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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.02.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-02-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950218029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895021802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895021802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-02
- Tag1895-02-18
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zug-.PreiS W »« -«»ftrpedtttml oder de» im Stadt« tzetzkk m»d den Bororten errichtete» Aus- gadestele, abaeholt: vierteljährlich^«.^ »et Dtvetmatiaer täglicher Auftell»», ft»O Haut bchü. Durch die Post bezogen für Deutfchluud «uh Oesterreich: vierteljährlich 8.—. Direct» tägliche -reuzbaudieudung i»A Lutlaad: mouatlich A 7.bO korgeu-Lut-ab« erscheint täglich V,7UH^ Lbeud-Au-gabe Wocheutagt S Uhr. Ned«cN-» und Erve-Mo«: Jahaunetgafse 8. Die Lrvrditivn ist Wocheutagt uauaterbroche» »»Ssfuet »« früh 8 bis Abeudt ? Uhr. Filialen: vee» «e»»'t Sartim. habnk Uuivrrsitältsttabe 1, Lautt L-fche. Kathariueustr. 1«, Part, und König-Platz 7, Abend-Ausgabe. nmigerTaMatt Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschiiftsverkehr. A«zeige«-PreiS die Sgespaltme Petitzeile 20 Wß. ( Gteelameu unter de» Redactiontftrich («ga» fpolteu) bO-4. vor dea Familieunachrichte» lS grjpaltra) 40-ch. Größere Schriften laut unserem Prait« »erzeichuib- Tabellarischer und Ziffrrnsatz »ach höherem Tarif. «r1r,-veil«se» (g-falzt), u,r »it de, Morqrn.Slutgabe, ohne Po,lhest)rderung 80.—. mit Postbefürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Nbrnd-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Sonn- und Festtags früh V,8 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein« halbe Stunde früher. U»teige» sind stets an die Ggpetzttt»» zu richten. Druck und Verlag von T. Pol» ft, Leipzig SV. Politische Tagesschau. * Leipzig. 18. Februar. Da- Plenum des Reichstags hat am Sonnabend seine GeschäftSordnungS-Commrssion, die bekanntlich beauf tragt worden war, dem Hause Borschläge bezüglich der Erweiterung der Discipliuarbefugnifse des Präsidentcn zu unterbreiten, aber über solche Vorschläge sich nicht hatte einigen können, durch die Annahme eines Antrags beschämt, der dem Präsidenten die Befugniß einräumt, ein Mit glied im Falle gröblicher Verletzung der Ordnung von der Sitzung auszuschließen und, falls der Ausgeschlossene den Saal nicht verläßt, die Sitzung aufzuheben. Das ausgeschlossene Mitglied soll alsdann berechtigt sein, beim Plenum am folgenden Tage zu reclamiren, worauf dieses ohne Debatte zu entscheiden hat, ob die Ausweisung gerecht fertigt war. Wenn während der Dauer der Ausschließung eine meritorische Abstimmung stattfindet, in welcher die eine Stimme des Ausgeschlossenen den Ausschlag hätte geben können, soll die Abstimmung in der nächsten Sitzung wieder holt werden. Durch diesen Beschluß hat die große Mehrheit des Hauses, in der sogar die Freisinnige Vereinigung mit den alten Cartelparteien und dem Centrum sich vereinigte, einen rühmlichen Act der Selbstzucht auögeübt; sie hat anerkannt, daß im deutschen Reichstag nicht ungezügelte Leidenschaft das Wort führen darf, wenn nicht das Ansehen der Volksvertretung noch mehr schwinden soll, und hat sich um dieses Ansehens willen selbst einem Zuchtmittel unterstellt, das Heben treffen soll, der mit der eigenen Würde auch die der hohen Körper schaft durch leidenschaftliches Sichgehenlassen verletzt. Wer einer solchen Selbstzucht sich freiwillig unterwirft, wird jedenfalls ruhig flegelhafte Anwürse von einer Seite hinnehmen, welche