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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950116026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-16
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Während man heute Morgen die Losung der am Mon tag plötzlich, aber nicht unerwartet einzctrelenen französischen Ministerkrisis erwartete — es wurde bereits eine vorläufige, ein Concentrationsministerium darstellende Ministerliste colpor- lirt —,traf statt dessen die ganz unerwartete, außer aller Kombi nation gelegene Nachricht von der gestern Abend in Paris bekannt gewordene» Demission des Präsidenten der Republik ein. lieber den Rücktritt Casimir - Perier's, der seit dem 27. Juni vorigen Jahres das höchste Amt der Republik mit viel Würde und charaktervoller Energie gesührt bat — namentlich sah er es als eine seiner ersten und dringendsten Aufgaben an, die Regierung und das Parlament von unsauberen Persönlichkeiten zu reinigen und der überhand- nehmendcn Corruption zu steuern —, sowie über die Auf nahme, welche sein jedenfalls schon länger gereister, schwer wiegender Entschluß in Paris bis zur Stunde gesunden hat, liegen uns folgende Telegramme vor: * Parts, 16. Januar. Die Note, in welcher die „Agence Havas" die Demission des Präsidenten Casimir-Pcrier ankündigt, saßt die hauptsächlichsten Ideen, welche derselbe in einer an den Senat und die Kammer zu richtenden Botschaft entwickeln wird, zusammen: Der Präsident der Republik habe den Entschluß gefaßt, auf sein Amt zu verzichten. Die gestrige Kammersitzung und die Abstimmung in derselben seien in seinen Augen nur ein in zweiter Linie in Betracht kommender Zwischenfall. Ein Kampf sei ausgebrochen gegen das parlamentarische Regime und gegen die staats bürgerlichen Freiheiten. Er habe gehofft, daß die Präsiden t schaftder Republik, welche der Actionsmittel entblößt sei, unerreich bar für die Parteien sein werde, und daß Las politischeBer tra neu aller Republikaner ihm Kraft und Ansehen verleihen würde. Er habe gehofft, daß Diejenigen, die ihn wider seinen Willen auf seinen Posten gestellt hätten, wo ersich nicht selbst ver theidigen könne, sich der Vertheidigung des ersten Staats amtes annehmen würden. Er habe die Minister gebeten, provisorisch ihre Demission zurückzunehmen, um die Uebertragung der Gewalten zu sichern. Dupuy habe ihn, Casimir-Perier» und die Präsidenten des Senats und der Kammer seine Entschließung wissen lassen, welche dringlich das Parlament einberusen würden. — Die Demission Casimir-Perier's wurde auf den Boulevards gegen 11 Uhr Abends bekannt. Das Publicum eilte zu den Nachrichtcnbureaux und Zeitungen, um die anfänglich bezweifelte Nachricht sos»z»>s..^,^. DWGtnchetcht rm.chtt den tiesstenEindruck. Bezüglich der neuen Candidaten herrscht die bisher verbreitete An nähme, daß Casimir-Perier mit großer Mehrheit wieder gewählt wird. Für den Fall, daß er ablehnt, werden Dupuy, Waldeck-Rousseau, Challemel-L ac our und Spuller genannt. Die Kammern sind heute einberufen, der Kongreß tritt wahrscheinlich morgen zusammen. * Paris, 16. Januar. Tie „Agence Havas" meldet: Große Bestürzung rief gestern bei den Persönlichkeiten, welche den Nachmittag in den Wandelgängen der Kammer zubrachten, Perier's Demission hervor. Man bemerkte nämlich nicht ohne Ueber- raschung, daß die Ministerkrisis nicht ihren gewöhnlichen Verlauf nahm und eine unerklärliche Physiognomie zeigte. Man verbrachte die Zeit damit, alle Eventualitäten zu besprechen. Man hatte die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß das neue Cabinet sich zum größten Theile aus den Elementen zusammensetzen würde, welche das alte Cabinet gebildet hatten. Man hatte ferner an die Bildung eines radikalen Cabinets gedacht. Man hatte ogar die Frage der Auflösung der Kammer und des Appells