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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.03.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-03-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950322023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895032202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895032202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-03
- Tag1895-03-22
- Monat1895-03
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vrzuAv-vrms N Wv od« d« tm GtüdA G«»trk und de» Vororlen errichtete» «u«. Deutschland und Oesterreich: oierleljädrlich ^ <.—. Direct» tägliche Aren-bandsrndna, t»r *»«l<u>d: monatlich Di»Viorge».rln»gabe erscheint täglich'/,? Uhr. dt» Adeod-AuSgab« Wochentag» b Uhr. Lrd«rtion nntz Lrneditio» -stz«»»e»gasie 8. DieEn>edition ist Nochentag» nnnnterdrvche» G»»Y»«t »» früh 8 bi« Abend» ? ll-r. Filialen: vtt» Me««'» Tortim. <Alfred H»tzu>. Universitätsstraste 1. Abend-Ausgabe. Anzeiger. »«zeLge»H)«rO Ne «KespaUene Petitzeile 20 Pfg- Girclameo unter dem Redactionsstrick, l4g»» spalten) bO>«t, vor den Familieunackirichte» (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Pret». »erjeichnitz. Tabellanicher u»d Lissernsatz »ach hvhr-em Tarif- Ertr»-Vellage» (gesalzt), nur mit de, Morgen-Ausanbe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbesörderung ^4 70.—. Annahmeschlub für Anzeige«: Nbend-AuSgabe. Bormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Sonn- und Festtags früh 0,9 Uhr. Bet den Filialen and Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Uttgeige» find stets an dir Expeditten zu richten. Louis Lolche. Natharlncastr. 14, part und NöntgSvlntz D Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Freitag den 22. März 1895. 89. Jahrgang. Oie Schlußsitzungen des Staalsraths. tt. 6. Berlin, 21. März. Zn der gestrigen Sitzung des Staatsraths wurden nach der Pause die Berhandlungen über Nr. V der Vorlage „Maßnahmen aus dem Gebiete der Creditorzanisation" fortgesetzt und durch Annahme der nachstehenden Beschlüsse erledigt: 1) Zur Gesundung des Realcredits ist eine möglichst weit au-oedehnte Umwandlung kündbarer, nicht amortisirbarer und meist hochverzinslicher Privathypvtheken in billigeren, unkünd- baren, mit Zwangsamortisation verbundenen Anstaltscredit eia dringendes Bedürfniß. Es ist zu diesem Zwecke eine anderweile Regelung der B e l e i h u n g s g r r n z e für Land, schäften und gleichwerthige öffentliche Creditanstalten unter Mit- Heranziehung des staatlichen Credits in Erwägung zu ziehen, gleich, zeitig aber auch, soweit dies noch erforderlich, der Eredit der Anstalten im Allgemeinen und namentlich für den kleineren Grundbesitz, zugäng licher zu machen. L) Für die Förderung desPersonalcredits ist die Bildung eines Landes-Ereditinstituts — etwa im Anschlüsse an die Serhandlung — wünschrnswerth, durch welches die Verbände länd licher Genossenschaften die zu ihrem Betriebe »ötbigen Mittel unter Bedingungen erhalten können, welche ihrer Organisation entsprechen. Dieses Kreditinstitut würde auch anderen genossenschaftlichen Organi sationen des Mittelstandes (namentlich des Handwerkerstandes) zugänglich zu machen sein. 3) Tie Bildung eines staatlichen Meli oratio ns sondS ist in Erwägung zu ziehen. 