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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950222022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895022202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895022202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-02
- Tag1895-02-22
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Organ siir Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Nie 6 gespaltene Petitzeile 20 PO. «rrlamrn unter dem RedacttonSstrich (4gS» spalten) 50^, vor drn Famtlteunachrtchk» (6 gespalten) 40 «rvtzere Schriften laut unserem PrM»- »erzrichnib. Tabellarischer «nd gfffmlfntz nach höherem Tarif. Extra-veila,ei» (gesalzt), «,, »ft h«» Morgen-Ausgabe, ohne Posldesördernoa 60.—, mit Postbesorderuug ^4 70.—. Ännahmeschtuß fir AnzeiM: Abeud-AuSgabr: vormittags 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr.' Sonn- and Festtags früh '/,9 Uhr. Bei deu Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Er»edi1i«a zu richten. Druck «nd Verlag von E. P olz ft» Leipzig ^ 98. Freitag den 22. Februar 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. Februar. Die gestern im Reichstage begonnene erste Lesung der Tabakstcurrvorlagc wird mit der Verweisung des Entwurfs an eine Commission enden; daS läßt sich bereits mit Sicherheit Voraussagen, nachdem Vertreter der Conservativen, der Nationailiberalen und des Centrums für Commissions- beratbungen sich ausgesprochen haben. Und da die Commission eine so wichtige Vorlage nicht über das Knie brechen kann» so wird die Berathung so lange dauern, bis das Plenum die Finanz- reformvorlage in Angriff nimmt, die dem Hause die abso lute Nvthwendigkeit der Erschließung neuer Einnahmequellen ein dringlich vor Augen führen wird. Dadurch werden die Aus sichten aus eine Einigung über die Tabaksteuervorlage nicht unwesentlich besser, als sie noch kürzlich zu sein schienen. Weiter hat sich gestern herausgestellt, daß der Abg. v. Hammer slein, der bekanntlich in Bünde eine an das Revolutionaire streifende Agitation gegen die Vorlage in Gang gebracht hat, die Billigung seiner ^ractionSgenossen für dieses Vorgehen nicht finden wird. Der conscrvative Abg. Graf Holstein ließ keinen Zweifel darüber, daß seine Fraction zu einer Ver ständigung über den Entwurf bereit sei. DaS Wichtigste aber ist, daß der Redner des CentrumS, der Abgeordnete Müller-Fulda, erkennen ließ, daß seine Fraction geneigt sei, unter Umständen eine Revision seines vorjährigen schroff ablehnenden StandpuncteS zur Tabakfabrikalsteuer vorzu- uehmen. Wie diese Umstände beschaffen sein müssen, wurde freilich nicht klar auS seiner Rede, die zwischen Anerkennung und Nichtanerkennung der Nothwendigkeit höherer Reichs- cinnahmcn aus dem Tabak wundersam hin und her schwankt. Man vergleiche nur die folgenden drei Rcdeabschnitte, die wir dem Berichte der „Nat.-Ztg." entnehmen: Was die jetzige Vorlage anlangt, so hat sie sich bei Weitem verbessert und berührt uns nach manchen Seiten sympathisch. Zunächst sind die Steuersätze wesentlich ermäßigt; ferner sind die billigen Rauchtabake geringer belastet, so daß sie noch billiger werden, als sie jetzt sind; sodann ist die Controle erleichtert Die Zu stimmung meiner Partei zu K 1, Absatz 2, wonach der Bundesraih ermächtigt wird, Brasil-Carolten zur Herstellung von Schnupftabak unter Controls der Verwendung zum Zollsatz von 180 ^ für 100 Kilogramm zuznlassen, kann ich schon jetzt in Aussicht stellen. Ter Schatzsecretair hat die Nothwendigkeit der Steuer betont. Ich glaube nicht, daß wir so große Mittel brauchen. Ich verkenne ia nicht, daß unsere Reichssinanzen sich in