die Zuchtlosigkeit als geheiligtstes Recht betrachtet. Immerhin ist es lehrreich, zu erfahren, in welcher Weise das Haupt organ der social demokratischen Partei, der „Vor wärts", Stellung zu dem Beschlüsse des Hauses nimmt. Cr schreibt nämlich: „Vierhundert deutsche Männer, AuSerwählte der Nation, beschließen für sich selbst Discipliuar- strafen, wie man sie sonst für ungezogene Jungen »othwendig hält. Wahrlich, der deutsche Männerstolz ist zu den Hunden geflohen." Wir wollen ganz davon absehen, daß die fractionellen Führer der Socialdemokratie von den oppositionellen Mitgliedern ihrer Partei die ruhige Hinnahme noch ganz anderer Strafen fordern, ohne die sich Unterwerfenden deshalb zu den Hunden zu zählen. Aber bedeutsam ist es, daß diese Führer sich selbst sogar unter die ungezogenen Jungen hcrabwürdigen, bei denen eine Strafe noch fruchtet. Wo ftinge Leute, selbst wenn sie der Zucht der Eltern und Lehrer den gröbsten Widerstand entgegensetzen, eine parlamentarische Debatte nachahmen, da pflegen sie gegen ihre Genossen recht summarisch zu ver fahren, wenn diese in den Berathungen die „Würde der Ver sammlung* verletzen. Selbst der dümmste und flegelhafteste Junge weiß, daß eine Berathung, in der keine Zucht geübt wird, zur albernen Farce wird. Selbst der dümmste und flegel hafteste Bengel, der in seinem Jungenstolze auf die Mah nungen und Zuchtmittel von Eltern und Lehrern pfeift, glaubt diesen Stolz nicht zu den Hunden zu jagen, sondern eine des Mannes würdige That zu thun, wenn er in einer Versammlung, in der ihm Sitz und Stimme eingeräumt ist, auf Zucht und Ordnung halten hilft. Nur die Hintermänner der Socialdemokratie, die der Welt im socialbemokratischen Zukunftsstaate eitel Montag den 18. Februar 1895. Frieden und unverbrüchliche Ordnung verheißen, sehen den Männerstolz zu den Hunden geflohen, weil vierhundert AuS- erwählte der Nation von unreifen Jungen sich nicht beschämen lassen wollen und freiwillig ihre Leidenschaft unter ein Zucht- niittel beugen. Freilich darf man sich über eine solche Selbst- Classification bei einer Partei nicht wundern, deren „Männer- ftolz" es erlaubt, die sauberen Hände von Haus- und Abortsdieben brüderlich zu fassen. Während der Wahlbewegung in Württemberg ist wieder holt die Befürchtung ausgesprochen worden, daß im Falle eines bedeutenden Wahlsieges der Volkspartei und der Ultra- montanen der Ministerpräsident v. Mittnacht zurück- treten werde. Obgleich qber nun in der neuen Zweiten Kammer Volkspartci und Eentrnm die Mehrheit bilven (die Volkspartei zählt mit Einschluß der beiden Socialdemokraten 33, das Centrum mit Einschluß der beiden Vertreter der katholischen Kirche 20 Mitglieder, während die deutsche Partei mit den verwandten Mitgliedern der Landespartei nur 18 Mandate gerettet hat und die Ritter, Prälaten und der Kanzler über 20 Stimmen verfügen), scheint Herr v. Mittnacht wenigstens den Versuch machen zu wollen, mit der neuen Kammer auszukommen. Man darf dies aus einem Artikel deS „Schwäb. Merk.* schließe», der ein Actionprogramm der Regierung entwickelt. Zunächst wird Festigkeit dem Centrum gegenüber, das man durch Concessioncn nur stärker und begehrlicher machen würde, in Aussicht gestellt und dann wird eine Reihe von Reformen aufgezählt, für die eine Majorität wohl zu finden sei und mit denen man die Kammer in Athem halten müsse, lieber diese Reformen heißt es in dem Artikel: „In kurzer Zeit ist die allseitig gewünschte Steuerreform zu erwarten; der Entwurf steht der Einbringung im Hause nahe. Ein Gesetzesentwurs, der sich mit der Bo lksschulaesrtzgebung befaßt und dabei auch eine