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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950107026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895010702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895010702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
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Der Bund der Landwirthe bat den Revolutionären Plauen und Pinneberg durch Bekämpfung der National- liberalen ausgeliefert und diese Partei revanchirt sich, indem sie, obwohl nach dem sensationellen politischen Ende des bis herigen antisemitischen Abgeordneten die stärkste i» Scbmal- kalden-Eschwege, der Bezeichnung eines Candidalen Verband- lungen mit den Vertrauensmännern des Bundes der Landwirlbe vorausgehen läßt. Da dies der einzige Weg ist, auf dem ei» Sieg über die Socialdemokratie angebabnl werden kann, so ist bas weite Entgegenkommen unserer Freunde ein abermaliger Be weis. daß der von den Officiösen des vorigen Kanzlers an die Parteien gerichtete Appell, die Bekämpfung des Umsturzes von sich aus zu betreiben, soweit die Nationalliberalen in Betracht kommen, überflüssig gewesen ist. Für die RechlS- conservativen und selbstverständlich den Freisinn hingegen war er vergebend ausgesprochen. Die Aufstellung des „Kreuz- zcitungs"-Mannes von Alvensleben ist die Bereitstellung eines Sprungbrettes für den 47. socialdemokratischen Abgeordneten. Die Partei ist im Wahlkreise schwach und die Unter stützung durch die Antisemiten konnte zwar von localen Führern zugesagt, dürfte aber nur in beschränktem Um fange geleistet werden. Im Berliner Hauptvrgan des Antisemitismus wird wenigstens „von hochgeschätzter Seite" unter Voranstelluiig der Forderung, daß die neu geeinte deutsch-sociale Resormpartei zum ersten Male auf den Plan treten und „zeigen soll, was sie vermag", das Zusammengehen mit den Conservativen entschieden abgelehnt. Es heißt da: „Allerdings hat es die Leitung der früheren deutsch-socialen Resormpartei (nicht aber ihre Anhänger) geliebt, mit de» Con servativen zu liebäugeln; richtig ist auch, daß jene Partei dadurch fort und fort um die verdienten Wahiersolge gebracht worden ist. Aber diese unheilvolle Schaukel-Taktik darf nun und nimmer mehr in der Leitung der neuen deutsch-socialen Ncfoimpartei auf- konimen, denn nur die bewährte stramm anlisemitijche Taktik der früheren deutschen Resormpartei (Bücket re. Die Red.) kann zum Siege führen . . . Eine junge, aber innerlich starke Partei muß sich mit dem Ellenbogen Platz machen und die Mandate nehmen, wo sie sie findet." Das ist nicht die Sprache eines Bundesgenossen in einem nahe bevorstehenden Kampfe, und wenn auch Herrn Lieber- mann v. Sonnenberg die Aufstellung einer eigenen Candi- datur nicht geglückt ist, so bekundet das Vorstehende doch eine Stimmung, welche die Bewerbung des Herrn v Alvens leben gänzlich aussichtslos erscheinen läßt. Sie wird nur bewirken, daß schon im ersten Wablgange antisemitsche Stimmen auf den Socialdemokraten fallen. Alles wird nun darauf ankommen, daß der Bund der Landwirthe sich Er wägungen zugänglich erweist, wie sie bei der Wahl im zweiten anhaltischen Wahlkreise zur Hintanhaltung eines social demokratischen Sieges geführt haben. Der in unsrem Abendblatt« vom Sonnabend mitgetheilte Erlaß des