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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950104022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-04
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Viorgen»Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Sonn» und Festtags früh V,S Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Arrretge» sind stets an die Ggpepttt»« zu richten. Laut» Löscht, Katharilieustr. 1», pari, und KöntgSplatz 7. Drglltl für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Druck und Verlag von A. Pol» ftr Leipzig Freitag den 4. Januar 1895. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Januar. Drm Wiederrusammentritt des ich StagS gebt in der Presse eine Erörterung über den jetzigen Präsidenten v. Levetzow voraus, die leider nicht dazu angelban ist, die schon ohnebin gespannten Parteiverbältnisse erträglicher zu gestalten. Bon einigen Blättern wird nämlich ziemlich un verblümt der Rücktritt des Herrn v. Levetzow gefordert, dem u. A. vorgeworfen wird, daß er bei der Schlußstein- legung im neuen Reichstagsgebäude in der Landwebr-MajorS- nniform erschienen sei und später für die Gestattung der sofortigen strafrechtlichen Bersolgung des Mg. Liebknecht gestimmt habe. Zu dem letzteren Borwurse bemerkt die „Nat.-Ztg.": „Wir können nicht verhehlen, daß auch uns dies befremdet hat: wenn Herr v. Levetzow nicht gegen seine coiiscrvativen Grsinnungs- genossen votiren wollte, so konnte er sich doch der Abstimmung ent halten, um nicht in einer Frage der Privilegien der Volksvertretung, deren Präsident er ist, gegen die große Mehrheit dieser zu stimmen. Aber angesichts des Wunsches nach der Demission des Herrn v. Levetzow möchten wir doch fragen, wen inan sich als seinen Nachfolger denkt. In der Angelegenheit des Art. 30 der Verfassung stehen alle Mitglieder der beiden conscr- vativen Fractionen so, wie Herr von Levetzow; aus diesen würde inan den neuen Präsidenten somit nicht entnehmen können. Daß sich in dem jetzigen Reichstag eine Majorität für einen national- liberalen Präsidenten finden würde, ist zu bezweifeln. Bliebe also rin — klerikaler. Ist es etwa der Wunsch der Deutsch-Frei sinnigen, rin Mitglied des Cenirums auf den Präsidentensluhl zu erheben?" Die freisinnige „Boss. Ztg." weist dieser Auslassung gegen über nicht mit Unrecht darauf bin, daß es nicht mehr zeit gemäß sei, sich gegen die Wahl eines CentrumSmitgliedes zum Präsidenten des Reichstags zn ereifern, nachdem der Kaiser so manches Milglied dieser Partei ausgezeichnet hat, die in den Zeiten des Kulturkampfes nicht nur zur Regie rung, sondern auch zum Hofe in schroffem Gegensätze stand. Allerdings schwärmt auch die „Voss. Ztg." nicht für eine solche Wahl und würde auf dem Präsidentenstuhle lieber Herrn v. Bennigsen sehen, „einen Mann, der nicht nur ganz geeignet ist, die deutsche Nation und ihr Parlament würdig zu vertreten, sondern auch unabhängig und charakterfest genug, in ernster Stunde Rückgrat zn zeigen und dem Throne und der Negierung gegenüber freimülbig der Meinung der Volks vertretung Ausdruck zu geben." Wir haben indeß guten Grund zu der Annahme, daß Herr v. Bennigsen durchaus nicht lüstern sei, Nachfolger des perrn v. Levetzow zu werden oder gar ihn zu verdrängen. Die „Nat.