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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950109024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895010902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895010902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-09
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* Hamburg, 8. Januar. Gestirn wurde hier in fünfzehn socialdemoratischen, stark besuchten Volksversammlungen gegen die Umsturzvorlage unter Annahme entsprechender Resolutionen Einspruch erhoben. * Hannover. 7. Januar. Vorgestern ist in einer Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses deS Provinzial - Wahl» EomiteS der nationalliberalen Partei der Provinz Hannover der Abgeordnete Senator Bauratb Wallbrecht an Stelle des aus Hannover scheidenden Or. piiil. Naybt zum Vor sitzenden gewählt worden. (Hann. Eour.) * Dessau, 8. Januar. DieLondessynode Ist zum 12. Februar einbernfen. * Eisenach, 7. Januar. Am vorigen Sonnabend hat sich hier eine „Conservative wirtschaftliche Vereinigung" gebildet. * Ttrastbnrg i. E., 8. Januar. Der Statthalter übertrug die unctionen eines ständigen Kommissars deS Statthalters beim undesrath dem Ministerialrath Hall eh. Oesterreich-Ungar«. * Wien, 8. Januar. Landtag für Nieder-Oesterreich. Bei Beginn der Sitzung protestirte der Vertreter des LondmarschallS, Haberl, gegen das Vorgehen Gregorig's, welcher die Frei maurer als Verschwörer gegen Thron und Altar bezeichne und ihn — Redner — stets Freimaurer nenne, obgleich er nie Freimaurer gewesen sei. Die Tendenz dieser Behauptung sei Ber- leumdung und Denunciation. Gregorig verwahrte sich gegen diese Ausdrücke. Der Landmarschall erklärte hierauf, Gregorig's Vorgehen sei nicht anders zu bezeichnen und wies Gregorig's Widerspruch hiergegen energisch zurück. Unter dem Beifall der Linken wurde Gregorig der Ordnungsruf rrtheilt. Hierauf wurden mehrere Referate, betreffend die Landesanstalten, erledigt. * Wien, 8. Januar. In den Landtagen in Brünn und Klagenfurt wurden Anträge in Bezug auf die Jubiläumsfeier des Kaisers Franz Josef verhandelt. Im Landtage in Laibach wurde ein Antrag auf Diskussion der Reichsrathswahlreform ein gebracht, in welchen: das allgemeine direkte Wahlrecht mindestens in de» Landgemeinden, Städten und Märkten verlangt und gegen die Vereinigung von Nichtarbeitern und Arbeitern in einer Kurie Ver wahrung eingelegt wird. Frankreich. ?. 6. Paris, 8. Januar. Der Minister des Aeußern, Hanoteaux, ist gestern wiederhergestellt anS Cannes zurück- gekehrt und hat die Leitung der Geschäfte de- Ministeriums übernommen. * Paris, 8. Januar. Verschiedene französische Officiere Namen- Drryfus haben die Aenderung ihrer Namen er beten und bewilligt erhalten. * Paris, 8. Januar. Die Deputirtenkammer wählte de Mahy, Etienne, Elausel de Loossergues und Lockroy zu Vicrpräsidenten wieder. Hierauf wurde die Sitzung auf gehoben. Belgien. * Brussel, 8. Januar. Der halbamtliche „National" ver sichert, daß Frankreich gegen die Congovorlage protestirt habe. * Vrüffek, 8. Januar. Der Finanzminister überreichte der Kammer einen Gesetzentwurf, in dem für den weiteren Bau der Congo-Eisenbabn zehn Millionen Franc- Zuschuß au- belgischen Staatsmitteln bewilligt werden sollen. Italien. * Rom, 8. Januar. Der „Corriere di Napoli" meldet, daß auch der französische Botschafter in Rom, Billot, ab berufen werde. Nichland. * Petersburg, 8. Januar. Der Gehilfe des Finanz ministers Witte, Jwaschtscbenkow, welcher an seinen Chef für den Posten des VerkebrSministers in Aussicht genommen war, hat einen leichten Sch lag an fall erlitten. (B. T.) * Petersburg, 8. Januar. Zn den im AuSlande ver öffentlichten ausführlichen Berichten über den russischen Budgetvoranschlag für 1895 wird auS authentischer Quelle mitgetheilt, daß zur Zeit vom Voranschlag nur ein vorläufiges Project existirt, welches nach seiner endgiltigen Ausarbeitung noch der Bestätigung bedarf. Deshalb sind alle jetzt zur Veröffentlichung gelangenden Berichte entweder falsch oder auf unvollkommene Daten basirt. ?. 