4) Es ist zu erwägen, inwieweit die Förderung größerer Wirksamkeit des Gesetzes vom 13. Mai 1879 durch vermehrte Anstellung von Meltorations- technikeru und Uebernahme von Borarbeitskosten zu erstreben sei. Zn der heutigen Sitzung wurde über einen aus den Be rathungen der zu diesem Zweck niedergesetzten Commission hervorgegangenen Schlußanirag zu I 1 der Vorlage „Maß nahmen zur Hebung der Preise landwirlhschasl- licher Producte" verhandelt. Bei der Abstimmung über diese Position der Vorlage wurde der Antrag der Commission in nachstehender Fassung angenommen: Der Staatsrath erkennt die Nothlage der Landwirthschaft an. Die dadurch drohende Gefährdung des allgemeinen Staatsinteresses fordert mit Nothwendigkeit die Anwendung aller durchführbaren und ztveckdienlichen Mittel zur Bekämpfung der Nothlage. Bei der Beantwortung der dem Staatsrathe in diesem Sinne vorgelegten Fragen ist derselbe zu folgenden Ergebnissen gelangt: I. Die in Nr. 1 der Vorlage für den Staatsrath ausgeführten Vor- schlüge, welche eine unmittelbare Einflußnahme auf den Preis des Getreides durch Eingreifen des Staates in den Handel bezwecke» (Antrag Lanitz. Redaction des „Leipziger Tageblattes"), sind als undurchführbar und, wenn sie durchführbar wären, hin sichtlich der Erreichung des Zieles einer allgemeinen, gleich mäßigen Preissteigerung als zweifelhaft in ihrem Erfolge erkannt worden. Eine so weitgehende Aufgabe, wie sie dem Staate in den Vorschlägen zugedacht wird, erscheint unvereinbar mit einer richtigen Auffassung der Stellung des heutigen Staates im Erwerbs- und Verkehrsleben. Der Staat kann nicht den Einkauf und Verkauf des Getreides mit der Verpflichtung, dabei das Bedürfniß der Bevölkerung zu be. messen und jederzeit und überall sicherzuslellen, übernehmen. Die Organe des Staates sind dazu nicht geeignet. Wenn damit noch der Auftrag verbunden ist, das wichtigste und all- gemeinste Nahrungsmittel, namentlich der ärmeren Elasten, the uerer zu verkaufen, als der Staat dasselbe in Händen hat, so muß hierin ein socialpolitisch sehr bedenkliches Vorgehen gefunden werden. Dir staatliche Leitung des Getreideverkehrs würde Ursache der größten Unzufriedenheit, gehässiger Verdächtigungen und dadurch ichwerer Schädigung deS staatlichen Lebens sein. ES kommt hinzu, daß die Monopolisirung deS Handels mit auswärtigem Getreide den Handel im Allgemeinen, insbesondere den Exporthandel, und dadurch auch die Industrie und ihre Arbeiter schädigen würde. Auch kann nicht von der Hand gewiesen werden, daß andere Erwerbszweige den Anspruch auf Eingreifen des Staates zur Sicherstellung von Preisen, welche den Productionskosten entsprechen, beanspruchen könnte», wenngleich anzuerkennen ist, daß die Bedeutung der Landwirthschaft für das Gesammtwohl nicht annähernd von einem der anderen Erwerbszweige erreicht wird. Endlich sind die sümmNichen bezeichneten Vorschläge nicht in Uebereinftimmung zu bringen mit den bestehenden Handelsver trägen, da dieselben die in letzteren gewährte Verkehrsfreiheit ihrem Umfange nach mehr oder weniger direct vertragswidrig be- schränken würden. Eine Abänderung der Verträge würde ohne Gegenleistung nicht erreichbar, auch angesichts der vorstehend ent- wickelten grundsätzlichen Bedenken nicht erstrebcnswcrth sein. II. Der Staatsrath glaubt, daß eine wesentliche Besserung durch solche Maßnahmen mit Erfolg anzubohiien sein wird, welche eine Verbilligung der Hervorbringungs- und Umsatzkosten der land- wirthschaftlichen Producte, eine Verbilligung der für die Landwirth- schast nothwendigen Rohstoffe, Schutz der Zucker, und Branntwein- Production, Förderung der Rentengutsbilduiig, Verbilligung und Besserung des Credits z»m Zweck haben; auch hält er eine Er wägung der Währungsfrage für dienlich. Demgemäß empfiehlt der Staatsrath: 1) Die gemischten Transitläger nebst ihrem Zollcredit aus solche Läger zu beschränken, welche dem Transitverkehr dienen und nicht für den Jnlandverkehr ausgenützt werden; 2) durchgreifende Reform der Productenbörse im Sinne