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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.03.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950304023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895030402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895030402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-03
- Tag1895-03-04
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Gxtr«»veUa»r» (gefalzt). «nr «tt d» Morgen-Ausgabe, ohne Postdefördernng M.—, mit Postdesörderung ^g 70.-. Anzeiger. Drglln für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anmchmkschlub fiir AuM-r»: Nbend-Nusgab«: Bormittngs 10 Uhr. Margen-LuSgade: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag- früh '/^ Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je eia« halbe Stund« früher. Nttjeiacn sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^-116. Montag den 4. März 1895. 8S. Jahrgang. Politische Tages schau. * Leipzig. 4. März. Die Einladungen von Nichtmitgliedern deS Ttaatsrath» zur Theilnahme an der auf den 12 d. M. emberufenen engeren Versammlung dieser Körperschaft sind ergangen, und eS wiederholt sich die Erscheinung, die im vorigen Jaüre nach der Nennung der Mitglieder der Silbercon ferenz zu beobachten war: die conservativ-agrarischen Agitatoren schlagen Lärm, weil nicht lauter Männer berufen sind, von denen man sicher sein kann, daß sie für möglich und absolut nothwendig erklären werden, rvaS in seiner Durchführbarkeit von den ostelbischen Agrariern selbst bezweifelt wird. Man verlangt, daß der Antrag Kanitz „geprüft" werde, und verargt es gleich wohl der Regierung, daß sie nicht ausschließlich für ihn Vor eingenommene zur Prüfung zuziebt und ihn fordernde VolkS- versammlungsredner, über deren Mangel an wirthschaftlicher Bildung nirgends ein Zweifel obwaltet, fernhält. Daß Graf Kanitz leidst eingeladen und zum Referenten über seinen An trag bestellt ist, befriedigt die Herren nicht, obwohl diesem Parlamentarier auch ferne Gegner die Eigenschaft eines überaus gewandten DebatterS nicht absprechen. Ob Herr v. Kardorff wirklich anfänglich, wie das „Volk" meldet, zum Referenten bestimmt war, siebt dahin, jedenfalls ist es er wünscht, daß er nicht als solcher fungiren wird, denn bei der Berathung über einen solchen neuen und ernsten Vorschlag gebührt einem überzeugten Anhänger das erste und letzte Wort, und Herr v. Kardorff, darin Kal das „Volk" Recht, steht dem Antrag kühl gegenüber. Für diesen frei- conservativen Agrarier ist eben die landwirtbschaftliche Be wegung eine berufliche, die er nicht zu politischen Zwecken ausgenutzt wissen will, und das Project der Verstaatlichung der Getreideeinfuhr ist weiter nichts als ein politischer Zündstoff. Vielleicht siebt sich Herr v. Kardorff außer Stande, im Staatsrath Nein zu dem Antrag Kanitz zu sagen; daß er an seine Verwirklichung nickt glaubt, darüber hat er in der entsckeivenden Sitzung der „Wirthschaftlichen Vereinigung" des Reichstags keinen Zweifel gelassen. Es kam damals zwischen ihm und dem Grafen Kanitz über die Aussichten des Antrags zu einer recht interessanten Meinungsverschiedenheit, bei welcher der Erstcre sich als der wohlunterrichtetste Realist und Graf Kanitz als Idealist zeigte, hinter welchem aller dings tadellose Realisten stehen, aber nicht volkswirthschast- licke, sondern politische. Diese haben ihre Sache nicht auf den Antrag Kanitz gestellt, sondern aus dessen Ablehnung, und, wie schon vorgestern ersichtlich war, der Plan ist, den voraus