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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.03.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-03-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950328021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895032802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895032802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-03
- Tag1895-03-28
- Monat1895-03
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Armahmeschlilß für ^,«)ei-r»: Abend-Ausgabe: Bormittag« io Uhr. Margeu-AuSaab«: Nachmittag« 4 Uhr. Soun, und Festtags früh '/,« Uhr. Del den Male« und «anahmesiellra j» halb« Stunde früher. Auzette» Pud stets a» die ErtzedMou zu richte,. Lots Lüsche, tkthartnrnstr. 14, Part, »nd KSnig-platz A Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «n^eMtsvMr Druck und Verlag von L. Pol> i, Leipzig Donnerstag dm 28. März 1895 89. Jahrgang. Maßnahmen zur Hebung des Getreidepreises. Für die Berathung eines Schlußantrages zu I l der Vorlage „Maßnahmen zur Hebung des GekreidepreiseS" war von dem StaatSrath eine Commission niedergesetzt worden, deren Vorschläge demnächst in der bereits veröffentlichten Fassung von dem StaatSrath angenommen sind. Die Com mission hat der Berathung ihrer Vorschläge eine Uebersicht über das Ergebniß der Verhandlungen bezüglich derjenigen unter I 1 bezeichneten Maßnahmen, welche eine unmittelbare Einflußnahme auf den Preis des Getreides durch Eingreifen des Staates in den Handel bezwecken, zum Grunde gelegt und die demnächstige Veröffentlichung derselben in Form einer Denkschrift empfohlen, um die Erwägungen im Einzelnen erkennen zu lassen, welche die Commission bei der Fassung ihres Beschlusses geleitet haben. Im Staatsrath wurde hier gegen ein Bedenken nicht erhoben. Diese von der Commission nach Fassung und Inhalt im Einzelnen festgesetzte Denkschrift wird vom „Reichsanz." im Aufträge des königlichen Staats-Ministeriums wie folgt ver öffentlicht: Denkschrift, betreffend das Ergebnttz -er Verhandlungen des LtaatSrathS zu I 1 der Vorlage. Bei den Verhandlungen ru I 1 der Vorlage, „Maßregeln zur Hebung des Getreidepreises", gelangten die nachfolgenden Gesichtspunkte zur Erörterung: I. Die Nothlage der Landwirtschaft: Dieselbe wurde allgemein anerkannt im und Wesent lichen auf das Sinke» der Preise landwirtschaftlicher Producte unter die Produktionskosten zurückgeführt, welches zur Folge gehabt habe, daß die auf den Gütern lastenden Schulden bei gleichzeitigem Steigen aller die Production belastenden Ausgaben zu einer Ueberschuldunz geführt hätten. Das Sinken der Getreidepreise wurde zurück geführt auf den massenhaften Einbruch fremden Getreides. Die ungeheuere und billige Getreideproduction fremder Länder und anderer Welttheile, vermehrt durch die Ausnutzung jung fräulichen Bodens, welche durch die Erleichterung der Trans portverbindungen, den Bau von Eisenbahnen, die Herstellung von Dampferverbindunaen, die Herabsetzung de- Transport kosten iu ^nehmendem umfange auf den europäischen Markt geworfen werde, habe auch im Inlande einen Preisdrnck herbeigeführt, gegen welchen der Zoll einen Schutz nicht mehr zu bieten vermöge. Die minderwerthige Valuta der Getreide rmportirenden Lander begünstige noch die Einfuhr, indem sie gleich einer Einfuhrprämie wirke. Die Nothlage der Landwirthschaft, welche — insbesondere bei dem Getreidebau — infolge der gesunkenen Preise die Kosten ihrer Production mit dem Erträgniß nicht mehr zu decken vermöge, sei mit Ausnahme weniger Landestheile eine allgemeine, wenn auch nicht überall gleichmäßig hervor tretende. Insbesondere wurde die Nothlage der großen landwirthschaftlichen Betriebe für schwerer und gefährlicher als diejenige der Kleinbetriebe, und die Nothlage der öst lichen LandeStheile für größer als die des Westens angesehen. Der sinkende Reinertrag der Güter sei vielfach nicht mehr aus reichend für Verzinsung und Tilgung der darauf haftenden Schuldenlast, so daß die Verschuldung zu einer Ueberschuldunz geworden sei. Ob diese Nothlage eine dauernde sein werde, wurde von anderer Seite unter Hinweis auf niedrigere Getreidepreise früherer Jahre (1822, 1851) und die Schwankungen m den Ergebnissen der ausländischen und inländischen Ernten bezweifelt, insbesondere auch darauf hin gewiesen, daß in den hauptsächlichsten fremden Productions- ländern die Abnahme der unbesiedelten Flächen und die den den den als der unahme der Bevölkerung den zum Export gelangendeu ietreide-Ucberschuß nach und nach vermindern und zuletzt absorbiren werde. Auf der anderen Seite wurde dagegen betont, daß durch die rapide Zunabme und Verbesserung der Transportverbindungen immer wieder neue Gebiete — wie neuerdings in Argentinien, künftig Sibirien, — erschlossen würden, welche wieder das Angebot auf dem europäischen Markt erhöhen und die Preise drücken würden. II. Hiernächst gelangten die Mittel zur Beseitigung dieses Nothstands zur Erörterung. Es wurden unterschieden: 1) die, welche eine unmittelbare Einflußnahme auf Preis des Getreides durch Eingreifen des Staats in Handel bezwecken, und 2) eine Reihe von sonstigen Mitteln, welche neben unter I 2 bis V der Vorlage aufgeführten Vorschlägen geeignet bezeichnet wurden, die vorhandene Nothlage Landwirthschaft, wenn auch uicht zu beseitigen, doch zu mildern und besseren Zuständen entgegen zu führen. Unter den ersterwähnten Mitteln standen im Vordergrund der Erörterung die in dem Anträge des Grafen Kanitz ent haltenen Vorschläge, wonach: 1) der Einkauf und Verkauf des zum Verbrauch im Zoll gebiet bestimmten ausländischen Getreides, mit Einschluß der Mühlenfabrikate, ausschließlich für Rechnung des Reichs erfolgt, 2) die Verkaufspreise des Getreides nach den inländischen Durchschnittspreisen der Periode 1850 bis 1890, die Verkaufs preise der Mühlenfabrikate nach dem wirklichen Ausbeute verhältniß, den Getreidepreisen entsprechend, bemessen werden, so lange hierdurch die Einkaufspreise gedeckt sind, 3) über die Verwendung der aus dem Verkauf des Ge treides und der Mühlenfabrikate zu erzielenden Überschüsse derart Bestimmung getroffen wird, daß: a. alljährlich eine den jetzigen Getreidezoll-Einnahmen mindestens gleichkommende Summe an die Reichscasie abge führt wird, d. zur Ansammlung von Vorräthen für außerordentliche Bedürfnisse (Kriegsfälle u. s. w.) die nöthigen Mittel bereit gestellt werden, e. ein Reservefonds gebildet wird, um in Zeiten hoher In- und Auslandspreise die Zahlung der an die Reichscasie jährlich abzuführenden Summen (a) sicher zu stellen. Gegen diese Vorschläge wurden insbesondere folgende Be denken erhoben: u. Es wurde zunächst bezweifelt, ob dieselben ihrem Zweck entsprechend eine Hebung der Getreidepreise im Sinne des