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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950105023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895010502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895010502
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- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
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BezugS-Preis I« der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und dcu Vororten errichteten Aus- oabestellen ab geholt: vierteljährlich4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung ir.4 Haus »> 5.5Ö. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,adrlich >» 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in< Ausland: monatlich 7.50. DieMorgen-Ausgabe erscheint täglich V,7llhr, die Abend-AuSgave Wochentags 5 Uhr. Nedaclion und Ervedition: Aohnnnesgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. /Malen: ktts Memm'S Lortim. (Alfred Hahn), Universitätsstrasje 1, LoniS Lösche. Katharincnstr. t4. vart. und IkönlgSpla- 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzergen-Preis Ne 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reklamen unter dem Rcdactionsstrich (4gs- fpalten) 50^, vor den Familieniiachrichteu (6 gespalten) 40^. Krößer» Schriften laut unserem PreÜ- Verzeichnib- Tabellar,scher und Zifferufatz nach höheren, Tarif. Extra-vettagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsürderung ^ 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännalfmklchlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh V-9 Uhr. Lei den Filialen „nü Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Tonnabend ren 5. Januar 1895. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 6. Januar, Vormittags nnr bis '/°8 Uhr geöffnet. LxiwiNtioii lies I^lp/iLor ^»Ledlatte«. politische Lagesschau. * Leipzig, 5. Januar. Wie es scheint, beschäftigt man sich in Regie rungs- kreisen mit der Frage, was zu geschehen habe, wenn der Reichstag die sogen. Umsturzvorlage ablebnen sollte. Zn einem festen Entschlüsse ist man jedoch anscheinend noch nicht gekommen. Man muß dies ans folgender Erörterung der „Post" schließen: „Wenn davon die Rede ist, ob die Regierung bei etwaiger Ali sch wächung oder gar Ablehnung der Umsturzvorlage sich mit der Quittung in dem Bewußtsein, ihre Pflicht gethan zu haben, beruhigen oder den Reichstag aus lösen werde, jo ist die Frage nicht richtig gestellt. Allerdings erscheint selbstverständlich die erstere Alternative ganz ausgeschlossen. Eine Regierung, welche eine solche Borlage einbringt, muß von ihrer unbedingten Nothwendigkeit überzeugt und zu ihrer Durchführung sest entschlossen sein. Damit wäre es unvereinbar, nach einem ersten halb oder ganz erfolglosen Anläufe die Sache fallen zu lassen. Aber wenn auch das Ziel, das Zustandekommen des Schul gesetzes gegen den Umsturz fest vor Augen zu lehalten ist, so folgt daraus »och keineswegs nothwendig die Auslösung im Falle »»günstigen Verlaufes der Verhandlungen. Die Auslösung ist ja nicht Selbstzweck, sondern wäre in dem vorliegenden Falle nur Mittel zur Erreichung des Zieles der Annahme der Umsturzvorlage. Die Auslösung ist ein Hanptmittel zur Herstellung der Uebereinstimmung zwischen de» gesetzgebenden Faktoren, aber eS ist keineswegs das einzige. Eine ganze Reihe größerer gesetzgeberischer Ausgaben, bei denen ausänglich die Vorschläge der Regierung auf schweren Wider stand