bayerischen KriegSministerS, wonach Landwirthe unter Umständen ibre BoVrnztnse in Naturalien entrichten können, wird vermuthlicü von den extrem-agrarischen ostelbischen Großgrundbesitzern als Triumph des Gedankens eines der Ihrigen ausposaunt werben, da Herr v. Below-Saleske für Preußen etwas der bayerischen Maßregel nicht völlig Unähnliches gefordert hat. Nicht um den Conservativen ein billiges Vergnügen zu verderben, son dern weil vorauszuseben ist, daß man re» Landivirthen den Schluß von der Einsicht des Einen auf die Brauchbarkeit des Vorschlages des Andern, nämlich beS Kaiiitz'schen Verstaatlickningsantrages. nahe legen wird, soll darauf hingewiesen werden, daß die Auffassung vom Möglichen für die bayerische Regierung eine ankere ist, als bei Herrn von Below-Saleske. Daß der bäuerische Erlaß sich nnr aus Verpflichtungen, die aus dem Grundbesitz erwachsen, bezieht, während Herr von Below die Zulassung der Bezahlung der Ein kommensteuer mit Naturalien verlangt, ist allerdings nicht von Bedeutung. In Preußen wird die staat liche Grundsteuer zu bestehen aufbören, in Bayern hingegen ist die Grund- (und Gebäuce-)Steuer die einzige birecte Steuer, die der Landwirtb, insofern er nicht Eintommen aus Capitalzins bezieht, zu entrichten hat. Dagegen ist es scbr wesentlich, daß die bayerische Regierung nur durch Vermittelung von Genoss cn- sch asten Bodenproducte an Zahlungsstalt annimmt, nicht vom einzelnen Besitzer, wie Herr v. Below wollte. Dadurch werden sonst unbesicglicheSchwierigkeiten,welche die Einiieferung kleinerer Ouanntälen mir sich brächte, beseitigt. Sodann soll in Bayern der Anspruch aus Abnahme von Brod- getreide und Futter nicht allgemein, sondern nur insoweit begründet sein, als das betreffende Proviantamt Bedarf hat; die Gebahrung ist, wie sich daraus erzieht, auch eine decentralisirte. Daß bei der Bestimmung der in Rechnung zu setzenden Preise auch ans die bei den Submissionen an geborenen Preise Rücksicht genommen werden muß, ist eine weitere Abweichung von dem Vorschlag rcs Herrn v. Below. Die so begrenzte bayerische Maßnahme ist zweifellos eine dankenSwertbe Neuerung, deren Nachahmung, sobald Proben ihrer Durchführbarkeit vorliegen, doppelt wünschenswerth wäre. Denn außer der Erleichterung, die sie kleineren Land wirthen gewährt, bildet sie einen scharfen Ansporn zur Aus breitung des Genossenschaftswesens. In den auswärtigen Beziehungen Frankreichs findet das neue Jahr wesentliche Veränderungen nicht vor, nur einzelne kleine Nuancen sind bemerkbar. WaS zunächst die Beziehungen der Republik zu Rußland betrifft, zo wird übereinstimmend angenommen, daß dieselben durch den in Petersburg stattgebabten Thronwechsel keine'Veränderung er fahren haben. Das Bestreben der französischen Regiernngs- kreise, die zwischen den beiden Reichen während der Regierung des verstorbenen Zaren geschaffene Annäherung nicht nur zu erhalten, sondern, wenn möglich, noch inniger zu gestalten, bleibt nach wie vor der Grundpfeiler, auf welchem die auswärtige Politik Frankreichs ruht. Die von mancher Seite ausgestellte Behauptung jedoch, daß unter dem Zaren Nicolauö II. lhat- säcblich bereits ein innigerer Anschluß zwischen Rußland und Frankreich als bisher bemerkbar sei, läßt sich durch keinerlei positive Angaben erhärten. Die Beziehungen