Antragstellers herbeiführen würden. Die Annahme, daß der Preis des inländischen Getreides ohne Weiteres auf die Höhe des Verkaufspreises der Reichsverkaussstellen (Durchschnitt der letzten 40 Jahre) steigen werde, sei nicht ohne Weiteres zuzugeben!, zumal da die regionale Verschiedenheit der Ver kaufspreise, die Berechnung von Frachtkosten und Lager spesen, unter Umständen auch das Maß des Bedarfs der einzelnen Landestheile den Preis beeinflussen und ver schiedenartig gestalten würden; es wurde auch hervorgehoben, daß von den rund 5 200 0Y0 inländischen landwirthschaftlichen Betrieben 4 Millionen aus eine Anbaufläche von 5 lia, und weniger sich beschränkten, daher das von ihnen . producirte Brodgetreide völlig consumirten, von einem gesteigerten Ver kaufspreise also einen Gebrauch nicht machen könnten. Da gegen wurde darauf hingewiesen, daß durch die in vielen Bezirken noch übliche Bezahlung der Arbeiter mit Erdrusch- antheilen und anderen Naturalien diese ein wesentliches Interesse an einem entsprechend hohen Verkaufspreise haben. d. Es wurde weiter die Durchführbarkeit der Vorschläge des Grafen Kanitz in Zweifel derselben würde der Getreidehande fremdem Getreide herige Aufgabe desselben, ^and dem zu versorgen, soweit das eigene )-.rtrZN schwierige, 'Reich übertragen. Das Re.ch uberu hn da.mt d ^ complicirte und verantwortliche Function vco Getrcidehandels, und zwar: t) die Schätzung des Bedarfs. , eiuerseits dsS Es bandele sich hier um die Feststellung e" c I Erträgnisses der inländischen Ernte, anderers ki°LLd.,E^ °b,r Schätzung d!» M-brb-d-l,« b->> G.si«,»puu-,,u' Eich-, "°-b- dem Verbrauch der Ernte, wahrend die Beschaffung des § y betrags schon vorher zu erfolgen habe. ^ . er- 2) Die Deckung des Ankaufs könne nur ,m AuSlande er folgen, ebenso die 'Abnahme; denn kein Inlporteur könne sch darau einlaffen, für dre Deckung des '»ländischen Bedarfs Getreide zum Verkauf im Inlande anzubrmgen, ohne d Sicherheit, daß dasselbe auch abgenomme., we de da es Fall verweigerter Abnahme seitens des Reichs » »einem anderen Käufer im Inlande fehle. ^»kaus und Ubnahm müßten also durch ständige Agenturen des Re'chs » den aus- ländischen Product,onSgebieten erfolgen Uebersendung von Proben an die inländischen Reichsbehorden und demnächstige Anlieferung nach Probe im Inlande sei schon durch die da- '""Z LF7n7d7rÄL7im Au.,-M°° wachse den reichsländischen Agenturen auch die Verpflichtung, das angetanste Getreide nach dem Inlande zu verfrachten und auf die verschiedenen inländischen Häfen und BedarsSplatze zu vertheilen. Da die Fracht bei dem Getre.deprels eine so wesentliche Rolle spiele, liege hierin eine wichtige und besonders schwierige Ausgabe der Allkaufsagenturen, zumal da sie die ge naueste Kenntniß der vorhandenen Transportverbindungen, der Eisenbahn- und Dampferfrachten voraussetze. Mit Sicher heit sei anzunehmen, daß der Staat dnr; seine Agenten im Ausland erheblich theurer einkaufen werde, als der freie ^"-Y^Der Verkauf deS Getreides im Inlande solle nach dem Durchschnittspreise der letzten 40 Jahre erfolgen. Man müsse wohl annehmcn, daß hiermit nicht der Durchschnittspreis für das ganze Jahr und das ganze Land, sondern der Durchschnittspreis der einzelnen Landestheile nach ihren be sonderen Bedarfszeiten zu verstehen sei. Das sei eine außer ordentlich schwierige Ermittelung. Dieselbe wäre aber noch schwieriger, wenn