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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950130020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895013002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895013002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-30
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Gestern hat nun eine große Rede des preutztschcn LanSwirthschaftS Ministers Freiherr« von Hammerstein-Loxten im Abgeordnetenhause der DiScussion über die landwirthschaft lichen Fragen ein neues und breites Gebiet erschlossen, so daß voraussichtlich mehrere Sitzungen mit Erörterungen auf diesem Gebiete werden ausgesüllt werden. Die Rede des Ministers dauerte nahezu 2>/z Stunden. Schon der Um fang sichert ihr nach allen Seiten hin die ihr thatsächlich gebührende ernste Beachtung. Man hat es hier mit einer Priucipienerklärung und einem ActionS- programme zugleich zu tbun, daS zweifellos die volle Billigung aller verbündeten Regierungen erfahren bat. Wir theilen daher an anderer Stelle die Rede so ausführlich wie möglich mit. Leider erschwert die große Zahl von Einzel- fragen, auf die der Minister sich gleichsam im Vorbeigehen ein ließ, die Uebersichtlichkeit; läßt man aber diese Einzelheiten bei Seite, so bleiben neben den selbstverständlichen Versiche rungen des Wohlwollens und der Theilnahme für die be drückten Existenzen sachlich werthvollc Grundlinien eines Programms bestehen, dem die (konservativen, wenn es ihnen mehr um Linderung des Nothstanbes, als um agita torische Ausnutzung desselben zu lhun wäre, mindestens ebenso freundliche Aufnahme bätten gewähren dürfen, wie die Mitte des Hauses und die Nationalliberalen sie gewährten. Der Minister ist willens, zunächst die Reform der Zuckersteuer und eine anderweite Vertheilung des Spirituscontingents zu betreiben, er ist geneigt, die Staffeltarife wieder herzustellen, und über die Maßregeln zur Hebung der Getreidepreise behält er sich die weitere Entschließung vor, bis im StaatSralh vor Allem die Antrag steller selbst die Durchführbarkeit des Antrages Kauitz des Näheren dargelegt haben. Glauben, wie es den Anschein hat, die Antragsteller selbst nicht an die Durchführbarkeit, so können sie sich nicht darüber beklagen, wenn der Minister weder leichtgläubiger ist, noch scheinen will. Im Grunde war es also eine Selbstkritik, als die Evnservativen die Auslastung des Ministers über den Antrag Kanitz mit eisigem Schweigen entgegennabmen. Unklug war dieses Schweigen, als der Landwirlbschaftsminister nochmals seiner Neigung für den Ausbau des Canalnetzes Ausdruck gab; er sagte damit nichts Neues, wohl aber hat er gestern mehr als vor vierzehn Tagen auf das Interesse der Landwirtbschaft an den billigen Wasserfrachten Gewicht gelegt. Bei gelegentlichen Abschweifungen auf Nebengebiete mag der Minister in der Form nicht immer glücklich gewesen sein und durch das Vielerlei des Stoffes mochte die sofortigeUnterschcidung zwischen dem dauernd Belangreichen und dem Beiwerk erschwert sein. Das bat vielleicht dazu mitgewirkt, daß der Minister seine Parteifreunde auf der Rechten für den Augen blick enttäuschte, was sie ihm durch Verweigerung aller Bei- fallsbezeugunz entgelten ließen. Ob die eisige Stimmung der Rechten, die auch durch die Redner der evnservativen und der freiconservativen Partei mehr oder minder scharf znm Ausdrucke kam, im Laufe der Debatten sich erwärmt, muß