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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.03.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930323024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893032302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893032302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-03
- Tag1893-03-23
- Monat1893-03
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Eia Bubenstück, nicht um einen Mann — nein, um oie Träger der herrlichsten Periode unserer Geschichte zu vcr- kerben — als solches bat sich das neueste Unternehmen dcS brerchstagSabgeordnetrii Ablwardt — Schande, daß er eS ist — Ilar vor Aller Augen dargestelll. Die Träger alle, denn wer iann sagen, wea Ahlwardt mit seinen teuflischen Andeutungen nicht uieint? Wer immer zu Beginn der siebziger Jahre, sei es als Meister, sei eS als Handlanger beiin Baue deS Reiches genannt wurde, er sollte den, heimlichen Gezisch als Einer prei-grgeben werden, der daS deutsche Volk um Hunderte von Millionen betrogen hat Noon, BiSmarck, Moltke, sa der große Kaiser, der in, Mausoleum zu Char- leiienburg von seinen Thaten auSruht, wer hätte sie davor geschützt, daß Socialdemokraten und Andere di« Verdächti gungen jene- Schändlichen auf sie lenkten? Der ruchlose Anschlag ist im Keime erstickt, so writ er im Reichstag zu ersticken war, alle Parteien, die auf die Früchte solchen ScandalS brgierige Socialdemokralie ausgenommen — vergaßen ihren Hader dem Verworfenen gegenüber, der im Namen des Deutschthumü deu Ruf deutscher Treue und Redlichkeit geschändet hat, wie kein Anderer vor ihm. Der ultra- ukvntune Graf Ballestrem war der Führer und Vertrauens mann de« Reichstags. Und eS war ein Strafgericht, daS er roÜM, als er, auS dem Senioren»Convent zurück- kchmw, verkündete: »Nichts, nicht das Mindeste von den Anschuldigungen Ahlwardt'S findet Begründung in seinen Aktenstücken — niemals bis zur Stunde ist rin solches Benehmen im deutschen Reichstag voraekommrn — Gott sei Tank!" Wir haben unserem ausführlichen Sitzungsbericht io der vorliegenden Nummer wenig hinzuzufügen, zumal eS unS widerstrebt, den plunipen, aber so unsäglich niedrigen Ausflüchten de« Pauschalverleumders zu folgen. Es ist klar, Vas Ahlwardt wollte: an dem SitzungStage, den er für den letzten vor der Vertagung hielt, von der Tribüne des Neich-tagS Beschuldigungen ins Land streuen, damit sie, während der mehrwöchigen Oster dause im Reichstage unwidersprochen, in den Leid der Nation sich einfräßen. Kam nach Wochen die Haltlosigkeit der Brsckuldigungen an Tage, dann waren die Lügen von der seit Langem und systematisch zum Miß trauen erzogenen Masse so lief einzesogcn, daß daS Gegengift nicht mehr wirken tonnte. Diesen satanischen Plan hat Abl wardt auch heute noch zu verwirklichen gesucht. Er hat „zwei Eenlner" Actenstücke, und wer die zwei Centner nicht eingesehen at, der kann sich von seiner, deS „VaterlandSretterS", Wahr- aftigkrit nicht überzeugen. Diese Position, das sab er rin, war aber »ach der Sitzung dcö Senioren-ConvenI- nicht mebr zu halten Der Meister der Lüge weiß sich aber zu Helsen. Die Hunderte von Millionen, um die bas Volk beim Jn- validcnfondS betrogen worden sein soll, gilbt er in dieser Zu sammensetzung bald preis, aber er weiß »andere schlimme Dinge". Welche? daS Alles wird er nach Osler» sage». Sodann erweckt er — und die