es sich, wie anzunehmen, nur für das laufende Jahr um die Durchschnittspreise von 1850 bis 1890, für das folgende Jahr dagegen um die Durchschnittspreise von 1851—l89l, in den weiter folgenden Jahren um die Preise von 1852—1892 u. s. w. handele, so daß die Durch- schnittSperiode von Jahr zu Jahr sich verschiebe und die Ermittelung der Durchschnittspreise in jedem Jahre von Neuem anzustellen sei. 5) Für die Bertheilung dcS Getreides im Inlande werde die Errichtung größerer Magazine und ein entsprechendes Beamtenpersonal für die Verwaltung desselben und den Ver kauf des Getreides erforderlich. 6) Für das Reich sei die Gefahr größerer Verluste mit einer solchen Aufgabe verbunden. Die - Reichs verwaltung könne sich irren in der Schätzung des Bedarfs, sie könne zu viel kaufen und mit Verlust wieder zu verkaufen genöthigt sein, sie könne zu wenig aufe» und den Fehlbetrag später zu hohen Preisen ergänzen müssen. Sie könne ferner sich irren in der Preisstellung, zu lohen Preisen taufen und zu niedrigen Preisen verkaufen i,Nissen, wenn einmal die Preise daS Niveau deS Durchschnitts der letzten 40 Jahre wieder überschritten haben sollten. Es onime noch hinzu die Gefahr des Verlustes durch unrichtige Behandlung des Getreides in den Magazinen, Verderben oder Zerstörung der Lagerbestände. 7) Das in den ausländischen Agenturen und in den in- (indischen Magazinen beschäftigte Beamtenpersonal würde bei dem großen Umfang und Geldeffect der ihm übertragenen Geschäfte, bei der leichten Möglichkeit, hierbei einen unred- ichen Gewinn zu machen, Versuchungen aller Art und stet?, insbesondere bei ungünstigen geschäftlichen Ergebnissen, ge istiger Verdächtigungen ausgesetzt sein. Es werde mithin dem Staat eine neue, schwierige, für eine bureaukratisch gegliederte Organisation überhaupt nicht ösbare Aufgabe zugedacht. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. März. Aus einen Antheil im Präsidium des Reichstage« haben die Socialdemo traten — freiwillig oder unfrei willig — verzichtet, aber sie wollen, wie aus dem „Vorwärts" hervorgeht, nicht darauf verzichten, bei der dritten Lesung deS Etats zum Capitel „Reichstag" eine Resolution ein- ubringen, in welcher der Reichstag aufgefordert wird, Stellung zu der Tcpeschc des Kaisers an den Fürsten Vismarck zu nehmen. Das ist der erste „Liebesdienst", den die socialdemokratische Fractiou ihren Verbündeten gegen Bismarck leistet. Erbaut werden die Verbündeten von diesem Dienste nicht sein, da sie mit der „Franks. Ztg." er kennen werden, daß jene Depesche eine Kundgebung ist, für die kein Minister verantwortlich ist und deren Bekrittelung sich also direct an die Adresse des Kaisers richten muß Werden nun die übrigen Mehrheitsparteien, die ihren „Sieg" vom 23. März de» Socialdemokraten verdanken, diese trencn Verbündeten im Stiche lasse», wenn diese einen Protest jener Mehrheit gegen den kaiserlichen Tadel fordern ? Man darf gespannt sein aus die Lösung dieser Frage. Viel leicht hängt es von dieser Lösung auch ab, ob das gestern gewählte neue Präsidium eine Audienz beim Kaiser haben DViK Rerl T>raebl" Pi äiikiilni rni-vdi» wird. Das „Berl. Tagebl." behauptet, das Präsidium werde eine Audienz nicht nachsuchen, und fügt hinzu: „Eine Nülhiglirig dazu läge nur vor, wenn cs sich um die Con- stituirung deS Reichstages handelte. Ein großer Wechsel im Prüft- dium macht einen