stießen, sind sowohl im Reiche wie in Preußen nicht aus diesem Wege, sondern dadurch gelöst worden, daß durch wiederholte Anläufe dem gesetzgeberischen Plane in dem Parlamente mehr und mehr Boden gewonnen wurde. Auch die allmähliche Um stimmung der öffentlichen Meinung und deren Druck von außen auf die gesetzgebenden Persammlungen hat sich schon als zweckmäßiges Mittel zum'Ziele erwiesen. Welches Mittel im gege benen Falle gewählt wird, ist eine rein taktische Frage. Die Entscheidung bängt davon ab, welches der vorhandenen Mittel nach sorgfältiger Abwägung der Gründe für und wider die meiste» Ehancen des Erfolges bietet. Sollte die Umsturzvorlage jetzt wider Bcrhoffen einen ungünstigen Verlauf nehmen, so würde» daher zweifelsohne auch in Lein vorliegenden Falle taktische Erwägungen dieser Art angestellt werden. Dabei kann die Entscheidung zu Gunsten der Auslösung aussalle», sie braucht es aber entfernt nicht; es kommt eben ganz darauf an, welcher Weg zur Erreichung des Zieles im gegebenen Falle als der gangbarste erachtet wird. Speculationen hierüber sind zur Zeit noch ganz verfrüht, sicher aber ist, Laß der volle Nachdruck hinter die Umsturzvorlage gelegt werde» muß und wird und daß auch vor starke» Mitteln, sofern sie nur Erfolg versprechen, nicht ziirnckzuschrecken ist." Die Opposition wird sich durch einen solchen Hinweis auf „starke Mittel", die aber „keineswegs nothwendig" in der Auflösung bestehen müssen, sicherlich nicht einschüchtern lassen. Es wäre daher besser gewesen, wenn die ziemlich nichtssagende Erörterung unterblieben wäre. Von weit größerem und vorlheilhasterem Einfluß aus das Schicksal der Vorlage wird es sein, wenn im Fortgänge der durch die Beschlußunfähigkeit des Reichstags so jäb abgeschnittenen Berathung die Befür worter und Bertheikiger derselben am BundeSrathstische sich nicht an das Borbild des Staalssecretairs Nieberding halten und nicht, wie er alte Geschichten ausgraben, um die Notb- wcndigkeil einer Verschärfung der gesetzlichen Abwebrmittel der Ulilsturzbestrebungeii nachzuweisen, sondern in bas „volle Menschenleben" der Gegenwart greisen, um an ihr tarzukhun, daß die Gefahr gewachsen ist und kräftigere Vorbeugungsmaßregeln den Regierungen sowohl, wie allen Hütern der Ordnung zur gebieterischen Pflicht macht. Wird diese Pflicht von den in Menge vor handenen Beweismitteln ans der allerjüngsten Vergangenheit und unmittelbaren Gegenwart abgeleitet, so wirb sich auck eine Verständigung mit dem Reichstage erzielen lassen, der die taktischen Gründe, die für und wider eine Auflösung sprechen, ebenso zu würdigen weiß, wie der Verfasser des Artikels der „Post". Zur Frage eines etwaigen gesetzgeberischen Vorgehens gegen öffentliche, organisirte, mit Zwang und Drohungen verbundene Verrnsserklärungen erinnert die „Nat.-Lib.-Corr." an die Gewerbeorvnuugsnovelle vom Jahre !89l, die zwar nicht den Verruf im geschäftlichen Verkehr, aber doch terroristische Maßregeln bei Arbeits einstellungen behandelte und somit doch eine gewisse Analogie bot. Diese Vorlage wollte gegen gewaltsame und widerrechtliche Verleitung zum Anschluß an Eoalitioncn und Arbeitseinstellungen fol gende Slrasvorschriften erlassen: „Wer es unternimmt, durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzungen oder durch Berrusserklärung 1) Arbeiter oder Arbeitgeber rur Tbeilnahme an Ver abredungen zur Erlangung günstiger Lobn- und Arbeits bedingungen zu bestimmen oder am Rücktritt von