Frankreichs zu Deutschland, welche in verletzten Zeit eine kleine B sserung erfahren hatte», wie sich dies namentlich in Colomalfragen deutlich gezeigt hat, sind durch die Affaire Dreyfus und die damit zusammenhängenden Verdächtigungen der deutschen Botschaft in Paris seitens eines Theiles der französischen Presse wieder, hoffentlich nur vorüber gehend, getrübt worben. Es kann nicht schwer fallen, diesen leichten Schatten, der auf das Verhällniß der beiden Nachbar reiche gefallen ist, wieder aufznhellen. Die Beziehungen der Republik zum Vatican hatten noch vor Kurzem den Cha rakter der Herzlichkeit. In allerjüngster Zeit aber sind ein zelne Fragen ausgetaucht, in welchen die französische Negierung es mit ihren Interessen nicht für vereinbar hielt, die Wünsche des VaticanS in der Weise, wie sie ausgesprochen wurden, zu erfüllen — eS waren dies theilS Personalfragen, theils auf den Orient bezügliche Angelegenheiten der Kirche — wodurch das früher fast intime Verhältniß zum Vatican aus den Status eines normalfreundliche» zurnckgefübrt werben mußte. Auch mit Bezug auf England läßt sich eine leichte Abweichung von dem bis herigen Curs, jedoch nach der guten Seite hin, constatiren. ES haben nicht nur die seinerzeitigen Angriffe der französischen Presse auf den Vertreter der Königin Victoria in Paris gänzlich aufgebört, sondern eö wurde in letzter Zeit sogar die Frage einer Annäherung an Großbritannien, wenn auch nur akademisch, discutin. Noch vor einem halben Jahre wäre eine derartige DiScussion undenkbar gewesen. Zu den un verändert gebliebenen Zügen der internationalen Politik Frankreichs gehören das freundschaftliche Verhältniß zu Oesterreich-Ungarn und die kühle, reservirke Haltung gegenüber Italien. Der Ganz der Tinge in Bulgarien muß die leitenden Kreise Oesterreich-Ungarns mit Mißbehagen erfülle», denn nnverlennbar lenkt der Fürst trotz mancher Inconseguenze» noch mehr als seine Regierung in das Fahrwasser der russische» Politik ein und reißt die letzten Schranken nieder, welche ibn noch von der russensreundtiche» Partei trennen. Selbst Dragan Zankow, dem alten Verschwörer, ist durch den Amnestieact rer Sknpschtina die Rückkehr in sein Vater land ermöglicht, und er findet sich sofort an der Spitze einer euiflußreichen Partei, deren leitende Mitglieder sogar im Cabmel Stoilow Platz gefunden haben. In diesem Zusammen hang der Dinge erbält der Proceß, welcher Stambulow gemacht werden soll — Stambulow gilt mit Recht als Freund Oesterreich-Ungarns, und er erhielt auch vom Kaiser Franz Joseph und Kalnoky zahlreiche Zeichen der Anerkennung und Zustimmung — seine eigenthümliche Bedeutung. Mil den Gegnern des vielgehaßten Mannes, welche jetzt Rache an ihm nehmen wollen, verbindet sich Fürst Ferdinand, der es für einen Act der Staats klugheit hält, den Todfeind Rußlands unschädlich zu machen. Vielleicht ist dieser Aci der Verfolgung gegen Stambulow ein Pfand der Unterwürfigkeit, welches die russische Politik vom Fürsten Ferdinand verlangt. Ueberhaupt ist die Zeit zu Ende, da Rußland aus der Balkauhalbinsel schach und matt gesetzt war durch die Fehler seiner Staatsmänner; Nicolaus II. wird durch sein kluges Vorgehen, durch die -Neutralität, welche er vorerst dem Fürsten Ferdinand entgegenbringt, den Einfluß auf dem Balkan, speciell