persönlichen Besuch nicht erforderlich. Ein Act der Courtoisie wird nur insofern stattsinden, als das neue Präsidium seine Karten im Hofmarschallamt abgieb t. Auf diese Weise wird eine Aussprache zwischen Kaiser und Reichstagspräsidium ver mieden und der weiteren Verschärfung der Gegensätze vor- gebeugt." Herr Eugen Richter dagegen schreibt in seiner „Freis. Zta.": „Das „Berliner Tageblatt" phantasirt allerlei über das Ber- hältniß des neugewählten Präsidiums zumHofe. Selbstverständlich wird das neugcwählte Präsidium genau dieselben Formen beob- achte», welche jedes Präsidium bisher innegehalten hat." Nach tz. 12 der Geschäftsordnung des Reichstages hat der Präsident dem Kaiser das Ergebmß der Präsidentenwahl anzuzeigen; das wird also auch jetzt geschehen. Das Ucbrigc ist Sache deS Kaisers, der seine Entscheidung vielleicht so lange hinausschiebt, bis der socialdemokratische Antrag zur Berathung gekommen ist. -di Ein Lecher Lethe. 36s Roman von R. Teilet. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) vr. Falck hielt mich uicht zurück. Er sprach ein paar höfliche Gemeinplätze, daß es ihm leid thäte, mich zu ver lieren — eine Bemerkung, die ganz unschuldig klang, aber möglicherweise eine doppelte Bedeutung hatte. Er begleitete uns zum Wagen, getraute sich jedoch nicht, unS zum Abschiede die Hand zu reichen. „Sie müssen mir ein ander Mal mehr darüber erzählen, Mr. Lindley", sagte er. „Vergessen Sie nicht, waS ich Ihnen über die Hallucinationen sagte. Falls Sie etwas davon ver spüren, so verscheuchen Sie diese Gedanken so rasch als möglich. Es kann Ihnen Gefahr bringen, ihnen nachzuhängen." Ich gab keine Antwort. Vaux dagegen wünschte ihm eine .gute Nacht". Dann fuhren wir davon. Jetzt wandte sich Baux zu mir und sagte: „WaS ist geschehen, Fitz? Erzähle es mir." „WaS geschehen ist?" antwortete ich. „vr. Falck hat mich, in der Absicht, mich zu ermorden, in sein HauS gelockt, und wenn Du zehn Minuten später gekommen wärest, hättest Du mich vielleicht schon als Leiche gefunden." „Guter Gott!" rief Baux. „Also war mein Argwohn doch begründet. Seit wir uns trennten, hatte mich eine nagende Unruhe um Deinetwillen ergriffen. Ich sagte Dir gleich, daß mir deS Doctors Blick nicht gefiel, als er Dich aufforderte, ihn zu besuchen. Aber Du lachtest mich aus und warst so vertrauensvoll, daß ich mich fast meines Verdachtes zu schämen begann. Nun erzähle mir einmal genau, wie sich das Ganze zutrug." Ich erzählte ihm von dem Betäubungsmittel — von seinen Eigenheiten, die mir vr. Falck ganz genau beschrieben hatte — bis auf die Hallucinationen. „Und zwang er Dich dazu, eS zu nehmen? — Gewaltsam ? Ich denke, so stark er ist, Du nimmst es trotzdem mit ihm auf." „Nein, mit Gewalt hätte er mich dazu nie gebracht. Er hat mich nicht einmal richtig überredet, sondern erregte in so schlauer Weise meine Neugierde und meinen Wunsch, die Wirkuna durch eigene Erfahrung kennen zu lernen, daß ich ih« selbst bat, mir eine Dost- zu geben." „Das war sehr unvorsichtig von Dir." „Du vergissest, daß ich ihn seit langer Zeit kenne — daß wir intim mit einander verkehrten." „Aber welches Motiv mag er gehabt haben?" „Davon hatte ich bis heute Abend keine Ahnung, obgleich ich jetzt, wenn ich zurückschaue, deutlich Manches verstehe, dem ich früher keine Wichtigkeit beilegte. Er liebt, gleich mir, Ethelren." „Ich verstehe. Sie hat ihn