solchen Verabredungen zu bindern, 2) Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen ober an der Fortsetzung oder Annahme der Arbeit zu hindern, 3) Arbeit geber zur Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der Annahme von Arbeitern zu bindern, wird mit Gefängniß nicht unter einem Monat be straft. Ist die Handlung gewohnheitsmäßig begangen, so tritt Gefängnis; nicht unter einem Jahre ein. Die gleichen Slrasvorschriften finden ans Denjenigen An wendung, welcher Arbeiter zur widerrechtlichen Einstellung der Arbeit oder Arbeitgeber zur widerrechtlichen Entlassung von Arbeitern öffentlich aufsorkert." Diese Bestimmungen wurden damals allerdings mit großer Mehrheit abgelehnl. Es blieb also nur der 8- lä3 der alten Gewerbeordnung besteben, welcher Denjenigen unter Strafe stellt, der Andere durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Berrusserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an Verabredungen und Ver einigungen zum Behuf der Erlangung günstiger Lobn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, tbeilznnelnnen oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert ober zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzntreten. In der drillen Berathung jener Novelle erklärte der Minister v. Berlepsch, wenn die Regierung, um die Wohl thalen des Gesetzes dem Arbeiterstande nicht länger vorzu enthalten, auf 153 jetzt nicht zuiückkomme, so müsse er doch ausdrücklich erklären, daß sie schärfere Strafbestimmungen gegen den Zwang zur Arbeitseinstellung und gegen die öffent liche Aufforderung zum Eontractbruch nach wie vor für I unerläßlich halte und daß deshalb der Reichstag darauf gefaßt ein müsse, später von Neuem vor diese Frage gestellt zu werden. Da das bisher nicht geschehen ist, so wird die Regierung darauf gefaßt sein müssen, vom Reichstag an ihre damalige Erklärung erinnert und gemahnt zu werden. In der italienische» Presse bat der Kampf für und wider Crispi an Heftigkeit nichts verloren, und man kann sagen, daß die öffentliche Discussivn sich im ganzen Königreiche fast um nichts Anderes dreht, als um die Person und die Stellung des Ministerpräsidenten. Wer die mannigfachen Kundgebungen in dieser Sache vom Anbeginn genau verfolgte, mußte jeden falls zu der einen Ueberzeugung gelangen, daß es Den- enigen, welche die ganze Campagne gegen Crispi unter nommen und dieselbe nn weiteren Verlaufe immer mehr ver schärft haben, vornehmlich nicht um sachliche Zwecke, sondern um den Sturz Des CabinelS allein zu thun war und ist Es konnte bei diesem Feldzüge nicht ausbleiben, daß die Gegner Crispi's diesen als innerhalb des Cabinels selbst isolirt darzustellen suchten. Diese Behauptung wurde aller dings gleich bei ihrem Auftauchen durch Aeußerungen von berufener Seite widerlegt. Wenn nun neuerdings Gerüchte auftrcten, wonach mehrere Minister sich von Crispi losgesagt Kälten, so wird dem gegenüber abermals in Negierungskreisen versichert, daß sämmtliche Mitglieder des Cabincts mit dem Ministerpräsidenten solidarisch seien und von einer Spaltung innerhalb der Regierung keine Spur wahrzunehmen sei. WaS das weitere Gerücht betrifft, das Gksailiiiilcabiner werde seine Demission erbitten, der König werde diesem Gesuche Folge leisten und Crispi, sei es unter Aiispruchnabme der Gerichte, sei es auf eine andere geeignete Weise, obne durch amtliche Rücksichten gebunden zu sein, als Privatmann von den wider ihn erhobenen Anklagen und Be