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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950122021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895012202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895012202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-22
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Die Erhöhung wird damit erklärt, daß der Branntwein, welcher das wichtigste Rohmaterial der Aether- erzeugung bildet, jetzt durch die Berbrauchsabgabe mit mehr als 80 .äl für 100 1 reinen Alkohols belastet ist, während er zu per Zeit, als der Zolltarifsatz festgesetzt wurde, mit etwa 16 ^ für den Hektoliter reinen Alkohols besteuert war. Mit dieser Belastung — nur der Schwefeläther unterliegt als zum menschlichen Genuß untauglich der Ber brauchsabgabe nicht — ist die deutsche Industrie gegenüber c>er ausländischen, die zoll- und steuerfreien Branntwein ver arbeitet, im Jnlande nicht mehr lebensfähig; die Einfuhr ist seit der Einführung der Berbrauchsabgabe kolossal gestiegen. Las Mißverhältnis wonach zum Schaden eines wichtigen heimischen Gewerbes ein hauptsächlich aus Branntwein be reitetes Product erheblich billiger eingeführt wird, als Brannt wein selbst, wird durch den vorgeschlagenen Zollsatz beseitigt. Daß Parfümerien getrunken werden könnten, hat der Gesetz geber, was wohl sehr verzeihlich ist, nicht vorausgesehen und deshalb den für die Herstellung von Parfümerien erforderlichen Branntwein von der Berbrauchsabgabe frcigelassen, obwohl die Denaturirung des bei der Fabrikation von wohl riechenden Gewässern verwendeten Spiritus aus technischen Gründen unmöglich ist. Nun aber hat sich herauözestellt, daß säst alle fertigen Fabrikate, die billigen erst recht, trinkbar sind. In einzelnen Bundesstaaten wird auch mit Rücksicht auf diese Eigenschaft die Berbrauchsabgabe erhoben, in anderen nicht — eine Ungleichheit, die gerade der soliden Fabrikation zum Nachtheil gereicht. Der BundeSrath hat aus diesem Grunde und im Interesse der Reichöcasse die Wiederherstellung des Zustandes, wie er vor 1887 bestanden, in Aussicht genommen, d. h. die allgemeine Aushebung der Steuerfreiheit für zur Parsürmerie-Erzeugung verbrauchten Branntwein. Da jedoch auch hierdurch die inländische Industrie gegenüber der aus ländischen benachtheitigt wird, schlägt der Entwurf vor, den Zoll auf ausländische Parfümerien, soweit sie alkohol- oder- ätherhaltig sind, soweit zu erhöhen, daß er dem Zoll für Branntwein gleichkommt. Es werden dadurch hauptsächlich sehr feine Parfümerien (englische und französische) getroffen, und deshalb wird der Reichstag wohl dieser Con- scquenz der Aufhebung eines Privilegiums für die Erzeuger und Trinker von Schnäpsen mit künst lichem „Aroma" zustimmen. Flüssiges und con- sistentes Cacaoöl (Eacaobutter) ist jetzt, wenn es in Fässern eingeht, mit einem Zoll von nur 0 .L für 100 kg belegt; die im Julande hergestellte Eacaobutter trägt dagegen ungefähr das Fünffache dieses Zolles, da bei der Berarbeitung des (mit 35 ^ zollpflichtigen) rohen Cacaos ein durchschnitt licher Materialverlust von 22 Procent cinlritt. Zur Behebung dieser Ungleichheit wird die Erhöhung des Zolles auf 45 ^ vorgeschlagen, während die Hauptconcurrenzländer Frankreich und Spanien 135 Franken beziehungsweise 100 Pesetas erheben. Der