an das Land nach Borausgang einer Botschaft des Präsi denten erörtert. An einen einzigen Ausgang hatte man nicht gedacht, an die Demission des Präsidenten, und gerade dieser Ausgang trat zur Ueberraschung aller Derjenigen ei», welche zuerst die Nachricht vernahmen. Man kann sagen, daß die Bestürzung allgemein war. Tie Charaktergröße Casimir-Perier's, seine Erfahrung, seine Thätigkeit. seine Unbescholtenheit flößten in der Thal Allen, selbst Len radikalen Republikanern, Vertrauen ein. Man hat jetzt eine Erklärung für die lange Dauer der Unterredung des Senatspräsidentcn Challemel-Lacour mit Casimir-Perier, dessen Entschluß bereits gefaßt war. Alle Bemühungen Cliallcmel-Lacour's bliebe» erfolglos, und der Präsident des Senats verließ das Elyjöe in äußerst beklommener Stimmung. Alle Mitglieder des Cabinets, von Dupuy an bis Leygues, Pointcarö. Mercier, Felix Faure und Guörin, wiederholten nacheinander den Versuch des Senatspräsidenten, es gelang ihnen aber nicht, Casimir- Perier in seinem Entschlüsse wankendzu machen. Dupuy begab sich im Lause des Abends ein letztes Mal zu Casimir Pcrier und blieb über V« Stunden bei ihm. Er kleidete die Gründe welche er Casimir-Perier schon vorgelegt hatte, in eine noch wärniere Form und brachte auch andere, mehr persönliche Gründe vor, von Lenen er glauble, daß sie einen größeren Eindruck aus Casimir-Perier machen würden, er konnte aber de» Widerstand Casimir- Perier's nicht überwinden. Nach Dupuy kam Spuller. Alles, was Dupuy und Spuller erreichen konnten, mar das, daß Pcrier seine Entscheidung bis 6'/., Uhr Abends ausschob. Als Dupuy und Spuller den Präsidenten verließen, begegneten sie in den Vorzimmern seiner Mutter, die ihnen versprach, allen ihren Einfluß auf ihren Sohn auszuüben, um ihn zum Verbleiben aus seinem Posten zu bewegen. Tie Begegnung zwischen Mutter und Sohn war, wie es scheint, eine äußerst bewegte. Trotz dem richtete Casimir-Perier schon Vs Stunde vor der verabredeten Zeit einen kurzen Brief an Dupuy, in welchem er ihm seinen unab änderlichen Entschluß mittheilte und ihn bat, von diesem Beschlüsse den Präsidenten des Senats und der Kammer Keiuitniß zu gebe» und denselben durch das „Journal osficiel" und die „Agence Havas" veröffentlichen zu lassen. Dupuy tras nun sofort alle von der Lage bedingten Maßnahmen. Der Seinepräfect, sowie der Polizei präfect erhielten von ihm die nothwendigen Instructionen. — Ter Präsident Casimir-Perier wird durch eine Botschaft seine Demission mittheilen. Die Botschaft wird in der Kammer von dem Ministerpräsidenten Dupuy, im Senate von dem Jujlizminisier Guörin verlesen werden. * Paris, 16. Januar. Die socialistische Gruppe der Kammer veröffentlicht ein Manifest gegen Casimir-Perier, Dupuy und die kapitalistische Gesellschaft. Die Morgen biütter besprechen die Demission des Präsidenten Casimir Perier. Das „Journal .des Döbats" jagt, die Geschichte werde die Demission erklären. Ungewiß sei es aber, ob die Geschichte die Demission in Anbetracht der schweren Gefahr, welche dem Lande von der wachsende» Kühnheit der Revolutionäre und der Unthätigkeit der Gemäßigten drohe, billigen werde und ob nicht andere Entschlüsse, als die Abdankung, hätten gefaßt werden können Der„Gaulois" neiint die Demission des Präsidenten eine Desertion und meint, die Erklärung für dieselbe sei in dem Vorleben und Charkter Perier's zu suchen. Ter „Figaro" erklärt, wenn Casimir-Perier aus seinem Entschlüsse beharre, werde Europa ebenso streng über ihn uriheilen, wie Frankreich. TaS „Journal" nennt die Demission ebenfalls eine Desertion und stellt dabei fest, daß sie das Ergebnis; des anarchischen Zustandes sei, in welchem die Parteien sich befänden. Nach der „Autoritü" ist die Demission nicht allein die Verdammung des Mannes, sondern hauplsächlich die des ganzen Regimes. Tie „Lanterne" behauptet, diese Demission sei nicht das Ende, sondern der Anfang eines Staats streiches gegen die Unabhängigkeit der Kammer und gegen die Rechte des allgemeinen Stimmrechts, denn Casimir-Perier wolle einfach eine Wiederwahl. Das „Even ein ent" tadelt Casimir-Perier, glaubt aber nicht, daß er von seiner Entscheidung abgehen werde. „Petit Journal" sagt, die Demission sei äußerst ernst und werde die gefährliche Lage nur noch verwickelter machen. Ter „Radikal" sicht mit Bedauern den Fall eines Mannes, auf dessen Kraft und Energie man hoffte. Ter „Jntransigeant" sagt, die Tkinlssion sei das Eingeständnis! der Ohnmacht. „Peilte Röpubligue" erkennt in der Demission Casimir-Perier's haupt sächlich einen Sieg der socialistische» Partei. Der „Soleil" sagt, Casimir-Perier hätte sich nicht eompro- mittiren wollen und dem Parlamente seine Demission mit souverainer Verachtung entgegen geschleudert. Er habe sich als anständiger Spieler gezeigt. Diese Demission wäre die Frage der Revision der Verfassung. Der „Voltaire" meint, die Republik habe einen Stoß erhalten. Tie „Esta fette" erklärt: Thiers und Gambetta hätte» Angriffe aushallen müssen, es habe aber keiner von ihnen sich seiner Pflicht entzogen. Die Republik werde ihre Lebenskraft zeigen. Am Donnerstag werde der Kongreß zujammentreten und es werde in Frankreich nichts geändert werden. Der Eclair" nennt die Demission eine» unüberlegten Entschluß Ter „Matin" meint, Casimir-Perier hätte vor seiner Entschließung eine Botschaft an die Kammer richten und eher zu einer Kammer aus lösu ng, als zur Demission schreiten sollen. * Paris, 16. Januar. Wie d e Morgenbiätter melden, fand heute Nacht 1 Uhr ein Ministerrath zur Besprechung über die Lage statt — Die socialistische Gruppe der Kammer wird sich heule Mittag l Uyr im Palais Bourbon versammeln. Darüber, was Casimir-Perier bewogen bat, die Macht und die Würbe aus der Hand zu geben, sind im Augenblicke nur Vermuthungen gestaltet. So viel aber ist sicher, daß Diejenigen dem Charakter und der Größe des Mannes nicht im Entferntesten gerecht werden, die seine Demission eine Desertion nennen, die ihm schmach volle Furcht vor dem gegenwärtig wieder das Haupt erhebenden Anarchismus oder Muthiosigkcit den total verlotterten Parteiverhällnissen in der französischen Kammer gegenüber vorwerfen. Vielleicht geht man nicht fehl, wenn man entsprechend dem lauteren, vornehmem, stolzem Sinn der PerierS alinimmt, daß das parlamentarische und publicistische Chaos, aus dem heraus er fort und fort mit dem Schmutz gemeinster Änoectiven bespritzt wurde — erst anläßlich des Sübbahnscanvais wieder hatte er sich sagen lassen müssen, daß auch er dabei „inter- esstrt" sei —, ihn mit gründlichem Ekel erfüllt hat, noch inehr aber die Haltlosigkeit und Schwäche der gemäßigt-republikanischen Partei, die trotz ihrer Mehrheit bei den wichtigsten Entschlüssen das Heft ohne viel Gegenwehr von den extremen Elementen der Kammer sich aus der Hand winden und anarchische Zustände einreißen ließ, in denen daö Ansehen des Präsidenten der Republik unterzngehen drohte. Darauf scheint der Satz der an die Kammer zu richtenden Botschaft hinzu deuten, er habe gehofft, daß die Präsidentschaft der Republik, welche der Actionsmittel entblößt sei, unerreichbar ür die Parteien sein werde, daß das politische Vertrauen aller Republikaner ibm Kraft und Ansehen geben würde, er ,abe gehofft, daß Diejenigen, die ihn wider seinen Willen auf einen Posten gestellt hätten, wo er sich nicht selbst ver teidigen könnte, die Vertheidigung des ersten Staatsamtes übernehmen würden. Vielleicht stehen für Casimir-Perier die Feinde, welche gegen das parlamentarische Regime und gegen die staatsbürgerlichen Freiheiten kämpfen, wie er sich äußert, in den Reihen der radicalen Oppo sition, welche