antisemitische Presse wird den Wink verstehen — den Anschein, als ob die Geschiel te von den, Präsidenten eines StaatSgcrichlSbosS, der sich für die schöne Geldsendung betankt, beglaubigt sei durch das „Actenmaterial", das dem Senioren - Convent Vorgelegen. Der Präsident konnte dieser Lüge die Beine abschlage», aber wer vermag Schritt für Schritt einen Mann zu überführen, der, nachdem er unerhörte Anschuldigungen erhoben und man Beweise verlangt bat, ausruft: »Zu verlangen habe» Sie gar nichts!" Oder der eS eine» Kampf für die Wahr heit nennt, daß er »depescbirt und berumgesahren" nach Be weismitteln, die nicht exißiren, und der schließlich auSrujt: die Beweise wären da, wenn die Juden sort wären! Der Mann sank mit jedem Worte tiefer in den Augen Aller und als I)r. Lieber noch besorgt hatte, was die schreiende» Thatsachen und Ballestrem übrig gelassen, La war der Rector für den Reichstag ein todter Mann. Lieber fand es nicht der Mühe Werth wegen eines Ahlwardt einen Ordnungsruf zu riSkiren, cS genügte aber völlig, wen» er feststcllte, daß Ahlwardt weniger gclban, als man von einem Ehrenmann in einem solchen Falle verlangen müsse. Nach der Tragödie folgte daS Salhrspiel, ein Streit zwischen Stöcker und Ahlwardt über deren anlisemitischen Verdienste, sodann eine von den Dcutschfreisinnigen begonnene Klops fechterei über den Antisemitismus überhaupt, welche rie Wirkung deS vorangegangenen Gerichts nur abschwächen konnte. In Paris sind die großen Paaama-Processe beendet und es sollte eigentlich die Hoffnung besuchen können, daß nun Rübe in Frankreich wegen dieier Vorgänge einkebren werte. Es scheint jedoch, daß diese Hoffnung eine trügerische sei» wird. Schon wieder sind stürmische Sitzungen in der Tepu- tirtenkammer zu erwarten, weil die verschiedenen Parteien hoffen, au« den Enthüllungen der Panamaproeesse Capital für ihre Parteizwecke schlagen zu können. So sicht io der heutigen Sitzung eine Anfrage deS Deputirten Millcvoye über die Stellung Floguet'S, Freycinet'ö und Clemeneeau'ö zur Panamagesellschaft auf der Tagesordnung, und man erwartet allgemein einen sehr lebhafte» Verlaus der Verhandlungen. Der Ministerrath hat angeblich beschlossen, zu erklären, die Regierung könne für die Handlungen und Vergeben früherer Minister keine Verantwortung übernehmen. Ter Ministerralb hat ferner beschlossen, den Abg. Delahaye auszufordcrn, die lut angeblich bestochenen Parlamentarier endlich zu nennen. Es gewinnt ganz den Anschein, atS ob die parlamentarische Lage i» Frankreich wieder auf eine C abinetSkrisiS und den Sturz des Ministeriums Ri bol loSsteuert. Die französische Kammer befestigt sich offenbar mebr und mehr in dem Gc danken, daß die Tage deS Ribot'schen CabinctS gezählt sind. Von dem Wiedereintritt des Herrn Constans in das Ministerium sprechen freilich einstweilen namentlich die Gegner dieses Staatsmannes. In der Goblet'schen „Pctile Röpu- blique" heißt ei: Man hat die Bemerkung machen können, daß kurz nach einander Burdrau und EonstanS in der Kammer und im Senat der Form nach verschiedene, aber dem Inhalt »ach völlig übereinstimmende Reden gehalten Laben Eine Vergleichung läßt keinen Zweifel über die ihnen zu Grunde liegende» Plane heslebe». Wir erfahren auS der icheriien Quelle, daß Constans mehr als jemals de» Senat und die Kam- mec „bearbeitet" oder durch seine Freunde bearbeiten läßt. Diese Arbeit ist sogar derart