Entwurf legt sich diese Mäßigung im Interesse der heimischen Chocoladefabrikation auf, welche bei der Herstellung billiger Fabrikate einen Zusatz von Eacaobutter nicht entbehren kann. Eine erhebliche Ver- lheuerung der Chocolade soll nach der Begründung von der Zollerhöhung nicht zu befürchten sein; sie würde nur für Chocolade mit weniger als 40 Procent Cacaomasse eintreten, da für Waare von größerem Gehalt Eacaobutter in der Regel nicht verwendet wird. Große technische Fortschritte lassen eö nach der Begründung nothwendig erscheinen, den Zoll auf Baumwollensamenöl von 4 ^ auf 10 pro 100 KZ zu erhöhen. Bei der Tarifreform von 1870 diente dieses Oel noch vorwiegend oder ausschließlich technischen Zwecken, aber schon im Jahre 1887 wurde seine Gleichstellung mit anderen Speiseölen von der Regierung vorgeschlagen, da es durch vervollkommnete Rasfinirung zu dieser Verwendung tauglich gemacht werde. Der Reichstag lehnte damals die Aenderung ab, hat aber inzwischen von sich aus die Frage der Erhöhung in einer Resolution wieder angeregt. Das Baumwollensanrenöl wird heute zu den feinen Speiseölen gerechnet und namentlich bei der Herstellung von Kunst- butter und zur Conservirung von Fischen gebraucht. Es drückt dadurch auf die inländische Industrie, welche den Zoll auf Erdnüsse, Mohn und Sesam' zu tragen hat und, wie die Begründung bemerkenswerther Weise hervorhebt, unter der zollbegünstigten Einfuhr von Baumwvllensamenöl um so mehr leidet, als ihr auS der vertragsmäßigen Herabsetzung des Olivenöls ohnehin eine Schädigung erwachsen ist. Der Entwurf schlägt für das so rasch zur Veredelung gelangte Product die Gleichstellung mit anderen eingeführtcn Speiseölen vor, setzt aber für rohes oder nur unvollständig gereinigtes Baumwollensamenöl den Zoll von 4 ^ auf 3,50 herab, um die Seifen industrie, für die dieses Oel ein wichtiges Material bildet, für die Kosten der Denaturirung zu ent schädigen, welche die Voraussetzung der niedrigeren Verzollung bildet. Zur Beseitigung von Zweifeln, welche durch die Handelsverträge mit Oesterreich und Italien her- vorgernfen sind, ändert der Entwurf zwei Positionen, womit festgestellt wird, daß „Maaren aus unedlen Metallen, mehr oder weniger vergoldet oder mit Gold oder Silber be legt", mit 175 ^ für 100 Icg und nicht mit 200 .L zu ver zollen sind. Natürlicher ausgelassener Honig und künstlicher Honig sollen künftig dem für Zucker fest gesetzten Zoll (36 .L) unterliegen; für Honig in Waben bleibt der bisherige Satz von 20 ^ bestehen. Schließlich will die Vorlage eine bedenkliche Bestimmung des Zolltarifs über die zollfreie Einfuhr von Bau- und Nutzholz für die Bewohner und Industrien der Grenz bezirke beseitigen. Diese Bestimmung ist, soweit sie sich auf die Industrien der Grenzbezirke bezieht, bisher nur aus solche Anlagen angewendet worden, welche bei der Zolltarif reform von 1885 bestanden, und auch auf diese nur in dem Umfang, in welchem sie vorher direct vom Walde kommendes, mit Zugtbieren gefahrenes Rohholz ans dem Anslande bezogen batten. Der Wortlaut der Bestimmung rechisertigt diese Einschränkung indessen nicht. Auf die Ein schränkung zu verzichten, verbieten andererseits die Interessen der binnenländischen Holzindustrie und der Reichöcasse. Es wäre ohne sie eine Einfuhr weit über das Bedürfniß der Grenz- bezirksbewohner