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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.03.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-03-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950316027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895031602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895031602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-03
- Tag1895-03-16
- Monat1895-03
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Das Herrenhaus hat gestern, wie wir an anderer Stelle ausführlich berichte», ohne Abstimmung den Beschluß gefaßt, dem Fürsten durch den Gesammtvvrstand die Glückwünsche des Hauses in Friedrichsruh zu überbringen. Und im Ab geordnetenhause wird derselbe Beschluß gefaßt werden, nachdem gestern die nationalliberale Fraktion des Abgeordnetenhauses sich dahin entschieden hat, in dieser Richtung die Initiative zn ergreifen. Der Scandal, dem Zentrum zu Liebe ans einen Beschluß zu verzichten, der nach der Stärke der Fractionen zweifellos in nationalem Sinne auSfallen muß, wird also vermieden werden. Aber auch im Reichstage scheint eine Wendung zum Besseren bevorzustehen, lieber die vorgestrige Sitzung des Seniorenconvents wird nämlich jetzt Folgendes bekannt: Präsident v. Levctzow wieS auf den Präceden zsa II von 1885 bin, wo ohne Wider sprnch des Hauses dem Präsidenten die Er- inachtiaimg ertheilt wurde, dein Fürsten Bismarck zu seinem 70. Ge- burtstage die Glückwünsche des Reichstages auszudrncke». Bon cstiem Mitgliede des Seniorencvnvenls wnrde angeregt, daß die der Absendung eines Glückwunsches nicht ziistiinmenden Parteien dahin gehende Erklärungen abgebe», aber dann sich der Abstimmung enthalten möchten. Abg. Lieber (Cenlr.) erklärte, das; er hier über erst mit seiner Partei Rücksprache nehmen müsse. Daraufhin wurde die weitere Bcrathung auf die nächste Sitzung verschoben. Aus dieser Meldung gebt hervor, daß die Stellung des Centrums noch keineswegs fcststeht — ein Umstand, der durch die in überwiegend kaiholischen Gegenden beschlossenen Ehrungen dcS Fürsten und durch die Haltung gut katholischer Zeitungen zur Genüge erklärt ist. Der Rücksicht ans die Stimmung seiner Wähler kann sich das Eentrum eben nicht entziehen, und die Erinnerung an die Ehrung Windthorst's dürfte bei denjenigen klerikalen Parlamentariern, die noch eine Spur von Gerecbtigkeilslicbc besitzen, ihren Eindruck nicht verfehlt haben. Die Mitglieder der Freisinnigen Bereinigung dürften, von Herrn kW. Barth abgesehen, Mann für Mann den Glückwunsch dcS Reichstags an den Begründer des Reichs voliren. Es wird uns nämlich von besonderer Seite heute Folgendes gemeldel: „Der Abg. Rickert bat die Erklärung abgegeben, die Gesinnung der freisinnigen Bereinigung gegen den Fürsten Bismarck sei eine andere als die des Abg. Iw. Barth. Gleichzeitig bat Rickert für sämmtliche Mitglieder der Freisinnigen Bereinigung mit Ausnahme des Herrn Barth um Karten für das parlamentarische Mahl zu Ehren Bis- marck's gebeten." Der oben erwähnte zeitgemäße Hinweis des Präsidenten b. Levctzow aus den Präcedenzfall im Jahre 188.', wird beute von der „Nat.-Lib.