6. Petersburg, 8. Januar. Der Zar hat eine strenge Untersuchung der Amtsgebahrung deS bisherigen Commu- nications-Ministers Kriwoschein angeordnet, durch welche festgestellt werden soll, ob gegen denselben wegen Amtsmiß- braucheS das gerichtliche Verfahren einzuleiten sei. Mit dieser Untersuchung ist eine Commission betraut worden, in welcher Senator Taganzew den Vorsitz bekleidet. Die Angelegenheit Kriwoschein'S bat den maßgebenden Persönlichkeiten Anlaß geboten, die Thätigkeit und die Zusammensetzung deS Com- munications-MinisteriumS, sowie die gegen das Letztere seit längerer Zeit erhobenen verschiedenen Beschwerden näher inS Auge zu fassen, und es gilt als wahrscheinlich, daß im Per sonale und in der Organisation dieses Ministeriums mehr fache Veränderungen Platz greifen werden. * Lemberger Polenblätter behaupten, in Petersburg sei wieder ein Umschwung zu Ungunsten der Polen «inaetreten; die auf den nelitst CurS in Rußland gesetzten Hoffnungen würden sich schwerlich verwirklichen Orient. * Belgrad, 8. Januar. Finanzminister Petrowitsch ist heute hierher zurückgekehrt. * Ueber ein Attentat gegen den rumänischen Unter- richtSminister JoneScu wird unterm 4. Januar Folgendes bekannt: Unterrichtsminister T. Jonescu, nächst dem Domäne»- minister P. Carp jedenfalls da« von der Opposition best gehaßte Mitglied der gegenwärtigen Regierung, ist gestern Mittag während der Audienz-Ertheilung Gegenstand eines unerhört brutalen Angriffs gewesen. Verüber desselben ist ein bereits bei drei ConcurSprüfungen durchgesallener Candidat des höheren Lehramtes gewesen, welcher an den Minister mit der im barschen Tone gehaltenen Anforderung herantrat, ihm eine Anstellung im Staatsdienste zu verschaffen. Als der Minister dieses Ansinnen unter Hinweis auf die mangelnde Befähigung de- Bewerbers »urückwieS und sich von Letzterem abwendete, versetzte ihm dieser einen Faustfchlag gegen die rechte Schläfe, worauf er von den im Cabinete deS Minister- befindlichen Personen festgehalten und an weiteren Tätlichkeiten gehindert wurde. Vor den Untersuchungsrichter geführt, versuchte er anfänglich seine That zu leugnen, gestand aber später deren Möglichkeit zu. Recht bezeichnend für die Rohheit partei politischer Kämpfe im Orient ist, daß die beute Abend erschienenen OppositionSblätter, weit entfernt, über den be dauerlichen Vorfall ihre Mißbilligung auszusprechen, denselben noch zu beschönigen oder zu entschuldigen suchen. * Wie man der „Pol. Corr." aus Konstantinopel, 8. Januar, berichtet, hat der Sultan gestattet, daß die National-Dersammlung von Kreta, welche seit dem letzten Aufstande vom Jahre 1889 nicht zusammengetreten war, wieder einberufen werde, und eS dürfte bereit- in der nächsten Zeit die Ausschreibung der Wahlen stattfinden. Aste«. * Shanghai, 8. Januar. (Meldung der „Central News of Germany".) Von Niutschwang läuft die Nachricht ein, daß die Japaner die von 15000 Chinesen besetzte Stadt Son-Menchang angegriffen haben. Während deS Sturme- entstand Feuer, die Stadt brannte fast gänz lich nieder. Mindesten- 10 000 Menschen sind obdachlos bei einer furchtbaren Kälte. Der