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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.03.1893
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930323013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893032301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893032301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-03
- Tag1893-03-23
- Monat1893-03
- Jahr1893
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Vez«g-^prei- k, brr Haaptexpeditio» oder den im Stadt bezirk «ad den Borortea errichtetea Aus- eabestellen abgeholt: vierteljährlich ^l4.üü. bc zweimaliger täglicher Zustellung las Haue » 6 60. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich X L—. Direct» tägliche Kreuzdandsenbuag tu« AaSIaird: monatlich S —.. Moegen-Ausgabe. TeMorgei>-Av»gab» erscheint täglich Uhr, di« Ldend-Aulgab« Wochentag» 6 llhl. Redaktion and Lr-editioo: 2a»«»»e»,afse 8. Dir Lrpeditio» ist Wochentag« aaunterbroche» zeöffiet »o» früh S bi« «de»d« 7 Uhr. Filialen: Ott« Me««'» Sortim. (Alfred Hatz«)» Umversität-sttaß» 1« Lani« Lösche, ffetharinensic. 14. Part, und König-Platz 1. ttMgcr.TMlilllit Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgcschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. A«zeige«.Prei- die 6 gespaltene Pctitzeile 20 Pfg.' - Reklamen unter dem RedaciionSstrich <4ge» spalten) 60-^, vor dcn Familiranachrichteii (6 gespalten) 40 Größere Schrillen laut unserem Peris- verzeichlllß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. Crtra-Beilagen (gesalzt), nnr mit der Mvroen-Ausaabe, ohne Poslbesörderung SO.—, mit Postbcsörderung 70.—. Äanalsmelchluß für Änzeize«: Ab«ad-Au»gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen«Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn- und Festtag» früh '/,!) Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine Halde Stunde srüher. Anzeige« sind stet» an di» Erbebiti«« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Z? W. Donnerstag den 23. März 1893. 87. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. S- Leka«»tmachu«s. Unter Hinwei» aus di» Bestimmung tu ». 868, 2 de» Rrich«strof- gciehbuch» wird den Grundstücksbesitzern brz. Garrrninhadeni diesiger Liadl bei Vermeidung einer Geldstrafe bis zu Vit X oder ent- ikiechender Hast hiermit ausgegeben, ihr« Bäum«, Sträucher, Zecken rc. während de« Msnat» April tziesr» Jahre» von den Raupen des Ningelspimirr» (tiomb/1 bleuntrii») gehörig säubern und die Raupen sowie deren Nester vertilgen zu lassen. Gleichzeitig geben wir nachstehend unter D eine kurze Be schreibung der 1xden«weise und der zweckmäßigsten vertilgungsart der angeführten Schmetterlingsgattung. Leipzig, am 17. März 1803. Der Rath tzrr Stadt Leipzig. L 366«. 0r. Grorgi. Stahl. T Rtngelsptnner (vomdxx Kvuatrln). Der Schmetterling legt seine Eier Ende Juli oder Anfang August ti» zu 40t) Stuck beisammen spiralförmig um e,n« bl» dreisährlge ilkslchen. Erst im nächsten März schlüpseu die Ansang» schwarzen, lang gelbbraun behaarten Raupchen au«, nähren sich zuerst von hnüspen, spater von Laub. Ihre Fraßslellen uderspinaeu sic mit tiicin leichten lockeren Gewebe, ohne ein eigentliches Nest herzustellen. 