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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950403023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895040302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895040302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-04
- Tag1895-04-03
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Di M Huuptq^hUo» «h« d» ük EDßdS» bezirk ob d» Vororten errichtet« Au«, aaoestrll« ,-geholt: »tertrljLhelich^lLL- ket z»»im«li«er tLgltch« Zuftelluug t»« La« b.ü>0. Durch dt« Post b»»»a«u für Deutschland und Oesterreich: viertellSdrlich ^l . Direct» tägliche Kreuzbandsrudung stü» NuSlmw: «aaatltch 7.ÜO «r Morgm-NuSgab« erscheint ttiglich ^s,7 llhr, l> AÜ»d->u»g«-« Woche» tag« b Uhr. Ne-actto« m»d Er»editto, : Z»ha«ue»guffe ». NeErpedfttou ist vocheutag« »asuterbroche» Gösfuet »»MH s rr« Abend« ? Uhr. Filiale«: v«» «e»»» Sarlt». («lfre» chutzul. llniversitätsstraß« 1, Laut« LSsche, Oathmtnenstr. 11, patt und »0nig«dkatz ^ Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. , WHtzespaltme Petitzeile «0 W. Nrrlame» unter v»» Nr-actt-n»ftrich kl»» hpülM) S0ch. vor d« Samtliemurchrtchl» s-geMlt«) 40-4- Grüß«, Schriften laut unserem Pret«. verzeichniß Tubellarischer und gisftrusatz »ach höhevim T«D. tztea-ve««,» («rk»vi. »,r «tt de, Morgeu-AnSaab«. ohne Postbesürderuug «.—, «» Poftbesörderuug 70.—. Amahmeschluß filr Aapi-e«: «beud-Lusgab«: vormittag« 10 Uhr. Marge u-Lu«gabe: Nachmittag« SUHr. Sonn- und Festtag« früh '/F U-r. Bet den Mltalen und Annahmestellen je ein» halb« Stunde früh«. An-eiße« Pud stet« an die chU-etzM»» zu richten. Druck »ad Verlag von E. Pol» tu Leipzig ^-171. Mittwoch den 3. April 1895. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. April. Wunder über Wunder! Die klerikal-demokratisch-partt- culariftische Mehrheit de» Aietch-tag« hat am 28. März eine Beglückwünschung des Fürsten Bismarck durch den Reichs tag verhindert, und trotzdem und trotz deS großen Beispiels de« ersten Vicepräsidenten Schmidt-Elberfeld haben die beiden anderen, von jener selben Mehrheit gewählten Präsidenden an der kaiserlichen Tafel kräftig in daSHurrah aus den großen Kanzler eingrstimmt. Aber damit nicht genug: daS ReichStagSgebäude hatte am 1. April, wie alle anderen öffentlichen Gebäude in Berlin, geflaggt. Die ReichStagS- verwaltung erhält deshalb von ver „Freis. Zlg." des Herrn Eugen Richter einen ernsten Verweis; aber wirv eS dabei bleiben? Die „Post" glaubt daS nicht. „Der Reichs tag" — so schreibt das freiconservative Organ — „ist doch Herr in seinem eigenen Hause, die Hausverwaltung, d. h. das Präsidium, ist ihm verantwortlich, und wenn, wie daS volksparteiliche Organ meint, der Flaggenschmuck deS ReichS- hauseS am 1. April mit dem Beschlüsse vom 23. März im Widerspruch steht, so ist es nicht nur daS Recht, sondern geradezu die Pflicht derjenigen ReichstagSabgeordneten, welche dieser Ansicht sind, das Präsidium deshalb zur Rechenschaft zu ziehen. Die Würde der Mehrheit vom 23. März erheischt dies unbedingt; man darf daher mit Sicherheit auf eine entsprechende Aktion der Freisinnigen Volkspartei un mittelbar nach Ostern rechnen, und die Mehrheit vom 23. wird alsdann zeigen können, baß sie etwas auf sich hält." Die beiden klerikalen Mitglieder des Präsidiums werden sich iudeß allem Anscheine nach blutwenig aus einer volks parteilichen und socialdemokratischen Anzapfung machen. Sie sind heilfroh, daß ihnen durch die Einladung zur kaiserlichen Tafel die Gelegenheit gegeben worden ist, zu zeigen, daß sie wirklich, wie wir voraussagten, „den Umständen Rechnung zu tragen wissen", und haben dieser Einladung den Auftrag zur Bestaggung