hinaus nicht zu Verbindern und es könnte sogar der Fall eintreten, daß ausländische Waldbesitzer auf deutschem Boden Sägemühten behufs mißbräuchlicher Ausnutzung der Ver günstigung errichten. Der BundeSrath schlägt deshalb vor, die Zollfreiheit nur für den häuslichen und handwerks mäßigen Gebrauch von ausländischem Holz fortbestehen zu lassen. Mit dem Empfange, den der uugarischc Reichstag dem Ministerium Banffy bereitete, kann dieses zufrieden sein, denn die Mehrheit stellte sich auf die Seite des neuen Cabinets, und nur Graf Apponyi, der Führer der National partei, und die äußerste Linke ^S-apary (liberaler offen eine feindliche Stellung ein, wa) Partei Dissident) sich geneigt Z-igte, L ^ ^ Situation sich zurückzukebren. Es 'st sonnt kta , 6 a-m,dert hat, das- „icht zu Ungunst-,, des ^brnets Banst S ^/liberalen selbe .st nach w.e vor A^ daß die- Parte. angewiesen, und es .,t Uus,.wl selbe eine zuverlaff.ge -stutze se. - Abstimmungen gegenwärtig 214 Abgeordnete, wozu noch ... d.e .w um ' g in' Angelegenheiten, w-lche fnr Ungarn ^ «uö Kroatien gemeinsam gelten, die x. -st; zählt heute L-st- Sink- ; eine Äst lang bewiesen hat. Es kommt demnach nur a die lölscivlin de. Mitglieder der liberalen Parte, an, damit das^.eue Ministerium aus der Budzetverhandlung der noch rückständigen drei ministeriellen Ressorts ungefährdet hervo - gehe; wArend der ersten beiden .PaclamentStage >-ß tu DiScivlin nichts zu wünschen übrig, und d.e Pa.te. Ichicn voll und ganz zu empfinde.., welche Vttantwortl.ckke.t aus ihr ruht. Bon der Fusion, wie sie der Banns von Croat.en im Handumdrehen zu Wege bringen wollte, .st vorläufig „ich?mehr die Rede, für die Wiede.ve.einiguiig imt L-n dre. Dutzend Szapary-Liberalen aber scheine., die Chancen nicht ungünstig zu stet en; sie wäre freudig zu begrüß«., denn ... ih? läge d?e beste Garantie für die Dauer des M.n.lt-r.nmS Banst.' und der liberalen Parte., deren Pr.nc.p.en sie nicht im Mindesten alteriren würde, da nach Annahme des Restes der Kirchengesetze Differenzpnncte zwischen dem Stamm de. Partei und der Szapary-Gruppe nicht mehr vorhanden sein werden. Der Regierungswechsel in Frankreich hat auch im Vatikan peinliche Ueberraschung hervorgerusen. Die Nach richt vom Rücktritt Casimir-Pcrier'S ist dort mst tiefem Be dauern ausgenommen worden. .Man hatte seinerzeit," so schreibt ein mit vatikanischen Kreifen in Fühlung stehender römischer Berichterstatter, „als der Congreß nach der Ermordung Carnot's Casimir-Perier an die Spitze des Staates stellte, dieser Wahl eine hohe Bedeutung für die Sache des Conservativisnu.s beigelegt. Man erblickte hier.,, e.nen Sieg der Politik der Mäßigung und Herr Casimir - Per.er personificirte in den Augen des BaticanS die Principirn lenes neuen Geistes, den Herr Spuller verkündete, mit anderen Worten die Grundsätze einer toleranteren und wohlwollenderen Haltung gegenüber den gläubigen Katholiken. Herr Casimir-Perier an der Spitze Frankreichs erschien den. Batica.. als eine Bürg schaft dafür, daß die scharfen Feinseligkeiten gegen die Kirche, welche die Politik der Republik während der letzten Jahre gekenn zeichnet hatten, nicht fortgesetzt werden sollten. Unter Liesen Umständen muß der Rücktritt des bisherigen Präsidenten a>s ein harter Schlag für den ConservativiSmus n. Frankreich an gesehen