forlgeichrlllei!, daß das künftige Ministerium so zu jagen gebildet ist. Conga»-) bewahrt selbstverständlich sür sich den Vorsitz und daS Ministerin,n des Innern: Burdeau hat die Wahl zwischen drei Ministerien; Tevelle verbleibt sm Eabinet, Deleasss rückt im Grade auswärts, »nd Etienne, der die Erkenntlichkeit des Herr» Constans dadurch verdient hat, daß er sich weigerte, in daS Loubct'- sche Ministerium euizulrcten, wird mit einer vortrefflichen Mappe belobnt werde». Endlich soll Constans nicht abgeneigt sein, sich mit dem Senator und ehemaligen Justizmimster Thövenet zu ver ständigen, und dem Admiral Fvurnier ist daS Marilicministerium zugedacht." Zur Homcrulesrage hat jetzt auch einer der hervor ragendste» englischen Geschichtsschreiber, William Edward Leck», das Wort genommen, uni das Vorhaben Gladstonc'S aus das Eiillchiedenslc zu verurtbcilcn. „Ich zweifle keine» Augenblick", so sagt der berühmte Historiker i» einem zur Veröffentlichung gelangte» Schreiben, „daß, wenn die Honierule Gesetz würde, cS sich als einen der verhäng »iß- vollsteii Wendepunkte in der ganzen englische» Geschichte erweisen würde. Es würde daS alte System parlameniarischer Regierung zerstören, welches nur bestehen kann, wen» Minister stetige und sichere Majoritäten haben, sowohl in englische» wie in ReichSangelegenheiten. ES würde daS Vereinigte Königreich in verbängnißvoller Weise schwäche» »nd wahrscheinlich auch schließlich zergliedern, und cs würde auch Irland zu Grunde richten, indem cs das Capital und viele ihrer Industrien außer Landes jagen, das Volk noch schärfer i» zwei unversöhnliche Hälfte» spalten und berufsmäßigen Aufwieglern und Plünderern znr Beule überlassen würde . . . 10 Mitglieder von Glabstone's kleiner Majorität sind durch gerichtliches Erkenntniß als der Teil nahme an einer Verschwörung, die zum Verbreche» und Aufruhr führt, und deS Beharrens dabei mit volle:» Bewußtsein der Folgen überführt worden, und diese Männer haben hauptsächlich seine irische Politik beeinflußt. England beginnt, glaube ick', der Unerträglichkeit seiner Lage und der Größe der Gesabr sich bewußt z» werden, und wirk hvss.ntoch hinreichend Energie und Patriotismus besitzen, uni sie zu besiegen." Die socialistischen Wühlereien in der belgischen Armee werden immer ärger und umfangreicher. In Mvns stehen Arbeiter bei de» Cascriien und verlbcile» a» alle Militairpcrsoncn socialistiscbe Ausrufe, welche die Soldaten auffortcrn, „treu zu dein um seine Rechte kämpfende» Volke zu stehen". Als am Montag Morgen die Garnison der Statt Cbarleroi ihren Ercrcirplatz betrat, war der ganze Boden not Tailseiitcn a» die Soldaten gerichteten sociatistiichen Manifesten bedeckt, welche sie ansforbertcii, ibrc ausständige» Brüder nickt zu tobten. Ein Soldat rief: „Es lebe das all gemeine Stimmrecht!" er wurde aber sofort festgenoiiime». Obwohl das Ministerium im Stillen ansehnliche militairische Vorsichtsmaßregeln trisst, insbesondere Regimenter i» der Provinz iiiarfchbcicit kalt, ist die Stiinmung in der Armee den herrschenden Parteien nichts weniger als günstig. In Madrid hat endlich, wie schon gemeldet, die Ein weihung der neuen evangelischen Kirche staltgcsnnten. Die spanische Negierung hatte eingesehen, daß sic jedensalls 87. Jahrgang. vor der Eröffnung der CorteS die Einwilligung geben mußte, falls sie fick nicht heftige» Angriffe» wegen Verletzung der Verfassung