Gouverneur von Niutschwang ist benachrichtigt worden, daß er erschossen würde, falls er seinen Posten verläßt. * Mit Bezug auf die Nachricht, daß die Pforte an die Cabinete von Wien, Berlin, Pari- und Rom das Ersuchen gerichtet habe, auf eine Mäßigung der Forderungen Englands und Rußlands in der schwebenden armenischen Angelegenheit hinzuwirken, wird der „Pol. Corr." aus London, 8. Januar, gemeldet, daß den dortigen diplo matischen Kreisen von einem in dieser Form erfolgten Schritte der türkischen Regierung nichts bekannt sei. (Wir hatten die Richtigkeit der Meldung sofort angezweifelt. Die Red. des „Leipz. Tagebl ") Afrika. * Parts, 8. Januar. Heute hat in ganz Frankreich die Ausloosung der Truppentheile stattgesunden, die das Expe ditionscorps nach Madagaskar bilden werden, es geht von je einem Regiment jeden Armeecorps eine durch das LooS bestimmte Compagnie, die von den anderen Compagnien des betreffenden Regiments aus Kriegsstärke in alten Mann schaften gebracht wird, ab; außerdem Jäger, Artillerie und Colonialtruppen. Die Gesammtstärke der Expedition, ein schließlich der Marine und der Träger, wird ans 25 000 Mann berechnet. k. 6. ikairo, 8. Januar. Die in dem Berichte de- gesetzgebenden RatheS über das nächstjährige Budget gemachten Vorschläge, deren wichtigste die Verweigerung der Unterhaltskosten für die britische Occupations-Armee, das Fallenlassen des Projektes, betreffend die Errichtung eines Wasserreservoirs in Ober-Egypten, die Aufhebung deS Sclaven- befreiungS-BureauS und die Convertirung der egyptischen unificirten Anleihe verlangten, sind von der egyptischen Re gierung mit der Begründung ab ge lehnt worden, daß diese Forderungen unrealisirbar seien. Dieses Resultat habe Nie manden überrascht, da die Vorschläge deS gesetzgebenden RatheS auf englischer Seite dem entschiedensten Widerspruch begegneten und man allgemein überzeugt war, daß die egyptische Regierung einem neuerlichen Consiict mit England, in dem sie unzweifelhaft den Kürzeren gezogen hätte, aus dem Wege gehen werde. 6. Am zweiten Weibnacktsfeiertag batte die deutsche Colonie Kairo- das Vergnügen, ungefähr 60 Officiere und Cadetten von S. M. Schulschiff „Stein" als ihre Gäst- begrüßen zu können. Die Herren waren zu mehrtägigen Besuch in der alten Khalifenstadt eingetroffen, und unte- verschiedenen ihnen zu Ehren gegebenen Festlichkeiten nimmt ein gemeinsamer Ausflug nach den Pyramiden die erste Stelle ein. Beim herrlichsten egyptischen Winterwetter hatte sich um die Mittagsstunde deS 28. December eine zahl reiche, in der angeregtesten Stimmung befindliche Gesellschaft 210 rath vorangegangen ist, wobei die Fragen so weit erörtert wurd n, dan mit positiven gesetzgeberischen Vorschlägen unter Auösiwt auf Erfolg vorgegangen werden konnte. <?. ^1. Bcrltu, 8. Januar. Die Stürmung und Plün derung des Seligsvhn'schrn HolzplatzeS in der Brom berger Straße am 17. Juni v. I. durch eine vielhundert- köpfige Menge hatte beute ein Nachspiel vor dem 9. Civil- senat des Kammergerichts. Der Sachverhalt ist gericht lich dahin sestgestellt, daß am Abend jenes Tages zunächst einzelne Kinder, dann Erwachsene, zuletzt eine Menschenmenge von vielen Hunderten auf den Holzplatz cindrang und dort unter Zerstörung des starken Zauns und gewaltsamer Oeffnung deS Thors das von der dort begonnenen Räumung noch übrig gebliebene Holz wegnahm. Anscheinend war bei diesem Ereigniß ein Unbekannter aufgetreten und hatte den zusammen gelaufenen Menschen erklärt, daß alles Holz weggenommen wer den könne. Während des AuSplünderns waren Bedrohungen vorgekommen, und die Situation