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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.02.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950212021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895021202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895021202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-02
- Tag1895-02-12
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Tabellarischer und Zifferusltz nach höherem Tarif. «rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit he, L!vrgen»«luSgabe, ohne Poitbrsörderung L0.-, mit Postbesvrderung 70.—. ^nnahmeschluß für Änzeizen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmjttag- 4Uhr. Sonn- und festtags stütz '/»S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anreigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck »nd Verlag von E. Potz in Leipzig 79. Dienstag den 12. Februar 1895 89. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Februar. Auch im neuen ReichstagSgebäude gicbt es also, wie gestern festgestellt worden ist, Hände, die nicht davor zurückscheuen, fremdes Eigcnthum, das sie „finden", der socialdemokratischen Presse zur Verwerthung zu über lassen. Die Erregung, die sich des Reichstags gestern be mächtigte, als der Abg. Frhr. v. Manteuffel constatirte, daß ein an ihn gerichteter und dem Herrn v. Plötz zur Durchsicht übergebener Brief des Frhrn. v. Gröbeu- Arenstein von Herrn v. Plötz im Töilettcnraume des Hauses liegen gelassen, dort verschwunden und dann in den Spalten der „Leipziger Votkszeitung" im Abdruck wieder aufgefunden worden sei, ist begreiflich. Herr v. Man- tenffcl und seine Freunde batten freilich Ursache, sich nicht nur über die widerrechtliche Aneignung des Briefes zu ent rüsten, es mußte ihnen auch peinlich sein, daß der Brief überhaupt zur Veröffentlichung gekommen war. Er betrifft die Ersatzwahl im ostpreußischen Reichstags-Wahlkreise Lyck- Oletzko-Johannisburg, die durch den Kampf der conservatiren Agrarier gegen den eonservaliven, aber nicht bundesmäßig agrarischen Oberpräsidenten Grafen Udo Stolberg so interessant wird, und lautet: Arenstein, 5. Februar 18S5. bei Tiesensee i. Ostpr. Mein verehrter hoher Chesl Folgende weitere Entwickelung des Wahl-Tableaus Lyck-Oletzko- Johannisbnrg: Plötz und ich habe» 17. Januar in Lyck die Candi- datur Landrath Groben mit 140 gegen 10 durchgesetzt. Am 19.Januar verzichtete Stolberg zu Gunsten Kullack's, Grüben, trotzdem er am 17. angenommen hatte, dito. Kullack nimmt an — und tritt bald daraus zurück. Stolberg beruft eine Versammlung in Lyck ein, bestehend aus sich, dem Regierungspräsidenten und den drei Landräthen. Diese — sonderbare Versammlung nominirt aber mals Graf Stolberg, dieser acceptirt erneut und wird nächsten Tages (Sd. Januar) durch eine ml doe einberufene Vertrauensmänner- Versammlung der Eonservaliven nominirt. Sie können sich vorstellen, welche Mißstimmung herrscht über dieses Vorgehen. Ich habe historische Darlegung des Falles (ohne ikritik zu üben) an Plötz gesandt — drucksertig zur eventuellen Veröffeytlichung, habe ober ausdrücklich gebeten, vorher Köller vertrauliche Mittheilung von Allem zu machen. — Ich will nicht, daß Köller Unannehmlichkeiten bereitet werden. Da jämmtliche Männer des Wahlkreises, die irgend in Betracht kommen, definitiv abgelehnt haben, mußte ich einen anderen Ost- vreußen suchen. Alle haben mir Korb gegeben. — Borcke-Tolks- dorf »Kreis Rastenburg) nimmt an, trotz Aussichtslosigkeit. Er ist den wenigen treu gebliebenen Führern des Bundes als Landidat geuanut, wird von ihnen acceptirt. Männer, die außerhalb. Ost, preußen wohnen, werden unter keiner Bedingung acceptirt. Es handelt sich nur um die Stimmen, die — wenn der Bund keinen Eandidaten aufstellt — rettungslos Seydel-Lhelchen zufallen. Daher ist keine Freude für die Candidatur. Borcke nimmt diese wenig aussichtslose Sache auf sich. — Nun wird Riepenhausen wiederholt vorgejchlagrn. Dieser ist einsach unmöglich, da er nicht Ostpreuße ist. Ob Plötz noch meine Bitte erfahren wird, zweifelhaft; erscheint sich für Riepenhausen zu erwärmen. Es ist dringend nöthig, daß Stolberg'S unerhörtes, uns alle tief schädigendes Vorgehen dem Minister bekannt werde. — Ich hielt es für Pflicht, Sie zu orientiren. Die Ereignisse werden die Ankunft dieses Brieses überholen. Bitte, unterstützen Sie mich. Tie Furcht wegen Antisemitismus (Borcke) ist lächerlich. Hier heißt es, die äußerste Blamage vermeiden, bitte, helfen Sie, so weit Sie können. Sie kennen Excellenz v. Köller ja näher. Auf Wiedersehen am 13. d. M. Ihr aufrichtig und treu ergebener Grüben. Peinlich muß die Veröffentlichung dieses Briefes dem Schreiber und den Empfängern sein, weil er feststellt, daß wenige Führer des Bundes der Landwirthe diesem die Treue gewahrt haben, noch peinlicher, weil er beweist, daß die Ge treuen von dem Minister von Köller eine Wahl- beeinflussung zu ihren Gunsten erhoffen, und zwar eine Wahlbeeinflussung, durch die Graf Udo Stolberg, der bei dem russischen Handelsverträge die Politik des Kaisers gegen den Bund der Landwirthe zu vertreten gesucht batte, zur Streichung der Segel vor diesem selben Bunde gezwungen werden soll. Auch Herrn v. Köller kann die Veröffentlichung nicht angenehm sein; beweist sie dock, daß man ihm, der berufen worden ist, den unter seinem Vorgänger entstandenen schroffen Gegensatz zwischen den konservativen Agrariern und den übrigen bürger lichen Parteien einerseits und der Regierung andererseits zu mildern und womöglich auszugleichen, eine directe Unterstützung der extremen Agrarier zutraut. Erwird schwerlich umhin können, zu dem Brief auf irgend eine Weise Stellung zu nehmen. Ob der soeben vom Telegraphen aus Königsberg gemeldete Rücktritt deS Herrn v. Gröbcn-Arenstein von der Leitung der Provinzialabkheilung des Bundes der Landwirthe auf eine Kundgebung des Ministers zurückzuführen ist, muß einstweilen abgewartet werden. Auf alle Fälle wird die S o c i a l d e m o k r a t i e auf die durch ihre neueste „Erwerbung" hervorgerufene Klärung der Situtation nicht stolz sein dürfen; noch weniger wird sie diese Erwerbung als Beweis ihrer „guten Verbindungen" rübmen können. Mit Haus- und Abortsdieben, vor denen Niemand sieb schützen kann, ist kein Staat zu machen. Beachlenswerth an dieser neuesten Verbindung der Socialdemokratie ist nur, daß die letztere über die wissenschaftliche Verwerfung deS Privat- eigenthumS hinausgewachsen und in Bezug auf „fremde bewegliche Sachen" zur Propaganda der That über gegangen ist. Der Vertrag, welchen Belgien und Frankreich betr. der Abtretung des Coiigostaatcs geschloffen haben, bestimmt nach dem „Temps" Folgendes: Art. I. Tie belgische Regierung räumt der französischen das Vorkaufsrecht ein betreffs der Besitzungen des Congostaates für den Fall gänzlicher oder theilweiser Veräußerung oder eines Austauschs von