77>sangS trifft man dies« Raupen zu mehreren Hunderten gesellig en Ldjlbäumen, Weißdorn, Rosen, Weißbuchen, Eichen, Rüstern, Pappeln, Birken beisammen, in der Gabelung eine» Astes oder ähn lichen Stellen dicht aneinander gedrängt. Mit dem zunehmenden Wachsthum der Raupen werden diese Gesellichaslen kleiner und k:cmer, bi» sie sich End« Mai oder Anfang Juni gänzlich auslöse». Li« fressen bei Tag und Nacht und wandern von Baum zu Baum, wenn die Nahrung zu mangeln beginnt. Die erwachsene Raupe r.rwandelt sich im Juni in einem eirunden gelb durchslüubten Ge« spinnst« zu einer weichen schwarzen Puppe, der im Juli der Falter entschlüpft. Zweckmäßige BertilgungSweise: Zerquetschen und vernichten der Raupe» iu ihren Schlupfwinkeln, au- denen sie, wenn solche hoch om Baume sich befinden, durch Anschlagra an die Stämme herab« geworfen wrrdeu können, im April. Bekanntmachung. Die veiichltraft »es ftäbtischrii Leuchtgase« betrug in der vom l8. bi» IN. März I8N3 nn Arganddrenner bei 160 Litern iundlichem Eonsuni da» 1N,l fache der Leuchtkraft der deutschen Normalkerze von KO Millimeter Flammendöbe Ta» sprcifische Gewicht stellt sich im Mittel auf 0,441. Leipzig, am 20. März I8S3. De» Natds Depiitation zu den Gasanstalten Bekanntmachung. Die Firma Leipziger Domps-Roßhaarspinnerri Hermann Staubte L To. verirrte» tnrch deren Inhaber die Herren Kaufleute Gustav Hermann Staubte »ad Grotzerte Carl Christian Aohannsen tu Leipzig, biabsichtigt auf dem der Firma Krumbein L Wiegand In Leipzig iöoikmarsdors gehörigen, an der Kirchstrabe Nr. 23 daselbst gelegenen Grundstück» (Nr. 9 de» Brandkataster», Nr. 65 de» Flurbuches und Fol. 8 de» Grund« und HypolhekrabuchS) »in» Rotzhaarspiaaerri zu errichten. L« wird die» mit dem Bemerken bekannt gemacht, daß etwaige gegen die beabsichtigte Anlage zu erhebend» Etnwrnbnngrn, welche mcht auf privatrechtlichrn Titeln beruhen, det deren Verlust innnrn 14 Tagen bet uns anzubringen, alle übrigen Ein. Wendungen aber, ohne daß von deren Erledigung die Genehmigung ker Anlage abhäagig gemacht wird, zur richterlichen Entscheidung zu verweisen sind. Leipzig, den LI. März 18SS. Der Nath der Stadt Leipzig. VI. 1341. vr. Geargi. Kastelt. In Gemäßheit des K. 1 der Borschristen für die Ausführung von Anlagen zur Benutzung der städt. Wasserwerk« vom 6. Februar 1888 und der Rj. 8 und 7 de» Regulativ» für Gasrohrleitungeu »ad Gu-belenchtuagranlagen iu Privatgruadstücken vom 2. März 1863 wachen wir hierdurch bekannt, daß der Schlosser Herr Ewald Koch, Humboldtstraße Sir. 8. zur Uebernahme solcher Arbeiten bet uns sich angemeldet und den Besitz der hierzu erforderlichen Vorrichtungen nachgewiejen hat. Leipzig, de- 21. März 1893. Der Rath der Stabt Leipzig. L. 1726. vr. Georgt. Wolfram Bekanntmachung. In Gemäßheit der Verordnung der Königlichen Ministerien de» Cnltn« und öffentlichen Unterricht» und der Justiz vom 10. Februar >870 wird hierdurch zur allgemeinen Kenntniß gebracht, daß der Kirchenvorstond der Lutherkirche hier aul folgende» Mitglieder» besteht: Otto Rudolf Han- Po« Sehbewttz, Pfarrer, Vorsitzender, Walther Julius Gensel, Vr. zur., Handelskammersecretair, RechtSanwalt und Notar, stellvertr. Vorsitzender, Friedrich Gustav Böhme, Rendant beim Kvntgl. Aml-gericht, Earl August Förster. Tischlermeister, Lhristiaa Alexander Frrge, Kaufmann, Heinrich Rudolf Frieltng, vrivat. Kaufmann und Stadtrath, Gustav Ernst HevSciiretch, Kaufmann, Karl Gabriel Alfred Jeremias, vr. piäl. nvd Diakonab der Lutherkirchengemeinde, Emil Maz Pommer, «rchikekt, Eonrad Robert Niger, Reichsgericht»rath, Friedrich Emil Sachse. Vr. piitt. und Schuldirector, Lar> Gustav Thteme, Kaufmann, Georg Gustav Wappler, Kaufmann. Leipzig, den 17. März 1893. Der Ktrchenvorftaub ber Lutherkirche. I. 273. Han» von Setzdewttz, Pfr. Bekanntmachung, Casernen»Neubau in vorn« betr. Die Lieferung de» schmiedeeisernen Einsriedignagbgttteel, ein« schließlich aller Materialien, soll vergeben