schuldigungen sich reinigen, so wird man nach Allem, was über das gnädige Verhalten des Königs gegenüber seinem der zeitigen ersten politischen Rathgeber bisher verlautet hat, wohl annebmrn dürfen, daß es sich, die Richtigkeit der obenerwähnten Nachrichten vorausgesetzt, nur um einen bedingten Rücktritt Crispi's und um die zeitweilige Er setzung des jetzigen Cabincts durch eine Art von „Geschäfts Ministerium" bandeln kann. Sollte Crispi — so ober so — de» Nachweis führen, baß Giolitti und Cavallotti i m nichts vorzuwcrfen vermögen, wofür er vom Lanke, wie Bvnghi bemerkte, nicht bereits Absolution erballen hat, ober sollte bei eventuellen Neuwahlen die Wählerschaft ihm mit überwältigender Mebrbeit aufs Neue ibr Vertrauen bekunden, so würde er ohne Zweifel auf den wichtigen Posten am Steuer des Staalsschiffes, das nothwendigerweise eines kräftigen Lenkers bedarf, zurückgerufen werden. Es ist nicht unmöglich, daß Crispi, um der ungeheuren Verworren heit der Lage ein Ende zu machen, sick» dazu entschließt, zunächst von den Stufen des Thrones zurückzutreten, um als einfacher Bürger und Depntirter seine Sacke zu führen und seine persönliche Ehre zu wahren, aber bestimmte Andeutungen einer solchen Absicht sind noch nicht gemacht worden. Die absolute Nothwendigkeit eines, auch nnr zeitweiligen, Rücktrittes liegt zwar nicht vor; das wäre der Fall, wen» der Untersuchungsrichter sich mit Crispi zu befassen bälte, so aber ist es Crispi, welcher Klage erhebt; aber es ist schließlich im Interesse des Schmerbesckutdigten selbst, wenn er sich vorübergehend der Macht begiebt, um dem Verdachte zu begegnen, daß er sich hinter seine Stellung als activer Staats mann geflüchtet habe, die ihm Manches im Interesse des Staates zu enthüllen verbieten könnte. Würde er nur einmal unter Berufung auf höhere Rücksichten eine Aussage ver weigern, so stände er nicht vollkommen gereinigt da, und in der Kammer würde dann der Scandal ins Endlose sich fort pflanzen. Daß eS, entgegen früheren Nachrichten, noch zur Austragung der zahlreichen gegen Giolitti anhängigen Processe kommen wird, zeigt die uns heute zugebende Meldung, daß Giolitti, sobald die Kammer aufgelöst, und er seiner Immunität als Abgeordneter entkleidet ist, vor den Untersuchungsrichter citirt werben wird. Vorläufig weilt er noch in — Berlin. Schon bald nach Stambulow's Rücktritt ward in Bulgarien das Gerücht ausgesprcngt, er sei mitschuldig an dem Tode seines früheren College,, Belt schew, ja er habe dessen Ermordung veranlaßt. Man war anfangs ge neigt, darüber zu lacken, aber das Gerückt wollte nicht ver stummen. Es ward immer wieder in Umlauf gesetzt, und beute ist es, wie uns der Draht meldet, soweit, daß dem Kriegsminister bereits die Akten des Untersuchungsrichters vorliegen, welcher in Verfolg des Protestes Georgiew, der seinerzeit von der Anklage, an dem Morde Beltschew's be- theiligt zu sein, sreigesprochen wurde, zu der Ueberzeugung gelangt sein will, daß nickt Georgiew, sondern Stambulow der Mitthätersckaft zu bezichtigen sei. Diese Anklage erscheint geradezu ungeheuerlich, denn man vermag für sie schlechterdings kein vernünftiges Motiv auszusinten. Um das zu erkennen, darf man sich blos die Umstände ins Gedächtniß rufen, unter denen Belksckew sein junges Leben aushauchte. Er ging am 27 Mär; l89l, Abends gegen 8 Uhr mit Stambu'ow aus rem Ministcrratbe nach Hanse. Beide waren auf dem Heim wege in der Conditorei Panackow eingekehrt und schritten