abgewartet werde». Geschieht es nicht, so eröffnet sich bei der Entschiedenbeit, mit welcher der Minister seine pro grammatische Erklärung abgab, für die konservativen Agrarier nur die Aussicht auf einen Kampf mit der Regierung, bei dem die mekr aus Besserung ibrer Lage, als auf Agitation bedachten Landwirthe sicherlich nicht auf der Seite der „Kreuz- zeilung" zn finden sind. Ueber angebliche socialdemokratischc Verbindungen mit dein Berliner Hose ließ sich dieser Tage ein Correspondent rheinischer Blätter folgendermaßen aus: „Ganz Berlin, die Ncdactioncn der Blätter und die sonstigen Mitglieder der Presse miteingeschlossen, ist am Sonntag Morgen durch die Sonderausgabe des „Reichsanzeigers", welche die Cabinctsordre des Kaisers »nd die vom Monarchen ver» liehenen Auszeichnungen anläßlich des Geburtstages des Kaisers enthielt, überrascht worden. Ein Blatt brauchte nicht erst den ,. Reichsanzeiger" abzuwarten. Der socialdemokratische „Vorwärts", der neuerdings seine Mit arbeiter in Ministerien und Amtsbureaus aller Art hat, verlegt sich jetzt auch auf das interessante Gebiet der Hofuachrichte», und so konnte ec gleichzeitig mit dem amtlichen „Reichsanzeiger", also am Sonntag Morgen, den Genossen erzählen, was „den lieben Berlinern" bescheert werden wird. Der „Vorwärts" ist wirklich gut bedient. Er weiß, was sürOrden verliehen werden solle», daß z.B. Herr von Köller einen bekommen wird; er weiß, das der Kaiser einen neuen Kunstpreis von 2000 VL stiften wird; er weiß, das; der Kaiser den Berlinern die Standbilder sämmtlicher hohenzollern'scher Fürsten schenken will, daß die ^Standbilder in der Siegesallee aufgestellt werden sollen, daß der Kaiser dies Geschenk aus seiner Privatschatulle stiften will, kurz, er weiß Alles. ES scheint keinem Zweifel zu unterliegen, daß die Nachforschungen nach den Quellen des „Vorwärts" diesmal besonders eifrig werden betrieben werden. An eine Indiskretion etwa durch einen socialdemokralischen Setzer in der Druckerei des „Reichsanzeigers" kau» man nicht glauben; der Gewährsmann des Blattes muß höher hinauf zu juchen sein, und dies geht auch aus weiteren höchst auffälligen Notizen in der letzten „Vorwärts"- Nummer hervvr. Das Blatt erzählt, der Kaiser sei „im Lause des Sonnabends mit Lectüre beschäftigt, auch auf einen Aussatz über socialdemokratischc Jugendliteratur gestoßen". Er habe den anwesende» Herrn von Lucanus gefragt, ob sich gegen diese Literatur nichts thnn ließe, woraus Lucanus versprochen habe, sich mit dem Justizminister ins Einvernehmen zn setze». Das klingt zuerst wie Erfindung, aber die Notiz ist wohl ernster zu nehmen; namentlich nachdem der „Vorwärts" den ganzen „Reichsanzeiger" schon zwölf Stunden vorher hat ausnutze» können. Ein anderes Artikelchen des Blarkes berichtet von beabsichtigten Polizeimaßregelu gegen auswärtige Berichterstatter, und auch hier muß der Gewährs» mann bei Hofe verkehren." Jetzt meldet uns ein Berliner Telegramm, die vorzeitigen Veröffentlichungen des „Vorwärts" beschäftigten gegenwärtig die Behörden aus das eifrigste; zunächst werde zu ermitteln gesucht, an welcher amtlichen Durchgangsstelle ein neuer Vertrauensbruch begangen worden sei. Ist das richtig — was wir vorläufig noch dahingestellt sein lassen, da die betreffenden Veröffentlichungen des „Reichsanzeigers" gar wohl durch einen socialdeinotratischen Setzer dem „Vorwärts" vorzeitig mitgetheilt worden sein können und