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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950225016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895022501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895022501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-02
- Tag1895-02-25
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Vezug-Prsi- A> h«e H»»-t«p«hittoll oder de» im Stadt, »«bck MdL<°mln, »Sicht«» >,». M^»«»,«r»lt: «.«.ltLdrltchXiLa Lmäichlm» «>» Oest»ne1ch: oiertellthrUch ch—. Dtr«t, täglich» Kre»»daadie»d>ui, HG U»-l«»dr «onaUlch ^ 'UV- M»Morg««.L^gab, erscheint tä-llch'/,?llh^ dt» »b«ch-«»»g»b, W»ch«»tagB t Uhr. Rt-arttr« »ad Lrvedittoa: MeLrdeditto, tstVocheutag» »«mtertzroch«, ^»ffHet W» früh S »G «de»d» ? Uhr. Filiale«: VW «»»'» A-rtt«. Mlf»» H«ch»k It»i»erstchtOitr»d» 1» L-»t- Lösche. R»ch»ri»,sftr. Ich pari- »n> K-«ka-rketz T Morgen-Ausgabe. rlp)WrTagMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeigerr-Prei- dir Sgrspaftrne Pttitz«Ue SV Psg. Meclome» »nt« hem«»dactt-«-strlch 14 g». sp«lt»a) bv^, »o» de» tzamtlieauachricht«, (S ^spalte») 4üch> Großer» Echrtst« taut »ujerem Preich- »erietchniß. Tabellarffch« und gifferasatz »ach höherem Tarif. 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Jahre de- deutschen Reich- sind die Welfen mächtig über die Waiblinger. Der Reichstag hat, soweit au ihm liegt, in der verflossenen Woche die Auf hebung de- IesuitengesetzeS perfect gemacht, und dir Be sorgnis daß der BundeSrath, der die Redemptoristen schon daran gegeben, vor dem vom UltramontaniSmuS auf die Staage gebäagteu Grßlerhut die Reverenz machen werde, ist nach den früheren gleichen Reichstagsbeschlüssen nicht so leb haft gewesen wie jetzt. Man hat den Gegnern der Wieder- zulaffuag deS Jesuitenordens einen Vorwurf darau- gemacht, daß sie diese in der dritten Lesung am vergangenen Mittwoch nicht nochmals rednerisch bekämpft haben. Wir glauben, daß sie unter dem anscheinend nicht für da- ganze Reich richtigen Eindruck gehandelt haben, im Lande, wo man der übermäßigen parlamentarischen Reden ohnehin überdrüssig ist, lege man keinen Werth auf eine bei den Parteiverhältnissen im Reich-tage aussichtslose Debatte. Auch über die geringe Frequenz der der Schlußabstimmung über das Irsuitengesey glaubt man sich keine Gewissensbisse machen zu müssen. Wäre die Anzweifelung der nicht im Entferntesten vor handenen Beschlußfähigkeit zu erwarten gewesen, so hätte eben eia volles Haus den Centrumsantrag angenommen Ja Zeiten frisch pulsirenden politischen Leben- würbe man allerdings nickt so gedacht und gehandelt Hab Den Verzicht aus rednerische Auseinandersetzungen mit den Ultramontanen haben auch die Parteien des preußischen Abgeordnetenhauses als den besseren Theil erwählt. Am Freitag «öffnete da- Centrum die Debatte über den CultuS- etat mit der traditionellen Forderung der „Gerechtigkeit" für die katholische Kirche. Der Cultusmmister Qc. Bosse, dessen Geh«lt zur Berathung stand, konnte sich einer mehrfachen Entgegnung nicht entziehen, aber die Parteien ließen die klerikalen Reden stillschweigend über sich ergehen, weil etwaige Er klärungen ihrerseits auf etwaige Entschließungen der Regierung keinen Einfluß gehabt hätten. Die Regierung weißsehr