen? Wie also gestaltet sich der Ansmarich der Armee? Diese Frage zu beantworten, ist nur allein der Große Generalitab fähig, und zwar ans dem ein fache» Grunde, weil weder das active Osfieiercorps »och der Laie das Material zur Antwort besitzt und besitzen kan». Tie genaueste .Uenntiiiß der Organisation der fremden Armeen, insbesondere ihrer Mobilmachung, die ite»»t»iß der Festungen, die Leistung-Fähigkeit der Eisenbahnen, die Wegbarleit, die Mittel des Landes, die Vorbereitung *) Vgl. die heutige Tagcsjcha». D. Red. Feuilleton. Für die Ehre der Familie. Roman von Clarissa Lohde. «laLtnxt verdolni. (Schluß.) Er drückte ihr nur stumm die Hand, dann betrat er Irise öaS Krankenzimmer; dort lag sic still und weiß wie eine Lilie. Aber ibr sehnende- Auge batte sogleich Le» Ge liebten entdeckt. „Arnold, mein Arnold, warum hielt man Dich so lang« von mir fern?" Eine Secundr darauf knieU er an ihrem Lager, hielt ihre weiße, durchsichtige Hand in rer seinen und bedeckte sie mit seinen Küssen. „Meine ElSbeth!" Er vermochte nicht« weiter zu sprechen, die aufsteigenden Tbränen, der wild« Schmerz, der ihn bei ihrem Anblicke er saßt batte, drohten ihn zu ubrrmannen. „Ich war sehr krank." „Da» warst Du", mischte sich Adele, dir neben ihr saß, ein. „aber nun wirst Du genesen." Sir schüttelte ganz leise den Kopf. „Nein, ich weiß. eS bester, meine Stunden sind gezählt, aber eS ist aut so." „Gut, daß Du mich verläßt?" brach e« schluchzend von seinen Lippen. „Tröste Dich, Geliebter!" und sie strich mit ihrer kleinen bleichen Hand liebkosend über sein Gesicht. „Bedenke Arnold, uoS wäre doch kein Glück beschieden gewesen. Deine Mutter" — „Meine Mutter — o vergieb ihr — sie wußte nicht, »a« sie lhat —" „Sie sprach die Wahrheit, und daß diese Wahrheit bitter war, daran ist sie schuldlos", sagte sie noch leiser. „Ich zürne ihr nicht." „Du bist ein Engel", wieder drückte er ihre Hand an seine Lippen. „Ich sterbe glücklich in Deiner Liebe, die ick im Lebe» nickt mebr besitzen gedurft hätte. Beklage uns nickt, Arnold, das Leben hätte unS geschieden, der Tod giebt mich Dir wieder, sür immer Dein." Erschöpft sank sic zurück Er erhob sich von seinen Knieen, um sich wieder zurückzuziehen, sie aber faßte »ach seiner Hand. „Bleib", siebte sie leise, „laß mir Deinen Anblick, bis sich meine Augen sür nnmer schließen." „Wie gern", sagte cr, „bleibe ick, wenn ich eS darf." Er blickte sich im Kreis« der Angehörigen »m, die ihm mit tbränenscucklen Blicke» zunicklen Er schob sich einen Sessel an die Seite ihres Belle«, »nd ihre Hand in der seinen haltend, verharrte cr still bange, bange «tunken. Und dann kam der Abschied, der letzte erhabene, schmerz volle Abschied. Ihm war, als flöhe mit ihr auch seine Seele dabin, und al« sie den letzten Alhemzug nach bangem Kampfe auSgehaucht, da bastele sei» Blick noch immer auf dem geliebten, so srcundlich stillen Antlitz und ihm war'S, al« wäre mit ihr seine ganze Jugend, sein ganze- Glück, Alle«, was ihm da« Leben schön gemacht, entschwunden. Auf dem Dorotheenstäktischen Kirchhofe, an der Seitx ihre« Vater«, fand einige Tage daraus die jung geknickte Märckenblüthe ibre lebte Ruhestätte. Wenig« Monate waren erst vergangen, seit Arnold an dieser Stelle neben seiner blühenden Verlobten gestanden und sie sich gemeinsam gelobt batten, aus ihrer 'Hochzeitsreise da« Grab der tottgrglaublcn Mutter im fremden Lande aufzusuchcn. Run hatte diese Mutter, plötzlich als Lebende unter den Lebenden erscheinend, in ibr junge« Glück zerstörend, vernichtend, eingegriffen ; statt deS Myrtenkranzes, den er in ibr blonde« Haar zu fleckten gedacht, hatte man ibr lodtenkränre darzedracht, statt de» Hochzeit-reigen- erschallten Trauergesänze Als der Sarg in die Gruft gesenkt ward, und die ersten Sckollcn Erde daraus »icdcrsielen, war cs mit Arnold'« Kraft zu Ende. Sein selbst