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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950118028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895011802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895011802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
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Noch vor 30 Jahren in einer Gerberei als armer Schreiber beschäftigt, bat er sich, wie das „B. T." erzäbll, durch nie ermüdenden Fleiß im Laufe der Jakre zu einem der ersten Arm «teure des großen SeehandelSplatzeS Havre und zum Präsidenten der dortigen Handelskammer emporgeschwungen. Seit einigen Jahren Mitglied der D e p u t i r t e n k a m m e r, batte er sich in der gemäßigt republikanischen Partei durch sein biederes, freundliches Wesen so viele Freunde erworben, daß man ihn gelegentlich zum Vice- pr äsidenten der Kammer gewählt und in einem der so schnell wechselnden Ministerien zum Unterstaatssecretair der Colonien gemacht hatte. Bor seinem Eintritt in daS letzte Cabinet Dupiiy, das, wie erinnerlich, am 27. Mai 1891 gebildet worden war, hatte er dem Marine-Untersuchungs ausschuß angehört, der damit beauftragt war, die mannig fachen Schäden, die sich in der französischen Kriegsflotte berausgestellt, nachdem sie durch eine mnlbige journalistische Campagne vor aller Welt ans Licht gezogen worden waren, ohne Ansehen der Person zu rügen und, so weit es in der Macht einer parlamentarischen Commission liegt» zu bessern. Zn dieser Commission kamen Faure die Kenntnisse trefflich zu Statten, die er sich als bedeutender Schiffsrheder von Havre in Marineangelegeuhcitcn erworben. Und so geschah eS, daß zum Aerger aller in der Flotte groß gewordenen Bice- und Contre-Aemiräle abermals ein „Civilmarineminister" mit der Leitung der maritimen Angelegenheiten in Frankreich betraut wurde. Als solcher hat er denn sein Amt recht und schlecht verwaltet, nachdem man ihm zuvor das Departement der Colonien, welches bis dahin mit dem Marineamt ver schmolzen gewesen war, zu Gunsten seines Freundes Delcasse abgeknöpft und zu einem eigenen Ministerium ausgcstaltet batte. - Faure's engere Freunde rühmen ihm eine große Liebenswürdigkeit in den äußeren Formen nach, aber sie ver hehlen nickt, das; er ein Mann der kalten Ucberlegnng ist, der sehr wobt im Stande scheint, eine außergewöhnliche Energie zu entwickeln. Als Revner ist er nicht im französischen Sinne brillant, aber sehr klar in seinen Darlegungen und präcis in dem, was er formulirt. Er gilt als einer der jenigen GeschäfiSredner der französischen Kammer, die am meisten das Ohr ihrer College» besitzen, und seine oratorischen Leistungen waren stets, obwohl sie ohne den landesüblichen ciceronianischen Faltenwurf der Phrase einherschritlen, von nachhaltigem Einfluß aus die Abstimmungen der Deputirten. Für die auswärtige und große Politik ist Felix Faure bis zur Stunde ein unbeschriebenes weißes Blatt. Es ist freilich wahr, daß er zu freihändlerischen Auffassungen der Handelsbeziehungen Frankreichs hinneigt, als dies bei den meisten seiner Collcgen in der Kammer der Fall ist, die un entwegt dem schutzzöllnerischen Banner folgen, das der bekannte Herr Meline entfaltet hat. Man darf indessen annehmen, daß der neue Präsident, der unter seinem Vorgänger Perier im Ministerium Lupuy ein Portefeuille angenommen hatte, im