neben dem Giner des Sofiaer Stadlparkes hin, als plötzlich einige Männer aus dem Dunkel austauchtcn und ein paar Schüsse fielen, die den Finanzminister Beltsckew todt niederstreckten. Ganz Sofia und, man darf wohl sagen, alle Welt war davon überzeugt, die Kugeln hätten nicht dem politisch sarb- und barmlosen, gutmüthigen und beliebten Beltsckew, sondern Stambulow gegolten. In dieser Ueber zeugung wurde man bestärkt, als unmittelbar nach Beltschew's Tode sowohl Stambulow als Fürst Ferdinand und Prinzeß Clementine Drohbriefe erhielten und elf Monate später der tückitige bulgarische Agent in Konstantinopel, Bulkovick, unter bei» Dolche eines Mörders siel. Man meinte die Hand zu errathen, welche die Meuchler gelenkt hatte. Auf den Ge danken, daß Stambulow, wie jetzt seine erbitterten Gegner behaupten, den Uebersall vom 27. März veranlaßt haben könnte, uni sich ein Relief zu geben und sein Leben dem Fürsten gegenüber als gesäbrdet darzustellen, verfiel kein Mensch. In dem Processe der Zwölf, welche im Juli 1892 wegen der Ermordung Beltschew's vor Gericht standen und verurtbeilt wurden, erfol.zte keine Stambulow belastende Aus sage der Angeklagten. Wenn itm jetzt politische Feinde der Mitschuld zeihen, so vergessen sie, daß ein Staatsmann, der ein Attentat bestellt, dasselbe besser und mit weniger Risico für sich selbst insceniren würde. Es scheint sich zu bestätigen, daß der bulgarischen Regierung von befreundeter Seite empfohlen worden sei, die Verfolgungen Stambulow's im Interesse des Landes nicht sortzusctzen. Die Verschlechterung der inneren Verkältnisse in Bulgarien datirt von dem Augen blicke der Entlassung Stambulow's, und die Rückkehr Zan- kow's, der nach vorliegenden Berichten von seinen Anhängern förmlich im Triumph abgeholt wird, kann diese Verhältnisse nur noch schlimmer gestalten. Noch ist die Verhaftung Stambuloiv's nicht erfolgt, aber wir trauen den politischen Ferrrlletsn. Graf Jarl. 4j Roman von Hermann Helberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Die Herren waren inzwischen an ihrem Ziel angelangt und stiegen ans. Hadcln war höchst bedrückt, Jarl aber trat mit seiner gewohnten unverwüstlichen Laune dem Gastgeber, einem be kannten Berliner Lebemann, gegenüber und mischte sich in den abundant strahlenden Räumen unter die Gäste. Als die Herren Nachts zwei Ubr daS Haus wieder vcr ließen, und denselben Weg zusammen Zurücknahmen, sagte Jarl, der mit einem tiefen Ernst tagesessen: „Sie haben, wie ich fürchte, Geld bei dem Baccara ver loren, Hadeln!" Hadeln erhob den bleichen Kopf und sagte in tiefer Be schämung: „Es ist das erste Mal gewesen, daß ich in meinem Leben spielte. Es war ein Act der Verzweiflung, die mich nach unserem Gespräch beut Nachmittag ergriffen batte. Ich wollte im Wein vergessen, und der Wein tkat, was er immer thnt, er machte mich unzurechnungsfähig!" „Ja, leider, lieber Hadeln! Isi s sehr viel'?" „1700 Thaler ans Ehrenwort in vier Wochen!" Hätte ich eS wie Sie gemacht, Jarl! Sie haben wohl keine Karte angerührt'?" „Ja, ich spielte auch im Hinteren Saal und verlor Einiges", cntgegnete Jarl ausweichend. „Ja, aber Sie können eS, Jarl! Sie sind ein bcneidens- wertbcr Mensch —" „Das sagen Sie nun wieder! Ich habe nur etwas ruhigeres Blut als die Meisten." -hadeln erwiderte nichts. Wortlos fuhren sie durch die neblige Nacht dahin. In Hadeln — man sah'S, hockten Oede und Verzweiflung. Endlich brach Jarl das Schweigen und warf bin: „— Seien