thunlichster Beschränkung der den Productenpreis beeinflussenden Spiel- und Speculationsgcschäste; 3) Unterstützung der genossenschaftlichen Errichtung von Kornspeichern, um das Angebot der Producenten zweckmäßiger zu gestalte»; 4) Er wägung einer Aendernng der Credit- und der Ausbeuteverhältniffe der Mühlen in dem Sinne, daß die Begünstigung des Vermahlens von ausländischem Getreide vermieden und der Verkauf des in ländischen Getreides nicht fernerhin benachtheiligt wird; S) die Reform der Zucker- und Branntweinsteuer-Gesetzgebung auf den von der Staatsregierung in Aussicht genommenen Grundlagen zu beschleunigen; 6) die von dem Herrn Reichskanzler in Erwägung ge nommenen Verhandlungen hinsichtlich der Währungsverhältnisse zu- nächst obzuwarten; 7) zur Verbilligung der landwirthschaftlichen Production eine möglichst niedrige Gestaltung der Eisenbahntarife für Roh- und Hilssstoffc wie für landwirthschastliche Erzeugnisse, die Erwägung der Einführung von Tarifen auf der Grundlage einer fallenden Scala unter Berücksichtigung etwa entgegenstehender berechtigter localer Interessen, die Erwägung einer außergewöhn lichen Ermäßigung für bestimmte Artikel auf weitere Entfernungen in jedem einzelnen Falle, endlich die baldige Einführung der bereits in den Eisenbahn-Directions-Bezirken von Breslau, 'Momberg und Berlin geltenden Staffeltarife für Viehbeförderung auch für alle andern Landestheile; 8) Begründung leistungsfähiger Landgemeinden bei Aus führung der Gesetze über die Bildung von Rentengütern und zu diesem Behufe staatliche Unterstützung der letzteren unter Ausdehnupgdieser auf Arbeiterstellen; 9) behufs Besserung des landwirthschaftlichen Real- credits eine möglichst ausgedehnte Umwandlung kündbarer, nicht amortisirbarer und hoch verzinslicher Privathypotheken in billigeren, unkündbaren, mit Zwangsamortisation verbundenen Anstaltscredit und zu diesem Zwecke eine anderweite Regelung der Beleihungs grenze für Landschaften und gleichwerthige öffentliche Creditanstalten unter Mitheranziehung des StaatScredits in Erwägung zn ziehen und den Credit dieser Anstalten auch für den kleineren Grundbesitz möglichst zugänglich zu machen; 10) die Bildung eines Landescredit- Jnstituts im Anschluß an die Seehandlung zur Förderung des Genossenschajtscredits; 11) die Bildung eines staatlichen Meliorationö- sonds in Erwägung zu ziehen und die Ausführung von Meliorations arbeiten zu erleichtern. Urder das Stimmenverhältniß bei den Beschlüssen über den Antrag Kanitz sind verschiedene Mittheilnngen in Umlauf. Nach der einen wäre er gegen 4 Stimmen, nach der anderen gegen 16 Stimmen abgelehnt worden. Vielleicht erklärt sich diese Verschiedenheit der Angaben so, daß für den ursprünglichen Antrag Kanitz nur 4 Stimmen, für eine Modifikation desselben 16 Stimmen waren. ES nahmen etwa 50 Personen an den Verhandlungen Theil. politische Tagesschau. * Leipzig, 22. März. Eiuc Sonder - Ausgabe des „NeichSanzeigerS" enthält folgenden Erlaß des Kaisers au den Reichskanzler betreffs der Kriegsinvaliden: „Binnen Kurzem wird ein Vierteljahrhuudert vollendet sein seit den weltgeschichtlichen Ereignissen, welche unter der ruhmreichen Regierung Meines in Gott ruhenden Herrn Großvaters Dank dem einmütbigen Zusammenwirken der deutschen Fürsten und Völker zur Wiederaufrichtung des Reiches führten. In der Erinnerung an jene große Zeit empfinde Ich am heutigen, dem Gedächtnis des Kaisers Wilhelm I. geweihten Tage besonders lebhaft das Bedürfniß, in Seinem Sinne fürsorgend für die Männer einzutreten, welche, dem Rufe ihrer Kriegsherren solgend, opferfreudig Leben und Gesundheit für dasVaterland eingesetzt haben. Ich