finanzielle Besserstellung eines Theiles der Bolksjchullehrer beantragt, ist bereits von der Regierung wieder eingebracht worben. Eine durchgreifende Verwalt» ngsresorm, insbesondere iu der Richtung einer Magistratsverfassnng für die größeren Städte unter Um gestaltung der bisherigen Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher, nach dem Borbitde der meisten anderen deutschen Staaten, ist längst eine Nothwendiakeit. Tie Regierung wird hierzu bestimmte Stellung nehmen müssen und dabei Gelegenheit haben, sich von dein Verhalten des verstorbenen Ministers des Innern los zu sagen. Ein Hagelversicherungsgejetz ist bereits angelündigt. Wenn die Regierung solche und andere Maßregeln zum Schutze der Landwirthschaft und weitere zu dem der bedrohten llejne» Gewerbe einbringen kam/, werden die Parteien, die im Wahlkampf das Zustimmen zu Regierungsvorlagen in die „Sündenregister" aufzuneh»ie>i pflegten, Gelegenheit bekomme», ihre Sorge um Landwirthschaft und Kleingewerbe auch ihrerseits durch Jasagen zu bekunden. Vielleicht entschließt sich die Regierung ihrerseits auch zu einem Vorschlag in Sachen der fachmännischen Aufsicht der Volksschule. Von der Versassungsrevision soll heute nicht die Rede sein: an ein Zustandekommen derselben scheint zur Zeit gar keine Aussicht. In allen.diesen Fragen der Gesetzgebung wird sicher die Regierung ihre Initiative wahren wollen. Giebt sie ihre Absichten kund, so können manche Initiativ anträge vermieden werden, welche doch wahrscheinlich zu keinem befriedigenden Ende führen würden." Zum Schluß wird betont, daß das Aussehen der neuen Kammer allerdings keine glücklichen Aussichten zu eröffnen scheine, daß aber im Verlaufe der Verhandlungen wohl eine Klärung der Lage eintreten werde, da eine Mehrheitspartei anders handeln müsse, als eine bloße Oppositionspartei, und das Centrum an dem Schicksal seines Antrags aus Zulassung der Orden wohl merken werde, daß eS noch lange nicht das NiLL -U LN ms Niederlage zn bereiten. ^ Sn d-r d.m dl-nsib.;-" -----HL '-tch-n'u»,» «m.Nnch>°>--- :ischen Bemühungen liegt, d.e früheren, dem M.ttelatter un wm Neforn.ationöjahrhuudcrt angehor^ and Bereinigungsoersuche zwischen R°nl »mV Moslau b r ruiucben m beleuchten und zu betonen, und ,n dessen ociugaug -s heißt - St. PetruS, Bischof von Nom (!) habe wegen der großen Nusdchnung seiner Verwaltung zwei Patriarchate (.) ge^rm ätablit), in Antiochien und ,n Alexandrien, als ialen- (!) der römischen Kirche rc." Der PrakMche Zweck der Darstellung geht nun darauf hinaus, die Russcnschwarmer »er Franzosen und die vorausgesetzte Fraiizosenliebe der Russen für nichts mehr und uichtS weniger auszunutzen, als iür eine „Union" der beiderseitigen Confessionen, der römischen and griechischen, natürlich in dem Sinne bedingungsloser Unterwerfung der letzten in Lehre und ^ersassung, ledoch mit vem bescheidenen Zugeständnis der „slaw,ichenUturg,e.Es ist dabei vorausgesetzt, daß der russischen^Kirche vermöge ihrer straff cäsaropapistischen Einrichtung eine Trennung von der griechisch-orientalischen ganz leicht falle: da die russische K.rche noch vor der endgiltigenLrennung zwischen der orientalischen und occidentaliscben Kircde — dieselbe siel bekanntlich ms Jahr 10o4 — errichtet worden, so gehöre sie im Grunde noch unter lene obenerwähnte ursprüngliche, einheitliche Verwaltung, wie Rom sie bis dahin geführt habe. Mit dem bischen Synodal- versassunci werde Rom sich schon absinden. Was aber der russische Kaiser dazu sagen werde, daö scheint den, Verfasser wenig Kopfzerbrechen zu machen — „eotte rocou- eilirUiou", sagt er, „est ckuus Irr rmturcr