die Miltheilungen des letzteren Blattes Uber Aeußerungen des Kaisers lediglich aus Klatsch zu beruhen scheinen—, so wünschen wir den Behörden bei ihren ,Nachforschungen mehr Glück, als sie bisher bei ähnlichen Gelegenheiten gehabt haben. Zugleich kommen wir aber aus die Anregung zurück, die wir bereits am 10. d. M. in einem „Acten di ebstahl" überschriebenen Leitartike dahin gaben, den tz. 25,9 des Strafgesetzbuches, welcher lautet: „Wer seines Vortheils wegen Sachen, von denen er weiß, oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer straf, baren Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfände nimmt, oder sonst an sich bringt, oder zu deren Absatz bei Anderen mitwirkt, wird als Hehler mit Gesängniß bestraft" darauf hin zu prüfen, ob er eine Handhabe zur Be strafung der publicistischen Berwerthung von Amtsgeheimnissen bietet, oder ob eine solche Handhabe erst geschaffen werden muß. Zur DiScreditirung des demokratisch entarteten parlamentarischen RcgicrungssystemS baden die letzten paar Wochen mehr beigetragen, als lange Iabre wieder gut zu machen im Stande sein dürften. Griechenland und Frank reich, aber auch Belgien, wiffen von den „Segnungen" des elbstherrlichen Parlamentarismus ein Lied zu singen. Deutsch land ist zu seinem Glück von der Einbürgerung dieser Insti tution in ihrer vollen „Reinheit" verschont geblieben, einen Vorgeschmack dessen, was unser aber andernfalls harren würde, hat das neuerliche Auftreten der „Genossen" im Reichstage für Jeden, der gegen die Zeichen der Zeit nicht absichtlich verstockt ist, in aller Form gegeben. Die wenigsten Umstände machen die Untertbanen des Königs Georg von Griechenland mit dem ihnen einst als heilbringende Panacce angepriesenen Parlamentarismus. Das leichtsinnige Sckuldenmachen, die Comprvmittirung der internationalen Achtung des Staates hätten sie der Deputirtenkammer und den wechselnden Parteiministerien allenfalls nachgesehen, aber daß jetzt der Versuch gemacht werden soll, die Ebbe im Staatsschatz durch schärfere Anziebung der Steuer- sckraube zu beseitigen, und zwar in einem Augenblick, wo die landwirtbschastliche Production Griechenlands infolge des Korinthenkrachs in eine Kalamität gestürzt ist, erregt all gemeine Erbitterung, und es hat ein Petilionssturm an den König begonnen, in welchem er um Rettung vor der Kanimer- Mißwirthschaft anzefleht wird, sei es durch Berufung eines Senats oder auf sonst einem Wege, dem, seine Gangbarkeit vorausgesetzt, es in den Augen des Landes nichts schaden würde, wenn er auch nicht stricte ein Muster von Verfassungs Mäßigkeit wäre. — In Frankreich ist endlich mit Hängen und Würgen das Cabinet Ribot zu Stande gekommen, das aber, kaum geboren, schon den hippokratischen Zug im Antlitz trägt, den ihm die Feindschaft ver Radikalen und Social demokraten ausgeprägt bat. Denn nach dem von den Um sturzelementen in Frankreich angenommenen Felvzugsplane darf der parlamentarischen Republik unter keinen Umständen mehr Spielraum zu loyaler Thäligkeit gewährt werden, und so wird denn auch das Ministerium Ribot trotz aller Augen blicksersolge bei seinem Debüt vor der Kammer, die es lediglich durch seine keineswegs unbedenkliche Initiative in der Amnestie frage errungen hat, nur eine geduldete, eine Sckeinexistenz fristen, bestenfalls bis zur Erledigung des Budgets, um dann mittels der bekannten MißtrauenSvotirung in die Versenkung be fördert zu werden. — In