zurückgewiesen. Das geschah sicherlich heute Vormittag. Denn so lange er sie für ver heiratet hielt, konnte er ihr unmöglich einen Antrag gemacht baden. Er kam von ihr und war wüthend über den erhaltenen Korb. Darum sah er so sonderbar und gefährlich aus, als wir ihn trafen." „Ganz recht, so muß eS sich verhalten haben. Nun aber erkläre mir, Vaux, wie eS kam, daß Du umgekehrt und so zur rechten Zeit hier eingetroffen bist?" „Die Erklärung ist sehr einfach. An der Grenze hielt die Polizei mich höflich, aber energisch auf. Es thäte ihr außer ordentlich leid, mich im Geringsten zu belästigen, aber ich würde sie zu großem Danke verpflichten, wenn ich das Land nicht eher verließe, als bis ich eine Aussage über Darvill ab gegeben hätte. So höflich die Bitte klang, schloß sie doch einen Befehl in sich. Daher kehrte ich mit dem nächsten Zuge zurück hierber und erfuhr, als ich in Deine Wohnung kam, daß Du zu vr. Falck gegangen seiest. Da erwachte mein Arg wohn aufs Neue, und ich hielt eS für das Richtigste, Dir nachzusolgen." „Wofür ich Dir nie genug danken kann, Vaux. Du kamst gerade im rechten Moment an." Noch eine andere wichtige Frage verhandelten wir im Laufe der Nacht, nämlich die, wie ich mich vr. Falck gegen über verhalten sollte. Wie gewöhnlich war Baux' Rath so gescheidt, daß ich ihn befolgen konnte. „Es ist aus mit ihm", sagte Baux. „Vorher batte er Dich in seiner Gewalt, jetzt hast Du ihn in der Deinen. Wirf Deine Chancen nicht fort, indem Du ihn der Polizei anzeigst oder über die Geschichte sprichst. Keiner würde Dir Glauben schenken, denn Du hast keinen Zeugen für Deine Aussage. Der Doctor nimmt eine sehr angesehene Stellung ein. Er ist ein Eingeborener, Du bist ein Fremder. Die Leute würden mehr aus seine Worte hören als auf die Deinen. Und er hat ja eine sehr glaubwürdige Erklärung ersonnen. Jedermann würde sagen, Du hättest entweder Hallucinationen gehabt oder dächtest Dir böswillig Alles au-, um zu versuche», ihm zu schaden. Man würde überlegen, welchen Grund Du hierzu wohl baden könntest, und es könnte sich sehr bald er geben, daß Du und vr. Falck Rivalen seid. Kurz, durch offenen Krieg kannst Du nichts ausrichten. Viel dagegen, wenn Du seine Schuld über ibm schweben lassest. Möglicher weise kommt er dadurch auf den Gedanken, Grenzstadt zu verlassen, oder doch jeden Versuch, Dich bei Ethelren zu ver drängen, aufzugeben." Ich stimmte mit Vaux' Ansichten vollständig überein unv hegte die stille Hoffnung, daß jetzt das letzte Hinderniß meines Glückes gefallen sei. 40. Capitel Am Morgen nach dem schrecklichen Auftritte in vr. Falck's Laboratorium, von dem ich mich noch immer nicht vollständig erholt hatte, erhielt ich ein Billet von der Baronin, in dem sie dringend um meinen sofortigen Besuch bat, da Therese mich sehnlichst zu sprechen wünsche. Ich leistete dem Rufe sofort Folge. Zwar sehnte ich mich darnach. Ethelren zu sehen und das Gespräch, das ich vor neun Monaten mit ihr im Alte Zoll-Garten begonnen hatte, wieder aufzunehmen, aber ich hätte es als große Taktlosigkeit betrachtet, am Tage, nach dem sie die Nachricht vom Tode ihres muthmaßlichen Gatten erhalten hatte, mit ihr von Liebe zu sprechen. Ich nahm mir vor, das nicht eher zu thun, als bis der arme Schurke beerdigt worden war. Ich konnte nicht erwarten, daß Ethelren seinen Tod bedauerte oder sich nicht über ihre wiedererlangte Freiheit