in Bulgarien, nach und nach wledergewiiinen, dessen sein Vater sich begeben halte. Man blickt, wie gesagt, im Auswärtigen Amt in Wien nicht ohne Sorge auf den Scenenwechsel in Sofia. Schon macht sich die russensrcundliche Strömung in Bulgarien geltend in Zollmaßregeln, welche sich unmittelbar gegen die österreichische Einfuhr richten. Nachdem die österreichisch- ungarische Industrie in Folge der Auüschlieffuiig des rumänische» Viehes den rumänischen Markt verloren halte, fand sie nahezu Ersatz hierfür i» den fruchtbaren Tbälern im Norden und Süden des Balkans; sie würde einen Rückschlag durch feind selige Maßregeln Bulgariens schwer empfinden. Man verargt eS in Wien dem Fürsten Ferdinand, daß er, der in den Jahren schwerer Prüfung, als er schutzlos und verlassen da- stand, in Oesterreich-Ungarn eine Anlehnung suchte und fand, sich jetzt sofort von seinem alten Gönner abwenbet Er treibt die Slaatsselbstsucht, welche man schließlich keinem Politiker verargen kann, doch etwas zu weit, indem er sich über die Verwendung Oesterreich-Ungarns für Stambulow rücksichtslos hinwegsetzt und sich den alten Gegnern der haböburgischen Monarchie in Bulgarien ohne Zögern anschließt. DaS griechische Ca bi net TrikupiS befindet sich in keiner bencideuswerthen Lage. Die Opposition in der Kammer wächst, und die Mißstimmung im Lande nimmt zu. Dem Ministerium wird die ganze Verantwortung für die wirthschaflliche Nothlage, das Hobe Goldagio und daS Miß traue», welches das Ausland Griechenland entgegenbringt, aufgebürdet. Die Verlegenheit, in welcher sich Regierung und Kammer befinden, wird unter Anderm durch den mit 63 gegen 45 Stimmen gefaßten Kammerbeschluß, die theilweise Zurückhaltung der Kormthenernte abzulehnen, deutlich illustrirt. Mittlerweile wird im Lance durch Massenmeetings demonstrirt. Solche fanden n. A. am Sylvestertage in Pyrgos und Philiatra statt, in welchen beschlossen wurde, die Steuerzahlung zu ver weigern, bis die Kammer irgend welche Erleichterungsmaß regeln für die Kormthenernte annehme, und die Deputieren jener Provinzen anfznfordern, den Sitzungen fern zu bleiben, bis solche Maßregeln zur Erörterung gelangen. Ob aus Rücksicht aus die gefährliche Stimmung im Westpeloponnes oder ans der Ueberzeugung, daß die Durchsetzung des Budgets vor den Ferien unmöglich sei, gab die Re gierung zu, daß die Korinthen-Frage, deren Lösung die Opposition dringend fordert, sowie andere Sondervorlagen auch in den Abendsitzungen den Vorzug vor der Budget- Debatte haben sollte», und daß die eben erst anberaumten Morgensitzungen abgcschafft würden. Diesen Frontwechsel be zeichnet man, wie aus «Athen berichtet wird, in dortigen oppositionelle» Kreisen als Anerkennung der parlamentarischen Schwäche. Jedenfalls ist es klar, daß die Hoffnung der Durchsetzung des Budgets vor den Ferien aufgegeben wurde. Demnach scheint die Regierung sich genötbigt zu sehen, die Kammer nach den Ferien wieder zusamiiieiizuberufen, wenn ihre Stellung nicht ganz unmöglich werden soll. ES fragt sich nur, ob dann die beschlußfähige Anzahl Deputirter zu sammenzubringen sein wird. Deutsches Reich. lH Berlin, 0. Januar. Der Hauplvorstand der Maler- organisalion bereitet für das Jahr 1896 einen General streik der Maler vor. Der Ausstand soll nicht an einem Tage, sondern nach