würde es daher mit hoher Genug- thuung begrüßen, wenn denjenigen Ofsicieren, Milttairärzten, Beamten und Mannschaften des deutschen Heeres und Meiner Marine, welche infolge einer im Kriege von 1870/71 erlittenen Verwundung oder sonstigen Dienstbrschädigung verhindert waren, an den weiteren Unternehmungen des Feldzuges theilzu- nehmen, und dadurch der Anrechnung eines zweiten Kriegsjahres bei der Penstoniruug verlustig gehen oder gegangen sind, aus Ansuchen der betreffende Pensionsausfall fortan erstattet werden könnte. Ebenso würde es Meinen Absichten entsprechen, wenn die Bereitstellung von Mitteln erfolgte, um solchen Personen des Unterofficier- und Mannschaftsstandes des Heeres und der Marine, die am Feldzuge von 1870/71 oder an den von deutschen Staaten vor 1870 geführten Kriegen ehrenvollen Antheil genommen haben, würdig und in Folge von Erwerbsunfähigkeit bedürftig sind und weder eine Jnvalidenpensio», noch eine laufende Unter- stützung an Stelle der letzteren beziehen, in Zukunft Beihilfen gewähren zn können. Ich verkenne nicht, daß die Umstände nur die Berücksichtigung einer kleinen Anzahl dieser Kriegstheilnehmer gestatten. Es ist aber Mein lebhafter Wunsch, daß wenigstens den- jenigen Männern der Dank des Vaterlandes bethätigt werde, die als vorzugsweise bedürftig anzusehen sind. Ich beauftrage Sie, Mir nähere Vorschläge darüber zu machen, in welcher Weise diese Meine Absichten unter verfassungsmäßiger Mitwirkung des BundesrathS und des Reichstags zur Ausführung zu bringen sein werden. Berlin, den 22. März 1895. Wilhelm I. k. Fürst zu Hohenlohe. An den Reichskanzler. So freudigen Widerhall die im Vorstehenden bekundete Absicht, die KriegSinvaliden besser zu stellen, finden wird, so vermissen wir doch den Hinweis auf die Hinterbliebenen der in den Kriegen Gefallenen. Auch die Lage der durch den Schlachtciitod ihrer Ernährer beraubten Wittwen nud Waisen ist, wie wir an dieser Stelle vor Kurzem ausführlen, der Verbesserung durchaus bedürftig. Bezieht doch die Wittwe eines deutschen Lantwchrmannes nicht mehr als 180 jährlich, während Frankreich den Wittwen seiner Gefallenen ein ZahreSgehalt von 64" gewährt. Wir hoffen daher, daß sie vom Reichskanzler zu erwartenden Vorschläge das für- orgende Eintreten des Kaisers für unsere HeereSangebörigen m dieser Richtung ergänzen, mögen die Mittel hierfür, wie wir ohne Weiteres einräumen, auch nicht bequem zu beschaffen sein. Zn der Budaetcommission des Reichstags hat sich vorgestern der Reichsschatzseeretair Graf v. Pvsadowsky aus Anregung deS Abg. vr. Hammacher über die in letzter Zeit so oft erörterte Frage der Convertirung der höher als mit 3 Prorenl verzinsten Staatspapiere aus gelassen, und zwar in demselben Sinne, wie jüngst der Finanz- ninister 1)r. Miguel im preußischen Abgeordnetenhause: der iscalische Gesicbtspunct hat hinter den volkswirthschaftlichen ;urückzutreten, und dieser läßt die Nothwendigkeit der Zins- wrabsetzung zur Zeit als eine unerwünschte erscheinen; erweist ich jedoch die augenblickliche Wohlfeilheit des Geldes als das Product stabiler Factoren, so werden sich Reick und Staat außer Stande sehen, den höheren Zinsfuß weiter zu be willigen. Dieser Standpunct wird jeder sachlichen Auf fassung der Frage gerecht. Während der Staat auch als Schuldner sociale Aufgaben hat, die es ihm verbieten, eine vorübergehende Conjunctur im finanziellen Interesse und mit der Wirkung einer voraussichtlich folgenschweren Verschiebung im Capitalanlagewesen auszunutzen, ist er andererseits nicht berechtigt, entliehenes Gelb zu einem höheren Preise zu be halten, als zu dein er es jederzeit aufnehmen zn können