Gebietstheilen oder einer ganzen oder theilweisen Verpachtung. Art. II. Belgien erklärt, daß niemals eine kostenfreie Abtretung dieses Gebiets, weder ganz oder theilweise, erfolgen wird. Art. III. Die vorstehenden Bestimmungen erstrecken sich auf das Gesammtgebiet des belgischen Congostaates. Den Schluß des Vertrages bilden Bestimmungen über Grenzen der französischen und der belgischen Besitzungen im Stanley.Pool und einzelne Vereinbarungen über die Gewässer und Inseln zwilchen der Insel Bamou und der nördlichen Linie des Stanley-Pools. Etwaige Differenzen über diese Puncte sollen einer gemischten Com- Mission, die in Paris zusammcntritt. zur Erledigung überwiesen werde». Die Convention entspricht in ihrem wesentlichen Inhalt dem 1884 abgeschlossenen Abkommen zwischen Jules Ferry und dem derzeitigen Präsidenten der Congo-Gesillschaft, Oberst Strauch, sie setzt nur an die Stelle des Contrahenten den belgischen Staat, ans den die Souverainilät des Congostaates nunmehr übergeht. Offenbar ist die Schnelligkeit, mit der die Regierung der Republik darein gewilligt hat, daß ihr Anspruch auf das Vorkaufsrecht (richtiger Vorzugsrecht, da die Acten immer von dem ärciit, cio prekSrenes sprechen) auf den neuen Sou verain, den belgischen Staat, übertragen werde, darauf zurück- daß m... AL'SnL-d'rm -°^>Än,° M. verlaufet». tirtenkammer eingesetzte E des ehemaligen Enquete-Ausschusses beschlossen wurde, s,h befinden stch Socialisten auf eine starke Vertretung geh ff - Mitalieder unter den Gewählten 30 Gemäs.gte und nur 3 ^utgUebe «er -utz.rst-a Lin,-», .D-- U- der Socialist-u, die aus tine Hinaus,lebung. . ^ gehofft hatten, kommen denn auch in..ihren ^^naleii , Ldrucke. Die „Petit- Mpublique^ uberschre.bt ihre Aus- fübrungen mit den Titeln „Die Revanche der ,D.r L-sMungS-u-schub- - .D>- R-,,u»a - Rochesort nennt im „Jntransigeant die. Wahl der ^ unddreißig eine „parlamentarische Comodie und uberschrei seinen Artikel ebenfalls mit den Worten „Raynal >st ge- rettet«. Die radikalen Blätter sind zwar weniger he t.g, aber auch sie verhehlen nicht ihren Mißmuth und deu.en an, die Arbeit werde den CommWren denn doch n'cht ,u leicht gemacht werden, weil die Social,sten-Gruppe sich an- schicke, eine Gegenuntersuchung zu fuhren, und sicherlich Nichts versäumen werde, um Raynal ,n seinem wahren Lichte zu zeigen. Dieser hat ubngens vor E Tagen in der elften Abrheilung ein glanzendes ^a'd°her sur die von ihm im Jahre 1883 "'.t. den E.senbahmGesell schaften abgeschlossenen Verträge gel'-sert. Raynal w.eS nach, daß durch dieselben der Bau von 10 000 Kilometern Eisen- bahnen gesichert wurde, was das Steigen der Rente von ,8 auf 120 Francs zur Folge hatte. Ohne d,e Aversionen hätte der Staat 1230 Millionen u lonäs perckn ausgeben müssen, und heute sei der Staat nur für die Halste dieser Summe mit der Zinsengaranlie belastet, wahrend e,n rollen des Material im Werthe einer Milliarde als Psandobzect vorhanden sei. Endlich hätten die Verträge eine namhafte Herabsetzung der Tarife zur Folg: gehabt. Bis letzt bat die Untersuchung, auch nach Vernehmung des Socialisten Mille- rand'S, von dem man große Enthüllungen erwartete, nichts Belastendes für Raynal ergeben. Spanien kommt nun möglicherweise doch noch um die Frucht seines Feldzugs .in Maratta. Als der außerordentliche Gesandte des Sultans, Sidi-Brischa, in Madrid rintraf, schien Spanien endlich eine Sicherheit zu winken, nach und nach in den Besitz