glücklich gefühlt hätte — aber eS giebt nun einmal sowohl gesellschaftliche als persönliche Rücksichten, die der Mensch beobachten muß. Die Baronin erwartete mich bereits und ließ mich gleich vor sick fuhren. S,e war unverändert, dick, heiter, geschwätzia mit allen Standesvorzügen und allen Standesvorurtheilen S,e begrüßte mich sehr herzlich und erkundigte sich mit dem größten Interesse nach der Gesunvhcit meines Vaters, den sie nie ,m Leben gesehen hatte. ' ich betrachte uns immer als Verwandte , sagte sie, „da nieme Taute. Lady Deepdem in Ihre Familie geheiratbet hat." in Unsere Verwandtschaft war. soweit ich darüber unterrichtet N "^rnte. Lady Deepdem. die eine angeheirathete Tante der Baron,n war, hatte e.ne Schwester gehabt deren Nichte memen Großvater geheirathet hatte. Doch so entser»e verwandt w,r m,t einander waren eS aenüa», die lA.stbr für Genealoaie iuteressirtr. vollständig „Wie geht e« Ihrer Fräulein Nichte?« fraglich. „Ach!" sagte die Baronin und suchte nach ihrem Taschen tuche. „DaS ist jetzt mein Hauprkummer. Sie leidet so sehr an Schwermuthsanfällen." Ich wußte, daß Schwermuth so viel wie Niedergeschlagen- -eit oder Melancholie bedeutete und sprach mein lebhaftes Bedauern über diese traurige Nachricht aus. „Sie ist ein eigenartiges Mädchen", sagte die Baronin, die, da sie ihren sehr einfachen moralischen und geistigen Principicn folgte, wenig Mitleid mit anders gearteten Cha rakteren fühlte, „sie ist ein sehr eigenartiges Mädchen. Ich möchte sagen, sie besteht aus lauter Gegensätzen. Heute lebt ie nur für die Welt, morgen spricht sie davon, den Schleier u nehmen. Heute ist sie ehrgeizig, morgen fromm. Man weiß nie, woran man mit ihr ist." „Vielleicht ist es ein krankhafter Zustand", bemerkte ich. „Möglich. Augenblicklich ist sie entschieden krank. Sie >at keinen Appetit, nimmt an nichts Antbeil und läßt sich von keinem unserer Bekannten sprechen. Aber nach Ihnen »at sie großes Verlangen. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde. Sie ist ein eigenartiges Mädchen und selbst gegen mich ost 'ehr verschlossen." „Indessen, ich will sehen, ob sie zu sprechen ist", setzte die Baronin hinzu. „Pater Eckstein war bei ihr, aber ich weiß nicht, ob er noch da ist." Sie verließ daß Zimmer, kehrte aber unmittelbar daraus in Begleitung des Geistlichen wieder zurück. Als wir ein ander vorgestellt wurden, betrachtete ich voller Interesse sein bleiches, frommes, schönes, edles Gesicht. Unwillkürlich hatte ich bei feinem Anblick das Gefühl, als müßte der Rath eine- solchen Mannes gut und beherzigenswerth sein. Die Baronin führte mich in das kleine Wohnzimmer — in das Zimmer, wo Ethelren den verbängnißvollen Brief er halten hatte. Dicht am Fenster saß Therese, Sie hatte ein langes, loses Kleid an, ihr Haar war einfach gescheitelt und zurückgekämmt; die Augen lagen tief im Kopfe und strahlten in unnatürlichem Glanze. Sie machte den Eindruck, als hätte ein schrecklicher Schlag sie getroffen, von dem sie sich nicht wieder ausrichten konnte. Die Baronin zog sich — vermuthlich war das vorder zwischen ihnen abgemacht worden — sogleich zurück. Als wir allein waren, hieß Therese mich Platz nehmen und sagte: „Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Lindley, so bald meiner Bitte Folge zu leisten. Ich wünschte mir so sehr, Sie zu sehen."
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