ües dwses, et ii ue taut pas etre giauck xropftete pvur xreäire quelle se tera uu iour ^ Solche Gedanken mögen als pbantastlsch erscheinen, aber es ist in diesem Augenblick, wo die Curie so Vieles thut, um die schon durch „Union" ihr verbundenen Theile der orientalische» Kirche sester an sich zu ketten und bei anderen den Anschluß vorzubereiten, immerhin auch solch ein Gedanken gang der Beachtung Werth. Der zum Juni angekündigte Gegenbesuch der italienischen Flotte in tSnglanV erscheint zunächst nur als ein Act internationaler Höflichkeit. Nicht das Slatlsinden dieses Besuches, sondern sein Unterbleiben könnte Stoff zu auffälligen Deutungen bieten, sofern in letzterem Falle mit anscheinendem Fug die Behauptung von einer inzwischen ein- getrctenen Erkaltung der italienisch-britischen Beziehungen sich aufstellen ließe. Von einer solchen Erkaltung aber ist durch aus nichts zu verspüren. Es bleibt also Labei, daß die Erwägungen, welche seinerzeit zur Formulirung des Satzes von der Parallel action Englands und Italiens führten, noch heute zu vollem Recht bestehen. Der Besuch, den Admiral Seymour ver gangenes Jahr mit seiner Flotte den wichtigsten italie nischen Häsen abstattete und der sich zu einer Reibe herz lichster Sympathiekundgebungen auf beiden Seiten gestaltete, 89. Jahrgang. iel gerade in eine Zeit, wo man sich jenseits der Alpen durch das erneute Aufflammen des JtalienerhaffeS der Franzosen peinlichst berührt fühlte. Obwohl zwischen den englisch-italienischen Flottenfesten und dersranzösischenJtaliener- hetze durchaus keine nachweisbare Gedankenverbindung bestand, witterte doch das stets rege eifersüchtige Mißtrauen der Franzosen gegen das wirthschafklich mit fanatischem Eifer bekriegte Italien alsbald in dem Seymour'schen Flottenbesuche eine Spitze gegen Frankreichs Mittelmeerpolitik. Inzwischen ist in den Ereignissen, von denen die Interessensphären der drei hier in Frage kommende» Mächte, namentlich auf afrika nischem Boden, berührt werden, kein Stillstand eingetreten; Italien ist durch seine Waffenerfolge bis hart an Abessinien geführt worden; Frankreich hat^ sich von der Operations basis seiner westasrikanischen Colonien aus immer mehr landeinwärts vorgeschoben, und französische Expeditionen streifen schon bis in Gebiete, welche England, als zu Westsudan gehörig, für seine eigene Machtsphäre reclamirt und deren Beanspruchung französischerseitS es, nach den jüngsten ministeriellen Erklärungen zu urtheileu, vorläufig ebenso entschieden beanstandet, wie das von Belgien den Franzosen eingeräumte Vorkaufsrecht auf den Congostaat. Bei dieser binnenasrikanischen Jnteressenconstellation der be- theiligten Mächte erscheint die Pflege der englisch-italienischen Freundschaft zu maritimen Zwecken als eine zeitgemäße Vor sicht, deren Beobachtung nur dort verstimmen könnte, wo nian sie als lästige Einengung eigener Ausdehnungsbeslrebungen empfindet. Deutsches Reich. * Berlin, 17. Februar. Bei der Errichtung städtischer Arbeitsnachweisstellen in einer ganzen Reihe von Städten hat mehrfach der Ausstandsparagraph Schwierigkeiten verursacht; es wurde nämlich von den Arbeitern die Aus nahme einer Bestimmung in das den Geschäftsgang der Nachweisstelle regelnde Statut verlangt, Wonack, im Falle eines Ausstandes oder einer Aussperrung die Arbeits vermittelung gegenüber dem Unternehmer, dessen Arbeiter in eine Ausstandsbewegung eingetreten sind, eingestellt werden solle. Die Rechlsübung ist gegenüber dieser Bestimmung keineswegs einheitlich. In manchen Fällen haben die staatlichen Behörden die nothwendige Bestätigung des Statuts von der Be seitigung