werden. Di« «erdingungsanschtäg» stab -egen Bezahivntz von 1 bei dem unterzeichnet«» Gtadtrath zu entnehme». Die Zeichnnagea, saivir di« allgemeinen und besonderen Be dingungen können «brudasrldst, »der bei de» Herren Architekten Schmidt ch Jobitg« in Leipzig, Wesiflratz« IO, eingesehen werdet«. Et« Stück ProbegtUrr kann auf dem Eoseknenbanplatz« bestchtiqt werbe». Angebot» sind mit entsprechender Auffchrift versehen bi» 1. «prtl 18»«. Nachmittag« 4 Uhr an de, naterzeichneten Stabtratb einznsenden. Di« Ansmahl unter Len Bewerber» »nd di» »troatg« Ablehnung aller Gebat» behblt sich de» Gtadtrach vor. Barva. am »1. Mär, 189« Der GtabttatH Lbscher, Bürgermeister. Ltüdtische Fortbildungsschule für Mädchen. Freitag, den 24. März, und Soimabcud, den 26. März, werden in der Fortbildungsschule sür Mädchen iTdomn-kirchhof 24) von I0-l2 und von 2—6 Uhr die wridliche» Haiidarbcilc». die Zeichnungen »nb dir Arbeilcu der Kindergarten- Abthrilnng ausgestellt sein lur Besichtigung dieser Ausstellung ladet ergebenst ein lripzig, den SO. März 18N3. Dir. C Ntimcr. jju Le Oer „Uetter" des Vaterlandes. K. Schwarze Tage, denen vorau-sichllich noch schwärzere ölgen werden, sind sür den deutschen Parlamentarismus ge kommen. Der gemeine Scandal hat seinen Einzug in die Hallen de» Reichstag» gehalten, in denen bis dahin — bei allem Tosen politischer Leidenschasten — die widerlichen Töne der nackten Unanständigkeit etwa« Unerhörtes gewesen waren. Selbst die Zote ist der Vertretung der drut- chen Nation — eine Versammlung, ähnlich dem Senat, nannte sie in den siebziger Jahren in widerwilliger Be wunderung ein Franzose — seihst die Zote ist ihr nicht erspart geblieben. Unerhörte Provocationen sind ge- sallen und leider sind ihnen unerhörte Entgegnungen gefolgt. Man schimpft sich — im deutschen Reichstag I — „Gesindel", man spricht Fremdwörter unrichtig auS, und entgegnet, wenn man höhnisch corriglrt wird, „schlagfertig": „Ich wollte nur Ihre Gesichter sehen, wenn ich Unwissenheit documentire." Ein Abgeordneter erörtert wiederholt die Alternative, ob ein anderer Abgeordneter eia Wahnwitziger oder rin NichtS- würdiger sei, und selbst diejenige Partei, deren angesehene Mitglieder öffentlich die Wahl de- dergestalt Gekennzeichneten befürwortet, wagen keine Aeußerung de« Unwillens! Schlimm die Form, schlimmer die Sache. Herr Ahlwardt nennt Alles unumstößliche Wahrheil, wa« ein deutsche« Gericht, der deutsche Reichskanzler und preußische KriegSminister al- absolut unwahr bezeichnet hatten. Sw wiederholen ihre Versicherungen ihm ins Gesicht, sie be rufen sich auf einen Dritten, den sächsischen KriegSminister, Herr Ahlwardt bleibt dabei: die Löwe'schen Gewehre sind schlechte Judenflinten, und wenn die genannien zwei KriegSminister und der Reichskanzler mil den Gewehren zu frieden sind, ,so behaupte ich, daß die anderen KriegSminister nicht zufrieden sind, und daß man e« nur nicht laut werden lassen will wegen de« Auslandes*. Welcher Kriegsminister unzufrieden ist, ob der bayerische oder der württembergische — weitere gilbt e« nicht —, da« sagt Herr Ahlwardt nicht. Mit Beweisen und Anhaltepunclen für Beweise hält «r sich überhaupt nicht auf. Dabei will er beileibe keinen deutschen Officier beleidigen, nur die »Juden firma". ES ist natürlich keine Beleidigung, wenn er andeutet, daß die controlirrndea Officiere scblechtc Gewehre als gute übernommen haben, weil sie bei Löwe gesrühstückt. Es ist noch weniger eine Beleidigung, wenn er vom Reichskanzler und zwei Krieg-ministern behauptet, sie ließen unbrauch bare Gewehre in den Händen der