Großen und Ganzen die friedlichen Anschauungen thei len dürfte, durch die das Vorhandensein Casimir- Perier'S am französischen Staatsruder zu einer immerhin annehmbaren Friedensbürgschaft für Europa geworden ist. Als Vertreter einer Handelsstadt sind ihm besonders kriegerische Neigungen schwerlich unterzustellen. WaS das Ergebniß der Wabl anbctrifft, so sind aller dings die Hoffnungen der radical-socialistischen Compagnie, ihren Candidaten Brisson auf den Schild zu erheben, nicht in Erfüllung gegangen, offenbar Kat der Schreck über das crasse Spiegelbild der Lage, das Casimir-Perier's Botschaft dem Lande vorgehalten hat, noch einmal mäßigend gewirkt und bat manchen Schwankenden im letzten Augenblick zur Be sinnung gebracht; andererseits darf man gewiß in dem gestrigen Votum des NationalcongresseS einen Protest der bisherigen Regierungspartei gegen die schweren Vorwürfe Casimir-Pcriers erblicken, die ihn, um die Schmach nicht auf sich sitzen zu lassen, widerlegen wollte und formell auch wider legt hat. Aber nur formell, sachlich nicht, denn die Wabl zeigte beim ersten Gange keineswegs eine solche Geschlossenheit derRegierungSrepublikaner — neben Waldeck-Rousseau erschienen Faure,Meliiie,Diipny als Rivalen —, daß der neue Präsident sicher sein könnte, eine festere Stütze in den Freunden der „Freiheit und der Ordnung" zu finden, als sein Vorgänger, zumal da er zweifellos nur der Mehrheit des Senats seine Wahl verdankt, während die große Mehrheit der Kammer für den Radikalen Brisson votirte. Dazu kommt, daß Fanre als ausgesprochener Freihändler die Mehrheit der noch immer schutzzöllnerischen Deputirten schon aus diesem Grunde gegen sich bat. Das Allerbedenklichste aber ist der Umstand, daß Brisson, der am 27. Juni v. Z. gegen Casimir- Perier nur 190 Stimmen auf seine Person vereinigte, die Zahl seiner Anhänger im ersten Mahlgang auf 338 und im zweiten Wahlgang auf 36l anwachsen sah. Das Resultat beweist, daß der Radikalismus in Frankreich in den letzten sechs Monaten ungeheuere Fortschritte ge macht bat. Der Proccß, den Casimir-Perier durch seinen Rücktritt vielleicht beschleunigen wollte und den die Wahl Brisson'ö lhatsächlick be schleunigt hätte, ist also durch Faure's Wahl nur um kurze Zeit gehemmt. Der neue Präsident gehört derselben politischen Rich tung an wie sein Vorgänger, wie Dupuy und Waldeck-Rousseau, nur daß er nicht wie dieser als „Mann des kräftigen Wider standes" gilt. Ihn verfolgt ebenso wie jene der glühende, zügellose, teiue Rücksicht kennende Haß der Radicalen und der Socialisten, die ihm ja gestern schon ren Sturz zu geschworen haben. Sein Programm, das er gestern in Erwide rung der Ansprache des SenatSpräsirenten entwickelte, enthält auch nicht ein Wort, in dem man eine Garantie für eine glücklichere erfolgreichere Tbäligkeit erblicken könnte, als sie Easimir-Pcrier entfaltet hat. Die Hochfluth des Radikalismus wird auch ihn Hillwegschwemmen, denn sie ist in Frankreich nicht mehr auszu- haklen. Die Eigenschaften, die man ihm nachrühmt: Unpartei lichkeit — er will als Präsident völlig über den Parteien stehen und zwischen ihnen vermitteln —, gemäßigte Anschau ungen, Rechtschaffenheit, vollkommene Ehrenhaftigkeit, Cor- reclheit und wohlwollendes Wesen sind sehr achtenS- werthe Eigenschaften, aber mit ihnen staut man den Strom des Anarchismus nicht zurück. Ueberhaupl liegt nicht so sehr in der Person des Präsidenten der Republik die Garantie für eine normale Weitercntwickeluiig der Verhält nisse Frankreichs, als in der Dauerhaftigkeit und Solidarität der gemäßigt-republikanischen Parteien. An dieser aber fehlt cs, und darin liegt die Gefahr. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Januar. Daß der Reichstag den Antrag des CentrumS auf Auf hebung des Iefuitcngcsctzcs in zweiter Lesung annehmen werde, war nach der im verflossenen Jahre gemachten Er- ahrung vorauszusehen. Eine Ueberraschung bereitete aber die gestrige zweite Berathung des Antrags insofern, als er die Bereitwilligkeit nationalliberaler Mitglieder des Hauses zeigte, dem Abg. Nickcrl zu folgen und den tz. 2 des Gesetzes auf zuheben, welcher festsetzte, baß ausländische Jesuiten aus dem Bundesgebiete auSgewiesen werden können, inländischen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten angewiesen werden kann. Dieser Paragraph bildet eine wesentliche Ergänzung des §. 1, der den Jesuitenorden und die ihm verwandten Orden und ordensähntichen Con- gregationen vom deutschen Reichsgebiete ausschlicßl und ihnen die Errichtung von Niederlassungen verbietet. Ohne den tz. 2 ist es unmöglich, einzelnen ausländischen Jesuiten die Ausübung einer den confejsionellen Frieden störenden Tbälig- keit durch Ausweisung unmöglich zu machen und inländische wenigstens auf solche Orte ober Bezirke zu beschränken, wo ihre Thätigkeit jenen Frieden nickt stört. Ohne diesen tz 2 wird das ganze Gesetz ein Messer ohne Griff und Klinge;^ fällt er, so kann der Orden daö ganze Reichsgebiet mit seinen Mit gliedern überschwemmen, sofern sie nur nicht als geschlossener Orden auftrelen und keine Niederlassungen gründe». Cin mit großer Majorität des Reichstags gefaßter Beschluß auf Beseitigung dieses Paragraphen würde wahrscheinlich die ver bündeten Regierungen noch weiter auf der schiefen Ebene drängen, die sie bereits durch ibrenBeschluß betreffs der Redemp toristen betreten haben. ZurAbstimmung über den AntragNickerl ist es gestern deshalb nicht gekommen, weil der Cenlrumsantrag auf Beseitigung des ganzen Gesetzes vorher zur Abstimmung gebracht und angenommen wurde; es wäre zu wünschen, daß der Antrag Rickert bei der dritten Lesung gar nicht wieder eingebrackl würbe. In der dritten Lesung, die jedenfalls noch nicht so bald auf die Tagesordnung kommt, wird die gestern unterbliebene namentliche Abstimmung nachgeholt werden. Die Nationalliberalen beabsichtigen dies zu beantragen. Die Neichstagscommission für die Umsturzvorlage wird voraussichtlich lange Zeit brauchen, ebe sie zum Abschluß ihrer Thätigkeit gelangt. In der gestrigen ersten Sitzung stellte das Centrinn den Antrag, die Sitzungen auf längere Zeit zu vertagen und von der Negierung weiteres Material zu verlangen. Man nimmt an, daß bis zur Be schaffung dieses Materials mindestens sechs bis acht Wochen hingehcn würden. Allerdings wurde der An trag mit 14 Stimmen der conservativen Fractionen und der Nationalliberalen gegen 13 Stimmen des Centrums und der Socialdemokratie abgetehnt und die Weiterberathung am Montag - beschlossen; es scheint aber doch, als ob die Forderung nach Vermehrung des Materials (besonders der strafrechtlichen Bestimmungen anderer Länder) aufrecht er hallen werden sollte. Findet sich, was leicht möglich ist, da gestern