keiner besonders glücklichen Lage befinden, aber bei einer etwas größeren Sparsamkeit werden wir mit den vorhandenen Mitteln auskommen können. Wenn wir jetzt 40, 60, 100 Millionen mehr bewilligen, so wird das doch nur dazu dienen, immer weitere Ansprüche in Bezug aus Ausgaben zu stellen, so daß wir schließlich genau auf demselben Puncte stehen, wie jetzt. (Beifall im Centrum.) Durch kleine Mittel: Lotteriestcuer, Börsensteuer n. s. w., kann man doch eine hübsche Summe zusaiiimenbringen. So ist z. B. eine Abänderung des Posttarifs für Zeitungen, eine Bemessung nach Leistung und Gegenleistung vorgeschlagcn. Und derartige Mittel haben wir noch mehrere. Mit allen diesen Kleinigkeiten können wir sehr wohl das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben Herstellen, und wir belasten damit nicht die schwachen Schultern. Das geschieht aber durch die Schaffung von immer neuen indirekten Steuern. Auf Liesen basiren ja jetzt die ganzen Militair- und Marineausgaben. Es ist soweit gekommen, daß der kleine Tabakbaner, der kümmerlich sein Leben fristet, mehr an indirekten Lasten zu tragen hat, als der Millionair. Ich beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Commission. Lie kann das herausschälen, was gut und brauchbar an der Vorlage ist, eine Erleichterung der Feldcontrole, eine Er höhung des Zolls re. Sie kann sie vielleicht so gestalten, daß oie schwachen Schultern nicht belastet werden. Wir stehen nicht auf einem pure ablehnenden Standpuncte; wir werden die Vorlage prüfen, inwieweit wir sie annehmbar finden; und was wir nicht an nehmbar finden, werden wir ablehnen (Beifall im Centrum). Immerhin könne» die verbündeten Regierungen mit dem Erfolge deS ersten Debaltentages zufrieden sein. Der weitere Erfolg wird wesentlich von ihnen selbst, von ihren Nach weisungen über die Unentbehrlichkeit einer Reichsfinanzreform und von ihrer Bereitwilligkeit zur Beseitigung der bedenk lichsten Härten der Vorlage abhängen. Die Art und Weise, wie der Reichstag in dritter Lesung den Äcsuitcnantrag des Centrums „abgelban", hat überall, wo Sinn unv Verständniß für die so wichtige Angelegenheit im Volke vorhanden ist, auf das Peinlichste berührt. Die so spärlich vertretene Minorität, die schweigend dem Centrum daS Feld räumte, bekommt daher in der Presse nichts weniger als schmeichelhafte Dinge zu hören. So schreibt der „Schwä bische Merkur": „Die Behandlung des Antrags in dieser dritten Lesung war keine besonders würdevolle. Die großen Rede», die in früherer Zeit der Antrag hervorgcrufen hatte, waren schon bei den letzten Anlässen zu kurzen Erklärungen zujammengeschrumpft, die man noch sozusagen ehrenhalber abzugeben für gut fand; die namentliche Abstimmung fing gleichfalls an, bei diesem Gegenstand in Abgang zu kommen; eine Wohlthat für einen Theil der Demokraten, die nun nicht mehr die schwarze Farbe zu bekennen brauchten, die Farbe, die den Wählern jo unangenehm in die Augen sticht. Am 20. Februar ist es vollends ganz still zugegangen. Gar keine Debatte fand mehr statt, und daß alsdann auch die namentliche Abstimmung entfiel, war selbstverständlich. Sie hätte nur ergeben, daß die Ultramontanen mit ihrem Antrag fast ganz unter sich waren. Die anderen Parteien waren sehr schwach vertreten. Man findet es nicht mehr der Mühe werth, zur Be kämpfung des Jesuitcnantrags zu erscheinen. Wenn an der An nahme des Antrags noch etwas hätte geändert werden sollen, so Hütten die Conservativen in großer Menge auf der Stelle sein und der Sache einen Nachdruck geben müssen. Das ist nicht geschehen. Man scheint die traurige Thatjache, daß eine Mehrheit für die Jesuiten im Reichstage