wohl, wa- da- Land mcht will, aber sie rechnet mit einem Reichs tag, der die Grundstimmung der Mehrheit der Bevölkerung nicht wiedergiebt. Die erst« Lesung der Tabaksteuervorlage — man wird nicht sagen können, daß mit der Erwähnung dieses Gegenstände- im Anschluß an das Vorstehende ein „schroffer Uedergang" bewerkstelligt werde — ,st verhältnißmäßig rasch erledigt worden. Die Stellungnahme aller Redner war die er wartete, und man würde dem Gesetze die Prognose stellen können, wenn man wüßte, ob sich den Centrumsmitgliedern, welche da- Wesentliche der vorgeschlagenen Tabakbesteuerung a«S sachlichen Gründen — Rücksichten auf die Tabak Pflanzer und die finanziellen Verlegenheiten der Einzel- staatea — eine für da- Zustandekommen einer Mehrheit genügende Anzahl solcher Parteigenossen anschließen wird, die sich auS politischen Erwägungen entschließen, den Regierungen ein Entgegenkommen zu bezeigen. Mit anderen Worten: man weiß gar nicht-, es sei denn, man wäre scharf- finnig genug, die Haubrl-conjuncturen für den Mai oder Juni berechnen zu können. Was für den Tabak gilt, gilt auch für die Umsturzvor läge; nur daß sich hier Leistung und Gegenleistung zum Theil im Gegenstände selbst austauschen lassen. Da- Centrum hat in der Eommlssiou schon bisher für mäßige Bewilligungen hohe Ansprüche gestellt, und neuerdings fordert e- in seinem An trag zu §. 130 de- Strafgesetzbuchs einen kolossalen Preis. ES will nicht die Beschimpfung von grundlegenden Einrich tungen bestraft wissen, sondern der philosophischen, naturwissen schaftlichen und auch der theologischen Forschung den GarauS machen und nebenher eine Bestimmung treffen, welche, bei Lickt besehen, die reich-gesetzlich bestehende Civilehe in Wider spruch mit dem ReichSstrafaesetzbvch setzt. Gegen diese Gesetz gebung wird mit voller Berechtigung alle- Das angeführt werden, wa- vereinzelt und ohne zureichende Begründung im Interesse der Freiheit der Wissenschaft gegen die Regierungs vorlage vorgebracht worden ist. Man Vars indessen vorläufig aunehmen, daß diese- Gericht auch den Eonservativea un verdaulich scheint, während andererseits auS Rücksichten au da- Alte Testament da- Centrum den konservativen Vor schlag, nur da-Ehristenthum und nicht die Religion vor Beschimpfungen zu schützen, zurückweisen wird. Etwa- komisch nimmt eS sich, beiläufig bemerkt, au-, daß dieselbe Partei, au- der heraus vor wenigen Jahren eine bewegliche Klage darüber ertönte, daß die Schulkinder nicht- von der Ge schichte de- jüdischen König- Hi-kia- wüßten, jetzt da- Recht, den jüdischen Glauben zu beschimpfen, gewahrt sehen will. Eine Verbesserung wird man in dem weiteren konser vativen Antrag finden dürfen, auch beschimpfende Aeußerungen gegen die Heiligkeit de- Eide- unter Strafe zu stellen. Die Budgetcommissioa de- Reich-tage- ist in die Be rathuag der außerordentlichen Erfordernisse de-Marineetat- ringetreten — ein dritte» Object für den, wie Juristen sagen würden, „Verkehr in volitischen Waaren". Die Zeiten, wo man den Wunsch nach Ergänzung unserer Kriegsflotte au eine „subjektive Marineliebhaberei" zurückführen durfte, sind vorbei. Die Unzulänglichkeit der deutschen Krieg-marine, namentlich ihr Mangel an den für den Küstenschutz, die Ber« vroviautirung im Kriege und die Verteidigung