eine gedeihliche Parlamentsregierung schlechter dings unmöglich macht. Cine Anzahl der oben mitgetheilten Preßstimmen scheint diese Ansicht zu theilen, durch säst alle geht das dumpfe Gefühl hindurch, als sei der Parlamentarismus Frankreichs am Ende, als stehe eine Katastrophe von größter Tragweite bevor und als gehe Casimir Perier nur, um entweder mit einem gewaltigen, un zweideutigen Vertrauensvotum als Präsident, oder als ein Größerer zurückzukehren. Aber der telegraphische Auszug aus der Botschaft deS Präsidenten ist zu kurz und zu unbestimmt gefaßt, als daß man etwas Sicheres auch nur mit an nähernder Gewißheit vermuthen könnte, und wir bescheiden uns, bis Perier selbst gesprochen hat. Daß er gerade im Gegentheil.was auch angedeutet wird, die opportunistische Partei fallen lassen und ein radikales Regime etablirt sehen möchte, ballen wir nur für den Fall nicht für ausgeschlossen, daß er dem Radicalismus Gelegenheit geben wollte, abzuwirthschaften, um so die Wege zu normalen Parteiverhältnissen zu bahnen. Auch dann wäre er wieder der Mann der neuen Aera. Wahr scheinlich findet die Ministerkrise ihre Lösung durch die Berufung eines Concentrationsministeriums, daS sich bisher in Frankreich als ein sehr gefährliches Heilmittel erwiesen hat. politische Lagesschau. * Leipzig, 16. Januar. Der Reichstag hat von jetzt ab nicht nur seine Zeit, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit mit dem gestern eröffnten preußischen Landtage zu theilen. Die llnzu- träglichkeiten, welche das Nebeneinandertagen dieser großen parlamentarischen Körperschaften im Gefolge zu haben pflegt, werden auch diesmal nicht ausbleiben. Die gestern mitgetbeilte Thronrede läßt aber den Schluß zu, daß die jetzige Session des preußischen Landtags auch fördernd auf die Ausgaben und Berathungen des Reichs tags wirken werde. Zunächst wird die neuerdings wieder ausgetauchte Annahme, daß der Landtag durch Vorschläge ans Aenderung des Vereins- und Versammlungsrechts unmittelbar mit der Ausgabe der Errichtung stärkerer Schutz wehren gegen die Umsturzdestrebungen befaßt werden würde, durch die Tharsache widerlegt, daß in der Thronrede ein rerartiger Gesetzentwurf nicht erwähnt wird. — Das mag an sich zu beklagen sein, jedenfalls aber wird es denjenigen Gruppen des Reichstags, welche die ihm vorliegende Umsturzvorlage für zu scharf halten, einen Vorwand zur völligen Ablehnung nehmen und die Wahr scheinlichkeit vennevren, daß über diese Vorlage eine Einigung zu Stande kommt. Nach derselben Richtung wird der Appell an die staatserhallenden Elemente wirken, sich emmüthig zur Abwehr gegen die Angriffe auf die Staatsordnung zujammenzuschtteßen. Ob die preußischen Agrarier durch die angekündigten Maßnahmen zu Gunsten Frrrrlletoir. isi Graf Jarl. Roman von Hermann Heiberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Als Jarl ins Schloß zurückkebrte, fand er zwei Briefe vor, von denen der eine ihn so beschäftigte, daß er sofort satteln ließ und trotz der bevorstehenden Tischzeit davon sprengte. Sie möge gütigst allein speisen und auf ihn keine Rück sicht nehmen, ließ er seiner Schwester sagen. Dinge, die ihn sebr erregten, vermochte er nur mit sich allein, nur in der Natur abzumackcn. Da fand Graf Adam stets Besänftigung und klare Gedanken. Zunächst besuchte er einen seiner Eingesessenen, den Pächter Claudius, scherzte mit seiner zimperlich wichtigen und thöricht'selbstgefälligen Haushälterin, Fräulein Marxen, und hörte eine langatbmige Geschichte von einem Spuk im alten Jnspectorhause, wo Dienstleute und andere Beschäftigte, zum Beispiel der Schreiber Peter Delmenhorst, schliefen. Der letztere, zufällig nähertretend, bestätigte eifrig die Schauermär, und Graf Adam hörte mit einer heuchlerischen Miene zu, als ob er alles glaube. ES müsse Pastor Halberts kommen