werden, und es ist kein Wunder, wenn man von einem „Bankerott des neuen Geistes" spricht. Zieht man ferner in Betracht, daß die Beziehungen zwischen den. Vatican und Frankreich infolge mancher Umstände von ihrer früheren Wärme eingebüßt haben, so muß man zu der Folgerung gelangen, daß der Rücktritt Casimir«Perier's nicht unwesentlich zu einer weiteren Erkaltung dieses Verhältnisses beitragen kann. Ueberhaupt muß der immer beunruhigender hervortretende Mangel an Stabilität in dem republikanischen Regime Frankreichs auf die Ansichten und Gesinnungen des Papstes bezüglich dieses Staats- 89. Jahrgang. Wesens einen ungünstigen Einfluß ausüben, und es ist unausweich- lich, daß die Stellung, welche Frankseich in der Auffassung der vatikanischen Kreise entnimmt, durch den neuesten politischen Wechsel „ Paris eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung erfahre." Wir halten die „Trübung des Verhältnisses" für eine nur vorübergehende Verstimmung, die der nüchternen Er wägung, daß daS Papstthum Frankreich noch immer „braucht", sehr bald weichen wird. Der h. Vater hat mit dem Nepubli- kanismuS paktirt, er wird eS auch mit dem Radikalismus, waS freilich nicht auSschließt, daß der KleruS in Frankreich im Geheimen eifrig an der Restaurirung der Monarchie arbeitet, von welcher der Souverain ohne Land sich werth- volleren Dank erhofft, als von kurzlebigen Präsidenten von Volkes Gnaden, die gezwungen sind, mit der mächtigen kirchen- feindlichen Strömung des atheistischen Frankreich zu rechnen. In Griechenland herrscht tiefgehende Erregung. Es werden Nachrichten im Auslande verbreitet, König Geor- gios gedenke abzudanken, doch wird den alarn.irende» Gerüchten officiell widersprochen, auch von deutschofficiöser Seite. Gewiß ist, daß sich gegen Thron und Regierung eii. Gewitter zusammenzieht, das verhängnißvoll für beide werden kann. Ununterbrochen finden Volksversammlungen statt, die sich meist gegen die vom Ministerium vorgeschlagencn neuen Steuern richten und bei denen die Erbitterung über die ungünstige geschäftliche und landwirthschafl- liche Lage zum Ausdruck kommt. Darin findet die Opposition ihre Nahrung, aber auch in dem Stolze der Griechen, der es nicht verwinden kan», daß das Helleuenreick' seit seiner Bankerotterklär.i.ig alle Lichtung deS Aus landes verloren hat und in der Geldgier, die sich sehr be scheiden muß, seit das Goldagio bis auf 87 gestiegen ist. Von alle.. Seiten sind Vorschläge zur Rettung des „bedrohten Vaterlandes" ausgetaucht; jeder aber geht nur auf Ver kürzung der auswärtigen Gläubiger auS, und auch TrikupiS versucht in seiner AntwortSuote an Deutschland, Frankreich und England nicht einmal eine Bemäntelung, um das fernere Nichtzahlei. zu beschönigen. „Nennen wir, schreibt die „Vosfische Zeitung", die Dinge beim richtigen Namen: So lange Griechenland Credit hatte, wurden Anlehen für alle mög lichen wirthschastlicken Zwecke ausgenommen. Diese Gelder wurden zum großen Theil unterschlagen und gestohlen, wie die Millionen jür den Bau der PiräuS-Larissa bahn. An den Lieferungen bei Bahn- und Caual- bauten, für Kriegs- und SchiffSbauzwecke verdienten viele Leute Geld, — daS ist plötzlich abgeschnittcn, daher die große Unzufriedenheit in allen Kreisen. Der Bauer aber, der plötzlich höhere Steuern zahlen soll, um die Betrügereien