wurde auch von der Polizei derartig ernst aufgesaßt, daß sie den Holzanweiser Dey, welcher polizeiliche Hilfe suchte, zurückhielt, damit er Gewaltthätig- keiten entginge. Die Handlung Seligsohn klagte auf Grund deS Gesetzes vom 1l. Mär; 1851 gegen die Etadtgemeinde Berlin aus Ersatz des ihr damals in Höhe von 1014 ^ zu- gefügten Schadens, und die 19. Civilkammer des Landgerichts I erkannte auch nach dem Klageantrag?, da die betr. verbrecherische Handlung die Stadtgemeinde Berlin, in welcher die Menschen menge rusammengelaufen war, zum Schadenersatz verpflichte. „Das Gesetz vom 11. März 1851", so wurde ferner auS- geführt, ..bezweckt den Schutz der bei Ausläufen gefährdeten Sicherheit der Personen und des EigentbumS und gleichzeitig die Verhütung von Aufläufen mittelst der den Gemeinden dafür auserlegten Verantwortlichkeit". Die hiergegen eingelegte Berufung wurde heute vom Kammergericht in wesentlicher Uebereinstimniung mit den Gesichtspunkten des Vorderrichters zurückgewiesen. * Berlin, 8. Jannar. Zn dem heutigen parlamen tarischen Herrenabend beim Kaiser ist nur ein enger Kreis von Abgeordneten nach dem Neuen Palais geladen worden. Von den Conservativen sind u. A. Freiherr von Manteuffcl, Gras Limburg-Stirum und v. Massow-Rohr, von der Reichspartei Graf Arnim-Muskau, von den National- liberalen Oi-. v. Bennigsen, vr. Hammacher, Or. Bürklin und Jebsen zugezogen. Aus der Anwesenheit des Abge ordneten Jebsen, der übrigens erst vor einigen Tagen in öffentlicher Versammlung für die Umsturzvorlage sich ausgesprochen hat, wird vermuthet, daß der Kaiser mit seinen Gästen über Marin efragcn und nament lich über die Frage der Panzerkreuzer eingehender sich zu unterhalten wünscht. Außer den Abgeordneten lind, wie die „B. N. N." erfahren, noch folgende officielle Persönlich keiten geladen worden: der Chef des Militair - Cabinets General v. Hahnke, der Chef des Generalstabes Graf v. Schlieffen, der Staatssecretair des MarineamtS Vice- admiral Hollmann, der hanseatische Gesandte vr. Krüger und die Minister Schönstedt, von Koeller und Bronsart von Schellendorf. Mil dem fahrplanmäßigen Zuge um 7 Uhr 5 Min. fuhren im Ganzen etwa 25 Personen nach Wildpark ab. Die Rückfahrt ist für 10 Uhr 22 Min. vor gesehen. Anfangs war bestimmt gewesen, daß der Kaiser mit einem Sonderzuge um 8 Uhr 20 Min. nach Berlin fahren und seine Gäste im königl. Schlosse bei sich sehen würde. Diese Dispositionen sind jedoch gegen Mittag ge ändert worden. — Vom Kaiser ist dem Magistrat nachstehendes Allerhöchstes Schreiben zugegangen: „Der Magistrat Meiner Haupt- und Residenzstadt Berlin hat Mir zum Jahreswechsel wiederum freundliche Glück- und Segens- wünsche dargcbracht. Ich vertraue, daß die sie begleitenden Worte treuer Liebe und Anhänglichkeit sich auch in der That bewähren werden, und gebe dem Magistrat für diese Kundgebung gern Meinen wärmsten Dank zu erkennen. Möge Gottes Gnade auch im neuen Jahre auf der Reichshauptstadt ruhen, auf daß die Arbeiten der städtischen Behörden zum wahren Wöhle der Bürgerschaft in leib licher wie geistiger Hinsicht gereichen. Neues Palais, den 7. Januar 1895. gez. Wilhelm k." An den Magistrat zu Berlin. —- Betreffs der Beschädigungen, welche der Sturm der Insel Helgoland zugefügt hat, erfahren die „B. P. N ", daß die eigentliche Insel verhältnißmäßig wenig gelitten bat, dagegen die der Insel zum Schutz dienende Düne, wenngleich nicht in dem Maße, wie die ersten Be richte gelautet hatten, doch immerhin erheblich mitgenommen ist. Die Beseitigung der Schäden sowie die möglichste Siche rung gegen tüustige ähnliche Naturereignisse