vorhanden ist, eben nach und nach, wie so manches Andere, hinzunehmen; allenfalls noch in der Hoff nung, daß ja die Regierung fest bleiben und die Jesuiten nicht ins Land lassen werde. In der That ist bis jetzt kein Grund, anzu nehmen, daß die Regierung in diesem Punkte vor der Reichstags mehrheit weichen werde. Aber erleichtert ist ihr dieses Verhalten nicht durch die wiederholten Beschlüsse zu Gunsten der Jesuiten, und gar zu leicht dürfen darum diese Beschlüsse nicht genommen werden " Und in dem conservativen „Hamb. Corr." lesen wir: „Das (die Annahme des Antrags) war vorauszusehen, aber die Umstände, die dies Ereigniß begleiteten, sind wahrhaftig nicht erhebend. Vom Centrum sprach der Fractionsvorsitzende Graf Hompesch ein paar Worte, Niemand eutgegnete» dann kam die Ab stimmung — vor kaum zur Hälfte gefülltem Hause, nicht einmal mit Namensaufruf, sondern mit der Fiction der Beschluß fähigkeit. Nur das Centrum war zahlreich auf dem Platz, rechts und links gähnten großeLücken. Das ist fürwahr einZeichen des marasmus senilis, der im Reichstage herrscht. Wenn es sich um materielle, mn wirthschaftliche Dinge handelt, bei denen Wohl und Wehe .des Portemonnaies in Frage kommt, da drängen sich die Herren schaaren weise ins Haus. Aber bei der Abstimmung über hochpolitische, geistige, ideale Angelegenheiten bleibt man aus. Dieser kümmerliche Besuch des Reichstages — fast jeder Sitzungsbericht beginnt in den letzten Tagen mit den Worten: „Das Haus ist sehr schwach besetzt" — stellt der inneren Kraft des heutigen Parlamen tarismus ein beschämendes Armuthszeugniß aus. Waren doch z. B., als es galt, bei einem großen nationalen Unglück, der Katastrophe der „Elbe", das Mitgefühl der Volksvertretung auS- zusprechcn, nicht mehr als 33 Abgeordnete in den prunkvollen Hallen des neuen Gebäudes, dessen Herrlichkeit in schneidendem Gegensatz zu de» Thatcn in seinem Innern steht." Bei dieserGelegenheit glauben wir übrigens einen Irrthum des „Schwab. Merk." berichtigen zu müssen. Dieser meint, der Bundesrath müsse, wenn er die Aufhebung des Jesuitcn- gesetzes wolle, dem Reichstage darüber einen besonderen Gesetzentwurf vorlegen: „Denn selbstverständlich kann das Gesetz nur durch Gesetz, nicht durch einseitigen Bundesraths beschluß aufgehoben werden. ES müßten dann drei Lesungen im Reichstag stallsinden, und wenn eS sich nun um die wirk liche Entscheidung handeln würde, so dürfte sich die Mehrheit doch noch ernstlich besinnen, ob sie die Friedensstörer ins Land lassen solle." Das ist, wie gesagt, ein Jrrtbum. Der An trag des Centrums geht nicht dahin, den BundeSrath um Vorlegung eines Gesetzentwurfs zu ersuchen, sondern hat die Form eines regelrechten Gesetzentwurfs. Er lautet: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen re. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, wie folgt: 8- 1. Das Gesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4 Juli 1872 (Reichs-Gesetzblatt S. 253) wird aufgehoben. 8. 2. Die zur Ausführung und zur Sicherstellung des Vollzugs der im 8-1 des genannten Gesetzes erlassenen Anordnungen verlieren ihre Giltigkeit. 8. 