Belgien endlich Hai jetzt, nach dem der Liberalismus so ziemlich aus dem parlamentarischen Wirkungskreise eliminirt worden ist, die directe Auseinander setzung zwischen Socialdemokraten und Ultramontanen, und zwar gleich mit einer heftigen oratorischen Entladung be gonnen, die nicht ermangeln wird, das ohnehin sehr exponirt gelegene Slaatswesen binnen relativ kurzer Zeit gründlich mürbe zu machen. In allen Fällen aber entpuppt sich der nackte Parlamentarismus immer offener als natürliche Vor frucht entweder des Staatsstreiches oder der Revolution. Die Botschaft des neuen Präsidenten der französischen Republik, Faure, an die Kammer ist ein neuer Schritt vorwärts auf der jäh abschüssigen Babn, auf welcher sich das französische Staatswesen befindet. Im Gegensatz zu dem charaktervollen Casimir-Perier will Faure ein Präsident ohne alle persönliche Meinung sein und läßt sich zu einer Schmeichelei dem souveränen Parlament und Volk gegenüber herbei, die nach außen hin geradezu abstoßend wirkt. Was hat nur, das ist der Sinn seiner Botschaft, der hypochondrische Casimir gewollt, als er der parlamentarischen Republik alle Lebenskraft absprach? In Frankreich steht ja Alles so gut, wie man es nur wünschen kann. Euer Präsident war ein einfacher Arbeiter, ein arbeitsamer Franzose bat er es soweit gebracht, daß er im Elysöe wohnt. Stürzt ein Präsident, tonimt gleich ein neuer. Alles geht aus gezeichnet, die Parteien haben nur den einen Gedanken, dem Volke zu nützen, die starke Armee und Flotte gestatten sogar den LuxnS einer frostigen Verbeugung vor dem Frieden und Freund Zar ist uns immer noch gewogen, wenn wir uns auch manchmal etwas antizarisch geberden. Seid nur arbeitsam, einträchtig und versöhnlich, eines Weiteren bedarf es nicht. Das ist eine Musterbotschaft ganz nach französischem Ge schmack,die durch kein Wort eine wirkliche,bestimmte undeigeneAn- sicht über die politischen Geschicke der Nation verräth. Die gesuchte Naivität der Botschaft hat aber einen leicht erkennbaren Zweck, und zwar den: die Präsidentschaft Perier'S, dieses Unglücksraben, als eine traumhafte Episode hinzustellen, die man als ausgelöscht aus der Geschichte der Republik betrachten könne. Es bleibt Alles beim Alten, erst recht beim Alten, trotz Casimir-Perier's, des „Königs von Anzin"! Casimir-Perier har erklärt, die Präsidentschaft wäre eine conslitutioneüe Fiction. Daraus antwortet Faure: So ist es recht. Die Nation verkündet ihren Willen durch die Vertreter, und diese werden stets in der Negierung treue Mitarbeiter finden. Casimir-Perier hat einen Raum für die Thätigkeit des Präsidenten verlangt, und Faure erwidert, die Kammern und Minister sind die Träger der politischen Gewalt mit Ausschluß jedes anderen Eingriffes. Die parlamentarische Republik in dem Sinne, daß es keine Schranke für ein Cabinet giebt als die Majorität, wird von Faure nicht allein anerkannt, sondern geradezu verherrlicht. Casimir-Perier hat sich darüber beklagt, daß er die wichtigsten Maßregeln erst nach der Veröffent lichung erfahre, und Faure bekräftigt dieses System, indem er die Macht der Minister auf das allgemeine Stimmrecht zurückleilet, welches die Urquelle jeder Herrschaft in Frank reich sei. Die Präsidentschaft, rief Casimir-Perier, ist ohn mächtig, sie hat kein Mittel der Action und Controle! Faure zeigt sich ganz unempfindlich gegen diesen Mangel und be- theuert, er werde sich stets darauf