des Reichstagsgebäudes hinzugefügt, um, wie der „Westfäl. Merk." sich ausdrückt, eine „zwanglose Ueberleitung aus dem gespannten in normale Verhältnisse" zu finden. Nun mögen Freisinnige Volkspartei, Socialdemokraten, Polen und Welsen toben, so viel sie wollen — daS Eentrum behält seine beiden Präsidentensitze bis zur nächsten Präsidentenwahl, und wenn es Herrn Schmidt-Elberfeld in dcrGesellschaft seiner beiden klerikalen Collegen nicht gefällt, so mag er sein Amt nieder legen. Das Centrum wird schon wissen, wem es dann den Antrag stellt, den erledigten Posten zu besetzen. Die „Germania" eröffnet bereits das Vorspiel zu einem solchen Antrag an die Conservativen, indem sie auf die spötteln den Bemerkungen mittelparteilicher Blätter über die Theil- nabme der Herren v. Buol und Spahn an der kaiserlichen Bismarck - Tafel mit folgenden dunklen Andeutungen ant wortet: „Vielleicht antworten wir den spöttelnden Herren noch ausführ licher, zunächst aber möchte» wir ihnen zu bedenke» geben, ob nicht ihre meisten Bemerkungen weniger das Präsidium treffen, als den Kaiser, von dem die Einladung ergangen ist und dem nun als Gast geber Absichten untergeschoben werden, die man in der Regel dem Einladenden seinen Gästen gegenüber nicht zumuthen zu dürfen glaubt. Wir möchten die spöttelnden Herren ferner fragen, ob sie die Form der Einladung kennen, und ob sie wissen, was gleich nach der Einladung von sehr competenten Stellen aus geschehen ist? Können sie auf diese beiden Fragen nicht mit Ja antworten, so haben sie allen Anlaß, zu schweigen." DaS soll den Anschein erwecken, als ob die beiden kleri kalen Herren Präsidenten förmlich um Entschuldig»«« wegen der Entrüstungsdepesche des Kaisers an den Fürsten Bismarck gebeten und völlig in Gnaden wieder ausgenommen worden seien, um mit den übrigen „Stützen deS Thrones und des AltarS" eine am wenigsten den Ansichten deS Fürsten Bis marck entsprechende Politik machen zu helfen. Daß der „KreuzzeitungS"-Flügel der Conservativen heilfroh wäre, wenn die dunklen Andeutungen der „Germania" einen thatsächlichen Hintergrund hätten, haben wir schon vor dem Feste betont. Jedenfalls finden die klerikalen Wiederanschlängelungsversuche bei den extremen Conservativen freundliches Entgegenkommen. Es fragt sich nur, ob auch diesmal die Gesammtbeit der deutschconservativen ReichstagSfraction von Herrn v. Hammer stein und Genossen sich leiten läßt. Auf alle Fälle stehen im Reichstage nach den Ferien interessante und wichtige Vor gänge vor und hinter den Coulissen bevor. Aus Lesterreich-Ungarn liegen wenig erfreuliche Nach richten vor. Zn Wien hat der Ausfall der Stadtverorv- netenwahlen ein geradezu erschreckendes Anwachsen der antisemitischen Bewegung und auf der anderen Seite einen sehr beklagenSwerthen weiteren Rückgang deS Liberalismus deutlich erkennen lassen. Die liberalen Blatter geben selbst zu, daß, nachdem die Antisemiten es jetzt schon auf 65 Stimmen gegenüber 73 liberalen gebracht haben, bereits die nächstjährigen C.satzwahlen der liberalen Herrschaft im Ratbhauspalast ein Ence machen und die Antisemiten anS Ruder bringen werden. Heute bereits gilt vr. Karl Lueger, dieser bereits durch ein halb Dutzend Parteilager gegangene und endlich im klerikal antisemitischen Hafen gelandete Meister der Schmäh- und Stachelrede, als ernsthafter Candidat für das Bürger meisteramt der ersten Stadt Oesterreichs, die so lange Jahre hindurch als die uneinnehmbare Hochburg deS Liberalismus gegolten hat. Zn einer Unterredung mit einem Journalisten bezeichnet»: der derzeitige Bürgermeister vr. Grübl die Lage als trübe. Drei Wege seien möglich: entweder Auflösung des Gemeinderathes und Ausschreibung