und durch fromme Gebete den Spuk anstreiben, äußerte er schmnlzeliid, warf aber doch Claudius einen Seitenblick zu. Doch auch Claudius schien völlig überzeugt! Statt auf die Geste des Grafen einzugehen, schüttelte er sehr ernsthaft den Kopf und be stätigte mit bedenklicher Miene, was die beiden furchtsamen und abergläubischen Menschen berichtet hatten. Als Jarl das von zwei riesigen alten Linden umgebene, hübsch gegiebelte Hans mit seinen niedrigen, aber freund lichen Räumen wieder verlassen hatte, und von dem Pächter begleitet langsam auf seinem Hengst den Weg durch die Kastanienallee zur Chaussee heraus,,ahm, sagte Claudius: „Nichts für ungut. Herr Graf. Ist etwas Wahres an dem Gerücht, daß Sie unser Herr nicht mehr sein werden? Ich wollte heute gerade mal auf's Schloß und mit Herrn Grafen reden. Ich komme gar nicht a»S der Unruhe heraus!" Claudius hatte daS derb-breite und gesunde Gesicht eines Landbewohners. Er war rin sehr tüchtiger Arbeiter, aber als Mensch einseitig, etwas plaudersüchtig und ziemlich eng herzig; auch wurde er von Fräulein Marxen, einer stark intriguanten und immer das Wort führenden Person, völlig beherrscht. Jarl, dem der Ort und die Zeit zu Erörterungen nicht gelegen, wich aus und sagte: „Wir wollen in den nächsten Tagen einmal in Ruhe sprechen, Claudius. Soviel glaube ich Ihne» aber schon heute sagen zu können: Ihnen wird der Pacht von dem nenen Besitzer zu demselben Satz verlängert, wenn Sie es wünschen sollten! — Das möge Ihnen für ihre Person ge sagt sein." Und noch den froherregten Blick des Alten erhaschend und rasch die Hand herabstreckend, sprengte er davon. Nach einstündigem Ritt erreichte Jarl das Ziel seines Ausfluges, die Stadt Flensmünde, ließ sich im LaiidschaftS- haus den Gaul abnehmen, trat unter vielen Coinplimenten des Wirtbs und der Dienerschaft in die Gaststube und be orderte ein Mittagessen. Während dies hergerichtet wurde, machte er, überall beobachtet, aber auch wegen der Kunde, die auch hier sich schon verbreitet batte, neugierig gemustert, einen Spaziergang durch die Hauptstraße und begab sich zuletzt an daS Tele- grapbenbureau. Dort setzte er eine Depesche an den Rittmeister Baron von Hadeln ans. „Freue mich unendlich! Hole Sie übermorgen Mittag am Flensmünder Bahnhof mit Wagen ab." Auf dem Rückwege beobachtete Jarl, wie einige Personen ibm auSwichen oder minder ehrerbietig als früher grüßten. Er lächelte spöttisch. Die Welt war eben überall dieselbe. Bevor er ins Hotel zurückkebrte, erstand er noch in einem Juwelierladen einen Gegenstand für die Pastorin. Dann trat er den Rückweg an. Während er im Hotel tafelte, zog er die mitgenommenen beiden Briefe hervor und studirte sie. Sie lauteten wie folgt: „Mein lieber, verehrter Graf Jarl! Ihre mich so sehr erfreuenden Zeilen habe ich seinerzeit empfangen und bitte zunächst um Verzeihung, daß ich erst heute darauf antworte. Ich wollte erst die Perfektion meines Urlaubs, der vor der Thüre stand, abwarten, ich wollte aber auch erst noch mit mir zn Ratbe geben, ob ich wirklich von Ihrer gütigen Einladung Gebrauch machen dürfe. Sie haben wabrlich genug im Kops, um noch eines Freundes zu gedenken. Ich macke Ihnen Umstände und Kosten und bi» so sehr in Ihrer Schuld, und sie drückt mich jetzt, wo es Ihnen selbst nicht gut geht, so schwer, daß meine Bedenken zu natürlich erscheinen. Trotzdem komme ich und freue mich außerordentlich. Sie wieder zu sehen und die Comteffe kennen zu lernen. Ich gedenke am Abend abzureisen und würde gegen Mittag in Flensmünde eintreffen. Hoffentlich ist Ihnen das recht. Was Ihre Fragen anbetrifft, so sage ich Ihnen alles Nähere mündlich. Nur so viel: Ich habe seit unserer letzten Unterredung die Familie in der Schillstraße nicht wieder besucht. Ich gab stichhaltige Gründe an und scheine auch nicht entbehrt