der ihm im Vertrage von Marrakesch zu erkannten Melilla-Entschäbigung zu gelangen; wenigstens war zu hoffen, der jetzige Sultan werde die Ansprüche Spaniens förmlich anerkennen und sich zu Teilzahlungen verpflichten. Die Gewaltthat des Generals HuenteS hat diese Er wartung vorerst vereitelt. Sidr Brischa benutzte den Zwischenfall dazu, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, indem er erklärte, er könne sie nicht früher sort- setzen, als bis er die Antwort des Sultans auf feinen Bericht über den Vorgang beim Hotel de Russie erhalten habe. Vergeblich bemühten sich der Minister des Aeußern und Marschall Martine; Campos in wiederholten stunden langen Besprechungen mit dem marokkanischen Sotsdergesandlen, ihn dazu zu bringen, baß er wenigstens all rekeronäum über die von Marokko verlangten Zahlungsfristen, die Spanien zu bewilligen ja geneigt sei, die Grenzberichtigung und die neu trale Zone ber Melitta, sowie über die Errichtung spanischer Consulate im Innern Marokkos, besonders in Fez, ver handle — Sidi Brischa verblieb bei seiner Weigerung. Es kann daher nicht überraschen, wenn die „Epoca" die Einstellung der Verhandlungen mit Marokko meldet. Es ist nicht un wahrscheinlich, daß dieser der völlige Abbruch und die Abreise des Sondergesandten folgen wird, da man in Fez genau weiß, daß Spanien jetzt, nach dem Zwischenfall mit dem General Fuentes, noch weniger in der Lage ist, seine Ansprüche mir Waffengewalt geltend zu machen, als vordem. Die Gesandten- vcrletzung vor dem Hotel de Russie hat die Stellung Spaniens gegenüber Marokko unverkennbar sehr geschwächt, wie redliche Mühe man sich in Madrid auch gegeben hat, dem Vertreter Marokkos alle mögliche Genugthuung zu geben. Deutsches Reich. ^ Berlin, 11. Februar. In derselben Werkstatt, welche das Schlagwort von der 40-Millionen-Liebesgabe für die Brenner aus den Markt brachte, herrscht rege Geschäftigkeit: es wird ein neues Schlagwort zurecht gemacht, das von vorn herein jeden Versuch einer ander weiten Ordnung im uck er steuerst) stem in Mißcredit bringen soll. In einer Wochenschrift der freisinnigen Vereinigung lasen wir kürzlich bereits einen Brandartikel über „eine Steuerfalle aus Zucker". Da war dem deutschen Steuerzahler vorgerechnet, daß er nicht weniger als 48 Millionen in Zuckersicucr entrichten soll, damit die Länder, wohin wir unseren Zucker absetzen, nm so viel billigeren Zucker genießen können — und daß er 24 Millionen mehr als bisher für den in ländischen Zuckerverbrauch zu Gunsten der Fabriken bezahlen werde, denn so viel müsse der Julandprcis unter dem Zu sammenwirken der höheren Prämie und der höheren Ver brauchsabgabe emporsteigen. Also eine Liebesgabe von 72 Millionen oder, wie zum Schluffe des Artikels geschrieben war, „ein Musterbeispiel dafür, wohin der protectionistische Wahnsinn schließlich führt." — Es erübrigt sich, aus die crasse Rechnung einzugehen; denn eine der wichtigsten Bestnnmungcu des geplanten Gesetzesantrags ist dabei außer Anschlag ge blieben. Die höhere Prämie soll doch nur insoweit bezahlt werden, als die dazu bereit gestellten Mittel reichen, also erstens der Ertrag der Betriebssteuer, zweitens zehn Millionen von dem bisherigen Ertrag der Verbrauchs- abgabe und drittens, was durch die Steigerung der selben um 0 yichr eilskommt. Ein etwaiges Mehr an Exportprämien soll nur vorschußweise gezahlt, bezw. im nächsten Jahre wieder erstattet werden. Doch ist dies, wie