von Neuwahlen, was aber den Antisemiten sicher zur Mehr heit verhelfen würde, oder er (Grübl) räume daS Feld, worauf zweifellos vr. Lueger Bürgermeister würde, da er unter den liberalen Gemeinderäthen solche gewinnen würde, die ihm die Wahl sichern, oder drittens eine Verständigung der Parteien, ähnlich der Coalition im politischen Leben, die er aber im Gemeinderath nicht vertreten könnte. An der schlimmen Wendung der Dinge ist lediglich die beispiellose Lauheit der Wiener Liberalen Schuld, die, als beati possi- clöntes sich fühlend, bis zuletzt nicht an die Möglichkeit ihres Sturzes geglaubt haben. — Auch in Ungarn ist wieder ein schwerer Streich gegen das liberale Regime geführt worden, denn, wenn verschiedene Anzeichen nicht trügen, hat man es bei dem Attentat auf daS Hentzi-Deukmal — General Hentzi war eS,der im ungarischen Revolutionskriege die Ofener Festung gegen die Ungarn unter Görgey auf's Aeußerste ver- theidigte — nicht mit einer anarchistischen Unthat zu thun, sondern mit einem Act politischer Böswilligkeit gegen die Regierung. Vorläufig wenigstens faßt man die «ache in Pest so auf, daß irgend eine Seite die Verlegenheiten der Regierung vermehren wollte, um in Wien zu beweisen, daS Cabmet Bauffy, das in dieser Beziehung als be sonders zuverlässig angesehen wird, sei nicht vermögend, die Ordnung zu schützen und die Gefühle des Königs vor Verletzung zu bewahren. Wenn der Vorfall auch nicht un mittelbare Folgen nach sich zieht, so erschwert er doch die Stellung der Regierung und macht ihre Beziehungen zu Wien unbehaglich. Pest rühmte sich stets, daß hier Attentate und ähnliche Gewaltthaten ausgeschlossen seien. Ohne Zweifel werden die reactionairen Wortführer jetzt diesen Fall benutzen, um in Wien Einflüsterungen in dem Sinne anzubringen, daß in Ungarn nur eine eiserne Hand Ordnung schaffen könne, die weniger Rücksicht aus verfassungsmäßige Formen nehme. Die Führer der social-revolutionairen Bewegung in Belgien, die soeben in Renaix zu einem blutigen Straßen austritt geführt hat und einen explosiven Charakter anzu- oehmen droht, verurtheilen zwar den allgemeinen Du. Auch mein zweiter Mann ist mir im Tode voran gegangen und so hielte mich nichts mehr zurück und gern würde ich mein vielleicht verfehltes Leben beschließen, wäre nicht mein Kind, meine Tochter Madeleine, die mir in Metz in jener UnglückSnacht geboren wurde, als ihr Vater — doch ich will die schrecklichen Erinnerungen nicht wecken. Längst ist daS ja überwunden und mein Herz weiß nichts mehr von Groll und Haß. Ich habe nur noch den einen Wunsch, Dich noch einmal zu sehen und zu sprechen und von Dir zu hören, daß auch Du in mir nur noch die Schwester siehst, die Dir durch Bande des BlutS verbunden ist und die, wenn sie auch menschlich gefehlt und geirrt bat, doch mehr Dein Mitleiden verdient als Deinen Zorn. Eile, wenn Dir daran liegt, mich noch unter den Lebenden zu treffen. Gar zu gern mochte ick mündlich meine arme Wadeleine Deiner Liebe und Deinem Schutze empfehlen. Mein Herz ist ihretwegen mit Kummer und Sorge belastet. Eile, ehe eS zu spät, zu Deiner unglücklichen Schwester. Der Oberst ließ das Blatt sinken und verhüllte seine Augen mit der Hand. So saß er eine Weile schweigend, ganz den Erinnerungen und dem Schmerz hingegeben, dir die unerwartete Nachricht in ihm geweckt. Die Worte seiner Gattin, die leise, mit weicher Stimme fragte: „Gon Helene, lieber Gerhard?" machte, daß er rasch die Hand sinken ließ, ihr den Brief reichte und selbst sich hastig erhob. „Ich mutz sogleich zum General, nnr Urlaub erbitten," sagte er und verließ eilig daS Zimmer. Am Abend des nächsten Tage« langte Oberst v. Maren burg in Nancy