aussetzen wollte. Die Feier verlief in größter Ruhe und Ordnung, obwohl ein ultramontaiicS Blatt gegen die Protestanten hetzende Flugblätter unter der Menge in der Straße verideilt batte. Die Eiiif'achheil und Schönheit der Kircke, innen weiß mit Gold und an den Wänden mit Sprückcn geziert, machte großen Eindruck, ebenso der Gesang und die Emwcibuiigsretc des spanischen Geistlichen, der unter Anderem hervorbob, wie die christliche Kirche in Spanien sich Jahrhunderte lang von dem Einflüsse und Joche Roms frei erhalten habe. Jetzt hätte» sie sich wieder zu ihrer allen, freien, christlich aber nicht römisch-katholischen Kirche bekannt. Ein Gruß von den evangelischen Freunden Spaniens in Deutschland mit Ueberrcick'ung schöner Abend- inablsgerätbe. die begeisterte Rede eines zweiten spanischen Pastors i», Nameii der evangelischen Gcmeindcn Madrids und Spaniens, und die Klänge des auch inS Spanische über- setzlen LulherliedeS: Ein' feste Burg ist unser Gott: l.'nLtillo tüorto os uue-dtiv Ilios, schlossen die erbebende Feier. Der sür das deutsche Reich neuernannte Gesandte der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Mr. Theodore Runyon. siebt zu dem Präsidenten Clevcland in dem Ver hält»,ß eines langjährige» Freundes und gilt persönlich als ein wissenschaftlich hochgebildeter Mann von hervorragender Gewandtheit und Liebenswürdigkeit der Verkehrssorinen wie von vornehmer Gesinnung und festem Charakter. Es wird übrigens noch eine gewisse Zeit vergehen, bis Mr. Runyon in den Vesly seiner osficiclleii Beglaubigung gelangt, da nach de» Bestimmungen der amerikanischen Verfassung die vom Präsidenten vollzogenen Ernennungen von Gesandten und Consuln zu ikrcr RecktSgiltigkeit noch der Sanction von Seiten des Senats bedürfen. Deutsches Reich. 2 Berlin, 22. März Der Reichstag hat wieder zwei Tage lang höchst widerliche Auftritte erlebt, erbitterte und haßerfüllte Angriffe von Mitgliedern gegen einander, leiden schaftlich erregte Wonkämpso, Schmähungen und Drohungen, wie man sie wohl in den Parlamenten heißblütiger romani scher Nationen, nicht aber im deutschen Reichstag gewohnt war. ES fehlen nur noch Thätlichkeilcn DaS Auftreten des Abg. Ablwardt, das ja allerdings geeignet ist, das Blut auch ruhiger Männer in Wallung zu bringen, bat nicht zum ersten Mal Anlaß zu der Beobachtung gegeben, daß die Sitten und Formen dcö Reichstags fich i» bedenklicher Weise zu verschlechtern und zu vergröbern begonnen baden, ebenso wie der geistige Gehalt der dort gepflogenen Verhandlungen im Allgemeinen i» bedauerlichem Rückgang begriffen ist. Der Schlamm der wüsten und roden Wahlagitation, durch die sich heutzutage der Rcichslagsahgeordnctc hinturcharbeilcii muß, klebt eben vielen Gewählte» immer etwas an. Die Verrohung dos parla mcularischen Tons und »»gleich der geistige Rückgang der ReichS- tagstebaltcn ist seit dcrVcrstärkniig der socialdemokratischcnVer tretung zu beobachten, sehr wirksam sink dann die Antisemiten hinzugckoininen, und i» Zukunst werde» wohl auch die Für angcl und Sigl nicht« beitragen, um den Reichstag zur Stätte der Bildung und gesitteter llmgangssormen zu machen. Der politisch erziehende Einfluß auf das Volk, de» man sich von den parlamentarischen Körperschaften verspricht, wird unter FsuiUstsn. Ums Geld. 241 Novelle von A. Hpyl. Nachdruck «ibolr». (Fortsetzung.) »Hess mir Gott", stöbnte sie laut, übermannt von