gesehenen Gang der Dinge gegen die Person des Kaisers aus zubeuten. Das mehrfach erwähnte „Volk", zur Zeit ein sehr wichtiges Blatt, giebt eine Darstellung, welche es gestatten soll, eine etwaige Vcrwerfu n g des Antrages Kanitz im Staatsratb auch als das Werk des Monarchen gegen das Einfuhrmonopol zu bezeichnen. Nun hat der Kaiser das Recht, über jede öffentliche Frage eine Meinung zu haben; es heißt ihm aber die Veranstaltung einer Farce unterstellen, wenn man den Anschein erweckt, der Kaiser berufe eine Körperschaft zur Prüfung einer Frage lediglich zu dem Zwecke und unter Förderung deS Zweckes, seine Auffassung als die siegreiche hervortreten zu lassen. Das geschieht im „Volk" und in etwas vorsichtigerer Weise auch in der „Kreuzzeitung" die — zur Selbstdeckung — Niemand „tadeln" will, der den Antrag Kanitz für undurchführbar hält, aber doch zu dem Schluffe kommt, die Ablehnung würde eine Folge derAbhängigkeit von der Spcculation und eine Mißachtung des „Schattens Friedrichs des Großen" sein. Die diesjährige Feier von Kaisers Geburtstag in Pretoria, der Hauptstadt der Transvaal-Republik, gestaltete sich, wie wir der in Capstadt erscheinenden, soeben einge troffenen Nummer der „Südafrikanischen Zeitung" vom 30. Januar entnehmen, zu einer wichtigen politischen Kund gebung, welche für das Deutschthum und die deutsche Politik in Süd Afrika von wesentlicher Bedeutung ist. Sie ist der äußere officielle Ausdruck der Beziehungen zwischen Deutsch land und der südafrikanischen Republik, welche sich in letzter Zeit bekanntlich recht erfreulich gestaltet haben. An der glänzenden Feier betheiligten sich etwa 300 Personen, meist Mitglieder der deutschen Gemeinde. Der deutsche Generalconsul von Herff führte den Vorsitz, Präsident Krüger und Staatssecretair vr. LeydS nahmen die Ehren plätze ein. Zunächst brachte von Herff da- Wohl deS Präsi denten auS. Fünf Jahre, sagte er etwa, wären verflossen, seitdem er im Aufträge des Kaisers nach Pretoria gekommen sei, um zwischen Deutschland und der südafrikanischen Republik freund schaftliche Beziehungen zu knüpfen und die Jnieressen seines Landes zu vertreten. In diesem Bestreben habe er Erfolg über alle Erwartungen hinaus erzielt, denn kein Geringerer habe ihn dabei unterstützt, als der Präsident selbst (Beifall); er hoffe, dieser sei jetzt zu der Ueberzeugung gelangt, daß Deutschland ein wirklich aufrichtiger Freund des Transvaals sei und daß das deutsche Südwest-Afrika kein größeres politisches Interesse kenne, als den Transvaal bei seinen Bemühungen, das politische Gleich, gewicht in Süd-Afrika aufrecht zu halten, zu unterstützen. AuS der Rede desPräsidentenKrüger feien folgende Stellen hervorgehoben: „Während meines Aufenthalts in Berlin 1884 wurde ich von Kaiser Wilhelm I. mit ausgesuchter Freundlichkeit und großer Güte empfangen. Obwohl ich ja stets das junge Staatswesen, welches ich vertrat, wie ein kleines Kind ansah, kam mir doch der Kaiser entgegen, als stünde ich an der Spitze eines bedeutenden unabhängigen Staatswesens. Ich erinnere mich sehr wohl, daß ich damals auch den jetzigen Kaiser als jungen Prinzen am Hofe sah; meine Erinnerungen an ihn sind durchaus angenehmer Natur. Ich bin überzeugt, daß er den Fußstapsen seiner Vorfahren folgt und daß er die Bande stärkt, welche unsere Staaten verknüpfen. (Anhaltende Zurufe.) Was meine deutschen Unterthanen betrifft, so habe ich sie stets loyal und treu gefunden, jederzeit bereit, den Gesetzen des Sioates zu gehorchen. Dies konnte ich erst jüngst wieder bei dem