dieser Bestimmung abhängig gemacht, was auch wohl in den meisten Fällen geschehen ist, andererseits ist es aber auch vorgekommen, daß die Bestätigung trotz dieser Bestim mung nicht versagt wurde. Nicht nur die Behörden der ver schiedenen Bundesstaaten sind verschiedener Ansicht, sondern auch innerhalb eines und desselben Bundesstaates sind solche Verschiedenheiten bervorgctreten. So hat beispielsweise die Negierung in Wiesbaden die Aufnahme der Streikbestimmung in daö Statut der Stadt Frankfurt a. M. beanstandet, und der von dem Magistrat dieser Stadt im Verwaltungsstreitverfahren angcrufene Provinzialausschuß hat die Ansicht des Regierungs präsidenten getheilt; in Trier dagegen ist dem Statut mit diesem Paragraphen die Bestätigung glatt ertheilt worden. Es wäre zunächst sehr erwünscht, wenn der Handelsminister im Vereine mit dem Minister des Innern die Regierungs präsidenten mit einheitlichen und übereinstimmenden An weisungen versehen wollte. Die verschiedenartige Behandlung macht den Eindruck des Willkürlichen, sie schädigt das NechtSbewußtsein und bildet eine Quelle zahlreicher Klagen über ungleichmäßige Behandlung der Staatsbürger und ihrer Rechte m den einzelnen Landestheilen. Es ist schon schlimm Frirrlletsir. Ein Lecher Lethe. 4j Roman von R. Teilet. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Mich überkam ein Gefühl banger Furcht. Ich mußte an Stephan's Erzählung von jener Frau denken, die noch einmal zum Leben erwachte, um dann gleich wieder zu sterben. Wie, wenn dieser Fall auch hier eintrat? Wie wenn ich sie nun doch noch verlieren sollte! „Stephan", flüsterte ich, „holen Sie sofort einen Arzt. Verlieren Sie keine Minute! Je schneller Sie ihn bringen, ein desto reichlicheres Trinkgeld gebe ich Ihnen." Stephan eilte schmunzelnd von dannen. Ich schaute Ethelren wieder an. Sie hatte jetzt die Augen geschlossen, ihr Gesicht nahm einen müden, traurigen Ausdruck an. Aber es war deutlich bemerkbar, daß ihre Brust sich athmend hob und senkte. „Sie schläft", sagte ich dem Besorger und seinen Leuten. „Wir dürfen sie nicht stören, bis der Arzt da ist." Sie waren damit einverstanden und schritten leise der Thüre zu, an der sie flüsternd stehen blieben. Ich setzte mich mit klopfendem Herzen am Sarge nieder. Als ich eben wähnte, die Angst und Erregung nicht länger ertragen zu können, erschien Stephan wieder. lDer Arzt begleitete ihn. ES war zn meinem Aerger derselbe Or. Falck von gestern Abend. Aber das ließ sich nun einmal nicht ändern und ich erhob mich, um ihn zu begrüßen. Er verbeugte sich schweigend. Sein Gesicht war auffallend ernst. Ohne ein Wort zu sprechen, trat er an den Sarg und schaute die darin Ruhende durchdringend an. Dann faßte er leise und sanft die Hand des jungen Mädchens und fühlte ihren Puls. Ebenso leise und zart legte er die Hand wieder nieder, näherte sich mir und winkte mir, ihm zu folgen. Er verließ die Halle und machte den Gruppen an der Thür ein Zeichen, ihm vorauszugehen. Als wir Alle draußen waren, sagte er zu dem Besorger: „Das Mädchen lebt; sie bedarf Ihrer Dienste heute nicht mehr. Sie können gehen." Die Leute entfernten sich, und vr. Falck und ich blieben allein bei Stephan. Ich erwartete in athemloser Spannung des Arztes nächste Worte. „Glauben Sie, daß sie leben bleibt?" fragte ich ihn. »Da» ist eine Frage, die sich augenblicklich nicht beantworten läßt, aber Ich hoffe eS." Ich war ihm für diesen schwachen Trost unbeschreiblich dankbar. Einen Moment vorher noch war mir der Doclor unangenehm gewesen; jetzt hatte ich das Gefühl, als liebte ich ihn. „Sie muß außerordentliche Pflege und große