der Handels flotte so unentbehrlichen Kreuzer, ist anerkannt. Die Commission hat dem» auch die geforderten vier Kreuzer bewilligt; ob aber dir Eentrum-mitglrever der Commisswn die Mehrheit der aesammteu Fraktion hinter sich haben, muß sich erst noch Herausstellen. Dem Reiche um seiner Nothdurft willen da- tägliche Brod zu gewähren, ist de- Lande» nicht mehr der Brauch. Vielleicht wird im Plenum auch in Bezug auf unsre Flotte uichts Rechte- ohne die Anwendung de- äc> ut äos zu Ttaud« kommen, zumal da- Ceotrum nicht an die Küste grenzt. Deutsches Reich. * Lei-ztg. 23. Februar. Seit Jabren haben die sogenannten Aureau-Ängestellten, d. h. die in den Bureaux von Rechtsanwälten, Notaren, Gerichtsvollziehern, von BerufSgenossenschaften, Caffen aller Art u. s. w. auf Grund privatrechtlichrn Vertrage- beschäftigten Personen, owohl bei dem Bundesrathe und dem Reich-tage, als auch bei dem Reichskanzler Klage über ihre BerufS- verhältnisse geführt und um gesetzliche Regelung derselben gebeten. Den Kern der Beschwerden bildet der Hinweis darauf, daß der Stand der Bureau-Angestellten der einzige sei, dessen ArbeitSverhältniffe der Willkür der Arbeitgeber vollständig unterworfen sei, während in jedem anderen Berufe, gleichviel ob r- sich um Gewerbe- oder Handlungs-Gehilfen, um Dienstboten oder Seeleute bandle, eine für die Angestellten wohlthätige Regelung bestehe, »nächst mache sich der Mangel einer Bestimmung über die ündigungsfrisl bemerklich, welcher zur Folge habe, vaß die Angestellten ihrerseits zwar an eine monatliche oder noch längere KüiidigungSsrist gebunden seien, selbst aber jederzeit ohne Kündigung entlassen werden könnten, ierdurch aber geriethen sie angesichts der Gefahr, jeden ag brodloS werden zu können, in ein entwürdigende- AbhängigkeitSvcrhältniß. Die Arbeitszeit der Bureau Angestellten sei übermäßig lang, Sonnlagsarbeit die Regel. Zwölsstündige Arbeitszeit sei in den Schreibstuben der Rechts anwälte nicht selten eingeführt. Dazu komme in sehr vielen Fällen Ueberarbeit, die zu Hause gefertigt werde. Die meisten An zesrellten müßten sich aus Kosten der Gesundheit zu solchen Arbeiten entschließen, um ihre unzulängliche Besoldung zu ergänzen Unter übermäßiger Arbeitszeit batten besonder- die jugend lichen Personen zu leiden. Daß bezüglich der Annahme, Ausbildung und Verwendung der Bureaulehrlinge völlige Freiheit herrsche, gereiche nicht nur den Einzelnen, sondern dem ganzen Berufe zu schwerem Nachtheil. Der Andrang besäoigter Söhne armer Eltern zu dem Schreibrrberufe, der sofort einen, wenn auch geringen Verdienst bringe, sei stelS groß. Sie würden in den Bureaur zahlreich angenommen, au-genutzt, schlecht bezahlt, um, wenn sie in ein Älter gelangt seien, welches vöhere Ansprüche an Besoldung zu machen rechtfertige, entlassen und durch neue Lehrlinge ersetzt zu werden. Zn Berlin seien von den Angestellten der Rechtsanwälte, Notare und Gericht- Vollzieher nicht einmal 25 Proc. über 25 Jahre alt. Die abgeschobenen oder durch die Lobnverdältnisse zum Ausscheiden auS dem Berufe benöthigtea Bureau-Angestellten fänden zwar zum Theil Unterkunft in anderen Stellungen als Hau diener, Arbeiter rc., ein größerer Theil aber gebe zu Grunde, bevölkere die Landstraßen, die Arbeitshäuser und zuletzt die