an. Sogleich vom Bahnhof begab er sich in die »hm im Briefe seiner Schwester bezeichnet! Straße, die er leicht fand, da er daS Französische fließend sprach. Seine Schritte beschleunigten sich und sein Herz klopfte höher und höher, je mehr er sich dem Hause näherte. Im Hausflur begegnete ihm eine einfach gekleidete Frau, die eben auf die Straße hinauSzutretrn im Begriff war. -Madame Duvernoy?" fragteer in ängstlicher Spannung. Sie sah ihn groß an. „Wer sind Sie, mein Herr?" Der Oberst nanute seinen Namru und fügte erläuternd hinzu: „Meine Schwester schrieb mir und ich eil« nun zu ihr — hoffentlich komme ich nicht zu spät. Wie gcht e< ihr?" Die Frau antwortete nicht«. Urber ihr Gesicht lief »in Ausdruck von Schrecken, der rasch einem Zuge von Mißtrauen und Scheu wich. „Todt?" fragte Oberst von Marenburg. Sie nickte und heftete einen lauernden Blick auf den Fremden. Der Oberst stand eine Weile wie betäubt. Wie ein Riß ging e« durch seine Brust, aus der ein dumpfes Stöhnen sich emporrang. Zu spät! Ein heißes Weh benahm ihm fast den Athen«. Gar zu gern hätte er ihr noch ein letztes Wort der Liebe gesagt, gar zu gern ihr noch einmal die Hand gedrückt und mit ihr der gemeinsam verlebten, glücklichen Kindheit gedacht, da noch weder Leidenschaft noch Politik zwischen Bruder und Schwester getreten. „Wann?" fragte er kurz, mit Mühe seine Bewegung be musternd. „Gestern Abend ist sie gestorben", berichtete die Frau „Sie hat Sie bis zum letzten Augenblick erwartet. ES ist ihr recht schwer geworden, zu sterben. Sie hätte gar zu gern mit Ihnen über Madeleine gesprochen. Und nun wußte sie nicht, hatten Sie ihren Brief nickt bekommen oder —" „Wo ist Madeleine?" unterbrach der Oberst die Worte der Geschwätzigen, die ihn wie Dolchstöße in- Herz trafen. Die Frau deutete auf die nächste in den Flur mündende Thür, während sie weiter schwatzte: „Das arme Kind ist ganz allein. Außer mir — ich bin eine entfernte Verwandte ihres Stiefvaters — hat sie Niemand. Ich bin gleich zurück. Eine Besorgung — mein Gott, ich weiß seit gestern nicht, wo mir der Kops steht. Gehen Sie nur immer hinein!" Der Oberst klinkte die ihm bezeichnet! Thür aus und trat ein. Wie angewurzelt stand er bei dem Anblick, der sich ihm bot. Unwillkürlich falteten sich seine Hände. Die Gestorbene war bereits aufgebahrt. Zur Seite deS Sarges standen brennende Kerzen. Niemand außer ihm und der Tobten war anwesenv. Nur seine lauten Athemzüge, die aus der heftig ringenden Brust heraufdrangen, unterbrachen die unheimliche Stille de« TodleugrmacheS. Und nun löste sich die Erstarrung und er stürzt« tief er griffen vor bis dicht an den Sarg und forschte mit über- strömenden Augen in den Zügen der Verblichene», die ihn fremd und starr aasahen. So fand er sie wieder, die blühende, junge Schwester, die «inst im Glanze ihrer Schönheit und Äugend von ihm ge gangen. Ein Geräusch störte ihn au< seinen wehmüthigen Be» AuSst and, der für die allernächsten Tage geplant ist» als grundlos, verfrüht und verfehlt, aber sie suchen au« der über ibre Köpfe hinweg geschaffenen Situation so viel als möglich Capital zu schlagen, indem sie die Androhung deS General streiks seitens der Arbeiterschaft als PresfionSmittel verwenden, um der Regierung eine radicale Communalwablreform abzu trotzen. Zn diesem Sinne hat sich, wie wir an anderer Stelle berichten, Defuifseaux in der Kammer ausgesprochen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß dir Regierung insofern zurückweicht, daß sie auf dir von ihr geplante reactionäre Um wandlung deS CommunalwahlgesetzeS theilweise verzichtet,event. den schon in erster Lesung angenommenen Gesetzentwurf zurück zieht. Daß sie damit aber