beschränken, über die Ver fassungsgesetze ^u tuschen und ein parlamentarisches Regime zu sichern. Casimir-Perier erblickte in der Hilflosigkeit des Präsidenten eine Gefahr für die Republik. Die Botschaft antwortet, gerade der ruhige Wechsel des Präsidenten habe gezeigt, wie vollkommen die bestellenden Einrichtungen sunc- tivlnren. Man spricht von Meinungsfreiheit, jammerte Casimir- j Pericr, während ein Feldzug der Verleumdung gegen den Präsidenten, das Parlament und die Richter geführt wird. Frankreich, lamet das Echo in der Botschaft, verwechselt nicht vereinzelte Agitationen mit dem unablässigen Streben auf der Babn des Fortschritts. Es lebe der Parlamentarismus 8UN8 plnn8k>, der Präsident ist nur eine Dekoration, nur da, um die Republik zu repräscntiren! — So war eS ja stets in Frankreich; neu ist nur, daß ein Präsident diesen Grundsatz offen ausspricht, ihn ohne Scheu anerkennt und ihn; in aller Form sich unterwirft. Frankreich, sagt Faure, ist und bleibt ein Land, das von Ministern regiert wird, die über eine parlamentarische Mebrheit verfügen. Der Wille der Nation entscheidet! Allein diese Entscheidung hat nur dort einen Werth, wo große Parteien geschlossen sich gegenübersteben; dort ist der Sieg oder die Niederlage eine Kundgebung des Wandels in den Bedürfnissen und Wünschen des Volkes. Wenn jedoch die Parteien politische Zwerg- Frriilletsir. Graf Jarl. 2bl Roman von Hermann Heiberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Sie schaute um sich, sie horchte. Ihr war, als habe sich etwas geregt. Furchtsames Unbehagen, zeitweilig durch die Fülle der Gedanken gebannt, kam von Neuem über sie. Ein starkes Frösteln, des Todes Vorbote, ergriff sie; es rieselte eisig durch ihr Gebein. Jetzt, zuletzt erfaßte sie ein solches fieberndes Schütteln, daß sie nicht mehr Herr über ihre Glieder war. Sie konnte die Qual, die Todesangst nicht mehr ertragen. So erhob sie sich denn, kniete mit schlotternden Knieen nieder an der kalten Fluth, betete zu dem Höchsten um Ver gebung und trat nun, den dunklen Mantel abwerfend aus den, mit seinem weißen Geländer-Anstrich hell durch die Nacht glänzenden Steg. Jetzt stand sie am Ranve. Nun ein rascher Entschluß! Nichts Anderes, sagte sie sich, sei dieses Schwanken, als daS unbequeme Gefühl, in eine kühle Fluth zu tauchen, um ein Bad zu nehmen. Nach wenigen Sekunden war ja alles Denken und Empfinden und damit jegliche Qual erloschen. Nur zu einem Entschluß mußte sie sich zwingen. Während sie hinabsprang, mußte sie den Mund öffnen, damit gleich das Wasser sie ersticke — Wenn's doch nur recht tief sein möchte! Nur ängstigte sie die Möglichkeit langen Todes-Kampfes, gar des Miß lingens! Aber wie konnte es mißlingen? Wenn sie rückwärts hinabsprang, den stark zurückgebogenen Körper mit dem geöffneten Munde der Fluth bot, verlor sie jede Herrschaft über sich. Nun also denn! Noch einmal reckte sie den Körper. Herrlich hob sich die bobe Gestalt in dem dunklen Gewand von dem glänzenden Spiegel ab! Dann aber stellte sie sich mit dem Rücken dem See zu, schob sich an den äußersten Rand, warf den Kopf zurück und wollte sich eben hinabschnellen, als plötzlich ein markdurchdringender Mahnruf, Schritte und lautes, beftigeS Hunvegebell in nächster Näbe das todeSgeängstigte Geschöpf sich umwenden und in tiefster Beschämung inne- halten ließ. „Um Gotteswillen, mein liebes Fräulein, Sie hier?" rief Jarl, dem Teffa frohlockend entgegenspringenden