der ofsiciellen Kreise auszugleichen, wird sich seiner Macht bewußt, und er wehrt sich mit allen Kräften gegen eine Schröpfu..g in dem Augenblicke, wo eS ihm ohnedies schlecht genug geht. Ta nützen alle Beschönigungen nichts: Griechen land steht vor einer schweren StaatSkrisiS, und eS ist mehr als zweifelhaft, ob die Regierung den entfachten Brand noch wird dämpfen können." Wie viel die Marineliebhaberei des Königs, die große Summen verschlungen hat, an dem Elend der griechischen Staatsfinanzen mit Schuld ist, mag hier ....untersucht bleiben, denn diese Ausgaben, so überflüssig und Uber daS Maß hinausgehend sie waren, haben den Ausschlag für die finanzielle Peripetie nicht gegeben. Osficiös wird versichert, daß die Dinge gar nicht so schlimm ständen und daß das Ministerium sich in seiner Stellung schon wieder befestigt fühle; denn die Kammer sei gestern, trotz Ab- sentirung der Opposition, beschlußfähig gewesen. Was cS mit dieser Beschlußfähigkeit auf sich hat, zeigt der naive Zw satz der osficiösen Meldung, die Sitzung sei sofort ge schlossen worden. Daß die Censur die Absendung von Frirrlletoir. Graf Jarl. 181 Roman von Hermann Helberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Man sagt, daß viel zu viel gesprochen werde, eS bringe das Reden daS meiste Unheil in die Welt. Aber wie jedem Uebel, zu... Trost, noch ein größeres gegenübergestellt werden kann, so anch hier. Wenn das alles lautbar würde, was jeder für seinen Theil in sich unterdrückt, welcher Lärm würde rann erst in der Welt entstehen, wie viele Geister würden sich entfremden, wie viele Herzen sich verwirren! Auf Horst — es war der Tag vor Jarl's Fortgang — befanden sich zwei Menschen, die auch die Fülle dessen, waS sie bewegte, zu... Heil für sich und andere in ihr inneres ver- schlossen. Sie wollten eS beide; sie standen unter dem Bann ihrer Pflicht. Da, wo Jarl das erste Mal Testa gesehen hatte, saß er beute neben ihr auf der Bank im Pastorengarten, zeichnete mit seinem spitzbeschlagenen Stock Figuren in den Sand und redete GleickgittigeS, vbschon ihm das Herz zum Ueberlaufen voll war. Und er sah auch ihre gezwungene Miene und fühlte, welche Gewalt sie sich anthun mußte, ihre Empfindungen zu verbergen. — Es war, als ob sie drinnen weine, wahrend ibr Mund lächelte. „Erzählen Sie mir, ich bitte, etwas von dem, WaS Sic dieser Tage erlebt haben, Herr Graf!" hob sie an. „Ihnen ist ja jedes Vogels Gesang eine Offenbarung. Wo andere in eine Oede starren, erschließt sich Ihnen eine besondere Welt/ „Zufällig habe ich nichts besonderes erlebt. Ich war aber recht fleißig. Ich habe, als sei ich noch Besitzer von Horst, Rechnungen und Vorlagen revidirt, Inspektionen und Konferenzen abgehalten, Anordnungen getroffen und sonst nach den. Rechten gesehen. ES giebt eben immer viel für jemanden zu thun, der sich selbst überzeugen will, ob alles sich nach dem Rechten vollzieht. —" „Wie geht'« aber Ihnen drüben im Pfarrhof? Wandelt unser guter Don PompejuS, beseligt über eine neue Version von Epheser 4 VerS 5, erhobenen Haupte- im Garten aus und ab? Jst's amüsant oder langweilig zwischen den vier Wänden, und wenn, stört Sie letzteres nicht? „Aber wie kann ich fragen? Jbnen genügt sicherlich der Umgang mit Ihrem eigenen Jcü. Sie sind sich selbst genug! Aeußere Dinge üben aus Sie keinen