Ruhe haben. Sie ist sehr schwach. Stephan, Sie dürfen, so lange sie hier ist, keinen in die Todtenhalle hineinlassen. Könnten Sie daS Mädchen einstweilen in Ihrem Häuschen beherbergen?" Stephan zögerte mit der Antwort: alte Leute verabscheuen jede Veränderung, alte Leute und solche Menschen, die Jahre ihres Lebens in gleicher Weise verbracht haben. Aber ich gab ihm einen Wink, den er zu deuten verstand, denn er willigte in die Bitte des DoctorS ein. „Wir werden Sie später transportiren", sagte Or. Falck, augenblicklich wäre nocb jede Erschütterung gejährlich. Sie muß schleunigst etwas Fleischbrühe bekommen. Und schaffen Sie mir einen Boten. Ich will ihn nach einer Wärterin schicken." Er sprach ruhig, aber bestimmt, wie Jemand, der an Gehorsam in seiner Umgebung gewöhnt ist. Als wir allein waren, sah er mich groß an und sagte: „Ich muß mich meiner Voreiligkeit von gestern Abend wegen bei Ihnen entschuldigen, mein Herr. Das Resultat beweist, daß Sie Recht hatten, ich Unrecht. Es war ein Jrrthum meinerseits, der leicht hätte verhängnisvoll werden können. Wären Sie nicht so fest geblieben, so wäre daS arme Mädchen lebendig begraben worden." Er sprach einfach, offen, ernst, und ich erkannte, daß ich seinen Charakter nicht ganz richtig öeurtheilt batte. Obgleich er viel Selbstvertrauen besaß und sich nicht leicht eines JrrthumS überführen ließ, dachte und bandelte er doch, sobald ihm die Erkenntuiß seines Jrrtbums gekommen war, wie ei» Gentleman und wie ein Mensch, dem die Wahrheit über Alles geht. Es war nicht» Kleinliches an ihm — er machte nicht einmal den Versuch, sich zu rechtfertigen. Er hatte un recht gehabt und war gern bereit, das einzugestchen, die einzige Möglichkeit, eS zu sühnen. Ich ergriff seine Hand und drückte sie herzlich. „ES war ein so seltsamer, unerwarteter Fall", sagte ich, „daß jeder Arzt sich hätte dabei irren können. Aber Sie wissen, ein altes Sprichwort sagt: Ende gut, Alles gut!" DaS war der Beginn einer Bekanntschaft, die verhängniß- volle Folgen für uns Beide haben sollte. Schon fühlte ich mich durch vr. Falck'S offenen, ehrlichen, noblen Charakter mächtig zu ihm hingezogen. Wir sprachen nicht mehr, da der Arzt sich wieder in die Todtenhalle begab, »in nach seiner Patientin zu sehen. Ich blieb draußen als Schildwache. Nach kurzer Zeit erschien portirt; sie blieb im Sarge, um den Transport zu erleichten Daun wurde sie zu Bette gebracht und der Obhut de Wärterin übergeben. Böller Angst stand ich vor der Thür und verfolgte ii Geiste Alles, was innen vorging. Nach einer mir endlo lang scheinenden Weile erschien Or. Falck wieder. Ich ei kündigte mich nach dem Befinden seiner Patientin. „Es geht ihr so weit gut", sagte er, „sie hat ein wen, Fleischbrühe und ein paar Schlucke Wein zu sich genomme und scheint darauf, wenngleich auch immer «och schwach, dvl ein wenig gekräftigt zu sein. Ich kann augenblicklich nich, für sie thun und gehe daher nach Hause, um mein Mitla zu essen. Wollen Sie mich begleiten?" „Ich danke Ihnen", sagte ich. „Von Ihrer Gastfreunl schast will ich keinen Mißbrauch machen, aber wenn c Ihnen recht ist, begleite ich Sie ein Stück Weges." „Sehr liebenswürdig von Ihnen", sagte er. Wir gingen einige Minuten schweigend nebeneinander he dann sagte der Doctor: „Ich hoffe. Sie verzeihen meine Indiskretion, wenn ii folgende Frage an Sie richte: In welcher Beziehung stehe «ue zu der jungen Dame?" „In gar keiner." „Lange Zeit können Sie daS junge Mädchen hier nich gekannt haben, denn eS war erst einige Tage hier, als de ""lall sich einflellte. Aber ich glaubte, Sie seien vielleich von England her mit ihr