für die Weiterberathung auch Gegner keS Gesetzes stimmten, in den nächsten Tagen eine Mehrheit für diese Forderung, so ist nickt abzusehen, wenn das Plenum in die zweite Lesung der Vorlage einlreten kann. Der Beschluß der Budgetcommission des Reichstags, für die Abiturienten der Lchrerscminaric» Vit volle Eitt- jährig-Arciwilligcn-Bcrcchtigung zu verlangen, muß als ein ehr sachgemäßer anerkannt werden. Bei den wiederholten ieichStagSerörterungen über die Behandlung der zu Hebungen eingezogenen Lehrer ist zu Tage getreten, daß viele Lehrer ich schwer in den Dienst und viele Vorgesetzte schwer den richtigen Ton gegen diese Kategorie von Wehrpflichtigen rnden. Der Grund ist, daß sie eben eine Kategorie bilden; eine Schuld trifft im Allgemeinen weder den einen noch den anderen Theil. Nack dem Antrag Kardorff, der die Lehrer nur als Lehrer, nicht aus Grund ihrer nachgewiesenen Bildung zum einjährigen Dienst zulassen wollte, wäre wieder eine besondere Kategorie der ihre Dienstpflicht erfüllenden Lehrer geschaffen worden. Nur wenn der Vorgesetzte es mit Einjährig-Freiwilligen schlechthin zu thun und der Lehrer Grund hat, sich als dienenden Soldaten und sonst nichts zu fühlen, werben die Unzukömmlichkeiten verschwinden, die in der vorigen Reichstagssession ein freiconservativer Ab geordneter mehr noch im Hinblick auf die Popularität der Armee, als auf daS Interesse der Lehrer beklagt hat. Es ist zu wünschen, daß die deutschen Unterrichtsminister nach der einstimmigen Befürwortung durch die Bndgetcommission nicht unterlasse», was ihrem bayerischen College» schon vor fünf Jahren zulässig erschien. Mancher Schulmann mag ja aus technischen Gründen die Einreihung der Lehrer unter die Einjährig-Freiwilligen ungern sehen, aber hier handelt es sich darum, eine Cvnseguenz der allgemeinen Wehrpflicht zu ziehen. Bor einigen Tagen meldeten die „Times" aus Hongkong, die englische Flotte unter dem Oberbefehl des Admirals Fremantle sei nach Japan abgegangen, vermuthlich um den Bewegungen der Japaner zn „folgen". Man kann an Stelle des „vermuthlich" getrost ein „zweifellos" setzen, wenn man die folgende der „Allg. Marine-Corresp." von gut unterrichteter Seite aus Shanghai zugegangene Meldung liest: „Die Bewegungen des englischen Geschwaders im Gelben Meere erregen im hohen Grade die Aufmerksamkeit aller betheitigten Kreise. In sehr wohl unterrichteten Kreisen ist man der Ansicht, Laß der englische Gejchwaderchef geheime Ordres hat, deren Aussührung auch für die europäischen Mächte überraschend wirken dürfte. Seit Wochen kreuzt das englische Geschwader vor der Mündung des Pang-tse-kiang; eine Anzahl von Schiffen deS Geschwaders hat aber in derselben Zeit mehrfach die Chusan- Inseln besucht und mehrere Häfen derselben angclaufen; auch Vermessungen sollen daselbst vorgenommen worden sein. Der Ausenthalt des englischen Geschwaders vor der Bang- tse-MündiUig hat den zugestandenen Zweck, die Japaner an einer Forcirung des '))a»g-tse nud damit an der eventuellen Besetzung Shanghais oder Nangkings zu hindern; es besteht hier aber die Ansicht, daß es sich bei diesem, den Chinesen ebensowohl wie dein englischen Handel erwiesenen Liebesdienst um die Erreichung eines sehr praktischen, greisbarc» Zieles handelt, nämlich um die Be setzung der Ehu jaii-In sein — ob mit oder obne Zustimmung Chinas — und iim Anlage