und ihr die Hände leckenden Hund eilig folgend, zu ihr hinüber, umfaßte, in ihre Nähe gelangt, sie zart und geleitete die Zitternde, Sprachlose an die Bank, zugleich erklärend, daß ihn Schlaf losigkeit waä> gehalten, baß ihn ein plötzlich ergreifendes, un- erklärbareS Angstgefühl hierher geführt habe. Und als er dann in ihren von den Händen bedeckten Augen vergeblich zu forschen suchte, nur angstvolles, schweres Athmen sein Ohr traf: „So unglücklich fühlten Sie sich, mein armes, liebes Mädchen, daß Sie sich mit so Schrecklichem tragen konnten? Und ich glaubte, Alles habe sich in Jbnen besänftigt, Alles sei nun gut, und Sie selbst gefaßt und zufrieden. Da Sie nicht redeten, mußte ich eS annehmen. O, brechen Sie daS Schweigen! Sagen Sie mir Alles, was Sie bedrückt —" Aber er sprach nicht aus, weil sie plötzlich, von dem Ueber- gewicht all dieser Eindrücke übermannt, zusammenknickte. Und Jarl voll Sorge, aber auch ohne Widerstand, das Blut ferner zu dämpfen, das ihm wild tobend durch die Adern schoß, schlang seine Arme um ihren reizenden Körper, küßte sie leidenschaftlich auf die Lippen und flüsterte: „So seien Sie mein, Teffa, und leben Sie mit mir noch ein langes, herrliches Leben des Glücks und der Liebe! Denn hören Sie: Ich bin Ihnen gut wie keiner Anderen aus dieser Welt, und wenn ich es Ihnen nicht früher sagte, so wissen Sie, weshalb. „Und nun sprechen auch Sie und fürchten Sie nichts! Ich führe Sie durch alle Brandungen, die sich gegen uns erheben! Nun, Teffa, willst Du mein Weib werden — liebst Du mich!?" „Ach, das ist kein Wort, das ist ein leerer Schall gegen DaS, was ich für Dich fühle, Geliebter!" hauchte sie in stöhnender Wonne und durch solche Botschaft erweckt wie vom Tode. „Und nun zuerst so! —" fuhr sie fort, stürzte vor ihm nieder, umklammerte seine Kniee und küßte, Dankworte stammelnd, für Alles, was er ihr gegeben, an neuem Dasein, Glück und Seligkeit, seine Hände wie eine Dienende. Und wieder und wieder mit fluchenden Thränen. Ein solcher Glücksrausch durchrieselte sie, daß sie wie ein fassungsloses Kind an seine Brust sank, als er sie rasch und stürmisch emporbob. Nur ein wiederbolteS, hingehendes Stöhnen, ein: „Ah! Ah, Du, Du —" drang auS ihrer wonnetrunkenen Brust. Ter Mond aber schob sich, in seltsamer Laune, plötzlich hinter schwere, inzwischen aufgezogene Wolken. Die Helle wich, matte Dunkelbeit trat ein und die ibre dunklen Kronen in die Nacht binaufstreckenden Tannen hörten jene« zärtliche Flüstern und jenes Geräusch süßen Kosens, das der Seelen erstes trunkenes Liebeslallen. * » H Als Jarl sich am Morgen erhob, war eS sehr spät. Peter Hunck batte wiederholt an der Thür des Schlafzimmers gehorcht, und auch Brand war mehrfach von seinem Lager am Ofen aufzestanden und hatte seine Schnauze schnuppernd an die Thürspalte geschoben. Da seine Nase ihm wenigstens stets bestätigte, daß sein Herr drinnen sei. beschwichtigte er sich zeitweilig, zuletzt aber hatte er keine Ruhe mebr, begab sich ans Kratzen und ge bärdete sich wie ein ungeduldiger Liebhaber. Endlich öffnete sich die Tbür, Brand wurde geliebkost, und nachdem er an seinen Platz verwiesen war, setzte Graf Adam die Klingel in Bewegung. Eilig und ein wenig besorgt erschien der gute Peter Hunck, glättete aber schnell die Mienen, als er Graf Jarl statt mit verdrießlichen, mit vergnügten Mienen vor sich sah. Nichts war also seinem theuren Herrn geschehen. Im