glauben darf. Ob ein bestimmter Zinsfuß ein dauernder oder vorübergehender ist, läßt sich nur ermessen, wenn weder politische oder sonstige Befürchtungen das Capital vom Marti verscheuchen, noch der Mangel an Gelegenheit zur Ausdehnung der industriellen und cvmmerziellen Lhätigkeit das im ge werblichen Verkehr überschüssig gewordene Geld auf den An- lagemartt treibt. Daß die Gegenwart das Bild eines solchen normalen Standes der Volkswirihschaft nicht bietet, ist unbestritten, und die „Freisinnige Zeitung", welche die Erklärung deö Grafen Pvsadowsky zum Gegenstand einer Erörterung macht, weiß ihrer Behauptung, der Zinsfuß habe im Allgemeinen eine erhebliche andauernde Senkung erfahren, keine weitere Unterlage zu geben, als die für nicht Äutoritätö- gläubige kaum beweiskräftige Wendung: „Es kann keinem Zweifel unterliegen." Die Ausführungen des genannten Blattes verfolgen einen rein taktischen Zweck, sie wollen die Parole stützen: „Ohne vorherige Convertirung erst recht keine neuen Steuern", aber eben deshalb verlohnt es sich, ihnen nachzugehen. Um darzuthun, daß man den ge sunkenen Zinsfuß in Deutschland für einen dauernden hält, verweist die „Freisinnige Zeitung" auf die Einzel staaten; von diesen weiß sie aber nur Bremen zu nennen, von dem sie überdies noch berichten muß, daß die Bürgerschaft den Antrag des Senats aus Convertirung der Staatsanleihe in eine 3procentige — abgelehnt hat. Die Befürchtungen einer Auswanderung des Capitals als Folge der Convertirung hält die „Freisinnige Zeitung" für „ganz außerordentlich übertrieben". Auch im Auslande sei der Zinssnß gesunken, und eine etwas höhere Anlage iin Aus lande sei gegenwärtig untrennbar von der Uebernahme eines FeiriHetsn. Ein Lecher Lethe. 311 Roman von R. Teilet. Nachdruck verboten. lFortsetzung.) Aber er ist ebenso klug wie energisch und ausdauernd. Am anderen Tage hörte er natürlich von meiner Flucht und erfuhr mit Leichtigkeit, daß ich ein Billet nach London genommen batte. Wie er mich weiter ausspürte, weiß ich nicht; aber lhatsächlick verfolgte er meine Spur bis Genf. Von Grenz stadt schrieb ich an die Post nach Genf und bat sie, etwa für mich eiutreffende Briefe hierherzusenden. Zch hatte auf der Reise eine Lehrerin kennen gelernt, die sich um eine Stelle für mich interessiren und mir schreiben wollte. O, hätte ich es nicht gethau. Sie dachte nicht daran, ihr Wort zu halten. Der einzige Brief, der für mich eintraf, war von ihm. ES war der Brief, der meinen Anfall verursachte. Meine Nervosität und geistige Abspannung war immer schlimmer geworden und hatte jetzt ihren Höhepunct erreicht. Wie ich es so lange ertragen und selbst ein möglichst heiteres Gesicht vor der Baronin und Theresa machen konnte, ist mir jetzt unbegreiflich. Zch hatte in jedem Augenblick das Gefühl, als bräche ich zusammen. Unablässig lastete ein unbestimmtes Angstgefühl vor einer drohenden Katastrophe mit Centner- scbwere auf mir. Dann kam der Brief. Zch erinnere mich seiner nicht mehr ganz genau, aber ich weiß noch, daß er mich schrecklich erregte. Zum ersten Male sprach Darwill davon, daß wir, wie er behauptete, verheirathet seien — und ich wußte auf der Stelle, was er damit meinte. Zu gleicher Zeit fielen mir verschiedene Geschichten, die ich Uber schottische Trauungen und Eheschließungen gehört hatte, ein — und daß »ach dem schottischen Gesetze ganz einfache Vorgänge eine Ehe völlig giltig machen können. Und plötzlich überkani mich die Gewißheit, daß ick die Frau eines Mannes sei, den ich verabscheute. Mir siel es wie Schuppen ^von den Augen. ES war eine völlig regelrechte Trauung gewesen, aber er hatte sich seiner eigenen Ränke