dürfte danach nicht so bedeutende Mittel in Anspruch nehmen» wie man nach den ersten Berichten glaubte. — Man schreibt der „Schles. Ztg.": „Der jetzt als Nachfolger des verstorbenen UnterstaalssecretairS im Staats ministerium Homeyer genannte Senatspräsideut beim Ober- Verwaltungsgericht, vonMeyeren, gilt schon lange als ein Mann des besonderen Allerhöchsten Vertrauens. Bestätigt sich die Meldung von seiner Ernennung für den in Frage stehenden Posten, so würde man dieselbe als einen neuen Beweis des Entgegenkommens ansehen dürfen, das man den irgend einer Mißstimmung. Ich werde schon nächstens etwas beginnen und hoffe, daß ich dabei ein anständiges Auskommen habe. Ich bin etwas in Sorge, weil Brand, der zum Glück nicht mit verkauft wird, sich den Fuß schwer verletzt hat. Sonst bin ich in bester Stimmung. Ich denke spätestens morgen Euch zu besuchen und grüße herzlich wie immer Euch alle. Adam." Diesen, seine ganze Sorglosigkeit über das Geschehene an den Tag legenden Brief couvertirte Graf Adam, ver schloß ihn, einer alten Gewohnheit folgend, auch noch mit einem kleinen, runden, rothen Lacksiegel und gab ihn Hunck für den wartenden Diener. Kaum war das geschehen, als ihm Thomas, dem er tags vorher geschrieben hatte, daß er ihn besuchen möge, ge meldet ward. „Jawohl, herein mit dem Bösewicht", rief Jarl in dem gewohnten, aufgelegten Ton, vom Schreibtisch aus über die Schulter weg. Er ließ auch Jung eine Weile, ohne von ihm Notiz zu nehmen, an der Tbür stehen. Dann wandte er sich kurz nickend uni und überflog mit einem raschen, forschenden Blick Jung's Miene und Haltung. Aber was er erwartet hatte, fand er zu seiner großen Ueberraschung nicht. Thomas war nen und ganz dunkel gekleidet, trug sehr saubere Wäsche und hatte sogar Handschuhe an. Auch drehte er einen untadelhaften Hut in der Hand und verneigte sich mit einem zwar ernsten, aber keineswegs trotzigen Gesicht. „Guten Tag, Jung? Nehmen Sie Platz — hier — hier, sitzen Sie gut! Ich freue mich, daß Sie meiner Aufforderung gefolgt sind. Das deutet darauf hin, daß Sie zu ver nünftigen Gedanken gekommen. Und sagen Sie mal gleich, Jung! WaS ist denn eigentlich mit Ihnen geschehen? Sie haben sich den Backenbart schneiden lassen? Sie sehen anz verändert und sehr schmuck aus. Haben Sie das große ooS gewonnen?" „Nein, Herr Graf. Aber ich habe einen alten Onkel in Stnde, der vor einigen Tagen gestorben ist, ganz unerwartet beerbt. Herr Graf wissen, den reichen Arnold Jung in Stnde, mit dem mein Vater ganz auseinander war. Vor gestern kriegte ich die Nachricht. Ich will heute Abend Hinreisen, Montag ist die Beerdigung." „So — so! Na, das freut mich ja sehr, Thomas Jung; freut mich au-nehmeud, auch für Nelly. Und nun sagen Sie Conservativen gegenüber zu documentiren für an gezeigt hält." — Wie die „Preuß. Lehrer-Zeitung" berichtet, ist eS noch nickt beschlossen, daß der LehrerbesoldungSgesetz- entwnrf vom Minister vr. Bosse vorläufig zurückgezogen wird, vielmehr befinde er sich noch in der Beratbung bei denjenigen Verwaltungsinstanzen, die dabei betheiligt sind, und man hoffe immer noch auf ein gutes Resultat. — DaS von dem kaiserlichen Gesundheitsamt unter dem Titel „Gesundheitsbüchlein, gemeinfaßliche Anleitung zur Gesundheitspflege" im Herbst vorigen Jahres herausgegebene kleine Werk hat eine solche Verbreitung ge funden, daß bereits der dritte Neudruck vergriffen ist. Der soeben erschienene vierte Abdruck hat eine Bereicherung durch eine zweite farbige Tafel, die Hauptblutgefäße im Körper darstellend, erhalten; außerdem sind mehrere Abbildungen durch volltommenere