gesagt, vorläufig nur eine Anregung, über die der Reichs tag demnächst zu befinden bat, und daß sie verbesserungs- sähig ist, zeigt eine uns vorliegende Ausführung in Nr. 92 der „Berliner Handelszcitung" vom 0. d. Mts. Dort wird für die bevorstehende Behandlung des beabsichtigten Gesetzcs- antrags ganz richtig betont, daß die Contingentirung mit weiteren Vorfichtsmatzregeln umgeben sein muß, wenn sie auch für Zeiten mit wieder erholten Zuckerpreisen wirksam bleiben foll;"und weiter wird dort ebenso richtig betont, daß auf die Erhöhung der inneren Verbrauchssteuer wieder verzichtet werden muß, wenn die Reform ihren Zweck erreicht, o. h. durch allgemeine Zerstörung der Prämienwirthschast auch Feuilleton. Ein Liebesopfer. 81 Von Karl Wartenburg. Nachdruck vrrbolkn. »Fortsetzung.) Immer höber stieg die Sonne, immer wärmer sendete sie ihre goldenen Strahlen herab auf die weiten Flächen, welche die Pleißenstadt umgaben, aus jene breiten Ebenen, auf welchen die großen Schlachten des Dreißigjährigen Krieges und deS deutschen Befreiungskampfes geschlagen wurden. Gottfried dachte freilich, wenn er auf seine» einsamen, sonntäglichen Spaziergängen hinaus nach Möckern oder Conne witz oder Abtnaundorf ging, Wohl nicht an diese weltgeschicht lichen Ereignisse. Seine Erinnerung war an jenem duftigen, sonnenbeglänzten Frühlingstag haften geblieben, an welchem die Liebe zu dem schönen, jungen, blonden Mädchen mit den Vergißmeinnicht augen in fein Herz gezogen, zu dem Mädchen, für dessen LebenSglück er das seiniae geopfert.' ES war an einem schönen Juni-Sonntag, Abends, kurz nach Pfingsten, als Gottfried von einer seiner einsamen Wanderungen zurückkehrte. Er ging nach der Milchballe in der Hainstraße, ließ sich ein GlaS Milch geben und nahm an einem der kleinen Eck tische Platz. Auf der andern Seite saßen zwei junge Mädchen vor einem großen Milchnapf, auS welchem sie Brodschnitte löffelten, hübsche, muntere Geschöpfe. Putzmacherinnen, die in der großen Blumenfabrik von Reichardt in dem Eckhause des Marktes und der Peterstraße beschäftigt waren. Die beiden frischen Blondinen plauderten von Stadtneuig keiten, die sie alle kannten. Gottfried achtete nickt auf daS Geplauder der beiden Putzmacherinnen, bis bekannte Namen an sein Ohr klangen und seine Aufmerksamkeit unwillkürlich fesselten. „Es wird nichts mit der Verlobung?" fragte die Eine erstaunt und richtete ihr von einem Rosabütchen umrahmte- muntere- Gefichtchen mit den, zierlichen NäSchen, da- neugierig in die Welt hinauSsah, empor. „Nein, es ist Alles aus", antwortete die Andere und band ihre blauseidenen Hutbänder fester um daS rosige Kinn, in welchem ein Grübchen schelmisch lächelte. „So ein schönes Mädchen, die Martha Sieler, und so reich — und solche- Malheur!" »Zwei Verlobungen rückgängig", gab in mitleidigem Tone die Rosafarbige zurück. „Da sieht man, daß das Geld es nicht allein macht." „Ach was, daS Gelb", sagte die Blaue und warf dabei das Köpfchen zurück, „das spielt gar keine Rolle dabei, sie wollte sie nicht, weder den schönen Guido, noch den Berliner Bankier. Sie konnte Beide nicht leiden — nicht ausstehen. Uebrigens mit dem Herrn Guido wird die Herrlichkeit bald ein Ende haben, und ich kann es der Martba Sieler nickt verdenken, wenn sie von dem liederlichen Menschen nichts wissen wollte. Ich weiß eS von der Pauline, die wohnt mit ihm in demselben Hause in Reichel's Garten. Früher batte er eine ganze Etage gleich