Einfluß." „Ach! Nein, Sie irren sich durchaus, Herr Graf. Ich liebe Ansehen und Glanz. Ich bin eben ein Weib, und verdiene nichts weniger als Ihre gute Meinung. Ich wollte, ich hätte einen solchen einfach erhabenen Sinn, mir wäre die Veranlagung geworden, mit allem, wie eS eben kommt, zufrieden zu sein. Ich sehne mich dagegen danach, etwas zu erleben, in Verkehr zu treten, das Schöne, was die Welt bietet, voll zu genießen. Ich habe deu Drang, mich weiter zu bilden, ich brauche Nahrung für meine Phantasie, ich muß mich begeistern können. Ich eröffnet«: Ihnen ja schon einmal in dieser Richtung mein Herz. „Dagegen hocke ich hier, und hocke ich in Berlin zwischen poesielosen Wänden und bin gerade im Leben auf Personen angewiesen, die meine Auffassungen, meine Art nicht theilen, ja, sie fast als etwas Verderbliches verurtheilen. „Auch Eduard steht auf ähnlichem Standpunkt. Daß eine Frau zu allererst sich um ihre Kochtöpfe und ihre Hausböden zu kümmern hat, daß sie ein sanft, still im Hause waltendes, keinen Willen und keine Meinung äußerndes, auS lauter dienen der Liebe zusammengesetztes Frauchen sein soll. Ich kann diese Art sebr respectiren, aber sie ist mir äußerst unsympatisch." „Ich glaube, das richtige liegt in der Milte, mein gnädiges Fräulein. Sie sehen auch wohl zu schwarz. Ich bin überzeugt, daß Eduard Ihrer Eigenart durchaus gerecht werden wird. — Seine Mittel gestatten eS ihm ja auch. Frau Betty ist eine recht wohlhabende Frau! Also seien Sie nicht schwermüthig. Wirklich, Sie machen mich selbst melancholisch, wenn ich Sie so unbefriedigt und hoffnungslos sehe. Und nun leben Sie wohl, mein teures Fräulein! Ich reise heute Nachmittag. Wenn daS Schicksal freundliche Laune bat, sehen wir uns noch hier wieder! Es ist meine größte Hvffnnng! Sie bleiben ja den ganzen Sommer? Nicht wahr?" Testa bestätigte stumm, stand auf und schritt neben Graf Adam durch den Garten, dem Pastorenhaus zu. Als sie eS erreicht batten, sahen sie durch daS Fenster Pom- pejuS mit schaumbedecktem Kinn im Sessel auSgestreckt. Vor ihm stand der Barbier, rin Dorf-Original, der mit gerücktem Rasirmeffer und einer Miene, al- sei eine chirurgische Opera tion auf Leben und Tod vorzunehmen, vor dem Pastor stand. Nun eben setzte er die scharfe Schneide an die Wange» seines Schlachtopfers! Es war herrlich anzuseben! „Da ist Musik darin!" so lautete des Baders ständige Redensart. ck Schon seit acht Tagen befand sich Gras Adam in einer von ihm in der Nähe der Linden in Berlin gemietheten Woh nung. Zwar doppelte Dienerschaft besaß er nicht mehr. In. Stalle scharrten keine edlen Pferde, aber die Gemächer, die er bewohnte, boten genügende Bequemlichkeit, und Peter Hunck, das gute Dorfkind, war wie früher, eifrig dienend, um seinen rätselhaften, lebenslustigen Herrn. Nun eben batte er ihn. — es war VormittagSzeit — ein von einem Boten gebrachtes Packet eingehändigt, das ein Käst chen mit den neuen Visitenkarten enthielt. „Lies, neugieriger Mensch, und mache einen vergnügten Luftsprung!" rief Graf Adam und reichte Peter Hunck ein Exemplar. Und: „Adam Jarl Musik- und Gesanglebrer. Krausenstraße 75, II Treppen" las der Alte seufzend und konnte nicht Unterlasten, die schüchterne Frage zu wagen, weshalb sich sein Herr auch noch des Grafent.tels entäußert habe. „Titel und äußerer Rang thun'S