-Lib. Corr." geht daher mit vollem Rechte auf diesen Vorschlag gar nicht ein »nd bemerkt zn der gegen Herrn v. Levetzow betriebenen Wühlerei nur: „Ter Reichstag sollte froh sein, daß er noch einen solchen Präsidenten hat. Ein Vergnügen kann es nicht inehr sein, dieser fortwährend von lärmendem Streit und boshaften Kn ffen zur Störung der Geschäfte erfüllten Versammlung vor zusitzen. Seit langen Jahren hat durch ein stillschweigende» Ein- veruändniß ein konservativer Präsident den Vorsitz im Reichs tag, obwohl er nach der Stärke seiner Partei hierauf keinen Anspruch hätte. Wenn man lediglich zahlenmäßig rechnen wollte, müßte einCentrumSmann Präsident sein. Dies wäre auch recht bezeichnend für die dermalige parlamentarische Situation. ES wird nicht mehr lange dauern, so werden auch ihrer Zahl nach die Sociatdemokraten einen Sitz im Präsidium beanspruchen können; auch das wäre bezeichnend. Ganz so weit ist es nun noch nicht, und die Behauptungen, daß Herr v. Levetzow präsidiuinsmüde sei, haben bisher noch keine Bestätigung gesunde». Eine Krisis könnte allerdings ausbrechen, wenn der Reichstag eine Ver stärkung der Disciptin armacht des Präsidenten ab lehnen sollte. Dann müßte es wohl auch der Majorität, die dies thäte, überlassen bleiben müssen, die Leitung des Reichstags in die Hand zu nehmen." Hoffentlich läßt sich Herr v. Levetzow durch die Anzapfungen einer Gegner nicht verstimmen und zum Rücktritt treiben. Sollte er durch die Ablehnung einer Verstärkung der DiSci- Kinargewalt des Präsidenten dazu veranlaßt werden, so würden am allerwenigsten diejenigen Parteien darüber ersreut sein dürfen, die jetzt leichtherzig an seiner Stellung rütteln. Daß demnächst im Reichstage die Frage, ob die mit Zwang verbundenen öffentlichen und organisirten Bcrrufserklärnngc» unter Strafe zu stellen seien, zur Er örterung kommen werde, wird von der „Nal.-Lib.-Corr." be stätigt. Sie bemerkt hierzu: „Die juristische Formulirung, die Absteckung einer rich tigen Grenze zwischen erlaubten und unzuläijigen Maßnahmen auf dieiem Gebiet mag schwierig sein, aber sie kann und muß gesunden werden, wenn ein öffentlicher Notbsland und ein das friedliche Erwerbsleben gefährdender Terrorismus einzureißcn be ginnt, wie es nach den Ersahrungen im Berliner Bierkrieg sehr wahrscheinlich ist." Die „Nat.-Ztg." geht näber auf die Absteckung einer richtigen Grenze ein und kommt zu folgendem Schluß: „Man weist darauf hin, daß der Einzelne leine Kundschaft entziehen und auch Andere dazu müsse veranlassen dürfen, wenn ein Produeent, ein Kaufmann rc. durch schlechte Maare, hohe Preise, unhöfliches Verhalten oder dergl. Anstoß errege; ferner daß die Mililairbehürde den Soldaten den Besuch vo» Locale» verbiete, in denen Socialdemokralen verkehren; daß der Lerei» zum Schutz der Ostmarken deuljche» Gewerbtreibeude» Erwerb, der sonst pol nischen zufiele, zu verschaffen verjucht. Ob das nicht auch Boycott sei, also eventuell ebenfalls verboten werden müßle? Wir verneinen diese Fragen und wir glauben, daß die Unterscheidung zwilchen derartigen berechtigten Handlungen und dem z» verbietenden Boykott iedr wohl möglich ist. Der letztere ist zunächst dadurch bedingt, daß die Verabredung der Kiindichasts-Entzirhung nicht durch das Vrrhältniß vonLeistung und Gegenleistung imgeschäst- lichen Verkehr veranlaßt ist; wo Unzufriedenheit in lLesem der Grund ist, kann von strafbarem Boycott keine Red« sein. Das Wesen desselben ist die Absicht, eine außerhalb jedes geschäst- lichen Verhältnisses liegende Leistung zu erzwinge» oder Jemanden zu schädigen, ohne daß das geschäftliche Verhältniß zwischen de» beiden Tkeilen hierzu den Anlaß gegeben bat. Verruss-Verabredungen zu diesen Zwecken und die Thätigkeit für ihre Durchführung müssen verboten und bestraft werden. Die Veröffentlichung muß als strafschärfender Umstand wirken. Ter Commaiideur, welcher seine Soldaten von dem