dem Belieben der einzelnen Filialen in den Frühjahrs- oder Sommermonaten einlreten. Gesvrderr soll werden Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit um eine Stunde. Sämmtliche Filialen haben die Pflicht, im laufenden Jahr Streikgelder zu sammeln und sie an den Hauptvorstand einzusenden, der die Auszahlung der llnter- stützungsgelker regelt. Für die ersten zwei Streikwochen soll Unterstützung nicht gezahlt werden. Gegenwärtig ist die Maler- orgamsation noch ziemlich schwach. K. Berlin, 6. Januar. Wer ungestraft etwas Nieder trächtiges thun will, braucht sich vorher nur einen starken Rausch anzutrinken. Das bat jetzt wieder eine Schivur- gerichlsverbandlung in Zweibrücker« gezeigt. Der Steuer beamte Böckmann in Oggersheim hatte einen Anderen im Streite erstochen und einen Zweiten bedenklich verwundet. Vom Schwurgerichte wurde der rohe Patron freigesprochen, weil er nachwies, daß er vor der Thal 25 halbe Liter Bier und einen Schoppen Wein getrunken hatte, folglich sinnlos betrunken gewesen sei. Kein Mensch wird behaupten, daß hier Gerechtigkeit geschehen, obwohl das Gesetz zweifellos kein anderes Urlhcil znließ. Wenn man die Thaten, die in starkem Rausche verübt werden, wegen des getrübten Bewußtseins der Tbäter nicht bestrafen will, dann muß man es doch wenigstens bestrasen, baß die Leute sich so sinnlos betrinken und dadurch gemeingefährlich werden. Dabei, daß Böckmann und Seinesgleichen nächsten Sonntag FeiriHetsir. Graf Jarl. Lj Roman von Hermann Helberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Hierauf neigte sic noch einmal das Haupt und verschwand dann plötzlich seitwärts unter den Fichten. Die Sonne warf die ersten Abendstrahlen durch die Lichtung. Es brannte hinter den Tannen und kupferrothe Lichter spielten auf den Stämmen! Die Fremde entwich wie ein fliehendes Reh. Das rothe Tuch leuchtete, die schlanke Gestalt verlor sich — Einen Augenblick zauderte Graf Adam noch. Dann aber schnalzte er mit der Zunge. Mit einem Riesensatze setzte das Thier über den Graben, und im Galopp flog Graf Adam hinter dem schönen, fliehenden Märchen her . * » Um elf Uhr am nächsten Morgen meldete Hunck den Baron Fernando. Er war ein stattlicher, biegsam gewachsener Herr mit bleicher Gesichtsfarbe und schwarzem Schnurrbart, dem man den internationalen Lebemann ansah. Auf seinen sorgfältig gepflegten Händen saßen Ringe mit großen Diamanten; denselben Edelstein, von Saphiren ein gefaßt, trug auch seine Busennadel. DaS Haar war vor die Obren gekämmt und lockig, und auffallende, hellgestreifte Beinkleider fielen auf Lackstiefel herab. Einer seiner Freunde hatte einmal richtig geäußert, er gliche mehr einem Circns-Director, als dem Sproß einer vornehmen Familie. Graf Adam saß gerade am Clavier und spielte ein sehr schwieriges LiSzl'scbeS Capriccio, nickte auch nur, als Hunck deS Barons Namen nannte, und sprang erst empor, als der Besuch ins Zimmer trat. „Superbe! Sie spielen ja excellent, lieber Graf! Lasse» Sie sich nicht abhalten. Ich bedanrc, Sie gestört zu haben!" begann Baron Fernando, daS Monocle fallen lassend und für seinen untadrlbaften, schwarzen Hut einen Platz suchend. Jarl aber schüttelte den Kopf, befreite den Gast von dem lästigen Anhängsel und schob mit höflicher Zuvorkommenheit einen Sessel herbei. „Ich habe