worden zn sein. — Gestern börte ich zufällig, daß das Fräulein Berlin verlassen habe. Sie weilt irgendwo im Norden. So hat also daS Schicksal ohnehin mitgcbolsen, das Schwere zu erleichtern. Daß ich starte Kämpfe bestehe, brauche ich Ihnen nickt zu sagen. Empfehlen Sie mich, bitte, der Comteffe und seien Sie umarmt von Ihrem Hadeln." Der zweite Brief war von Eoa von Campe geschrieben und lautete: „Mein lieber, mein theurer Adam! Ich komme beute in doppelter Bedrängniß zu Dir. Einmal ängstige ich mick, weit ich nichts von Dir böre, und doch meine Gedanken stets bei Dir sind, und dann ist mein Herz auch noch mit größter Sorge für mich selbst beschwert. Der alte Gras von der Brede hat vor einigen Tagen um meine Hand angehalten, und meine Eltern dringen nicht nur in mick, ja zn sagen, sondern fordern es geradezu. Schon gab es erregte Scene» zwischen mir und Mama, die namentlich für meine Einwendungen und Bitten kein Obr hat. Ich solle bedenken, welch ein ehrenhafter und angesehener und welch ein begüterter Mann der Graf sei. — Wir wäre» nach Deinem Unglück, meinen die Eltern, geradezu darauf angewiesen, daß Mercedes und ick eine sogenannte „gute Partie" machten und waS noch sonst der Reden sind. — Ach, lieber, guter Adam, waS soll ich beginnen? Ich weiß, waS ich den Eltern schuldig bin, andererseits aber schaudert mir vor dem Gedanken, diesem alten Herrn an- zugebören. Hilf mir! Du bist der Einzige, der eS vermag, obschon ich in meiner Unerfahrenbeit nickt begreife, wie Du mich aus dem Schrecklichen erlösen wirst! Ja, wenn Du noch unser reicher Verwandter wärest! Ein Wort von Dir hätte genügt. WaS Du sagtest, war für unser Haus ein Evangelium! — Jetzt aber ist Alles anders. Schon daß Tu gut und freundlich mit mir warst am letzten Tage, hat mir die heftigste» Vorwürfe von Mama eingetragen. Doch will ich Dick nicht durch diese Dinge auch noch ausregen. Weißt Du, was ich mir ausgedacht habe? Tante Eleonore erlaubt mir, daß ich sie in Horst besuche. Ich würde den Eltern sagen, daß ich die nötbige Ruhe und Sammlung für meinen endgiltigen Entschluß bei ihr zu finden hoffe. Vielleicht ändert sich ja auch mein anspruchsloses Herz. Vielleicht gelingt es Euch, mich zu überzeugen, daß es zu meinem Glück ist — Wo wohnt Ihr jetzt, mein lieber Adam! Noch im Schloß? Wie ist es doch unbeschreiblich traurig, daß Dir Alles ge nommen ist! Lebe wohl! Noch einmal bitte ich inständigst! Verlaß mick nickt und schreibe mir sobald wie möglich unter L. V. postlagernd, Postamt Schillstraße. „Ich weiß, Mama zwingt mich, ihr einen Brief von Dir zn zeigen, und dadurch käme ja an den Tag, daß ich Dir geschrieben habe. Ich küsse Tante Eleonore die Hand und Dick frage ich, hast Du Deine kleine Nichte noch ein klein wenig lieb?" Nachdem Graf Adam das einmal und noch einmal durch gelesen, ließ er sich Papier und Schreibzeug geben und schrieb, geklärt in seinen Entschlüssen, an seine Nichte die nachfolgenden kurzen Zeilen: „Meine liebe Eva! Der Inhalt Deines Briefes hat mich, wie ich Dir wohl nickt zu sagen brauche, tief berührt. Höre, waS ich zu er widern habe. Du willst meinen Rath und meine Hilfe. Mein Rath ist, halte an Deiner Erklärung fest, daß Du keinen Mann beirathen willst, den Du nicht von Herzen liebst Du hast vorläufig nickt« weiter zu thun, als das. Ich rechne darauf, was auch immer erfolgt! Es wird Dir dann auch die Hilfe von mir werden, die Du wünschest. Ich unter nehme gleich Schritte. Aber noch mehr, mein süßes Kind: Es wird noch Alles berrlich werden. Dein Vorschlag, nach Horst zu kommen, würde gut sein, wenn ich nicht hier wäre. So aber wirst Du vergeblich fragen! Immerhin versuche es und schreibe mir. Jeden dritten Tag frage auf der Post nach Briefen von mir! — Drin treuer Onkel Adam."
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