Verkehr in socialdcmokratijchen Localen ab- hült, hat nur diesen Zweck im Auge; er will weder den Wivth zu etwas zwingen, noch ihn schädigen. Ter Verein zum Schutz der Deuljche» in den Lstinarken will weder die Polen zwingen, Deutsche zu werden, noch will er polnische Gewerbetreibende schädigen, sonder» er will den deutiche» Gewerbtreibenden die von den Polen bedrohte Existenz sichern, und er wird schwerlich gehässige Anordnungen erlassen, wo zu kaufen ist und wo nicht. Es kann sein, daß ein Boycott-Paragraph, wie wir ihn für nothwendig und möglich halten, sich nicht ganz in der Art unserer Strafgesetzgebung sormuliren läßt, die es darauf an legt, das Ergebniß selbst eines umständlichen Denkprocesses in einen kurzen, eleganten Satz zusammenzusassen — der nachher zu den verschiedensten richterlichen Auslegungen führt. Die complicirlen Verhältnisse der Gegenwart lassen es wünjchensmerth erscheinen, daß die deutiche Gesetzgebung zuweilen »ach dem englisch.ameri- konischen Muster eine etwas ausführlichere Sprache rede." Jedenfalls ist die Frage der ernstesten Erörterung Werth, denn wenn die Socialdemokratie ungestraft ihre Macht zur Vergewaltigung ganzer GewerbSzweige mißbrauchen darf, so kann die Gegenwehr von Seiten der Arbeitgeber nicht aus- bleiben, und es können daraus sociale und wirthschaftliche Kämpfe von einer Leidenschaftlichkeit entstehen, wie man sie bisher noch nicht erlebt hat. In der jüngsten Zeit baden mehrere weder autoritative, noch besonders glückliche Preßauslassnngen unseren Gegnern Veranlassung gegeben, von einer in der nationaUiberalcn Partei angeblich aufgekoinmenen Unduldsamkeit zu reden. Wie wenig gerechtfertigt diese Beschuldigung ist, geht aus einem zur Jahreswende geschriebenen Artikel der „Mit- theilu u genfürbieBertrauenSmänn erdernational liberalen Partei" hervor, in welchem wir folgende Sätze inden: „Tie Vergangenheit lehrt uns, daß wir Deutschen im Volks- charaktec all die Fähigkeiten und Kräfte zu großen nationalen Vollbringungen b,scheu, wie wir ja auch mit Erbfehlern reia, gesegnet sind^ die, auf die Spitze getrieben, selbst ein stark- gesügtes Gemeinwesen verderben und die beste Volkswirthschast deruuierbringen können. Je nachdem wir als Volk die guten Eigenschaften oder die schlimmen zur Herrschaft über uns ver- siaiten, wird sich den veränderten Voraussetzungen entsprechend unsere tausendjährige Gcichichle im Einzelnen wiederhole». Nun wohl! Da lohnt sich Loch wahrlich ein ausdauerndes Bemühe», die starke» Seiten des Deuljche» zu entwickeln, die Bürger- tu gen den in ihm zu wcck-n und zu entfalle», damit er seines Glücles eigenster Schmied bleibe, im besonnenen Gebrauch seiner freiheitliche» Rechte Lieielben sich täglich neu verdiene und durch sie zu wachsendem Einstich kvmmel Uns, Len Vertretern einer rückhalt los nationalen Politik, den Trägern des liberalen Versastiliigsgedankelis, ist jedenfalls der Weg der Pflichte» klar vorgezeichnet. Und je schwieriger es sich mit der weiter, n E»lser»ung vo» I870/7I zu gestalten scheint, dem nationalen Jiitercsseugebot zum Rechte zu verhelfen, je mehr sich die Ziele einer liberalen Verfassuugspartei umjchleiern, desto ernster wollen wir es mit unserer Pflicht nehmen, desto energilchcr wollen wir de» Erbfeind in uns selbst bekämpfen, ob «sich Trägheit undLauheit »en»t oder unduldsame Rechthaberei gegenüber abweichenden Meinungen. Wer grundsätzlich mit uns anerkennt, daß der moderne Cultiirsiaat nnr im Wege verständigen Zusammenwirkens durch alle gemüßigten Elemente des Bürgerlhums in Stadl und Land erhalten werden kann, dem wollen