neben Stadt Rom. Jetzt muß er mit zwei kleinen Zimmern fürlieb nehmen. Er soll schreck liches Geld verspielt haben. Hochmuth kommt zu Fall."j Und die kleine hübsche Mvralistin warf einen prüfenden Blick in den schmalen, mit Goldleisten eingefaßten Spiegel, der ihr gegenüber hing. „Was? Martha Sieler hat ihrem Cousin einen Korb gegeben? Dem schönen Guido?" staunte die Rosafarbige und betrachtete dabei ihre kleinen Stiefelchen von braunem gepreßten Leder. „Aus einer schönen Schüssel kann man nichts essen, wenn nichts drinnen ist", sagte die Andere aufstehend. „Frau Schulze, wieviel sind wir schuldig?" unterbrach sie fick selbst. „Und der schöne Herr Guido ist ein Bruder Liederlich, der jedem Mädchen nachläust. Mit der Pauline bat er auch anbändeln wollen, die hat ihm aber schön heimgeleuchtet. — Drei Groschen? hier", und sie legte daS Geld auf den Tisch. „Und was den Berliner Bankier anbelangt, so war das eine Macherei von der Frau Sieler, die ihre Tochter nun mit Gewalt unter die Haube bringen will. Ich weiß es ganz genau. Meine Cousine ist Hausmädchen bei Sielers. Aber nun komm' — Adieu." Und die Himmelblaue wie die Rosafarbige flatterten hinaus, die Hainstraße hinab, hinüber nach dem Wiener Saal, einem damals beliebten Balllocal, iy welchem sich Studenten und hübsche jnnge BürgermLdchen zusammenfandcn. Auch Gottfried erhob sich. — Er taumelte, er war wie betäubt. „Sind Sie krank, Herr Müller?" fragte die Milchfrau. Er antwortete nicht. Wie ein Trunkener trat er hinaus auf die Straße, wo man eben die GaSlateruen anzündete. Martha liebte Guido nicht, hatte ihn nie geliebt? Und diesem Wahn chatte er seine und der Seinigen Existenz, seine Ehre zum Opfer gebracht! Für Martha's LebenSglück hatte er Alles dahin zu geben geglaubt, — und statt dessen war er von einem herzlosen, selbstsüchtigen, liederlichen Menschen benutzt, hintergangen worden? Der Gedanke jagte ihm da» Blut durch die Adern, eS drückte auf sein Gehirn wie mit glühenden eisernen Schrauben, er krallte sein Herz zu sammen, er machte ihn rasend. Dieser ruhige, sanfte, träu merische Mensch war wie umgewandelt. Der schöne Sommerabend hatte Tausende von Spazier gängern auf die Promenade gelockt, zahllose Menschenmassen kehrten von ihren sonntäglichen Ausflügen heim. Gottfried ging achtlos durch daS freudige, summende Menschengewühl, nur immer von dem einen Gedanken be- berrscht: daß Opfer, das Du ihr gebracht, galt nicht ihr! Er umkreiste rubelos, dem Rundgang der Promenade folgend, die Stadt; es wurde zehn, dann elf Uhr. Der Mond stieg am klaren Abendhimmel auf und warf sein silbernes Licht auf die Bäume und das Buschwerk, auf die Dächer der hohen Häuser, auf die alte Pleißenburg, welche schon den Stürmen des dreißigjährigen Krieges getrotzt hatte, und auf die weiten Plätze der alten Lindenstadt. Es war allmählich einsamer geworden, die Spaziergänger hatten sich zerstreut, sie waren zur Ruhe in ihren Wohnungen, oder um in irgend einer Restauration den Sonntag zu beschließen. Gottfried War ans seiner ziellosen Wanderung in der Nähe des Schwanen- teichcs gekommen. Damals war dieser Platz einsamer, wald ähnlicher. Die Schwäne zogen still durch daS sommerlich- blaue Wasser, auf dessen Oberfläche der Mond sein glitzerndes isilberlicht streute, durch die Wipfel der Bäume strich der Nachtwind, zuweilen hörte man den leisen Flügelschlag eines KauzchenS, von denen einige auf den hoh-n Bäumen des Parkes nisteten, ab