3. DaS gegenwärtige Gesetz tritt mit dem Tage seiner Ver kündigung in Kraft. Urkundlich rc. Gegeben rc. Diesem Gesetzentwürfe hat der Reichstag seine Zu stimmung ertheilt; erfolgt auch die des Bundesraths, so ist der Kaiser zur Verkündigung gezwungen, wodurch der Ent wurf Gesetzeskraft erlangt. Der AuflösungSproceß, dem die äußerste Linke deö ungarischen Parlamentarismus, die sogen. Un abhängig keitspartei, nicht erst seit heute oder gestern verfallen ist, macht unaufhaltsame Fortschritte. Das lose Band der radikalen 48er Principien hat sich neuerdings als unzulänglich erwiesen, die aus den heterogensten Einzel- bestandlbeilen zusammengesetzte Unabbängigkeitspartei auch nur nothdürftig zusammenzuhalten. Man sollte denken, die Partei könnte an vier bis fünf Fraktionen mit ebenso vielen „Führern", die sich nach und nach abzweigten, genug haben, aber nein, sie steht eben jetzt im Begriffe, sich aufs Neue zu spalten. Den Keil bildet die liberale Kirchenpolitik. Liberale Reformer und ultramontane Reaktionäre lassen sich auf die Dauer nicht unter dem Hute der „staatlichen Opposition" vereinigen, auch wenn er minder arg durchlöchert wäre, als es thatsächlich der Fall ist. ES verschließt sich heute in Ungarn kein einsichtiger Politiker mehr der Erkenntniß, daß das ausgleichsfeindliche Pro gramm der äußersten Linken endgiltig abgewirthschastet hat und die Partei nur noch ein Scheindasein fristet. Dem Kossuth rausche ist ein heftiger Katzenjammer gefolgt, dergestalt, daß Franz Kossuth, der doch seine Leute kennen muß, die Rolle, die man ihm zugcdacht, nicht mehr weiterspielen will. Gerade :u dem Zeitpunkte, wo es sich um das nothdürftige Zu- sammenleunen der ans den Fugen gegangenen Unabhängigkeits- Partei handelte, trat Franz Kossuth eine Reise nach Italien an, was allgemein als das Vorspiel seines endgiltigen Abganges von der politischen Tagesbühne ansgefaßt wird. In demselben Maße, wie das Häuflein der um die Fahne der Unabhängigkeitspartei gcschaarten Getreuen sich lichtet, erstarkt die mit dem auSgleichssreundlicken liberalen Regime zufriedene Mehrbeit des ungarischen Volkes. Die sich nur von den geschichtlichen Ueberlieferungen der Ver gangenheit nährende Partei der äußersten Linken ist, weil sie sich selber von dem lebendigen Kreisläufe der modernen Ideen abgeschnürt hat, der Auszehrung verfallen und kann im Rahmen des ungarischen Parteilebens nur noch als geschicht lich interessantes Ueberbleibsel einer endgiltig abgeschlossenen Entwickelungsepoche der Nation in Betracht kommen. Unmittelbar nach der Unterdrückung deS russischen liberalen Blattes „Rußkaja Schisn" wurde auS Petersburg gemeldet, daß das russische Ministerium deS Innern die Absicht hege, auch die bekannte Petersburger Monats schrift „Wjestnik Iewropy" zu suSpendiren. Diese vor nehme Revue, welche seit mehr als einem Bierteljahrhundert muthig für Freiheit und Recht kämpft, hat es in ihrem Februar- Hefte gewagt, in einem dem verstorbenen Minister v. Giers ge widmeten Artikel die chauvinistischen Bestrebungen der russischen Panslawisten und ihre Hetzereien gegen Deutschland einer schonungslosen Kritik zu unterziehen. Die sogenannten russischen „Patrioten", heißt es nämlich in diesem Artikel, welche wiederholt nach einem Bruch mit Deutschland ver langten, blickten auf eine Annäherung mit Frankreich nur als auf ein Vorspiel zum unausbleiblichen Kriege mit den Deutschen. Sie strebten nach einem russisch-französischen Bündnis) im Geiste der Boulangisten und der Frau Adam. Diese „Patrioten", welche mit Deutschland blutige Abrechnung halten wollten, England zum Kampfe herausforderten, ihm Indien abzunehmen drohten, Bulgarien militairisch besetzen wollten, ans die Gefahr hin, nicht nur die Türkei, sondern auch England und Oesterreich-Ungarn und indirekt Deutsch land, von den Bulgaren ganz abgesehen, gegen sich zu haben — diese „Patrioten" können sich doch wobt nicht als Ver dienst anrcchnen, daß ihre chauvinistischen Träumereien nicht in Erfüllung gingen. Dieses Verdienst gebührt nur dem verstorbenen v. GierS, denn niemals ist der Kampf um die roßen Interessen des Friedens so schwierig gewesen, wie zur