geschämt und beschlossen, sie nicht als giltig zu betrachten, wenn er meine Liebe zu ge winnen vermochte. Zn diesem Falle hätte er sich sicherlich nochmals mit mir kirchlich trauen lassen und die ander« Ehe schließung in demselben Lichte, als ich sie ansah, betrachtet — als einen augenblicklichen Scherz. Aber da er erkannte, daß ich ihn so sehr haßte, daß ich lieber Alles aufgeben als ihm angehören wollte, spielte er den Trumpf aus, den er so lange in Bereitschaft gehalten hatte. Er wollte mir beweisen, daß keine Flucht mich retten könnte, daß ich seine Frau sei und daß er seine Rechte über mich zu behaupten beabsichtige. Das war der Inhalt deS Briefes. Was er sonst noch enthielt, weiß ich nicht mehr; ich glaube, es lag eine Bank note für meine Rückreise dabei. Mr. Lindley, Sie wissen, welche schreckliche Wirkung der Brief auf mich hervorbrachte. Zwei Gedanken gruben sich schneidend in meine Seele: — Der eine, daß ich diesem Manne als Gattin angehörte; der andere, daß er schon auf meiner Spur war. Zch war körperlich zu schwach, um daS ertragen zu können und versank in eine todähnliche Betäubung. Was aus dem Briefe wurde, weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht wiedergesehen, selbstverständlich auch nie nach ihm ge fragt, da ich ihn total vergessen hatte. Wahrscheinlich ging er m der ersten Aufregung verloren oder die Baronin oder Theresa hatten ihn fortgeschafft. Die Betäubung wich von mir. Sie retteten mir das Leben — ich werde es nie vergessen. Aber als ich genas, war mein Gcdächtniß geschwunden. Die Natnr war barmherzig gewesen und hatte die Vergangenheit ausgelöscht. Zch fühlte mich wieder frei. Zch freute mich meiner Zugend. Meine Kräfte kehrten wieder. Das Leben schien mir wieder des Lebens wertb. Der heutige Abend hat mit einem Schlage Alles wieder vernichtet. Der Mann, der mich so lange verfolgt hatte, ist hier, um seine Rechte über mich zu behaupten. Zch glaube an seine Rechte. Zch glaube, daß unsere Ehe giltig ist. Der Mensch, den er bei sich hatte, war Trauzeuge, und ein anderer Freund wohnte ebenfalls der Trauung bei. Und dieser Mr. Bulpian, brr Rechtsanwalt ist, sagt, eS existire kein Zweifel an der Giltigkeit unserer Ehe." „Aber", rntgegnete ich, „man sollte meinen, daß selbst in Schottland eine Ehe nur auf gegenseitige» Wunsch geschloffen werden kann. Sie batten keine Ahnung, daß die Trauung eine ernste sein sollte?" „Keine, keine. Aber wenn die drei Männer beschlossen haben zu schwören, daß eS mit meinem Wissen geschah, wird mir ja Niemand Glauben schenken. Zeder wird einsach sagen: Sie hat sich anders besonnen und will sich jetzt auS der Affaire ziehen." Zch mußte zugeben, daß das sehr wahrscheinlich sei, aber nichtsdestoweniger sprach ich ihr Math zu und bat sie, nicht die Hoffnung sinken zu lassen. „Sie müssen sich an einen Rechtsbeistand wenden. Miß Stuart", sagte ich. „Vielleicht findet sich ein Ausweg, Sie aus den Schlingen dieses Schurken zu befreien." „Nie, nie", sagte sie energisch, „werde ich ihm anders als dem Namen nach angehören. Mein Geld mag er nehmen, mich selber erhält er nie." Nach kurzem Schweigen setzte sie hinzu: „Nun wissen Sie Alles, Mr. Lindley — oder fast Alles — was ich Ihnen erzählen kann. Es ist mir lieb, daß Sie es wissen. Sie waren immer sehr gütig gegen mich und durften daher eine Erklärung beanspruchen." Auch ich hielt eS für richtig, ihr Alles, was ich wußte, mitzutheilen. Zch erzählte ihr von dem Briefe, sagte ihr, daß vr. Falck mir aufs Strengste untersagt hatte, ihn ihr zu geben und daß wir beide es in Anbetracht unserer völligen Unkenntniß ihrer Vergangenheit und in Folge des gänzlichen Verlustes