Strafanstalten. Der Wunsch der Betheiligten geht dahin, eS möchte eine Erhebung über die Lage der Bureau-Angestellten veranstaltet und auf Grund der Ergeb nisse derselben eine gesetzliche Regelung der Arbeitsverhältnisse dieser Personen in die Wege geleitet werden. Sofern einer solchen gesetzlichen Regelung näher getreten werden soll, wird allerdings eine Erhebung über die einschlägigen Verhältnisse unvermeidlich sein. Wie wir nun hören, ist zunächst in Frage gekommen, ob eS sich empfehlen werde, der Angelegenheit näher zu treten, eine Erhebung über die fraglichen Verhält nisse zu veranstalten und eventuell bei dieser Erhebung die Commission für Arbeiterstalistik zur Mitwirkung zu berufen Vor eigener Entschließung hierüber wünscht nun da- königl. sächsische Ministerium zunächst darüber unterrichtet zu sein, ob, soweit sich die einschlagenden Verhältnisse obne eingehende Erörterung übersehen lassen, die Klagen der Betbeiligten that- sächlich b«z. in vollem Umfange begründet sind und eventuell, ob auch ein gangbarer Weg zu wirksamer Abhilfe sich darbietet. Zu diesem Zwecke hat da- Ministerium eine Rundfrage an die betbeiligten Kreise gerichtet. Hoffentlich ist da- Ergebniß dieser Befragung ein bejahendes, damit den Klagen, die ja in ausführlicher Weise auch der hiesige Bureaubeamtea- verein begründet hat, begegnet werden kann. HI Berlin, 23. Februar. Au- den Berathungen, welche die Vertretungen der gewerbe- und handeltreibenden Kreise in den letzten Tagen über den Anfang Januar im „Reichs anzeiger" veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerb» ab gehalten haben, geht unzweifelhaft bervor, daß, wenngleich auch eine Minderheit entgegengesetzter Ansicht ist, doch die große Mehrheit dem Gesetzentwürfe im Allgemeinen, wie der Aufnabme von Vorschriften über den Berrath von Fabrik- und Geschäfts geheimnissen in den Entwurf im Besonderen zustimmt. Man wird, was die Vorschriften über die Fabrikgeheimniffe betrifft, in ihnen eine Ergänzung unserer auf den Schutz des gewerb lichen EigentbumS gerichteten Gesetze, namentlich des Patent schutzes, erblicken müssen. Vielfache Gründe können einen Gewerbetreibenden bestimmen, für eine Neuerung in seinem Betriebe den Patentschutz nicht nachzusuchen. Manchmal kann e- auch zweifelhaft sein, ob die Neuerung eine Er findung ist und deshalb überhaupt unter den Patentschutz fällt. Di« Gewerbetreibenden sind in allen diesen Fällen auf die Ver schwiegenheit ihrer Angestellten angewiesen, wenn sie von der be treffenden Neuerung die ihnen als Entdecker zustebendea Vor- thrile haben wollen. Der Berrath kann sowohl dolo- wie fahrlässig sein. In beiden Fällen wird er bestraft werden müssen, denn nur so kann dem häufig beobachteten Au-- plaudern von Fabrikgeheimnissen vorgebeugt werden. Der Haupteinwand, der gegen die vorgeschlagene Regelung gemacht wird, ist der, daß der Begriff de- Fabrik- gtheimnifses nicht feffstehe und daß deshalb die Gefahr vorliege, e- würde jungen Leuten die Anwendung der in einem Betriebe erworbenen allgemeinen Kenntnisse erschwert, wettn nicht unmöglich gemacht werden können. Der Eiawaod ist nicht stichhaltig. Denn der Begriff ist sowohl dem Sprach gebrauche de» täglichen Leben-, wie der Strafrechtspflege geläufig, und weun der Gesetzentwurf