tiefgebeugter Vater mußte ihn stützen und fübrte ibn, noch ebe die Trancrvcrsammluiig sich zerstreut, zu seinem Wagen. Schweigend legten Vater und Sobn die weite Fahrt bis zur Magdcburgcrstraße zurück. Sobald sie die Wobnung betrete», kam ihnen die Präsidentin entgegen. Sie war ganz schwarz gekleidet und sab sehr gebeugt und kummcr- vvll auS. „Jetzt ertrage ick eS nicht länger, Arnold, ick muß Tick sprechen!" ries sic, deS S ebnes Hände ergreifend, und wollte ibn mit sich in ihr Wohnzimmer ziehen. Der Präsident trat dazwischen. „Elvira, Du weißt, was Du mir versprochen hast!" „Ick weiß eS, aber UcherniciischlichcS vermag ich nicht zu leisten!" ries sie, „ich bin am Ende" „DaS sollst Tu auch nicht, Mutter", versetzte Arnold, „hättest Du mich nickt geruse», ick wäre doch gekommen", und cr ging mit ihr und dem Vater hinein. Es war das erste Mal seit ElSbetb'S Tode, daß Mutter und Sohn sich wieder gegenüber standen Arnold hatte fick, nachdem er von ElSbetb'S Sterbebette heimgekebrt, aus sein Zimmer zurückgezogen und slchcntlich gebeten, ibn dort un gestört zu lassen. Die Präsidentin batte zu ihm dringen wollen, aber ibr Gatte ihr ernst mahnend vorgestellt, daß sie vielleicht das Leben oder die geistige Gesundheit ihres SobneS aus das Spiel setze, wenn sie ibn nicht gewähren ließe Sic Halle sich gefügt, mit blutendem Herzen gefügt. — Allein war sic gewesen, allein alle die Tage und Nächte, bis die irdische Hülle des armen» — durch ihre Schuld, ach, daß sie - sich gestehen mußtr — vor der Zeit bin- gewelkten Mädchen- der Erde überantwortet war. Was bätte sie nicht darum gegeben, jene schreckliche Stunde ungeschehen zu machen, als sie dem ahnungslosen jungen Geschöpfe den Todesstoß gegeben —; ach, Alle-, Alles war ja nur gcscheben. um die Zukunft ihre- einzigen geliebten SobneS zu retten, lind »u» kostete ibr gerade dieses Uchcrmaß der -Lvrge und Hingabe für Arnolds Glück, da«, waö bisher ibr höchster Schatz gewesen, seine liutlichc Liebe. Denn daß sic diese Liebe verlöre» habe, das empfand sie mit tausend Schmerzen, wie nur ei» Muttertier; sic empfinden kau». Während Vater und Sol», der Beerdigung beiwobiiten, war sie rubcloS in ibre» schwarzen Gewänder», wie ein Geist von Zimmer z» Zimiiicr geschritten. Da batte ibr da« Mädchen einen Brief übcrbracht, der daö Posizcichcn der Schweiz trug. „Von Lctavia", »ilirmcllk die Präsidentin, mechanisch da» Eouverl öffnend. Was batte ibr die Pflichtvergessene «ock zu sagen? Lctavia, die gcschicdcnc Frau — so sein sie sie einst geliebt batte — ibr war sic eine Tokte, von der sic sich losgelöst sür alle Zeit — ohne Haß — aber auch obnc Liebe, obne Vergebung. — Sie war glcickgiltig ge worden, glcickgiltig sür Alles, selbst sür da- Urtbcil der Welt, aus das sic bisher so viel gegeben Alles war unter gegangen in den surcklbarc» Schmerzen der letzten Tage. Auf eines der Sopbas sich »iederlassend, las sic müden Blickes die engbeschriebeiien Blätter. Ei» bittere- Lächeln zuckte dabei über ibre Lippe». „Wie sie Alles so leicht nimmt", dachte sic, „selbst ibre Schult — Und ich — v Gott, ich gehe an der meinen zu Grunde." Frau von Hcgcncr, die von de» traurigen Ereignissen der letzten Tage noch nichts wußte, schrieb heiter und glücklich: „Ich las in den Zeitungen", bieß es am Schluß, „was, wir ich denken kann, Euch Alle, und ganz Berlin in Aus legung versetzt bat, jenen be-kanen Ausdruck des Neide« gegen die Wolden'scken Kinder. Auch mein Paul wurde al« Sprößling der leichtsinnigen Mutter knick ibr Blut sür angesteckt erklärt, meine Entsübrung als Beweis seines moralischen UnwerkbeS vorgesübrt. — Welch ein Unsinn! — Paul bat mich nicht entführt — ich ging allein »iib wäre auch gegangen, wenn Paul mir nickt hätte folgen möge», weil ich die Lüge an der Seite meine- Manne« nickt weiter
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