die an einzelnen Stellen schon hoch springenden Wogen der Gährung unter der belgischen Arbeiter schaft besänftigen und den Generalstreik verhüten wird, ist noch nicht völlig sicher, da die socialdemokratischen Führer ihre Macht über dieMassen verloren zu haben scheinen. Zu den schlimmsten Ausschreitungen dürfte es falls derAuSstand noch auSbricht, wieder in den Wallonischen Distrikten kommen, deren Bevölkerung mit ihrer französischen Blutbeimischung bekanntlich sehr rasch ent zündlich und sehr leicht fortzureißen ist — auch Renaix liegt an der französisch-wallonischen Grenze. Die Wallonen be trachten den Kampf, gleichviel ob um politische oder um wirthschastliche Forderungen, keineswegs nur als Mittel zum Ziel, sondern wegen der damit verbundenen ihrem leiden schaftlichen Naturell sympathischen Aufregung, zum guten Theil als Selbstzweck. Sie warten deshalb häufig genug daS Commando der Führer gar nicht erst ab, sondern brechen Conflicte einfach vom Zaun. Dieser Hang macht die Ent wicklung der Dinge in den wallonischen Arbeitsbezirken ebenso unberechenbar und nötbigt die Regierung, für alle Fälle ihre Vorbereitungen zu treffen. Wie bereits gemeldet, sind die Truppen consignirt, Einziehungen älterer Mannschaften zur Fahne erfolgt; die Leute haben sog. „Streikpatronen" für ihre Gewehre erhalten, daS sind Patronen, deren Tragweite nicht über 30« m sich erstreckt, während daS belgische Kriegsgewehr auf 3000 m mit ver Kugel noch drei hintereinander stehende Körper glatt durchbohrt. Deutsches Reich. 6.8. Berlin, 2. A^ril. Der Kaiser ist heute Abend nach dem Diner beim StaatSsecretair Hollmann nach Kiet abgereist, von wo er erst am Montag nach Berlin zurückkehren wird- Wenn auch die Reise dem Stapellauf eines Schiffes m erster Linie gilt, so soll sie auch den Zweck haben, die Dispositionen über die Manöver bei Kiel anläßlich der Er öffnung deS Nordostseecanals zum Abschluß zu bringen. Schwierigkeit bereitet besonders die Frage über die Ankerung der fremden Schiffe. Der Kaiser hat sich in den letzten Tagen unausgesetzt mit den Feierlichkeiten beschäftigt, Admiral Knorr und Viceadmiral Hollmann haben ein ganz genaues Programm aufgestellt, das in allen Einzelheiten durch- berathrn und in der gestrigen CommissionSsitznng, an der bekanntlich der commandirende General veS schleSwig- bolsteinschen Armeekorps Graf Waldersee und der Ober- Präsident Steinmann theilnahmen, gutgeheißen wurde. Nur dir erwähnte Frage ist noch nicht gelöst und ferner weiß man noch nicht, wo die zahlreichen Ehrengäste untergebracht werden können. Zu den Festlichkeiten dürfte, wie eS heißt, auch der Reichstag eine Einladung erhalten; alle ReichStag-mitglieder sollen Gäste deS Kaiser» sein. Wenn nun auch wegen der mit den Feierlichkeiten verbundenen Strapazen und anderer seits wegen Mangel an Zeit nur eia kleiner Theil der RrichSboten der Einladung Folge leisten wird, so wird es immerhin nicht leicht sein, die erscheinenden Ehrengäste so untrrzubringen, wie e« de- hohen WirtheS würdig ist. U Berlin, 2. April. Nachdem unter dem 23 December 1893 der „Reichsanzeiger" den Bericht über die Brrhand ungen der Börsenenquete-Commission veröffentlicht hatte, war man an den zuständigen behördlichen Stellen an die Sichtung des überreichen Materials gegangen, welche» für die Börsenreform frage vorlag. An die Sichtung schloß ich dann die erste Feststellung deS Bvrsenreform-Gesetz entwurfes. die unter Hinzuziehung von Commiffarien aus den betheiligten anderen Refforts im Reichsamte deS Innern vor sich ging. Dieser Entwurf wurde hierauf im preußischen Staatsuttnisterium längere Zeit erörtert und ist nunmehr in der danach festgestellten endgütigen Form