von einer definitiven Feststellung desselben absteht, so folgt er nur dem Brauche, lrr auch bei ähnlichen Gesetzen beobachtet ist. Im Uebrigrn bat eine ganze Anzahl bundesstaatlicher Strafgesetze Bor schriften gegen den Berrath dieser Geheimnisse früher gekannt, und die belgische und italienische Gesetzgebung zeigt doch, daß sich mit solchen gesetzlichen Bestimmungen ?ehr wohl die berechtigten Forderungen de- praktischen Leben- vereinbaren lassen. Nachdem nunmehr die berufenen Vertretungen der interessirten Kreise ihre Gutachten abgegeben haben und dieselben im großen Ganzen zu Gunsten der gesetzlichen Regelung der Materie ausgefallen sind, wird im Reichsamte des Innern der Gesetzentwurf zur Bekämpfung de- unlauteren Wettbewerbs einer nochmaligen Durchsicht unterzogen werden. Man hofft, die Vorarbeiten noch so früb beendigen zu können, daß BundeSrath und Reichstag noch Gelegenheit gegeben werden kann, sich mit dem Entwurf während der laufenden Tagung zu beschäftigen. * Berlin, 24. Februar. Unter der sorgsamen Hand de- CentrumS beginnt das Aussehen deS sogenannten Umsturz - ge setz es sich immer mehr zu verändern. Während geflissent lich auS der Vorlage Alles entfernt wird, was daran erinnern könnte, daß sie in dem Bedürkniß neuer Machtmittel zur Bekämpfung der Umsturzbestrebungen ihren Ursprung gefunden hat, wird auf der anderen Seite bei jedem Paragraphen aufs Neue versucht, daS Gesetz zu einer Waffe für den Klerikalismus zu machen. Der Antrag aus Auf hebung des Kanzelparagraphen auf der einen und der Antrag Rin leien auf der anderen Seite, wonach mit Geldstrafe bis zu 600 Mark oder mit Gefänanißstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden soll, wer das Dasein Gottes oder die Unsterblichkeit der menschlichen Seeke oder den religiösen oder sittlichen Cbarkter der Ehe oder der Familie angreift ober leugnet, diese beiden Anträge sind geeignet, die klerikalen Bestrebungen zu charaklerisiren. Hier volle Freibeit für die Kirche und ihre Organe (wie sie gebraucht worden ist, auch gegen den Staat, davon können die Cullurkampfsjahre Zeugniß ablegen) und dort Geld- und Gefängnißstrafen für die Leugner der Unsterblichkeit der Seele und deS Daseins Gottes, denen ergänzend dann noch die gleichfalls schon angekündigten KampfeSbestimmungen gegen die Freivrit der Wissenschaft und der Lehre hinzutreten sollen. Auch von konservativer Seite ist zu dem Absatz 2 des H. t30 der Strafgesrtznovelle ein brmerkenSwrrther AbänderungSaotrag gestellt worden. An die Stell« von Religion soll „Cbristenthum" ge setzt werden, so daß, einer Forderung der Antisemiten ent sprechend, Angriffe auf die jüdische Religion nicht unter das Strafgesetz fallen sollen. Eine eigene Art, für Zucht und Sitte einzutreten, wenn man auf der einen «eile der christlichen Religion durch Strafandrohung einen größeren Schutz zu schaffen sucht, und auf der anderen Seile die Schimpffrerheit gegen die jüdische Religion sanctionirt. Sehr energisch spricht sich die frei-konser vative „Post" gegen die CcntrumSanträge auS, indem sie auSfÜbrt: „Das Centrum spielt in der ReichStagS- cominission für die Umsturzvorlage eine seltsame Rolle. Balv wirkt es positiv zur Herstellung wirksamer RepressionSmitt« mit, bald stumpft es die Strafsätze