einer Kohlenstation für die englische Flotte daselbst an Stelle des ansgegebenen Port Hamilton." Die Cbusan-Inseln liegen vor der Bucht von Hang Ckau, südlich von der Mündung des Aang-tse, etwa 800 Seemeilen nördlich von Hongkong. — Wenn Rußland den Engländern dies „Fleckchen Erde" gönnt, so werden diese auch jenem nichts in den Weg legen, wenn es die Hand nach guter Beule auSstreckt. Wohin die russischen Wünsche gehen, lehrt folgende Auslassung der Petersburger „Birsh. Wjed": „Wir müßten u. A. uns", schreibt das Blatt, „dessen erinnern, daß der Hasen von Wladiwostok alljährlich für drei Monate zu- sriert, daß aber cin das runde Jahr hindurch eisfreier Hasen am Stillen Ocean nunmehr, wo die gewaltige sibirische Bahn im Enlsteheil begriffen ist, sür uns außerordentlich wichtig und kost bar ist. Die koreanische Halbinsel, die nicht ohne guten Grund das „asiatische Italien" genannt wird, ist allzu reich an solchen eisfreien Graf Jarl. Ibs Roman von Hermann Heiberg. Nachtnick verboten. (Fortsetzung.) Nun begannen die ersten Klänge der Polonaise. Jarl führte Frau Nelly Jung, der Obergutsverwalter Hachmann Comtesse Leonore, der Oberinspektor, ein jüngerer, etwas rothhaariger, schlanker und starkknochiger Mann, mit Namen Klinck, Tessa van Wimpen. Pastors zogen vor, zuzuseben. Fräulein Marxen ging am Arm eines anderen, älteren Pächters. Trotz der vielen Personen vollzog sich Alles in höchster Ordnung und nickt minder stumm und würdevoll. Bei den etwas schwierigen, vom Grafen selbst angeführten Nundgängen entwickelten die Alten und Jungen eine große Geschicklichkeit, und erst als die Paare zuletzt unter den er hobenen Armen der sieben bleibenden Töte durchmarschirten, kam etwas rübrigcS, lustiges Leben in die ruhigen, nord deutschen Menschen. Zuletzt setzten Geigen, Brummbaß und Flöten verletzend laut mit einem Walzer ein, und derselbe Wirrwarr mit Stoßen und Schieben in dem Knäuel der Tanzenden entstand, der von einem Bauerntanz unzertrenn lich ist. Bier, Limonade und Punsch wurden sodann von Peter Hunck und der übrigen Dienerschaft hcrumacreicht, und endlich trat auch jene volle Hingabe an sorglose Fröhlichkeit cin, die solchen Festen den eigentlichen Reiz verleiht. Ueberall war Graf Jarl, schwatzte hier und dort, er kundigte sich nach Haus, Hof und Familie, hörte geduldig weitläufige Reden an oder gab einen Rathschlag, scherzte mit den Frauen »nd faßte den hübschen Mädchen wohl einmal unter das runde, frische Kinn. Alkoholgeruch und Cigarrendampf erfüllten daS Vor zimmer, hinter dem Büffet bantirte ein Schloßmädchen aus der Küche mit riesigen Schüsseln, auf denen belegte Butter- brodc und Kuchen ausgelbürmt waren. Die emsige, flinke Person ruhte keinen Augenblick. Sie schenkte Bier cin, das sie der wartenden Dienerschaft hinübcr- schob, oder schwang den Punschlöffel. Sie wischte ab, oder sah nach dem großen, mit Grün umwundenen Faß, sie reckte sich nach Seideln und Gläsern oder bückte sich nach Thee- brettern und Tellern. Kaum batte sie abgefertigt, als schon wieder neue Antrag steller erschienen, die abermals Flüssiges, Cognac und Selter wasser verlangten. Und schwatzend, rauchend und lachend saßen die alten Bauern und wischten sich nach geschehenem Trunk mit der Außenhandfläcke den breiten Mund, spieen versteckt aus, und hielten hier und da eine dem Büffet zlistrebende Schöne unter