Kafiernkriege erfahren. Eines Tages kamen drei oder vier Deutsche zu mir und sprachen: Wohl sind wir Unterthanen unseres Kaisers in Deutschland und sind nicht naturalisirt, aber wir genießen die Bortheile dieses Landes, und wir sind bereit, es nach seinen Gesetzen zu verlheidigen; wenn Ew. Excellenz unser« Dienste für den Krieg benöthigrn, werde» wir ziehen, und sie zogen hin! Dos ist der Geist, den ich bewundere! Sie standen unter dem Gesetze, sie arbeiteten unter dem Gesetze, sie gehorchten dem Ge- setze, und sie fielen im Kriege unter dem Geietzel Nicht alle meine Unterthanen sind so; die Engländer z. B., obwohl ja auch sie sich gut betragen und dem Staate loyal sind, greifen doch stets auf England zurück, wenn ihnen dieses paßt. Deshalb will ich auch stets Deutschlands Interessen för dern, sei es auch nur mit den Mitteln eines Kindes, als welches mein Land gilt. Dieses Kind wird jetzt von der einen Großmacht mit Füße» getreten; die natürliche Folge ist, daß es Schutz bei der andern sucht. Die Zeit ist gekommen, wo zwischen Deutsch land und der südafrikanischen Republik die aller- freundschaftlichsten Beziehungen geknüpft werden, wie solche zwischen Vater und Kind natürlich sind." Zum Schluß brachte der Präsident da« Wohl des Kaiser- auS. Die Anwesenden stimmten mit begeistertem Jubel ein. Die gegenwärtigen Unruhen auf Vuba sind, wie alle früheren, die Wirkung zweier Ursachen: der Unrufriedenbeit vieler Bevölkerungskreise mit dem colonialen Regime deS Mutterlandes, und der Vorschubleistung von außen her. Cuba sträubt sich gegen das Bevormundungssystem, welchem eS unterworfen ist und strebt nach einer Ärt von Self government. Da aber von dem Augenblicke an, wo Cuba seine volle administrative Selbstständigkeit er reichte, es ausüören würde, eine Einnahmequelle für den ipanischen Staatsschatz zu bilden, andererseits aber Spaniens Finanzen wesentlich mit auf diese Einnahmequelle angewiesen sind, so erklärt eS sich, daß und warum man in Madrid den Wünschen Cubas gegenüber sich bisher immer sehr spröde gezeigt hat. Eben jetzt ist in der spanischen Deputirtenkammer und im Senat zwar eine Vorlage betreffend die Gewährung von Reformen auf Cuba durchgegangen, allein es erscheint fraglich, ob die darin gemachten Zugeständnisse der cubanischen Homerulepartei auch genügen. Die ganze Frage er scheint zudem durch den Ausbruch der aufständischen Bewegung einstweilen überholt und in den Hintergrund gedrängt, da jedes Entgegenkommen der Madrider Regierung unter diesen Umständen alS Zeichen der Schwäche gedeutet werden und zu moralischer Ermuthigung der Insurgenten führen dürfte. Die vollständige Unterdrückung des Aufstandes ist daher das nächste von Spanien betreffs seines kubanischen Besitzes ins Auge zu fassende Ziel. Wie es um die Erreichung desselben in Wirklichkeit stehen wird, läßt sich einstweilen nicht sagen. ES liegt auf der Hand, daß man in Spanien ein Interesse daran bat, den cubanischen Zwischenfall als möglichst belanglos binzustellen; umgekehrt verralben die aus dem Umwege über den Vereinigten S-taaten kommenden Situationsmeldungen das deutlich erkennbare Streben, die kubanische Affaire in ernstere Beleuchtung zu rücken. Nach der Monroedoctrin gehört Cuba zu der Machtsphäre der nordamerikanischen Union, und eS giebt drüben wohl kaum einen Politiker, der nicht wenigstens im Stillen daran festhielte, daß Cuba s. Z. dem Unionsverband als reife Frucht in den Schooß fallen werde und müsse. Das Auslaufen eines amerikanischen Flibustier- schiffes nach dem