Gegeittheil. Er war voll der allerbesten Laune. „Frühstück fertig, gutes Dorfkind! Sehr schön, sehr schön! So bringe mir den köstlichen, heißen Trank, der unseres Herzens Schläge fördert! Nein, nein, nichts mehr. Aber ich habe etwas anderes! — Gehe gleich einmal zu Thomas Jung und sage ihm, daß er vor mir erscheinen soll. Schnell! Abgeben!" „Kann ich mich ganz auf Sie verlassen, Jung?" hob Graf Adam bei dessen Eintritt an. „Wollen Sie mir in einer Sache, ohne zu fragen und ohne jetzt und später je ein Wort darüber zu verlautbaren, zur Hand sein?" „Schön! — Geben Sie nur die Hand darauf. Und nun hören Sie: „Heute Nacht geht von Föbrde ein Zug nach dem Süden. Um ihn zu erreichen, muß man allerspatestenS zehn Uhr hier abfabrcn. „Ihre Aufgabe ist nun folgende: „Halten Sie um dieie Zeit mit einem geschloffenen Wagen draußen vor dem Dorf am Wegweiser." „Eine Dame wird kommen und einsteigen. Sie fahren sie im schärfsten Trab nach dem Föhrder Bahnhof. Der Zug geht um halb zwei ab. Sir sorgen unter allen Umständen dafür, daß sie wohlbehalten und rechtzeitig mit kommt. Die Halbchaise besorgen Sie sich drüben von Schrankendorf. Geben Sie irgend einen Grund an. Sagen Sie etwa, daß Sie glaubten, daß ich eine Ueberraschung für meine Schwester vor hätte, daß Sie deshalb sich dort Fuhrwerk bestellten. " „Sie können die beiden Schwarzen anspannen lassen." „Aber nun weiter: „Sie nehmen für die Dame und für sich ein Billet nach Berlin und sehen unterwegs danach, daß eS ihr an nichts fehlt, sorgen bei Ankunft in Berlin für einen Wagen und geleiten sie nach Hause." „Wenn das alles geschehen, telcgrapbiren Sie mir nur das Wort: In Ordnung! Dann fahren Sie am nächsten Tage wieder zurück, holen das Fuhrwerk in Föhrde und liefern eS auf einem Umwege wieder ab. Hier haben Sie für alle Fälle hundert Mark. Sie werden mir darüber Rechnung legen." „Sollte irgend etwas unterwegs passiren, so depeschiren Sie mir, aber so, das Sie von der Dame nicht sprechen, sondern einen Männer-Namen wählen. Sagen wir, daß wir die Dame Baron Hadeln nennen. Verstanden —? Ja, ganz gut —! Schreiben Sie sich's ans. Also abgemacht! Ick, danke Ihnen, und nochmals: strengste Verschwiegenheit, Jung!" „Herr Graf können sich unbedingt aus mich verlassen. Ich werde alles zur besten Zufriedenheit erledigen!" Jarl nickte freundlich und Jung entfernte sich. Nachdem er gegangen war, beendete Jarl sein Frühstück und ließ sich für längere Zeit an seinem Schreibtisch nieder. Er richtete einen Brief an Hadeln und setzte auch noch einige Depeschen aus, die er verschloß und an daS Telegraphen amt in Flensmünde Uberschrieb. Ein Reitknecht wurde mit ihnen sofort abgesandt. Nachdem er das alles geordnet, entzündete er, gleichsam, um alles noch einmal besser überdenken zu können, eine Cigarre, lehnte sich zurück, blies den blauen Manch in die Luft, und ergab sich seinem Nachdenken. So, nun war also doch alles so geworden, wie er es nicht gewollt —I Er batte Teffa gestanden, was er für sie fühlte, und sic hatte ihm erklärt, daß sie ihn geliebt habe seit jener ersten Begegnung im Grunewald. In den nur allzu rasch dahin schwindenden Stunden der vergangenen Nacht batten sie ihre Geständnisse ausgetanscht und eben durch sic batte sich die Stärke ihrer Gefühle erhöbt. Sie habe ihm einmal gesagt — batte Jarl prüfend ge äußert — daß sic nicht geschaffen sei, rin rngbrschaulichrs
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