ersetzt und einige Aenderungen im Text vvrgenommen. Übersetzungen in fremde Sprachen sind in der Ausführung begriffen. Dank dem Entgegenkommen der Verlagsbuchhandlung ist der mäßige Preis von 1 ^ noch weiter hin auf 80 bei gleichzeitiger Abnahme von 20 Exemplaren herabgesetzt worden. — Wegen Majestätsbeleidigung und Sach beschädigung hatte sich der Stuckateur Friedrich Börstel vor der zweiten Strafkammer deS Landgerichts l zu verant worten. Bereits vier Mal wegen Majestätsbeleidigung vor bestraft, wurde er zu 3 Jahren 6 Monaten Gefäng- niß verurtheilt. — Mit den streikenden Böttchern zu verhandeln, bat der Vorsitzende deS Vereins der Brauereien, Herr Happoldt, nunmehr, der „Post" zufolge, abgelehnt, da die zwischen den Herren Singer und Rösicke Namens der Boycott- commission und der Brauereien getroffenen Vereinbarungen als bindende zu betrachten seien. — Gegen die socialdemokratischen Turn-Vereine richtet sich bekanntlich der Erlaß des preußischen Ministers des Innern vom 24. November r. I. Zur Kennzeichnung deS socialdemokratischen „Turnens" giebt die „Cons. Corr." einige Proben aus dem socialdemokratischen Liederbuch „Der freie Turner". Es beißt in diesem Buche: „Darum macht eS mir Vergnügen, Daß ich ein Turner bin; Doch turnet man in Riegen, Da geh' ich selten hin. Ich turne, wie die meisten Der ganzen Turner hier. Wen» es gilt, was zu leisten Beim Turnen mit dem — Bier." DaS ist harmlos gegenüber anderen Stellen in dem „freien Turner", worin u. A. die folgende Strophe vorkommt: „Frisch, fröhlich, frei, da§ wollen wir wahren. Die Frömmigkeit aber lassen wir fahren. Und die patriotischen Schnurrpfeiferei'» Dir werfen wir lachend hinterdrein." Solche Grundsätze pflegt der „Arbeiter-Turnerbund Deutsch land". Es ist deshalb nicht mehr als billig, wenn man diesen Schein-Turnern von Staats wegen entgegentritt. — Die Verhaftungen von Anarchisten nehmen nach dem „Vorw." ihren Fortgang. Am Donnerstag voriger Wocke wurde der bislang im „Socialist" beschäftigt gewesene D>uckereiarbeiter Graß, am Sonnabend der Tischler Richard Weiß verhaftet. — Der Fürst zu Schwarzbnrg-Rudolstadt ist hier ein- getroffen. — Der Ober-Präsident der Provinz Hannover v. Bennigsen ist hier eingetroffen. — Der Justizminister hat es nach dem „Vorwärts" ab- gelehnt, auf die Selbstbezichtigung des Abgeordneten Stadt hagen wegen Gebühren-Ueberjchreitung die Anklage zu erheben. — Der Commandenr der Eisenbahn-Brigade, Generalmajor Knappe, hat, wie die „Post" hört, sein Abschiedsgesuch ein- gereicht. Er ist erst 55 Jahre alt. * Königsberg t. Pr., 8. Januar. Nach der „N. Pr. Z." ver lautet, zum Nachfolger deS verstorbenen Regiernngspräsidcnten Steinmann in Gumbinnen sei der Vortragende Rath Geh. Oberregierungsrath Hegel bestimmt. -Ir- Kiel, 8. Januar. Der aus der ostasrikanischen Station befindliche Kreuzer „Seeadler" bat Segelordre nach Bom bay erhalten, um dort einer größeren Kesselreparatur unter zogen zu werden. Von der Kieler kaiserlichen Werft ist heute Personal nach Bombay abgegangen. * FriedrichSruh, 8. Januar. Beim Fürsten Bismarck ist Graf Herbert Bismarck eingetroffen. Außerdem weilen dort Graf und Gräfin Rantzau und der ehemalige Botschafter zu Madrid, von Stumm. Baron und Baronin Merck sind fast tägliche Gäste. Gestern fand ein intimes Diner statt, bei dem der Fürst ausnahmsweise die Uniform seines Kürassier-Regiments angelegt hatte. Wie der „Hamb. Corr." versichern kann, sind Mittheilungen, die den Gesund heitszustand deS Fürsten als nicht günstig schildern, einfach erfunden. Besorgnisse in gesundheitlicher Beziehung sind durchaus nicht