wir es leicht machen, daß er die principielle Anerkennung in die Praxis übertrage. Und wer irgend noch ge wonnen werden kann, daß er mit auf die Schanzen trete, um die Feinde eines geordneten Bcrfassungsstaates abzuwehren, den wollen wir täglich mit gutem Beispiel ermuntern I" Das ist nach der einen wie der andern Seite hin der correcte nalionatliberale Slanbpuncl, dessen kräftiger Betonung wir in dem genannten Organ mit Genuglhuung begegnen. mitzuwirken, und wünscht überhaupt nicht, daß eS in Ostasien zu einem sogenannten „faulen Frieden" komme, der einen permanenten Gährungsstoff zurücklassen und dadurch eine Situation schaffen müßte, bei welcher Handel und Wandel verkümmern statt gedeihen müßte. Die Gefahr eines solchen „faulen" FriedenSzustandeS liegt aber ungleich näher, wenn Japan durch einen unwiderstehlichen Druck der Gesainiilt- teil der Mächte genötkigt würde, auf halbem Wege teben zu bleiben, als wenn man den Ereignissen ihren normalen Fortgang bis zu dem Momente gönnt, wo seine völlige Niederlage dem betreffenden Tbeile so klar ;um Bewußtsein gekommen ist, daß an seinem ehrlichen Willen, inen ehrlichen Frieden zu schließen, ein Zweifel nicht bestehen ann. — WaS den Verlauf des Krieges betrifft, so kann man ich der Erkenntniß nicht verschließen, daß derselbe durch den nunmehr in voller Strenge aufgetretenen Winter, wo nicht : u eineni absoluten, doch zu einem relativen Stillstände ge >rackt ist. Die Lage der kämpfenden Parteien an- angend, so sind die Japaner im Vortheile, da sie dem Gegner eine Reihe strategisch sehr werthvoller Positionen entrissen und ihr moralisches Uebergewicht >is in die alle» jüngste Zeit hinein behauptet haben. Anderer eits ist den Japanern weder die Erreichung MukdenS ge lungen, noch sind ihre Operationen im Petschiligolf weit genug vorgeschritten, um die chinesische Hauptstadt Peking mit unmittel barer Gefahr zu bedrohen. Chinas Lage ist also in Ansehung der augenblicklichen Conjunctur noch keineswegs so Hoffnung« los, daß die dortigen Machthaber dem Gedanken einer unbedingten Unterwerfung unter alle etwa von Japan zn dictirenden Friedensbedingungen zugänglich wären. Ein Friede, wie Japan ihn will, wird daher von China kaum gewährt werben, und damit erscheint das Schicksal der eventuell zu gewärtigenken Verhandlungen zwischen beiden Theilen schon im Voraus besiegelt. Immerhin brauchen dieselben darum nickt absolut nutzlos zu sein, da ihr Verlauf hüben und drüben auiklärend und über die beim Gegner herrschenden Gesinnungen belehrend wirken kann. Die telegraphisch gemeldete Verleihung des höchsten japanischen Ordens an den deutschen Kaiser entbehrt nicht der politische» Bedeutung, und man geht kaum fehl, wenn man in derselben den 2msdruck des Dankes für die correcte und durchaus neutrale Haltung Deutschlands den« japaiusch- chinesischen Ringen um Korea und vielleicht noch Wichtigeres erblickt. Daß bei aller ossiciellen Zurückualtung die privaten Sympathien in Deutschland sich überwiegend den Japanern znwandten, liegt weniger an einer vorgefaßten Meinung zu Gunsten der letzteren als daran, daß im Verlaufe der kriegerischen Aclion auf Seile der Japaner mehr respec tadle Eigenschaften zu Tage traten, gegen welche das Verhallen der Chinesen in recht unrühmlicher Weise abstack. Es kam hinzu, daß die englische Presse sich von Anbeginn des Conflicts in ostentaliver Weise für China erklärte, um es begreiflich zu machen, daß man bei uns, durch zahlreiche mit den Engländern gemachte Erfahrungen gewitzigt mißtrauisch wurde. Es erregte daher in Deutschland ziemlich ausnahmslose