im Gegentheil um Entschuldigung zu bitten", setzte er das Gespräch fort. „Aber mitten in einem musika lischen Satz abzubrechen, erscheint mir fast wie ein Schnitt in einen lebendigen Körper." „Sie können wirklich Alles! Und was Sie machen, ist von besonderer Güte!" entgegnetc Fernando, die ihm präsen- tirtc Cigarre anzündend und sich mit Behagen zurücklehnend. „Ich wollte, Sie hätten Recht, lieber Baron. Aber es ist ganz anders. Ich treibe viel, aber Alles nur recht un vollkommen." „Obgleich Sie selbst bei den Frauen und beim Spiel Meister sein würden —" schob Fernando ein. „Aber den Ersteren gehen Sie, wie man sagt, fast, und dem Spiel ganz aus dem Wege." „Ich finde, daß man bei der Beschäftigung mit den Ersteren zu viele Dornsticbe mit in den Kauf nehmen muß, Baron Fernando. Es zieht wirklich keinen besseren Ver gleich, als Frauen mit Rosen zusammenzustellen. Und Spiel? — Hm — Gerade deswegen möchte ich mir gern gestalten, mit Ihnen zu reden und bin Ihnen wirklich sehr dankbar, daß Sie sich zu mir bemüht haben. Da Sie aber daraus bestanden —" „Ich bitte, ich bitte gehorsamst. Und lassen Sie gütigst hören!" warf Fernando ein. Der gespannte Ausdruck, der in sein Gesicht getreten war, verschärfte sich. „Sie wissen!" hob Jarl nach einer leichten Verbeugung an, „daß der Rittmeister von Hadeln, der neulich — und wie ich bemerken will — zum ersten Male spielte, und verlor, keinen Pfennig Vermögen besitzt —" „Sv? Rein! Das wußte ich in der That nicht! —" Fernando sprach's mit einem echten oder künstlich gemachten Ausdruck von Enttäuschung. Zu einem auch nur höflichen Beileid schwang er sich nicht aus. „Ja, das fit aber der Fall! Für den armen Teufel, den eine sehr starke GemüthSbewegung viel trinken und später an den Spieltisch treten ließ, ist die Summe von 1700 Tbalern, die er an Sie verloren hat, lieber Baron, ein bedeutendes Capital, ja fast unerschwinglich! Ich möchte nun gern mit Ihnen verhandeln —" In Fernando'S Mienen trat gerade kein sehr entgegenkommen der Ausdruck Er wirbelte das Ende seine» gewichsten Schnurr barte» und kniff die buschigen Augenbrauen zusammen. Er entgegnetc auch vorläufig nicht». Er starrte vor sich hin und blieS den Rauch der Cigarre langsam und weit von sich. Baron Fernando zeigte, daß er zunächst Weiler hören wolle, bevor er das Wort nahm. Da aber Jarl wußte, mit wem er eS zu thun hatte, warf er nur hin: „WaS ich von Ihnen will, können Sie sich also ungefähr denken, lieber Baron!" „Hm — bin! DaS ist keine angenehme Sache!" stieß Fernando heraus. „Der Verlust ist von Herrn von Hadeln auf Ehrenwort in vier Wochen zugesagt. Ist Ihnen das bekannt, Herr Graf?" „Allerdings!" „Und welche Vorschläge macht der Herr Rittmeister? Er wünscht also wohl Aufschub, nicht wahr?" „Mehr als das, verehrter Freund! In vier Wochen zu zahlen, ist einfach unmöglich, da er, wie gesagt, nichts besitzt, aber auch gar keine Aussicht hat, das Gelb anszulreiben —" „Wie wünscht er es denn abzntragen?" „Wie ich Ihnen sagte, hat er keinen Pfennig außer seiner Gage. Die Familie hat auch nichts, gar nichts." „Aber dann war'S doch ein — ein —" Fernando zeigte große weiße Zähne und drehte, sehr schleckt gelaunt, seinen blitzenden Diamaiitenring. Man hätte vor ihm erschrecken könne», und er blieb kaum höflich! „Ich verstehe