Sie kein Melancholiker, Hadeln. Was nützt daS ? Seien Sie ein Mann! — Vergessen Sie das Mädchen nnd arrangircn Sie sich mit — Wer war'S denn, an den Sie verloren haben'? — So, so! Also arrangircn Sie sich mit Baron Fernando in Güte." Hadeln zuckte rathlos die Achseln. „Ich brauche ein Paar Jabre, um die Summe abzutragen. — Ich ärgere mich aber nicht nur darüber! Es ist nickt das allein, was mich drückt, sondern der Mangel an Festig keit, an Charakter! Nun habe ich es mit der großen Energie so weit gebracht und muß an einem Frauenzimmer und einer einzigen solchen Thorheit scheitern!" „lieber nicht zu Aenverndes schwermütbig grübeln, ist die größere Tborheit. Soll ich mit Fernando verhandeln'?" „Ja — wenn Sie — wollten, Jarl!" „Was können Sie bieten?" „Jedes Ouartal 200 Thaler!" „Ich werde cs versuchen! Sie sollen Nachricht haben. Rechnen Sie auf mich! Adio! —" Cie waren in der Lindenstraße angelangt. — „Mein Wage» fährt Sie nach Hause. Lassen Sie es sich gut gehe», liebner Hadeln! Bis morgen!" „Jarl!" „Nun, Bester?" „Sie zürnen mir doch nicht? ES ist trotz Ihrer freund lichen Worte etwas Fremdes in Ihrem Wesen. Bleiben Sie mein Freund —" „Ich l'in'S, Hadeln! Wenn ich ernst war, so bezog sich das nicht aus Sie. Ich bin Ihnen sehr gut. Glauben Sie es. Adieu! Adieu!" — Tic kommenden Tage schoben sich für Graf Adam etwas einförmig dahin. Berichte von dem Besitz trafen ein, die sogleich zu beantworten waren. In die Geselligkeit war eine kurze Pause eingetreten. So hielt sich Graf Adam fast ganz im Hanse, erledigte verschobene Privatangelegenheiten, beschäftigte sich mit Lcctiire und Musik, mit Brand, den Pferden und ließ sich von Peter Hunck sogar einmal das Diner in der Wotmunz Herrichten. Einige seiner Bekannten und Freunde sprachen zwar vor, aber nahmen, da Jarl erklärte, sie nicht begleiten zu können, bald wieder Abschied. Erst am Schluß der Woche gerieth Alles, waS ihn selbst betraf, nnd WaS ihn für Andere beschäftigte, wieder in regen Fluß. Gras von der Brede sandte eine Karte, auf der die Worte standen: „Nickt wahr, Sie haben die große Güte, mir zu sagen, wann Sie mir elwaS mitzutheilen haben? Wegen seiner fortdauernden Unbescheidenheit bittet um Vergebung Ihr Graf von der Brede." Baron Fernando, der eine Reise nach Dresden unter nommen harte» schrieb: „Bester Herr Graf! Ich bedauere unendlich, daß Sie mich verfehlt haben. Womit darf ick Ihnen dienen und wann trifft Sie zu Hause Ihr sehr ergebener Baron Fernando de Jocquelin." Endlich traf auch in Folge einer Anfrage ein Brief von der Hlutua (cmtickvutia über die Gräfin Kalle ein und Hunck meldete, daß Nelly dagewesen sei und am Sonnlag Vor mittag wieder vorsprechen werde. Mit einer ibm sonst nicht eigenen Hast öffnete Graf Adam das Schreiben des Auskunsis-Bureaus und las: „Die Gräfin Kalte, geborene Gräfin Niel, nennundzwanzig Jahre alt, lebte bisher auf Fünen in Dän mark. Sie war zwölf Jabre mit ihrem vor zwei Jahren gestorbenen Gallen, dem dänischen Kammerherrn Gras von Kalte, Erbherr aus Kollimsgade, verbeirathet und bezieht die Nevenüen aus der ihr durch Testament zugefallenen Herrschaft. Da aber die Verwandten des Verstorbenen Einspruch erhoben Kalen, ist es zweifelhaft, ob sie im Besitz derselben bleibt. Es schweben darüber Proeesse. Ueber die Angefragte ist Unvortheilbaftes nicht bekannt, ob schon sie als etwas emancipiert gilt. Gegenwärtig scheint sie über ihre Verbä'tnisse zu leben, und ist es gerathen, bei größeren