bekannt." «Nein, ich sah sie gestern zuin ersten Male. Ihre un gewöhnliche Schönheit frappirte mich und erregte mei Interesse. Das Ucbrige wissen Sie." Vr. Falck „Nach die Ihnen meiner ann einen Moment lang nach, dann sagte , er Mittbeilung wird es mir weniger schw ^eitS ebenfalls eine Mittheilung zu machen" Ich sab ihn erstaunt und erschreckt an. Welche schme lcche Enthüllung sollte ich zu hören bekommen' . mH vorhin", fuhr rr fort, „ob ich glaul daß sich die ,unge Dame erholen würde. Es acht ibr » ich Ihnen bereits faßte, augenblicklich gut. Ich hoffe >v° - Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah ihn entsetzt l „Warum betonen S,e daS Wort „körperlich" so ?" raate „Ein^ Starrkrampf ist sowohl in seinen Ursachen als ^ ü*" ganz unberechenbar. Es ist nicht unbedii W ll7n«Ä ^ " Einfluß auf da« Bewußtsein oder Willensäußerungen hat. Das Bewußtsein ist oft um,nt krochen vorhanden, wahrend der Körper allem Anschein n todt ist. Während nun der Wille gelähmt ist und der Patient nicht sprechen und sich nicht bewegen kann, finden gewöhnlich schreckliche Ereignisse statt, z. B. die Vorbereitungen zum Begräbnisse. Der Geist weiß Alles, aber, unfähig, seine Angst zu äußern, erhält er nur zu oft eine Erschütterung, von der er sich nie wieder erholen kann." „Entsetzlich! Aber Sie glauben nicht — Sie können nicht glauben, daß dies bei Miß Stuart der Fall sein wird?" „Ich fürchte eS", sagte er ernst. „Worauf gründen Sie diese Befürchtung?" „Sie hat bis jetzt noch kein Wort gesprochen. Und mir gefällt der Ausdruck Ihres Gesichtes nicht! Er sprach sehr ernst. Seine Worte erregten mich im höchsten Grade. Wenn der Verstand dieses schönen jungen Geschöpfes für immer erloschen war, von welchem Werthe war dann ihr wiedergcwonneneS Leben für sie? War sie dem Grabe vergebens entrissen worden? und war die glückliche Zukunft, die ich mir bereits auszumalen begonnen hatte, ein eitles Luftschloß gewesen? Ich erwiderte nicht», aber der Doctor, der mein Schweigen ohne Zweifel verstand und eS der Wirkung seiner Worte zuschrieb, fuhr fort: „Ich halte es für meine Pflicht, Sie auf diese Möglichkeit vorzuberriten. Freilich ist eS wahr, daß sie einstweilen eine bloße Vermuthung von mir ist. Es ist der erste Fall von Starrkrampf, den ich in meiner PrariS erlebe — solche Zu fälle kommen, wie Sie wissen, sehr seiten vor. Aber nachdem wir uns gestern Abend getrennt hatten, schlug ich ans Neu- aierde in meinen Büchern nach und ersah aus ihnen, daß Jemand, der Starrkrampf gehabt hat, selten wieder DaS wird. waS er vorher war, daß fast immer eine große Wandlung in ihm vorgeht. Zuweilen, wie ich schon bemerkte, ist der Verstand getrübt, selbst bis zur totalen Geistesstörung; in anderen Fällen tritt eine leichtere Geisteserschütterung ein. Ost verliert der Patient die Erinnerung an Alle», wa» vor eine», Anfall geschah; zuweilen — und daS ist da« Seit- amste — nur ein einziger derartiger Fall ist verzeichnet — fehlt das Gedächtnis nicht gänzlich, aber die Vergangenheit ist nicht wie beim gesunden Menschen eine geordnete logische Folge von Ereignissen, sondern sie zieht in vereinzelten Bildern. Scenen und Gesichtern von Zeit zu Zeit launisch an dem Geiste des Kranken vorüber — offenbar nur die äußere Er innerung von Eindrücken aus die Netzhaut de- AugcS. während der innere Zusammenhang verloren gegangen ist. Da« Ganze ist sehr sonderbar und sehr interessant — besonder« füreinen Arzt." DaS mochte wahr sein — ich konnte e« nicht lruanen — mir aber war die so heraufbeschworrne Vorstellung schrecklich. (Fortsetzung folgt.)
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