Heit, da die nationalen und Rasseninstincte in der Publicistik Orgien feierten. Diese Ausführungen haben in den pan- slawistischen Kreisen Rußlands so große Unzufriedenheit hervorgerufen, daß eine eventuelle Unterdrückung des „Wjestnik Iewropy" wohl als das Resultat der Un zufriedenheit zu betrachten wäre. Man darf daher gespannt darauf sein, ob thatsächlich gegen daS Blatt eingeschritten werden wird. Die Rückkehr Zankow's nach Bulgarien scheint ein Gutes doch gehabt zu haben: sie klärt die äußerst verworrene Lage und drängt den Fürsten zu der Entscheidung, ob er sich Rußland völlig in die Arme werfen oder zur Politik Stambulow's zurückiehren will. Vielleicht ist die Entscheidung schon gefallen, wenn auch die Nachricht, der Fürst habe die Vorschläge Zankow's (Abdankung und Neuwahl unter russischen Auspicien, Zuführung des Kronprinzen zur ortho doxen Religion, Aufnahme russischer Osficiere in die Annee, Verzicht aus eine eigene auswärtige Politik) als unannehmbar abgelehnt und weitere Verhandlungen seien ausgeschloffen, der Bestätigung noch bedarf. IstZankow thatsächlich abgewiesen, so hat zunächst die Regierung, und sodann der Fürst, der also bewiesen hätte, daß er die Aussöhnung nicht wünscht, mit der großgewordenen und großgezogenen ruffenfreundlichen Opposition einen Kampf auf Tod und Leben zu bestehen. Diesen Kampf ans dem Gebiete der Verfassung zu führen, ist aussichtslos, denn zuverlässige freiwillige Bundesgenossen würde man nur in den wenigen Conservativen finden, deren Zahl durch die Beeinflussung der Wahlen zwar etwas hinaus- gcschraubt worden ist, die aber immer aus das Bündniß mit einer andern Partei angewiesen sind. Stambulow's Partei steht abseits; der Fürst selbst, wie auch Stambulow, haben Alles gethan, um eine Annäherung unmöglich zu machen. Namentlich bat Stambulow's erregte, eines Staatsmannes nicht würdige Kritik der Person des Fürsten eine Kluft geschaffen, die sich weder überbrücken, noch gar überspringen läßt. Die Annahme der Vorschläge Zankow's — vorausgesetzt, daß Zankow sich als Bevollmächtigter oder wenigstens als Träger der wirklichen Auffassung des amtlichen Rußlands dem r-30 >» »sei» »Ic .L: FauNletsir. Ein Lecher Lethe. 8j Nachdruck verboten. Roman von R. Teilet. (Fortsetzung.) Im nächsten Moment hatte er das Zimmer verlassen. Ich kann nicht behaupten, daß mir das leid that. Ich hatte übergenug an seiner Gegenwart gehabt. Derartige Besuche sind sehr aufregend, besonders wenn man sich nicht wohl fühlt." Die Baronin schwieg, als hätte der lange dramatische Bericht sie ein wenig angegriffen. Ich dachte ernstlich über ihn nach, aber mein Nachdenken ließ mich zu keinem End resultat kommen. „Und ging er von Ihnen zur Todtcnhalle?" fragte ich. „Ich weiß es nicht", antwortete die Baronin. „Hat er sich nicht wieder sehen lassen?" „Nein." Ich erinnerte mich plötzlich, daß der alte Stephan mir von einem Engländer erzählt hatte, der am gleichen Tage, als ich meinen ersten Besuch in der Todtcnhalle machte, dort gewesen war. Ohne Zweifel war dieser Engländer mit dem, der die Baronin ausgesucht hatte, identisch. In diesem Moment trat Therese eilig inS Zimmer. „O, sind Sie schon lauge hier, Mr. Lindley?" rief sie. „Ich erfuhr soeben, Laß Sie da seien." Mich überrascht das Interesse, daS sie an einer so gering fügigen Sache wie an der Dauer meines Besuches nahm, ein wenig. „Sie'müssen die Baronin fragen", antwortete ich. „Mir kommt es vor, als sei ich kaum fünf Minuten hier." „Und einem derartigen Complimcnte soll ich wohl Glauben schenken!" sagte die Baronin lachend. Therese mußte auf den ersten Blick erkennen, daß ihre Tante und ich auf anderem