Befriedigung, abs vor einiger Zeit verlautete, von Berlin aus sei aus englische Sondirungen betreffs einer Einmischung der Mächte m den chinesisch-japanischen Conflict zu Gunsten CbiuaS geantwortet worden, Deutschland denke nicht daran, den Japanern in den Arm zu fallen. Eö ist genügender Grund zu der Annahme vorhanden daß an maßgebender Stell: dieser Standpunct auch jetzt noch festgebalten wird. Man verspürt dort nicht die geringste Neigung, bei einer vorzeitigen und deshalb aussichtslosen diplomatischen Einmischnngsaclion Wenn wir bei dem jüngsten Regierungswechsel in Nntzland einzelnen Stimmen gegenüber, welche von dem jungen Kaiser das Einschlagen neuer Bahnen in der internationalen Politilk erwarteten, betonten, daß vorsichtige Reserve geboten sei, weil man über Nicolai Alexandrowitsch Be stimmtes, Authentisches noch nicht wisse, daß er fast in jeder Hinsicht ein noch unbeschriebenes Blatt sei, daß wir aber der Ueberzeugung seien, die gegenwärtigen, stark consolidirten Machtrerbältliisse Mitteleuropas würden den neuen Zaren als das zwingeitbsle Argument für die Weiterfübrung einer fried lichen Politik erscheinen, so können wir beute auf eine Reihe vou Kundgebungen Nicolaus' II. zurückblicken, welche es zweifellos machen, daß derselbe, tbatsächlich von friedlichen Intentionen geleitet, schwerlich jemals den panslawistischen Kriegsbetzern sein Ohr leihen und die von seinem Vater vor- aezeichneten Bahnen, weder nach der einen noch nach der anderen Richtung davon abweichend, strikte einhalten wird. In dieser Begebung ist das im heutigen Morgenblatt mitgetheilte kaiierliche Rescript an den langjährigen russischen Botschafter in Berlin, nunmehrigen Generalgouverneur von Warschau, Grafen Schuwalow, von hervorragender Bedeutung, da in demselben zn»: ersten Male des Verhältnisses zwischen Rußland und Deutschland gedacht wird. Der Satz: „Sie habe» als treuer und eifriger AuSführer der Pläne Ihres Kaisers die Bande der Freundschaft gepflegt, welche Rußland seit langer Zeit mit seinem mächtigen Nackbarn vereinen, und haben dadurch beigetragen zu dem Erfolge des erhabenen, wohlthätigen Werke« der Auf- Fruillrtoir. Graf Jarl. 3s Roman von Hermann Heiberg. * Nachdruck verboten. lFortsetzung.) Und zu Deiner Orientirung: Sie ist eine Wittwe, ge borene Gräfin Niel aus Fünen in Dänemark. Sic verlor ihren Mann durch den Hufschlag eines Pferdes. Schön, gut situirt, geistvoll, zudem ein bischen — extravagant! Ich habe sie Dir absichtlich gegeben. So sprach der Oberst, während er seinen Schwager rasch in eins der Nebenzimmer führte. Sie fanden die Gräfin Kalte neben einem älteren, dislinguirt ailssebenden Herrn, — dem Grafen von der Brede. Die Vorstellung erfolgte. Aber da die Gräfin hierdurch abgelenkt, nur eine förmliche Verbeugung machte, gelangte Adam nicht einmal zu einer Anrede. Fünf Minuten später stand Jarl jedoch schon wieder vor der Fremden, bot ihr seinen Arm und führte sie in den von Licktglanz schimmernden Speisesaal. Im Gegensatz zu der bei der Vorstellung hervorgetretenen, etwas steifen Zurückhaltung nahm die Gräfin Kalte jetzt zuerst das Wort und sagte mit einem liebenswürdigen Freimuth: „Ich bin der Einladung Ihres Herrn Schwagers — gleich will ich es sagen — eigentlich nur deshalb gefolgt, weil Comtesse Eva mir sagte, daß Sie erscheinen würden, Herr Graf. Ich hatte mich schon anderweitig gebunden. Und eS ist wirklich überaus artig vom Gastgeber, daß er Sie mir als Tischherrn gegeben hat." „Die Auszeichnung trifft doch lediglich mich, gnädigste Gräfin", betonte Adam und suchte, während sie Platz nahmen, daS