neckender Rede an der Hand fest. Ihre Geister erwachten, der Alkohol that seine Schuldigkeit. „Na, Trina? Js diu Wehdag up'n Aftog." „Ja — ja!" bestätigte die Angeredete lustig und wischte die feuchte Stirn. Im Saal war'S stickend heiß, trotz geöffneter Fenster, und triefend standen die jungen Burschen da oder stürzten sich von Neuem ins Gewühl. Ueberall fröhliche, erregte Ge sichter, nur Tessa van Wimpen, eine vornehme Königin unter all diesen, nieist plumpen Menschen, trug ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen. Als Jarl nach lebhaftem Hin und Her sich dem an den Saal stoßenden Gesellschaftszimmer zuwandte, das er für die Elite batte öffnen lassen, und in dem Pompcjus, Hachmann, der Oberinspector Klinck, mehrere andere Beamte und die Damen, Comtesse Eleonore an der Spitze, zeitweilig oder beständig so Platz genommen, daß sie dem Tanz zuzusekauen vermochten, streifte er Tessa, die eben au« dem «saal zurück- kehren wollte. „Ah —! endlich finde ich sogar die Sonne, nachdem ick, vergeblich nach Sternen gejuckt habe!" scherzte er. „Darf ich Sie um einen Tanz bitten, mein verehrtes Fräulein?" Tessa lächelte leicht und verbeugte sich. Graf Adam aber nahm das schöne, schlanke Mädchen in seine Arme und flog davon. Aller Augen richteten sich auf daS Paar. Jart'S Bewegungen waren trotz ihrer raschen Impulsivität von einer vollendeten Ausgeglichenheit, und Tessa folgte jeder Abweichung seiner Führung, als sei sie ein Theil seines Selbst. Dabei strahlten die Augen und Alles verrieth, daß ihr ganzes Wollen »nd Denken in diesem Augenblick nur auf den einen Punct gerichtet waren, diese fröhliche Wonne auszukosten. Plötzlich aber ward Jarl eingedenk, wer mit ihm sich diesem Rausch bingab. Er fand seine Besinnung zurück. So fein war die Linie, die sie trennte, daß ein einziges Wörtlein, eine einzige Bewegung Alles zu offenbaren ver mochte, was beide wie ein schlagendes Wetter durchzitterte. Nachdem er sie an die Tbür zurückgeführt, sagte er in einem leidenschaftslosen Ton und in der ilnn eigenen souverainen, fast eine gewisse Gemüthlosigkeit an den Tag legenden Weise, flüchtig seinen Dank voraussenvrnd: „Jetzt will ick auch die gute Frau Betty einmal an die Zeit ihrer ausgelassenen Jugend erinnern. Freilich, ich weiß, gerade eine Polka ist nickt ihre Passion. Aber was tbul man nicht aus Mitleid sür einen verarmten Edelmann? Nebenbei gefragt, Fräulein Tessa, Kat sie sich schon entschlossen, einen Cursus bei mir zu nehmen ? Denken Sie sich die gute kleine Fra» Betty mit den ersten Kinder-Fingerübungen am Clavier beschäftigt. Ein Anblick für den ganzen Olymp!" Tessa lachte gezwungen. Sie schien mit ihren Gedanken weit fort zu sein. Nun führte er sie in das Gemach zurück, und wenig später dnrchmaß er, sich eines schweren Mehlsackes erinnernd, den er kürzlich in der Packthosmühle hatte liegen sehen, mit Frau Betty Halberts, geborene Kück aus Schrankendorf, den eben besonders stark gefüllten Saal. „Vortrefflich! Vortrefflich! Und Dank für die große Ebre, Frau Betty!" erklärte Graf Adam, zugleich dem humorvollen Hachmann mit einer kleinen spöttischen Miene zublinzelnd, während er die stöhnende Frau Betty auf das steife, mit rothem Damast bezogene Sofa niedergleiten ließ. Nachdem ein paar Stunden später im Gesellschaftszimmer die Herrschaften ein Abendessen eingenommen batten und da durch