an den BundeSratb zrlangt. Bei den Vorbereitungen zur Vorlegung de« Ent Wurfs an die gesetzgebenden Körperschaften de« Reiches ist mithin eine geraume Zeit verflossen. Der Bundesrath dürfte nun aber schon in seiner nächsten Plenarsitzung sich mit dem elben beschäftigen, allerdings vorläufig nur, um ihn au die ,etreffenden Ausschüsse zur Borberathung zu überweisen. Es verlautet, daß die Arbeiten so gefördert werden sollen, daß der Börsenreformgesetzentwurf noch in der gegenwärtigen Tagung dem Reichstage vorgelegt werden kann. * Berlin, 2. April. Der „SocialistischeAkademiker", schließt einen unglaublich gehässigen Artikel über den Fürsten Bismarck mit folgenden unverschämten Sätzen: „Das ist Bismarck, und das sind seine Anhänger! Ein trau riger Heid und eine traurige Gefolgschaft! Und diesen Mann wagt man, uns als „Grüßten aller Deutschen" zn nennen, und diese Leute wagen es, sich als Verkündiger der Größe aus- zufpielen! Und die Parteien, auf deren Banner das Wort „Freiheit" steht, die Liberalen wagen es nicht, offen und energisch aufzutreten und die Wahrheit zu verkünden. Sie fürchten die Entrüstung der Gutgesinnten. Dummheit, Dünkel und Feig- heit, das ist die Trias, die sich anschickt, den „Ehrentag der deutschen Nation" festlich zu begehen. Und die Jugend, die Hoff- nu»g Deutschlands, in großgezogener Knrchtseligkett, mit früh er- loschen« Freiheitsbcgeisterung, steht sie auf Seiten der Betrüger und Betrogenen. Doch die Geschichte läßt sich nicht betrügen wie eine Volksclasse. Nie und nimmer wird der Götzendienst eine rmporgeschwindelte Größe zu einer wirklichen machen können. DaS Zeitalter der wahren Freiheit, deS Socialismus, ist nicht mehr fern. Und mit der Unterdrückung fällt auch dir Lüge und Heuchelei. DaS Volk erkennt, wessen Herz für sein Wohl geschlagen, und vor der klaren Wahrheit, der nichts aufzuschwatzen und nicht- abzu- feilschea ist, vergeht die gespreizte Nichtigkeit. Heute aber wenden wir uns gegen die Trabanten der rohen häßlichen Gewalt, wir protestiren gegen ihre That, die jedem Denken Hohn spricht, jeder echten Empfindung ins Gesicht schlägt. Nach der öden Ernüchterung, die ihrem Festestaumel folgen wird, muß und wird die wahre Jugend, die nicht durch materielle Interessen an diese Gesellschaft gekettet ist, sich mit Ekel von ihnen abwenden und in hell« Be geisterung Lahm gehe», wohin die Erkenntniß ihnen den Weg zeigen Wird, zu dem Umsturz dessen, was besteht." Die Antwort aus diese» Gebelfer einer kleinen frechen Clique ist durch die Hulbigungsfahrt der Studenten nach Friedrichsruh und durch sonstige studentische Bismarck-Feiern ertheilt worden. — Der Kaiser hat der Freimaurerloge „Drei goldene Anker zur Liebe und Treue", die jüngst ihr 125. Stiftungsfest feierte, sein Bildniß mit eigenhändiger Unter schrift geschenkt. — Dem Reichskanzler ist aus Straßburg i. E. folgendes Telegramm zugeganaen: „Euer Durchlaucht erlaubt sich der festlich versammelte Kriegerverein Straßburg zum 76. Geburts tage in treuer Verehrung seine ehrerbietigsten Glückwünsche darzubringen". — Der „Reichsanzeiger" widmet auch heute den Berichten über die BiSmarckfeier vier Spalten. — Der Gouverneur von Kamerun von Puttkamer ist erkrankt und hat sich zur Erholung nach St. ThomS begeben. — Der „ReichSanzeiger" veröffentlicht einen Erlaß, wonach da» ländliche FortdildungSschulwesen vom Ressort des Handel-ministerS auf das Ressort deS LandwirthschaftS ministerS überwiesen wird. FrreiHeton. j Die Französin. Ss Roman von Arthur Zapp. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Dieser natürliche Ausbruch batte eine Wirkung, welche von der Sprechenden wahrscheinlich nicht voraus berechnet worden. Der Oberst zeigte eine verblüffte Miene, die Frau Oberst sah ihre Tochter befremdet, fast empört von der Seite an. „Zh, sie mal! So also steht eS?!" Herbert aber prustete in vollem Lachen heraus: „Hahaha! Else, Du bist zu köstlich. Da hast Du Dich einmal gründlich verrathen." Die also Verspottete blickte einen Moment überrascht auf, dann, daS Unüberlegte ihrer Aeußerung erkennend, sprang sie voller Verwirrung empor und stürmte mit heftigen Schritten davon. An der Tbür wäre sie in ihrer Aufregung beinahe mit Thielke, ihres Vaters langjährigem Leibdienrr zusammen gerannt, der in diesem Moment mit wichtiger Miene und den äußeren Anzeichen einer außergewöhnlichen Botschaft inS Zimmer trat. „Der Briefträger wünscht den Herrn Oberst persönlich zu sprechen", meldete der treue Pommer, der während deS Feld zugs als Bursche seines Lieutenant- fungirt hatte und von seinem Herrn auch nach erfüllter Dienstzeit wegen seiner Zuverlässigkeit und Anhänglichkeit als Diener oeibehalten worden. „So? WaS giebt's denn?" erkundigte sich Oberst von Marenburg, während die Frau Oberst und der Assessor neu gierig aufsahen. „Ach, der Stephan hat einen Brief für den Herrn Oberst, der rin bischen confuS adressirt ist und er hat nun den Auf trag, den Herrn Oberst zu fragen, ob's stimmt oder nicht." Der Officier blickte zu dieser umständlichen und nicht eben sehr deutlichen Erklärung verwundert auf, winkte aber dann, den Postboten hereinzuführen. Der Beamte überreichte einen Brief, dessen ebenso ungewöhnliche wie unbestimmte Adresse der Oberst mit ahnungslosem Staunen ka<: „Herrn Freiherr von Marenburg, Königlich preußischer Officier. Berlin (?)" Der Brief war, wie der Briefträger erläuterte, von der Post an daS Militair-Cabinet deS Kaisers in Berlin bestellt und dort mit dem Vermerk versehen worden: „Adressat ist vielleicht der Oberst und Generalstabschef deS -kten-CorpS in N., Gerhard Freiherr von Marenburg." Die Briefmarke war eine französische und trug den Stempel: Nancy. Der Lesende zuckte unwillkürlich und alle- Blut strömte ihm zum Herzen zusammen, während plötzlich eine Idee in iym aufblitzte, die ihn mit einer halb freudigen, halb bangen Erwartung erfüllte. „Darf ich ihn öffnen?" fragte er den Beamten. „Gewiß, Herr Oberst." Die Hand deS Officier-zitterte merklich, während sie das Couvert aufriß und den Briefbogen entfaltete. Der erste Blick galt der Unterschrift: „Hölöne Duvernoy, verwittwete Roncourt." Die Bewegung, die den Oberst bei dem Anblick diese- Namens durchzitterte, war so heftig, dak eS ihm einen sicht baren Ruck gab, während >hrn alle- Blut au< dem Gesichte wich. Aber er beherrschte sich mit gewaltiger Willens anstrengung. „Es ist gut," sagte er zu dem Briefträger gewandt. „Der Brief ist an mich. Ich danke." Der Beamte entfernte sich bescheiden. Der Oberst aber laS den Brief, der ihm endlich nach so langer Zeit Kunde von der verschollenen Schwester brachte, mit tiefer Erschütte rung, während Frau und Sohn in gespannter Erwartung an seinen Mienen hingen. „Mein lieber Bruder Gerhard," so lauteten die offenbar mit schwacher, zittriger Land gekritzelten Zeilen — „Eine Sterbende schreibt diesen Brief. Ich fühle, daß ich die Krankheit, die mich seit Wochen an mein Bett fesselt, nicht überstehen werde und so will ich mein Herz erleichtern, daS sich in Trotz und Bitter keit und, ich fühle eS jetzt, in Ungerechtigkeit gegen Dich ver stockt hatte. Ein Jahr nach Roger RoncourrS Tod« habe ich mich zum zweiten Mal verheirathet und zwar lediglich um deS Kinde- Willen, mit dem ich allein, schutzlos in der Fremde stand. Warum ich mich nicht an Dich wandte, weißt
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