Fuße miteinander standen als bei unserem letzten Zusammensein. Sie sah die Baronin fragend an, worauf diese sich beeilte, zu erwidern: „Ich habe eben eine interessante Entdeckung gemacht, Therese. Denke Dir, Mr. Lindley ist der Großsobn eincS alten Freundes von Tante Anna. Du hast mich gewiß häufig von Lord Niverton sprechen gehört?" zu. Jetzt verstand sie das „Man hört oft von der- Therese lächelte mir huldvoll veränderte Wesen der Tante. „Wie interessant!" sagte sie. artigen Zufällen!" j,Ein Beweis, wie klein die Welt ist", bemerkte ich. „Unsere Welt", sagte die Baronin heiter. „Nun bin ich gespannt, zu hören, worüber die Herrschaften sich so lange unterhalten haben", fragte Therese, offenbar mit noch größerem Interesse, als sie zeigen wollte. „O, über verschiedene Dinge, aber natürlich am meisten über die arme Miß Stuart", antwortete die Baronin. „Natürlich", sagte Therese mit erheuchelter Gleichgiltigkeit. „Aber was ist denn so viel über sie zu sagen, außer daß wir auf ihre baldige Genesung hoffen?" „Ich freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß eS ihr gut geht", versetzte ich. „Wir sprechen eben über die dem Anfalle vorausgegangenen Einzelheiten." Therese warf ihrer Tante einen raschen scharfen Blick zu und wandte sich dann an mich. „Haben Sie alle Einzelheiten erfahren?" fragte sie. „Die Baronin war so gütig, sie mir mitzutheilen." „Natürlich auch von dem geheimnißvollen Verschwinden deS Briefes", fügte die Baronin hinzu, „und von dem Be suche von Miß Stuart's Bekannten." Therese lachte. Es war ein kurzes, trockenes Lachen. „DaS Verschwinden des Briefes war nicht geheimnißvoll", sagte sic, „da Fenster und Tbür weit offen standen. Natürlich hat ibn der Wind auf die Straße hinauSgeweht." „Aber weißt Du, Kind, ich erinnere mich ganz genau, daß es ein ganz windstiller Tag war", bemerkte die Baronin. „Hätten wir sonst am offenen Fenster gesessen?" „Tu irrst Dich, Tante", sagte Therese. „ES war wirklich sehr stürmisch. So lange die Thüren geschloffen waren, merkte man natürlich die Zugluft nicht." „Du wirst gewiß recht baden", eutgegnete die Baronin. „Aber was sagst Du zur Vase? Findest Du sie nicht vor- züglich gemacht?" Therese trat an den Tisch und that, als unterzöge sie die Vase einer genauen Prüfung. Aber ich sah deutlich, daß ihre Gedanken gar nickt bei der Vase waren. „Ja", sagte sie zerstreut, „sie ist sehr gut wiederhergestcllt. Ich bin Ibnen wirklich sehr dankbar, Mr. Lindley, daß Sic sich so viel Mühe gegeben haben, den von mir angerichteten Schaden wieder gut zu machen." Ich versicherte ihr, sehr glücklich gewesen zu sein, ihr den kleinen Dienst leisten zu können. Dann verabschiedete ich mich von den Damen und erhielt eine dringende Einladung von ihnen, sie bald wieder zu besuchen. 9. Capitel. Während der nächsten Tage war ich in einer keineswegs heiteren Stimmung. An jedem Morgen begab ich mich zu vr. Falck, um mich nach dem Befinden seiner Patientin zu erkundigen. Jedes Mal war die Antwort, die ich erhielt, derartig, daß sie mich in einen Zustand großer Sorge versetzte. Zuweilen ging eS Elhelren etwas besser— zuweilen schlechter — eine entschiedene Veränderung war noch nicht bemerkbar. Ich fragte 1)r. Falck, wie lange Zeit seiner Ansicht nach der gegenwärtige Zustand, der Dinge dauern könnte, er erwiderte, daS vorauSznbestimmen sei ein Ding der Unmöglichkeit. „Aber", setzte er hinzu, „ich bin überzeugt, daß früher oder später eine Krisis eintreten muß." „Und was wird dann folgen?" fragte ich ängstlich. „Dann wird sich der Zustand der Kranken entweder rasch bessern, oder eS ist Alles auS." Seine letzten Worte verursachten