deutschen Krieger, „welche die Dinge mit ihren blutigen Leibern werden bezahlen müssen*. So nebenher werden deutsche Ossi cierr mit den Helden de« PanamascandalS verglichen — da« geschieht aber nur zum Besten de« Vaterlandes, dem Herr Ahlwardt, wie er selbst sagt, ein „Retter" werben will. Er will auch die deutschen Gerichte nicht be leidigen, aber daS Urtheil in dem Proccß, daS zu seinen Ungunsten auSsiel, ist ein „nou plu, ultra der Rechts pflege* und der Majvr Goßler, der Einfluß aus die Bestellung der Gewehre gehabt hat, ist „rin Schwager de« LandgerichlSdireclorS Brausewettcr", der die Gerichts Verhandlung leilete. Aber „Schlüffe* zu ziehen, das ist ferne von ihm, er stellt die Thatsachen ganz harmlos fest — die Schlüffe werden in der gewünschte» Weise ja doch gezogen ES wird ihm entgegengehallcn, der Oberstlieutenant Kühne habe christliche Großeltern. Thut nicht«, erwidert der allzeit „Schlag fertige*, aber der Name ist jüdisch. Keuner der Gesetze ber Laulverschitbung werden ja wohl auch finden, daß der Namc Kühne gar nicht ander« al» au« dem Namen Kahn her geleitet werden kann. Und solche „Gelehrte* giebt es ja genug in den antisemitischen Volksversammlungen. Auch nur i« Kleinigkeiten im Reichstag sich ander« zu geberden, als er eb in solchen Versammlungen thul hat Herr Ahlwardt vermieden. Ohne Zwrisel, weil et sich dazu außer Stande sah. Seine Unfähigkeit Ding«, bi« er genau teunrn könnte, sachlich zu behandeln, war ja schon i» der Abhandlung über den JnvalidrnfondS zu Tag« getreten. Wie eS mit dem gehalten wird, steht im Gesetz« und ist au« den Nachweisen ersichtlich, die alljährlich bekannt »erden. Herr Ahlwardt verschmäbte diese- Quellen stvdium und traktirle den Reichstag mit Behauptungen, deren Widersiun au» dea Drucksachen eben dies»« Reichstage» h«ri»argeht. Aber wie er Glauben sür seine Versicherung gefordert hatte, daß von den Jlalienern verschmähte Flinten geliefert worden wären und daß Officiere und „andere KriegSminister* unsere Gewehre für unbrauchbar kiellcn :e., so forderte er auch Glauben für die Behauptung, daß die Dotationen dcS JnvalidenfontS nach Verhandlungen mil dcn großen Börsenjudeii binter den Couliffen festgesetzt seien. Und al« in der letzten Sitzung des Reichstag» — am DienSlag — der SlaatSsecrctair von Maltzalni aus eine Anfrage de» Abgeordneten Richter auf daS Bestimmteste erklärte, Privat leute Kälten auf die Ausgestaltung deS Jnvalidensonds schlechterdings leine» Einfluß gehabt, trat Ahlwardt mit der uncrhörlcn Anschuldigung hervor, Verhandlungen der chlimmsten Art, Verbandlungen, durch die daS deutsche Volk um Hunderte von Millionen betrogen und das Reich bei der Fübrung eine- Krieges von den großen Börsenjudeii abhängig geworden sei, halten hinter dcn Evulissen statt gefunden und seien fcstgelegt in ll Ae len stücken, von denen ein- gezeichnet wäre vom „Finai, zm in ist er". Wer eigentlich dieser Vcrrälher am deutschen Volle und Reiche sein soll, ist nicht einmal klar. Natürlich mußte der SlaatSsccretair v. B^altzahn aiiiiehmen, der Vorwurf solle den Fürsten Bismarck und die damaligen Vertreter der vcr bündclen Regierungen treffen. Aus seinen Protest gegen eine olche Verunglimpfung bebauptele nun Ahlwardt, er habe keineswegs RegicrungSmitglieder, sondern „Angehörige des deutsche:: Volke» schleck,thin" gemeint, die ihr eigene« Volk an ein sremdeS Volk verratben hätten, um von der großen Beute etwas abzubekommtn. Um nun zu wissen, gegen wen er seine unerhörten Beschuldigungen richte und woraus sie gegründet seien, verlangte man Beweis« — Beweise, ohne