nicht, verehrter Graf Jarl, worüber wir dann eigentlich verhandeln solle» ? Wenn der Mann Ehren schulden nicht bezahlen kann, Aufschub nichts nützt, Bürgen nicht vorhanden sind —" Er stockte und sah Jarl berechnend von der Seite an. „Gewiß", entgcgcnete Jarl mit einem bedauerlichen Achsel zucken. „Es ist auch eine ganz verlorene Sache. eS wäre denn —" „Nun, ich bitte?" schaltete Fernando gespannt ein, rauchte in gewaltigen Zügen und schob den Zeigefinger wie zur Erleichterung rmler den hoben Hemdkragen. „Ein Anderer würde Ihnen die Schuld zu einem näher zu beredenden Minimum abkanfen!" „Minimum!?" stieß Fernando plump heraus. Und dann wieder schmiegsamer, weil er wußte, daß man einem Manne wie Jarl sich nicht in einem zu ungünstigen Lichte zeigen durste: „Machen Sie also gütigst ein Gebot! Sie werden doch der Käufer sein — Gral Jarl?" „Nein, schwerlich! Ich hänge mit so vielen Vorschüssen und FreundschaftScapital'.c», daß das Conto nicht Hundert Thaler mehr vertragt. — Lassen wir einstweilen die Person des Käufers außer Betracht. Jedenfalls suche ich Ihnen einen Käufer zu schaffe», der baar bezahlt —" „Hm — hm. Und wieviel bieten Sie?" „Höchstens ein Drittel, lieber Baron? Wolle» Sie die accepliren, so werde ich sofort ein kleines Consortium zu bilden suchen." „Um 600 Thaler ein Consortium!" stieß Fernando spöttisch heraus. „Für Spieltische-Summen ein Bettel, — wcnn'S erworben werben soll, viel! Oft der ganze Iahresverdicnst eines fleißigen Menschen", schob Jarl in nachdrücklichem Tone ein. Er wußte wohl, daß Fernando ibn verstand. Einen Augenblick zögerte Jener noch. Dann sagte er: „Ich will Ihnen kurz und bündig mein letztes Wort sagen, lieber Graf: Wenn Sie mir morgen 900 Thaler schicken, bin ich einverstanden. Sonst muß ich ablehnen. Bitte, überlegen Sie das", schloß er, stand auf und suchte »ach seinem Hut. Auch sah er zu besserer Erhärtung einer sich ihm aufdrängenden Eile nach seiner schweren goldenen Uhr und murmelte etwas von einer Abrede. „Nein, das nützt nichts, Baron Fernando. Ich will bis übermorgen zweitausend Mark anzuschaffen suchen. Wollen Sie das, so sagen Sie es, ich glaube, die Sache kommt sicher in Ordnung " „Das sind doch keine Geschäfte", stieß Fernando heraus. Aber als er dies sprach, überflog er die ruhig vor ihm stehende Gestalt Jarls. Der ernste, charaktervolle Ausdruck in dem männlichen Gefickt imponirte ihm. Er fühlte in diesem Augenblick den Abstand seines Wertbes von dem dieses Mannes so sehr, daß ihn schon ein Gefühl von Zwang trieb, eine anständige Gesinnung herauszukehren. „Nun wobt, da Sic es wünsche», da Sie der Meinung sind, es sei eine solche Abmachung ein Handel zwischen Cavalieren, so willige ich ein!" sagte er und griff nach Iarl'S Hand. „Dir soll für Dem Entgegenkommen der Lohn werden, den Du wünschest!" dache Jarl, der die Menschen durch schaute und wie Keiner zu nehmen wußte. „Sie haben sich in der Sache höchst anständig benommen! Ich danke Ihnen, Fernando (auch den Baron ließ Jarl ab sichtlich fort). Uebermorge» Mittag zwölf Uhr werden weitausend Mark in Ihren Händen sein. Abgemacht! Ohne christliche Bestätigung." „Abgemacht!" Einverstanden!" Noch ein verbindlich lieben-würdige-Händeschütteln, dann schieden sie. (Fortsetzung folgt.)
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