der Bucht einer allzuschwcren Sorgenlast. Ein jiiber Windstoß aab Antwort aus ihr Aeckzcn, fuhr brausend über Berg und Tbal, rüttelte die schwachen Baumstämme unsanft bin und der, bog die Aeste und knickte die Zweige; auch trieb eine Staubwolke aus, welche Hermine zwang, die Augen mit beiden Händen »u bedecken. Im Nu wurde der leichte Sommerbut dem Unbold zum Spielzeug; er dob ihn hock io die Lust, rollte ihn dann auf dem Wege mit rasender Geschwindigkeit fort und spottete der weißen Hand, die sich admübte, ihn zu erhaschen. Endlich blieb er mitten in einem Weinberge an einem spitzen Pfahle hängen, wurde von den Rebzweigeu, welche der Wind darüber webte, fest gehalten, und Hermine, die ibre Kopfbedeckung nickt gern eiubüßen wollte, wagte sich in fremde« Eizenlbum, um den Hut zurück zu holen. Schon hatte sie da« wiedrrerlangte Gut fest in der Hand und schickte fick an, schleunigst nach Hanse zu gehen, al« der Sturm mit aller Gewalt losbrach und, schonungslos wüthend, der Aermsten fast die Besinnung raubte. Nur noch dem Angstgefühl Raum gebend, sank sie in die Knie, drückte da« Gesicht an den Stamm einer mächtigen Linde, die am Eingang der Rebgäng« etwa« erhöbt stand, weitbin sichtbar. Hier lag sie am Boden, elend, zitternd, schutzlos, dem Toben der Elemente prei«gegebrn Der Regen goß in Strömen auf sie berab, rasselnde Blitze »mzüngelten sie. die DonnerschlLge dröhnten in kurzen Zwischenräumen zuerst mit Mark und Bein erschütterndem Krachen, dann mit dumpfem Grollen Da« junge Mädchen dachte nicht an die Gefahr, welche i!>m unter dem mächtigen Baume drohte; eS klammerte sich fest an den Stamm, um nicht sortgeschleudert zu werden, und verharrte ungefähr zehn Minuten in dieser schlimmen Situation, bi« e« sich von zwei kräftigen Armen rmpor- acbobcit fühlte. Eine ihm wohlbekannte Stimme ries: »Haben Sie den Kops verloren. Fräulein von Stabl, oder bat Tie der Schrecken um« Bewußtsein gebracht! Ein paar Schritte von da steht unser Feltbäulchen, da« Ihnen Schutz bietet Anstatt dahin zu flüchten, knien Sie unter dem alten Lindenbanm nieder, der, wie Sie wissen, den Blitzstrahl an- »iebt. Sie find durchnäßt bi« aus die Haut, wie krank können Sit werdrn! Ja. die vornehmen Damen! Tie lernen alles Mögliche, was kein Mensck zu wissen braucht; aber wie man sich im Leben zu Helsen weiß, daö lerne» sie nicht. Besinnen Sie sich nicht lange, Fräulein, nur vorwärts unter Dach; die weißen Streifen dort am Firmamcnte bringen »ns einen Hagelschauer; ick möchte selber nicht draußen sein, wenn der berunterpraffelte." Ebe sie sich recht besinnen konnte, wer der Mann war, der sie mehr trug, als führte, stand Hermine inmitten eine« viereckigen Schuppens, der zum Aufbewabren von Feld- und Weinbaugeräthen benutzt wurde Cie sab sich erstaunt um und erkannte eine Stätte, die sie als Kind oft betreten hatte, um mit dem Falkcn-Martin in Freundschaft zu verkehren, weil dieser seine gute Gesinnung stet« durch kleine Geschenke an Obst bctbätigte. Sie war also in dem Falk'schen Besitz- tbum und vor »hr stand der alte Hausknecht, betrachtete sie mit mitleidige» Blicken und redete ihr freundlich zu. „Tausend Dank, guter Martin", brachte sie mühsam hervor. Er webrte ab, sie solle nicht sprechen; denn sie sah aus, als ob sie jeden Augenblick umsinken könne. »Setzen sie sich dort auf den Hclzschemel, gnädiges Fräu lein, und schnaufen Sie auS. E« ist kein