die doch kein halbwcg« anständiger Mensch Vorwürfe von solcher Schwere vor allem Volke, vor In- und Ausland erhebt. Aber Herr Ablwardt, obgleich er im Besitze jener Aktenstücke zu sein behauptet, hatte diese Beweise weder bei sich, noch in solcher Bereitschaft, daß er sie sofort hätte zur Stelle schaffen können. So mußte denn — rin »och nie dagcwesener Fall — die Sitzung aufgehoben werden, um Herrn Ahlwardt Gelegenheit zu geben, das Anklage material vorzulegen, aus welchem fußend, er Regierung» Mitglieder oder „Angehörige des deutschen Volkes schlechlhin" beschuldigt hatte, das deutsche Volk um Hunderte von Mil lionen betrogen und an ein fremde« Volk verrathen zu haben I Wir wollen nicht einmal eine Vermuthung über dieses Material äußern. Aber wenn e« auch erdrückend oder doch wenigsten- so wäre, daß eS einen leichtgläubigen und fanatisch verblendeten Menschen überzeugen müßte, so bliebe doch auf dem Abg. Ablwardt der Vorwurf hasten, daß er mit einer Frivolität ohne Gleichen die gröbsten Anschuldigungen, ohne sie sofort beweisen zu können, erhoben und dadurch die Würde de» deutschen Reichstag» auf da« Gröblichste verletzt hat. Und noch mehr. Ahlwardt tritt auf als Vertreter deSDeutschthum» und Verfechter deS Christen thumS gegen undeutsches und unchristlichcS Wesen. In dieser angemaßlen Rolle müßte er mehr als jeder Andere darauf bedacht sein, jede Voreiligkeit, jede Leichtfertigkeit jede unbegründete Verdächtigung zu vermeiden und seinen deutschen und christlichen Beruf durch peinlichste Gewissen Hastigkeit zu beweisen. Er thut da» Gegentheil. Weil er sich einredrt, Deutscher und Christ von besonderer Arl zu sein, glaubt er Alle« in dir Welt hinaus schwatzen zu können was ihm in sein enge» und von seinen Bewunderern noch vollend» umnebeltes Gehirn kommt. Deulscktthum und Cbristenthum wird er dadurch allerdings in den Augen von Vernünftigen nicht herabsetzen und schänden Aber er setzt Deutschlhum und Christcnlbum seiner Be wunderer, Wähler und Kranzspender in ein Licht, daö nur die Gegner de» Deutschtbum« und de» Cbrisleinbum- erfreuen kann Leider müssen wir bei der Naiur de» „Rector» aller Deutschen*, seiner Fractioiiscollegen und seiner neu-conser» vativen Beschützer gewärtig sein, solche Parlamentstage, wie die letzten, öfter zu erleben. Und möglicher Weise wird Ablwardt nicht der einzige Held derselben bleibe». In diesem Augenblick ist Herr FuSangel zum Reichstag» abgrordneten gcwäblt. Ist e« jetzt geschehen, so war e« auch vor Jahresfrist möglich. Und in diesem Falle hätten wir wohl schon früher ähnliche Debatten erlebt, nur daß stall de» Ber liner Herrn Löwe der Bochumer Fabrikant Baare die Kosten de» BerleuuidungSbedürfiiisseS eines „Netter«* hätte tragen müssen. Dann Kälte Herr Richter, ber jetzt rin so strenger Richter Ahlwardt « ist, sich wohl in der Rolle eine« Theile» der Conservaliven gesallen, die Herrn Ablwardt still und nicht ohne alle« Behagen zuhörten. Nicht um zwecklose alte vor würfe auSzugraben, sei der Baare-Hetze in diesem Zusammen bange Erwähnung gethan, sondern um der Mahnung willen, dcn politischen Kamps wenigstens auf denjenigen Seiten de« Hause«. wo man noch nicht alle« Gesübl für deutsch« Gewissenhaftigkeit und christliche Selbstzucht verloren hat, mit so viel Mäßigung und Anstand zu fübren, daß de deutsche Reichstag nicht auf da« Niveau be kannter Radauversammlungen herabsinkt. Deutsches Reich. HD Berlin, 22. März. Die zweite der beiden socialdemo- kralische» GeiiossenschaslS-Bäckereien. die „Berliner Ver» inSbäckerri", eine eingetragene Gcnossensckiafl