vorhanden, im Gegentheil, der Fürst erfreut sich gerade augenblicklich großer körperlicher und geistiger Frische. Er betbeiligt sich sebr lebhaft an der Unterhaltung und hat auch erfreulicher Weise regen Appetit. mal: Was haben Sie sich denn eigentlich neulich in den Kopf gesetzt — ?" „Warten Sie. Hier! Rauchen Sie eine Cigarre! So. Erstens, lieber Jung, machen Sie sich und das brave Mädchen doch nicht durch Ihre ganz grundlose Eifersucht unglück lich, und ferner, ziehen Sie sich doch von den Leuten zurück, die Ihnen diese neuen Ideen beibringen wollen. Was um GotteSwillen denken Sie sich denn? Sehen sie dock in die Natur. Immer bleiben Unterschiede durch Kraft unv Macht. Auch sind ewig die Güter ungleich vertbeilt. Ein Thier fällt ans Hunger todt vom Himmel herunter, ein anderes lebt in Ueberfluß. Und von den Gesetzen der Natur Ab weichendes ins menschliche Leben übertragen wollen, ist thöricht, weil eS ohne Halt und Dauer ist. Macht Sie denn die Beschäftigung mit solchen Dingen glücklich? Ich muß Ihnen gestehen, daß ich nach der letzten Begegnung wirklich irre an Ihnen geworden bin. Nur die Leidenschaft, in der der Mensch nicht weiß, was er tbut, entschuldigt Sie, und diesen Umstand habe ich auch nur in die Waagschale fallen lassen können!" Jarl hielt inne und richtete einen auffordernden Blick auf Jung, der ohne ein Zeichen von Zustimmung, aber auch ohne Auflehnung zugehört hatte. Auch jetzt schwieg er zunächst ausdruckslos, dann aber sagte er zu Jarl'S höchster Befremdung kurz und trocken: „Herr Graf baden ganz Reckt. Ich will auch nichts mehr von dem ganzen Kram wissen: ich bin schon selbst zur Einsicht gekommen! Ich weiß, wenn sie hören, daß ich Geld habe, wollen sie alle was von mir, ja, ich soll womöglich anftbeilen —" Graf Adam vermochte ein Lächeln nur schwer zu unter drücken. Die plötzliche Wandlung hatte also eine sehr natürliche Ursache! Aber er ließ sich nichts merken und er widerte: „Sehen Sie, Jung! Da haben wir's? Der Besitzlose denkt, eS sei durchaus in der Ordnung, daß der Wohl habendere sein Hab und Gut hergiebt. Aber in der Praxis schmeckt'S bitter! Sie erfahren es. Ist ja alles Thorkieit." „So, na, daS wäre denn daS eine! Freut mich, freut mich sehr. Nun mit Nelly: Wie können Sie, um GotteS willen. auf den Gedanken kommen, daß ich Ihnen Ihre Braut abwendig machen will?" „Ich hoffe, daß Sie da auch von selbst zur Einsicht ge kommen sind! Nun, Jung!-? Seien Sie doch verständig. Sie haben eS ja eben auf dem andern Gebiet bewiesen, daß Sie Ihren nüchternen Verstand zu gebrauchen wissen. Heiratben Sie doch. Jetzt sind Sie za Ihr freier Herr. Nelly wünscht nichts sehnlicher, als sich mit Ihnen auSzusöhnen und Ihre Frau zu werden." „Und seien Sie gut gegen sie — nicht gewaltthätig und heftig. Sie bekommen einen Schatz, da müssen Sie ihn auch Hochhalten! Hören Sie?" „Ist eS wirklich Ihr Ernst mit dem Heirathen, Herr Graf?" „Ob es mein Ernst ist — Bester! Ja, meinen Sie denn wirklich, es sei irgend etwas dran an dem Unsinn, den Sie sich eingebildet haben?" Und sehr ernst schloß Jarl: „Ich bin Ihrer Braut gut, weil sie ein braves» anständiges Mädchen ist. Ich interessire mich für sie, weil sie von Horst herstammt. Das ist Alles. DaS mögen Sie nun endlich glauben, Jung, und festbalten, als sei'- ein Evangelium!" „Denken Sie, ich wolle Nelly beirathen oder gar mit ihr Liebeshändel ansangen? Können Sie so Schlechtes von mir glauben? Und noch eins. Sie wissen doch, ich bade Alles verloren, was ich besaß! Horst und all mein Geld. Ick wäre", schloß Jarl spöttisch und überlegen lächelnd, „auch eine sehr