wohnlicher Aufent halt hier, aber doch besser, als bei diesem Unwetter unter freiem Himmel campiren. Ein Glück, daß ich heute im Wein berg zu tbun batte und daß ich Sie unter der Linde ent deckte — wirklich ein großes Glück. Doch ich will die Thür fest schließen, damit sie der Sturmwind nicht einreißt." Martin war eben daran, seinen Vorsatz auSzusübrcn, als er durch einen kräftigen Ruck von außen daran verbindert wurde. Ein großes Weib mit einem Lack aus dem Rücke» schob den Insassen ohne Umstände bei Seile und trat dort fluchend in dem Augenblick über die Schwelle, als ei» dichter, grobkörniger Hagelschauer mit prasselndem Geräusch zur »Du bist «, Stine!" sagte Martin nicht eben freundlich »u der Eingetretcnen, während er dir Thür verriegelte. Die Alte warf den Sack zu Boden, riß das nasse Tuch vom Kopf und strich sich da» Haar auS der Stirn. »Ta« nenn ich erwischt", Hub sie mit kurzem, rauhem Lachen an »Um ein Haar hätte ick mein Theil abgekriegt und da« wäre kein Spaß gewesen für meinen kranken Kopf, der so nicht mehr recht beisammen ist Es ist ein Hunde wetter. Hast Du nicht« zu trinken, Märtel?" Martin verneinte. Er schob ihr ein Reisigbündel hin: »Du wirst müde sein, setze Dich." Sie nickte und leistete der Aufforderung Folge. Die Ellenbogen aus die Knie und den Kopf auf beide Fäuste gestützt, kauerte sie auf dem improvisirten Ruheplatz und sah sich dabei frech in dem Raume um, wo, sie war sich dessen bewußt, ihre Anwesenbeit unlieb vermerkt w»rde. »Da dass Du ja noble Grsellsckiaft, Märtel", spöttelte sie, keck ans Hermine deutend, die, kaum achtend, was um sie verging, auf dem »icdern Holzschemcl saß, die Hände im Schooßc gefaltet, und schweigend vor sich binstarrte. „So ein Dämchen", fuhr Stine höhnisch sort, »so ein papiernes, das ci» Wiiitbauch umweht, wagt sich bei solchem Wetter hinaus, bi — hi — wird schon seine Bewaudtniß haben, vielleicht, um einem schönen Herrn ein Stelldichein zu geben." »Schweig, alte Hexe", fuhr Marti» zornig auf. »Wenn Du Deine gottlose Lästerzunge nicht im Zauinc hältst, dann wirst Du trotz Sturm und Regen an die Lust gesetzt." ES war dem Alten nicht ernst mit seiner Drohung; er wollte die Luiiipensammlerin nur einschüchter»; aber Stine nahm die Ziirecktwcisiing übel auf. „Du willst mich a» die Luft setze», mich, die Stine? DaS dürfte ein schwer Stück Arbeit für Dich werden; cs könnte Dir blaue Beulen genug ciiitragen." Sie streckte ibre beiden Fänftc kampfbereit ans. „Wenn auch mein Kopf schwach ist, seit jener verdammte» Nacht — meine Knoche» sind noch stark genug, um eS mit Dir aus- zunehmcn. Tu aller Kalfakter! Komm her, wenn Du was willst." „Ich will, daß Du Dich ruhig verbälst und kein unge reimtes Zeug schwatzest", versetzte Martin in einem Ton, der Stincn'S Kampflust etwas däinpstc. „Schon reckt", grollte sie balblaut, mit sich selber sprechend. „Schwatzen »inß ick, seitdem mein Kops krank ist; ob daS Zeug gereimt oder ungereimt ist. geht den Sckön- thner nichts an. Da- ist auch so Einer, bei dem cS beißt: Mitgegangen, niitgehanacn, wenn der Tag kommt, an dem wir niit den Neichen avrcchnen. Er kyinnit bald. Bei dem Sykow fangen wir an —" „Bei Herr» Sykow?" fragte Hermine erschreckt. „Ach waS Herrl" geiferte Stine. „Wir wollen keine Herren, wir brauchen keine Herren, die unS knechie», dir von unserem Schweiße prassen; wir wollen alle Menschen gleich macken." »Gleich