ihres Gedächtnisses es als unsere Pflicht angesehen hätten, den Brief zu lesen, um aus ihm vielleicht die Möglich keit zu erhalten, uns mit ihren Angehörigen in Verbindung zu setzen. Sie sah das ein und sagte, wir hätten richtig gebandelt. Es sei sehr freundlich und gut von uns gewesen, etwas über ihre Angehörigen erfahren zu wollen. Dann zog ich den Brief aus der Tasche und gab ihn ihr. Während sie ihn las, nahm ihr Gesicht einen Ausdruck schmerz licher Spannung an. „Ja", sagte sie, „das ist er. Aber Sie haben mir noch nicht gesagt, auf welche Weise Sie zu ihm gelangt sind. Gaben Ihnen die Baronin und Theresa denselben?" „Nein", erwiderte ich: „Ihre Annahme, daß er zur Zeit Ihres Anfalles verloren ging, erscheint richtig gewesen zu sein. Theresa meinte, da Fenster und Thür weit offen standen, könnte der Wind ihn auf die Straße getrieben haben. Als ich ihn erhielt, sah er, sah er — Sie können es allerdings bemerken — allerdings aus, als sei er auf der Straße aus gehoben worden. Er wurde mir anonym zugeschstckt. Er innern Sie sich deS Morgen-, Miß Stuart, als wir un» im Allezoll trafen? An jenem Morgen hatte ich den Brief erhalten." Bei meinen letzten Worten hatten sich ihre Wangen mit heißer Röthe bedeckt. Aber sie gab sich alle Mühe, gleich- giltig drrinzuschauen. „DaS ist sehr sonderbar", sagte sie. Zch fuhr fort: „Nachdem ich diesen Brief gelesen halte, beschloß ich, nach England zu reisen und den Versuch zu machen, das Ge- heimniß, daS er andeutete, zu durchdringen." „Zch sehe es nicht ein, daß Sie irgenvwie verpflichtet gewesen wären, ein derartiges Opfer an Zeit und Mübe meinetwegen zu bringen", sagte Etbelren. „Aber ich bin Ihnen für Ihre Freundlichkeit sehr dankbar." „Miß Stuart", versetzte ich, „ich war dazu auserwählt, Ihr Leben zu retten — es war ein glücklicher Zufall — und ich habe kein Verdienst daran " „Sagen Sie das nicht, Mr. Lindley. Zch kann Zhnen nie genug danken, so viel haben Sie für mich gethan." „Nein", sagte ich, „es war ein glückliches Zusammen treffen — weiter nichts — aber, da ich nun einmal au der Erhaltung Ihres Lebens thätig gewesen war, konnte ich mich nicht damit zufrieden geben, dies Leben aller Freude bar zu sehen, wenn ich eS ändern konnte. Dieser Brief enthüllte eine unglückliche Vergangenheit Ihrerseits. Leider gab er keinen Aufschluß über den Urheber Ihres Unglücks. Äber ich beschloß, ihn aufzusuchen und Sie, wenn es anging, von ihm zu befreien." Ihre Augen füllten sich mit Thränen. „Wie gut und freundlich Sie sind!" sagte sie leise. „O, es war mir eine Freude, etwas für Sie zu thun. Aber anfangs hatte ich nicht den mindesten Erfolg. Dann jedoch lieferte der einzige Rest der Vergangenheit, der Zhnen im Traume in Erinnerung gekommen war und den ich ge malt hatte — daS Gesicht des Mannes, der Sie unglücklich gemacht batte — das Mittel, eines seiner Opfer und den Schurke» selber zu entdecken." Zch erzählte ihr Alles, was ich von MrS. Darvill er fahren hatte — wie Darvill, in dem Glauben, Etbelren sei todt, sie gehcirathet, wie er sie im Moment, als er ibr Vermögen sicher in den Händen hielt, sie verabschiedet, wie grausam er daS arme Geschöpf behandelt hatte und wie sie ihn haßte. „Zch wundere mich nicht darüber", sagte Ethelreu. „Sie batte einst ein gutes, weiches Herz und hätte Jeden, der ihr Liebe erwies, vergöttert — jetzt ist sie mutbinaßlich ver bittert und gereizt und nicht im Stande, etwas Anderes als Haß im fühlen. Es ist eine traurige, traurige Geschichte. Und (sie sehen, daß sie meine Ansicht von Darvill'S Charakter bestätigt. Welch ein Herz von Stein muß der Mann
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