mir einen seltsamen, heftigen Schmerz, den zu bekämpfen ich mich vergebens be mühte. Sollte ich daS Mädchen nur dem Grabe entrissen haben, um eS wieder zu verlieren? Ich bemühte mich, meine Zeit und Gedanken gänzlich meiner Kunst zu widmen. Bis jetzt hatte sie — wenn ich mich auch nicht so sehr in sie zu vertiefen vermochte, wie Or. Falck in seine Wissenschaft — mich doch mächtig gefesselt; sie war mir ein Mittel gewesen, den meiner Natur inne wohnenden Schönheitssinn zu befriedigen. Jetzt plötzlich hatte ich da» Interesse an ihr verloren. Ich stand vor einem un vollendeten, längst begonnenen Bilde und spielte mit den Pinseln, ohne im Stande zu sein, meine Aufmerksamkeit so weit fest- zuhalten, daß ich die Farben hätte mischen können. Ich er tappte mich oft Lei müßigen Träumereien, aus denen ich stets erschreckt auffuhr. Der Gegenstand meiner Träume war stets derselbe: Ethelren Stuart. Eines 2ages, als ich eben Or. Falck besuchen wollte, stieß ich vor seiner Thür auf ihn, der eben aus dem Hause trat, und »war so eilig, daß wir fast gegen einander gerannt wären. „Sie kommen mir sehr gelegen", rief er, als er mich er- blickte. „Ich war eben im Begriff, eine Droschke zu nehmeu und zu Ihnen zu fahren." Offenbar war etwa- Wichtiges geschehen, aber wa»? Ehe ich noch eine Frage an ihn stellen konnte, fuhr der Doctor fort: „Seit Ihrem Besuche heute früh ist eine bedeutende Ver änderung in Miß Stuart's Zustande eingetreten l" „In welcher Art? Spannen Sie mich nicht auf die Folter!" „Eine günstige Wendung ist eingetreten." Ich athmete erleichtert auf. Der Doctor fuhr fort: „Als ich bei ihr im Zimmer war, öffnete sie plötzlich die Augen, und ich bemerkte mit Befriedigung, daß der leere Ausdruck aus ibnen geschwunden war. Dann bewegte sie die Lippen und flüsterte ein paar Worte, die ich anfangs nicht verstand. Vielleicht aus dem Grunde nicht, weil sie englisch sprach und ich dieser Sprache nur insofern mächtig bin, als ich ihr folgen kann, wenn langsam und deutlich gesprochen wird. Nach einer sichtlichen Anstrengung ihrerseits wieder holte sie die Worte deutlicher." „Nun, und wie lauteten dieselben?" fragte ich in höchster Spannung. „Sie lauteten: „Wo ist er? Warum kommt er nicht zu mir? Ich will ihm danken." Mein Herz schlug rascher vor Freude. Ich zweifelte nickt daran, daß ihre Worte mir gegolten hatten. Der Gedanke, daß ich ihr kein Fremder war und daß ihre erste bewußte Aeußerung mir galt, beglückte mich unendlich. „Zwar nannte sie nicht Ihren Namen", fuhr vr. Falck fort, „aber ich merkte Loch sofort, daß sie an Sie dachte. Nun war es aber sehr zu überlegen, ob ihr dieser Wunsch er füllt werden dürfte. Ich befürchtete, die Erregung eines Wiedersehens mit Ihnen konnte ihr Schaden thun." „Aber jetzt denken Sie anders?" fragte ick ungeduldig. „Ja; ich will Ihnen den Grund meiner Sinnesänderung sagen. Als sie ihren Wunsch geäußert hatte, frag!« ich sie sehr leise, wen sie zn sehen verlange? „Den Herrn der mich gerettet hat", sagte sie. „Seinen Namen weiß ich nicht."" „Ich bin erstaunt, daß sie überhaupt etwas von mir weiß", bemerkte ich. „Sie und die Wärterin haben wohl an ihrem Bette von mir gesprochen?" „Nein. Wir haben absichtlich jede Erinnerung an ihren Starrkrampf und an ihre Errettung vermieden." „Als sie ihre Augen in der Todtenhalle zum ersten Male öffnete", sagte ich, „schien eS kaum, als sei sie sich ihrer Situa tion bewußt, obgleich es mir einmal vorkam, als schaute sie mich an. Ihre Augen hatten jenen leeren erschreckten Blicks den wir bei einem plötzlich au» dem Schlafe erweckten Kinde bemerken."
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