niedrig", flüsterte Hermine, während sie ängstlich zu Martin an-blickte. O, entsetzlich", seufzte sie. »Achten Sie nicht auf da«, wa« sie spricht", raunte der alte Mann Herminen zu, und deutete nach der Stirne „Hier ist cs nickt richtig bei ibr, sie trinkt zu viel Branntwein." Stine. welche die letzten Worte verstanden batte, verwahrte sich sofort gegen den Vorwurf »Ich trinke nur, wenn ich Durst habe, und was ich sage, ist richtig Ihr werdet noch mit Schrecken daran denken Laßt sie nur ihre Feste feiern, laßt sie nur ihre seidene Fabne weihen, den Fetzeu reißen wir in Stücke, wenn er lo« geht Roth muß die Fahne sein, der wir salzen, roth wie Blut." Ein furchtbarer Blitzstrahl mit betäubendem Tonner- actösc unterbrach die grausigen Reden des alten Weibes. Tie morschen Balken der Hütte dröhnte» unter den ar>m»ie» Windstöße»; Ziegelsteine wurde» vom Dach gerisfcn und vom Sturme in'« Feld geschleudert. Der schadhafte Fenster lade» drohte jeden Augenblick aus de» Angeln zu reißen, und die von dem eisernen Riegel nur »olbtürftig gehaltene Thür wurde gewaltsani hi» und her gerüttelt. Martin schlug ei» Kreuz und miirincllc ein Stoßgebet, da« der Greis noch aus den Kinverjahrcn behalten balle Hermine saß bleich und regiingöloS, aus Alles gefaßt. Stine batte ihre Lust au dem Toben der Elemciitc. „Recht so", ries sie mit boshaftem Frohlocke». „Es soll kein Halm aus dem Felde bleiben, keine Frucht am Baume, leine Beere an der Stande. Sie solle» fühlen, wie der Hunger tkut. Daniel Knicker bat auch Felder und Gärte»; er soll s auch fühlen Er ist schleckt, viel schlechter als ich. Ich lcnne ihn lange; ick kannte ihn, als ich jung und rechtschaffen war; er bat mich verderbt. Ick habe ihm gedient, ick bade ihm zugetragen, ich habe ihn bereiwern Helsen : jetzt will er nichts mehr mit mir zu schaffe» haben; er ist schlechter als ich. Wir rechne» ab, Daniel Knicker, wir rechnen ab. Es gebt kein Spuk im Keller um", wandte sie sich an Hermine. »Glauben Sic die albernen Geschichten nicht. Wer todt ist, kommt nicht wieder. Die Gespenstergeschichte paßt dem Knicker in de» Kram, darum bat er die Leute darin bestärkt. Die Stine weiß, waS in dem Keller vergebt; sic kan» aussagen, wenn sie will. Die Stine kennt die Spitzbuben." „Die Frau ist entsetzlich", ries Hermine aufspringend. Das wiederholte Nennen von Knickers Namen war ibr in dieser Stunde besonders peinlich. »Ich will lieber dem Weiler Trctz biete», als länger liier bleiben." »DaS Dämchen bat Nerven", böbnle Stine, „kann nicht kören, wie eS in der Welt zugebt. Bleiben Sic nur, Fräulein von Marzipan; ick, gebe, der Hagel hat aufgcbört und der Regen genirt mich wenig; war schon oft i» Wind und Wetter draußen " Sie erhob sich, »abm ihren Sack aus die Schulter und verließ das KelkhäuSchen ohne ein Wort des Abschieds. »Gott sei Dank", atbmete Hennine aus. Martin blickte der Adacbenden kopsichnttclnd »ach »Wer siebt eS dem Weibe an. daß sie einst ein sauberes, gutberzige« Mädel war?" »DaS ist kaum glaublich", meinie Hermine. »Und dock ist es so", versicherte der Alte. »Der Knicker bat sie auf dem Gewissen; er bat sic schleckt gemacht; dann ertränkte sie ibre Reue in Schnaps unk jetzt gehört sie zum AuSwurf der Menschheit." Hermine dachte an dir haarsträubenden Tinge, welche Stine ankündigte, und fragte, ob ihren Worten Gewicht bei zulegen sei.
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