-Corr." ausführlich in Erinnerung gebracht. Die genannte Corresponden; schreibt: „Aus den „Stenographischen Perhandlungen des Reichs tags" vom 21. März 1885, dem letzten Tage vor den Oster ferien, entnehmen wir »och Folgendes: Präsident: „Meine Herren, am 1. April d. I. feiert, wie bekannt, der Herr Reichskanzler seinen 70. Geburtstag. Es scheint mir angezcigt, daß der Reichstag seiner Theiknahme an diesem im Leben des Herrn Reichskanzlers bedeutungsvollen Tage Ausdruck gebe. Ich bitte deshalb um die Ermächtigung, dem Herrn Reichs kanzler die Glückwünsche des Reichstags zu seinem bevorstehende» Geburtstage darzubringen. — Ich constatire, daß der Reichstag mir diese Ermächtigung ertheilt bat." Wozu lediglich bemerkt sei, daß im Reichstag von 1884 bis 1887 das Eentrum, die fortschrittliche Linke, die Demokraten und Socialdemokraten ebenfalls eine Mehrheit besaßen, daß Fürst Bismarck damals noch inmitten des politischen Kampfes stand und — daß das Socialistengesetz zu jener Zeit noch in Geltung war." Wenn die radicale Linke — vom Eentrum können wir eö vorläufig nicht glauben — jetzt diese Ermächtigung versagte, so würde sie einen Beweis von wahrhaft elementarer Wucht dafür liefern, wie weit sie in den letzten zehn Jahren heruntergekommen ist und wie tief sie das Niveau des Reichstags heruntergebracht hat. Die Amnestie, die der König von Italien allen von den Militairgerichten in Sicilien und Massa Earrara Ver- urtheilten, sowie allen zu Strafen unter drei Jahren ver- urtheilten Personen, sowie für Uebertretungen und Bergehen gegen das Preßgesetz gewährt hat, scheint von CriSpi als Einleitung zur Wahlbewegung gedacht zu sein. Der Opposition geht dieser Gnadenact des Königs Wider den Strich, und sie ist um so empfindlicher dadurch betroffen, als sie daran keine Kritik üben darf. Sogar die Herabsetzung von Strafen ist für bestimmte Kategorien von Berurtheilten angcordnet, und den sranzosenfreundlichen Irredentisten vom Schlage Jmbriani's insbesondere und den Radikalen im Allgemeinen ist jeder Anlaß zu Vorwürfen genommen, weil die Amnestie auch die Einstellung deS Strafverfahrens W K" «>hru«° m Erlasses ist ersichtlich, daß auch der in erster Instanz wegen Spionage verurteilte französische Hauptmann Romani aus freien Fuß gesetzt wird. In Frankreich macht diese Begnadigung einen sebr getheilten Eindruck. Wie schon telegraphisch mitgetheilt wurde, nehmen Blätter aller Rich tungen dieselbe als etwas Selbstverständliches hin, da sie stets die Verhaftung Rvmani's als zu Unrecht erfolgt und diesen als völlig schuldlos hingestellt haben. Bei dieser Stimmung wäre es vielleicht besser gewesen, von einer Begnadigung ab zusehen, um so mehr, als ja die letzte Instanz noch nicht ge sprochen hatte und die schtießliche Freisprechung nicht außer dem Bereich der Möglichkeit lag. Man braucht sich also nicht zu wundern, wenn die Großmuth des Königs als Ein- geständniß begangenen Unrechts aufgesaßt wirb. Uebrigens liegt auch eine zustimmende Pariser Preßstimme vor. Der „Jour" sagt, die Entlassung Romanis sei dankbar anzuerkcnnen und möge mit der Begnadigung des ebenfalls wegen Spionage in Frankreich eine Gefängnißstrafe ver büßenden Majors Jalta erwidert werden. Aber der „Jour" dürfte mit dieser Auffassung ziemlich allein dastehen. Betauntlich hat die Negierung von Vcncznela den Ver tretern Fraiitreichs und Belgiens ibre Pässe zugesandt, und zwar wird angenommen, daß es geschehen sei wegen eines Denlschlanvö (Graf ^lcist-^hchowi, " iburri', sowie dem de Ripert-Montelar) "nd ^ ^ Traras Unterzeichneten Geschäftsträger Belgiens (.^^an ) . Schriffstückes ^» ohlen^uber^.^ M-nüb-r des heitcn der dortigen Reglern, ; j..ft..nisck,cn Regierung be ausspricht. wird von der Ausweisung der hauptet, die,es Schriftstück bade uninvgi , , Cs ätzt Vertreter Frankreichs «nd L. g.