Schauplatze deS Aufstandes spricht dafür. Käme Spanien auf Cuba in ernstere Verlegenheit, so dürfte auch Marokko bald genug wieder schwierig werben. Deutsches Reich« v. Leipzig, 4. März. Vor dem vereinigten 2. und 3. Straf senate des Reichsgerichts fand heule der Spionage- proceß gegen den Anstreicher Friedrich Adolf Bruno Hemprich aus Zittau statt. Die Anklage vertrat Herr Reichs anwalt Schumann. Als Sachverständig, r war erschienen Herr Oberstlieutenant im königt. sächsischen Generalstave Freiherr von Friesen, während als Zeugen auftralen der vormalige Zahlmeister-Aspirant Friedrich Otto Hrmprich (Bruder des Angeklagten), jetzt Zuchtbausgesangener in Waldheim, der ehemalige Zahlmeister-Aspirant Ernst Richard AuerSwald, jetzt Strafgefangener im Festungsgefänguiß zu Dresden, Zahl meister-Aspirant Mar Richter aus Chemnitz und Divisions- Auditeur Sturm aus Dresden. — Sogleich nach dem Aufruf der Zeugen stellte der Reichsanwalt den Antrag, die Oeffenl- lichkeit während der ganzen Tauer der Verhandlung aus Gründen der Staatssicherheit auS zu sch ließen. Der Gerichts hof entsprach sodann diesem Anträge. DaS Urtheil wurde um 1 Ubr verkündet. Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zum Versuche des Verraths militairischer Geheimnisse zu 9 Monaten (Jefängniß und einem Jahre Ehrverlust ver- urtheilt. Sein bereits vom Militairgericht verurtheilter Bruder hatte von Frankreich auS an ihn Briefe gesandt, in denen die Adressaten um Uebermittelung geheimer Nachrichten über neue Gewehre und Geschützmunition ersucht wurden. In der Weitergabe dieser Briefe wurde die Strafthat erblickt. 6. v. Berlin, 3. März. Der Kaiser hat sich bekanntlich die Abstimmung über die Kreuzerbewilligung telegraphisch übermitteln lassen; er hat sich dann ferner, wie wir erfahren eingehend mit jener Sitzung befchcistigt und nicht verfehlt, einer Verwunderung über die Haltung gewisser konservativer und agrarischer Kreise Ansdruck zu geben. Diese Do ut Politik, die sich in dem gegebenen speciellen Falle zu der Forderung verdichtete: „Ohne Kanitz keine Kähne", vertrage ich nicht mit der patriotischen Gesinnung, die man gerade in vlchen Kreisen voranSsetzen müsse. Man nimmt daher in den maßgebenden Kreisen an, daß in der dritten Lesung die Kreuzer mit derselben Mehrheit angenommen werden, die bei der zweiten Lesung dafür stimmte. Es heißt ferner, der Staatssecretair deS Reichs - Marine - Amts, Vice-Admiral ollmann, werde zum Admiral befördert werden. Herr ollmann ist am 1 l. August 1803 Unterlieutenant geworden und st seil dem 18. November 1890 Viceadmiral; in dieser Charge befindet er sich also jetzt 4»/- Jakre. Der comman- dirende Admiral Freiherr von der Goltz, der am 14. August 1888 zum Viceadmiral ernannt worden war, wurde am 2. September 1892 Admiral; Admiral Knorr ist ebenfalls nur wenig über 4 Jahre Viceadmiral gewesen. Mit der Ernennung deS StaatssecretairS Hollmann zum Admiral werden selbstverständlich die Schwierigkeiten und Reibungen zwischen Obercommando und Reichs-Marine-Amt, die fick trotz des beiderseitigen Entgegenkommens nicht ganz ver meiden lassen, aus das geringste Maß beschränkt werden, weil dann die Leiter der beiden Behörden in gleichem Range 'tehen. An eine Beseitigung des Oberkommandos ist natür lich nickt zu denken, denn es hat dock eine zu wichtige Aus gabe, die, wie in der kaiserlichen Ordre nach Beendigung der Marine-Manöver bei Swineinünde anerkannt worden ist, Admiral Freiherr von der Goltz mit Hilfe des Chefs des Stabes, Capitain z. S. Türpitz, glänzend