mit be- cknänkler Haftpflicht, die vor zwei oder drei Monaten erst gegründet worden, bat sich bereits genölbig gesellen, ihre Zahlungen einzustellen und den ConcurS anzumelren. Die erste Gläulligerversanimlung findet an« 13. April statt. Die VereinSbäckerei war eine Gründung der in der social- demokratislben „Gcnossciifchasrst'äckcrci" beschäftigt gewesenen unziifricdenen Elemente, „. A. dcS entlassene» GcschäslSführerS Caspar, der srüher Jnllaber einer Bäckerei im Borort Weißens« gewesen, aber Bankerott geworden war. Tie Vereinsdäckerei Halle die Absicllt gellabt, der ersten social- deiuokratisck'cii GciiossciislllaflSbäckcrcl cnipsiutlick'e Coneurrciiz u bereite» und sick> desllalb aus demsclbe» Olrunkstück in der Müllerstraße eingemietket. Ungenügende Betkeiligung und maiigelllafle Leitung aber ließe» da« Untcrnellmcii nickt proSpcrirc» und da auch der letzte Versuch, einen Cassircr mit einer anständigen Cantion zu gewinnen, srlllscklng, konnte eS sich nickt länger dalte». Es war eben eine rein im Inter esse von socialdeniokratiscken Führern gegründete Societät. Beine»keuSwcrth ist dabei, daß Caspar, al« die Gründung der erste» GcnvsseiisLaslSbäckcrei geplant wurde, als ent schiedener Gegner de« GenoffenschasiswescuS austral. AIS aber die Sache perfccl zu werden versprach, erwärmte er ich für die Gründung und suckle sich in de» Vordergrund zu stellen, was ibm auck gelang. Und nacktem er dort un möglich geworden, gründete er sogar zum zweite» Male. * Berlin, 22. Marz. Im weiteren Verlau' der Verhandlungen Le» Verein» sür Soctalpolilik berichtete Prof HaSbach- ttonigsbcrg über die englischen Landarbeilerverbaltiiissc. Hieran schloß sich eine längere Discujsion über die Bodeiibesitzveribei- ung und die darülcr erstatteten Referate. LanLratll v. Werthcr betonte, daß man nicht an AugcnblickSmitlel denken dürfe, wenn inan einem unverschuldeten Grundbesitz gelangen wolle. Gell Raid -ros. Adolf Wagner trat dem leitenden Grundgedanken de» rivatdocenlen l)r. Weber bei, daß man alle diese Fragen vom iandpunct ber Staatsraison zu behandeln habe und baß wir daher um jeden Preis eiu Verbot der Zuwanderung vo» pol»!« eu Arbeiter» haben müssen. Wa« die Einrichtung bäuerlicher Loionisationen angche, so haben wir ja ein paar Tausend oiigesiedelt, und ei» paar Tonlend werde» ktnzukoinmen. aber waS wolle das gegen über dcn großen Volksziffern sagen: es sei noch sei»erMeinnng nichl viel mehr al» ein Lropien au) den decken Stein. Wir werden »ach Ansicht de» Redner» zu größeren Mitteln der Staalshilse und zu größeren finanziellen Mitteln greifen muffen, »m i» ausgcdehnlei» Um fange Güter zu erwerben und eine V-rlhtilung durchsübre» zu können. Professor Wagner ging dann aus die llrcdil- und Ver sicherung-Verhältnisse ei» und meinte ferner, daß man über die agrarische Zoll- und WährunqSsrage bei Behandlung der Boden- angelegeuheit nicht hinwegkonimen werde. Nicht» aber sei saiicher, als die Sache sür eine ausschließlich agrarische z» halten. Gegenüber dem Vorredner äußerte der Reich-tag-abgeordneie Wiiser s-in Bedauern, daß unser ganze» öffentliches Lebe» seit RodbertuS etwa» „social verseucht" sei. Im klebrige» betrachte er mit Professor SerinH und mit Geh. Rath Gierte die ZuknnslSenttvickciunq der inneren Coloniialion, wenn sie verständig soriaelcilel werde, srbr oplimisiijch. Rechtsanwalt Such-Iand ging aus die Frage der ländttchen NrbeitS- verfasiung ein und bemängelte die schablonenhafte Gleichmacherei. Geh. Raih Thiel wie» auf die zu Tage getretene lleberriiisttmmung hin, daß es wünschen-werlh sei, nicht