-ns vera„la,;en tonnem sich das von hier aus nicht beurtbeil , müßten, so Hastigkeit eines südamer, anftche» ^ enthaltenen An sollte man meinen, die dem ^ch^si- vollauf genügen, LLMtz-LMM wie schwierig es sei, von Venezuela Entschädigungen ^ im Bürgerknege geschädigten fremden Staatsangehörigen » erhallen, und fahren dann wörtlich fort. Tie Unterzeichneten sind der Ansicht, daß ein starker Truck nn- ?asft T.e Gew°t!nh"it dcr Politiker dieses Landes nur ausweichend sliilworten ru qebe» während sie die Ideen ihres Besucher» zu thellci ck ein^ dal; jeder Versuch zur Sond.rung der Regierung nur zu einem Ergebnis führen kann, au, welche» keine ernsthafte Maßnahme zu stützen ist. Eine Anrufung der einheimischen Gerichtshöfe erklären die Gesandten für völlig nutzlos, da das oberste Gericht zehn Iabre brauchen würde, um nur die Ansprüche zu prüfen, und bann verdiene auch die Justiz von Venezuela, wie fie setzt eingerichtet sei, kein Vertrauen, insbesondere dann nicht, wenn der Staat an der Sache interessirt sei, denn in einem solchen Falle begebe sich der Richter, ehe er sein Urlheil falle, rum Staatshaupte, um von ihm zu erfahren, wie die Ent scheidung ausfallen solle. Diese Praxis werde von dem Bundes- Obergerichte befolgt, und die Gesandten empfehlen daher die Ernennung einer gemischten internationalen Commission in Caracas, welche das Recht zu erhalten hätte, alle von Nicht- Vcnezuelanern erhobenen Ansprüche in Betreff der im Bürger kriege von 1802 erlittenen Verluste zu prüfen und zu ent scheiden. Man kann begreifen, daß eine solche Sprache die Regierung von Venezuela in Harnisch gebracht hat. Un verständlich freilich bleibt es, weshalb diefelbe nur die Ver treter Frankreichs und Belgiens und nicht gleichzeitig die Deutschlands und Spaniens vor die Thür gesetzt hat, und aus diesem Grunde könnte man allerdings geneigt sein, nach anderen Gründen für die Ausweisung zu suchen. Deutsches Reich. -g- Leipzig, 16. März. Tie Verhandlung gegen den Kanzler Leist vor dem auS 10 Mitgliedern bestehenden kaiserlichen Disciplinarhof findet, wie soeben bestimmt worden ist, am Sonnabend, den 6. April, früh 9 Uhr statt. Berlin, 15. März. Es giebt beute in Berlin nur ein Gesprächsthema; in allen Wirthsbäusern, Kaffeehäusern, Bureaus wird es diöcntirt, auf den Straßen behandelt, und überall hört man dasselbe Urtheil: Die Berliner Stadtverordneten-Versammlung bat sich in Gegen satz ^n ihren Wählern gebracht, als sie mit 56 gegen 34 Stimmen es ablehnte, dem Anträge des Magistrats, dem Ehrenbürger der Stadt, dem Fürsten Bismarck, eine Adresse z»m 80. Geburtstage zu senden, beizutreten. Was wäre Berlin ohne den Fürsten Bismarck? lautet heute die am meisten gehörte Frage, und heftige Ausdrücke des Tadels ergießen sich über die Stadtverordneten, die sich dem Beschluß deö Magistrats widersetzten. Prvtestversammlungen sollen in den nächsten Tagen slattfinden, und es wird sich -eigen, ob die liberalen Stadtverordneten, welche der social- remolratischen Fraktion zum Siege verhalfen, nocl^ das Vertrauen ihrer Wähler besitzen. Die Berliner Start- verordneten-Bersammlung besteht aus 126 Mitgliedern, etwa 16 fehlten nach oberflächlicher Schätzung, da 56-P-34 darüber zn Gericht saßen, ob dem Fürsten Bismarck eine Adresse zum Geburtstag geschickt werden sollte, es hatten sich also 30 ge drückt. Die Soeialdemokratcn waren fast vollzählig da, an ihrer Spitze Singer und der ehemalige Tischler, jetzige Besitzer zweier Restaurationen Zubeil, der anfangs in dem Bier- bohcott mit seinem Freunde Stabernack eine so merkwürdige Nolle spielte (diese beiden hervorragenden Genossen bekämpften auf das Wüthendste die sogenannten Ringbrauereien; ihre Schulden an eine derselben zu bezahlen, daran hatten sic aber nicht gedacht.) Schmunzelnd zählte Singer seine Getreuen; sie waren, wie bemerkt, alle da, mit Ausnahme StadthagenS, der noch eine Strafe abzubllßen hat. Zu den 17 Soeialdemokratcn (12 davon find Budiker) kamen also noch 39 von der liberalen Seite; circa 20 Mit glieder zählt die radikale Fraktion PincuSsohn-Katisch-Dinse, sie stimmte geschlossen mit den Socialdemvkraten, und