gelöst hat. * Berlin, 3. März. Die „Nordd. Allg. Ztg." schrieb in Bezug auf die Stellung des Fürsten Bismarck im Staatsrathe: „Fürst BiSmarck, Staatsminister vr. Delbrück, Graf Zedlitz- Triitzichier, von Heyden-Kadow sind, wie jetzt anerkannt ist, Mit glieder des Staatsraths geblieben, da sie schon vor ihrer Ernennung zu Staatsministern aus allerhöchstem Vertrauen zu Mitgliedern des Staatsrathö ernannt waren. Fürst BiSmarck ist also auch noch heute Bicepräfident des Staatsraths." Hierauf entgegnen, wie telegraphisch schon angeiündigt. die „Hambg. Nachr.": Letztere Auffassung müssen wir doch als eine staatsrechtlich irrt hü ml iche bezeichnen. Auch wir sind der Meinung und haben sie stets vertreten, daß Fürst Bismarck noch heute Mitglied des StaatSrathes sei, weil er das schon geworden ist, lange Zeit bevor er Minister wurde; daß er aber Bicepräfident in Vertretung des damaligen Präsivente», des Kronprinzen, war, ist doch nicht von seiner Mi nisterstellung zu trennen, und wir glauben nicht, daß er eS noch heute ist. Diese Auffassung ist auch die des königlichen Staatsministeriums, von welchem Fürst Bismarck zur Theilnahme an den StaatSratbssitznngen amt lich eingeladen worden ist. Derselbe hat indessen gebeten, ihn mit Rücksicht auf seine Gesundheitsverhältniffe von der Betheiligung an den Verhandlungen zu dispenfiren. — Der Kaiser hat nach der „M. Z." am Sonnabend noch in später Abendstunde den im Hotel „Kaiserhof" ver sammelten alten Herren der Bonner „Borussia" sein Bedauern aussprechen lassen, an dem Feste wegen des Empfanges des türkischen Generals Schakir Pascha nicht Theil nehmen zu können. — Das Kaiserpaar besuchte heute Vormittag den Gottes dienst in der Dom-Jnterimskircke. Um Ilsttz Ubr wurde der stöerreickisch-ungarische Militair-Bevollmächtigte Generalmajor v. Steininger, um 1N/z Uhr der Minister des Innern v. Köller vom Kaiser empfangen. Feirrlletsir. Ein Lecher Lethe. 16j Roman von R. Teilet. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „In der Tbat, eine sehr seltsame Ehe!" sagte vr. Falck. „Sehr seltsam." „Warum sie dieselbe nur geschlossen haben mag!" „Ich kann es mir nicht erklären. Danach fragen kann man sie nicht." „Wir scheinen nach dem Lesen des Brieses nicht klüger geworden zu sein, als wir vorher waren", sagte ick. „Das ist wahr. Wir wissen nicht einmal den Namen oder die Adresse des Schreibers." „Ohne Zweifel ist er identisch mit dem Manne, der die Baronin am Tage nach Miß Stuart'S Anfall besuchte." „Davon bin ich ebenfalls überzeugt." „Dann muß er sie jetzt natürlich für todt halten." „Dadurch ist sie wenigstens vor seinen Verfolgungen sicher." „Aber sie befindet sich trotzdem in sehr mißlicher Lage und kann keinen anderen Mann heirathen." „Wer hat denn die Absicht, sie zu heirathen?" fragte vr. Falck deftig. Er blickte mich durchbohrend an. Ich gab ihm keine Ant wort, denn ich hatte durchaus nicht den Wunsch, ihn in mein Vertrauen zu ziehen. „Es ist traurig", sagte ich, „daß Miß Stuart uns nicht die ganze Angelegenheit erklären kann." „Ja, daS ist sehr fatal. Aber e- ist ein Ding der Un möglichkeit. 