ab, erweitert aber den Begriff der Strafthat erbeblich, bald jedoch bestrebt eS sich die Vorlage mit Bestimmungen zu beschweren, welche anderen, sonst positiv gesinnten Elementen die Zustimmung unmöglich machen. So ist die Aufhebung des Kanzel Paragraphen beantragt, nicht nur der Zweikampf unter diejenigen Strafthaten eingereiht, deren Anpreisung oder Entschuldigung unter Strafe gestellt wird, sondern es ist auch eine sehr beträchtliche Verschärfung der Straf bestimmungen wegen Zweikampfe- in der Absicht angeregt, den Zweikampf seiner Natur entgegen zu einem mit der Ehre unvereinbaren Vergehen zu stempeln, und jetzt hat der Abgeordnete Rintelen .... auch noch einen Generalantrag eingebracht, welcher daS öffentliche Bekenntniß zum Atheismus, daS Bestreiten der Unsterblichkeit der Seele und AehulicheS mehr an sich und selbst bann unter Strafe stellt, wenn eS in rein wissenschaftlicher und nichls weniger al- beleidigender und aufreizender Form geschieht I Kritik zu üben ist über flüssig; der Vorschlag ruft die Kritik von selbst hervor: sie findet in der Meinung einer Morgenzeitung, daß mau es mit einem Carnevalscherze zu thun habe, einen charakteristischen AuSdruck. Persönlich thut man dabei Herrn Rintelen Unrecht; Humor und Witz sind ihm völlig fremd. Bei dem Allen fragt sich nun, wohin daS Centrum mit diesem Vorgehen steuert. Möglich, daß man es mit einem wohldurchdachteu Manöver zu thun hat, um sich einerseits bis zum Schluß die Entscheidung für oder wider offen und sich bis zu dieser Compenffation-objecte für Handelsgeschäfte bereit zu halten. Möglich auch, daß man es nur mit Zeichen von innerer Zerfahrenheit und DirectionSlosigkeit im Centrum zu thun hat. Auch in Fragen, wie der Stellungnahme zu dem Antrag« Graf Kanitz, kriselt e» anscheinend im Centrum bedenklich, und man muß immer mehr mit demselben al- einer unbekannten Größe rechnen lernen. Welche von beiden Auffassungen aber auch zutreffen mag, so viel scheint sicher, daß da» Verbalten de- CentrumS in der Umsturzcommission rin scharfe- Schlaglicht auf unsere parlamentarischen Zustände wirft und daher die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken geeignet ist." — Zur Feier des Geburtstages desKvatg- von Württemberg findet heute im Kaiscrhof ein Festessen unter dem Vorsitz de- württembergischen Gesandten Freiherr» von Barnbitter statt. — Dem „Hamb. Corr."^ wird telegraphisch gemeldet: „Auf die au auswärtige Mächte ergangene Einladung zur Eröffnungsfeier de- NordostseecanalS haben diese Mächte bereit- zugesagt. Auch Frankreich wird sich durch einen Admiral vertreten lassen, unter dessen Commanvo zwei Krieg-jachten neuester Construction stehen werden. Ebenso wird rin russischer Admiral mit zwei Krirg-schiffen kommen. — Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: „Das vom „Berliner Tageblatt" als Turiofmu «itgetheUte, von einem im Herzogthum Lchtr-wiq erscheinenden Blatte ge- brachte Gerücht, daß die Wiederabtretung Schleswigs »in Glied in der Kette von Festlichkeiten bilden werde, die ur Eröffnung des NordostseecanalS in Aussicht genommen nd, ist nicht allein, wie das „Berliner Tageblatt" sagt, bezeichnend ür die Beschränktheit gewisser Leut«, sondern zeugt von einer geradezu un glaublichen Dreistigkeit derjenige» Kreis«, al» deren