Auge der schönen Frau. „Sie wünschen, wie mir scheint, anzudeuten, daß ich Ihnen ein Compliment habe machen wollen, Herr Graf! ES sollte aber keines sein. WaS ich sagte, war durchaus ehrlich! Ich spreche überhaupt nie etwas, was ich nicht meine. Vielleicht wäre eS besser, ich sagte Manches nickt, oder redete bisweilen weniger. Aber eS ist eine Art Auflehnung gegen die Formen und den Zwang, der mich so handeln läßt. Ander- zu sein, reizt mich nicht au- Haschen nach Besonderheit, sondern mehr wegen der scheinheiligen Ent rüstung der Dutzendmenschen." „Wir begegnen unS in Miseren Anschauungen, gnädige Frau. Ich unterschreibe jedes Wort!" „Also wie ick dachte! Sie sind kein Kammerkerr, keine Excellenz, kein geheimer Nath, sondern ein Mensch, trotz der Sie umgebenden Welt, trotz Beispiel, Erziehckstg und der Bedenken, die der Einzelne baben muß, sich in einen Gegen satz zu dem gewohnheitsmäßigen zu setzen." Jarl machte eine einschränkende Bewegung, dann sagte er, seinen Dank durch eine stumme Verneigung voraussendend: „Ja! Ich wiederhole! Ich denke wie Sie, Frau Gräfin, aber ich vermeide, das Alles zu äußern, wenigstens schroff zu äußern. „Man will nicht als Narr erscheinen. Wer sich aber in Allein unterscheiden will, ähnelt einem solchen, sicher nennen ihn die zahlreichen Narren einen solchen!" Die Gräfin erhob das Haupt und sah Jarl an. Aber ihr Blick hatte im Gegensatz zu dem bisherigen zwar freund lichen, jedoch unpersönlichen Ausdruck, jetzt etwas lebhaft Forschendes. Ueberhaupt kam Wechselndes in ihren Zügen zun, Ausdruck. Einen Augenblick schien Wärme von ihr auSzustrablen, dann schien sie nur Verstandesmensch zu sein, ja sogar etwas Berechnendes machte sich geltend. Als Graf Adam dem Gespräch eine andere Wendung gab und die Gräfin fragte, wie lange sie in Berlin bleiben werde, sagte sie: „Ich habe mir vor sechs Monaten bereits eine Wohnung in der Kleiststraße gemielhet und denke vorerst mich ganz hier einzurichkcn. „Wir lebten früber auf Fünen, wo nock die mir nach dem Tode meines Mannes zugrfalleneii Besitzungen liegen. Ich stellte mir die Wahl, dort zu bleiben, nach Paris zu gehen oder mich in Berlin niederzulassen. Ich entschied mich für das letztere. Und wie ich zu Ihren Verwandten kam? Einer Bekanntschaft mit Comtesse Eva verdanke ick eine Einladung und den Eintritt in dieses vo» der Gesellschaft gesuchte HauS!" Gras Adam machte abermals eine cavaliermäßige Ver beugung, die Gräfin aber fudr fort und sagte: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir einmal Ihren Besuch schenken wollten, Herr Graf! Aber freilich! Einen so viel Begehrten noch zu belästigen, ist fast un bescheiden." „Tie baben", entgegnete Jarl, nachdem er gedankt und erklärt batte, der Eiiilatung Folge leisten zu wollen, „jene gewisse bestrickende Art, allezeit den Anderen zum Miitel- punct des Gesprächs zu machen. Naturen, wie Sie, ver sieben es ganz von sich selbst abz,»sehen. Sie geben Ihrem Vm-ü-vm den Eindruck, taß nichts sie so sehr interessirt als dessen Angelegenheit. Sie besitzen sogar die größte Kunst aller gesellschaftlichen Künste, nämlich zuzubören, und doch den Eindruck zu machen, daß Sie unendlich viel und weit Besseres zu sagen im Stande seien." Die Gräfin sab Jarl mit eineni erschrockenen, fast ein wenig mißtrauischen Blick an. Dann sagte sie rasch: „Das ist ja fast unheimlich. Jedes Wort wollte ick ge rade Ihnen sagen, Herr Graf. Nicht wahr? Sie meinten das Gegeinheil, Sie wollten mich nonisiren?" „Meine gnädigste Gräfin —!" „Doch! Denn ick habe eigentlich fortwährend gesprochen, und Sie eben waren eS, der