2n ein bis zwei Jahren, wenn ihre ganze Con stitution kräftiger geworden ist, kann ihr der Brief unbesorgt gezeigt werden. Dann übt er vielleicht eine gute Wirkung aus." „Auf ihre Gesundheit?" „Nein, aber auf ihr Gedächtniß. Er kann als der ver wandte Eindruck, über den ich einmal mit Ihnen sprach, wirken, oder noch besser als der vollständig gleiche Eindruck. Der erste Stoß betäubt daS Grdäcktniß, der zweite kann es wieder beleben. Aber einstweilen dürfen wir eS nicht wagen, da» Experiment vorzunebmen." „Und wissen Sie nicht» Andere», da» ihr Gedächtniß wieder belesen könnt«?" - - » „Nur eine starke innere Bewegung würde das ver mögen. Es ist an zahlreichen Fällen erwiesen, daß eine große Erregung den durch große Erregung betäubten Geist wieder heilt. Ein berühmter Psycholog sagt sehr richtig: ES ist ein Vorgang ähnlich wie der Vorgang beim Photo- arapbiren. Die sensitive Platte hat den Eindruck der Scene erhalten und im Gedächtniß bewahrt. Jever kleine Umstand ist verzeichnet — der erhobene Huf des Pferdes, die zum Fliegen gespannte Schwinge deS Vogels, das vom Baum fallende Blatt, die gegen das Ufer brechende Welle. All dies ist unsichtbar vorhanden, unbeweglich, unvernehmbar, als sei eö nicht da. Da wird die Platte angefenchtet und sofort zeigt sich die Scene deutlich in all ihren Einzelheiten. Gerade so kann der Strom einer plötzlichen Erregung über die im Gedächtnisse aufgehobenen, vergessenen Bilder früherer Jahre fluchen — über das große Panorama eines N en'chen- lebens — und in einer Secunde taucht vir Bergau«euoeit so lebhaft, so greifbar in uns auf, als wäre sie die Gegen wart. Ich halte diesen Vergleich für sehr zutreffend", setzte er hinzu, „nur sind wir leider verhindert, das Nochwendigste bei der Sache zu thun und Miß Stuart plötzlicher Erregung auszusetzen." „Und unterdessen?" fragte ich im Gedanken an die traurige Zeit, die vergehen mußte, ehe wir Ethelren den Brief zeigen konnten. Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Ich glaube nicht, daß wir unterdessen das Geringste thun können." „Ich mag nicht in müßiger Ruhe den Verlauf abwarten/ rief ich. „Da wir Miß Stuart nicht um dir Lösung de- Geheimnisses bitten dürfen, will ich eS selber zu lösen der suchen. Einer Tdatsache bin ich sicher: sie ist das Opfer irgend eines Zufalles geworden. Vielleicht ist e« noch mög lick, sie zu retten, und ich für meinen Theil will keine An strenguna scheuen, eS zu thun." Ich sprach erregt. Der Doctor antwortete sehr kalt: „Ich möchte wissen, worauf Sie Ihre Nachforschungen stützen wollen?" Ja, das hätte ich selber wissen mögen. Jedoch — vr. Falck ahnte nicht, daß ich nicht ganz ohne Bewe»mate ial war. Ich hatte den Brief mit dem Poststempel, den, Datum, der Handschrift und den Anfangsbuchstaben von des Schreibers Namen. Und zweitens hatte ick — davon war ich fest^ Uber^engt^ obgleich ich es nicht brw»isrn konnte — des Schreit )ild, den gemalten Nest von Cthelren'S entschwundener Vergangenheit. Mit diesen beiden Waffen wollte ich nach England geben und nach dem Manne forschen, der einen so verdervlichen Einfluß auf Ethelren gehabt hatte. Es war eine kühne Idee von mir, wahrhaftig, aber so lange ich nur einen Schimmer von Aus sicht auf Erfolg sah, wollte ,ch vor der Aufgabe nicht zurück scheuen. „Sie haben nichts, worauf Sie sich stützen können", fuhr vr. Falck fort. Dabei sah er noch einmal ,n den Brief und reichte ihn mir dann. Jetzt, da ich dessen Inhalt kannte, hielt ich eS nicht für unerlaubt, selber einen Blick hineinzuthun. Ich wollte mir die Handschrift genau ansehen. „Der Schreiber", bemerkte vr. Falck, „batte ein Postscript hinzugefügt, daS er später duicbstrichcn bat." Ich betrachtete den Brief und das Postscript und plötzlich zog wie mit BlitzeSbelle der Gedanke durck meinen Kopf, ob es der Schreiber selber gewesen sein mochte, der das Post skript bis zur Unleserlichkeit durchstrichen batte. „Geben Sir", sagte ich, „zum Durchstreichen