und zu drang der lustige Sang einiger von der Kneipe heimkebrenver Studenten oder der Pfiff einer Locomotive von dem Dresdener oder Magdeburger Bahnhof herüber. Müde rollten drüben auf der Promenade einige Fiaker nach dem AugustuSplatz. Gottfried war von dem rastlosen Herumirren erschöpft auf eine Bank niedergesunken und starrte, den Kops in die Hand gestützt, zu den Schwänen im Teiche hinüber. ES war Mitternacht vorüber. Der Mond warf sein silbernes Licht auf die Bäume. Hoch über ihnen strahlten klar d,e Sterne am schwarzblauen Himmel, eine küble Nacht luft strich über die Graser und durch die Zweige. Gottfried acklete nicht auf die stumme Schönheit der Sommernacht Sein ganzes Sinnen Har nur von dem einen Gedanken be- ^äuÄ ' bruchlerischer Mensch ge- taufcht, Marthas Ramen Mißbraucht, ihn betroaen bat», Sm° «in W«I. ,m Lau, ,,Eg, d,n». um diesen sanften Naturen wild gährende Leidenschaft Hervor brechen zu lassen. Plötzlich schlägt der Ton einer bekannten Stimme an Gotlfried's Ohr — eine trunkene freche Stimme — er kennt sie sofort. Guido's Stimme, jenes Menschen, der ihn doch so schmählich betrogen hatte. Seine Augen wenden sich nach der Gegend, von woher der Lärm kommt. Sie suchen das Halbdunkel zu durchdringeu und den Verhaßten zu finden. Da biegt er dort an den» Hollunderzebüsch um die Ecke, gefolgt von zwei Zechgenoffen. Der Mond wirst einen Streifen seines Lichtes auf den Psad und Gottfried siebt Guido wenige Schritte entfernt vor sich, den hoben schwarzen Hut tief im Nacken, die Weiße Piquöweste, über die sich eine breite goldene Uhrkette schlingt, aufgeknöpft, starr, gläsern, einen kurzen Stock in der Hand schwingend — so stotpcrte er jetzt vorwärts. „Ich sage es noch einmal", lallte er mit weinschwerer Zunge, „es ist Eine wie die Andere, man muß es nur richtig anfangen." „Bei Deiner Cousine aber bist Du höllisch abgeblitzt", lachte einer seiner Begleiter. Eine haßerfüllte Grimasse erfüllte Guido's Gesicht. „Ich werde es ihr gedenken. Sie ist an Altem Schuld. Heute könnte ich der Compagnon meines Onketö sein, wenn sie gewollt hätte, die —" und er stieß ein häßliches Schimpf wort gegen das junge Mädchen aus. „Schurke", schreit mit wuthbcbendem Tone Gottfried, aus dem Dunkel deS Buschwerks kervortretend und den Anderen den Weg versperrend. Guido hatte das Wort in seiner Aufregung nicht gekört. Er sieht nur plötzlich in« Mondlicht die Gestalt Gottfried s vor sich. In seiner Trunkenheit achtete Guido auch nicht auf das entstellte Antlitz Gottfried's, den seine Begleiter zuerst auch für einen Nachtschwärmer halten. „Ack, der vogtländische Pfarrcandidat, der sich in meines OheiplS Comptoir verlaufen hat", lacht Guido mit jenem Ton der Trunkenheit, der an Blödsinn und Frechheit zugleich erinnert, „nun was treiben Sie denn, baronisiren Wohl? Wir habxn kein Glück mit dem ersten Geschäft gehabt, da- wir zusammen gemacht. Straf mich Gott, wenn Martha an- grbiffen, eS wäre mir auf fünfhundert Thaler Courtage nicht angekommen. Aber sie wollte sticht, die SchneeganS." . „Sie wollte nicht. Und Sie wußten dgS, als Sie von mir das Geld verlangten." Wäre Guido nicht berauscht gewesen, so Hätte er das londerbare verstörte Weser» Gottfried'- erkennen müssen. Aber -Aunkenen sind blind mit sehenden Auaen. . «Freilich wußte ich es", lachte er, „aber Sie hätten ja tonst nicht angebissen und mir da- Gelb gegeben. Ich sah
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