mir zubörte, mir gaben Sie den Eindruck, den Sie schilderten! —" ,.So müssen wir den» also wobl, um uns gegenseitig am besten zu gefallen, beide schweigen", scherzte Graf Adam. Und dann ernst: „Nein! In der Thal! WaS ich sagte, entsprach voll kommen Dem, was ich empfand. Sie haben etwas in Ihren, Wesen, das mich Sie für einen ungewöhnlich guten Kameraden halten läßt." „Ich bemühe mich wenigstens, umgänglich zu sein, Herr Graf. Aber eine Frau! Sie liegt in lausend Ketten! Wie beneidenswerih sind die Männer und insbesondere Sie!" „Ich? Schon einmal siel heute dieses Wort von anderer Seite. Weshalb? Ick bitte!" „Jung, gesund, uiiabbängig. in vortrefflichen Verhältnissen, von der Natur mit allen Vorzügen au-gestattet, von aller Welt — beneidet und bewundert —" „Und doch bat daS, wenn'S wirklich zutrifft, gnädigste Gräfin, einen sehr begreiflichen Grund!" „Ich bitte. Sie meinen —?" „Man hält mich für ungewöhnlich reich! Dieser Nimbus giebt mir eine Uebermacht. er ganz allein! Nehmen Sie ihn mir, so fällt Alles zusammen!" „Welche Idee! Welche Lebensanschauung! Sie irren durchaus! Es ist die Persönlichkeit, die man respectirt, zu der man sich drängt —" Jarl lächelte, seine Zweifel andeutend, dann sagte er: „Wenn ich mit Ihnen auf die Probe wettete, werden Sie, glauben Sie eS, glänzend verlieren, gnädige Frau. Doch gleichviel! Zu etwas Anderem! Gestatten Sie also, daß ich >Lie baldigst besuche! Haben Sie einmal einen Abend frei? Natürlich werde ich mich noch vorher officiell bei Ihnen zu melken mir erlauben!" „Gewiß! Mit Freuden! Sie finden mich stets! Ich bat ja schon darum! Und die Vorvisite erlasse ich Ihnen!" In diesem Augenblick gab Adam's Schwager das Zeichen znm Ausstehen. Alle erhoben sich, und auch Jarl führte seine Nachbarin in die Empfangszimmer zurück. Nach Tisch suchte Graf Adam Mercedes auf und faßte sie leicht um die Schulter. „Wie schön Du aussiehst, meine reizende Nichte. Und wie hübsch wieder Alles bei Euch ist!" Sie drückte ibm die Hand und gab ihm ein gutes Wort zurück. Dann wankte er sich zu Eva. Sie stand neben einem jüngeren Herrn und lachte lustig, wäbrend jener sprach. Nun kehrte sie sich um. sah Graf Adam und verfärbte sich leicht. Aber das machte sie nur noch schöner. Das rotb- bräunlicke, kastaniensarbig schimmernde Haar, das feine Zart der Farben der Blondinen entzückte das Auge. Auch besaß sie reizende Hän:e, Arme und Füße, und ein Angesicht voll so unschuldigen Liebreizes im Ausdruck, daß sie das Modell für eine Heilige abgeben konnte. „O Tu lieber Böser! Jetzt erst kommst Du! —" hob sie an, nachdem ihr Cavalier dem Grafen Adam Platz gemacht hatte. „Ich sebntc mich so sehr nach Dir! Aber freilich: die dänische Gräfin! Ick begreife!" „Weißt Du, daß ich wirklich schwankte, ob wir sie ein- laden sollten?" „Ich wußte, ich würde dann nichts von Dir haben!" „Wie Du daS Alles sagst, Eva! Du mackst mich eitel! — Aber ich danke Dir. Von einem Mädchen bevorzugt zu werden, wie Du eS bist — ist —" „O nein, nein, bitte nicht, Adam", rief da-junge Mädchen gekränkt. „DaS ist die häßliche Sprache der NichtSfü lenden Ich weiß, daß Du zu Denen gehörst, die sonst nie solche Redens arten machen. Und nun müssen meine Obren sie gerade hören!" „Es war ehrlich, mein Herr. Ich liebe Dich so zärtlich wie ein Bruder seine Schwester! Ich bin glücklich, wenn ich in Deiner reinen Nähe mich befinde. Ich betheure nichts. Es ist so! Du weißt es auch!" Sie sah ihn an. Ein warmer Blick erschien in ihrem Auge. Graf Adam aber nahm ihre Hand, da nun eben die Klänge
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