die große liberale Fraction unter Vorsitz des Iustiz- raths Meyer I (Macher in derselben ist der Direktor des Aquariums Or. Hermes) hat ebenfalls, soweit sie sich nicht verflüchtigt hatte, mit wenigen Ausnahmen gegen den Magistratsantrag gestimmt. Wären auck, die Social demokraten nicht in der Versammlung gewesen, so wäre trotzdem der Magistratsantrag zu Falle gekommen; und das muß festgestellt werden: angesichts der bereits beginnenden Vertuschungsversuche, durch die Socialdemvkraten sei die Absendung eines Glückwunsches an den Ehrenbürger der Stadt, den Fürsten Bismarck, vereitelt worden. — Aus der Msttwoch-Sitzung des Staatsrath es ist, wie der „Hamb. Eorresp." schreibt, in parlamentarischen Kreisen ein Zwischenfall bekannt geworden. Cs scheint, daß dem Grafen Kauitz von irgend einer Seite her eine Be merkung über die verspätete Einbringung seines Antrages im Reichstage gemacht worden ist. Gras Kanitz habe, so wird berichtet, daraus erwidert, er habe mit seinem Anträge ans den persönlichen Wunsch des Kaisers znrückgehalten. Der Kaiser habe darauf erklärt, wenn man fortsahre, seine Persönlichkeit in die Debatte zu ziehen, so mache man es ihm unmöglich, die Berathungen des Staatsraths zu leiten. — Vom Fürsten Bismarck berichten verschiedene Blätter folgende Aeußerung: „Als Abgeordneter würde ich auch lür Len Antrag Kanitz stimmen, nicht aber als Reichskanzler". „Inhaltlich könnte diese Lesart richtig sein", bemerken die „B. N. N." hierzu; d. h. im S ta atöinteresse würde Fürst Bismarck gegen den Antrag stimmen. — Am Geburtstage des verstorbenen Generalfeldmarschalls Prinzen Friedrich Karl von Preußen, am 2o. März, wird sich, der „Nat.-Z." zufolge, ein grcßer Theit aller der jenigen Ofsiciere, welche in irgend welchen Beziehungen zum Prinzen gestanden haben, zn einem Festmahle vereinigen, zn dem auch der Kaiser erwartet wird. An demselben Tage wird auch seitens des Officiercorps deö Husaren-Regiments von Zielen in Rathenow zum Andenken an den ehemaligen 26 Feiirlletsn Ein Becher Lethe. Noma» von R. Teilet. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) 31. Capitel. Ich war im September nach London gekommen — jetzt batten wir Ende Juni. Absichtlich vermied ich es, während dieser ganzen Zeit nach Grenzstadt znrückzukehren, so sehr ich mich nach einem Wiedersehen mit Ethelren gesehnt hatte. Ich durfte ihr meine Liebe nicht erklären, so lange ich sie für die Frau eines Anderen hielt, und sie dagegen konnte mein Schweigen nicht verstehen. Ich hielt es daher für das Beste, fern zu bleiben, bis das Gebeimniß, das sie umgab, gelichtet war. Ich hatte ihr ein einziges Mal geschrieben — einen vorsichtigen, abgemessenen Brief —, in dem ich die Hoffnung ausdrückte, sie kräftiger und wohler wieder zu treffen, und ihr mittbeilte, daß mich dringende Geschäfte die mit Ethelren's Angelegenheiten in Verbindung ständen, in London zurück- hieüen. Als Erwiderung empfing ich einen ebenso kühlen Brief, in dem sie ihrer Ueberraschung, daß ich mich mit ihren Angelegenheiten beschäftigte, Ansdruck gab und mich bat, mich ibretwegen nicht im Geringsten zu bemühen. Es ginge ihr, sctzte sie hinzu, gut; sie hätte so viel Schüler, als sie brauchte, und sic fühle sich bedeutend wobler nnd kräftiger als zur Zeit meiner Abreise von Grenzstadt. Dies war das einzige Mal während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in London, daß wir miteinander corre- spondirt harten. Aber ich hörte bäusig durch meine Bekannten in Grenzstadt von ihr. Frau Dahlweiner hatte sich riesig angestrengt und mir einen höchst »»orthographischen deutschen Brief geschrieben, in dem sie mir einen im Ganzen guten Bericht über Miß Stuart gab. Dieselbe