Organ da» schieswigiche Blatt „Moder-maalet" sich darstellt. Die grobe Taktlosigkeit diese» Blatte» «reicht ihre« Höhepunkt in der satt an Mairstätsbeleidigung streifenden Behauptung, daß Ihre Majestät di« Kaiserin für den Plan arbeite. Di« weitere Angabe, daß jene» Gerücht allgemein verbreitet sei und in den Berliner Taft» eifrig erörtert werde, ist lächerlich und abgeschmackt; Niemand in Berlin hat den ebenso abenteuerlichen wie thörtchten Gedanken erörtert." — Der Finanzminister bat, wir der „Reich-aaz.* meldet, im Einverstänvniß mit dem Cultu-minister bestimmt, daß als ehe immittel alle zur Verhütung oder Heilung krank hafter Zustände jeder Art bei Menschen oder Thieren feilgebote nen, mit Branntwein bereiteten Arznei- oder Heilmittel zu be handeln sind, deren Bestandtbeile, Gewichl-menaen und Berei- tungSweise nicht gleich bei ihrem Feilbielen dem Publicum in meinverständlicher Form vollständig bekannt gemacht werden. Die bloße Beigabe einer Herstellung-Vorschrift bei der Verab folgung de- Mittel-, deren Vcrständmß besondere technische Kenntnisse voraussetzt, genügt diesem Erforderniß nicht. Als Geheimmittel sind nicht anzuseben alle diejenigen mit Brannt wein bereiteten Arznei- oder Heilmittel, für welche in dem Arzneibuch für das Deutsche Reich und dessen DmaAzungen, sowie in den Pharmakopöen anderer Länder Vorschriften enthalten sind. — Der neuernannte russische Botschafter für Berlin, Fürst Lobanow, wird der „Kreurztg." zufolge wahrschein lich Anfang nächsten Monats seinen Berliner Posten antreten. — In dem Kreise der inaktiven Generale ganz Deutschlands ist der Gedanke mit Beifall ausgenommen worden, dem Fürsten Bismarck zu seinem 80. Geburts tage Glückwünsche darznbringen. ES soll dies in Form einer einfach, aber würdig auSgestatteten Adresse geschehen. — Der am hiesigen Hofe beglaubigte portugiesische Gesandte Vicomte de Pindella wird sich am 24. d. M. zur Theilnahme an der feierlichen Beisetzung des Erzherzogs Albrecht von Oesterreich auf einige Tage nach Wien begeben. — Durch Eabiiieisordr« ist Major von Francois zur Dienst leistung beim Reichsmarineamt commandirt worden. — Der konservative Landtags- und NeichStagSabgeorduete für Coltbus, Rittergutsbesitzer von Wer deck, der in Berliner antisemitischen Vereinen jetzt Vorträge hält, schloß, wie die „StaatSb.-Ztg." mittheilt. seinen Vortrag im „Deutschen Bürgerverein Hasenhaide" am letzten Donner-tag mit den Worten: „Ohne Kanitz keine Kähne!" Das beißt, wie in dem Bericht ausdrücklich hinzugefügt wird: „Ohne Annahme de- Antrages Kanitz auch keine Bewilligung neuer Schiffe." Der Herr batte sich als Vertreter von „Cbristenthum, Deulschtbum und Monarchie" vorgestellt. Im klebrigen zeigt die Abstimmung der Conservativen in der Budgetcommissioa, daß Herr v. Werdeck nur seine Privat- meinuug ausgesprochen hat. — DaS „Volk" deS Herrn Stöcker hat in Erfahrung gebracht, daß der Reichskanzler Fürst Hohenlohe sich zum Grafen Hompesch als Gegner des Antrages Kanitz bezeichnet habe, und knüpft daran einen lebhaften Ausfall gegen den „neuesten CurS". ' Gifhorn, 23. Februar. Graf Gebhard v on der Schulen- burg-Wotfsburg, Mitglied des Herrenhaus»-, ist gestern gestorben. u. Caffel, 23. Februar. Sämmtliche zu der deutschen Armee