hat er sich anderer Tinte bedient als zum Schreiben." .Zeigen Sie", erwiderte vr. Falck und prüfte das Blatt nochmals mit den Augen. Dann sagte er: „Sie haben recht." „Dann ist eS wohl möglich, daß ein Anderer als der Schreiber da- Postscript durchstrichen hat." „Sehr möglich." „Aber zu welchem Zwecke? Wenn wir das nur wüßten!" „Dann wären wir freilich ein gutes Stück weiter gelangt." „Ob eS kein Mittel giebt, das Postscript zu entziffern?" „Es scheint sehr sorgsam durchstrichen zu sein." „Dadurch wird man um so gespannter, zu erfahren, was es enthält." vr. Falk trat ans Fenster und hielt das Papier gegen daS Sonnenlicht. „Ich kann nicht« erkennen", sagte er. „Halt. Da fällt mir eben etwas ein. Die Tinten sind nicht von genau gleicher Farbe. Die eine erscheint Eisentinte. die andere mit einer Anilinmisckung gefärbt zu fein. In diesem Falle wäre eS vielleicht möglich, die eine auszulösen, ohne di, andere zu verletzen." „Aber man muß ganz sicher sein, daß r» die richtige ist, die man auflöst." „Natürlich. Ich weiß nicht, wie man dabei zu verfahren bat. Die Fabrikation solcher Tinten ist mehr oder weniger Gr- schäftsgcbtlmniß. Aber ich kenne einen Tintknfabrikanten, der mir gewiß gern Auskunft in dieser Sache ertheilt. Vielleicht er weist sich mein Plan als unausführbar. Jedenfalls verlohnt es der Mühe, seinetwegen Schritte zu thun." „Gewiß, gewiß", sagte ich. „Dann will ich Ihnen den Brief lassen, damit Sie Erkundigungen deshalb einziehen. Und wann soll ich wiederkommen?" „Nun, nicht vor morgen Abend. Sie müssen mir Zeit lasten." Damit verabschiedete ich mich von ibm und schlug den Weg nach dem Altezollgartcn ein, wo ich Ethelren zu finden hoffte. Aber was sollte ich ihr sagen, wenn ich sie dort traf ? 20. Capitel. Der Altezollgarten in Grenzstadt ist wunderschön. Man tritt von der Straße auS in ihn ein und befindet sich plötzlich auf dem Lande. Eine breite Ulmenallee, mit einem GraS graben an jeder Seite, führt zu einem hohen, wie ein engliicher Park angelegten Plateau. Am Ende dieses Plateaus ist eine Terrasse, von der aus man den Blick aus den Grenzstadt durchschneivenden Fluß hat. In dem kleinen Park sink Kreuz- und Querwege zwischen blühenden Sträuchern und Immergrün. In ihnen kann man so abgesondert sein, als man will. In der Mitte der Terrasse ist ein kreisförmiger Steinsitz und in der Milte des Kreises steht die Statue eines Patrioten oder eines Despoten — ich erinnere mich dessen nicht mehr genau. Nach diesem Garten begab ich mich, in der Hoffnung. Ethelren zu treffen. Wir hatten uns nicht verabredet; ich wagte in der Baronin und Therese'S Gegenwart nicht einmal eine An deutung aus das Begegnen zu machen. Aber ich wußte, wie scharf Frauen stets blicken, und besonders wenn sie lieben, daher war ich fest überzeugt, Ethelren, wenn sie mich liebte, hier im Garten zu finden. Sie mutzte es erratben haben, daß ich am vorhergehenden Tage im Begriffe gestanden hatte, ihr eine Erklärung zu machen, und nur durch die Baronin und Therese'S Eintritt davon zurückgehalten worden war. Ich nahm an v,r niederen Mauer der Terrasse Platz, ohne der herrlichen Landschaft vor mir Beachtung zu schenken. Ja, ich wandte ihr sogar nach einer Weile meinen Rücken, um immer vir Allee im Auge zu behalten, durch die Ethelren — wenn sie überhaupt erschien — kommen mußte. Plötz lich sah ich ei« Kleid schimmern und sich zwischen den Bäumen nähern. Mein Herz strömte über vor Liebe, als ich sie erblickte. (Fortsetzung folgt.)
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