nicht, Freund. Darauf legen nur die klein veranlagten Geister in der Welt Werth. Immer ist'S ein starker, geistiger Defect, wenn einer wirklich darauf was giebt und namentlich sich deshalb besser dünkt. Auf den Menschen und sein Herz kommt's an. — So, Peter Hunck, und nun laß mal hören, waS die Leute sagen! Es ,st mir ein ausnehmendes Vergnügen, etwas davon zu er fahren. Nun? Nun? Geiiir' Dich nicht! Heraus damit'" „Ja. wenn der Herr Graf eS denn durchaus wissen wollen: Sce sagen, für den Herrn von Jarl eigne es sich ru geben. Nicht, weil es kein an- stand.ges Gewerbe Ware. O nein! Aber man spannte 'mal keinen edlen Renner vor ein Ziegenfuhrwerk. Es müßte der Wett, und was der Eine könne M-Kl^ndlev". - Zum Beispiel Schneider oder Mehlhandler zu sein —.dadurch mache sich ein Anderer —" "Run — immer vorwärt«, Peter Hunck!" 0°' ^ w r cyt.g finde. Peter Hunck! Uni so mehr macht e« Eindruck us Mich, als es nicht die Leute sagen, sondern weil ich da bekannte Dorfkind aus jedem Wort heraushöre. Pfui, alter Herr! Noch in spätem Alter so zu heucheln, Andere vorzu schieben, selbst nicht den Muth zu haben! Ich will Dir erzählen, waS die Leute wirklich sage». Entweder ist der Graf Jarl ein wirklicher Narr, oder er hat seinen Verstand, will aber durchaus von sich reden machen. Jedenfalls wollen wir nichts mit ihm .»ehr zu thun haben. Das geben sie denn auch als Grund an. In Wahr heit isl's ein anderer. Sie denken: Was ist bei einem solchen Habenichts noch zu holen? Ja, wenn er noch Geld hätte! Und weil ich das weiß —Wenige, Wenige sind davon frei —, so will ich ihnen auch nicht den Gefallen thun, mich wegen des bischen vornehmen NamenS ferner beachten zu müssen. Der „Gras" hätte immer noch gezogen! Aber ich will nicht! Ick. möchte die Welt einmal in ihrer ganzen Nacktheit sehen, und wer sich dann bewährt — Peter Hunck — der soll mir auf meinem Schloß willkommen sein!" „Ach, Herr Graf, es hat sich ausgeschloßt! Ich sitze bis weilen hinten und weine wie ein Kind. Unser herrliches Horst! Alles dahin! Und früher die Wohnung in Berlin, die sie alle anstaunten, und nun die paar kleinen Zimmer! Keine Pferde, kein Wagen, kein Glanz — kein nichts mehr —. Ich bin ja gewiß ein thörichter alter Mann, aber der Ab stand ist zu groß — ich kann mich nicht bineinsinden." „Gewiß bist Du ein thörichter, alter Mann! Ich habe eS nie bezweifelt, Hunck! Gut, daß Du doch noch nachträglich zur Erkenntnis; kommst. Ich freue mich sehr darüber und werde Dir in Folge dessen auch sicher etwas an- meinen künftigen Schätzen znwenden." Und während er Peter Hunck's spöttisch traurige Miene beobachtete, schloß er: „Sag' mal, entbehrst Du denn etwa«? Hast Du im Ge ringsten weniger, als früher?" „N—ein — nein — das nicht —! WaS ich —" „Na, was willst Di. denn?" . «Herr Graf wissen wohl, daß ich an mich gar nicht denke. Mich können Sie zwischen zwei Knicke in Horst setzen. Ich komme schon durch und bin zufrieden. Aber Herrn Grafen« Zukunft — an die denk' ich. Herr Graf werden »och Augen machen, wir die Leute sind, wenn man nichts vorstellt, nicht« hat, oder gar waS haben will! O Jemine! Wenn Herr Graf wenigstens —* „WaS? Wenigsten«? „Eine reiche Partie machen wollten, dann könnte ja »»ch Alle- einigermaßen werden, vbschon, da-Horst weg ist —*
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