commanvirten japanischen Officiere find jetzt abberufen worden, um in dem Feldzuge gegen China ver wendet zu werden. So reiste auch der seit Anfang Mai vorigen Iabres dem hiesigen Trainbataillon al» Rittmeister attachirte Officier Kairo Osawa gestern Nachmittag vo« hier zunächst nach Berlin ab. DaS gesammte OfficiercorvS des Trainbataillons gab dem Scheidenden iu kameradschaft licher Weise daS Geleite zum Bahnhöfe. * Rheydt, 22. Februar. Fürst BiSmarck wurde heute von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig zum Ehrenbürger gewählt. * Coburg, 23. Februar. Der Magistrat hat eS ab- elehnt, die beantragte besondere Ehrung de- Fürsten iSmarck zu dessen 80. Geburtstag seitens der Stadt gemeinde in- Werk zu setzen. * Mainz, 23. Februar. Der commandirende General v. Wittich sendet der hiesigen focialdemokratischen „BolkS- zeitung" in Betreff der vor einiger Zeit gemeldeten Ab- urtheilung deS socialistischen Redakteurs Becker folgende Berichtigung: „Der vormalige Kanonier M. Becker ist nicht unschuldig, sondern weil er mit der Cigarre im Munde zum Kaffee-Empfange angetreten ist, disciplmarisch mit 8 Tagen mittleren Arrestes bestraft worden, und seine Berurtbeilung zu 3 Jahren Gefängniß ist nicht wegen der Kritik deS Beschwerde recht- erfolgt, sondern wegen einer Reihe von Aeußerungen, durch welche er sich in gröblichster Weise gegen Z. 102 des M.-St.-G -B. vergangen hat." * Frankenthal, 23. Februar. Der Stadtrath ernannte de» Fürsten BiSmarck einstimmig zum Ehrenbürger. * Stuttgart, 23. Febrnar. Dem Antrag Haußmann'S entsprechend, wählte die Abgeordnetenkammer in der heutigen Sitzung eine Commission zur Vorberatbung der Antwortadresse auf die Thronrede, worin die Anliegen der Volksvertretung AuSdruck finden sollen. Haußmann be tonte, daß insbesondere die Tbronredestelle dzüglich der Der- faffungSrrviston eine Erwiderung erfordere, da nach seiner Ansicht die von der Regierung gewünschte jttärung durch den Wablau-fall bereit- deutlich vollzogen sei. Ministerpräsident v. Mittnacht erklärte, di« Regierung sei jeder Zeit bereit, über ihre weitere Haltung in der VerfaffungSrevision-frage mündlich Auskunft zu geben. Weiter erklärte v. Mittuacht, daß die Regierung mit der Frage der Einführung deS Proportionalwahlsystems sich eingebend beschäftigt habe. Tie Kammer vertagte sich darauf bi- zum 1. März. * Ltratzbnrg, 22. Februar. Wie die „Straßb. Post" der- nimmt, ist der Präsident de» Landesausschusses, vr. Jean Schl um- berger, Mitglied deS StaatsratheS, Fabrikant in Gebweiler, bei Gelegenheit seiner goldenen Hochzeit in den Adelsstand versetzt worden. * München, 23. Februar. Der Magistratsbeschluß, dem FürstenBiSmarck das Ebrenbürgerrecht der bayerischen Haupt- und Residenzstadt München zu verleiben, wurde laut „N. M. T." mit allen gegen zwei ultramontane Stimmen gefaßt. Diese beiden CentrumSangebörigen moti- dirteu ihre Abstimmung dabin, daß sie dem Fürsten BiSmarck zwar als Gründer de- deutschen Reiche- daS Ehrenbürger- recht von München zugedacht wissen wollten, nickt aber al- dem Vater de- CulturkampfeS, gegen welchen sie »ock heute Verwahrung einlegen müßten. Im Uebrigen sind alle im Magistrat vertretenen Parteirichtungen darin einstimmig qe-
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