sei ganz wohl, nnr sckeine sie sich nicht glücklich zn fühlen. „Vielleicht sehnt sie sich nach Ibncn", hatte die würdige Frau hinzugesetzt. Auch I)r. Falck batte mir ab und zu geschrieben. Seine Briefe bandelten selbstverständlich nur von Ethelren's körper> sichern Befinden und lauteten im Ganzen recht zufrieden stellend. Sie sei bedeutend frischer, ibr Puls sei kräftiger, und soweit er beurtbeilcn könnte, hätte sie den Zustand nervöser Schwäche und Blutarmuth, der einen abermaligen Slarrkrampfanfall hatte befürchten lasten, überwunden. Ihr Gedächtnis; aber sei bisher nicht zurückgckehrt. Die Ereignisse ihres früheren Lebens seien ihr noch immer entschwunden. Alle diese guten Berichte über Ethelren hatten mich über die Trennung von ihr getröstet und mich stark erhalten in meinem Vorsatze, mich nicht eher der Geliebten zu nähern, bis cs mir gelungen war, das Gehcimniß ihrer Vergangen- beit zu durchdrmgen. Nun jedoch hatte sich ein Grund ge funden. der stichhaltig genug war, um meine Absichten zn wandeln, und weiß Gott, ich war nicht betrübt darüber, daß es so kofiimen sollte. Es batte mich Selbstbeherrschung genug gekostet, meinem Entschlüsse bis dahin treu zu bleiben. Ich schmachtete nach dem Anblick ihres süßen Gesichtes. Wenn die Schönheit Jedermann bezaubert, so bezaubert sie den Künst ler mit doppelter Macht. Aber Vaux sowohl als ich waren der Ansicht, daß es besser sei, wenn ich vor meiner Abreise ein Gespräch mit Mrs. Darvill's Rechtsbeistande hatte. Vielleicht war er im Stande, mir die Belehrung, nach der ich suchte, zu geben. Für diesen Fall wäre meine Reise nach Grenzstadt nicht nnr unnütz, sondern sogar höchst unklug gewesen. Daher schrieb ich noch einmal an MrS. Darvill und bat sie um die be treffende Adresse. Sie sandte sie mir umgebend und legte ibr auf meine Bitte einen kurzen Empfehlungsbrief bei, mit dem )ch mich ungesäumt nach Lincoln's Inn begab und nach den Herren Duggleby und Slater fragte. Natürlich mußte ich eine Weile warten. Kein Rechtsan walt oder Arzt, der die geringste Selbstachtung hat, wird sich einem zufällig Borsprechenden sofort zeigen. Ist eine vor herige Verabredung getroffen, so ist es etwas Anderes, wenn jedoch dies nicht der Fall ist, muß der Besuch eine bestimmte Zeit warten. Man ist es der Würde seines NamenS schuldig, die Leute glauben zu lassen, man bade jeden Augenblick des Tages bereits für längere Zeit im Voraus besetzt. Endlich iedoch erschien Mr. Duggleby. Es war ein großer kräftiger Mann mit graugemischtein Haare nnd roch auf fallend nach BiSquitS und Sherry. „Es thut mir sehr leid, daß ,ch sie mußte warten lassen, Mr. Lindlcy", sagte er. „Ich hatte gerade mit einem Clienten zu thun." Ich konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß der Client in einem Schranke wohnte und daß Mr. Duggleby im Lause des Tages viele Zusammenkünfte mit ihm hatte. Meine Karte und Mrs. Tarvill'S Brief sandte ich ihm schon vorher hinein. Jetzt sagte ich: „Ich möchte auf Veranlassung von MrS. Darvill fragen, ob Sie vielleicht im Stande sind, mir einige Auskunft über deren verschollenen Gatten zu geben." „Genau dieselbe Anfrage hat Mrs. Darvill selbst schon zahllose Male brieflich an uns gerichtet", entgegnete Mr. Duggleby. „Leider wissen wir gar nichts von Mr. Darvill. Er gehört nicht zu unseren Clienten." „Aber Sie haben ihm sicherlich von Zeit zu Zeit Zah lungen zu machen." „Das ist eine Frage, die man an keinen Rechtsanwalt stellen sollte, Mr. Lindley. Ich will sie Ihnen trotzdem be antworten. Ich gestehe es ein, ich bin überrascht, daß Mrs. Darvill Sie nicht von der ganzen Sachlage unterrichtet hat, da Sie ihr Freund sind. Wir machen keinerlei Zablungen an deren