bei der Bcrschuldungsireihett stehen zu bleiben, sondern eine Beschränkung, eine BerschuIduugS- grenz« fesizustellen, diele Einschränkung werde sich aus dcn Real- credit beziehen müssen, der etwa» Sorrumpirenoes an sich habe, entgegen dem Personalcredit, dem etwa- Moralisches, persönlich Aneiferndc» innewohne. General«Landschaslsdireclor Tombart ging rbensall« auf die Verschuldung de» Grundbesitze« ein, die bei de» Rittergütern um ruud ',, größer sei al» bei den Bauerngütern. Wenn ein Gut verschuldet ist. sei e» nicht mehr fähig, zu prosperirrn: der Grund und Boden wäre aber nicht bio» ein Erwerbsobject für Len Eiaenlbümer, sondern im Interesse des Staaie» vorhanden. Au» diesem Grunde sei er ein Anhänger der inneren Lolonisatio» und der Ansicht, daß der verschuldete Grund besitz in andere Hände übergehen müsse. Im klebrige» plaidirte Abg. Sombart dafür, die Capttalverschnldung i» »ine Renten- verschulduna überzufuhre», und erklärte zum Schluß den Bauern- stand sür die Basis unserer Webrsähigkeit und der Monarchie. Hierauf wurde ei» Schiußantrag angenommen, und es solglrn einige kurze persönliche Bemerkungen der Herren 1>r. Ouarck, l)r. Weber, l)r. Franckcnslein, Schünlaick, Geheimer Raib Thiel und de» Ab geordnete» Wisser. Bon dem Referenten nahm Präsident Metz noch einmal da» Wort. Dan» faßte zum Schluß der Präsident, Professor Schm oller, die Resultate der Berhandlungc» zusam men : Dir Redner waren darüber einig, daß man ans Grund der EnquSte, mag man an idr auch Einige« zu tadeln haben, doch unendlich mehr bessern könne, als auf Grund der beide» vvrauegegangene» ähnliche» Versuche. Man sei erheblich Wetter gekommen in der Erfassung der Ziele und dem Nachweis der Enlwickklung-Ieiidenzen. Da« Aipda und Omega wäre d e bäuerliche Organisation im Osten, und nur von hier ans könnten die Verhältnisse der Landarbeiter gebessert werde». Niätt minder wichtig sei da» zweite Resultat, daß die uiibed»ig!e Ver- schuldung4srcideit und da» unbedingt gleiche Erbrecht ani Grund und Bode», namentlich in Bezug aus den bäuerlichen Besitz, i:>h nicht bewährt habe und daß, wen» hier nicht Remedur geickasieu würde, sür de» Bauernstand keine Hilfe sei. Im klebrigen könnte eS nur segensreich wirken, wenn die verschiedene» Parieie» wisien- Ichaslltch miteinander di»cutiren. Hieraus wurden die Verhandlungen mit einem Hoch auf den Präsidenten geschlossen. « Berlin, 22. März. (Telegramm.) Am heutigen Geburtslage weiland Kaiser Wilhelm« l. prangte t,c Capelle deS Mausoleum- in Charlottenburg m frischem Blumenschmuck. Zu beiden Seiten de» Altar» sieben seil einigen Tagen zwei Marmorsäulen, die in Pompeji aus- gegraben sind und al» Candelaber dienen solle». DaS Kaisrrpaar legte Vormittags am Sarge dcS Verewigten einen prachtvollen Kranz auS Lorbeer, Veilchen, Rosen und Camelien nieder. — Berlin, 22. März. (Telegramm ) Dem Reichs tage galt heute daS Interesse de« Publicum« in außerordeut- lichem Maße Bereit« in den früben Vormittagsstunden wurde das Mittel- und Seitenportal förmlich gestürmt. Der Andrang zu den Billeischaltern war geradezu lebcusgksäbrlich. Bei dem Portier im Mittelportal erschienen fortwährend Per sonen, Weiche Abgeordnete zu sprechen wünschten und Eintritts karten erbaten. Je Weiler die Mittagsstunde vorrückie, um so stärker wurde da« Gedränge in der Leipziger Straße, wo Lunberte vo» Personen sich ausstelllen. Ein ebenso lebendige» Bild baten d,e Wandelgänge de« Reichstage«, in denen zahl reich«, lebhaft eoaverstrend» Grupp«, anzutreffen »aeen.
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