Crediten, schon wegen ver öden angezogenen Verhältnisse, Vorsicht zu beobachten." — Peter Hunck hatte auch berichtet. Ein m demselben Hause wohnender Budiker hatte gesagt: „Et is eene seine Herrschaft. Sie läßt nicht nichts anbrennen. Sie lebt jut, aber bezahlt prompte ns de Stunde! Viele von die Cavaliere vonö Civil und Militair verkehret bei siel Jegen die Männer scheint sic jrade tene Abneige zu baden." Jarl batte herzlich gelacht, als Hmick ihm das wörtlich wieder gegeben. „Und sonst? Erfuhren Sie sonst noch etwas, talentvolles Dorskinb?" Hunck hatte genickt. „Ein Tapezierer, der nebenan wohnt und den ich so nebenbei Gelegenheit fand, zu fragen, sagte: „Es wäre schwer, Geld von ibr zu kriegen. Er glaubte, sie hätte wohl was, aber sie brauchte viel!" Mit der letzten Auskunft verglichen, ließ sich also wohl ein zutreffendes Bild von der Gräfin Kalte zusammrnstellrn. Was zu ergänzen übrig blieb, mußte Graf Adam's eigene Sache sein. Und dazu war er auch entschlossen. Er wollte die Gräfin am folgenden Tage besuchen und diese Besuche, je nach den Umständen, bäufig wiederholen. Er empfand ein ungewöhnlich lebhaftes Interesse für sie. „Ich will beute bei dem herrlichen Frübjahrswetter aus- reiten, Hunck. Sorgen Sie, daß um drei Uhr daS Diner zur Stelle ist. Franz soll Betty satteln. Verstanden?" „So, und nun lassen Sie den leichtfüßigen Herrn Maaß eintreten? Hat er Stoffe mitgebrackt? Von beute ab ziehe ich den Militairrcck aus, gutes Torskilid. Und in sechs Wochen — notiren Sie es und lassen fröhliche Raketen auf- stcigen! — gehl's nach Horst, in die Heimath!" „Ah! Das ist was, Herr Graf!" — wagte Hunck zu sagen. Er trippelte äußerst vergnügt heraus, um den Schneider ein- trelen zu lassen. Aus einer wnndervollen lichtbraunen Stute trabte Graf Adam um die von ihm festgesetzte Zeit durch die Königgrätzer- straße, den Weg in den Thiergarten nehmend, hier die Reit wege bis zum Charlottenburger Hippodrom verfolgend, die Cbanssee hinunter nach dem Grunewald. Eben war der Frübling ans den Bäumen und Gesträuchen gesprungen und Halle ihre Spitzen mit dem ersten grünen Leben geschmückt. Zauberbafte Farben, wobin das Auge schaute. Wo aber ein Wasser floß, ra ging ein vergnügtes Rauschen durch die silberne Eilfertigkeit, und wo ein Vogel zwitscherte, da klang ei» sccliges Jnbiliren durch den Gesang. Die Natur, befreit von der starren Umarmung des Winters dehnte die breite Brust und sog mit frohlockender Begierde die Wonnen des ibr geschenkten neuen Daseins ein. Als seien lang verschlossene Riesenportale endlich geöffnet, und als sei ein siegreiches Kriegsvolk bineingedrnngen in das von dem unerträglichen Druck des alten Herrscher« befreite Land! Ahornbäume, Erlen, Bucken nnd Birken batten sich bereits in reizender Jungfräulichkeit geschmückt. Nur die Eichen hielten noch mit ihrer Pracht zurück. Sonst überall grünes, drängen des Leben. Darüber die Früblingssonne mit sanften Lichtern und in der Ferne das dunkle Gebirge der Grunewald-Fichten. Es schnob die flinke, evle Stute. Der frische Oben« spannte auch ihre Brust. Graf Adam aber umfaßte mit seinen Blicken all da« Herrliche, das über Nacht die Hüllen gesprengt, nnd etwas von dem Lebensprühenden und Dascinssreudigen, daS die Natur dnrchdrang, tbeilte sich auch seinem Innern mit. Beneibenswerth batten sie ihn genannt! Ja, er war'S. Sie Hallen recht! Empfindung für alle» Schöne, Liebe zu
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