die herrschende würdevolle Ehrbarkeit einer freieren Auffassung Platz gemacht hatte, fragte Graf Adam Tessa, ob sie Lust verspüre, in der herrlichen Sommernacht eine Um schau von dem Schloßthurm zu halten. Peter Hunck solle Lichter in die Durchgangsgemächer und aus die Tburmtreppe stellen. In einer kleinen Viertelstunde sei Alle« geschehen. Er werde Frau Betty'S Erlanbniß dazu einhvlen. „Draußen begeht der Mond ein still prangendes Hochzeits fest mit der Erde, — eS ist wundervoll! Ich glaube, cs wird Sie nicht gereuen!" Tessa nickte bereitwillig. Bald darauf nahmen sie den Weg durch die oberen, dicht- verbangenen Gesellschaftszimmer, und der Blick des jungen Mädchens siel beim Vorbeischreiten auf die schönen alten Möbel und Seltenheiten, die hier seit dem Tode des Grafen ihr einsam kostbares Dasein vertrauerten. Erst eine neue Schloßherrin batte das Alles wieder dem bellen Licht zum Gebrauch und Ergötzen froher Menschen erschließen sollen. — Dann gelangten sie auf einen großen, mit Familien gemälden besetzten Flur, und Graf Jarl öffnete eine dem Corridor gegenüberliegende, unsichtbar in die Wand eingelassene Tbür, durch welche man an einem Weiß und Gold bemalte Treppe mit originell durchbrochenem Geländer gelangte. Sie führte zum sogenannten Uhrzimmer in einen der an die Hintere Schloßsront sich anlebnenden, mit stumpfen Dächern und Plattformeii versehenen Thürme. „Nun erschrecken Sie nicht!" hob Graf Adam, zu Tessa gewendet, an, nahm Peter Hunck, der sich ihnen auf dem Flur aiigeschlossen, die Lampe ab und führte seine Begleiterin in einen großen gewölbten, mit alten, schweren, geschnitzten Möbeln und hohen Lehnstühlen versehenen Raum, aus deren steifen Lederrücken bunte Wappen hervorschauten. Nachdem Peter Hunck sich zurückgezogen und die Thür hinter ihnen geschloffen hatte, zog Gras Adam einen Vorhang von der Mittelwand zurück und ließ daö Lickt der hock- erbobenen Lampe auf Das fallen, was dieser für gewöhnlich den Blicken verbarg. Dieselbe Tburmubr, die nach draußen ikr gewaltiges Zifferblatt binanskebrte, wandte hier dem Beschauer ein zweites von einer solchen unheimlichen Eigenart zu, daß Tessa unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Ueber der mit Zeiger und Zahlen versehenen Scheibe war eine halbnackte Mobrin gemalt, deren Augen mit gespannt ent schlossenem Ausdruck auf den Kopf eines sprungbereiten Löwen gerichtet war. Jbre in einem scharfen Weiß schwimmenden und gegen die dunkle Farbe deS Körpers »in um so unheimlicher ab- stechenden Augen, aber auch die deS blutdürstigen Raubthieres gingen, durch einen Mechanismus in Bewegung gesetzt, fort während rollend bin und her. Und gerade hier in der einsamen Abgeschiedenheit des ThurmgemachS wirkte dieses bald tobte und bald lebendige Leben, gehoben durch den ernst gemessenen schweren Pendel- scklag der Ubr, deren kalter Mund sagen zu wollen schien: „Ich sebe und köre Alles, aber eS berührt mich nicht. Ich tbiie unbeirrt und gefühllos meine Pflicht", faScinirend auf Phantasie und Sinne. In solcher Weise auch berührt, schritt Tessa neben Graf Adam die letzte, von eineiK kleinen Vorflur binaufstrebende Tburmtreppe empor, in deren schießschartenartige Vertiefungen ebenfalls von der Dienerschaft Lickter gestellt waren. Oben angelangt, hob Graf Adam selbst mit ei
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