Gatten. Mrs. Darvill weiß sehr genau, daß wir nach den Bestimmungen der verstorbenen Mrs. Bothwell alle Docnmente, Slaatspapiere re. an Mr. Darvill's RechtS- nachdem Miß Stuart's Tod und Mrs. Darvill's Heirath uns gerichtlich nachgewiesen worden war. Mrs. Darvill ist, wie Sie jedenfalls wissen, eine etwas fonderbare Person, und in Folge ihres Berabsäumens, uns vor ihrer Verbeirathniig um Rath zu fragen, ging das ganze ^ ermogen in den absoluten Besitz ihre« Mannes über. Sonst hatten wir eS natürlich sichergestellt." „Und Sie sind überzeugt, daß Miß Stuart todt ist?" Todteiffchttnes"" ^'en eine Copie des gerichtlichen ^ lköb trotzdem?" Dnggleby'S Gesicht verzog sich zu einem breiten ver ächtlichen Grinsen. „Meine Zeit ist leider zu knapp zugemefsen, Mr. Lindley um fie damit zu verschwenden, daß ich Unmöglichkeiten in Erwägung ziehe." „Ich kann nicht verlangen, daß Sie mein Wort als ver. bürgte Tbatsache aufnebmen", sagte ich. Aber wenn ich Ihnen nun den ge,etzinaß,gen Beweis lieferte, daß Miß Stuart nick,, todt ist, wie stünde dann die Sache?" «Mart nicht „Ihrer Freundin, Mrs. Darvill, erwüchse keinerlei 41«^.:. daraus. Da» Vermögen würde in diesem Fi, „Sie sprechen immer von Miß Stuart" d!« Dame nicht verheiratet?" ^ ^ "3st „So viel mir bekannt, nein. Im Todtenschein ist sie als Fräulein bezeichnet." Das bewies natürlich nichts. Cthelren hatte sich sicherlich als Miß Stuart angemeldet, als sie ein Unterkommen bei der Baronin suchte, und der Todtenschein war nach den Aussagen der letzteren ansgesertigt worden. Die Heirath, wenn sie überbaupt stattgefunden halte, war auö einem oder dem anderen Grunde geheim gehalten worden, wie es deutlich aus dem Inhalte des an Ethelren gerictuen Briefes hervorging. Ich hätte noch gern manche andere Fragen gestellt, wenn ich nicht befürchtet haben würde, daß man sie mir nicht beantwortete. Mr. Duggleby ließ cS mich deutlich fühlen, daß ich ihn schon zu viel gefragt hatte. Daher erhob ick» mich und bat ibn nur nock», mir gefälligst die Adresse von Mr. Darvill's Rechtsanwalt zu geben, welchen Wunsch er bereitwilligst erfüllte. Ich begab mich direct zu Mr. Bnlpian. Im Vorzimmer empfing mich ein sehr schlau aussehendcr Bursche von 16 Jahren, der meinen Besuch bei seinem Herrn meldete, nachdem er mich einige Minuten scharf angeblickr batte. Diesmal brauchte ich nicht sehr lange zu warten — vermuthlich hatte Mr. Vnlpian eine nicht so ausgedehnte Kundschaft wie seine College», von welchen ich kam. Mir gefiel Mr. Bnlvian's Aeußcres nicht. Cr war ein wohlbeleibter Mann in mittleren Jahren, mit sck,märzlich- grauem Haare, listigen Augen und einer gebogenen Nase. An seinen dicken Fingern trug er viele Ringe, seine Uhrkettc war auffallend kostbar: eine große Brillantnadel glänzte in feinem Shlips. Im Ncbrigen empfing er mich sehr freund lich. Vermuthlich hielt er mich für einen Clienten. Mit der nnsckuildigslen Miene der Welt sagte ich: „Ich komme, Mr. Vnlpian, um Sie zu bitten, mir gefälligst Mr. Darvill's Adresse zu nennen." Seine kleinen Augen wurden noch kleiner, da er sie zu- samnrenzog und mich argwöbnisch ansah. „Sind Sie ein Freund Mr. Darvill's?" fragte er. „Das eben nicht. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ick» möchte einer kleinen Gcschaflsangelegcnheit wegen an ihn schreiben." „Wollen Sie mir die Erledigung derselben nicht übertragen? Ich bin Mr. Tarvill'S Vertreter." »Sie sind sebr freundlich. Ich ziehe eS vor, in direkte Perbindung mit ihm zu treten." »Da« tbut mir leid", — (er sah auf meine Karte, die er in der Hand hielt) — „Mr. Lindley. Ich kann Ihnen augenblicklich Mr. Darvill'« Adresse nicht geben. Er hat
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