schlechte Partie für Nelly geworden!" „Herr Graf baben Alles verloren?" Der Mann stieß die Worte in der höchsten Bestürzung hervor. Seine Mienen nahmen einen Ausdruck von Unruhe an, daS bewies, wie eindrucksfähig er war. „So — so, wirklich ? Wer wird denn der neue Herr sein, Herr Graf? Isi s ein Berliner, wenn « erlaubt ist zu fragen, Herr Graf?" „Davon ein andermal. Jung! Bleiben wir bei Ihrer Sache. Vielleicht kann ich Ihnen die Castellanstellung, von der ich jüngst sprach, verschaffen. Aber Sie haben wohl jetzt andere Pläne, Thomas Jung? Wenn ich Ihnen freilich rathen soll, halten Sie Ihr Geld zusammen! Ich sehe ja jetzt, wie eS ist, wenn Alle- dahin ist! Aber so links politisch werde ich deshalb doch nicht. Ich gönne Jedem, waS er hat!" „Ach, daS thut mir aber sehr leid, Herr Graf. Und WaS wird Nelly sagen." Und plötzlich: „Ich bitte, Herr Graf, nehmen Sie nichts für «ngut, waS ick gethan habe. Ich war krank — Ich wußte nicht, waS ich that. Die da batten mich ganz irre gemacht! Ich hatte meine Besinnung nicht die letzte Zeit! —" „ES ist vergessen, Thomas Jung. Sie sehen eS ja daraus, daß ich Sie aufforderte, mich zu besuchen! N»n, und wie ist'-? Soll ich mich für Sie verwenden? Sie können ja nebenbei was pachten. Sie können Ihr Hab und Gut ver mehren ! Aber in der Heimath, wo'S immer am besten ist. Sie werden mit Nelly ein glückliches Leben führen!" „Ja, Herr Graf, ich danke, ich danke sehr! Und — und — Verzeihen Sie, Herr Graf. E» ist sehr unbescheiden, sehr — sehr — Könnte ich, Herr Graf, vielleicht mit was dienen? 3000 dänische SpecieS habe ich geerbt. DaS Land geht an meinen Vetter — Ich krieg'S baar ausbezahlt von Justirrath FrieS in Föhrde —" „Nein, ich danke, guter Thomas Jung! Ich komme Wohl durch? Und Sie sind ein braver Kerl! Ich habe auch ni; daran gezweifelt, daß Sie sich wieder finde» werden. Aber nun müssen Sie mich verlassen. Ich habe anderes zu tbun! Sagen Sie, weiß denn Nelly schon von Ihrer Erbschaft?" Thomas schüttelte den Kopf. Dann sagte er mit einem Ausdruck tiefer Beschämung: „Sie bat mir geschrieben, ich solle nur bleiben, wo ich wäre. Nach dem Letzten — ich war sehr ausfallend gegen sie, ja das war ich — hatte sie die Meinung, wir paßten nicht für einander. — Da dachte ,ch denn, da dachte ich denn —" „Natürlich! Daß ich dahinter stecke, und setzten erst recht den Trotzkops ans. Na, aber nun ist ja Alle- in Ordnung. Nun geben Sie nur gleich zu ihr!" „Hier —", schloß Jarl, nachdem er eine Karte beschrieben und couvertirt hatte — „geben Sie da- Nelln. Ich sage ihr, daß ich ihr riethe, ihren alten Tboma» Jung wieder ganz wie ehedem aufzunehmen. Sie wird nicht Nein sagen, und besonders nicht, wenn sie hört, daß er 3000 dänische SpecieS geerbt bat. Ja, Geld, Geld!" murmelte Jarl für sich. „Es verwandelt Nacht in Sonne und umgekehrt! Adieu! Adieu! Möge eS Ihnen gut gehen. Sie werden wegen Horst von mir hören, Jung! Adieu!" >» Am nächsten Vormittag gegen elf Uhr betrat Graf Adam da» Haus seines Schwager-, Al» er sich auf dem Flur nach dem Diener umsah, erschien zufällig Eva gerade oben auf der Treppe, bemerkte ihren Onkel und flog die Stufen herab. „Mein lieber, lieber Adam!" stieß sie in tiefster Thril- nahme, die Stimme dämpfend, heraus. „Gott sei Dank, daß Du da bist. Ich habe mich halb todt geängstigt. — Und bitte, komm zunächst bier —" fubr sie flüsternd fort und zog ibn in ein Anrichtezimmrr zur Linken. Graf Campe wohnte nach dem Garten heraus, und zur Rechten vom Eintritt de» fanden sich die Gemächer seiner Frau. (Fortsetzung folgt.)
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